Wie Psychologische Sicherheit High Performance auf Teamebene ermöglicht - Zwei Fallbeispiel aus der Luftfahrt

Der Faktor Mensch in der Dynamik und Komplexität der Luftfahrt

In meinem letzten Artikel habe ich euch das Thema Psychologische Sicherheit und insbesondere die Rolle, die Führung in diesem Kontext spielt, „in a nutshell“ umrissen. Ich habe dabei darauf hingewiesen, dass es in diesem Artikel nun darum gehen soll, die praktischen Auswirkungen von subjektiv empfundener Sicherheit zu betrachten. Dazu habe ich euch zwei Fallbeispiele aus der Luftfahrt mitgebracht. Das zweite Beispiel hatte ich auch dabei, als ich in dieser Woche zum nun schon dritten Mal an der Universität in Maastricht zu Gast war. Auch in meinem Workshop für Studierende im Masterstudiengang “Learning & Development in Organisations” ging es darum, welche Rolle Psychologische Sicherheit im Kontext von hochdynamischen und komplexen Umfeldern spielt und wie es der Luftfahrt als Vorreiter seit Jahrzehnten gelingt, dieses Phänomen so zu etablieren, dass Fliegen immer sicherer wird – weil es Menschen zunehmend gelingt, nicht nur in sich selbst, sondern auch in ihr Team zu vertrauen.

Sioux City – oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung in Kombination mit Vertrauen gehen wir zurück zum 19. Juli 1989. Wir befinden uns an Bord einer DC-10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles verläuft normal. Auffällig ist lediglich, dass an diesem Tag besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind, da United zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm anbot. Doch zurück zum Flug: Alles läuft unspektakulär ab, bis ein lauter Knall die Crew aus ihrer Routine reißt. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung höchstens einer der Passagiere – dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind, wodurch das Flugzeug nicht mehr steuerbar ist. Ein solches Problem war in Trainings nicht vorgesehen, da man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (von denen nur eines benötigt wird; die anderen zwei dienen der Redundanz) gleichzeitig ausfallen könnten. Doch an diesem Tag ist genau das passiert. Der Grund: Ein Fanlaufrad eines Triebwerks war gebrochen, und die Fragmente hatten die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlagen.

Nun sitzt Kapitän Alfred „Al“ Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Eine verdammt ernste Situation. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und berichtet, dass ein Passagier sie angesprochen habe. Er sei DC-10-Fluglehrer und glaube, er könne bei diesem Problem vielleicht helfen.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfällen Passagiere ins Cockpit lassen. Doch Kapitän Haynes ist sich bewusst, dass er jede mögliche Ressource nutzen muss, um die Überlebenschancen zu wahren. So sitzen schließlich vier Personen im Cockpit: Kapitän Haynes, sein Erster Offizier, sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam entwickeln sie eine Möglichkeit, das Flugzeug mithilfe der Triebwerksschübe zu steuern: Mehr Schub auf der rechten Seite für eine Linkskurve, mehr Schub links für eine Rechtskurve. Das klingt einfach, ist aber extrem herausfordernd. Dennoch gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen von Sioux City zu landen. Bei der Landung zerbricht das Flugzeug in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben, 185 Menschen überleben.

Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen „Katastrophenflug 232“ mit Charlton Heston als Kapitän Haynes verfilmte? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, darunter Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Simulator diese beschädigte DC-10 zu landen – alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines einzelnen Piloten, sondern durch außergewöhnliches Teammanagement und das Vertrauen von Kapitän Haynes in einen Fremden gerettet. Manchmal ist Vertrauen eine Entscheidung – und diese hat oft mit Demut zu tun.

Kapitän Haynes ist im September 2019 im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew-Ressource-Management- oder Human-Factors-Schulungen waren, durch die er begriff, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er verstand, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat Al Haynes sich entschieden, zu vertrauen. Und wenn eine Führungskraft sich entscheidet, zu vertrauen, legt sie den Grundstein für eine Kultur des Vertrauens im Team – und damit für weit überdurchschnittliche Leistungen.

Wie gut seid ihr, insbesondere die Führungskräfte unter euch, bedingungslos zu vertrauen? -Und damit den Grundstein für eine Kultur der Psychologischen Sicherheit zu legen?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Qantas Airways, auf dem Weg von Singapur nach Sydney. Neben den 440 Passagieren befindet sich eine 29-köpfige Besatzung an Bord. Allein im Cockpit sind an diesem Tag fünf Personen, da Kapitän De Crespigny einer Überprüfung unterzogen wird, bei der ein sogenannter Check-Kapitän seine Arbeit bewertet. Interessanterweise wird auch der Check-Kapitän selbst überprüft, ob er die Überprüfung korrekt durchführt. Man kann sich vorstellen, wie angespannt die Atmosphäre im Cockpit ist: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde man auf diesem Flug wahrscheinlich versuchen, so wenig wie möglich aufzufallen. Der Second Officer, ein Pilot in Ausbildung, betrachtete die Situation sicher auch interessiert, aber eher zurückhaltend.

Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall, und auf einen Schlag gehen im Cockpit mehr als zehnmal so viele Fehlermeldungen ein, wie normalerweise in Notfallsimulationen geübt werden. In der Luftfahrt gilt die Regel, dass in Notfällen ausschließlich der Kapitän des Fluges die Entscheidungsgewalt hat, selbst wenn ranghöhere Piloten anwesend sind. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne bestand darin, dass sie sich sofort unterordneten und in die Fähigkeiten ihres Kollegen vertrauten. So hatte Kapitän De Crespigny den Raum, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können.

Liebe Führungskräfte unter ich euch, ich frage euch erneut: Ist euer Vertrauen groß genug um den Raum für Höchstleistungen zu geben?

Zurück zu den Fehlermeldungen und Systemausfällen: Kapitän De Crespigny unterbricht schließlich die endlose Aufzählung seines Co-Piloten und sagt, er müsse jetzt wissen, was noch funktioniere, um herauszufinden, womit man arbeiten (sprich fliegen) könne. Gemeinsam entwickelt die Crew einen Plan, um das Flugzeug sicher zurück nach Singapur zu bringen. Da auch das System zum Kerosinablassen defekt war, musste der Flieger mit einem viel zu hohen Gewicht landen. Ein sogenanntes Overweight Landing stand bevor.

Die beiden Check-Kapitäne errechnen mithilfe eines Computerprogramms die dafür erforderlichen Landedaten und geben diese weiter um sie in die Bordsysteme einzugeben. Doch der Co-Pilot meldet sich zu Wort und äußert, dass die berechneten Zahlen falsch sein müssten. Trotz seines „untergeordneten“ Ranges wird ihm zugehört – und er hat recht. Der Computer hatte falsche Daten ausgegeben, die beinahe zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny berät sich mit seinen Kollegen und vertraut schließlich auf die Einschätzung des Co-Piloten. Die Zahlen werden angepasst, und der Airbus A380 kann sicher landen. 469 Menschen verlassen das Flugzeug gesund und unverletzt. Nachdem sich der Erste Offizier oder Co-Pilot diese Szenen in den Cockpit Voice Records angehört hat, war er selbst erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit er zwei Check-Kapitänen und der Software von Airbus widersprach. Er sagt, er habe keine Sekunde gezögert, weil er sich absolut sicher gefühlt hatte, kritisch sein zu dürfen.

De Crespigny erklärte später bescheiden, dass es sich um eine Teamleistung handelte, bei der mehrere Gehirne zu einem verschmolzen seien. Doch die Basis für diese Teamleistung war eine Kultur des Vertrauens und der Psychologischen Sicherheit, die jedem Crew-Mitglied ermöglichte, offen und ehrlich zu kommunizieren.

Führung in einer komplexen Welt

Die Luftfahrt ist seit Jahrzehnten ein Vorreiter darin, wie Vertrauen und Teamarbeit außergewöhnliche Leistungen ermöglichen. Vertrauen, das Gefühl subjektiv empfundener Sicherheit im Arbeitskontext, ist die absolute Basis dafür, in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt erfolgreich agieren zu können. Auch außerhalb der Luftfahrt ist Erfolg in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt nicht mehr von Einzelkämpfern abhängig, sondern von Teams, die gemeinsam besser sind als jede Einzelperson. Die Basis für Gemeinsamkeit ist Vertrauen.

Deshalb meine erneute Frage an alle Führungskräfte: Wie viel Vertrauen habt ihr in euer Team? Lebt ihr eine Kultur des Vertrauens – oder sprecht ihr nur davon?

Eure

Constance

Wer hoch hinaus will braucht Vertrauen

… Nicht nur in der Luftfahrt!

Sicherheit und Vertrauen in Phasen der Veränderung - Psychological Safety in a Nutshell

Halt in haltlosen Zeiten

In den letzten Wochen habe ich immer wieder mit Führungskräften und Führungsteams gearbeitet, die ein zentrales Thema beschäftigt: Veränderungen überholen sich gegenseitig. Die Dynamik hat auf allen Ebenen stark zugenommen. Führungskräfte fragen sich zunehmend, wie sie ihre Teams oder Organisationen mitnehmen und „bei Laune“ halten können. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass viele von ihnen die Sorgen und Ängste ihrer Mitarbeitenden nicht nur nachvollziehen können, sondern oft selbst spüren. Denn was bei all diesen Veränderungen häufig auf der Strecke bleibt, ist das Gefühl von Sicherheit.

Was braucht es also, um in einer scheinbar unberechenbaren Welt aktiv, erfolgreich und zielorientiert zu agieren? Es braucht sichere Räume, aus denen heraus man sich den Herausforderungen des Lebens stellen und in die man sich immer wieder zurückziehen kann. Solche sicheren Räume sind auch im beruflichen Kontext unverzichtbar. Die Suche nach diesen führt mich zu einem meiner Lieblingsthemen: psychologische Sicherheit. Diese sicheren Räume, die uns mutig, kreativ und leistungsfähig machen und uns helfen, äußere Veränderungen zu bewältigen, finden wir im Arbeitsumfeld vor allem in unseren Teams – in den Menschen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten.

Mir ist aufgefallen, dass ich schon viel zu lange nicht mehr über dieses wichtige Thema geschrieben habe. Es ist also höchste Zeit!

Psychological Safety in a Nutshell

Psychologische Sicherheit beschreibt ein Klima innerhalb einer Gruppe oder eines Teams, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung zu äußern, Ideen zu teilen, Fehler zuzugeben und Bedenken anzusprechen – ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Zurückweisung, Bloßstellung oder Bestrafung. Der Begriff und das dahinterstehende Konzept wurden vor allem durch die Arbeit der Harvard-Professorin Amy C. Edmondson geprägt.

Laut Edmondsons aktueller Forschung ist eine Kultur der psychologischen Sicherheit der zentrale Bestandteil effektiver Teamarbeit. Und effektive Teamarbeit ist das wichtigste Instrument, um erfolgreich mit einem dynamischen und komplexen Umfeld umzugehen. Dadurch entsteht nicht nur der sichere Raum, den wir alle brauchen. Psychologische Sicherheit fördert auch die Innovationskraft, die essenziell ist, um mit der Dynamik unserer Zeit Schritt zu halten. Zudem bildet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit die Basis für eine offene Fehlerkultur, die dazu führt, dass Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden können – bevor sie größere Schäden anrichten. Nicht zuletzt steigert eine Kultur des Vertrauens das Wohlbefinden und die Gesundheit der Mitarbeitenden.

Wie erkennt man psychologische Sicherheit?

In meiner Arbeit als Beraterin werde ich oft gefragt, wie ich das Maß an psychologischer Sicherheit in einem Team oder einer Organisationseinheit einschätze. Kann man psychologische Sicherheit erkennen? Für mich gibt es vier zentrale Bereiche, die ich bei einer solchen Einschätzung besonders betrachte:

  1. Offenheit
    Ist es erlaubt, Fehler zu machen? Wird bei Problemen nach Schuldigen gesucht oder nach gemeinsamen Lösungen? Dürfen der Status quo hinterfragt und neue Ideen eingebracht werden?

  2. Konfliktkultur
    Werden Konflikte vermieden, weil sie als negativ wahrgenommen werden? Oder werden sie als Chance für Weiterentwicklung und Diskurs gesehen?

  3. Respekt
    Wird den Unterschieden im Team mit Respekt begegnet?

  4. Lernkultur
    Entwickelt sich das Team gemeinsam weiter – aus Fehlern oder externen Impulsen?

Wie entsteht psychologische Sicherheit?

Eine weitere häufige Frage in meiner Zusammenarbeit mit Führungskräften ist: „Wie kann man psychologische Sicherheit schaffen?“

Die Wahrheit ist: Psychologische Sicherheit kann man nicht mit Maßnahmen A, B, und C initiieren. Sie lässt sich nicht einfach „erschaffen“. Aber es ist möglich, Rahmenbedingungen zu gestalten, die ihre Entstehung fördern. Hier tragen Führungskräfte eine besondere Verantwortung, denn ihr Verhalten beeinflusst das Sicherheitsgefühl der Mitarbeitenden direkt. In stürmischen Zeiten blicken Teams auf die Führung – auf ihre „Kapitänin“ oder ihren „Kapitän“.

Wenn ich an meine Zeit als Flugbegleiterin zurückdenke, kenne ich dieses Gefühl nur zu gut. Es gab Kapitäne, denen ich ohne Zögern in jeden Sturm gefolgt wäre – und ich war damit nicht allein. Die Strahlkraft guter Führung kann ein ganzes Team prägen, besonders in herausfordernden Situationen. Schon damals habe ich mich gefragt, was genau diese Führungspersönlichkeiten auszeichnete und was mich so bedingungslos vertrauen ließ.

Mit Blick auf die Gestaltung psychologisch sicherer Teamkulturen sehe ich acht zentrale Handlungsfelder, die ich gerne mit euch teilen möchte:

Acht Handlungsfelder für Führungskräfte

  1. Vorbildfunktion der Führungskraft
    Offenheit zeigen: Eigene Fehler und Unsicherheiten zugeben.
    Empathie leben: Zuhören, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen.
    Respekt vorleben: Wertschätzend auf andere Meinungen reagieren.

  2. Fehlerkultur etablieren
    Fehler als Lernchancen betrachten, statt Schuld zuzuweisen.
    Offen und ehrlich über Herausforderungen und Schwächen kommunizieren.
    Eine „Blame Culture“ vermeiden.

  3. Kommunikationsregeln festlegen
    Aktives Zuhören sicherstellen: Jedes Teammitglied fühlt sich gehört.
    Eine konstruktive Feedback-Kultur etablieren.

  4. Vertrauen aufbauen
    Verlässlichkeit, Integrität und Diskretion vorleben.

  5. Diversität wertschätzen
    Unterschiedliche Perspektiven fördern.
    Konflikte als Chance für Wachstum sehen.

  6. Gemeinsame Ziele und Werte betonen
    Werte aktiv vorleben, nicht nur in Leitbilder schreiben.

  7. Raum für Fragen und Ideen schaffen
    Formate schaffen, in denen Meinungen und Ideen offen geteilt werden können.
    Experimentierfreude fördern.

  8. Regelmäßige Reflexionen
    Zeiträume für Meta-Gespräche über Zusammenarbeit, Erfolge und Misserfolge schaffen.

Psychologische Sicherheit zu etablieren ist ein fortlaufender Prozess. Eine Kultur des Vertrauens erfordert Pflege, und Führungskräften kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Doch auch die Teammitglieder tragen Verantwortung – sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaft.

In einer Zeit voller Dynamik und Komplexität ist eine Kultur des Vertrauens überlebenswichtig. Ohne sie droht eine Kultur der Angst, die Innovation und Zusammenarbeit lähmt und letztlich den Erfolg von Organisationen gefährdet.

In zwei Wochen werde ich euch ein Beispiel aus der Luftfahrt mitbringen, um die Bedeutung von psychologischer Sicherheit in High-Performing-Teams noch greifbarer zu machen.

Bis dahin freue ich mich auf meinen letzten Einsatz als Human-Factors-Trainerin in der Luftfahrt und auf zwei wunderbare Tage in Maastricht, wo ich erneut an der wirtschaftspsychologischen Fakultät der Universität einen Workshop für Master-Studierende leite. Beide Veranstaltungen stehen ganz im Zeichen psychologisch sicherer Teamkulturen.

Eure Constance

Safety First!

Je stürmischer die See, desto wichtiger das Gefühl, dass da im Notfall ein Rettungsring ist.

Wie merke ich dass ich ausbrenne? - Zwölf Phasen auf dem Weg ins Burnout

Die Sorgen scheinen breit gestreut…

„Wie merke ich denn nun, dass ich ein Burnout bekomme, also wie genau?“ Diese und ähnliche Fragen haben mich nach meinem letzten Blog-Artikel in erstaunlicher Menge erreicht. Es scheint eine berechtigte Frage zu sein, die viele umtreibt. Ja, auch mich! Wer mich kennt, weiß, dass ich mit absoluter Sicherheit das bin, was man als Workaholic bezeichnet. Ich frage mich regelmäßig, ob das alles für mich noch passt und okay ist. Bislang kam ich für mich selbst immer wieder zu der Erkenntnis, dass dem so ist und ich mir keine Burnout-Gefährdung zuschreibe. Ja, ich habe viel zu tun, tue dies mit einem recht hohen Perfektionsstreben, aber ich kann nach getaner Arbeit gut abschalten und nehme vor allem meine Selbstwirksamkeit und somit auch die Sinnhaftigkeit meines Tuns immer wieder wahr. Das verleiht mir Flügel und manchmal auch unglaubliche Superkräfte. Aber bin ich mir deshalb wirklich sicher, dass Burnout für mich kein Thema ist? Wahrscheinlich nicht.

Burnout – ein schleichender Prozess

Ein Burnout ist ein langsamer, schleichender Prozess, der häufig zunächst mit hohem Engagement und Enthusiasmus beginnt. Bin ich engagiert und enthusiastisch, wenn ich auf meinen Beruf, den ich gerne auch als Berufung bezeichne, blicke? Oh ja! Und wie! Genau hier beginnt der Ritt auf der Rasierklinge. Getrieben von Enthusiasmus und Engagement verzichtet man vielleicht auf einen pünktlichen Feierabend, auf Erholungsphasen, Hobbys, Dinge, die guttun.

Betrachtet man dies rein physiologisch, ist es nicht der Hochstress, der uns krank macht. Unser Körper ist sogar auf regelmäßige hohe Belastungen ausgelegt, jedoch nur im Wechsel mit Entspannung und Ruhephasen. Verzichte ich aus Freude und Übereifer (oder aus dem Gefühl, dringend gebraucht zu werden, unabdingbar zu sein, die Welt retten zu müssen oder aus Angst, den Job zu verlieren) auf diese Erholungsphasen, kann die Stimmung schnell umschlagen: Im Zuge allgemeiner körperlicher und geistiger Erschöpfung wird aus Engagement und Enthusiasmus Zynismus und Gleichgültigkeit und daraus vielleicht depressive Episoden oder eine Überlastungsdepression. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen und ist deshalb oft schwer greifbar.

Zwölf Phasen – Struktur im Gefühlschaos

Herbert Freudenberger und später auch Matthias Burisch beschreiben diesen oft langen Prozess ins Burnout mit einem Zwölf-Phasen-Modell, das ich recht hilfreich finde, um den Gesamtablauf zu betrachten. Auch nach dem Feedback auf meinen letzten Artikel teile ich es gern mit euch. Die Phasen laufen oft langsam und schleichend ab, und nicht alle treten bei jedem gleichermaßen auf. Dennoch bieten die zwölf Phasen wertvolle Orientierungspunkte:

  1. Zwang, sich beweisen zu müssen: Menschen starten oft hochmotiviert mit dem starken Bedürfnis, sich zu beweisen und Erwartungen zu erfüllen – häufig die eigenen hohen Erwartungen.

  2. Verstärkter Einsatz: Um diese Erwartungen zu erfüllen, steigern diese Menschen ihren Arbeitseinsatz, machen Überstunden und opfern Freizeit.

  3. Vernachlässigung eigener Bedürfnisse: Persönliche Bedürfnisse wie Pausen oder Hobbys werden vernachlässigt. Die Arbeit steht im Fokus.

  4. Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen: Anzeichen von Überforderung und Konflikte werden ignoriert. Man redet sich ein, die Situation im Griff zu haben.

  5. Umdeutung von Werten: Interessen und soziale Kontakte werden weniger wichtig. Arbeit wird zur obersten Priorität, andere Werte wie Geselligkeit und Genuss treten in den Hintergrund.

  6. Verleugnung der auftretenden Probleme: Probleme, besonders körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit oder emotionale Erschöpfung, werden geleugnet und als unwichtig abgetan.

  7. Rückzug: Betroffene ziehen sich zunehmend sozial zurück, fühlen sich von anderen unverstanden und isoliert.

  8. Verhaltensveränderungen: Zynismus und Gereiztheit nehmen zu, und Dinge, die früher Freude bereitet haben, verlieren an Bedeutung.

  9. Depersonalisierung: Die Betroffenen entfremden sich zunehmend von sich selbst und ihrer Umgebung, verlieren das Gefühl für ihre Bedürfnisse und Identität.

  10. Innere Leere: Eine anhaltende innere Leere und Gefühllosigkeit machen sich breit. Manche Menschen versuchen, diese innere Leere durch exzessives Verhalten zu füllen, etwa durch übermäßiges Essen, Alkoholkonsum oder übermäßiges Joggen.

  11. Depression: Anhaltende Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Apathie treten auf. Die Betroffenen fühlen sich wertlos und ohne jede Perspektive.

  12. Völlige Erschöpfung: Dies ist das Endstadium des Burnouts, das als körperlicher und psychischer Zusammenbruch erlebt wird. Ein normaler Alltag ist hier nicht mehr möglich.

Wo stehe ich? Wo stehst du?

Diese Phasen lesen sich klar, doch steht hinter jeder eine komplexe Gefühlswelt, die es situativ zu beachten gilt. Eine zwölfte Phase, den Zusammenbruch, habe ich einmal von außen miterlebt und war völlig überrascht, überfordert und hilflos. Deshalb ist es mein Ziel, frühe Anzeichen zu erkennen und gegenzusteuern – nicht nur als Coach oder systemischer Berater, sondern auch für mich selbst. Ich kenne Momente, in denen ich sicher schon in der dritten Phase unterwegs bin und eigene Bedürfnisse zurückstelle. Nicht, weil ich glaube, das tun zu müssen, sondern weil ich es so entscheide, weil mir meine Arbeit so viel Spaß macht, so wichtig ist. Nicht nur äußerer Druck bereitet den Weg ins Burnout, auch hohes Engagement und Euphorie können in Überlastung führen.

New Work – ein Turbolader für Burnouts?

Dass hohes individuelles Engagement und der Wunsch, sich zu beweisen, den Einstieg in die Burnout-Spirale erleichtern, lässt mich besonders mit Blick auf „New Work“ aufmerksam werden. Agiles Arbeiten und das, was wir als “New Work” bezeichnen, basieren auf Eigenverantwortung und Selbststeuerung der Mitarbeitenden. Wie schön: Wir haben mehr Freiraum! Wie gefährlich: Da ist kein Chef mehr, der darauf achtet, was ich wann, wie und in welchem Umfang tue… Diese neue Realität in Organisationen öffnet die Tür zur Überlastung, besonders für hochmotivierte Top-Performer.

Jede Führungskraft sollte diese zwölf Phasen kennen und mit Argusaugen darauf achten, dass die Mitarbeitenden eine Balance zwischen Leistung und Entspannung finden. Das ist heute eine Kernaufgabe von Führungskräften. Wir können das Rad nicht zurückdrehen. Arbeitswelten verändern sich. Die Komplexität und Dynamik unserer Zeit erfordern ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Selbststeuerung. Die gute alte Zeit, in der der Chef wusste, wie es geht, die Lösung hatte und bis ins Detail steuern konnte (und so für ausgewogene Auslastung sorgte), ist vorbei. Führung muss sich weiterentwickeln und an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden anpassen. Manchmal habe ich die Ehre, Führungskräfte zu begleiten, die dies erkannt haben und die Erkenntnis wirksam in die Tat umsetzen. Diese Aufklärungsarbeit ist aus meiner Sicht eine wichtige und wertvolle Form der Burnout-Prävention, bei der Business Coaches unterstützen können. Das alte Motto, die Zitrone auszupressen, so gut und so lange es geht, ist überholt. Heute geht es darum, die Zitrone zu pflegen und den Baum, an dem sie hängt, zu wässern und zu düngen. Unternehmen sind mehr denn je auf gesunde und leistungsfähige Mitarbeitende angewiesen.

Auf der Ebene der Mitarbeitenden ist es wiederum wichtig, sie dabei zu unterstützen, nicht nur Eigenverantwortung für ihr Arbeitsumfeld und ihre Aufgaben zu übernehmen, sondern auch für sich selbst, für ihre Belastungskurve und ihre emotionale Gesundheit. Häufig sind die Themen Abgrenzungsfähigkeit und Selbstwert oder Selbstliebe dabei zentrale Punkte, an denen ich immer wieder mit meinen Kunden arbeite.

Ich wünsche euch auf jeden Fall einen entspannten Sonntag – ganz ohne Leistungsgedanken und mit ganz viel Spaß, Geselligkeit und Genuss!

Eure Constance

Der lange Weg in den Nebel

Denn Burnouts treten nicht über Nacht auf