Integrative Sprachmuster: Das Milton-Modell und die Kunst Menschen zu bewegen

Die Kunst, Menschen zu bewegen

Wir stellen uns vor, der große und unvergessene Martin Luther King hätte seine große Rede damals nicht mit „I have a dream!“, sondern mit den Worten „I have a project!“ zu ihrem mitreißenden Höhepunkt geführt …

Zu allen Zeiten und an allen Orten gab es Menschen, denen es besonders gut gelungen ist, Menschen in Bewegung zu bringen, sie mitzunehmen, ihnen Mut zu schenken. Was all diese Menschen gemeinsam hatten und haben, war und ist die Fähigkeit, viele unterschiedliche Menschen zu erreichen, integrativ zu kommunizieren – eine Fähigkeit, die heutzutage nicht nur Revolutionsführern, sondern auch Führungskräften gut zu Gesicht steht. In Zeiten stetigen Wandels geht es in der Führung zunehmend darum, Menschen in Bewegung zu setzen und sie mitzunehmen.

Martin Luther King hat vor allem mit Bildern gearbeitet, Bildern, die bei allen Zuhörenden Resonanz verursacht haben – egal, ob sie die roten Hügel Georgias, von denen er sprach, genau kannten, weil sie just diese sanften Hügel schon einmal mit eigenen Augen gesehen hatten, oder nicht. Kings Worte erzeugten innere Bilder, positiv belegte innere Bilder. Jeder konnte sich vorstellen, wie es aussieht, wenn die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter gemeinsam am Tisch der Brüderlichkeit sitzen. Ich sehe die Szene förmlich vor mir, während ich die Worte in meine Tastatur hacke.

Neben dem Erzeugen innerer Bilder gibt es noch weitere Möglichkeiten, Menschen kommunikativ „mitzunehmen“. Eine, die ich besonders gerne mag, möchte ich euch heute vorstellen.

Das Milton-Modell: Der Weg zu integrativen Kommunikationsmustern

Was kann ich tun, damit das, was ich zu sagen habe, maximal anschlussfähig für meine Zuhörerschaft ist? Hierzu gibt es tatsächlich ein Modell oder rhetorisches Mittel: das sogenannte Milton-Modell.

Benannt wurde das Modell nach dem 1980 verstorbenen Milton H. Erickson, der als einer der besten und effektivsten Psychotherapeuten seiner Zeit galt. Er war so erfolgreich, dass Forschende seinen Kommunikationsstil analysierten, um möglichst genau zu verstehen, was Ericksons Art zu kommunizieren auszeichnete. Eines der Erfolgsgeheimnisse Ericksons war, dass er Menschen ausgesprochen gut erreichte und es ihm schnell möglich war, eine positive Beziehung aufzubauen. Das lag an seinen integrativen oder auch „hypnotischen“ Sprachmustern. Keine Angst, diese Sprachmuster haben nichts mit dem zu tun, was du vielleicht schon einmal in Hypnoseshows im Fernsehen gesehen hast. Aber sicher kennst du diese Momente, in denen du an jemandes Lippen hängst, voller innerer Zustimmung und das Drumherum ausblendend. Du bist da und doch irgendwie abwesend. Die Worte deines Gegenübers haben dich in einen fast meditativen Zustand versetzt, den du vielleicht auch vom Autofahren, Zugfahren, aus Meetings oder während des Lesens eines Buches kennst. In einem solchen Zustand nimmst du das Gesagte deutlich bereitwilliger auf, bist offener und gleichzeitig ziemlich entspannt.

Die Frage ist: Wie bekommst du nun dein Gegenüber und sogar ganze Gruppen von Menschen in einen solchen Zustand? Ganz einfach und ganz schwer: indem du sie genau da abholst, wo sie stehen. Und immer dann, wenn du nicht genau weißt, wo dein Gegenüber steht, oder immer dann, wenn du mehrere Menschen vor dir hast, die alle woanders stehen, ist es hilfreich, wertfrei und vage – um nicht zu sagen, integrativ – zu sein. Ein paar Beispiele machen es vielleicht greifbar.

Wann immer ich in ein besonders wichtiges Gespräch, in einen Vortrag, einen Workshop oder ein Training einsteige, „hypnotisiere“ ich Menschen erstmal in eine positive „Ja-Haltung“. Das hat den Vorteil, dass ich meine Gesprächspartner in eine positive Grundhaltung versetze, und ganz nebenbei erarbeite ich mir einen kleinen Expertenstatus. Denn wer viele richtige Dinge sagt, hat natürlich Ahnung! Das tue ich, indem ich eine „Ja-Straße“ baue. Eine „Ja-Straße“ besteht aus vier bis sechs wertfreien Fakten, denen alle unbedingt zustimmen müssen: „Willkommen im Termin, liebe Kolleg*innen. Es ist Dienstag, fünf nach drei. Wir sind also fast pünktlich zu siebt bei blauem Himmel und Sonnenschein (alternativ auch bei strömenden Regen!) in unserem einstündigen Termin erschienen.

Wichtig: Ich spreche nicht von gutem oder schlechtem Wetter, denn es gibt Menschen, die Regen mögen! Ich spreche auch nicht von einem spannenden Termin oder einem schönen Austausch (Achtung! Reaktanz! – Siehe meinen letzten Artikel). Ebenso wie beim Wetter wäre auch das eine subjektive Bewertung, die zu unterlassen ist. Alle Teilnehmer*innen sollen innerlich nicken können … Trance, Pendel, Ticktack … Du verstehst!

Beispiele für integrative Sprachmuster

Hier ein paar konkrete Beispiele, die dir im beruflichen oder privaten Alltag hilfreich erscheinen könnten:

Zu Beginn eines Meetings:

  • „Vielleicht wisst ihr noch nicht genau, ob die folgenden Inhalte hilfreich oder interessant für euch sein werden …“

Um Aufmerksamkeit zu erlangen:

  • „Jede Information zu diesem Thema kann dazu führen, dass Klarheit und Verständnis zunehmen.“

  • „Es gibt Menschen, die gerne sofort loslegen, und Menschen, die vorher möglichst viele Fakten kennen möchten.“

Motivieren:

  • „Es ist vielleicht nicht ganz einfach, die momentanen Vorbehalte zu akzeptieren und sich dennoch die Erlaubnis zu geben, aktiv mitzuarbeiten.“

Mit Blockaden umgehen:

  • „Um zu wissen, was man will, ist es manchmal notwendig, deutlich zu wissen, was man nicht will.“

  • „Dass so viele von euch jetzt anderer Meinung sind und das auch offen aussprechen, spricht für ein mutiges und vertrauensvolles Team.“

Total integrativ – und jenseits von Präzision

Der große Milton Erickson arbeitete übrigens ähnlich wie Martin Luther King auch mit Bildern, die er bei seinen Patienten erzeugte. Das nur am Rande.

Natürlich kann es in der Kommunikation nicht nur darum gehen, integrativ zu kommunizieren, weich zu zeichnen und den Zuhörern einen möglichst großen Entscheidungskorridor zu eröffnen. Deshalb ist das Milton-Modell auch nur eine Seiter der Medaille. Auf der anderen Seite ist das sogenannte Meta-Modell der Sprache zu finden. Denn so sehr wie wir Menschen uns integriert und abgeholt fühlen möchten, so sehr schätzen wir Klarheit und ein möglichst genaues Verständnis. Beides schafft das Gefühl von Sicherheit. Denn auch das hatte der große Martin Luther King: Absolute Klarheit. Es ist ihm gelungen viele viele Menschen mit einer weichen und bildhaften Sprache dort abzuholen, wo sie eben waren, um ihnen im zweiten Schritt absolut klar aufzuzeigen, wo die Reise hingeht, wenn man sich entscheidet sich ihm anzuschließen. Deshalb gibt es in zwei Wochen an dieser Stelle einen kurzen Ausflug in das Meta-Modell der Sprache. Ich würde mich freuen, wenn ihr euch bis dahin ein wenig im rhetorischen Weichzeichnen ausprobiert und mir sehr gerne auch ein Feedback dazu schickt. Wie leicht oder schwer fällt es euch? Wie reagieren eure Gesprächspartner? Welchen Einfluss haben diese kommunikativen Muster vielleicht auf eure eigene Haltung? ich bin gespannt und freue mich darauf, gemeinsam mit euch in zwei Wochen genauer zu betrachten wofür und wie genau jeder von uns Sprache präzisieren kann.

Eure Constance

Ich habe einen Traum…

… dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können…

Reaktanz! - Das "aus-Prinzip-dagegen-Phänomen" positiv kanalisieren

Reaktanz – Blindwiderstand, der einfach so passiert

Reaktanz ist ein Phänomen, das mich als Coach und Organisationsentwicklerin schon seit Jahren beschäftigt und in gewisser Weise auch fasziniert. Denn bei Reaktanz handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung, sondern eher um einen unbewussten Automatismus, dem wir uns einfach nicht entziehen können.

Der Begriff selbst wurde bereits in den 1960er Jahren vom Sozialpsychologen Jack W. Brehm geprägt und ist ein zentraler Bestandteil der sogenannten Reaktanztheorie, die erklärt, wie Menschen intuitiv auf die Einschränkung ihrer Freiheit reagieren und wie eine solche Einschränkung ihr Verhalten beeinflusst. Hinter dieser „aus-Prinzip-dagegen-Haltung“ steckt also oft viel mehr als frühkindliche Bockigkeit. Wer das Prinzip der Reaktanztheorie versteht, kann diese Reaktion im positivsten Sinne als Frühwarnsystem und Gerechtigkeitssensor nutzen und somit Meetings, Entscheidungen und Teamdynamiken effektiver, stressfreier, positiver gestalten.

Reiz-Reaktion-Reaktanz

In der Psychologie bezeichnet man Reaktanz als emotionale und motivationale Reaktion auf wahrgenommene Einschränkungen oder Bedrohungen der persönlichen Freiheit. Sie tritt immer dann auf, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungsfreiheit oder ihr Handlungsspielraum eingeschränkt werden – also, wenn eine Person das Gefühl hat, etwas nicht mehr tun oder wählen zu dürfen, was vorher möglich war.

Beispiele hierfür sind:

  • Verbote oder Einschränkungen.

  • (Subjektiv empfundene) manipulative Überzeugungsversuche – das heißt, auch wenn etwas ausschließlich stark positiv dargestellt wird. Auch zu deutliche Motivation ruft intuitiven Widerstand hervor!

  • Soziale oder gesellschaftliche Zwänge.

Mögliche Reaktanz-Reaktionen sind:

  • Widerstand gegen die Einschränkung.

  • Wiederherstellung der Freiheit, zum Beispiel durch Trotzverhalten oder bewussten Regelverstoß.

  • Aufwertung der eingeschränkten Option – das heißt, das Verbotene wird plötzlich super attraktiv (wenn du willst, dass ein Kind garantiert an ein heißes Bügeleisen fasst, verbiete es vehement und immer wieder) oder das stark Angepriesene wird unattraktiv und intuitiv abgewertet.

Reaktanz und Gerechtigkeit

Insgesamt hängt Reaktanz sehr eng mit unserem Gerechtigkeitsempfinden zusammen, da beide Phänomene darauf beruhen, wie Menschen Einschränkungen und Ungleichbehandlungen wahrnehmen. Somit ist Reaktanz mitnichten etwas Negatives. Im Gegenteil: Protest- oder Freiheitsbewegungen entstehen oft aus einer Kombination von Reaktanz und dem Gefühl von Ungerechtigkeit (zum Beispiel gegen Diskriminierung oder soziale Ungleichheit) und entwickeln so mitunter eine gesellschaftsverändernde Kraft.

In diesem Kontext ist es besonders interessant, dass Einschränkungen, die als gerecht empfunden werden, oft akzeptiert werden und keinen Blindwiderstand hervorrufen – zum Beispiel eine Regel, die für alle gleichermaßen gilt und alle gleichermaßen benachteiligt. Wohingegen Regeln oder auch Sanktionen, die als ungerecht empfunden werden, garantiert Widerstand auslösen – zum Beispiel, wenn nur ein Teammitglied vom Chef dazu gezwungen wird, Überstunden zu machen, ohne das nachvollziehbar zu begründen.

Sowohl für uns als Gesellschaft als auch für Organisationen oder Unternehmen ist es wichtig, Regeln so zu gestalten, dass sie als gerecht oder fair empfunden werden, um allgemeine Reaktanz (die immer auch zur Einschränkung der individuellen Leistungsbereitschaft beiträgt) zu verhindern.

Reaktanz verhindern?!

Reaktanz zu verhindern ist ein komplexes Unterfangen. Kenne ich den Mechanismus, kann ich mich so aufstellen, dass mein Verhalten oder meine Kommunikation die Wahrscheinlichkeit von Reaktanz verringert.

Insgesamt erfordert der Versuch, Reaktanz zu verhindern, ein sensibles Vorgehen, das auf die Autonomie und die Bedürfnisse der betroffenen Personen eingeht. Respektvolle Kommunikation, die dabei weder überzogen positiv noch überzogen negativ ist, nachvollziehbare Begründungen und das Schaffen von Wahlmöglichkeiten sind hierbei zentrale Elemente.

Wie kann ich das konkret tun? Hier einige ganz praktische Möglichkeiten für dich:

  • Wahlfreiheit betonen: Gib Menschen das Gefühl, eine Wahl zu haben. Anstelle von Formulierungen wie „Das musst du unbedingt so machen!“ oder „Das darfst du keinesfalls so tun!“ bieten sich Formulierungen wie „Es gibt verschiedene Optionen. Eine davon wäre … und eine andere wäre …“ oder „Du selbst entscheidest, wie interessant das für dich ist.“

  • Transparente und rationale Begründungen: Begründe Einschränkungen nachvollziehbar. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist keine nachvollziehbare Begründung.

  • Sanfte Kommunikation: Formuliere Bitten weniger autoritär und sei vorsichtig mit zu großer Euphorie in Bezug auf ein Thema, eine Veränderung, einen Workshop und so weiter. Neutral-positive Kommunikation öffnet Türen. Übertriebene Motivationsversuche können recht schnell Reaktanz auslösen.

  • Partizipation fördern: Mache Betroffene zu Beteiligten! – Ein Zitat, das ich einer Führungskraft, die ich schon länger begleite, „geklaut“ habe! Ich frage mich, wofür sie mich braucht. Wie dem auch sei: Sätze wie „Was denkst du, wäre die beste Lösung?“ oder „Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir das Thema angehen!“ wirken Wunder – übrigens auch ganz speziell in der Erziehung. Reaktanz macht auch vor Kindern nicht halt!

  • Verbote nicht explizit hervorheben! Das mit dem heißen Bügeleisen oder der Herdplatte ist der Klassiker. Auch Erwachsene wünschen sich häufig ganz besonders intensiv, das zu tun, was absolut verboten ist!

  • Empathie zeigen: Zeige Verständnis für die Meinung anderer, auch wenn sie nicht deiner eigenen Meinung entspricht. Zu verstehen heißt nicht zwangsläufig, einverstanden zu sein, öffnet aber ganz sicher Kommunikationswege und reduziert Widerstände.

  • Alternativen anbieten: Mehrere Optionen geben Menschen das Gefühl der Autonomie.

  • Positive Konsequenzen aufzeigen: Fokussiere dich auf die Vorteile einer Entscheidung anstatt auf die Einschränkungen. Ja, alles hat seinen Preis, aber alles hat auch seine Benefits, wie zum Beispiel: „Wenn wir das so machen, gewinnen wir mehr Zeit!“ oder „Diese Regelung hilft uns, das Ziel schneller zu erreichen!“

Vielleicht ist ja etwas dabei, das du gut für dich nutzen kannst. Oder vielleicht hast du ja auch schon eigene Ideen im Kopf, wie du das Reaktanz-Phänomen positiv kanalisieren kannst. In zwei Wochen werde ich an dieser Stelle noch etwas tiefer in die Welt dieser sogenannten integrativen Kommunikationsmuster einsteigen. Es gibt nämlich Menschen, die an sehr breiter Front das Gegenteil von Reaktanz hervorrufen. Vielmehr gelingt es ihnen, Menschen zu aktivieren und mitzuziehen. Diese Menschen sind für gewöhnlich natürliche Meister in der Nutzung integrativer Kommunikationsmuster – oder sie haben diese Muster gelernt! Dazu, wie gesagt, mehr in zwei Wochen.

Abschließend ist es mir nochmal wichtig darzustellen, dass natürlich nicht jede Form von Widerstand und „Dagegen!“ mit einem natürlichen Reaktanzreflex erklärt werden kann. Manchmal wird einfach alles zu viel, und ich will nicht mehr, nichts mehr! – Keine Reaktanz, sondern schlicht und ergreifend die Nase voll! Auch bestimmte Persönlichkeitsausprägungen können zu automatisiertem Widerstand führen und je nach Intensität sogar auf eine tatsächliche Persönlichkeitsstörung hinweisen. Das Feld des Menschseins ist ein sehr breites, und Reaktanz ist selbstverständlich nur eine von vielen Möglichkeiten – aber eben eine recht häufige und gut berechenbare Möglichkeit, die man ganz wunderbar positiv oder konstruktiv kanalisieren kann.

Genießt euren Sonntag!

Eure Constance

Dagegen

Intuitiven Blindwiderstand kanalisieren anstatt dagegen anzukämpfen

Wir rennen und rennen und das Glück rennt hinterher!

Die Suche nach dem Glück

Dritter Advent! Weihnachten steht vor der Tür, und ein Jahresrückblick jagt den nächsten. Wie sieht euer Rückblick auf 2024 aus? War es ein gutes Jahr? Erfolgreich? Glücklich? Je älter ich werde, desto wichtiger wird mir insbesondere der Aspekt des Glücklichseins. Aber was ist das eigentlich, dieses Glück? Für meinen letzten Artikel in diesem Jahr habe ich mich auf die Suche nach dem Glück gemacht. Vielleicht sind ja Ideen dabei, die euch bei eurer eigenen Suche unterstützen!

Meine kleine Abhandlung zum Glück möchte ich gerne mit einem Zitat aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper einleiten, das mich bereits seit Jahren begleitet und mir vor allem eines sagt: Glück lässt sich nicht erzwingen, nicht einfangen:

“Ja, renn nur nach dem Glück. Doch renne nicht so sehr. Denn alle rennen nach dem Glück, und das Glück rennt hinterher.”

Das wirklich Spannende am Glück ist, dass es so viele Ideen davon gibt, was Glück sein könnte, wie es Menschen auf der Welt gibt. So versuchen wir alle danach zu greifen. - Nach unserer Idee vom Glück! Dabei scheint dieses Glück manchmal wie das Ende des Regenbogens: so nah und doch so unerreichbar.

Was ist es, das wir alle so sehr suchen?

ChatGPT erklärt, dass Glück ein komplexer und subjektiver Zustand sei, der von Person zu Person unterschiedlich definiert und erlebt wird. Aristoteles schrieb, dass Glück Selbstgenügsamkeit sei. Für Pessimisten ist Glück die Abwesenheit von Leiden. Hedonisten würden sagen, dass Glück Konsum sei (Schuhe kaufen macht definitiv glücklich!). Albert Schweitzer war der Meinung: Glück sei eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Für Harald Juhnke war Glück: leicht einen sitzen haben und keine weiteren Termine. Für den Neurobiologen ist Glück ein biochemischer Vorgang, der am einfachsten durch die Einnahme von Drogen hervorgerufen wird (Glühwein tut es dieser Tage vielleicht auch!).

Es gibt Länder, die angeblich besonders glücklich oder besonders unglücklich sind. Es gibt Lebensphasen, in denen der Mensch glücklicher ist als in anderen. Am unglücklichsten sind wir wohl zwischen 35 und 54, sagt die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot. Es gibt die Idee, dass Geld glücklich mache. Hierzu sagte der unlängst verstorbene Nobelpreisträger Daniel Kahneman, dass dafür 65.000 Euro Jahresgehalt ausreichend seien. Die Soziologin Hilke Brockmann hingegen sagt, das hänge davon ab, wie viel die Menschen um uns herum so hätten. Ungleichheit mache unglücklich. Mark Twain würde ihr recht geben. Er hat mal gesagt: “Vergleiche sind der Tod des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.” Das ist laut Brockmann übrigens der Hauptgrund dafür, warum die skandinavischen Länder beim Glücksindex stets ganz weit vorne landen: geringe soziale Unterschiede!

Auch in diesem Jahr stehen Finnland, Dänemark, Island und Schweden an der Spitze des World Happiness Reports. Geringe soziale Unterschiede! Was hingegen definitiv unglücklich macht, sind Hunger, Krieg, Korruption und politische Instabilität. Am Ende der aktuellen Glücksliste befinden sich Afghanistan, Libanon, Lesotho und Sierra Leone. Deutschland ist in diesem Jahr übrigens insgesamt von Platz 16 auf Platz 24 (von 143 untersuchten Ländern) abgerutscht. In der Altersgruppe unter 30 liegt Deutschland sogar nur auf Platz 47.

Wir brauchen Glücks-Fakten!

Fakt ist: Die Suche nach dem Glück scheint so alt wie die Menschheit. Allerdings gilt es hierbei zu beachten, dass die Suche nach dem Glück ausgesprochen unglücklich machen kann. Forscher der University of Reading haben anhand einer Studie belegt, dass die Menschen, die sich besonders darum bemühen, glücklich zu sein, am häufigsten am Glück scheitern und ein erhöhtes Risiko haben, an Depressionen zu erkranken. Die Suche nach dem Glück macht also unglücklich?

Dieser Cocktail aus körpereigenen Opiaten, wie zum Beispiel Endorphin, das unser Hirn ausschüttet, wenn es feststellt, dass sein Mensch gerade glücklich ist, hat offensichtlich verdammtes Suchtpotenzial. – Am Ende doch alles Biochemie?

Als ich mich also auf die Suche nach dem machte, was mich auch in diesem Jahr glücklich gemacht hat, tauchte eine These immer wieder auf: Glück ist immer auch eine Entscheidung! Aber ist das wirklich so?

Während meiner Recherchen bin ich zunächst auf die Aussage gestoßen, dass unser Gehirn gar nicht dafür gemacht ist, permanent glücklich zu sein. In den Fünfzigerjahren gab es hierzu eine Studie des Psychologen James Olds, der das Belohnungszentrum von Ratten mit Strom stimulierte, wann immer diese einen bestimmten Hebel drückten. Die Ratten drückten diesen Hebel bis zur Erschöpfung. Sie vergaßen sogar zu essen. Dieses unendliche Glücksgefühl hat sie fast umgebracht. Wer von euch hatte auch schon einmal Phasen, in denen er permanent und fast blind für potenzielle Gefahren auf der Suche nach dem nächsten Kick war? – Am Ende doch alles Biochemie!

Der verrückte Professor und das Glück

Wenn Wissenschaftler sich mit Glück beschäftigen, gehen sie häufig von zwei unterschiedlichen Arten von Glück aus - Ein Ansatz, der mir bei meiner Suche sehr geholfen hat:

  1. Das Glück als Hochgefühl, dieser Kick, dem sich die Ratten in Olds’ Versuch hemmungslos hingegeben haben, weil dieses Hochgefühl ein flüchtiger Zustand ist, der schnell vorbeigeht und einen mit Hunger auf mehr zurücklässt.

  2. Das Glück als Zustand der Zufriedenheit, den wir allgemein in unserem Leben spüren. Im Gegensatz zur ersten Erscheinungsform von Glück ist diese Form von Glück deutlich nachhaltiger.

Vom Glück und der Zufriedenheit

Für den Neurobiologen Gerhard Roth ist diese zweite Glücksform so etwas wie ein Ausgangslevel, von dem aus wir das Hochgefühl des Glücks erleben. Dieses Ausgangslevel ist bei uns Menschen auf unterschiedlichen Niveaus angesiedelt. In Zwillingsstudien wurde festgestellt, dass dieses Ausgangslevel, diese allgemeine Lebenszufriedenheit, in Teilen sogar genetisch bedingt ist. Der Rest hängt zum einen von Umweltfaktoren und Sozialisation ab, aber auch davon, wie wir mit Chancen und Möglichkeiten umgehen. Das heißt, ein Teil dieser Lebenszufriedenheit liegt in unserer eigenen Hand.

Laut Roth halten diese berauschenden Glücksmomente, die Glück Nummer eins hervorruft, bei Menschen mit einem hohen Level an Lebenszufriedenheit (also Glück Nummer zwei) deutlich länger an.

Das ist spannend! Ich sollte also nicht in erster Linie nach dem Glück suchen, sondern lieber erst einmal nach Zufriedenheit, denn je zufriedener ich bin, desto berauschender fühlen sich auch schon winzig kleine Glücksmomente an.

Insgesamt stellte sich Gerhard Roth tatsächlich als dankbare Quelle für meine Glückssuche heraus, habe ich bei ihm doch nicht nur Erklärungen dafür gefunden, was Glück ist, sondern auch, wodurch es hervorgerufen wird. Hierbei unterscheidet er zwischen drei unterschiedlich gelagerten Quellen für Glück:

Die erste Quelle: Materielle Belohnung

(wie zum Beispiel eine Gehaltserhöhung, eine Bonuszahlung oder gar große Geschenke zu Weihnachten). Hierbei wird im Gehirn eine Region stimuliert, die sich Nucleus Accumbens nennt. Diese Region ist ein kleiner Nimmersatt, der recht schnell auf einen Stimulus anspringt, genauso schnell aber wieder abflacht und dadurch ein ausgesprochen vergängliches Glücksgefühl verursacht, das postwendend nach mehr verlangt und dauerhaft nur schwer zu stillen ist. Liebe Chefs, Gehaltserhöhungen oder Boni sind toll, wenn ihr der Meinung seid, dass der Mitarbeiter sich das durch seine Leistung verdient hat. Zur nachhaltigen Motivation ist beides aber total ungeeignet! – Biochemie eben!

Die zweite Quelle: Soziale Belohnung

Anerkennung, Lob oder auch das gefährliche Gefühl von Macht. Hierbei werden Hirnareale stimuliert, die auf einer bewussteren Ebene angesiedelt sind als der nimmersatte Nucleus Accumbens und deshalb auch etwas nachhaltigere Reaktionen lostreten. Doch auch diese Glücksquellen sorgen nicht für dauerhaftes Glück und müssen deshalb immer weiter gefüttert werden. Bei Lob, Respekt und Anerkennung sehe ich das erst einmal unkritisch. Wird der Machthunger jedoch zum Selbstläufer, kann es unschön enden und vor allem die Mitmenschen unglücklich machen.

Die dritte Quelle: Intrinsisches Glück

Die einzige Glücksquelle, die nicht stetig durch ansteigende Dosen an Belohnungen stimuliert werden muss. Roth spricht hier vom sogenannten intrinsischen Glück, das sich direkt mit der eigenen Lebenszufriedenheit verbindet und somit deutlich länger in unserem Leben zu Gast bleibt als all die anderen Glücksformen. Dieses intrinsische Glück hat seinen Ursprung in der Erfahrung, Freude und Sinnhaftigkeit bei dem zu empfinden, was man tut. Hierbei kann es sich um die Familie oder Hobbys, aber auch um die Arbeit handeln. Wirklich glücklich sind eben am Ende die, die nicht das Gefühl haben, ihre kurze Zeit auf Erden sinnlos zu verstolpern!

Vom Glück und der Entschleunigung

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für mich? Auf jeden Fall, dass ich meinen Fokus noch deutlicher und klarer auf das legen möchte, was ich habe und was mich zufrieden macht. Im alltäglichen Rennen ertappe auch ich mich immer wieder dabei, etwas hinterherzulaufen, das mir noch fehlt. So ist es wie in Brechts Dreigroschenoper: Ich renne und renne, und das, was ich habe, was mich glücklich macht, kommt kaum hinterher! Ich möchte meinem Glück erlauben, hinterherzukommen, denn so bin ich weniger abhängig vom Lob und der Anerkennung anderer. Macht scheint weniger verführerisch, und ich mache mein Glück auch nicht von materiellen Dingen abhängig, auf die ich häufig noch nicht einmal direkten Einfluss habe.

Weihnachten steht vor der Tür, und ein Jahreswechsel steht an. Zusätzlich werde ich parallel auch schon wieder ein Jahr älter. Und während die Jahre so an mir vorbeigeflogen sind, habe ich diese magische Zeit rund um die Feiertage stets genutzt, um kurz innezuhalten, dankbar zu sein für all das, was ich habe und was ich erleben durfte, vor allem aber für die Menschen in meinem Leben. Was für ein Glück, auch in diesem Jahr wieder gemeinsam mit ihnen feiern zu dürfen, in Frieden und Wohlstand – keine Selbstverständlichkeit in Zeiten, in denen unser einziger Weihnachtswunsch Frieden sein sollte. Ich stelle mir vor, wie mein Geburtstag wäre, würde ich nicht in Deutschland leben, sondern in der Ukraine, Sierra Leone, im Libanon … Es gibt für mich viele Gründe, dankbar und zufrieden zu sein. So kommt der große Glücks-Hype von ganz allein! Ich muss mir nur die Zeit nehmen, um glücklich zu sein. So leicht gesagt und so schwer getan, wenn der Alltag einen wieder und wieder zu überholen droht.

Ich wünsche euch, dass ihr in den nächsten Tagen und Wochen Räume findet, um aus dem Rennen auszusteigen, euch Zeit zu nehmen – für euch und für eure Liebsten. Ich denke, nichts macht mich so glücklich wie Zeit mit Menschen zu verbringen, die meinem Leben den wahren Sinn geben! Schon gestern Abend hatte ich das große Glück, Zeit mit meiner besten Freundin zu verbringen. Katja ist seit Kindertagen an meiner Seite, in meinen glücklichsten und unglücklichsten Momenten. So war sie in meinem größten Unglück das Glück, nicht alleine zu sein, und in meinem größten Glück der Multiplikator, der den Champagner zum Anstoßen dabei hatte! Ich freue mich darauf, Zeit mit meinem Bruder und mit der Familie zu verbringen. Ich freue mich auf das Strahlen in den Augen meiner Liebsten, wenn sie ihre Geschenke auspacken. Ich freue mich auf ein rauschendes Geburtstagsfest mit meinen Freundinnen und ihren Familien. Ich freue mich darauf, dass viele Kinder unser Zuhause auf Links drehen. Und dann freue ich mich auf Silvester mit meinem Mann – ruhig und besinnlich!

Vielleicht ist Glück ja auch einfach Gemeinschaft, in Verbindung zu gehen, nicht allein zu sein, zu teilen.

Ich wünsche euch auf jeden Fall zauberhafte Feiertage voller Zufriedenheit, gespickt mit großartigen Glücksmomenten und dem Gefühl, kurz aus dem Rennen aussteigen zu dürfen. Ich bin am 12. Januar wieder zurück mit meinem Blog zum Jahresauftakt.

Eure Constance

Ja renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr. denn alle rennen nach dem Glück und das Glück rennt hinterher…

Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr!