Halt in haltlosen Zeiten
In den letzten Wochen habe ich immer wieder mit Führungskräften und Führungsteams gearbeitet, die ein zentrales Thema beschäftigt: Veränderungen überholen sich gegenseitig. Die Dynamik hat auf allen Ebenen stark zugenommen. Führungskräfte fragen sich zunehmend, wie sie ihre Teams oder Organisationen mitnehmen und „bei Laune“ halten können. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass viele von ihnen die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeitenden nicht nur nachvollziehen können, sondern oft selbst spüren. Denn was bei all diesen Veränderungen häufig auf der Strecke bleibt, ist das Gefühl von Sicherheit.
Was braucht es also, um in einer scheinbar unberechenbaren Welt aktiv, erfolgreich und zielorientiert zu agieren? Es braucht sichere Räume, aus denen heraus man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und in die man sich immer wieder zurückziehen kann. Solche sicheren Räume sind auch im beruflichen Kontext unverzichtbar. Die Suche nach diesen führt mich zu einem meiner Lieblingsthemen: psychologische Sicherheit. Diese sicheren Räume, die uns mutig, kreativ und leistungsfähig machen und uns helfen, äußere Veränderungen zu bewältigen, finden wir im Arbeitsumfeld vor allem in unseren Teams – in den Menschen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten.
Mir ist aufgefallen, dass ich schon viel zu lange nicht mehr über dieses wichtige Thema geschrieben habe. Es ist also höchste Zeit!
Psychological Safety in a Nutshell
Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima innerhalb einer Gruppe oder eines Teams, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und Bedenken anzusprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung. Der Begriff und das dahinterstehende Konzept wurden vor allem durch die Arbeit der Harvard-Professorin Amy C. Edmondson geprägt.
Laut Edmondsons aktueller Forschung ist eine Kultur der psychologischen Sicherheit der zentrale Bestandteil effektiver Teamarbeit. Und effektive Teamarbeit ist das wichtigste Instrument, um erfolgreich mit einem dynamischen und komplexen Umfeld umzugehen. Dadurch entsteht nicht nur der sichere Raum, den wir alle brauchen. Psychologische Sicherheit fördert auch die Innovationskraft, die essenziell ist, um mit der Dynamik unserer Zeit Schritt zu halten. Zudem bildet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für eine offene Fehlerkultur, die dazu führt, dass Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können – bevor sie größere Schäden anrichten. Nicht zuletzt steigert eine Kultur des Vertrauens das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden.
Wie erkennt man psychologische Sicherheit?
In meiner Arbeit als Beraterin werde ich oft gefragt, wie ich das Maß an psychologischer Sicherheit in einem Team oder einer Organisationseinheit einschätze. Kann man psychologische Sicherheit erkennen? Für mich gibt es vier zentrale Bereiche, die ich bei einer solchen Einschätzung besonders betrachte:
Offenheit
Ist es erlaubt, Fehler zu machen? Wird bei Problemen nach Schuldigen gesucht oder nach gemeinsamen Lösungen? Dürfen der Status quo hinterfragt und neue Ideen eingebracht werden?Konfliktkultur
Werden Konflikte vermieden, weil sie als negativ wahrgenommen werden? Oder werden sie als Chance für Weiterentwicklung und Diskurs gesehen?Respekt
Wird den Unterschieden im Team mit Respekt begegnet?Lernkultur
Entwickelt sich das Team gemeinsam weiter – aus Fehlern oder externen Impulsen?
Wie entsteht psychologische Sicherheit?
Eine weitere häufige Frage in meiner Zusammenarbeit mit Führungskräften ist: „Wie kann man psychologische Sicherheit schaffen?“
Die Wahrheit ist: Psychologische Sicherheit kann man nicht mit Maßnahmen A, B, und C initiieren. Sie lässt sich nicht einfach „erschaffen“. Aber es ist möglich, Rahmenbedingungen zu gestalten, die ihre Entstehung fördern. Hier tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, denn ihr Verhalten beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden direkt. In stürmischen Zeiten blicken Teams auf die Führung – auf ihre „Kapitänin“ oder ihren „Kapitän“.
Wenn ich an meine Zeit als Flugbegleiterin zurückdenke, kenne ich dieses Gefühl nur zu gut. Es gab Kapitäne, denen ich ohne Zögern in jeden Sturm gefolgt wäre – und ich war damit nicht allein. Die Strahlkraft guter Führung kann ein ganzes Team prägen, besonders in herausfordernden Situationen. Schon damals habe ich mich gefragt, was genau diese Führungspersönlichkeiten auszeichnete und was mich so bedingungslos vertrauen ließ.
Mit Blick auf die Gestaltung psychologisch sicherer Teamkulturen sehe ich acht zentrale Handlungsfelder, die ich gerne mit euch teilen möchte:
Acht Handlungsfelder für Führungskräfte
Vorbildfunktion der Führungskraft
Offenheit zeigen: Eigene Fehler und Unsicherheiten zugeben.
Empathie leben: Zuhören, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
Respekt vorleben: Wertschätzend auf andere Meinungen reagieren.Fehlerkultur etablieren
Fehler als Lernchancen betrachten, statt Schuld zuzuweisen.
Offen und ehrlich über Herausforderungen und Schwächen kommunizieren.
Eine „Blame Culture“ vermeiden.Kommunikationsregeln festlegen
Aktives Zuhören sicherstellen: Jedes Teammitglied fühlt sich gehört.
Eine konstruktive Feedback-Kultur etablieren.Vertrauen aufbauen
Verlässlichkeit, Integrität und Diskretion vorleben.Diversität wertschätzen
Unterschiedliche Perspektiven fördern.
Konflikte als Chance für Wachstum sehen.Gemeinsame Ziele und Werte betonen
Werte aktiv vorleben, nicht nur in Leitbilder schreiben.Raum für Fragen und Ideen schaffen
Formate schaffen, in denen Meinungen und Ideen offen geteilt werden können.
Experimentierfreude fördern.Regelmäßige Reflexionen
Zeiträume für Meta-Gespräche über Zusammenarbeit, Erfolge und Misserfolge schaffen.
Psychologische Sicherheit zu etablieren ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur des Vertrauens erfordert Pflege, und Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch auch die Teammitglieder tragen Verantwortung – sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaft.
In einer Zeit voller Dynamik und Komplexität ist eine Kultur des Vertrauens überlebenswichtig. Ohne sie droht eine Kultur der Angst, die Innovation und Zusammenarbeit lähmt und letztlich den Erfolg von Organisationen gefährdet.
In zwei Wochen werde ich euch ein Beispiel aus der Luftfahrt mitbringen, um die Bedeutung von psychologischer Sicherheit in High-Performing-Teams noch greifbarer zu machen.
Bis dahin freue ich mich auf meinen letzten Einsatz als Human-Factors-Trainerin in der Luftfahrt und auf zwei wunderbare Tage in Maastricht, wo ich erneut an der wirtschaftspsychologischen Fakultät der Universität einen Workshop für Master-Studierende leite. Beide Veranstaltungen stehen ganz im Zeichen psychologisch sicherer Teamkulturen.
Eure Constance