Führungskräfte

Präzisierende Sprachmuster: Das Meta-Modell und die Kunst Menschen in Bewegung zu halten

Integration und Präzision: Zwei Seiten einer Medaille

In meinem letzten Artikel habe ich euch das sogenannte Milton-Modell oder die integrativen Kommunikationsmuster vorgestellt. Diese helfen dabei, Menschen in Bewegung zu bringen, indem man sie dort abholt, wo sie sich gerade befinden. Beim Milton-Modell geht es darum, Sprache möglichst weich zu zeichnen, damit das Gesagte für möglichst viele Menschen anschlussfähig ist.

Als Coach nutze ich das Milton-Modell, um Vertrauen aufzubauen und um meine Coachees zu „pacen“, das heißt, um eine positive, vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Diese Beziehung ist die Basis, um schließlich gemeinsam arbeiten zu können. Ähnlich können auch Führungskräfte das Milton-Modell nutzen: um Vertrauen und Anschlussfähigkeit aufzubauen.

In meiner Rolle als Coach muss ich, um eine Entwicklung voranzutreiben – ähnlich wie eine Führungskraft – jedoch irgendwann proaktiver gestalten. Im Coaching nennt sich das tatsächlich „Leading“, also die Führung übernehmen, nicht inhaltlich, aber den Prozess betreffend. Ein Coach, der sich ausschließlich auf Pacing fokussiert, ist wenig wirksam – ähnlich wie eine Führungskraft, die ausschließlich weichzeichnet, um das Vertrauen zu fördern. Eine der Methoden, die ich als Coach gerne nutze, um in Führung zu gehen, eignet sich auch ganz wunderbar für Führungskräfte und all jene, die es einmal werden wollen, um das zu schaffen, was jeder Mensch sucht: Klarheit.

Das Meta-Modell der Sprache

Das Meta-Modell wurde als eines der Kernmodelle im Neurolinguistischen Programmieren (NLP) bereits in den 1970er-Jahren von den Herren Bandler und Grinder entwickelt. Es ist eine Art Werkzeug, das hilft, unklare oder verzerrte Sprachmuster zu erkennen und zu präzisieren, um eine tiefere und genauere Kommunikation zu ermöglichen. Ziel des Meta-Modells ist es, ungenaue und vage Sprache zu hinterfragen und so unbewusste Denkmuster sichtbar zu machen und einschränkende Glaubenssätze zu erkennen.

Im Rahmen des Modells gibt es drei Hauptprozesse: Tilgung, Generalisierung und Verzerrung. Wir alle nutzen diese drei kleinen Teufelchen der Kommunikation permanent – manchmal bewusst, meistens jedoch unbewusst. An sich ist das auch völlig fein, würde es im menschlichen Miteinander dadurch nicht immer wieder zu Missverständnissen kommen, die nicht selten in Konflikte münden. Mithilfe präzisierender Fragen deckt das Meta-Modell diese Ungenauigkeiten in der Sprache auf. Wie genau das funktioniert, möchte ich euch mithilfe einiger Beispiele aufzeigen.

Lasst uns mit der Tilgung beginnen. Hier ein paar handelsübliche Tilgungen, wie wir sie alle nutzen, und die dazugehörigen Fragen, um diese Tilgungen aufzudecken:

  • „Ich bin verwirrt!“ – Worüber?

  • „Die Leute fühlen sich unter Druck gesetzt!“ – Wer genau ist mit „die Leute“ gemeint?

  • „Ich bin bei diesem Projekt gescheitert.“ – Worin genau bist du im Rahmen des Projekts gescheitert?

Natürlich habe ich auch einige Verzerrungen und Möglichkeiten, diese aufzudecken, dabei:

  • „Er macht mich wütend!“ – Wie / in welcher Weise macht er dich wütend?

  • „Ich habe kein Studium. Hier werde ich nie befördert!“ – Wieso bedeutet ein fehlendes Studium, dass du nicht befördert wirst?

  • „Die anderen fühlen sich nicht wertgeschätzt!“ – Woher weißt du das?

Und last but not least ein paar Verallgemeinerungen:

  • „Alle sagen, dass früher alles besser war!“ – Gibt es jemanden, der das nicht sagt?

  • „Dieses Projekt wird niemals fertig!“ – Woher weißt du das?

  • „Ich sollte alle Mails täglich beantworten!“ – Was passiert, wenn du das nicht tust?

Insbesondere für mich als Coach ist es interessant, dass wir diese Tilgungen, Verzerrungen und Verallgemeinerungen nicht nur in der Kommunikation mit anderen nutzen, sondern auch in unserem inneren Dialog – also in der Kommunikation mit uns selbst. Zum Teil mit gravierenden Auswirkungen. Nicht nur, dass wir uns manchmal selbst nicht richtig verstehen. Hinzu kommt, dass niemand so wundervoll Druck auf uns ausüben kann wie wir selbst.

  • „Ich müsste mich auf der Arbeit noch mehr in meinem Team engagieren!“

  • „Ich muss meinen Haushalt besser in den Griff bekommen!“

  • „Ich sollte unbedingt wieder mehr Sport machen!“

Hört euch gerne selbst einmal genauer zu und fragt euch dann – ganz im Stil des Meta-Modells –, wer das sagt und was passiert, wenn ihr das nicht tut. So könnt ihr auch ganz ohne Coach-Begleitung Denkmuster, Glaubenssätze und innere Blockaden selbst aufdecken. Vielleicht wird es euch an der ein oder anderen Stelle ziemlich verblüffen, wie sich eure Gefühlslage verändert, während ihr euch zu des Pudels Kern vorarbeitet.

Das Meta-Modell der Sprache in der Business-Welt

Neben der Anwendung im Coaching, in der Therapie und in der Beratung ist das Meta-Modell auch im beruflichen Kontext ein echtes Geschenk. Im Rahmen von Verhandlungen hilft es, präziser zu verstehen und punktgenau zu hinterfragen. Mit Blick auf Führung und Teamwork schafft das Meta-Modell Klarheit – in Bezug auf Ziele, Erwartungen und das gemeinsame Verständnis einer ggf. komplexen Situation. Insbesondere während Veränderungsprozessen unterstützt das Meta-Modell Führungskräfte dabei, ihre Teams in Bewegung zu halten – und vor allem in eine gemeinsame Richtung zu bringen. Und mit Blick auf potenzielle Konflikte ist das Meta-Modell ein Geschenk um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Allerdings ist die Voraussetzung dafür, das Meta-Modell erfolgreich zu nutzen, dass es euch im Vorfeld gelungen ist, eine positiv belegte, vertrauensvolle Beziehung zu etablieren. Probiert die präzisierenden Meta-Fragen gerne mal bei Menschen aus, mit denen ihr keine positive und vertrauensvolle Beziehung pflegt – hier werden diese Fragen wie pures TNT auf euer Miteinander wirken. Also immer beide Seiten der Medaille nutzen und wohl orchestriert den Wechsel zwischen Pacing und Leading zelebrieren!

Vor eineinhalb Jahren hatte ich das große Glück und die große Ehre, einige Tage lang vom großen Richard Bandler selbst zu lernen. Er war damals schon deutlich über 70 Jahre alt und hat sich für ein Seminar auf den weiten Weg von Florida nach Mainz gemacht. Es war faszinierend zu sehen, wie er immer wieder zwischen Pacing und Leading wechselte und welche Effekte das in den unterschiedlichen Demonstrationen auf seine jeweiligen Coachees hatte. Die Macht der Sprache und die Kraft der Kommunikation faszinieren mich von jeher. Richard Bandler dabei zu erleben, wie er mit Sprache spielt und sie unglaublich zielgerichtet einsetzt, um Menschen auf deren Weg zu bringen, hat mich tief beeindruckt.

Vielleicht habt ihr ja auch Lust bekommen, bewusst ein wenig mit der Sprache zu spielen – zu präzisieren, weichzuzeichnen, um zu integrieren, und danach wieder in die Präzision zu gehen. Ihr werdet erstaunt sein, welche Türen bewusst genutzte Sprache zu öffnen in der Lage ist.

Habt einen schönen, entspannten Sonntag! Ich hoffe für euch, die Sonne strahlt heute ähnlich hell wie für mich. Ich finde, es riecht langsam nach Frühling…

Eure Constance

Bandler & ich

… und die Macht von Pacing & Leading

Sicherheit und Vertrauen in Phasen der Veränderung - Psychological Safety in a Nutshell

Halt in haltlosen Zeiten

In den letzten Wochen habe ich immer wieder mit Führungskräften und Führungsteams gearbeitet, die ein zentrales Thema beschäftigt: Veränderungen überholen sich gegenseitig. Die Dynamik hat auf allen Ebenen stark zugenommen. Führungskräfte fragen sich zunehmend, wie sie ihre Teams oder Organisationen mitnehmen und „bei Laune“ halten können. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass viele von ihnen die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeitenden nicht nur nachvollziehen können, sondern oft selbst spüren. Denn was bei all diesen Veränderungen häufig auf der Strecke bleibt, ist das Gefühl von Sicherheit.

Was braucht es also, um in einer scheinbar unberechenbaren Welt aktiv, erfolgreich und zielorientiert zu agieren? Es braucht sichere Räume, aus denen heraus man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und in die man sich immer wieder zurückziehen kann. Solche sicheren Räume sind auch im beruflichen Kontext unverzichtbar. Die Suche nach diesen führt mich zu einem meiner Lieblingsthemen: psychologische Sicherheit. Diese sicheren Räume, die uns mutig, kreativ und leistungsfähig machen und uns helfen, äußere Veränderungen zu bewältigen, finden wir im Arbeitsumfeld vor allem in unseren Teams – in den Menschen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass ich schon viel zu lange nicht mehr über dieses wichtige Thema geschrieben habe. Es ist also höchste Zeit!

Psychological Safety in a Nutshell

Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima innerhalb einer Gruppe oder eines Teams, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und Bedenken anzusprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung. Der Begriff und das dahinterstehende Konzept wurden vor allem durch die Arbeit der Harvard-Professorin Amy C. Edmondson geprägt.

Laut Edmondsons aktueller Forschung ist eine Kultur der psychologischen Sicherheit der zentrale Bestandteil effektiver Teamarbeit. Und effektive Teamarbeit ist das wichtigste Instrument, um erfolgreich mit einem dynamischen und komplexen Umfeld umzugehen. Dadurch entsteht nicht nur der sichere Raum, den wir alle brauchen. Psychologische Sicherheit fördert auch die Innovationskraft, die essenziell ist, um mit der Dynamik unserer Zeit Schritt zu halten. Zudem bildet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für eine offene Fehlerkultur, die dazu führt, dass Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können – bevor sie größere Schäden anrichten. Nicht zuletzt steigert eine Kultur des Vertrauens das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden.

Wie erkennt man psychologische Sicherheit?

In meiner Arbeit als Beraterin werde ich oft gefragt, wie ich das Maß an psychologischer Sicherheit in einem Team oder einer Organisationseinheit einschätze. Kann man psychologische Sicherheit erkennen? Für mich gibt es vier zentrale Bereiche, die ich bei einer solchen Einschätzung besonders betrachte:

  1. Offenheit
    Ist es erlaubt, Fehler zu machen? Wird bei Problemen nach Schuldigen gesucht oder nach gemeinsamen Lösungen? Dürfen der Status quo hinterfragt und neue Ideen eingebracht werden?

  2. Konfliktkultur
    Werden Konflikte vermieden, weil sie als negativ wahrgenommen werden? Oder werden sie als Chance für Weiterentwicklung und Diskurs gesehen?

  3. Respekt
    Wird den Unterschieden im Team mit Respekt begegnet?

  4. Lernkultur
    Entwickelt sich das Team gemeinsam weiter – aus Fehlern oder externen Impulsen?

Wie entsteht psychologische Sicherheit?

Eine weitere häufige Frage in meiner Zusammenarbeit mit Führungskräften ist: „Wie kann man psychologische Sicherheit schaffen?“

Die Wahrheit ist: Psychologische Sicherheit kann man nicht mit Maßnahmen A, B, und C initiieren. Sie lässt sich nicht einfach „erschaffen“. Aber es ist möglich, Rahmenbedingungen zu gestalten, die ihre Entstehung fördern. Hier tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, denn ihr Verhalten beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden direkt. In stürmischen Zeiten blicken Teams auf die Führung – auf ihre „Kapitänin“ oder ihren „Kapitän“.

Wenn ich an meine Zeit als Flugbegleiterin zurückdenke, kenne ich dieses Gefühl nur zu gut. Es gab Kapitäne, denen ich ohne Zögern in jeden Sturm gefolgt wäre – und ich war damit nicht allein. Die Strahlkraft guter Führung kann ein ganzes Team prägen, besonders in herausfordernden Situationen. Schon damals habe ich mich gefragt, was genau diese Führungspersönlichkeiten auszeichnete und was mich so bedingungslos vertrauen ließ.

Mit Blick auf die Gestaltung psychologisch sicherer Teamkulturen sehe ich acht zentrale Handlungsfelder, die ich gerne mit euch teilen möchte:

Acht Handlungsfelder für Führungskräfte

  1. Vorbildfunktion der Führungskraft
    Offenheit zeigen: Eigene Fehler und Unsicherheiten zugeben.
    Empathie leben: Zuhören, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
    Respekt vorleben: Wertschätzend auf andere Meinungen reagieren.

  2. Fehlerkultur etablieren
    Fehler als Lernchancen betrachten, statt Schuld zuzuweisen.
    Offen und ehrlich über Herausforderungen und Schwächen kommunizieren.
    Eine „Blame Culture“ vermeiden.

  3. Kommunikationsregeln festlegen
    Aktives Zuhören sicherstellen: Jedes Teammitglied fühlt sich gehört.
    Eine konstruktive Feedback-Kultur etablieren.

  4. Vertrauen aufbauen
    Verlässlichkeit, Integrität und Diskretion vorleben.

  5. Diversität wertschätzen
    Unterschiedliche Perspektiven fördern.
    Konflikte als Chance für Wachstum sehen.

  6. Gemeinsame Ziele und Werte betonen
    Werte aktiv vorleben, nicht nur in Leitbilder schreiben.

  7. Raum für Fragen und Ideen schaffen
    Formate schaffen, in denen Meinungen und Ideen offen geteilt werden können.
    Experimentierfreude fördern.

  8. Regelmäßige Reflexionen
    Zeiträume für Meta-Gespräche über Zusammenarbeit, Erfolge und Misserfolge schaffen.

Psychologische Sicherheit zu etablieren ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur des Vertrauens erfordert Pflege, und Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch auch die Teammitglieder tragen Verantwortung – sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaft.

In einer Zeit voller Dynamik und Komplexität ist eine Kultur des Vertrauens überlebenswichtig. Ohne sie droht eine Kultur der Angst, die Innovation und Zusammenarbeit lähmt und letztlich den Erfolg von Organisationen gefährdet.

In zwei Wochen werde ich euch ein Beispiel aus der Luftfahrt mitbringen, um die Bedeutung von psychologischer Sicherheit in High-Performing-Teams noch greifbarer zu machen.

Bis dahin freue ich mich auf meinen letzten Einsatz als Human-Factors-Trainerin in der Luftfahrt und auf zwei wunderbare Tage in Maastricht, wo ich erneut an der wirtschaftspsychologischen Fakultät der Universität einen Workshop für Master-Studierende leite. Beide Veranstaltungen stehen ganz im Zeichen psychologisch sicherer Teamkulturen.

Eure Constance

Safety First!

Je stürmischer die See, desto wichtiger das Gefühl, dass da im Notfall ein Rettungsring ist.

Ich bin OK, du bist OK! -Echt jetzt? Warum Leader eben keine Coaches sind

Mit viereckigen Augen und Mausarm…

Puh, will ich wirklich noch einen Blog schreiben? Ich sitze schon das ganze Wochenende an der Abschlussarbeit für eine meiner Ausbildungen. Die Abgabe rückt bedrohlich nah ans Hier und Jetzt! Meine Augen sind langsam viereckig und ich befürchte ich bekomme einen Mausarm! Aber ja, ich will unbedingt einen Blog schreiben. Immerhin habe ich seit Freitag sogar ein aktuelles Thema aus der Praxis. Eine Kollegin hat mich um einen Rat gebeten, der eigentlich schnell gegeben war. Interessant war jedoch das größere Thema dahinter, das ich heute gerne mit euch teilen möchte.

Also mal von vorne:

Leader as Coach - leichter gesagt als getan

Meine Kollegin hat mir in einem gemeinsamen Termin von einem jungen Mann erzählt, clever und motiviert und seit kurzen auch in einer Art fachlicher Führungsverantwortung. Sein Team mache ihm zu schaffen. Sie seien alle ausgesprochen Problemorientiert, würden alle Lösungsansätze sofort mit neuen Problemen abschmettern und arbeiteten so stetig weiter an dem was wir Coaches Problemtrance nennen. Schuld sind die anderen und Lösungen gibt es nicht. In Terminen, in denen besprochen werden sollte wie es weiter gehen soll werde fast ausschließlich darüber gesprochen, wie es eben nicht weitergehe und wer oder was daran schuld sei. Einig sei man sich vor allem darin, dass man nichts tun könne.

Klar, so könne man nicht arbeiten und der junge, motivierte Kollege komme allmählich an seine Grenzen. Er habe schon alles versucht, auch über Fragestellungen habe er versucht sie zum Perspektivwechsel anzuregen. Hört sich toll für mich an, ganz so wie man es als gute Führungskraft tun sollte. “Leader as Coach” oder “Managerial Coaching” nennen sich die Führungsseminare in welchen man lernt coachend zu führen. Ich merke jedoch an Beispielen wie unserem jungen Mann immer und immer wieder, dass in diesen Seminaren häufig etwas ganz Entscheidendes vergessen wird, ohne dass ich all diese wunderbaren Tools nicht nutzen kann: die systemische und ressourcenorientierte Grundhaltung, ohne die ich selbst mit den besten Fragetechniken nicht wirksam coachen kann. - Und deren Grenzen für Führungskräfte!

Haltung und Wirkung

Der Kerngedanke der systemisch-konstruktivistischen Haltung ist so viel mehr als das vielfach zitierte “Ich bin OK, du bist OK!”. Es geht im Kern darum die Realität meines Gegenübers achtungsvoll und wertschätzend anzuerkennen. Ist mein Gegenüber, wie im Fall des beschriebenen Teams, gerade in einem starken Problemempfinden, nimmt mein Gegenüber sich gerade als Opfer wahr, gilt es das zunächst einmal vollumfänglich anzuerkennen. Wer bin ich, dass ich die Realität anderer Menschen in Frage stelle? So wie ich in einer Situation vielleicht nur und ausschließlich Chancen und Möglichkeiten sehe, kann ein anderer in eben dieser Situation nur Probleme und Grenzen sehen. Die absolute Wahrheit liegt unter Umständen irgendwo dazwischen. Ein Coach nutzt systemischen Frage niemals um sein Gegenüber von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Auch eine Führungskraft sollte das nicht tun und dabei glauben er oder sie sei eine coachende Führungskraft. In diesen Momenten versucht er oder sie schlicht und ergreifend zu manipulieren. -Aus nachvollziehbaren Beweggründen! Trotzdem ist das kein coachender Führungsansatz!

Auch glaube ich als systemischer Coach oder Berater daran, dass alle Menschen um mich herum alle Fähigkeiten und Ressourcen in sich tragen um eigenverantwortlich eine für sie passende Lösung zu finden. Daran glaubt übrigens auch die gute alte Agilität! Agile Strukturen bauen ihr Haus auf das Fundament dieses Menschenbildes. Auf die Suche nach dieser Lösung machen sich die Menschen übrigens dann, wenn der für sie richtige Zeitpunkt gekommen ist. Das kann in Organisationen zuweilen schwierig werden.

Ja, als Führungskraft kann man sich mit einer solchen Grundhaltung ganz schön aufgeschmissen fühlen. Was ist, wenn sie nie aufhören zu jammern? Was ist, wenn der richtige Zeitpunkt für sie niemals kommt? Was ist, wenn ich meine Ziele deshalb nicht erreiche? Besonders für Führungskräfte in dieser berühmten Sandwich-Position kann das ganz schnell zu einem 1A Dilemma werden. Und trotzdem bleibe ich dabei, dass eben diese Haltung eine Voraussetzung für modern Führung ist um Menschen erfolgreich zu motivieren und den Rahmen zu schaffen, den sie benötigen um ihr Bestes zum Vorschein zu bringen. -Obgleich diese Haltung für Führende auch gewissen Grenzen haben sollte. Dazu gleich mehr.

Wie es in der Praxis funktionieren kann… -Aber nicht muss!

Transferieren wir diesen Ansatz nun konsequent in die Situation mit unserem jungen Kollegen, dann würde ich ihn ganz konkret empfehlen, bei der nächsten Problemtrance-Sitzung nicht wieder mit der Tür ins Haus zu fallen und mit den gut gemeinten positiv-manipulativen Fragen dagegen zu feuern! Auch das beste Ansinnen kann Druck auslösen und Druck verursacht immer Gegendruck. -Energieerhaltungsgesetz! Die Naturwissenschaft hat dieses Phänomen verstanden. In der “Menschen-Wissenschaft” hinken wir da manchmal noch etwas hinterher und wundern uns, dass wir tagein, tagaus für unwillkürlichen Widerstand sorgen, sogenannte Reaktanz Reaktionen hervorrufen. Wir meinen es doch nur gut.

Ich würde unseren jungen Mann dazu ermuntern, den Schmerz der Kollegen für einen kurzen Moment zu spüren, ihre Hilflosigkeit und ihr Opferempfinden wahrzunehmen und wertzuschätzen. Für sie ist alles das real, echt und unmittelbar. Hierbei sage ich natürlich nicht “Oh ja, ihr habt recht, das ist ja alles hoffnungslos und doof!”. Ebenso wenig wie ich das Recht auf objektive Wahrheit habe, haben es die anderen. Vielmehr würde ich es in etwa so ausdrücken: “So wie ihr das beschreibt, kann ich total verstehen, dass ihr euch soundso fühlt. An eurer Stelle wäre ich sicher auch ratlos und vielleicht auch wütend und frustriert.”

Nach einer kurzen Pause würde ich Fragen wie wir denn nun als Team mit unseren Vorgaben, Zielen und Aufgaben mit dieser Situation umgehen sollen. Wahrscheinlich würde ich dafür erneuten Widerstand ernten. Ich würde erneut meine Ratlosigkeit mitteilen und aus dieser Hilflosigkeit das gute alte Oper-Gestalter-Modell einführen. Zum genauen Inhalt des Modells habe ich bereits den ein oder anderen Blog verfasst, weil ich dieses Modell für ein absolutes Basismodell im organisationalen Kontext halte. Blättert also gerne zurück für einen kurzen Recap!

Mit Hilfe des Modells würde ich gemeinsam mit dem Team schauen, ob sich in all dem negativen Dilemma nicht doch die ein oder andere Kleinigkeit finden lässt, die in unserer Hand liegen, die wir gestalten können, bei der wir nicht Opfer sind, um so in kleinen Schritten Angebote für einen Perspektivwandel zu machen. Häufig wirkt diese sanfte Methode besser und nachhaltiger, als offensiv zu propagieren, dass man das auch alles positiv sehen könnte…

Doch alles hat seine Grenzen - Warum Leader eben keine Coaches sind!

Als Coach höre ich auf, wenn ich merke, dass Menschen ihre Perspektiven und ihr Verhalten partout nicht ändern wollen. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich und Coaching ohne Auftrag ist Stalking. Als Coach mache ich Angebote, nicht mehr und nicht weniger. Als Führungskraft sind mir hier Grenzen gesetzt, da ich auf die Ergebnisse meines Teams angewiesen bin. Deshalb können Führungskräfte bei aller Liebe eben auch nicht nur als Coaches unterwegs sein. Als Führungskraft bin ich selbstverständlich auch immer ein Performance Manager. Wenn ich als Performance Manager feststelle, dass einzelne Menschen oder ganze Gruppen von Menschen negativ, passiv, vielleicht sogar destruktiv durchs Berufsleben gehen, versuche ich es natürlich zunächst mit einem coachenden Ansatz. Ich versuche es mit Verständnis, Unterstützungsnageboten, einem offenen Ohr, mehr Verständnis und allem was dazu gehört. Zeigt das jedoch keine Wirkung muss ich klare und deutliche Worte finden, um so durch eine extrinsische Motivation zum Verhaltens- oder Perspektivwandel anzuregen. Natürlich kann ich auch als Führungskraft Menschen nicht zu etwas zwingen, das sie nicht wollen. Es liegt aber definitiv in der Verantwortung von Führenden auf die möglichen Auswirkungen dieses Verhaltens hinzuweisen, damit die Betroffenen noch einmal einen kleinen Preis-Leistungs-Check für sich machen können. Fruchtet auch das nicht sollte ich mir Gedanken machen, welche Auswirkungen das Verhalten einzelner auf Teamdynamiken oder ganze Organisationen hat und ob ich das hinnehmen kann.

So stößt das gute alten “Du bist OK, ich bin OK!” in Organisation selbstverständlich an seine Grenzen, denn in Organisationen geht es nicht um ich und du, sondern um wir und wir bedeutet immer auch Kompromiss. Zusätzlich stecken hinter dem Wir in Wirtschaftsorganisationen mit Gewinnorientierung immer auch messbare Ziele, die es zu bedienen gilt. Das heißt nicht nur das Wir, sondern auch das Ich im Wir sollte eine Leistung erbringen, die in angemessener Form auf diese Ziele einzahlt.

Habt einen schönen Sonntag. Ich freu mich jetzt auf ein hoffentlich tolle Spiel unsere Frauen-Nationalmannschaft und einen zweiten Kaffee, bevor ich weiter an meiner Arbeit schreibe.

Eure Constance

Leader as Coach

„Ich sehe dich! Ich nehme dich wahr! Ich bewerte oder relativiere nicht was ich wahrnehmen. Denn so ist deine Welt wenn ich sie durch deine Linse betrachte.“