Unternehmenskultur

Wie Psychologische Sicherheit High Performance auf Teamebene ermöglicht - Zwei Fallbeispiel aus der Luftfahrt

Der Faktor Mensch in der Dynamik und Komplexität der Luftfahrt

In meinem letzten Artikel habe ich euch das Thema Psychologische Sicherheit und insbesondere die Rolle, die Führung in diesem Kontext spielt, „in a nutshell“ umrissen. Ich habe dabei darauf hingewiesen, dass es in diesem Artikel nun darum gehen soll, die praktischen Auswirkungen von subjektiv empfundener Sicherheit zu betrachten. Dazu habe ich euch zwei Fallbeispiele aus der Luftfahrt mitgebracht. Das zweite Beispiel hatte ich auch dabei, als ich in dieser Woche zum nun schon dritten Mal an der Universität in Maastricht zu Gast war. Auch in meinem Workshop für Studierende im Masterstudiengang “Learning & Development in Organisations” ging es darum, welche Rolle Psychologische Sicherheit im Kontext von hochdynamischen und komplexen Umfeldern spielt und wie es der Luftfahrt als Vorreiter seit Jahrzehnten gelingt, dieses Phänomen so zu etablieren, dass Fliegen immer sicherer wird – weil es Menschen zunehmend gelingt, nicht nur in sich selbst, sondern auch in ihr Team zu vertrauen.

Sioux City – oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung in Kombination mit Vertrauen gehen wir zurück zum 19. Juli 1989. Wir befinden uns an Bord einer DC-10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles verläuft normal. Auffällig ist lediglich, dass an diesem Tag besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind, da United zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm anbot. Doch zurück zum Flug: Alles läuft unspektakulär ab, bis ein lauter Knall die Crew aus ihrer Routine reißt. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung höchstens einer der Passagiere – dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind, wodurch das Flugzeug nicht mehr steuerbar ist. Ein solches Problem war in Trainings nicht vorgesehen, da man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (von denen nur eines benötigt wird; die anderen zwei dienen der Redundanz) gleichzeitig ausfallen könnten. Doch an diesem Tag ist genau das passiert. Der Grund: Ein Fanlaufrad eines Triebwerks war gebrochen, und die Fragmente hatten die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlagen.

Nun sitzt Kapitän Alfred „Al“ Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Eine verdammt ernste Situation. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und berichtet, dass ein Passagier sie angesprochen habe. Er sei DC-10-Fluglehrer und glaube, er könne bei diesem Problem vielleicht helfen.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfällen Passagiere ins Cockpit lassen. Doch Kapitän Haynes ist sich bewusst, dass er jede mögliche Ressource nutzen muss, um die Überlebenschancen zu wahren. So sitzen schließlich vier Personen im Cockpit: Kapitän Haynes, sein Erster Offizier, sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam entwickeln sie eine Möglichkeit, das Flugzeug mithilfe der Triebwerksschübe zu steuern: Mehr Schub auf der rechten Seite für eine Linkskurve, mehr Schub links für eine Rechtskurve. Das klingt einfach, ist aber extrem herausfordernd. Dennoch gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen von Sioux City zu landen. Bei der Landung zerbricht das Flugzeug in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben, 185 Menschen überleben.

Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen „Katastrophenflug 232“ mit Charlton Heston als Kapitän Haynes verfilmte? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, darunter Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Simulator diese beschädigte DC-10 zu landen – alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines einzelnen Piloten, sondern durch außergewöhnliches Teammanagement und das Vertrauen von Kapitän Haynes in einen Fremden gerettet. Manchmal ist Vertrauen eine Entscheidung – und diese hat oft mit Demut zu tun.

Kapitän Haynes ist im September 2019 im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew-Ressource-Management- oder Human-Factors-Schulungen waren, durch die er begriff, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er verstand, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat Al Haynes sich entschieden, zu vertrauen. Und wenn eine Führungskraft sich entscheidet, zu vertrauen, legt sie den Grundstein für eine Kultur des Vertrauens im Team – und damit für weit überdurchschnittliche Leistungen.

Wie gut seid ihr, insbesondere die Führungskräfte unter euch, bedingungslos zu vertrauen? -Und damit den Grundstein für eine Kultur der Psychologischen Sicherheit zu legen?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Qantas Airways, auf dem Weg von Singapur nach Sydney. Neben den 440 Passagieren befindet sich eine 29-köpfige Besatzung an Bord. Allein im Cockpit sind an diesem Tag fünf Personen, da Kapitän De Crespigny einer Überprüfung unterzogen wird, bei der ein sogenannter Check-Kapitän seine Arbeit bewertet. Interessanterweise wird auch der Check-Kapitän selbst überprüft, ob er die Überprüfung korrekt durchführt. Man kann sich vorstellen, wie angespannt die Atmosphäre im Cockpit ist: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde man auf diesem Flug wahrscheinlich versuchen, so wenig wie möglich aufzufallen. Der Second Officer, ein Pilot in Ausbildung, betrachtete die Situation sicher auch interessiert, aber eher zurückhaltend.

Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall, und auf einen Schlag gehen im Cockpit mehr als zehnmal so viele Fehlermeldungen ein, wie normalerweise in Notfallsimulationen geübt werden. In der Luftfahrt gilt die Regel, dass in Notfällen ausschließlich der Kapitän des Fluges die Entscheidungsgewalt hat, selbst wenn ranghöhere Piloten anwesend sind. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne bestand darin, dass sie sich sofort unterordneten und in die Fähigkeiten ihres Kollegen vertrauten. So hatte Kapitän De Crespigny den Raum, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können.

Liebe Führungskräfte unter ich euch, ich frage euch erneut: Ist euer Vertrauen groß genug um den Raum für Höchstleistungen zu geben?

Zurück zu den Fehlermeldungen und Systemausfällen: Kapitän De Crespigny unterbricht schließlich die endlose Aufzählung seines Co-Piloten und sagt, er müsse jetzt wissen, was noch funktioniere, um herauszufinden, womit man arbeiten (sprich fliegen) könne. Gemeinsam entwickelt die Crew einen Plan, um das Flugzeug sicher zurück nach Singapur zu bringen. Da auch das System zum Kerosinablassen defekt war, musste der Flieger mit einem viel zu hohen Gewicht landen. Ein sogenanntes Overweight Landing stand bevor.

Die beiden Check-Kapitäne errechnen mithilfe eines Computerprogramms die dafür erforderlichen Landedaten und geben diese weiter um sie in die Bordsysteme einzugeben. Doch der Co-Pilot meldet sich zu Wort und äußert, dass die berechneten Zahlen falsch sein müssten. Trotz seines „untergeordneten“ Ranges wird ihm zugehört – und er hat recht. Der Computer hatte falsche Daten ausgegeben, die beinahe zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny berät sich mit seinen Kollegen und vertraut schließlich auf die Einschätzung des Co-Piloten. Die Zahlen werden angepasst, und der Airbus A380 kann sicher landen. 469 Menschen verlassen das Flugzeug gesund und unverletzt. Nachdem sich der Erste Offizier oder Co-Pilot diese Szenen in den Cockpit Voice Records angehört hat, war er selbst erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit er zwei Check-Kapitänen und der Software von Airbus widersprach. Er sagt, er habe keine Sekunde gezögert, weil er sich absolut sicher gefühlt hatte, kritisch sein zu dürfen.

De Crespigny erklärte später bescheiden, dass es sich um eine Teamleistung handelte, bei der mehrere Gehirne zu einem verschmolzen seien. Doch die Basis für diese Teamleistung war eine Kultur des Vertrauens und der Psychologischen Sicherheit, die jedem Crew-Mitglied ermöglichte, offen und ehrlich zu kommunizieren.

Führung in einer komplexen Welt

Die Luftfahrt ist seit Jahrzehnten ein Vorreiter darin, wie Vertrauen und Teamarbeit außergewöhnliche Leistungen ermöglichen. Vertrauen, das Gefühl subjektiv empfundener Sicherheit im Arbeitskontext, ist die absolute Basis dafür, in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt erfolgreich agieren zu können. Auch außerhalb der Luftfahrt ist Erfolg in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt nicht mehr von Einzelkämpfern abhängig, sondern von Teams, die gemeinsam besser sind als jede Einzelperson. Die Basis für Gemeinsamkeit ist Vertrauen.

Deshalb meine erneute Frage an alle Führungskräfte: Wie viel Vertrauen habt ihr in euer Team? Lebt ihr eine Kultur des Vertrauens – oder sprecht ihr nur davon?

Eure

Constance

Wer hoch hinaus will braucht Vertrauen

… Nicht nur in der Luftfahrt!

Sicherheit und Vertrauen in Phasen der Veränderung - Psychological Safety in a Nutshell

Halt in haltlosen Zeiten

In den letzten Wochen habe ich immer wieder mit Führungskräften und Führungsteams gearbeitet, die ein zentrales Thema beschäftigt: Veränderungen überholen sich gegenseitig. Die Dynamik hat auf allen Ebenen stark zugenommen. Führungskräfte fragen sich zunehmend, wie sie ihre Teams oder Organisationen mitnehmen und „bei Laune“ halten können. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass viele von ihnen die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeitenden nicht nur nachvollziehen können, sondern oft selbst spüren. Denn was bei all diesen Veränderungen häufig auf der Strecke bleibt, ist das Gefühl von Sicherheit.

Was braucht es also, um in einer scheinbar unberechenbaren Welt aktiv, erfolgreich und zielorientiert zu agieren? Es braucht sichere Räume, aus denen heraus man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und in die man sich immer wieder zurückziehen kann. Solche sicheren Räume sind auch im beruflichen Kontext unverzichtbar. Die Suche nach diesen führt mich zu einem meiner Lieblingsthemen: psychologische Sicherheit. Diese sicheren Räume, die uns mutig, kreativ und leistungsfähig machen und uns helfen, äußere Veränderungen zu bewältigen, finden wir im Arbeitsumfeld vor allem in unseren Teams – in den Menschen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass ich schon viel zu lange nicht mehr über dieses wichtige Thema geschrieben habe. Es ist also höchste Zeit!

Psychological Safety in a Nutshell

Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima innerhalb einer Gruppe oder eines Teams, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und Bedenken anzusprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung. Der Begriff und das dahinterstehende Konzept wurden vor allem durch die Arbeit der Harvard-Professorin Amy C. Edmondson geprägt.

Laut Edmondsons aktueller Forschung ist eine Kultur der psychologischen Sicherheit der zentrale Bestandteil effektiver Teamarbeit. Und effektive Teamarbeit ist das wichtigste Instrument, um erfolgreich mit einem dynamischen und komplexen Umfeld umzugehen. Dadurch entsteht nicht nur der sichere Raum, den wir alle brauchen. Psychologische Sicherheit fördert auch die Innovationskraft, die essenziell ist, um mit der Dynamik unserer Zeit Schritt zu halten. Zudem bildet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für eine offene Fehlerkultur, die dazu führt, dass Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können – bevor sie größere Schäden anrichten. Nicht zuletzt steigert eine Kultur des Vertrauens das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden.

Wie erkennt man psychologische Sicherheit?

In meiner Arbeit als Beraterin werde ich oft gefragt, wie ich das Maß an psychologischer Sicherheit in einem Team oder einer Organisationseinheit einschätze. Kann man psychologische Sicherheit erkennen? Für mich gibt es vier zentrale Bereiche, die ich bei einer solchen Einschätzung besonders betrachte:

  1. Offenheit
    Ist es erlaubt, Fehler zu machen? Wird bei Problemen nach Schuldigen gesucht oder nach gemeinsamen Lösungen? Dürfen der Status quo hinterfragt und neue Ideen eingebracht werden?

  2. Konfliktkultur
    Werden Konflikte vermieden, weil sie als negativ wahrgenommen werden? Oder werden sie als Chance für Weiterentwicklung und Diskurs gesehen?

  3. Respekt
    Wird den Unterschieden im Team mit Respekt begegnet?

  4. Lernkultur
    Entwickelt sich das Team gemeinsam weiter – aus Fehlern oder externen Impulsen?

Wie entsteht psychologische Sicherheit?

Eine weitere häufige Frage in meiner Zusammenarbeit mit Führungskräften ist: „Wie kann man psychologische Sicherheit schaffen?“

Die Wahrheit ist: Psychologische Sicherheit kann man nicht mit Maßnahmen A, B, und C initiieren. Sie lässt sich nicht einfach „erschaffen“. Aber es ist möglich, Rahmenbedingungen zu gestalten, die ihre Entstehung fördern. Hier tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, denn ihr Verhalten beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden direkt. In stürmischen Zeiten blicken Teams auf die Führung – auf ihre „Kapitänin“ oder ihren „Kapitän“.

Wenn ich an meine Zeit als Flugbegleiterin zurückdenke, kenne ich dieses Gefühl nur zu gut. Es gab Kapitäne, denen ich ohne Zögern in jeden Sturm gefolgt wäre – und ich war damit nicht allein. Die Strahlkraft guter Führung kann ein ganzes Team prägen, besonders in herausfordernden Situationen. Schon damals habe ich mich gefragt, was genau diese Führungspersönlichkeiten auszeichnete und was mich so bedingungslos vertrauen ließ.

Mit Blick auf die Gestaltung psychologisch sicherer Teamkulturen sehe ich acht zentrale Handlungsfelder, die ich gerne mit euch teilen möchte:

Acht Handlungsfelder für Führungskräfte

  1. Vorbildfunktion der Führungskraft
    Offenheit zeigen: Eigene Fehler und Unsicherheiten zugeben.
    Empathie leben: Zuhören, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
    Respekt vorleben: Wertschätzend auf andere Meinungen reagieren.

  2. Fehlerkultur etablieren
    Fehler als Lernchancen betrachten, statt Schuld zuzuweisen.
    Offen und ehrlich über Herausforderungen und Schwächen kommunizieren.
    Eine „Blame Culture“ vermeiden.

  3. Kommunikationsregeln festlegen
    Aktives Zuhören sicherstellen: Jedes Teammitglied fühlt sich gehört.
    Eine konstruktive Feedback-Kultur etablieren.

  4. Vertrauen aufbauen
    Verlässlichkeit, Integrität und Diskretion vorleben.

  5. Diversität wertschätzen
    Unterschiedliche Perspektiven fördern.
    Konflikte als Chance für Wachstum sehen.

  6. Gemeinsame Ziele und Werte betonen
    Werte aktiv vorleben, nicht nur in Leitbilder schreiben.

  7. Raum für Fragen und Ideen schaffen
    Formate schaffen, in denen Meinungen und Ideen offen geteilt werden können.
    Experimentierfreude fördern.

  8. Regelmäßige Reflexionen
    Zeiträume für Meta-Gespräche über Zusammenarbeit, Erfolge und Misserfolge schaffen.

Psychologische Sicherheit zu etablieren ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur des Vertrauens erfordert Pflege, und Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch auch die Teammitglieder tragen Verantwortung – sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaft.

In einer Zeit voller Dynamik und Komplexität ist eine Kultur des Vertrauens überlebenswichtig. Ohne sie droht eine Kultur der Angst, die Innovation und Zusammenarbeit lähmt und letztlich den Erfolg von Organisationen gefährdet.

In zwei Wochen werde ich euch ein Beispiel aus der Luftfahrt mitbringen, um die Bedeutung von psychologischer Sicherheit in High-Performing-Teams noch greifbarer zu machen.

Bis dahin freue ich mich auf meinen letzten Einsatz als Human-Factors-Trainerin in der Luftfahrt und auf zwei wunderbare Tage in Maastricht, wo ich erneut an der wirtschaftspsychologischen Fakultät der Universität einen Workshop für Master-Studierende leite. Beide Veranstaltungen stehen ganz im Zeichen psychologisch sicherer Teamkulturen.

Eure Constance

Safety First!

Je stürmischer die See, desto wichtiger das Gefühl, dass da im Notfall ein Rettungsring ist.

Warum Flugzeuge abstürzen... - Wie Kultur Unternehmensziele unterstützen kann

Die Unfallserie der Korean Airline - Pech? - Mangelhafte Ausbildung? - Veraltete Flugzeuge? - Oder doch etwas ganz anderes?

In den achtziger und neunziger Jahren galt die Korean Air als die Airline weltweit mit den schlechtesten Safety Records, oder etwas reißerisch ausgedrückt als die gefährlichste Airline der Welt. Diese Feststellung speiste sich aus der Tatsache, dass es die Fluggesellschaft seit ihrer Gründung 1962 unter ihren verschiedenen Namen auf sage und schreibe 17 Totalverluste von Flugzeugen gebracht hat. Bei zehn dieser Unfälle kamen insgesamt über 700 Menschen ums Leben. Unter den verlorenen Fliegern waren auch einige Frachtflugzeuge ohne Passagiere und bei einigen der Unglücke konnten es die Passagiere lebend aus den verunglückten Maschinen schaffen. Selbstverständlich wurde akribisch recherchiert welche Ursachen es für die unterschiedlichen Unfälle gab. Hierbei ist eine Art Ursachenhäufung in den Achtzigern und Neunzigern von besonderem Interesse für mich, sowohl in meiner Rolle als Human Factors Trainer in der Luftfahrt, als auch in meiner Rolle als Business Coach und Consultant.

Als sich die Ermittler auf die Suche nach der Ursache für diese Unfälle machten, standen sie immer wieder vor einem Rätsel. Die Piloten waren alle samt gut ausgebildet, erfahren und erfreuten sich bester Gesundheit und auch die Flugzeugtechnik wies keine Mängel auf, die einen Totalverlust rechtfertigten. So suchten die Ermittler weiter und wurden schließlich beim Abhören der Cockpit Voice Records, also der aufgezeichneten Kommunikation im Cockpit, fündig. Was auffiel, war, dass es in der Kommunikation zwischen den Piloten ein interessantes Muster gab.

Denn Kommunikation ist immer Teil des Problems

Bei Analyse der Kommunikation im Cockpit fiel auf, dass die Ersten Offiziere (oder Co-Piloten) ihre Kapitäne niemals direkt und klar ansprachen, selbst wenn sie sehen konnten, dass die Kapitäne glasklare Fehler machten. Vielmehr wählten sie eine Art “Mitigated Speech” (abgeschwächte Sprache), um das Thema zu platzieren. - Wahrscheinlich damit sie den Vorgesetzten nicht verärgerten oder gar bloßstellten. Anstatt augenscheinliche Probleme wie zum Beispiel eine vereiste Tragfläche direkt anzusprechen, wählten die Ersten Offiziere verklausulierte Aussagen oder Andeutungen wie: “Es könnte vielleicht ein Problem mit den Tragflächen geben. Unter Umständen wäre es eine gute Idee sich das einmal anzuschauen und zu prüfen.”

Insbesondere Menschen mit einem hohen Grad an Empathie und Nähebedürfniss neigen dazu in einen “Mitigated Speech” fallen, was sich ganz wunderbar auf die Beziehungseben auswirken kann. Im beruflichen Kontext, wo es häufig um faktenbasierte Entscheidungsfindungen geht, ist diese Form der Rhetorik jedoch selten hilfreich. In diesem Kontext ist zu beobachten, dass diese beziehungsorientierte Form des Sprechens deutlich häufiger in Organisationen mit besonders steiler Hierarchie auftritt.

Zurück in das Cockpit der Korean Air: Der Erste Offizier schlägt also ganz unverbindlich vor doch mal vielleicht unter Umständen und ganz ohne Druck darüber nachzudenken, sich die Tragflächen anzuschauen und der Kapitän sagt nein, mache er nicht, weil er es nicht für notwendig erachte…

Die Unfähigkeit zu sprechen

Jeder Pilot, eigentlich überhaupt jeder, weiß, dass Eis auf den Tragflächen lebensgefährlich ist, weil es sich ausgesprochen ungünstig auf die Aerodynamik eines Flugzeuges auswirkt. Deshalb könnten man meinen, dass der Erste Offizier in unserem Fall etwas vehementer werden müsste, da er sich ja ebenfalls in der Maschine befindet und wir unterstellen, dass er seines Lebens nicht überdrüssig ist. In unserem Beispiel sagt er einfach nichts und verliert sein Leben.

Einen vergleichbaren Vorfall hat es bei der Korean Air Cargo tatsächlich gegeben, in dem der Erste Offizier den Fehler des Kapitäns deutlich gesehen hat, ihm klar war wie man den Flieger hätte vor einem Unfall bewahren können und trotzdem stirbt er lieber, als den Kapitän zu korrigieren.

Um diese Reaktion nachvollziehen zu können ist es wichtig zu verstehen, dass das kulturelle Miteinander im Cockpit der Korean Air Flugzeuge ein Abbild der koreanischen Kultur war, in der Hierarchie und Machtpositionen eine elementare Rolle spielten und zum Teil auch bis heute noch spielen. Der Respekt vor hierarchisch höhergestellten Menschen oder Autoritäten war und ist ausgesprochen groß. Auf die Zusammenarbeit im Cockpit hatte das die Auswirkung, dass Erste Offiziere nicht wie in der Branche üblich Redundanzen und Partner auf Augenhöhe darstellten, sondern reine Befehlsempfänger waren. Der Kapitän hatte die uneingeschränkte Hoheit und das absolute Kommando. Man weiß von Berichten darüber, dass es zu dieser Zeit nicht unüblich war, dass Kapitäne ihre Ersten Offiziere sogar körperlich attackierten, wenn diese einen Fehler machten.

Die Theorie der kulturellen Dimensionen

Es gibt viele Theorien und Ansätze, die das Phänomen Kultur erklären und erläutern. Ein Modell, das ich im Kontext meines heutigen Themas besonders interessant finde, ist das Modell der Kulturdimensionen nach Geert Hofstede. Im Rahmen dieses Modells geht es darum insbesondere kulturelle Unterschiedlichkeit messbar zu machen. In diesem Zusammenhang führt Hofstede sechs Ebenen an, an Hand derer er diese Unterschiedlichkeit messbar oder greifbar machen kann: Genuss und Beschränkung, Kurzzeit- und Langzeitorientierung. Unsicherheitsvermeidung, Maskulinität und Femininität , Kollektivismus und Individualismus und schließlich die Ebene, die in der Betrachtung unserer Piloten besonders interessant ist: die Ebene der Machtdistanz. Hierfür hat Hofstede den sogenannten Power Distanz Index (PDI) oder Machtdistanzindex entwickelt, der wiedergibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit Menschen in einem bestimmten Land gegen Autoritäten aufbegehren. In Ländern mit niedrigem PDI fühlen sich Menschen sicher(er) Machthaber in Frage zu stellen. In Ländern mit hohem PDI wird das aufbegehren gegen Autoritäten (egal ob im beruflichen oder privaten Kontext) schwerer und schwerer bis hin zu unmöglich.

Einen besonders niedrigen PDI findet man laut Hofstede in den USA, den skandinavischen Ländern und in Deutschland. Südkorea hingegen hatte in den 1980er Jahren den zweithöchsten PDI der Welt. Die ersten Offiziere in der Reihen von Unfällen der Korean Air waren durch kulturelle Umstände und Regeln wie gelähmt. Sie konnten schlicht und ergreifend nicht aufbegehren.

Herkunftskultur vs. Unternehmenskultur

Nachdem die Gutachten der Unfallermittler veröffentlicht waren mussten sich die Verantwortlichen bei Korean Air natürlich die Frage stellen, wie sie mit diesen faktischen Aussagen als Unternehmen umgehen möchten. Zunächst wurde Englisch als verbindliche Sprache im Cockpit eingeführt, da Englisch deutlich weniger hierarchisch ist, als Koreanisch. Außerdem wurden und werden immer wieder Piloten aus anderen Ländern eingestellt um die herkunftskulturelle Prägung der Pilotenschaft bei Korean Air aufzubrechen. So hat sich Korean Air bewusst eine Unternehmenskultur geschaffen, die von der originären Kultur in Südkorea abweicht. Dieser eingeschlagene Weg der Fluggesellschaft scheint von Erfolg gekrönt zu sein. Seit 1999 gab es bei Korean Air keinen ähnlich gelagerten nennenswerten Zwischenfall mehr.

Betrachte ich mir diese Zusammenhänge in meiner Rolle als Business Coach und Consultant wird es mir noch einmal bewusst, wie wichtig es für Organisationen oder Unternehmen ist, sich die Kulturfrage zu stellen und die eigene Kultur bewusst zu gestalten. Die Frage danach, wofür ich als Organisation meine Kultur nutzen möchte, oder was das Ziel meiner ganz individuellen Unternehmenskultur ist, sollte hierbei im Fokus stehen. Ist das Ziel klar lässt sich schließlich definieren mit welchen Maßnahmen man auf dieses Ziel hinarbeiten kann. Korean Air ist für mich ein ganz wunderbar greifbares Beispiel aus der Luftfahrt, um zu belegen, dass bewusst gesteuerter unternehmenskultureller Wandel möglich ist. Schaue ich auf die Welt jenseits der Flugzeuge fällt mir direkt Nokia ein. Auch hier musste Unternehmenskultur bewusst und gesteuert verändert werden, um eine wirtschaftliche Schieflage zu korrigieren.

In meiner Rolle als Mitarbeiterin stellt sich für mich natürlich auch die zusätzliche Frage, welchen Machtdistanzindex ich in meinem Unternehmen und selbstverständlich auch in meinem Team vermuten würde und ob das so für mich passt, oder ob ich ihn verändern würde, wenn ich dazu in der Lage wäre. Vielleicht geht es euch ja ähnlich. Also fühlt euch eingeladen, darüber bei einer Tasse Kaffee am Sonntagmorgen nachzudenken, wenn ihr möchtet! - Und lasst mir gerne ein Feedback zu euren Erkenntnissen da.

Eure Constance

Hoch hinaus

Es geht nur mit der passenden gemeinsamen Basis, mit den oft ungeschriebenen Regeln des Miteinanders, das wir als Kultur bezeichnen. Sie macht uns als als Gemeinschaft entweder unendlich stark oder sehr verwundbar.