Schwarze Schafe im Diversity-Dschungel - und was bleibt ist die Angst vor dem Fremden

Weil schwarze Schafe vielleicht gar nicht anders sind, sondern die weißen alle gleich

Man kennt sie, diese schwarzen Schafe. Jede Familie, jede Gemeinschaft, jede Gesellschaft hat sie. Überall gibt es Menschen die anders sind; lauter, leiser, bunter, frecher, unangepasster, zurückhaltender. -Anders eben! Ich könnte euch gleich mehrere Kontexte liefern, in denen ich mir vorkam wie ein schwarzes Schaf, wie ein Fremdkörper, anders als die anderen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung! Was ich jedoch interessant finde ist, dass das, was wir alle oft recht unüberlegt als schwarzes Schaf bezeichnen, doch eher negativ belegt ist. Und warum? Weil es anders ist und anders ist doof…

Interessant finde ich all diese gesellschaftlichen und politischen Bemühungen zu sehen, die uns klipp und klar machen sollen, dass anders nicht doof oder bedrohlich ist, sondern eine großartige Bereicherung. Wir diskutieren über Gleichstellung, “gendern” wie die Weltmeister, applaudieren zu Diversity, bemühen uns selbst im Kreise unserer Comedians um bestmögliche politische Korrektheit und selbst die katholische Kirche (also wenigstens die ein oder andere) schmückt sich mit Regenbogenfahnen. Warum muss man um etwas, das selbstverständlich sein sollte, so ein Tamtam machen, liebe Lesenden?! Weil es, wenn wir mal den Mut haben, radikal ehrlich zu sein, eben doch nicht selbstverständlich ist.

Schwarze Höhlen-Schafe und die Säbelzahntiger

Wie wir es auch drehen und wenden, dieses Gefühl, dass schwarze Schafe eher doof, vielleicht sogar gefährlich sind, scheint irgendwie Teil unserer DNA zu sein. Wäre dem nicht so, müsste man sich nicht so viel Mühe geben, eine bunte, diverse und gleichberechtigte Gesellschaft zu gestalten. Wären wir der tiefen Überzeugung, dass das Problem sei, dass die weißen Schafe alle gleich sind und eben nicht, dass das schwarze Schaf anders ist, würde Diversity keine Rolle spielen. Dann würde man das Andere zur Kenntnis nehmen und anders sein lassen. Leider hat unser Gehirn irgendwann im Laufe der Evolution etwas anderes gelernt. Deshalb braucht es jetzt diese kognitive und intellektuelle Auseinandersetzung mit Diversity, Toleranz und Gleichberechtigung.

Wie war das denn damals mit den schwarzen Schafen in der Steinzeit? Ich bin mir ganz sicher, auch unter den Höhlenmenschen gab es schwarze Schafe, Menschen die anders waren, als die anderen. Allerdings war es damals überlebenswichtig als möglichst homogenes Kollektiv zu funktionieren. Die, die ausscherten wurden entweder vom Säbelzahntiger gefressen, oder flogen aus der Höhle (und wurden dann wahrscheinlich auch vom Säbelzahntiger gefressen). Was übriggeblieben ist, ist dieses homogene Kollektiv, für das es das Wichtigste ist, nicht aus der Menge hervorzutreten. Bloß nicht auffallen! An dieser Stelle muss ich immer an ein Gedicht denken, das Nelson Mandela im Rahmen seiner Amtseinführung als erster schwarzer Präsident Südafrikas zitierte:

Unsere größte Angst ist nicht unzulänglich zu sein. Unsere größte Angst ist grenzenlos mächtig zu sein. Unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, ängstigt uns am meisten. Wir fragen uns: wer bin ich denn, dass ich so brillant sein soll? Aber wer bist du, es nicht zu sein? - Du bist ein Kind Gottes. Es dient der Welt nicht, wenn du dich klein machst. Sich klein zu machen, nur damit sich andere um dich herum nicht unsicher fühlen, hat nichts Erleuchtendes. Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes, die in uns ist, zu manifestieren. Es ist nicht nur in Einigen von uns, es ist in jedem Einzelnen. Und wenn wir unser Licht scheinen lassen, geben wir damit unbewusst anderen die Erlaubnis, es auch zu tun. Wenn wir von unserer Angst befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch andere.
— Marianne Williamson

Irgendwie hat sie recht, die Frau Williamson… Intuitiv ordnen wir uns nur zu gerne ein und unter und haben Angst davor zu strahlen. Ein bisschen auffallen ist ja ganz OK, aber auf keinen Fall aus der Masse herausstechen… Nicht, dass der Säbelzahntiger uns frisst! - Was? - Ach so?! - Ja, es gibt keine Säbelzahntiger mehr! Richtig…

Immer diese Evolution…

So haben es also diejenigen geschafft, ihre Gene weiterzugeben, die vorsichtig, unauffällig und ängstlich waren. Hat die Evolution ja gut hinbekommen. Bloß nicht auffallen! Bloß nicht selbst zum schwarzen Schaf werden und anders sein. Die Panik vor dem Fremden und Unbekannten sitzt wirklich tief und beginnt schon in der Art und Weise wie unsere Sinne unsere Welt beobachten und wie unser Gehirn diese Beobachtungen beurteilt. Das Dilemma beginnt damit, dass unser Gehirn nur etwa fünf Prozent all der Information, die unsere Sinne einsammeln, verarbeitet und uns damit bewusst macht. Hierbei fokussieren sich unsere Wahrnehmungsfilter auf Bekanntes und Vertrautes. Taucht doch mal etwas Unbekanntes auf, gibt unser Angsthirn, die Amygdala, erstmal Alarm, denn fremd und unbekannt ist erstmal potenziell bedrohlich.

Potenziell bedrohlich sind natürlich auch Menschen die anders sind als wir selbst. Auch diese Reaktion unseres Gehirns kommt irgendwie aus der Steinzeit. Klar bedeuteten andere, fremde Stämme damals immer Gefahr und Krieg. Interessant finde ich, dass sich diese Erfahrungen offensichtlich tief in unser Unterbewusstsein eingegraben haben. Es gibt Studienreihen, in welchen Menschen Bilder von Menschen anderer Ethnien und der gleichen Ethnie gezeigt wurden, um die unwillkürliche Reaktion im Gehirn zu beobachten. Und tatsächlich kam es beim Betrachten von Menschen einer anderen ethnischen Herkunft zu einer erhöhten Reaktion in Gehirnregionen, die für Alarm und Angst zuständig sind. Es gibt Versuche mit Kindern im Kindergartenalter, die lieber mit Puppen der eigenen Ethnie spielen und dass Menschen einer anderen Ethnie für uns häufig alle gleich aussehen, ist ja schon ein alter Hut.

Und jetzt?

Keine Sorge, wenn es eines gibt, was wirklich großartig in Hinblick auf unser manchmal etwas schwerfälliges Gehirn ist, dann ist es die Tatsache, dass die Kapazität unserer Blackbox unendlich ist und sie eigentlich nur darauf wartet, dazu zu lernen. Und das tut auch wirklich Not! Sowohl gesellschaftlich, als auch im Business-Kontext!

In Anbetracht der Tatsache, dass unsere zunehmend globalisierte Welt immer dynamischer, schnelllebiger und komplexer wird und sich zudem immer stärker vernetzt, ist festzustellen, dass es neue, moderne Wirtschaftsorganisationen braucht, mit neuen, modernen Menschen, um auch weiterhin erfolgreich zu sein. Die von mir fast schon verehrte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat deutlich gemacht, dass in dieser neuen Welt nur sogenannte Lernende Organisationen langfristig erfolgreich sein können. Das Herzstück dieser Lernenden Organisationen sind Menschen, die den Mut haben, aus der Masse herauszutreten, das Wort zu erheben, kritisch zu sein. Nun ja, die Wirtschaftsorganisationen lernen und lernen, getragen von dieser Welle, die man momentan als New Work bezeichnet. Das ist ein Prozess, den ich tagtäglich als Agile Coach begleiten darf. Der Mensch muss sich eben ganz neu orientieren. -Und das dauert!

Aber auch gesellschaftlich gesehen brauchen wir diese Menschen, die den Mut haben anders zu sein, aus der Masse herauszutreten. Denn nicht nur die Wirtschaft soll und darf sich weiterentwickeln. Auch in unserer Gesellschaft ist sicher noch Luft nach oben. Als ich gestern darüber nachgedacht habe, welche Bedeutung Menschen haben, die mutig genug sind, aus der Menge hervorzutreten, ist mir spontan Graf Stauffenberg eingefallen. Ich musste daran denken, wie ich vor ein paar Jahren an genau der Stelle stand, an der Graf Stauffenberg seine Aktentasche deponiert hat. Wie wäre diese Welt wohl, wenn es mehr Menschen von seinem Kaliber gegeben hätte? Und gibt es heute wirklich schon genug Mutige? Ich persönlich glaube nicht. Tja, und deshalb brauchen wir wohl alle diese politischen und gesellschaftlichen Diskussionen rund um Diversity, Gender Equality, Gleichstellung und für den Moment braucht es vielleicht sogar gesetzlich verordnete Toleranz und Offenheit gegenüber allem dem, was anders ist. Denn nur wenn wir uns intellektuell mit dem anders Sein auseinandersetzen, gibt auch irgendwann das Angsthirn nach.

Wir brauchen kunterbunte Regenbogen-Schafe!

Ich gebe zu, wenn ich nicht darüber nachdenke, sind schwarze Schafe bei mir noch immer negativ belegt. Aber im zweiten Schritt sage ich mir immer wieder, wie wertvoll sie für uns alle sind. Gleichzeitig genieße ich, dass die Welt immer näher zusammenrückt und ich so immer wieder Einblicke in andere Kulturen bekomme. Diversity und Gender Equality bedeutet keineswegs, dass wir alle gleich sind, sondern dass wir unsere Unterschiedlichkeit wertschätzen und genießen. Und zwischendurch versuche ich selbst immer mal wieder ein schwarzes Schaf zu sein, schwarz oder kunterbunt! Ich versuche mutig zu sein, das, was mich ausmacht und von allen anderen unterscheidet, nicht zu verstecken, sondern in Szene zu setzen. Ich versuche zu strahlen, ein kunterbuntes Regenbogen-Schaf zu sein.

Habt einen schönen Sonntag und strahlt mit!

Eure Constance

IMG_1203.jpg

Aus der Menge herausgetreten

Unscheinbarer Ort und historischer Boden, an dem Stauffenberg damals seine Aktentasche abstellte

True Leadership! -Was ist jetzt das schon wieder?!

Nicht schon wieder spazieren gehen

Aus meiner einwöchigen Osterpause melde ich mich mit einem Blog aus der beliebten Serie “die schöne neue Welt der New Work überholt sich mal wieder selbst und verwirrt ihre Jünger” zurück! Ich hoffe ihr konntet die Feiertage genießen und gut erholt in eine kurze Arbeitswoche starten. Ich habe die Zeit genutzt, um in homöopathischen Dosen Zeit mit der engsten Familie und den engsten Freunden zu verbringen. Tatsächlich war dieses Jahr etwas mehr los, als im letzten Jahr. Aber insgesamt war es mir doch zu einsam und ich hatte viel zu viel freie Zeit. Klar hätte ich mal wieder spazieren gehen können. Aber mal ehrlich, ich will nicht mehr spazieren gehen. Mir reichts. Ich will in Bars und Restaurants und mit Freunden feiern, aber ich will nicht mehr spazieren gehen. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mir reicht es wirklich! Werde ich halt dick und rund! Egal, Hauptsache keine Spaziergänge mehr! Der positive Nebeneffekt dieser um sich greifenden Lethargie meinerseits ist, dass ich recht viel Zeit zum Lesen und Stöbern hatte. Unter anderem habe ich mir mal den aktuellen Scrum Guide angeschaut. Für alle die, die nicht wissen was das ist; kein Drama, man kann auch formidabel ohne leben. Für die Jünger der New Work Bewegung und die Verfechter agiler Strukturen ist der Scrum Guide einer der Taktgeber, eine Quelle der Inspiration für ein effizientes und selbstbestimmtes Zusammenarbeiten. Allerdings komme ich immer mehr an den Punkt mich zu fragen, ob all diese Guides und Leitfäden wirklich sinnvoll sind. Habe ich mich doch letztes Wochenende mal wieder darüber geärgert, dass sie sich ständig selbst überholen und gefühlt auf Arbeitsebene für mehr Verwirrung als Klarheit sorgen und deshalb eigentlich nur noch ein komischer Hype sind!

Zur Quelle meiner Wut

Woran sich mein inneres Äffchen letztes Wochenende so aufgerieben hat? Nun ja, als agiler Coach begleite ich Menschen durch organisationale Veränderungsprozesse und besonders im Rahmen einer agilen Transformation verlangen wir von diesen Menschen eine ganze Menge. Klar wird die Mehrheit mit mehr Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Freiheit belohnt. - So sie das auch tatsächlich als Belohnung empfinden. Eine kleinere Gruppe der Menschen, die ich begleite, wird durch diese Veränderungsprozesse jedoch zunächst einmal in eine mittelprächtige Identitätskrise katapultiert. Ich spreche von den Führungskräften, die gegebenenfalls seit Jahrzehnten damit erfolgreich waren, in klassischer Manager-Manier zu führen. So wurde es von ihnen verlangt. Das ist das was sie können und was deren Gehirn auch als gut und richtig abgehakt hat. Dass die Welt sich verändert hat und komplexe und dynamische Umfelder eine neue Art der Führung braucht, darüber habe ich schon oft gesprochen. Aber was bedeutet das für die Menschen, die Jahre lang gut und erfolgreich geführt haben und jetzt alles anders machen sollen, weil das Alte nicht mehr gut genug ist? Fühlt sich nicht so toll an. Dann nimmt man diesen Führungskräften auch noch alles weg, was ihr Selbstverständnis von Führung ausgemacht hat… Jetzt sollen sie also Servant Leader sein. Sie sollen dem Team dienen und die ihnen anvertrauten Mitarbeiter im Rahmen ihrer Weiterentwicklung unterstützen. Außerdem sollen sie ihren Leuten Raum lassen, ihnen Autonomie geben, weil ja jeder gut ausgebildete Experte selbst am besten weiß, was er braucht um seine beste Leistung abzurufen. Hört sich toll an! Ein schöner Regenbogen der uns direkt in eine bessere Welt führt. So viel zur Theorie. In der Praxis sind da gut ausgebildete, engagierte und bemühte Führungskräfte, die glauben, sie werden nicht mehr gebraucht, weil sie ja nicht mehr sagen dürfen oder sollen, wo es lang geht. Wenn wir mal ganz ehrlich sind, fühlt es sich ein wenig so an, wie als ob einem all seine Macht weggenommen wurde. An dieser Stelle greifen Coaches wie ich ins Geschehen ein. Gemeinsam erarbeitet man, wie diese neue Führung in der Praxis aussehen kann, wie und wo man seinen Mitarbeitern Autonomie geben kann und muss und was das für die Führungskraft ggf. sogar an Vorteilen mit sich bringt. Im Idealfall versteht die Führungskraft irgendwann, dass Macht nicht nur die Macht ist, anderen sagen zu dürfen was zu tun ist, sondern auch andere bewusst dazu ermächtigen zu können, eigenverantwortlich vorzugehen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.

Denn Linksverkehr bleib Linksverkehr und rechts ist halt richtig - sagt die Erfahrung

Ich weiß, dass der ein oder andere sich jetzt denkt, dass das doch nicht so schwer sein kann. Ist ja auch alles ganz einleuchtend mit der neuen Art zu führen. Aber glaubt mir, es ist verdammt schwer, weil die Macht der Gewohnheit eine sehr starke Kraft ist. Ist schon mal jemand von euch während eines Urlaubs oder Auslandsaufenthalt im Linksverkehr unterwegs gewesen, als Fahrer, nicht als Beifahrer? Die Situation und die Anforderung sind ganz klar und eindeutig und im Zuge der Unfallvermeidung macht es auch Sinn, sich an die neuen, anderen Regeln zu halten. Aber mal ehrlich, wie lang habt ihr gebraucht, bis ihr nicht mehr den Scheibenwischer an Stelle des Blinkers angeschaltet habt und ihr nicht mehr im Kreisverkehr oder an Kreuzungen zweimal nachdenken musstet?

So gewöhnen wir uns nur langsam, dafür aber sicher an die neue Situation, passen uns langsam an und irgendwann ist das Neue zur Normalität geworden. Das braucht Zeit. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn, während ich langsam aber sicher im Linksverkehr ankomme, ständig die Regeln und Details neu verfasst würden. Ich glaube ich würde irgendwann hinschmeißen, total frustriert.

Der Linksverkehr agiler Führung

Alle Veränderungen, so auch unternehmenskulturelle Veränderungen, brauchen Zeit und Raum und als Coach ist es mir wichtig, den Menschen, mit denen ich arbeite, genau das zu geben. Ich erkläre das Ziel, erkenne aber auch die Ist-Situation an, so wie die Bedenken und Sorgen und ich freue mich über jeden mutigen kleinen Schritt, den der Mensch macht um heraus aus der Komfortzone in den Veränderungsprozess einzusteigen.

So weit so gut. Ich schreite Seite an Seite, Schritt für Schritt mit meinen Kunden voran. Die Vertrauensbasis wächst, genauso wie der Mut. Schritt für Schritt wächst auch die Sicherheit im neuen Terrain. Währenddessen ist es das größte Gift, wenn alle Jahre wieder ein neuer Hype auftaucht, der im Prinzip nichts Neues ist, aber ganz neu aussieht. -Klar, so lassen sich natürlich alle Jahre wieder tolle neue Bücher und Vortragsreihen verkaufen. Verstehe ich! Die Führungskraft, die mitten im Prozess steckt, die sich mühsam ein wenig mehr Sicherheit auf dem Weg zu Servant Leadership erarbeitet, versteht das sicher nicht! Warum auch? Servant Leader? True Leder? Was zum Teufel soll das alles?

Was ist wirklich wichtig?

Diese Frage stelle ich mir immer wieder, auch in Hinblick auf Agilität. Agilität um deren Selbstwillen ist sicher nicht das Ziel. Ich war Human Factors Trainer und Consultant lange bevor ich Agile Coach wurde. Ich würde sogar sagen, weil ich aus tiefster Überzeugung Human Factors Consultant bin, hat mich mein Weg hin zur Agilität geführt. Denn der Mensch braucht Raum, Autonomie und Eigenverantwortung, um sich zufrieden zu Höchstleistung aufschwingen zu können. Und was der Mensch unbedingt braucht ist Führung, eine Führung die Richtung, Sicherheit, Freiraum und Eigenverantwortung schenkt. Wie man diese Führung nennt, ist am Ende völlig egal. Es ist wie bei all diesen Schoko-Ostereiern, die wir wahrscheinlich alle in den letzten Tagen im Überfluss genossen haben: wichtig ist was drinsteckt. Was mich gelegentlich ein wenig verärgert, ist, dass ausgerechnet um das Drumherum, die äußere Form, ein solcher Lärm gemacht wird, dass das was drin steckt total ins Hintertreffen gerät. Gerade in Hinblick auf Führung ist es doch ganz einfach: Menschen folgen Menschen, nicht Positionen und Titeln. Nennt es wir ihr wollt, es wird daran nichts ändern. In meiner “alten Welt” wurde in diesem Zusammenhang sogar zwischen “Personal Power” und “Positional Power” unterschieden. Das eine ist ohne das andere ein Rohrkrepierer. Was es wirklich braucht sind Persönlichkeiten, Führungspersönlichkeiten. -Menschen, die sich ihrer eigenen Fehlbarkeit bewusst sind und deshalb auch den Wert ihrer Mitarbeiter kennen. -Menschen die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und ihre eigene Macht nutzen, um andere zu ermächtigen. -Menschen die vertrauen, fördern, unterstützen, vorangehen ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Wie man das dann nennt, ist völlig egal: Servant Leader, transformationale Führung, flache Hierarchie, Teammanagement, Leader as Coach oder jetzt eben seit neustem True Leadership. Vielleicht sollte man einfach damit anfangen, mit all dieser Verwirrung aufzuhören! Ich finde es wurden inzwischen genug Bücher geschrieben (auch wenn ich natürlich davon träume selbst noch eines zuschreiben). Man muss auch mal ins tun kommen und den Raum und die Zeit für Veränderungsprozesse geben ohne ständig dazwischenzufunken. -Genau das erwarten wir ja auch von den Führungskräften, die wir begleiten!

Und jetzt doch spazieren gehen?

Nein, auf keinen Fall! Ich wünsche euch einen schönen Sonntag. Ich werde meiner Lethargie frönen und ein bisschen lesen und ich freue mich auf das strahlende Gesicht von Tristans großem Bruder Alan, wenn er später sein Ostergeschenk sehen wird! Und natürlich bin ich ganz gespannt darauf, ob Tristan inzwischen schon mehr kann, als schlafen, weinen, trinken und Bäuerchen machen!

Eure Constance

478452d6-8a54-4c5d-8219-21aa76d55c74.jpg

Hoch hinaus…

Denn Menschen folgen Menschen, nicht Positionen

Ode an die Fehlerkultur...

… oder warum Macht nicht ohne Verantwortung funktioniert.

“Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwortung.” Dr. Angela Merkel am Mittwoch, den 24. März 2021

Keine Sorgen, dieser Blog ist, war und bleibt unpolitisch. Trotzdem komme ich nicht umhin, diesen Satz unserer Bundeskanzlerin zu erwähnen. Noch mittags, wenige Stunden bevor Frau Dr. Merkel vor die Presse getreten ist, habe ich mich exakt darüber unterhalten. -Also nicht über Politik und die Corona-Maßnahmen unserer Regierung, sondern darüber, dass Macht immer auch Verantwortung bedeutet und dass ich dieses Übernehmen von Verantwortung bei vielen Menschen, die sich mächtig fühlen oder nach Macht streben, manchmal schmerzlich vermisse.

Ich komme ursprünglich aus der Luftfahrt. In meiner “alten Welt” gibt es Damen und Herren, die die Macht haben, tun zu können, was sie für das Richtige halten. Keiner, noch nicht einmal der Vorstand der Airline, darf ihnen reinreden. Das ist schlicht und ergreifend verboten! Diese Menschen werden Kapitäninnen und Kapitäne genannt. Liebe Führungskräfte, das kling sicher wie Musik in euren Ohren: die Freiheit tun und lassen zu dürfen, was ihr allein für richtig haltet und selbst dem Topmanagement ist es von Gesetzes wegen verboten, euch rein zu reden! Das hört sich nach einer geradezu verführerischen Menge an Macht an! Was damit aber einhergeht ist ein Ausmaß an Verantwortung, das in wenigen Bereichen der Arbeitswelt so unmittelbar greifbar ist, wie in der Luftfahrt. -Nicht nur, dass die direkte Verantwortung für Menschenleben die wahrscheinlich größte ist, die wir tragen können, sondern auch, weil sich ein Flugzeugunglück sicher deutlich schlechter vertuschen lässt, als ein ärztlicher Kunstfehler, eine fehlerhafte Buchung in der Buchhaltung, fehlerhaft kalkulierte Zahlen im Controlling und so weiter und so fort. Ein Unfall in der Luftfahrt ist etwas Absolutes und in den Medien sofort präsent. Dessen ist sich jedes einzelne Crewmitglied bewusst. Auch ist man sich als Flugzeugbesatzung bewusst darüber, dass man gemeinsam mit seinen Passagieren und Kollegen in einem Flugzeug sitzt und dass man von einem Unglück auch direkt betroffen wäre. Aus diesem Bewusstsein heraus, resultiert ein hohes Gefühl der Eigenverantwortung, bei jedem Einzelnen im Allgemeinen und bei den Kapitänen und Kapitäninnen im Besonderen, treffen sie doch die absoluten und finalen Entscheidungen. Vertuschen nicht möglich!

Wie trägt man Verantwortung?

Gute Frage! Als allererstes dadurch, dass man seine Entscheidungen mit Bedacht fällt und sich bewusst darüber ist, dass sein Team, seine Kollegen die wichtigste Ressource darstellen, auch im Rahmen eines Entscheidungsfindungsprozesses. Hierbei ist man sich bewusst darüber, dass man weder alles sehen, noch alles wissen kann und deshalb auf andere Perspektiven und auch auf andere Meinungen angewiesen ist. Vor allem aber übernimmt man Verantwortung, in dem man Fehler nicht vertuscht, sondern zu ihnen steht um aus ihnen zu lernen. Nicht erst seit Beginn der Corona-Krise vermisse ich diese Eigenschaft bei Politikern aller Couleur schmerzlich. Ich weiß nicht, wie oft ich halbwegs belustigt und halbwegs erschüttert beobachten musste, wie die Damen und Herren Politiker sich immer wieder aus der Affäre gezogen haben und alles, wirklich alles, mit Hilfe der absurdesten Erklärung schöngeredet haben. Manchmal habe ich mich wirklich gefragt, ob diese Politiker-Gilde uns alle für geistig minderbemittelt hält, oder ob sie das, was die Damen und Herren in den schillerndsten Farben umschreiben, selbst glauben!

Aber jetzt ist es passiert: ich erlebe zum ersten Mal bewusst mit, dass ein hochrangiger Politiker einen Fehler zugibt und auf Grund seiner Position die Verantwortung übernimmt! Ich persönlich finde das wirklich gut und richtig, denn es ist der erste und wichtigste Schritt, um seine Performance oder sein Ergebnis zu verbessern. Und mal ehrlich, ich finde bei der Performance unserer Regierung in freudiger Einheit mit den Landesfürsten ist gegenwärtig noch Luft nach oben. Was jedoch völlig unangemessen ist, weil es verhindert, aus diesem Fehler zu lernen und somit jede Weiterentwicklung unterbindet, sind diese bescheuerten Rufe nach der Vertrauensfrage. In dem Moment wurde mir direkt wieder bewusst, warum man in der Politik noch immer die gleichen Fehler wie vor fünfzig Jahren macht! Fehler zuzugeben und tatsächliche Verantwortung zu übernehmen, kommt einem politischen Selbstmord nah. Welch krankes System, das dazulernen quasi ausschließt!

FEEEEHHHHLERKULTUUUUR! -Was ist daran so schwer zu verstehen?

Ich weiß nicht wie oft ich schon über Fehlerkultur als Basis für High Performance gesprochen oder geschrieben habe! Das letzte Mal übrigens vor drei Wochen, als ich beschrieben habe, warum High Performance Teams sogar mehr Fehler machen als Teams, die auf einem weniger hohen Leistungsniveau unterwegs sind. In einer komplexen und dynamischen Welt sind Fehler schlicht und ergreifend unvermeidbar. Weniger leistungsstarke Teams vertuschen diese Fehler, reden sie sich schön, oder sprechen gar nicht darüber und machen einfach weiter. Die Gefahr hierbei ist, dass der gleiche Fehler immer wieder von unterschiedlichen Teammitgliedern gemacht wird. So hat ein und derselbe Fehler nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach negativen Einfluss auf die Produktivität des Teams. Genau das vermeiden Mitglieder von Hochleistungsteams ganz einfach dadurch, dass jeder einzelne einen Fehler sofort transparent macht. Das tut er (oder sie), weil er zum einen verstanden hat, dass Fehler etwas ganz Normales sind und er zum anderen weiß, dass die Kollegen das genauso sehen und dankbar dafür sind, dass der Fehler geteilt und besprochen wird, weil sie so nicht Gefahr laufen, in ein und dieselbe Falle zu tappen. Außerdem ist es im Team leichter, einen Plan zu machen, um die eingebrockte Suppe wieder auszulöffeln und um zu überlegen, was man aus eben diesem Fehler lernen kann. So entsteht ein permanent und aus sich selbst heraus lernendes System, das die einzige Antwort auf eine Welt ist, die sich selbst im ständigen Wandel befindet.

Aus dem Nähkästchen eines Agile Coaches - meine neue Lieblingskategorie!

Ich weiß, diese Nähkästchen-Überschrift gab es in der letzten Woche schon. Aber da ich gegenwärtig besonders großen Spaß daran habe, die Verbindungen und Gemeinsamkeiten, von dem, was “im echten Leben” los ist und dem, was in meiner neuen “Job-Welt” passiert, zu entdecken, ist das gerade meine absolute Lieblingskategorie, wenn es darum geht, meine Woche in meinem Blog Revue passieren zu lassen.

Also, was war da los im meiner schönen, neuen, agilen Welt? Ganz einfach: weit jenseits agiler Theorie und Strukturen hat das echte Leben getobt! Theoretisch ist sicher jedem, der in agilen Strukturen unterwegs ist, klar, dass man, um agil arbeiten zu können, Mitarbeiter haben muss, die im höchsten Maße eigenverantwortlich sind. Diese Eigenverantwortung die im Prinzip auch mit Selbstführung gleichzusetzen ist, bedeutet, dass ich Verantwortung für das übernehme, was ich tue, indem ich nicht nur meine Erfolge, sondern vor allem auch meine Fehler transparent mache um einen allgemeinen Lernprozess anzustoßen. Außerdem bedeutet Verantwortung zu übernehmen auch, dass ich nicht nur weiß, was ich alles kann, sondern dass ich ebenso gut weiß, wo meine Grenzen sind. Ich muss in der Lage sein, lieber um Hilfe zu bitten, ehe ich mich selbst auf das sehr dünne Eis des gefährlichen Halbwissens begebe und ich darf mich nicht scheuen, Fragen zu stellen, viele Fragen, wann immer mir etwas nicht zu einhundert Prozent klar ist.

In der Theorie hört sich das jetzt sicher super einleuchtend an. Allerdings gibt es für uns Menschen gefühlt Tausend Gründe, Fehler und Wissenslücken nicht zuzugeben und keine Fragen zu stellen, als eben genau das zu tun. Mal ehrlich, wie leicht fällt dir das? Irgendwie ist und bleibt das komische Gefühl, sich selbst bloß zu stellen und zum Dummerchen zu machen. Man muss sich im Kreis seiner Kollegen und auch bei seinem Chef schon verdammt sicher fühlen, um an dieser Stelle über seinen Schatten zu springen. Wie muss das dann für Kollegen sein, die ganz neu in ein Unternehmen kommen, aus dem Homeoffice “onboarden” und die Kollegen und Chefs, denen sie vertrauen sollen, noch nicht einmal “in echt” gesehen haben? Hinzu kommt dann vielleicht auch noch die Tatsache, dass man sich noch in der Probezeit befindet und das subjektive Empfinden hat, sich auf besondere Art und Weise beweisen zu müssen. Das ist ein verdammtes Pfund und ich muss spontan an meine ersten Wochen im neuen Job Anfang des Jahres denken. Phasenweise habe ich mich ganz schön verloren und verunsichert gefühlt. Ich habe ja ausführlich berichtet. Absolut sicher fühle ich mich noch immer nicht. So ein Onboarding braucht eben Zeit, remote wie live. Aber inzwischen habe ich ein großes Vertrauen in meine Kollegen und meine Leads. Das macht es irgendwie leichter und ich freue mich auf jeden neuen Arbeitstag. Tja, und weil sich die Dinge immer wieder wiederholen und es auch überall gleich “menschelt”, bin ich momentan als Coach ein ums andere Mal damit konfrontiert, dass neue Kollegen ziemlich allein im Homeoffice sitzen und weil ihnen die Sicherheit fehlt, nicht die nötigen Fragen Stellen und nicht über mögliche Fehler und Wissenslücken sprechen. Und ich kann sie so gut verstehen, merke aber auch gleichzeitig, dass das System kippt, wenn sie eben damit nicht anfangen. Verdammt, Leute, wie erzwingt man Vertrauen und Sicherheit? Ich hatte großes Glück, da meine Kollegen alle selbst Coaches sind und es mir deshalb vielleicht extrem leicht gemacht haben, wissen sie doch wie die Dinge zusammenhängen. Deshalb habe ich mich als Coach dazu entschieden, nicht bei den betreffenden Kollegen anzusetzen, sondern bei deren Schnittstellen. Aber ganz ehrlich, ich teste ins Blaue hinein und agiere aus der Erfahrung, die ich selbst gerade gemacht habe. Das ist sicher nicht der Königsweg, zumal wir Menschen alle unterschiedlich sind und deshalb auch ganz individuelle Bedürfnisse haben. Aber eine wirklich kluge Alternative fällt mir nicht ein. Vielleicht funktioniert es ja auch… - Ganz so, wie ich es letzte Woche beschrieben habe: Schritt für Schritt und immer wieder schauen, ob die Richtung stimmt. Und gaaaaaaaaaaaaanz wichtig: wenn ich merke, dass ich falsch liege, gestehe ich mir das sofort ein, bespreche das Thema mit meinen Kollegen und bitte um Hilfe! Alles andere wäre nicht fair, den Kollegen gegenüber, aber auch gegenüber unserem Arbeitgeber, der mir allmonatlich eine, wie ich finde, sehr angemessene Aufwandsentschädigung dafür überweist, dass ich nicht nur coache, berate, moderiere und schule, sondern auch dafür, dass ich die Verantwortung für mein Tun und somit auch für meine Fehler übernehme.

Und zu Abschluss noch was Neues von Tristan und seinem großen Bruder

Eh ich mich jetzt in meinen Sonntag und auf die Yoga-Matte verabschiede, dachte ich, ich erzähle dir noch die neusten Neuigkeiten von Tristan und seinem großen Bruder, falls du den Artikel von letzter Woche gelesen hast! -Falls nicht, findest du ihn auf dieser Seite!

Ich hatte in dieser Woche tatsächlich die große Ehre, Tristan persönlich kennenzulernen. Fakt ist, er kann noch nichts! - Also außer rumliegen, volle Windeln produzieren, weinen wann immer ihm was nicht passt und trinken! Gut, als da plötzlich ein Bäuerchen kam, haben wir uns alle gefreut und besonders Mama war mächtig stolz… Für ihn geht es eben gerade erst los, in vielen kleinen Schritten. Und ja, Fehler wird er auch machen und er wird daraus eine Menge lernen und natürlich wird er immer genug vertrauen zu Mama und Papa haben, um sich anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten. Denn das gehört zum Großwerden ja dazu. Interessant finde ich, dass wir auch in diesem Zusammenhang mit Kindern viel verständnisvoller und großzügiger sind, als mit uns selbst… -Wie als ob wir aufgehört hätten zu wachsen, zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

Eure Constance

IMG_4437.jpg

Weil Freiraum auch Verantwortung bedeutet

… und Fehler eben passieren!