Agile

Tag der Arbeit und der ewige Traum einer besseren Welt

Alle Jahre wieder - 1. Mai

Morgen ist 1. Mai, Tag der Arbeit und dem Himmel sei Dank, ich habe frei! Ausgerechnet am Tag der Arbeit wird in Deutschland nicht gearbeitet. Genau mein Humor! Seinen Ursprung hat dieser Feiertag übrigens in den USA. Dort haben am 1. Mai 1886 etwa 400.000 Arbeiter in mehreren Städten für die Einführung des Acht-Stunden-Tages gestreikt. So gesehen sollte ich für diesen freien Montag nicht dem Himmel, sondern den mutigen Arbeitern danken, die den 1. Mai in vielen Ländern zum Feiertag der Arbeiterbewegung gemacht haben. Interessant, wie weit sie zurück geht, die Beschäftigung mit Rahmenbedingungen für Arbeit. Aber was ist Arbeit überhaupt? In der Physik ist Arbeit die Energiemenge, die bei einem Vorgang umgesetzt wird. Für Volkswirte ist Arbeit einer der Produktionsfaktoren, während in der Betriebswirtschaftslehre plan- und zweckmäßige, innerbetriebliche Tätigkeiten von Arbeitspersonen als Arbeit bezeichnet werden. Die Sozialwissenschaften haben eine andere Herangehensweise. Hier ist Arbeit die zielbewusste, durch Institutionen begründete menschliche Tätigkeit und die Philosophie geht sogar noch einen Schritt weiter und beschreibt Arbeit als einen Prozess der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen.

Auch an dieser Stelle wird mir einmal mehr klar, dass ich weder Physikerin, noch Betriebs- oder Volkswirtin bin. Bei mir geht es um Ziel, Interaktion, Kreativität, Schöpfung, Purpose. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die Definition der Physik durchaus gefällt. Arbeit ist etwas Energetisches, etwas Kraftvolles, etwas Aktives. Ich finde das passt gut als grober Rahmen. Denn seit diesem 1. Mai 1886 hat sich in der Wahrnehmung von Arbeit einiges verändert. Die klassischen Arbeiter, die aus körperlicher Arbeit heraus etwas kreieren, etwas produzieren, werden immer weniger. Und auch das gesellschaftliche Ansehen von klassischer Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Geistige und kreative Arbeit ist allgegenwertig und es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass es in unserer Welt nichts Produktiveres gibt, als das Kapital, das diejenigen, die darüber verfügen, für sich arbeiten lassen. Ja, es hat sich so einiges getan seit 1886. Was sich jedoch nicht verändert hat, ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen und der Rolle des Manschens in der Wertschöpfungskette.

Resilienz und Vulnerabilität

Während sich 1886 Überarbeitung und Ausbeutung vor allem körperlich bemerkbar gemacht haben, ist das Bild von Überarbeitung und deren Auswirkungen anno 2023 deutlich abstrakter geworden. Seit Jahren nimmt der Anteil an Krankmeldungen aus psychischen Gründen stetig zu und doch sind Burnout, Depressionen und Co. gefühlt noch immer ein Tabuthema. Während ich Menschen beobachtet habe, die fast schon etwas stolz davon erzählten, wie sie sich im Skiurlaub den Oberschenkel zertrümmert habe, wie sie von der Bergrettung ausgeflogen wurden und wie viele Nägel und Platten und anderes Metall sie nun in ihrem Bein haben, habe ich auch Menschen getroffen, die ihre seelische Erkrankung versucht haben, bestmöglich zu verheimlichen, weil sie sich für ihr Burnout schämten. Sie schämten sich, weil sie sich im Job komplett überlastet haben! Alles für den Arbeitgeber und dann ab in die Klinik. Seelen brechen wie Oberschenkelhälse, wenn sie überlastet werden. Beide brauchen Zeit zum heilen und wahrscheinlich sind all jene , die sich bei dieser oder jener Tätigkeit einen Knochen gebrochen haben danach etwas vorsichtiger. Aber sind wir das auch im Job, wenn unsere Seele uns die gelbe oder rote Karte zeigt? Ich kenne Menschen die einen, zwei, drei stressbedingte Hörstürze hatten und einfach weiter gemacht haben, weil sie selbst oder andere es von ihnen erwartet haben. So wie die Arbeiter 1886 dafür gekämpft haben, die körperlichen Belastungen ihrer Arbeit auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, so beginnt momentan zaghaft der schon längst überfällige Kampf der modernen Arbeiterschaft für emotional akzeptable Rahmenbedingungen. Denn auch ein “Bandscheibenvorfall der Seele” ist durch kein Gehalt der Welt gerechtfertigt.

Die dunkle Seite von Agilität und New Work

Wie kann es nun also sein, dass wir Unternehmen verändern, agil transformieren, Menschen mehr Gestaltungsraum schenken, mehr Eigenverantwortung und mehr Autonomie und Menschen werden offensichtlich vor genau diesem Hintergrund emotional immer stärker belastet? Wie um alles in der Welt kann mehr Freiraum und mehr Autonomie zu mehr Burnouts führen? Warum gelingt es diesen ach so freien Menschen nicht, besser auf sich zu achten? Ist der Mensch vielleicht doch nicht reif für New Work? Alles absolut berechtigte Fragen.

Zum Tag der Arbeit habe ich mir wieder einmal Frederic Lalouxs Buch “Reinventing Organizations” hervorgeholt. -Meine Bibel einer besseren Welt. Seitdem das Buch vor guten sieben Jahren auf den Markt kam, haben mehr und mehr Unternehmen die (agile) Transformation gewagt, haben ihre Arbeitsmodelle hinterfragt, verändert, Entscheidungsfindungsprozesse dezentralisiert und ihren Mitarbeitenden mehr Freiraum geschenkt. Was jedoch augenscheinlich nicht hinterher kommt ist der tatsächliche kulturelle Wandel. Die Idee der New Work auch so wie sie Laloux beschreibt, setzt ein bestimmtes Menschenbild als Basis für funktionierende „New Work-Strukturen” voraus.

New Work, Agilität und Co. gehen von leistungsbereiten, engagierten, eigenmotivierten Menschen aus. Sie gehen davon aus, dass Menschen den Raum ausfüllen, der ihnen gegeben wird, aus Überzeugung und Eigenmotivation. Die “alte Welt” ging eher davon aus, dass Menschen von außen motiviert werden müssen, wechselwirksam mit Druck und Anreizen. Der Chef sollte am besten hinterm Esel stehen, ihn mit der Peitsche antreiben und gleichzeitig mit einer Angel die Karotte vor die Nase halten, damit er möglichst schnell und weit läuft. Ohne Motivation von außen keine Bewegung. Dass der Esel laufen könnte, weil er Spaß am Laufen hat oder Sinn im Laufen sieht oder gar gerne mit dem Kutscher zusammenarbeitet weil er ihm vertraut, war undenkbar.

Agilität als Burnout-Falle

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich finde mich eindeutig in Lalouxs Menschenbild wieder und auch die allermeisten Menschen die ich beruflich und privat erleben, erlebe ich als ausgesprochen eigenmotiviert. -Eigentlich genau die richtigen Menschen für diese modernen neuen Arbeitsmodelle! Aber was passiert mit diesen Menschen, wenn ihr neues Arbeitsmodell in der Kultur und dem Menschenbild der alten Welt festhängt? - Sie schnappen sich eigenverantwortlich Aufgaben, übernehmen Verantwortung und treiben Themen nach allen verfügbaren Kräften voran. Sie geben 100 Prozent und legen noch eine extra Schippe drauf, weil sie der neue Freiraum zusätzlich motiviert. Gleichzeitig steht der Chef mit der Peitsche hinter ihnen, weil er ja davon ausgehen muss, dass man Menschen stets zusätzlich antreiben muss, Druck ausüben muss und vor ihnen hängen bergeweise Karotten in Form von Incentives. So läuft sich das Eselchen irgendwann tot, weil es sich permanent selbst überholt.

Natürlich gibt es Menschen mit unterschiedlich stark ausgeprägter intrinsischer Motivation und ganz sicher gibt es auch einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die keine besonders große Lust auf Leistung haben. Die alte Welt hat sich an dieser Minderheit orientiert und alle Strukturen sowie auch ihr Menschenbild nach ihnen ausgerichtet. In den eng gefassten Arbeitsstrukturen 1886 war das ganz sicher OK, weil diejenigen, die stark intrinsisch motiviert waren, auf Grund der Strukturen weitaus weniger gefährdet waren, in eine Überlastung zu gehen. Orientieren wir uns auch in den neuen Strukturen unserer Arbeitswelt weiterhin an dieser Minderheit brechen uns Stück für Stück die Hauptleistungsträger, die Kreativen, intrinsisch Motivierten weg, weil sie sich selbst überholen und darüber ins Straucheln geraten. So kann Agilität zu einer Art Katalysator für Burnout werden.

Und jetzt?

In Anbetracht der Kosten, die psychische Erkrankungen Jahr für Jahr mit steigender Tendenz verursachen ist guter Rat absolut nicht teuer. Liebe Unternehmen, macht euch Gedanken darüber, welches Menschenbild euren bunten Codes of Conduct zu Grunde liegt. Liebe Chefs, hinterfragt euch vielleicht einmal ganz kurz selbstkritisch welches Menschbild in euren Köpfen vorherrscht und ob dieses noch zeitgemäß ist. Vielleicht überlegt der ein oder andere sogar, an seinem Menschenbild zu arbeiten. Liebe HRler, braucht es wirklich noch diese Karotten, die wir Menschen vor die Nase halten? Liebe alle, traut euch die Ideen von Vier-Tage-Wochen einmal mitzudenken, ohne Neid und ohne Wenn und Aber.

Seit 1886 hat sich eine Menge getan und ich bin zuversichtlich, dass sich unsere Arbeitswelt auch weiterhin verändern wird. Ich gebe den Traum von der besseren Welt nicht auf, weil ich sicher bin, dass auch diese Welt erfolgreich und produktiv sein wird. Diese neue Welt ist zentrales Thema meiner bewussten schöpferischen Auseinandersetzung. Tagtäglich mache ich mir Gedanken, welchen Beitrag ich leisten kann, um das Drumherum zu gestalten und Kultur zu verändern. Im philosophischen Sinne ist dieser Traum meine Arbeit und tief in mir drin ist dieser Traum auch mein Purpose.

Habt einen schönen Sonntag und einen ebenso schönen Tag der Arbeit.

Eure Constance

Tag der Arbeit

… und der Traum von einer besseren Welt

Kommandostrukturen und Servant Leadership - die agile Transformation der US Army

Wo kommt VUCA eigentlich her?

Um zu verstehen, wie bestimmte Konzepte funktionieren ist es häufig hilfreich, sich einmal anzuschauen, wo sie ihren Ursprung haben. VUCA, dieses Akronym, das eine volatile, unsichere, komplexe und mehrdeutige Umwelt beschreibt und zum Synonym für unser Businessumfeld geworden ist, hat seinen Ursprung mit Nichten im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Vielmehr entspringt es direkt der modernen Kriegsführung. Wer hätte gedacht, dass die US Army die erste Organisation war, die tatsächlich agil transformiert hat?!

Aber lasst uns mal von vorne anfangen: Bis zum Ende des Kalten Krieges bewegte sich die US Army in einem glasklaren und sehr eindeutigen Umfeld. Die Welt war unmissverständlich in Freund und Feind, Gut und Böse eingeteilt. Diese Einteilung war absolut stabil. Die Auseinandersetzung mit dem Feind war auf fast groteske Art und Weise ritualisiert: gemeinsames Wettrüsten, Drohgebärden, immer wiederkehrende Stellvertreterkonflikte oder -Kriege, Lehrbuchdiplomatie und so weiter und so fort. Mit dem Ende des Kalten Krieges begannen die Grenzen zu verschwimmen, die Rolle der USA veränderte sich und auch deren kriegerischen Auseinandersetzungen waren plötzlich von neuer Natur. Sie waren im Vergleich zu früher irgendwie VUCA! In den 90er Jahren wurden Kriege immer mehr zu einem multilateralen und asymmetrischen Szenario, dem es zu begegnen galt. Diese moderne Kriegsführung hat nichts mehr mit den Schlachten der Vergangenheit zu tun. Bis dato kannte man Staatenkriege und die klare Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden. Es gab eine Front und das Hinterland, in welches sich zurückgezogen werden konnte. Es gab Soldaten und Zivilisten. Schwarz und Weiß! Der Krieg, so wie der Gegner waren symmetrisch. Das betraf nicht nur die Art der Kriegsführung, sondern auch die Ausbildung der Soldaten und deren Bewaffnung. Das führte jedoch auch dazu, dass Armeen auf beiden Seiten durch ihre Gleichförmigkeit, die sich auch in den Kommandostrukturen widerspiegelte, zwar durchaus martialisch, aber auch ausgesprochen träge oder behäbig wurden. Da jedoch beide Seiten identisch aufgestellt waren, hatte diese Trägheit keinen Einfluss auf den Erfolg.

Zwanzig Jahre Krieg gegen den Terror

Wie gesagt änderte sich das in den 90er Jahren rasch und spätestens seitdem vor fast genau zwanzig Jahren der Krieg gegen das Böse selbst, gegen den Terror ausgerufen wurde, ist ohnehin nichts mehr, wie es einmal war. Eigentlich ging diese neue Form der asymmetrischen Kriegsführung bereits in Vietnam los, denn schon damals sah sich die straff durchorganisierte, technisch hochgerüstete US Army vor allem durch kleine, autonom agierende Vietkong-Zellen herausgefordert. Wie das ausging, ist bekannt. Es folgten das Kosovo, Afghanistan und der Irak und die US Army musste sich selbst neu erfinden, um in Anbetracht der neuen Herausforderung erfolgreich agieren zu können. Der neue Gegner war viel abstrakter, ungreifbarer und spätestens mit Bin Laden wurde endgültig klar, dass Kriegsführung asymmetrisch geworden ist. Das heißt, der neue, technisch häufig unterlegene, Gegner greift nicht mehr in direkter Konfrontation an, sondern unerwartet, mit Nadelstichen, gleich dem Guerillakrieg, den Che Guevara propagierte. Nachschublinien wurden abgeschnitten, oder Kämpfer als Zivilisten verkleidet. Die Perversion findet ihre Klimax, indem selbst Kinder als Selbstmordattentäter herhalten sollen, oder Esel mit Sprengladungen beladen in Richtung Soldaten geschickt werden. Hier ist nichts mehr klar und eindeutig. Jederzeit kann überall die Hölle losbrechen. Jeder einzelne Soldat, jede noch so kleine Einheit muss ad hoc handlungsfähig sein. Warten auf den Befehl von oben bedeutet nicht mehr und nicht weniger als der mögliche Tod.

Neue Führungsstrukturen mussten her

In Anbetracht der neuen Situation wurde immer klarer, dass Verantwortung dezentralisiert werden musste. Auch Planung und Kontrolle der einzelnen Aktivitäten konnten nicht zentral geplant werden, hatte man zentral doch keine Vorstellung von der tatsächlichen Situation vor Ort. Geregelte Prozesse sorgten zwar für einheitliche Abläufe, allerdings waren es die Squadron, oder Squads (die kleinsten militärischen Einheiten vor Ort), die abschließend entscheiden konnte, ob es links oder rechts herum geht. Die Verantwortung der Armeeführung war es, genau das zu ermöglichen. So wurde Führung auf allen Ebenen neu definiert. Besonderen Stellenwert hatte fortan die Ausbildung der Führungskräfte, insbesondere der Squad Leader. Diese wurden und werden unter anderem darin geschult, analytische Entscheidungsfindungsprozesse auch in Hochstresssituationen zu leisten und so möglichst reflektiert auf Situationen zu reagieren, die in keinem Handbuch zu finden sind. Dabei wurde ihnen klar gemacht, dass ihr Team ihre wertvollste Ressource ist und ihnen wurde beigebracht, diese Ressource konsequent, auch im Rahmen von Entscheidungsfindungsprozessen, zu nutzen. Die obersten Führungsebenen wiederum mussten das Teilen von Verantwortung lernen. Sie mussten hierarchisch orientiertes “Durchregieren” ab sofort unterlassen und stattdessen eine Atmosphäre kreieren, die diejenige Sicherheit schafft, die es für eigeninitiatives und eigenverantwortliches Handeln auf operativer Ebene unbedingt braucht, um erfolgreich zu sein! Tja, Amy C. Edmondsons Psychological Safety steckt eben überall drin!

Ganz schön viel Aufwand hat die US Army da betrieben. Aber in einem VUCA Umfeld hat man schlicht und ergreifend keine andere Chance, wenn man in irgendeiner Art erfolgreich sein möchte! Klingelt da was bei euch? Sind wir nicht alle ein bisschen VUCA?

Aber wer hat es denn nun wirklich erfunden?

Ich frage natürlich immer mal wieder, ob diese Ideen der New Work tatsächlich so neu ist. Und bei der Frage, wer hat’s erfunden, könnte man, wenn man wollte, recht weit zurück gehen. Bereits Anfang der 70er Jahre hat der Zukunftsforscher Alvin Toffler gewarnt, dass es aufgrund zunehmender Dynamik und Komplexität, dringen flexibler Unternehmen bedarf, um auch weiterhin erfolgreich zu sein. In den 80er Jahren war plötzlich von innovativen Unternehmen die Rede, in den 90er Jahren wurde daraus die Lernende Organisation. Heute muss es eben agil sein. Gefühlt wird alle zehn Jahre eine neue Begrifflichkeit durchs Dorf gejagt, die im Kern doch immer das gleiche beschreibt: Eigentlich geht es um die Effekte, die sich einstellen, wenn bestimmte Managementprinzipien eingeführt werden. Momentan geht es eben um Selbstorganisation.

Als ich angefangen habe, mich mit Agilität zu beschäftigen, hatte dieses Managementprinzip eine geradezu magische Anziehungskraft auf mich. Eine ganz Weile war mir überhaupt nicht klar, warum ich so fasziniert war. Inzwischen habe ich es verstanden. Ich bin Human Factors Trainer und habe mein Wurzeln in der Luftfahrt. Und auch wenn die US Army der Meinung ist, Agilität erfunden zu haben, halte ich dagegen: Mein Zuhause, die Luftfahrt, hat als Reaktion auf ein schweres Flugzeugunglück in Teneriffa 1977 (!) angefangen, den Menschen, bzw. operative Teams aus Menschen (Crews) bewusst auf ein dynamisches und komplexes Umfeld vorzubereiten. Bereits 1977 wurde klar, dass der Mensch der Schlüssel zum Erfolg in unklaren Fahrwassern ist. Seitdem werden Crews im Rahmen des Human Factors- oder Crew Ressource Management Trainings bewusst in allen möglichen Softskills geschult. Im Kern geht es darum, seine Kollegen als Ressource zu sehen und sich als Team selbst organisieren zu können, wenn etwas Unerwartetes passiert. Auch Führung ist selbstverständlich dezentralisiert und Hierarchie soll nicht einschüchtern, sondern dazu ermutigen, eigenverantwortlich zu handeln, sich einzubringen und mitzudenken. Wichtig ist hierbei, den Menschen zu verstehen, seine Natur und seine übliche Art zu handeln, oder eben manchmal nicht zu handeln und alle Maßnahmen, Schulungen und Procedures dem anzupassen! Verdammt, der Mensch ist nun mal oft ungeduldig, stur, unsicher, in seiner Wahrnehmung eingeschränkt… Das ist nicht unprofessionell, sondern menschlich! Dem muss man das System anpassen! Andersherum funktioniert es nicht.

Und jetzt müssen wir über Agilität und Hierarchie sprechen, dringend!

Kürzlich ist mir eine Statistik von Haufe in die Finger gefallen, die dargestellt hat, dass kleine oder mittlere Unternehmen zwar ein ähnliches Verständnis von New Work haben, wie Großkonzerne, sie setzen Maßnahmen jedoch anders um. So vagen sich kleine und mittlere Unternehmen wohl eher an Machtstrukturen heran, als Großkonzerne. Die Frage, die ich hier in den Raum stellen möchte ist, ob es für eine erfolgreiche und “neue” Art der Zusammenarbeit denn zwangsläufig nötig ist, Machtstrukturen zu verändern? Oder ob es nicht viel mehr darum gehen sollte, sich zu überlegen was Macht bedeutet und wie sie ausgeübt wird. Die Frage, wie Führung gelebt wird, ist meines Erachtens tausend Mal wichtiger, als krampfhaft Strukturen verändern oder auflösen zu wollen, weil es so in irgendeinem Handbuch steht. Hinzu kommt, dass es gerade in international aufgestellten Großkonzernen durchaus Hierarchiestrukturen gibt, die zum Teil sogar regulatorisch bedingt sind. Schaut man sich die glasklare Hierarchie in der US Army an, geht Agilität auch innerhalb sogenannter Chains of Command. Hierbei ist es wichtig, nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Teams entsprechend vorzubereiten und entsprechend zu schulen. Nichts anderes habe ich in der sehr hierarchisch aufgebauten Luftfahrt viele Jahre getan und im Falle der Luftfahrt gibt der Erfolg diesem Prinzip recht. Die Unfallstatistiken belegen, dass ein entsprechendes Human Factors Training maßgeblich zum Erfolg der Luftfahrt beitragen. Erfolg heißt hier, dass die allermeisten Flugzeuge absolut sicher von A nach B fliegen. Ja, Erfolg in der Luftfahrt ist etwas anderes, als in der Armee, der Finanz- oder IT-Branche! Aber glaubt mir, in einem dynamischen und komplexen Umfeld sind die Faktoren auf menschlicher Ebene, die maßgeblichen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg haben, immer die gleichen, überall!

In diesem Sinne, seid erfolgreich!

Eure Constance

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Zwanzig Jahre Krieg gegen den Terror

Wie auch das Konzept von Gut und Böse plötzlich VUCA wurde

Der Shruggie - agiles Denken 2.0, oder wenn Coaches loslassen müssen

Weil loslassen in der Praxis doch schwerer ist, als in der Theorie

Es gibt Tage, an denen bin ich ausgesprochen froh, keine eigenen Kinder zu haben! Nicht der Anstrengung und der Sorgen wegen, sondern weil ich manchmal glaube, dass ich keine einfache Mutter wäre… Etwas, das Mütter ab dem Moment, in dem ihr Kind auf der Welt ist, leisten müssen, damit das liebe Kleine im späteren Leben gute Chance hat, erfolgreich durch diese wilde Welt zu navigieren, ist Schritt für Schritt loslassen. Das geht damit los, dass das Baby seine Flasche allein halten kann (und auch will!), irgendwann kann es alleine zur Toilette und schwupps ist es ausgezogen und macht sein eigenes Ding. Bis dahin begleitet Mama das liebe Kleine nach Kräften und coached es durch alle Herausforderung, die so anstehen, vom Streit im Kindergarten, über den ersten Liebeskummer, bis hin zur ach so schweren Berufswahl. Dabei sollte es die oberste Prämisse einer verantwortungsvollen Mutter sein, sich Schritt für Schritt überflüssig zu machen, sich quasi selbst abzuschaffen. Und was soll ich euch sagen, genauso verhält es sich auch mit meiner Vorstellung eines guten Coaches. Da ich mich natürlich in aller Bescheidenheit für einen guten Coach halte, stehe ich gegenwärtig einmal wieder kurz davor mich selbst abgeschafft zu haben. Das macht mich stolz und wehmütig zugleich. Das Team, das sich mir anvertraut hat, wird sehr bald ohne mich durch diese manchmal doch recht feindselige Welt navigieren und ganz unter uns und im Vertrauen: da ist ein Teil von mir der sehr gerne noch ein wenig klammern würde, weil es doch grade so einen Spaß macht! Aber nein, Mutti lässt jetzt los! Vorgestern habe ich eine letzte gemeinsame Retrospektive, also dieses Meeting, in dem man sich anschaut, wie die Zusammenarbeit läuft und ob man etwas verbessern oder verändern möchte, vorbereitet und natürlich habe ich mir in der Vorbereitung ausführlich Gedanken darüber gemacht, was ich diesem Team noch mitgebe. Es hat sich so eingebürgert, dass wir die Retros dieses Teams immer mit einem Zitat beenden, das ich mitbringe. -Manchmal etwas Lustiges und manchmal auch etwas, das zu Nachdenken anregen soll. Diesmal wird es ein Zitat sein, das der gute alte Sherlock Holmes seinem Dr. Watson zugeflüstert hat und das meine ganz persönliche Grundidee agilen Denkens vortrefflich zusammenfasst:

We all learn by experience and your lesson this time is that you should never lose sight of the alternative.

Weil unsere schöne neue Welt aus Alternativen besteht

Warum ich glaube, dass es genau diese Offenheit für Alternativen ist, die die Grundlage der Agilität sein soll? Ganz einfach: der Mensch ist über viele, viele Jahrhunderte hinweg sehr gut damit gefahren, überall Muster zu entdecken, das was er wahrnimmt, in vorgefertigte Schubladen einzuordnen, daraus feste Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, Kausalitäten astrein zu identifizieren und sich so durch eine sehr klare und eindeutige Welt zu schlagen. Unser ganzes Denken und Handeln ist auf eine solche Welt abgestimmt. Fakt ist jedoch, dass die Welt sich immer weiterentwickelt hat und gegenwärtig weit davon entfernt ist, eindeutig und überschaubar zu sein. In der Wirtschaftspsychologie wird diese Welt gerne als “VUKA” bezeichnet: ein Umfeld, das von hoher Dynamik, extremer Komplexität, Unübersichtlichkeit, Widersprüchlichkeit und Wissenslücken geprägt ist. Hält der Mensch in dieser Welt am altbekannten Kontrolldenken fest, steckt Wahrgenommenes in Schubladen und glaubt Kausalitäten 1A identifiziert zu haben, wird es schwierig, denn diese Art des Denkens passt einfach nicht mehr. In komplexen und dynamischen Situationen daran festzuhalten, ist nicht hilfreich. Eigentlich sogar im Gegenteil: zum einen geraten wir unter Kontrollstress, weil wir auf der Suche nach den alten Schubladen und den klaren Kausalitäten fast verzweifelt immer mehr Informationen sammeln, die uns jedoch nicht weiterbringen. Viel mehr verunsichern sie uns nur weiter und führen schließlich zu totaler Orientierungslosigkeit. Zum anderen führt das stakkato-artige Festhalten an diesem alten Kontrolldenken besonders in Situationen, die subjektiv empfunden von einem Informationsdefizit geprägt sind, nicht selten zu fatalen Fehleinschätzungen. Hierbei kann es dann dazu kommen, dass wir einzelne uns zur Verfügung stehende Fakten überbewerten (wie zum Beispiel die eher seltenen Nebenwirkungen einer generell sinnvollen und auch gut kontrollierten Impfung) und somit zu Panik und Hysterie neigen. Weil dieses altbewährte Kontrolldenken einfach nicht mehr funktioniert, haben Verschwörungstheorien und Fake News Hochkonjunktur!

Was hilft, ist möglichst viel Perspektiven und Alternativen in Betracht zu ziehen, um eine für sich bestmögliche Entscheidung zu treffen. Wichtig hierbei ist, dass keiner von uns das objektive Richtige oder Falsche kennt. Vielmehr ist es so, dass wir in einer Welt des “Vielleicht” leben.

Wer weiß was ein Shruggie ist?

Ich gebe zu, ich musste mich bei Menschen, die deutlich jünger sind als ich, danach erkundigen, wie dieses Emoji, das mit breit geöffneten Armen die Schultern zu den Ohren zieht, heißt! Shruggie eben. Und dieses Shruggie spiegelt für mich agiles Denken, eine agiles Mindset geradezu vortrefflich wider! Ja, ich sehe eure ungläubigen Blicke, aber ich versuche mich zu erklären und fange einfach mal bei den altgriechischen Anhängern der philosophischen Schule der Skeptiker an. Ihr seht, nachdem ich zweimal einfach nur über Träume geschrieben habe, wird es heut fast intellektuell! Also, die alten Skeptiker: ebenso wie Menschen mit agilem Mindset beschäftigen sie sich mit der sogenannten Erkenntnis der Dinge. Das heißt in “nicht-philosophisch”, dass sie sich nicht festlegen, welcher ihrer Gedanken der Wirklichkeit entspricht. Alles ist möglich und alles ist denkbar. Deshalb rechnen Skeptiker jederzeit mit starken Gegenargumenten, oder einer radikalen Veränderung der Gesamtsituation. Dadurch ist es fast unmöglich, den Skeptiker zu überraschen. Skeptiker verirren sich nicht, weil sie sich nicht festlegen. Vielmehr rechnen sie sogar damit, falsch liegen zu können. Unglaublich, wie wertvoll die Perspektiven und Meinungen anderer für Skeptiker sein müssen! Und wieviel innere Stabilität man dadurch erlangt, dass man weiß, dass man sich nicht irren kann, weil man sich eben nicht festlegt! Ja, alles ist möglich!

Die moderne Form dieser skeptischen Neutralität ist der Shruggie. Er steht stabil mitten im Chaos, ist sich nicht sicher, aber das ist OK für ihn, denn weder die sich stetig verändernde Welt, noch die gegensätzliche Meinung seines Gegenübers kann ihn aus der Ruhe bringen, weil beides elementare Teile seiner Welt sind. Nicht falsch verstehen, dem Shruggie ist seine Welt nicht egal! Ganz und gar nicht! Der Shruggie hat verstanden, dass er selbst in dieser Welt des Wandels sein wichtigster Anker ist! -Und zwar nicht, in dem er sich auf unveränderliche Meinungen und Aussagen festlegt, sondern indem er sich seiner Welt wertneutral und mit unendlich viel Offenheit zuwendet und dabei stetig Neues lernt und sich weiterentwickelt! Der Shruggie ist diese lernende Ich-AG, von der ich euch vor einigen Wochen berichtet habe. Die einzig wahre Antwort auf VUKA!

Ein Team voller Shruggies

Während ich meine Retro für dieses Team, das seine Wege zukünftig sicher höchst erfolgreich ohne mich gehen wird, vorbereitet habe, war es ein ziemlich guter Trost für mich, dass ich hier eine Gruppe von Shruggies zurücklasse, die gemeinsam ausgesprochen erfolgreich sein werden, weil sie so unterschiedlich sind und diese Unterschiedlichkeit wertfrei zum Wohle des Teams nutzen können. Deshalb wird die Mutti, äh sorry, der Coach nächste Woche nach der Retro auch nicht wehmütig sein, sondern total stolz! Mission complete! Und natürlich wird der Coach parallel auch daran arbeiten, selbst ein noch besserer Shruggie zu werden!

Eure Constance

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Alles ist möglich

Mein Leben als weltoffener Shruggie…