Führung

Führung von unten leicht gemacht! - Das Phänomen der "Unterwachung"

Wer führt, wird geführt!

-Die Frage ist nur durch wen! Selbst in den hierarchischsten Organisationen findet Führung nicht nur in eine Richtung, nämlich in der Hierarchie nach unten, statt, sondern immer auch von unten nach oben. Offiziell und formell werden Entscheidungen zwar an der Spitze der Organisation getroffen aber die Informationen, auf deren Grundlage die Entscheidungen getroffen werden, kommen von “unten”. So hat die Basis eines Unternehmens großen Einfluss auf ihre Führenden. Dieses Phänomen bezeichnete der große Systemtheoretiker Niklas Luhmann als “Unterwachung”. - Eine systemische Dynamik, die für Chefs und Organisationen geradezu überlebenswichtig ist, sagte er. Das tiefe Eintauchen in Themen ist für Führende häufig ein viel zu großer Aufwand und ich als Coach unterstütze daher die Aussage, dass die Führungskraft stets der/die schlechteste Fachexperte oder -Expertin sein sollte. Diese Aussage stammt übrigens von meiner Chef-Chefin und ich liebe sie für diese Haltung! Aber woher kommt dann die Grundlage für viele Entscheidungen? -Richtig, von “unten”!

Wann Führungskräfte wie tief in die einzelnen Themen einsteigen, ist selbstverständlich ihnen überlassen. Allerdings können sie selbst bei größter Detailorientierung ihre Nasen nur in das stecken, was ihren Horizont auch erreicht. Hierbei muss ich direkt an Gunther Schmidt denken, der mich gelehrt hat, die Macht und den Einfluss von Assistenzen nicht hochgenug einzuschätzen und zu würdigen. Sie sind die Türsteher, die gnadenlos filtern. Das tun sie nicht aus Spaß, sondern weil auch sie Luhmanns Theorien unbewusst verinnerlicht haben: “Würden Untergebene alle Probleme nach oben geben, wären ihre Vorgesetzten verloren”, hat Luhmann dereinst geschrieben. Somit haben Assistenzen und Business Manager natürlich immer auch einen kleinen “Schutzauftrag” und bestimmen gleichzeitig die Strategien eines Unternehmens ziemlich machtvoll mit, indem sie die Chefin oder den Chef strategisch “unterwachen”.

Warum wir alle früher oder später “unterwachen”

Sicher gibt es unterschiedliche Gründe für “Unterwachung”. Ich möchte euch gerne drei vorstellen, Vielleicht findet ihr euch ja irgendwo wieder. Ich persönlich habe mich bei allen dreien schon ertappt:

  1. Die Form der “Unterwachung”, die ich gerne als altruistisch bezeichne: Hier geht es um das Wohl der Organisation, der Abteilung oder des Teams. Man unterliegt der Annahme, die ein oder andere Entscheidung nach Möglichkeiten von der Führung fern zu halten, weil man glaubt, die Mitarbeitenden haben einen besseren Blick für die große Gemengelage und ein besseres Verständnis dafür, was auf Arbeitsebene zu tun oder nicht zu tun ist.

  2. Die Form der “Unterwachung”, die ich als strategisch-egoistisch bezeichne: Haben wir nicht alle schon einmal Entscheidungen bewusst in eine Richtung beeinflusst, weil uns diese strategisch und in Hinblick auf unsere eigenen Weiterentwicklung besser passt?

  3. Die Form der “Unterwachung”, die ich als ausgesprochen ressourcenorientiert bezeichne, weil sie zu einem entspannten Arbeitsalltag beiträgt: Halte ich den Chef mit Aufgaben beschäftigt, die mir nicht wehtun, lässt er mich ansonsten in Ruhe vor mich hinarbeiten.

In der Realität treten diese drei Arten für gewöhnlich als Mischform auf, da das eine häufig mit dem anderen zusammenhängt.

Und dann bilden sich “Unterwachungs-Netzwerke”

Da die Zufriedenheit im Team häufig eine wichtig Basis für meinen individuellen Erfolg darstellt und der Wunsch in Ruhe arbeiten zu können, direkt auch auf die Zufriedenheit im Team bzw. das Wohl der Organisation einzahlt, bilden sich für gewöhnlich ganz automatisch und wie von Zauberhand ganze “Unterwachungs-Netzwerke”. Kaffeeküchen oder Kantinen sind hierbei willkommene Geburtshelfer. Inzwischen tun es aber auch Teams-Kanäle oder Skype!

Laut Luhmann lässt sich das Phänomen der “Unterwachung” nicht unterbinden. Es ist eine Dynamik die in dem Moment losgetreten wird, in dem sich Menschen in hierarchisch organisierten Gruppen zusammenfinden und ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Er bezeichnet dieses Phänomen als “brauchbare illegale Verhaltensweise”, die sich jenseits der Formalstruktur einer Organisation ausbildet und einen wertvollen Beitrag dazu leistet, die Organisation am Laufen zu halten. Als Führungskraft würde mir an dieser Stelle erst einmal angst und bange werden. Ist das Ziel doch meistens eher Verantwortung und Macht, vielleicht sogar Kontrolle und weniger Fremdbestimmung in Kombination mit Verantwortung. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich der unterschiedlichen Machtressourcen seines Team bewusst zu sein, um diese entweder für sich zu nutzen, oder bewusst punktuell gegenzusteuern. Generelle Gegensteuerung ist nicht möglich, sagt nicht nur Luhmann!

Teams haben hierbei die Macht, die Themen, die nach “oben” kommen zu filtern. Heute wird dieses Vorgehen auch gerne als “Nudging” bezeichnet: Ich habe eine gewünschte Variante und stelle dieser Variante zwei ziemlich blödsinnige Optionen zur Seite. Die dritte vielleicht ähnlich erfolgsversprechende Variante lasse ich weg, weil sie nicht meinen Wünschen entspricht. Wer trifft hier wirklich die Entscheidung? Die Chefin oder der Chef, oder die Person, die die Optionen auswählt?

Eine weitere Macht ist diejenige, die meine Chef-Chefin geradezu ins Schaufenster stellt, indem sie sagt, dass die Führungskraft für gewöhnlich die schlechteste Expertin oder der schlechteste Experte ist. - Es ist die Macht des Fachwissens. Diese Macht hat sich seit der Veröffentlichung von Luhmanns Systemtheorien in den 70ern und 80ern noch verschärft, da Businesswissen in einer zunehmend digitalen Welt nun auch noch durch IT-Wissen ergänzt werden muss. Luhmann würde nicht skandieren “IT’ler an die Macht!”, sondern “IT’ler an der Macht!”.

Die dritte große Macht über die Mitarbeitende verfügen, ist die, die Perspektive auf das Thema zu bestimmen. Und machen wir uns nichts, vor, wir alle haben schon einmal Informationen cheftauglich eingefärbt!

Die vierte und letzte Macht, die Mitarbeitende in diesem Zusammenhang haben, ist etwas anders gelagert, als die ersten drei, aber ein verdammt spannendes Tool der “Unterwachung”: Es ist die Macht, Probleme bewusst nach oben abzugeben, denn auch Chefinnen und Chefs müssen ja beschäftigt bleiben, nicht dass sie ihre Nase doch in meine Themen stecken…

“Unterwachung” als bewusstes Prinzip der Zusammenarbeit in modernen Unternehmensstrukturen

Tja, liebe Führungskräfte, da bleibt man doch am Montag besser mal im Bett! Man denkt, man führt, gestaltet, hat neben der Verantwortung auch Macht und dann kommt da so ein wild gewordener Soziologe und Gesellschaftstheoretiker daher und führt einem vor Augen, dass man am Ende doch ziemlich fremdbestimmt agiert. Schlimmer noch, es sind die, die wir dachte zu führen, die uns fremdbestimmen und manipulieren! Aber Kopf hoch, die Realität ist deutlich weniger tragisch als sich das Prinzip der “Unterwachung” im ersten Moment liest. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstandsassistentin, die “unterwacht” um auf den Chef aufzupassen. - Ich kannte mal eine, die sogar ein Blutdruckmessgerät in ihrem Schreibtisch hatte. - Für Notfälle. Wie fürsorglich. Und auch ich ertappe mich meistens aus sehr fürsorglichen Gründen dabei, meine Chefin zu “unterwachen”! - Liebe Grüße an dieser Stelle! Ich weiß, dass sie meine Artikel immer mal wieder liest! Und ich weiß, dass die “Unterwachung” meinerseits für meine Führungskraft völlig OK ist. Denn kluge Führungskräfte und kluge Unternehmen sind sich diesem unvermeidbaren Phänomen bewusst und haben es umgedreht um es für sich zu nutzen. Sie nennen es “Empowerment” und bezeichnen es als eine der wichtigsten Antworten auf ein zunehmend dynamisches und komplexes Marktumfeld. Kein Mensch kann mehr alles verstehen, wissen, können, mitbekommen. Es braucht Teams, Teams die Höchstleistungen erbringen. Und schaut man sich an, welche Zutaten ein High Performance Team braucht, findet sich da nicht nur Kommunikation, Konfliktfähigkeit, ein gemeinsames Ziel und kognitive Diversität, sondern auch Eigenverantwortung (also den Mut zu “unterwachen”) und Führung. Es braucht Führungskräfte, die “empowern”, die sich bewusst “unterwachen” lassen, weil sie zum einen wissen, dass es ohnehin stattfindet und zum anderen darauf vertrauen, dass die “Unterwachung” im positivsten Sinne stattfindet, weil sie am Ende doch nicht alles mitbekommen oder wissen können.

Vertrauen, da ist es wieder: Die Basis für Empowerment oder eine positive “Unterwachung”, die eine Organisation erfolgreich am Laufen hält, ist Vertrauen. Bereits in den 1980er Jahren schreibt Luhmann, dass “Unterwachung” am wirkungsvollsten sei, wenn sie in vertrauensvolle Kooperation eingebettet sei, indem “jede Seite, im Interesse der besonderen Macht über den anderen, dessen Macht schont und beachtet.” Danke Niklas Luhmann! Inzwischen wurde Amy C. Edmondson zum zweiten Mal in Folge mit dem Thema Vertrauen, oder Psychological Safety, zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft gewählt und Studienreihen wie das Projekt “Aristoteles” von Google belegen, dass die Leistung eines Teams oder einer Organisation mit dem subjektiv empfundenen Vertrauen der einzelnen Mitglieder anwächst.

Liebe Führungskräfte, ihr könnte “Unterwachung” nicht unterbinden. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass der Versuch der Unterbindung die “Unterwachung” nur noch größer werden lässt. Ihr könnt sie aber umdeuten und aus ihr Empowerment machen. Ja, dieser Schritt braucht Mut, vor allem aber eine vertrauensvolle Teamkultur. An dieser Kultur könnt ihr bewusst arbeiten. - Und sollte ihr nicht so richtig wissen wie, dann unterstützen euch systemische Coaches und Berater wie ich sicher gerne!

Liebe Mitarbeitenden, ihr seid mit Nichten Machtlos! Im Gegenteil, ihr seid sogar sehr machtvoll. Luhmann hätte in diesem Zusammenhang den Tipp, dass Macht auch immer mit Verantwortung einher gehen sollte. Nutz eure Macht, aber nutzt sie verantwortungsvoll, achtsam und im Sinne aller!

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

Unterwachung…

Lass dich nicht zum Narren machen! Wer führt wird geführt.

Über flache Hierarchien und informelle Machtstrukturen - Die schöne neue Welt der Lähmung und der Intrigen...

Denn Macht ist böse…

Macht ist pfui! Und weil wir dem Aberglauben erliegen, dass Macht in unseren Organisationen immer auch mit Position einher geht hat man nun also entschieden, Hierachieebenen aus Organigrammen rauszunehmen und Hierarchie fortan flacher zu gestalten! Agilität lässt grüßen! Der Lead ist plötzlich “Servant”, Einzelbüros sind abgeschafft und auch anhand der Zuteilung der Parkplätze im firmeneigenen Parkhaus kann man die Positionen der einzelnen Mitarbeitenden nicht mehr ablesen. Ob Hierarchie dadurch tatsächlich flacher wird, lasse ich mal dahingestellt. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang was mit der Macht passiert.

Ich beginne mal mit einer Reise zurück in die Zeit in der ich angefangen habe, mich intensiver mit systemischer Beratung, bzw. systemischen Change Management auseinanderzusetzen. In besonders guter und lebhafter Erinnerung ist mir ein Video von Dr. Gunther Schmidt geblieben. -Wahrscheinlich einer der Väter der systemischen Beratung In Deutschland. Er sprach von Organigrammen und dass Organigramme für systemische Berater im Prinzip nichts als Bilder wären. Wären sie etwas schöner oder künstlerisch wertvoller könnte man sie bestenfalls ins Museum hängen. Aber wer wolle sich schon Organigramme anschauen?! Wichtig in der (systemischen) Beratung ist nicht die theoretische Struktur, sondern die gelebte Dynamik. Er sprach davon, dass die machtvollste Person im Konstrukt häufig im Organigramm höchstens als Randnotiz auftauche. Er hatte hierbei die Vorstandsassistenz im Kopf! Simples Beispiel, aber recht hat er. Hier wird entschieden wer wann vorgelassen wird. Rein hierarchisch betrachtet dürfe an dieser Stelle nicht so viel Macht sein. Aber Macht hat nicht zwangsläufig etwas mit Position zu tun. In der meiner Zeit in der Luftfahrt war die Unterscheidung zwischen “Positional Power” und “Personal Power” bereits definiert und es war klar, dass es beides unabhängig voneinander gibt und es im besten Fall zusammenkommt. Diese Konstellation schafft am meisten Klarheit. Die Luftfahrt hatte übrigens kein Problem damit, beim Kapitän totale Macht in Form der absoluten Entscheidungsgewalt zu zentralisieren. § 12 des Luftsicherheitsgesetzes macht diesen allmächtigen Kapitän auch noch zum sogenannten Beliehenen des Polizeirechts. Das heißt der Chef war auch noch die staatliche Exekutive.

Die dunkle Seite der Macht

Was ich mit meinem ursprünglichen professionellen Hintergrund lange nicht verstanden habe ist, warum Hierarchie und die damit einhergehende Macht einen derart schlechten Ruf hat. In meiner alten Welt hat das alles ganz wunderbar funktioniert. Im Alltagsverständnis der Menschen wird Macht jedoch häufig mit Autorität, Machtmissbrauch und entsprechenden Seilschaften in Verbindung gebracht und spätestens seitdem die sogenannte dunkle Triade schlechter Führung, die Kombination aus auch narzisstischen, machiavellistischen und psychopathischen Charakterzügen, überdurchschnittliche häufig in den Etagen der Top-Manager zu finden ist, scheint der Ofen aus! Macht ist schlecht! Ich halte dagegen: Nicht Macht ist schlecht, sondern die Tatsache, dass sich das Kant’sche Ideal des weisen Anführers nicht durchgesetzt hat.

Der große Vorteil von Macht als solches ist, dass sie durch Hierarchie formalisiert wird und somit schneller gearbeitet und entschieden werden kann. Besonders in einem komplexen und dynamischen Umfeld kann das Vorteile haben und wenn es wie in der Luftfahrt um Menschenleben geht, sollte man nicht mit basisdemokratischen Diskussionen beginnen, die ohne einen klaren hierarchischen Bezug häufig schnell zu persönlichen und destruktiven Konflikten führen und damit Entscheidungen unnötig und gefährlich in die Länge ziehen und irgendwann zu Mustern wie Grüppchenbildung und Intrigenspinnereien führen können. Der Konflikt wird zum Dauerzustand und es geht Menschen schließlich nicht mehr um Fakten und Lösungen, sondern um Positionen. Derartiges Verhalten und dessen Auswüchse lässt sich übrigens ganz wunderbar in der sehr machtorientierten Spitzenpolitik beobachten. Und wie erfolgreich Spitzenpolitik in wirtschaftlichen Kontext ist zeigen Projekte wie Stuttgart 21 oder Großflughafen Berlin-Brandburg recht deutlich. Läuft bei uns im Land!

Luhmanns Erben: eine kurze systemtheoretische Betrachtung

Klar, eine Formalisierung von Macht bietet besonders all jenen, die besser niemals in der Verantwortung kommen sollten, Macht zu haben, ungeahnte Möglichkeiten ihre Macht zu missbrauchen, auszunutzen, andere klein zu halten und sich selbst geradezu gottgleich zu erhöhen. -Oder sich einfach völlig zu überschätzen! Somit ist die Forderung “Weg mit der Macht! - Weg mit der Hierarchie!” völlig berechtigt. Allerdings wäre das viel zu einfach. Folgt man der Systemtheorie nach Niklas Luhmann ist Macht ein Kommunikationsmedium, das direkt auf das Handeln abzielt und so ermöglicht Prozesse zu beschleunigen, Entscheidungen zu treffen, seinen Einfluss geltend zu machen und andere ins Handeln zu bringen. -Aus organisationaler Sicht erstmal nichts Schlechtes. Ferner beschreibt Luhmann, dass wo immer sich Menschen organisieren, Macht automatisch Teil des Systems ist. Über Hierarchien ist diese Macht am transparentesten greifbar oder sichtbar. Aber selbst, wenn man die organisationale Konstruktion der Hierarchie formal oder durch einen neue Rollendefinition (z.B. der Leader ist jetzt eine Servant Leader) aus dem System herausnimmt verschwindet die Macht damit nicht. Sie entkoppelt sich von der Position, taucht ab und verteilt sich schließlich neu. Aus formeller Macht wird informelle Macht. Dahinter steckt ein festes Muster, dass sich “Systemtheoretischer Machterhaltungssatz” nennt. -Im Prinzip wie das Energieerhaltungsgesetz, das der ein oder andere vielleicht aus der Physik kennt... - Die Macht im System bleibt immer die gleiche, egal ob als Hierarchie sichtbar, oder eben in der informellen Variante unsichtbar, aber eben so problematisch, wenn sie in die falschen Hände fällt.

Wie gute Kapitäne im Flugzeug müssen gute Teammitglieder in New Work Strukturen lernen, weise mit ihrer Macht umzugehen. Kapitäne sind in der Lage das zu lernen, weil sie sich ihrer Macht bewusst sind. Ich erlebe es gerade im Rahmen von Transformationen hin zu dem was die einen Agilität und die anderen New Work nennen noch viel zu selten, dass transparent über das Thema informelle Macht auf Ebene der Mitarbeitenden gesprochen wird. Dementsprechend ist es auch nicht möglich die Mitarbeitenden zu sensibilisieren und im weisen Umgang mit Macht zu schulen. Kant stand ja leider noch nie in den Amazon-Bestseller-Listen. Ohne eine Sensibilisierung für Macht ist es fast zu erwarten, dass die Organisationen nicht schneller oder flexibler werden, obwohl sie gemessen an New Work Standards quasi State of the Art sind. Was anstatt Geschwindigkeit und Flexibilität an der Tagesordnung sein wird, sind gefühlt endlose und ermüdende Diskussion wie beim Elternabend in der Grundschule und endlose Meeting-Kaskaden, die man im virtuellen Setting wenigstens nutzen kann um seine Mails zu checken.

Was gilt es also zu tun? Ganz einfach, über Macht reden, sie nicht tabuisieren und ein Verständnis dafür schaffen, in welchem Kontext oder in welcher Ausprägung Macht etwas ausgesprochen Positives sein kann. So können Machtdynamiken wahrgenommen und als solche identifiziert werden . Und natürlich müssen Rollen im Rahmen eines Hierarchieabbaus neu und eindeutig geklärt werden. Wer darf was und was nicht? Wie teilen wir die Macht neu auf? Besonders Agilität braucht einen sehr klaren Rahmen.

Und zum Schluss doch noch einmal diese dunkle Triade schlechter Führung

Zum Abschluss liegt mir noch ein wichtiger Punkt auf dem Herzen. Denn selbst wenn Hierarchie vereinfacht und abgeflacht wird, wird es trotzdem in den meisten Unternehmen die “oberste Ebene” geben. Nennt sie Geschäftsführung, Top-Management, oder wie auch immer es für euch passt. Sie ist der Beweis dafür, dass Positional Power auch weiterhin existiert, jedoch in deutlich vereinfachter Form. Diese Vereinfachung rückt die Top-Ebene stärker in den Fokus. Ein Repräsentant der dunklen Triade kann in diesem Konstrukt ungleich mehr Schaden anrichten. Er bekommt weniger Gegenwind auf Augenhöhe und dient zu allem Überfluss auch noch als Vorbild für all jene, die nach mehr Macht streben, nicht nur auf Ebene der Führungskräfte, sondern auch auf Ebene der Mitarbeitenden. So kann man sehr verlässlich eine klare Unternehmenskultur gestalten, ob diese jedoch hilfreich ist, lasse ich mal dahingestellt.

Im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Top-Management sich noch bewusster darum bemühen muss seine Machtposition positiv auszufüllen.

So einfach und doch zu kompliziert… Systeme sind schon spannend, aber nach zu viel Luhmann brummt mir tatsächlich immer ganz schön der Schädel. Ich geh jetzt ein wenig raus und genieße das Wetter im Schatten. Ich hoffe es liegt auch in eurer Macht, euch ein schönes Plätzchen für diesen Sommersonntag zu suchen!

Eure Constance

Alles unter Kontrolle

Grüße aus der Schaltzentrale der Macht!

Tag der Arbeit und der ewige Traum einer besseren Welt

Alle Jahre wieder - 1. Mai

Morgen ist 1. Mai, Tag der Arbeit und dem Himmel sei Dank, ich habe frei! Ausgerechnet am Tag der Arbeit wird in Deutschland nicht gearbeitet. Genau mein Humor! Seinen Ursprung hat dieser Feiertag übrigens in den USA. Dort haben am 1. Mai 1886 etwa 400.000 Arbeiter in mehreren Städten für die Einführung des Acht-Stunden-Tages gestreikt. So gesehen sollte ich für diesen freien Montag nicht dem Himmel, sondern den mutigen Arbeitern danken, die den 1. Mai in vielen Ländern zum Feiertag der Arbeiterbewegung gemacht haben. Interessant, wie weit sie zurück geht, die Beschäftigung mit Rahmenbedingungen für Arbeit. Aber was ist Arbeit überhaupt? In der Physik ist Arbeit die Energiemenge, die bei einem Vorgang umgesetzt wird. Für Volkswirte ist Arbeit einer der Produktionsfaktoren, während in der Betriebswirtschaftslehre plan- und zweckmäßige, innerbetriebliche Tätigkeiten von Arbeitspersonen als Arbeit bezeichnet werden. Die Sozialwissenschaften haben eine andere Herangehensweise. Hier ist Arbeit die zielbewusste, durch Institutionen begründete menschliche Tätigkeit und die Philosophie geht sogar noch einen Schritt weiter und beschreibt Arbeit als einen Prozess der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen.

Auch an dieser Stelle wird mir einmal mehr klar, dass ich weder Physikerin, noch Betriebs- oder Volkswirtin bin. Bei mir geht es um Ziel, Interaktion, Kreativität, Schöpfung, Purpose. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die Definition der Physik durchaus gefällt. Arbeit ist etwas Energetisches, etwas Kraftvolles, etwas Aktives. Ich finde das passt gut als grober Rahmen. Denn seit diesem 1. Mai 1886 hat sich in der Wahrnehmung von Arbeit einiges verändert. Die klassischen Arbeiter, die aus körperlicher Arbeit heraus etwas kreieren, etwas produzieren, werden immer weniger. Und auch das gesellschaftliche Ansehen von klassischer Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Geistige und kreative Arbeit ist allgegenwertig und es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass es in unserer Welt nichts Produktiveres gibt, als das Kapital, das diejenigen, die darüber verfügen, für sich arbeiten lassen. Ja, es hat sich so einiges getan seit 1886. Was sich jedoch nicht verändert hat, ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen und der Rolle des Manschens in der Wertschöpfungskette.

Resilienz und Vulnerabilität

Während sich 1886 Überarbeitung und Ausbeutung vor allem körperlich bemerkbar gemacht haben, ist das Bild von Überarbeitung und deren Auswirkungen anno 2023 deutlich abstrakter geworden. Seit Jahren nimmt der Anteil an Krankmeldungen aus psychischen Gründen stetig zu und doch sind Burnout, Depressionen und Co. gefühlt noch immer ein Tabuthema. Während ich Menschen beobachtet habe, die fast schon etwas stolz davon erzählten, wie sie sich im Skiurlaub den Oberschenkel zertrümmert habe, wie sie von der Bergrettung ausgeflogen wurden und wie viele Nägel und Platten und anderes Metall sie nun in ihrem Bein haben, habe ich auch Menschen getroffen, die ihre seelische Erkrankung versucht haben, bestmöglich zu verheimlichen, weil sie sich für ihr Burnout schämten. Sie schämten sich, weil sie sich im Job komplett überlastet haben! Alles für den Arbeitgeber und dann ab in die Klinik. Seelen brechen wie Oberschenkelhälse, wenn sie überlastet werden. Beide brauchen Zeit zum heilen und wahrscheinlich sind all jene , die sich bei dieser oder jener Tätigkeit einen Knochen gebrochen haben danach etwas vorsichtiger. Aber sind wir das auch im Job, wenn unsere Seele uns die gelbe oder rote Karte zeigt? Ich kenne Menschen die einen, zwei, drei stressbedingte Hörstürze hatten und einfach weiter gemacht haben, weil sie selbst oder andere es von ihnen erwartet haben. So wie die Arbeiter 1886 dafür gekämpft haben, die körperlichen Belastungen ihrer Arbeit auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, so beginnt momentan zaghaft der schon längst überfällige Kampf der modernen Arbeiterschaft für emotional akzeptable Rahmenbedingungen. Denn auch ein “Bandscheibenvorfall der Seele” ist durch kein Gehalt der Welt gerechtfertigt.

Die dunkle Seite von Agilität und New Work

Wie kann es nun also sein, dass wir Unternehmen verändern, agil transformieren, Menschen mehr Gestaltungsraum schenken, mehr Eigenverantwortung und mehr Autonomie und Menschen werden offensichtlich vor genau diesem Hintergrund emotional immer stärker belastet? Wie um alles in der Welt kann mehr Freiraum und mehr Autonomie zu mehr Burnouts führen? Warum gelingt es diesen ach so freien Menschen nicht, besser auf sich zu achten? Ist der Mensch vielleicht doch nicht reif für New Work? Alles absolut berechtigte Fragen.

Zum Tag der Arbeit habe ich mir wieder einmal Frederic Lalouxs Buch “Reinventing Organizations” hervorgeholt. -Meine Bibel einer besseren Welt. Seitdem das Buch vor guten sieben Jahren auf den Markt kam, haben mehr und mehr Unternehmen die (agile) Transformation gewagt, haben ihre Arbeitsmodelle hinterfragt, verändert, Entscheidungsfindungsprozesse dezentralisiert und ihren Mitarbeitenden mehr Freiraum geschenkt. Was jedoch augenscheinlich nicht hinterher kommt ist der tatsächliche kulturelle Wandel. Die Idee der New Work auch so wie sie Laloux beschreibt, setzt ein bestimmtes Menschenbild als Basis für funktionierende „New Work-Strukturen” voraus.

New Work, Agilität und Co. gehen von leistungsbereiten, engagierten, eigenmotivierten Menschen aus. Sie gehen davon aus, dass Menschen den Raum ausfüllen, der ihnen gegeben wird, aus Überzeugung und Eigenmotivation. Die “alte Welt” ging eher davon aus, dass Menschen von außen motiviert werden müssen, wechselwirksam mit Druck und Anreizen. Der Chef sollte am besten hinterm Esel stehen, ihn mit der Peitsche antreiben und gleichzeitig mit einer Angel die Karotte vor die Nase halten, damit er möglichst schnell und weit läuft. Ohne Motivation von außen keine Bewegung. Dass der Esel laufen könnte, weil er Spaß am Laufen hat oder Sinn im Laufen sieht oder gar gerne mit dem Kutscher zusammenarbeitet weil er ihm vertraut, war undenkbar.

Agilität als Burnout-Falle

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich finde mich eindeutig in Lalouxs Menschenbild wieder und auch die allermeisten Menschen die ich beruflich und privat erleben, erlebe ich als ausgesprochen eigenmotiviert. -Eigentlich genau die richtigen Menschen für diese modernen neuen Arbeitsmodelle! Aber was passiert mit diesen Menschen, wenn ihr neues Arbeitsmodell in der Kultur und dem Menschenbild der alten Welt festhängt? - Sie schnappen sich eigenverantwortlich Aufgaben, übernehmen Verantwortung und treiben Themen nach allen verfügbaren Kräften voran. Sie geben 100 Prozent und legen noch eine extra Schippe drauf, weil sie der neue Freiraum zusätzlich motiviert. Gleichzeitig steht der Chef mit der Peitsche hinter ihnen, weil er ja davon ausgehen muss, dass man Menschen stets zusätzlich antreiben muss, Druck ausüben muss und vor ihnen hängen bergeweise Karotten in Form von Incentives. So läuft sich das Eselchen irgendwann tot, weil es sich permanent selbst überholt.

Natürlich gibt es Menschen mit unterschiedlich stark ausgeprägter intrinsischer Motivation und ganz sicher gibt es auch einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die keine besonders große Lust auf Leistung haben. Die alte Welt hat sich an dieser Minderheit orientiert und alle Strukturen sowie auch ihr Menschenbild nach ihnen ausgerichtet. In den eng gefassten Arbeitsstrukturen 1886 war das ganz sicher OK, weil diejenigen, die stark intrinsisch motiviert waren, auf Grund der Strukturen weitaus weniger gefährdet waren, in eine Überlastung zu gehen. Orientieren wir uns auch in den neuen Strukturen unserer Arbeitswelt weiterhin an dieser Minderheit brechen uns Stück für Stück die Hauptleistungsträger, die Kreativen, intrinsisch Motivierten weg, weil sie sich selbst überholen und darüber ins Straucheln geraten. So kann Agilität zu einer Art Katalysator für Burnout werden.

Und jetzt?

In Anbetracht der Kosten, die psychische Erkrankungen Jahr für Jahr mit steigender Tendenz verursachen ist guter Rat absolut nicht teuer. Liebe Unternehmen, macht euch Gedanken darüber, welches Menschenbild euren bunten Codes of Conduct zu Grunde liegt. Liebe Chefs, hinterfragt euch vielleicht einmal ganz kurz selbstkritisch welches Menschbild in euren Köpfen vorherrscht und ob dieses noch zeitgemäß ist. Vielleicht überlegt der ein oder andere sogar, an seinem Menschenbild zu arbeiten. Liebe HRler, braucht es wirklich noch diese Karotten, die wir Menschen vor die Nase halten? Liebe alle, traut euch die Ideen von Vier-Tage-Wochen einmal mitzudenken, ohne Neid und ohne Wenn und Aber.

Seit 1886 hat sich eine Menge getan und ich bin zuversichtlich, dass sich unsere Arbeitswelt auch weiterhin verändern wird. Ich gebe den Traum von der besseren Welt nicht auf, weil ich sicher bin, dass auch diese Welt erfolgreich und produktiv sein wird. Diese neue Welt ist zentrales Thema meiner bewussten schöpferischen Auseinandersetzung. Tagtäglich mache ich mir Gedanken, welchen Beitrag ich leisten kann, um das Drumherum zu gestalten und Kultur zu verändern. Im philosophischen Sinne ist dieser Traum meine Arbeit und tief in mir drin ist dieser Traum auch mein Purpose.

Habt einen schönen Sonntag und einen ebenso schönen Tag der Arbeit.

Eure Constance

Tag der Arbeit

… und der Traum von einer besseren Welt