Teammanagement

Sicherheit und Vertrauen in Phasen der Veränderung - Psychological Safety in a Nutshell

Halt in haltlosen Zeiten

In den letzten Wochen habe ich immer wieder mit Führungskräften und Führungsteams gearbeitet, die ein zentrales Thema beschäftigt: Veränderungen überholen sich gegenseitig. Die Dynamik hat auf allen Ebenen stark zugenommen. Führungskräfte fragen sich zunehmend, wie sie ihre Teams oder Organisationen mitnehmen und „bei Laune“ halten können. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass viele von ihnen die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeitenden nicht nur nachvollziehen können, sondern oft selbst spüren. Denn was bei all diesen Veränderungen häufig auf der Strecke bleibt, ist das Gefühl von Sicherheit.

Was braucht es also, um in einer scheinbar unberechenbaren Welt aktiv, erfolgreich und zielorientiert zu agieren? Es braucht sichere Räume, aus denen heraus man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und in die man sich immer wieder zurückziehen kann. Solche sicheren Räume sind auch im beruflichen Kontext unverzichtbar. Die Suche nach diesen führt mich zu einem meiner Lieblingsthemen: psychologische Sicherheit. Diese sicheren Räume, die uns mutig, kreativ und leistungsfähig machen und uns helfen, äußere Veränderungen zu bewältigen, finden wir im Arbeitsumfeld vor allem in unseren Teams – in den Menschen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass ich schon viel zu lange nicht mehr über dieses wichtige Thema geschrieben habe. Es ist also höchste Zeit!

Psychological Safety in a Nutshell

Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima innerhalb einer Gruppe oder eines Teams, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und Bedenken anzusprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung. Der Begriff und das dahinterstehende Konzept wurden vor allem durch die Arbeit der Harvard-Professorin Amy C. Edmondson geprägt.

Laut Edmondsons aktueller Forschung ist eine Kultur der psychologischen Sicherheit der zentrale Bestandteil effektiver Teamarbeit. Und effektive Teamarbeit ist das wichtigste Instrument, um erfolgreich mit einem dynamischen und komplexen Umfeld umzugehen. Dadurch entsteht nicht nur der sichere Raum, den wir alle brauchen. Psychologische Sicherheit fördert auch die Innovationskraft, die essenziell ist, um mit der Dynamik unserer Zeit Schritt zu halten. Zudem bildet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für eine offene Fehlerkultur, die dazu führt, dass Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können – bevor sie größere Schäden anrichten. Nicht zuletzt steigert eine Kultur des Vertrauens das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden.

Wie erkennt man psychologische Sicherheit?

In meiner Arbeit als Beraterin werde ich oft gefragt, wie ich das Maß an psychologischer Sicherheit in einem Team oder einer Organisationseinheit einschätze. Kann man psychologische Sicherheit erkennen? Für mich gibt es vier zentrale Bereiche, die ich bei einer solchen Einschätzung besonders betrachte:

  1. Offenheit
    Ist es erlaubt, Fehler zu machen? Wird bei Problemen nach Schuldigen gesucht oder nach gemeinsamen Lösungen? Dürfen der Status quo hinterfragt und neue Ideen eingebracht werden?

  2. Konfliktkultur
    Werden Konflikte vermieden, weil sie als negativ wahrgenommen werden? Oder werden sie als Chance für Weiterentwicklung und Diskurs gesehen?

  3. Respekt
    Wird den Unterschieden im Team mit Respekt begegnet?

  4. Lernkultur
    Entwickelt sich das Team gemeinsam weiter – aus Fehlern oder externen Impulsen?

Wie entsteht psychologische Sicherheit?

Eine weitere häufige Frage in meiner Zusammenarbeit mit Führungskräften ist: „Wie kann man psychologische Sicherheit schaffen?“

Die Wahrheit ist: Psychologische Sicherheit kann man nicht mit Maßnahmen A, B, und C initiieren. Sie lässt sich nicht einfach „erschaffen“. Aber es ist möglich, Rahmenbedingungen zu gestalten, die ihre Entstehung fördern. Hier tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, denn ihr Verhalten beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden direkt. In stürmischen Zeiten blicken Teams auf die Führung – auf ihre „Kapitänin“ oder ihren „Kapitän“.

Wenn ich an meine Zeit als Flugbegleiterin zurückdenke, kenne ich dieses Gefühl nur zu gut. Es gab Kapitäne, denen ich ohne Zögern in jeden Sturm gefolgt wäre – und ich war damit nicht allein. Die Strahlkraft guter Führung kann ein ganzes Team prägen, besonders in herausfordernden Situationen. Schon damals habe ich mich gefragt, was genau diese Führungspersönlichkeiten auszeichnete und was mich so bedingungslos vertrauen ließ.

Mit Blick auf die Gestaltung psychologisch sicherer Teamkulturen sehe ich acht zentrale Handlungsfelder, die ich gerne mit euch teilen möchte:

Acht Handlungsfelder für Führungskräfte

  1. Vorbildfunktion der Führungskraft
    Offenheit zeigen: Eigene Fehler und Unsicherheiten zugeben.
    Empathie leben: Zuhören, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
    Respekt vorleben: Wertschätzend auf andere Meinungen reagieren.

  2. Fehlerkultur etablieren
    Fehler als Lernchancen betrachten, statt Schuld zuzuweisen.
    Offen und ehrlich über Herausforderungen und Schwächen kommunizieren.
    Eine „Blame Culture“ vermeiden.

  3. Kommunikationsregeln festlegen
    Aktives Zuhören sicherstellen: Jedes Teammitglied fühlt sich gehört.
    Eine konstruktive Feedback-Kultur etablieren.

  4. Vertrauen aufbauen
    Verlässlichkeit, Integrität und Diskretion vorleben.

  5. Diversität wertschätzen
    Unterschiedliche Perspektiven fördern.
    Konflikte als Chance für Wachstum sehen.

  6. Gemeinsame Ziele und Werte betonen
    Werte aktiv vorleben, nicht nur in Leitbilder schreiben.

  7. Raum für Fragen und Ideen schaffen
    Formate schaffen, in denen Meinungen und Ideen offen geteilt werden können.
    Experimentierfreude fördern.

  8. Regelmäßige Reflexionen
    Zeiträume für Meta-Gespräche über Zusammenarbeit, Erfolge und Misserfolge schaffen.

Psychologische Sicherheit zu etablieren ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur des Vertrauens erfordert Pflege, und Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch auch die Teammitglieder tragen Verantwortung – sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaft.

In einer Zeit voller Dynamik und Komplexität ist eine Kultur des Vertrauens überlebenswichtig. Ohne sie droht eine Kultur der Angst, die Innovation und Zusammenarbeit lähmt und letztlich den Erfolg von Organisationen gefährdet.

In zwei Wochen werde ich euch ein Beispiel aus der Luftfahrt mitbringen, um die Bedeutung von psychologischer Sicherheit in High-Performing-Teams noch greifbarer zu machen.

Bis dahin freue ich mich auf meinen letzten Einsatz als Human-Factors-Trainerin in der Luftfahrt und auf zwei wunderbare Tage in Maastricht, wo ich erneut an der wirtschaftspsychologischen Fakultät der Universität einen Workshop für Master-Studierende leite. Beide Veranstaltungen stehen ganz im Zeichen psychologisch sicherer Teamkulturen.

Eure Constance

Safety First!

Je stürmischer die See, desto wichtiger das Gefühl, dass da im Notfall ein Rettungsring ist.

Teams mit Dysfunktionen? -Vielleicht auch nur ein Spiegel arroganter Coaches?

Dysfunktion hier, Dysfunktion dort…

All jenen unter euch, die meine Artikel in den letzten Wochen gelesen haben, geht es vielleicht wie mir. Vielleicht könnt ihr das Wort Dysfunktionen auch nicht mehr hören. Was soll das überhaupt, einem Team zu unterstellen, es sei dysfunktional? Und woher kommt dieser Ansatz der fünf Dysfunktionen überhaupt? Interessanterweise entspringt die Ausformulierung tatsächlich der Kultur der sogenannten New Work, genauer gesagt der agilen Welt des Scrum. Unmengen agiler Coaches und Scrum Master referieren (so wie ich in den letzten beiden Wochen) darüber, wie wir die fünf Dysfunktionen bei (Scrum) Teams identifizieren können und welche Maßnahmen zu ergreifen sind , um die jeweiligen Dysfunktionalität auszumerzen.

So weit so gut und das ist ja auch alles fachlich und inhaltlich richtig. Ich habe mich in den letzten Wochen jedoch immer wieder gefragt, warum ich mir mit dieser sachlichen Beschreibung so schwertue. Nach reiflicher Überlegung muss ich einfach zugeben, dass ich am Ende des Tages wohl doch ein ressourcenorientierter Human Factors Trainer und Consultant bin. Der Agile Coach bin ich wohl nur nebenbei. Mein Herz schlägt anders. Wie ich darauf komme? Mir gefällt es nicht, Dysfunktionen an Menschen oder in Teams zu identifizieren und daran zu arbeiten. Ich sage es mal ganz frei nach der von mir so häufig genannten Harvard Professorin Amy C. Edmondson: Kein Mensch steht morgens auf und fährt zur Arbeit, weil er es nicht abwarten kann, dysfunktional zu agieren. In Wirklichkeit ist es doch viel mehr so, dass die allermeisten von uns morgens aufstehen und sich fest vornehmen, ihr Bestes zu geben. Dass dabei nicht immer alles glatt läuft, ist jedem von uns klar. Manchmal ist es sogar strukturell bedingt, aber eines ist es eben immer: menschlich. Verunsicherung und Konfliktvermeidung sind etwas zu tiefst Menschliches und keine Dysfunktion. Vielmehr sehe ich es so, dass dieses normale, menschliche Verhalten, das wir alle mal mehr und mal weniger ausgeprägt an den Tag legen, in unserer neuen, modernen, komplexen und dynamischen Welt die Performance (die individuelle, die eines Teams und auch die einer gesamten Organisation) beeinträchtigen. Dysfunktional ist in diesem Kontext bestenfalls unser Umfeld, unsere Welt, die sich auf geradezu absurde Weise immer schneller zu drehen scheint und an die es sich anzupassen gilt.

Warum ich mir so sehr gewünscht habe, in einem agilen Umfeld zu arbeiten

Als meine Wut auf all diese großen und ruhmreichen Agilisten, die Bücher schreiben und Vorträge halten, wieder ein wenig verraucht war, habe ich mich schließlich gefragt, warum ich denn eigentlich unbedingt in ein agiles Umfeld wollte. Dass ich momentan hauptberuflich als Agile Coach in einer großen Bank arbeiten darf, war ein Traum, der sich über Jahre hinweg in mir entwickelt hat. Dieser Traum hat als absolutes Fundament mein Menschenbild und meine Idee von der Bedeutung des Faktors Mensch in modernen Organisationsstrukturen. Nach vielen Jahren als Human Factors Trainer wurden mir diesbezüglich zwei Dinge glasklar:

  1. Der Mensch ist der absolute Schlüssel zum Erfolg all unserer Systeme!

  2. Menschen machen Fehler, ja! Aber sie tun das nicht, weil sie sich dazu entschieden haben. Vielmehr will jeder von uns zu jeder Zeit sein Bestes geben, sich einbringen und zum Erfolg eines Teams oder einer Organisation beitragen.

Natürlich resultiert aus diesen beiden Feststellungen zwangsläufig die Frage, was Menschen denn dann brauchen, um all ihr Potenzial nutzen zu können. Die Antwort ist ebenso profan wie sie kompliziert ist. Menschen brauchen Vertrauen und Gestaltungsraum. Ja, hört sich einfach an, aber findet das mal in klassischen Wirtschaftsorganisationen, in denen der Chef den Mitarbeitern Boni bietet, weil er denkt, dass sie sonst auf keinen Fall volle Leistung erbringen und gleichzeitig nimmt er ihnen so ziemlich alle Gestaltungsmöglichkeiten, gibt strenge Rahmenbedingungen vor und glaubt noch immer, dass Druck ein gutes Mittel zur Leistungssteigerung sei. Ich habe mir lange vorgestellt, wie eine Organisation aussehen müsste, die genau das anders macht, wie Führung aussehen könnte, die anders vorgeht, Raum lässt und Vertrauen schenkt. Alles das hat mich in die Welt agiler Strukturen eintauchen lassen und ich war irgendwie selig. Alles hat so viel Sinn ergeben: dieser Fokus auf selbst-organisierten Teams und dieser dienenden Führung, die man Neu-Hochdeutsch ja als Servant Leadership bezeichnet, hat mich in den Bann gezogen. Hier habe ich mein Menschenbild wiedergefunden. Die Grundidee aller Agilität liegt meiner Meinung nach darin, dass man den Menschen als kompetent, leistungsbereit, eigenverantwortlich und positiv sieht und ihm deshalb eben auch zutraut, dass er sich selbst im Team bestmöglich organisieren kann, dass er selbst klug genug ist, um sich die für ihn passenden Voraussetzungen für High Performance zu schaffen und vor allem, dass der Mensch nicht kontrolliert werden muss und keine Karotten braucht, die man ihm wie einem Esel vor die Nase hängt, damit er schneller rennt.

Und nach dem Träumen kommt natürlich immer die Realität

Es war dieser Traum, der mir den Mut gegeben hat, mein Leben komplett auf links zu drehen und mich dieser neuen Welt und einem ganz anderen Leben zu stellen. Nach 21 Jahren Flugzeuge im Bauch und Kerosin im Blut plötzlich in einer Bank! Das war und ist verrückt. Nichtsdestotrotz hat mein Traum mir ausreichend Rückenwind gegeben und jetzt stehe ich hier, nach einem halben Jahr als Agile Coach eigentlich noch recht grün hinter den Ohren aber eben auch nicht blind und taub! Um zu lernen habe ich mich natürlich sehr intensiv umgeschaut, in der schönen neuen Welt der Agilität. Ich habe unendlich viele Blogs anderer Coaches gelesen, Bücher, Publikationen, etc. Ich habe viele tolle neue Anregungen und Ideen gefunden, die ich zum Teil auch schon mit meinen Teams umsetze. Ich durfte über Kanban und OKRs lernen, die Struktur eines Obeya kennenlernen und alles das sind tolle Tools und eigentlich finde ich auch mein Menschenbild darin wieder… Eigentlich! Denn parallel musste ich lernen, dass Coaches über Dysfunktionen schreiben und aus einer Perspektive, die ich persönlich gefährlich Arrogant finde, Teams oder Strukturen beurteilen und glauben es gebe Tools und Frameworks, die nach “Schema F” einzuführen sind und schon läuft der Laden! Aber weder Scrum, noch Kanban ist eine Lösung! Die Lösung liegt immer in den Menschen selbst, auch im agilen Coaching! -Sorry Leute, ist eben so! Eine anständige Portion Systemik schadet nicht, wenn ich High Performance Teams und Organisationen schaffen möchte!

Was bleibt ist die Frage der inneren Haltung

Worüber ich mich freue, ist dass ich als Agile Coach frei bin, meinen Ansatz so zu wählen, wie er zu mir passt und wie ich am besten arbeiten kann. Und ich verspreche hoch und heilig NIEMALS mit einem meiner Teams an deren Dysfunktionen zu arbeiten. Meine Teams haben keine Dysfunktionen! Ich schau mir an, worin meine Teams gut sind und worin sie besser werden können, möchten oder vielleicht sogar müssen. Am Ende streben wir doch alle nach High Performance und brauchen immer mal wieder einen Coach, der uns dabei hilft, unsere eigene Performance zu verbessern, was nicht bedeutet, dass wir deshalb schlecht sind. Wir sind immer so gut wie wir sein können. Als systemischer Coach und auch im NLP bekommt man diese innere Haltung ausführlich eingeimpft, weil es anders nicht läuft. Jeder Agile Coach der nicht nur einen guten, sondern einen sehr guten Job machen möchte, ist, so denke ich, sicher gut beraten, sich hinsichtlich seiner eigenen inneren Haltung zu reflektieren. Und diese innere Haltung zeigt sich eben auch in der Perspektive, die wie einnehmen: sehe ich Defizite (und arbeite deshalb mit den fünf Dysfunktionen) oder sehe ich Entwicklungsräume (und orientiere mich deshalb vielleicht aus den Merkmalen der H!PE Formel für High Performance Teams der TU Chemnitz). Inhaltlich ist beides richtig. Es ist nur die innere Haltung, die den Unterschied macht! -Übrigens auch bei euch und in anderen Zusammenhängen!

So! Das musste ich mal sagen!

Habt einen zauberhaft sonnigen Sonntag.

Eure Constance

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alte Karren mit multiplen Dysfunktionen?

-Oder Autos mit dem Potenzial etwas besonderes zu sein?

Führung in Extremsituationen - Agilität an ihren Grenzen?

Agilität - Allheilmittel für alle Fälle?

Agilität und agile Führung oder Servant Leadership sind absolute Trendthemen unserer Zeit. Beides wird nur zu gerne als Allheilmittel für diese so gnadenlose, unbeständige, dynamische und komplexe VUKA-Welt beschrieben. Aber wie viel VUKA darf es denn sein, bis die Ansätze von Agilität und agiler Führung gegebenenfalls an ihre Grenzen kommen, weil eine Situation zu dynamisch wird und am Ende eben doch einer die Verantwortung übernehmen muss?

In der Grundidee von Agilität geht man davon aus, in einem Umfeld navigieren zu müssen, das von hoher Unsicherheit, Komplexität und Dynamik geprägt ist. Auch jede Extremsituation oder Krise ist geprägt von Unsicherheit, Komplexität und Dynamik. Man denke nur an Corona, eine weltweite Extremsituation, die man so noch nie zuvor erlebt hat. Wenn Agilität und agile Führung nun bedeutet, sich flexibel und schnell auf eine neue Situation einzustellen um folglich auch entsprechend schnell zu handeln, dann ist ein agiles Mindset tatsächlich eine Grundvoraussetzung, um in Extremsituationen überhaupt erfolgreich führen zu können. Wer in einer solchen Situation nicht flexibel reagiert und führt, indem er darauf vertraut, dass alle Mitarbeiter eigenverantwortlich, in Teams mit einem hohen Grad an Selbstorganisation reagieren, wird vermutlich scheitern. Die sozialistische Planwirtschaft des Topdown-Managements ist hier zum Scheitern verurteilt.

Agilität an ihren Grenzen

Allerdings erreichen Teams in extremen Situationen oder Krisen häufig sehr schnell die Grenzen der Selbstorganisation. Tobt der Sturm so heftig, dass er droht die Segel zu zerreißen, agieren selbstorganisierte Teams wahrscheinlich zu zögerlich. Was es in dieser Situation braucht sind klare Ansagen und Leitplanken, so wie Handlungsanweisungen und jemanden, der Verantwortung übernimmt. Eigentlich passt das ja überhaupt nicht in die schöne bunte Welt der Agilität. Auf der anderen Seite finde ich, dass es sehr wohl zur Grundidee von Agilität und Servant Leadership passt: Führung fällt situativ dem zu, der die besten Voraussetzungen, Kompetenzen oder die meiste Erfahrung für die jeweilige Situation mitbringt. In einer Studie zu High Performance Teams der TU Chemnitz wird diese Form von Führung als transformational bezeichnet und darf getrost als einer der Schlüssel zu High Performance gesehen werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist jedoch, dass Zuständigkeiten klar geregelt sind. Als Beispiel hierfür führt die Studie der TU Chemnitz unter anderem die Luftrettung an. Hier agieren Teams unterschiedlicher Experten gemeinsam innerhalb eines gesetzten Rahmens. Jeder hat seinen Fachbereich und es ist völlig klar wer den fliegerischen Hut auf hat, wer den medizinischen und wer die größte Kompetenz im Bereich der Rettungstechnik hat. Je nachdem, um was es gerade geht, wechselt die Führung in diesen Teams von einem zum anderen. Zusätzlich hat das Team gemeinsame Regeln, Vorschriften und Anweisungen.

Ein weiterer Aspekt, der Agilität in Extremsituationen an ihre Grenzen bringen kann, ist der Umstand, dass in agilen Umfeldern gerne bis zum Exzess gepredigt wird, dass es darum geht, immer und stets kreativ zu sein, Neues auszuprobieren, Experimente zu wagen, nicht auf bereits ausgetretenen Pfaden zu wandeln und sich stetig neu zu erfinden. Das ist großartig und dafür liebe ich die Idee der Agilität! Allerdings ist es in Extremsituationen und Krisen sinnvoll ein bereits trainiertes und jederzeit abrufbares Handlungsrepertoire zu haben, das einen schnell reagieren lässt, ohne große Denkprozesse. - Quasi eine Art erste Hilfe, die einem die Luft verschafft, um in zweiten Schritt schließlich kreativ sein zu können. Der Wert von Routinen, die Ruhe und Sicherheit im Zustand höchster Dynamik und Komplexität bringen, wird in agilen Strukturen noch häufig unterschätzt. Oft sind es diese Routinen oder auch einfach nur eine klare und bereits im Vorfeld festgelegte Priorisierung, die uns in besonderen Stresssituationen die kognitive Kapazität verschaffen, damit letzten Endes dann doch etwas Großartiges rauskommt.

Flugzeuge und agile Krisen

Ich muss gestehen, dass ich bei meiner Reise durch die Welt von New Work und Agilität immer und immer wieder daran erinnert werde, wo ich her komme und natürlich mache ich immer wieder den agilen Kardinalsfehler (und zwar mit voller Absicht, weil ich es für absolut richtig halte): ich vergleiche, stelle Parallelen fest, schaue mir an, wie man seit Jahrzehnten in der Luftfahrt Dynamik und Komplexität managt, Teams strukturiert und in die Eigenverantwortung und Selbstorganisation führt und natürlich auch, wie Führung in der Luftfahrt geschult und wahrgenommen wird. Natürlich ist die Definition von Erfolg in der Luftfahrt ganz anders als in einer Bank. Aber VUKA ist genau so dynamisch und komplex wie es Flugzeuge sind, die ziemlich flott auf 10 Kilometer Höhe um die Welt düsen! Hinzu kommt, dass sich in diesen Flugzeugen selbstorganisierte Teams befinden, die auf sich gestellt sind, agieren und entscheiden müssen und auch die Art der Führung, wie sie in der Luftfahrt geschult wird, ist nicht wirklich weit weg von dem, was man in agilen Strukturen Servant Leadership nennt. In flachen Hierarchien ist sich der Kapitän jederzeit bewusst, dass seine wertvollste Ressource seine Crew ist, weil einer alleine diese Komplexität der fliegenden Blechdosen niemals überblicken kann. Ein Kapitän ist darauf angewiesen, dass jedes Crewmitglied ein hohes Maß an Eigenverantwortung spürt und wahrnimmt (nennt man Neuhochdeutsch ja gerne Self-Leadership), sich dabei aber jederzeit als Teil eines Teams sieht und sich bewusst darüber ist, dass es in erster Linie immer um den Erfolg des Teams geht und nicht darum, sich selbst zu profilieren.

Ja, Flugzeuge sind anders als Banken und Erfolg sieht in beiden Bereichen ausgesprochen unterschiedlich aus. Aber die Faktoren auf menschlicher Ebene, die eine Organisation erfolgreich machen, sind überall die gleichen und ich stelle fest, dass ich in meiner agilen Welt vieles versuche noch klarer und deutlicher zu implementieren, dass ich auch als Human Faktors Trainer in der Luftfahrt immer wieder gepredigt habe: klare Priorisierung, absolute Transparenz, eine Kultur der psychologischen Sicherheit und eine Führung, die sich vor allem auch darum kümmert, dass das Team bestmögliche Voraussetzungen hat, um Leistung zu erbringen. Hierbei habe ich bereits in den ersten Monaten meiner agilen Reise festgestellt, dass auch agile Teams Leitplanken benötigen und dass man alles das, was sich standardisieren lässt, auch standardisieren und automatisieren sollten. Denn wenn plötzlich ein wirklich wilder Sturm zu toben beginnt, sind es die Automatismen, alles das, worüber wir nicht nachdenken müssen, was uns die kognitive Kapazität gibt, um in Krisensituationen kreativ agieren zu können.

Und Führungspersönlichkeiten braucht es überall

Und wie viel Führung braucht es denn nun in der agilen Welt? Diese Diskussion zwischen Alignment und Autonomy ist allgegenwärtig und was soll man einer Führungskraft, die gerne Servant Leader sein möchte, raten? Nicht einfach! Wobei, eigentlich doch! Wenn der Wind ganz sanft weht und dabei warm die Nase kitzelt, dann läuft der Laden, dann braucht dein Team niemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist. Im sanften, warmen Wind fühlt dein Team sich sicher, agiert routiniert und ist dankbar für den Raum, den du ihm lässt. Wird aus dem Wind ein Sturm, wird die Unsicherheit immer größer, liegen die Dinge anders. Wenn ich nicht mehr weiß, was in dieser unbekannten, dynamischen und vielleicht sogar beängstigenden Situation richtig und falsch ist, suche ich förmlich nach Führung. Lieber Servant Leader, in deiner Berufsbezeichnung steht nicht nur Servant, sondern auch Leader und wenn eine steife Brise anfängt dein Team durcheinanderzuwirbeln, dann ist Führung gefragt. Dann geht es darum, mit deinem Team und für dein Team Strukturen zu schaffen, Prioritäten zu setzen und vielleicht sogar mal darum, zu sagen, wie die Segel zu setzen sind. Keine Angst, das ist nicht “un-agil”. Agil ist zu sehen, was es wann braucht und entsprechend situativ zu agieren. Einen besseren Dienst am Team gibt es nicht! Also nur Mut, lieber Servant Leader!

Bei mir weht übrigens gerade gar kein Wind. Dafür scheint die Sonne und ich gehe wandern! Habt einen schönen Sonntag!

Eure Constance

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Die Ruhe vor dem Sturm?

Manchmal braucht es einen Kapitän auf der Brücke und keinen Kammerdiener