Fünf Dysfunktionen (agiler) Teams und die Frage nach dem Huhn oder dem Ei

Teams an ihren Grenzen

In Scrum Umgebungen spricht man gerne von fünf Dysfunktionen, die dazu beitragen, dass ein Team nicht erfolgreich agieren kann:

  1. Mangel an Vertrauen

  2. Angst vor Konflikten

  3. Fehlendes Engagement oder Commitment

  4. Scheu vor Eigenverantwortung innerhalb des Teams

  5. Fehlende Ergebnis- oder Zielorientierung

Selbstverständlich sind diese fünf Killer-Facts für ein erfolgreich agierendes Team nicht erst mit der Erfindung von Scrum aufgetaucht. Bereits seit den siebziger Jahren ist der Mensch und die menschliche Leistung zunehmend in den Fokus geraten, wenn es darum ging, die Frage zu beantworten, warum es Organisationen und Teams gibt, die bei vergleichbaren Voraussetzungen erfolgreicher sind als andere. Die Idee des Humanvermögens eines Unternehmens war geboren.

Mit steigender Dynamik und Komplexität des Marktumfeldes war es nicht mehr nur der einzelne Mensch, der im Fokus der Berater und Erfolgsforscher stand, sondern das Team. Im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung wurde nämlich schnell klar, dass ein einzelner Mensch nicht mehr in der Lage sein würde, schnell genug und mit ausreichendem Überblick erfolgreich zu agieren. Erste Trendsetter waren hierbei die sogenannten High Risk Environments wie zum Beispiel die von mir so gerne zitierte Luftfahrt, da in diesen Bereichen Misserfolge absolut sind, nicht relativierbar und auch nicht zu vertuschen. Bereits 1977 kam es in Teneriffa zu einem Flugzeugunglück, dass einem ganzen Industriezweig verdeutlichte, dass es nicht ausreichend ist, die Technik stetig zu verbessern, um Unglücke (also Misserfolge) auszuschließen. Es war die Geburtsstunde des sogenannten Human Factors oder Crew Ressource Management Trainings, dass inzwischen seit etwa 40 Jahren fester Bestandteil der Schulungen für Piloten, Kabinenbesatzungen und zunehmend auch der operationellen Strukturen am Boden ist.

Inzwischen bin ich kein Human Factors Trainer mehr. In meinem neuen Leben als Agile Coach beschäftige ich mich interessanterweise mit ausgesprochen ähnlichen Themen. Ich arbeite mit meinen Teams an deren gemeinsamen Ziel- oder Kundenorientierung, nicht nur weil es Sinn mach das Ziel seiner Arbeit und somit eben auch den Kunden stets im Blick zu behalten, sondern weil ein gemeinsames Ziel das Team zusätzlich eint und zusammenschweißt. Außerdem merke ich immer wieder, dass Eigeninitiative und Eigenverantwortung die absolute Basis dafür sind, in agilen Strukturen erfolgreich sein zu können. Team bedeutet eben nicht eine Gruppe von Menschen, hinter denen man sich verstecken kann. In der Luftfahrt kann mangelnde Eigenverantwortung fatale Folgen haben, in agilen Strukturen bedeutet es mangelnde Innovationskraft und Geschwindigkeitsverlust! - Beides fatal, wenn sich die Welt immer schneller dreht. Wer sich da nicht mit bewegt, bleibt schnell auf der Strecke. Mit dem Thema Eigenverantwortung und Eigeninitiative gehen auch Engagement und Commitment einher. Je mehr ich von dem überzeugt bin, was ich tue, je mehr ich mich mit meiner Arbeit identifizieren kann, je mehr Sinnhaftigkeit ich in meinem Tun sehe, desto mehr Leistung bin ich bereit zu erbringen. Befinde ich mich in einem Team, dass durch ein gemeinsames Commitment geeint ist, nimmt das Team gemeinsam an Geschwindigkeit auf und es geht nicht mehr um persönliche Befindlichkeiten, Eitelkeiten und die ganz persönliche Karriere, sondern vor allem um das gemeinsame Ziel. In der Luftfahrt ist dieses Ziel gemeinsam gesund und munter zu landen.

Warum hat die Angst vor Konflikten sowohl in agilen Strukturen als auch in der Luftfahrt negative Auswirkungen auf die Teamperformance? Menschen die keine Konflikte wollen, vielleicht sogar Angst davor haben, streiten sich doch auch weniger und genau das ist doch gut für ein Team, oder? -Mehr Harmonie! Tja, was soll ich sagen, als Mediator und Konflikt-Sucher?! Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Menschen in einem Team gemeinsam arbeiten können, ohne Konflikte zu haben. Die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind da und nur weil sie aus Angst vor einer vermeidlichen Eskalation ignoriert werden, sind sie trotzdem nicht weg. Sie bleiben wie unsichtbare aber spürbare rosa Elefanten im Raum und beeinflussen die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. All das totgeschwiegene und nicht gesagte sorgt dafür, dass ich unsicher bin, anders kommuniziere und mich permanent in Alarmbereitschaft befinde. Da bleibt nicht viel Kapazität für außergewöhnliche Leistungen. Hinzu kommt, dass man im Bereich der High Performance Teams sogar nach einer möglichst heterogenen Gruppe von Menschen sucht, um eine größtmögliche Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven, Ansätze, Wahrnehmungen, etc. zu vereinen. Davon profitiert das Team jedoch nur, wenn man eben genau darüber diskutiert, ohne Angst davor, jemanden zu widersprechen, oder selbst widersprochen zu bekommen. In der Luftfahrt stellt man aus genau diesem Grund dem Piloten nicht nur einen Autopiloten zur Seite, sondern mindestens noch einen weiteren Piloten. Die Dynamik und Komplexität in der Luftfahrt ist so groß, dass eine zweite Meinung oder Perspektive ausgesprochen wertvoll für einen bestmöglichen Entscheidungsfindungsprozess ist.

Vertrauen und Psychological Safety als Basis für funktionierende Teams und Organisationen

An all diesen Punkten kann man als Human Factors Trainer oder Agile Coach arbeiten. Jeder einzelne von uns kann daran arbeiten. Jedoch gibt es eine absolute Grundvoraussetzung dafür, dass diese Arbeit auch von Erfolg gekrönt ist. Diese Grundvoraussetzung führt uns schließlich zur ersten Dysfunktion: Mangel an Vertrauen. Wenn ich nicht Vertraue, werde ich potenzielle Konflikte nicht ansprechen, ich werde mich nicht committen, weil ich mich unwohl fühle, ich werde keine Eigenverantwortung übernehmen, weil ich Angst davor habe, Fehler zu machen und weil ich ständig auf der Hut sein werde, werde ich auch nicht in der Lage sein, mich stets auf ein gemeinsames Ziel zu fokussieren, da ich mich ja darauf fokussieren muss, auf mich selbst aufzupassen.

Die Basis aller Dysfunktionen in Teams ist ein Mangel an Vertrauen, oder ein fehlendes Sicherheitsgefühl. Es ist dieses Sicherheitsgefühl, dass die Harvard Professorin Amy C. Edmondson als Psychological Safety beschreibt und das für sie die Basis jeder High Performance ist. Google beschreibt Psychological Safety als den absoluten Grundbaustein ihres Unternehmenskodex, da der Rest ohne das Gefühl von Sicherheit nicht funktioniere. Und ich, als Coach, Trainer, Mediator habe gelernt, dass ich, wenn ich mit Teams oder Organisationen daran arbeiten möchte, in die Sphären der High Performance aufzusteigen, muss ich zunächst am Sicherheitsgefühl, der Psychological Safety arbeiten. Ohne dieses Gefühl gibt es keine Feedbackkultur, auch wenn ich allen ausführlich erklärt habe, wie Feedback technisch funktioniert und warum es wichtig ist. Es gibt keine Fehlerkultur, auch wenn jeder weiß, dass es eigentlich wichtig ist, aus Fehlern zu lernen. Es gibt keine Eigenverantwortung und auch das Engagement wird nie bei hundert Prozent sein, wenn ich mich nicht sicher fühle.

Die Gretchenfrage

Die absolute Gretchenfrage ist nun natürlich wie man in einem Team, oder am besten in einer ganzen Organisation zu diesem Gefühl gegenseitigen Vertrauens, bzw. diesem Gefühl von Sicherheit, das Edmondson als Psychological Safety beschreibt, kommt. Wann fühlt ihr euch denn im beruflichen Kontext absolut sicher? Was braucht ihr, um absolutes Vertrauen in euch, euer Umfeld und in das was ihr tut, zu haben? Bei mir kommt dieses Gefühl der Psychological Safety immer dann auf, wenn ich genau weiß, woran ich bin. Wenn ich weiß, was mein Umfeld über das denkt, was ich tue und wenn ich mir ganz sicher sein kann, dass man mir nicht nur sagt, dass das, was ich tue gut ist, sondern auch, wenn man der Meinung ist, dass ich dabei bin, mich auf den Holzweg zu begeben. Ich fühle mich sicher, wenn man mit mir und nicht über mich spricht. Das was ich brauche, um mich sicher zu fühlen, ist Feedback, eingebettet in ein natürlich und funktionierende Feedbackkultur, in der jeder zu jeder Zeit frei und offen sprechen kann.

Henne Babs und die Frage nach dem Huhn oder dem Ei

So weit, so einfach! Psychological Safety braucht also eine lebendige Feedbackkultur. Wenn ich euch jetzt jedoch bitte, kurz darüber nachzudenken, was ihr braucht, um zu jeder Zeit offen und frei sprechen zu können, wird es kompliziert! Denn eure Antwort wird sicher sein, dass ihr euch sicher fühlen müsst, dass ihr Vertrauen benötigt, sprich Psychological Safety… Wenn wir über Feedbackkultur und Psychological Safety sprechen, führt uns das ziemlich schnell zu dieser uralten Menschheitsfrage: Was war zuerst? -Das Huhn oder das Ei? Das eine bedingt das andere! Was Henne Babs, die mir dankenswerterweise ihr Portrait für diesen Artikel zu Verfügung gestellt hat, völlig egal ist, da dieser Kreislauf in ihrem Fall ganz formidabel läuft, treibt mich als Coach dieser Tage non-stop recht intensiv um! Auf spontane Zellteilung oder göttlich Intervention kann ich auf Organisationsebene sicher nicht hoffen. Diesen Kreislauf muss ich schon selbst irgendwie in Gang bringen. Fakt ist, einer muss eben anfangen! In Organisationen ist es für gewöhnlich die Führungsebene, die aus ihrer Position heraus am ehesten in der Lage ist, einen Kreislauf aus Feedbackkultur und Psychological Safety in Gang zu bringen, indem sie vorlegt. Die Erfahrung zeigt, dass all jene, die im Organigramm nachgeordnet sind, recht schnell nachziehen.

Hierbei gibt es jedoch einen Knoten gordischen Ausmaßes, der vorher gelöst werden will. Denn auch Führungskräfte benötigen dieses Gefühl von Sicherheit, um in eine Feedbackschleife einzusteigen. Leider wird es an der Spitze der meisten Organisationen oft etwas einsam. Wenn ich permanent damit beschäftigt bin, meinen Posten verteidigen zu müssen, aus Angst, da sägt jemand an meinem Stuhl, wenn ich meine Ellenbogen gegen meinen Mit-Führungskräfte einsetzen muss, um mich durchzusetzen und wenn ich stetig Angst davor haben muss, einen Fehler zu machen, weil dieser gegen mich verwendet werden könnte, dann habe ich keine Zeit und keine Lust, mich mit Feedback und Feedbackkultur zu beschäftigen, denn die Kultur, die ich tatsächlich erlebe, ist eine andere.

Das gute alte Teambuilding

Was es braucht, um diesen gordischen Knoten zu lösen, ist eine Gruppe von Führungskräften, die sich als Team versteht, die sich vertraut, zusammenarbeitet, miteinander Probleme löst und nicht die Probleme der anderen für eigene Zwecke ausnutzt. Feedbackkultur und Psychological Safety lassen sich nicht einführen, indem ich erkläre, wie Feedback funktioniert und warum es wichtig ist. -Beides kann auch in Büchern nachgelesen werden. Vielmehr handelt es sich um mühsame, aber auch wunderschöne Arbeit am kulturellen Miteinander innerhalb einer Organisation und beginnt damit, ein Führungsteam zu formen. Rosen brauchen breit gefächerte Wurzeln und einen festen Stamm, damit sie die Jahreszeit gut überdauern, aber sie duften oben, an der Blüte! Ich weiß, das hört sich etwas “cheesy” an, aber ich wollte mir diesen Spruch vom Fisch, der vom Kopf her stinkt, gerne ersparen, bzw. ihn in sein Gegenteil umkehren. Denn an dieser Stelle muss auch betont werden, dass alle nicht-Führungskräfte nicht raus sind aus der Verantwortung für ein Kultur von Psychological Safety und Feedback. Im Gegenteil! Denn im zweiten Schritt braucht es eine breite Basis, die die Impulse, die von oben kommen, auch aufgreifen und mitziehen, die den Wandel mitgehen, proaktiv und eigenverantwortlich. Denn auch zu vertrauen ist manchmal eben eine aktive Entscheidung.

Wie lange so ein Prozess dauert? Keine Ahnung! Aber ganz sicher deutlich länger, als meine Tages-Workshops zu Thema. Je nach individuellen Voraussetzungen eineinhalb bis zwei Jahre, die nachhaltig und ganzheitlich begleitet werden wollen. Allerdings sagt die Erfahrung, dass hierbei der erste Schritt der schwerste ist. Kommt der Ball einmal ins Rollen, wird es leichter, fast wie ein ganz natürlicher Prozess, den man als Coach oder als Trainer einfach nur begleitet.

Zu guter Letzt

So viel für heute von mir. Ich freue mich jetzt auf mein Sonntagsei! Euch wünsche ich einen schönen Tag. Vielleicht gab es bei euch ja heute auch ein Ei zum Frühstück! Oder vielleicht gönnt ihr euch ja heute sogar euer Frühstücksei auswärts. Langsam aber sicher scheint die Welt ja wieder Schritt für Schritt zu öffnen!

Eure Constance

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Henne Babs

… der die Frage nach dem Huhn und dem Ei sicher völlig egal ist!

Führung in Extremsituationen - Agilität an ihren Grenzen?

Agilität - Allheilmittel für alle Fälle?

Agilität und agile Führung oder Servant Leadership sind absolute Trendthemen unserer Zeit. Beides wird nur zu gerne als Allheilmittel für diese so gnadenlose, unbeständige, dynamische und komplexe VUKA-Welt beschrieben. Aber wie viel VUKA darf es denn sein, bis die Ansätze von Agilität und agiler Führung gegebenenfalls an ihre Grenzen kommen, weil eine Situation zu dynamisch wird und am Ende eben doch einer die Verantwortung übernehmen muss?

In der Grundidee von Agilität geht man davon aus, in einem Umfeld navigieren zu müssen, das von hoher Unsicherheit, Komplexität und Dynamik geprägt ist. Auch jede Extremsituation oder Krise ist geprägt von Unsicherheit, Komplexität und Dynamik. Man denke nur an Corona, eine weltweite Extremsituation, die man so noch nie zuvor erlebt hat. Wenn Agilität und agile Führung nun bedeutet, sich flexibel und schnell auf eine neue Situation einzustellen um folglich auch entsprechend schnell zu handeln, dann ist ein agiles Mindset tatsächlich eine Grundvoraussetzung, um in Extremsituationen überhaupt erfolgreich führen zu können. Wer in einer solchen Situation nicht flexibel reagiert und führt, indem er darauf vertraut, dass alle Mitarbeiter eigenverantwortlich, in Teams mit einem hohen Grad an Selbstorganisation reagieren, wird vermutlich scheitern. Die sozialistische Planwirtschaft des Topdown-Managements ist hier zum Scheitern verurteilt.

Agilität an ihren Grenzen

Allerdings erreichen Teams in extremen Situationen oder Krisen häufig sehr schnell die Grenzen der Selbstorganisation. Tobt der Sturm so heftig, dass er droht die Segel zu zerreißen, agieren selbstorganisierte Teams wahrscheinlich zu zögerlich. Was es in dieser Situation braucht sind klare Ansagen und Leitplanken, so wie Handlungsanweisungen und jemanden, der Verantwortung übernimmt. Eigentlich passt das ja überhaupt nicht in die schöne bunte Welt der Agilität. Auf der anderen Seite finde ich, dass es sehr wohl zur Grundidee von Agilität und Servant Leadership passt: Führung fällt situativ dem zu, der die besten Voraussetzungen, Kompetenzen oder die meiste Erfahrung für die jeweilige Situation mitbringt. In einer Studie zu High Performance Teams der TU Chemnitz wird diese Form von Führung als transformational bezeichnet und darf getrost als einer der Schlüssel zu High Performance gesehen werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist jedoch, dass Zuständigkeiten klar geregelt sind. Als Beispiel hierfür führt die Studie der TU Chemnitz unter anderem die Luftrettung an. Hier agieren Teams unterschiedlicher Experten gemeinsam innerhalb eines gesetzten Rahmens. Jeder hat seinen Fachbereich und es ist völlig klar wer den fliegerischen Hut auf hat, wer den medizinischen und wer die größte Kompetenz im Bereich der Rettungstechnik hat. Je nachdem, um was es gerade geht, wechselt die Führung in diesen Teams von einem zum anderen. Zusätzlich hat das Team gemeinsame Regeln, Vorschriften und Anweisungen.

Ein weiterer Aspekt, der Agilität in Extremsituationen an ihre Grenzen bringen kann, ist der Umstand, dass in agilen Umfeldern gerne bis zum Exzess gepredigt wird, dass es darum geht, immer und stets kreativ zu sein, Neues auszuprobieren, Experimente zu wagen, nicht auf bereits ausgetretenen Pfaden zu wandeln und sich stetig neu zu erfinden. Das ist großartig und dafür liebe ich die Idee der Agilität! Allerdings ist es in Extremsituationen und Krisen sinnvoll ein bereits trainiertes und jederzeit abrufbares Handlungsrepertoire zu haben, das einen schnell reagieren lässt, ohne große Denkprozesse. - Quasi eine Art erste Hilfe, die einem die Luft verschafft, um in zweiten Schritt schließlich kreativ sein zu können. Der Wert von Routinen, die Ruhe und Sicherheit im Zustand höchster Dynamik und Komplexität bringen, wird in agilen Strukturen noch häufig unterschätzt. Oft sind es diese Routinen oder auch einfach nur eine klare und bereits im Vorfeld festgelegte Priorisierung, die uns in besonderen Stresssituationen die kognitive Kapazität verschaffen, damit letzten Endes dann doch etwas Großartiges rauskommt.

Flugzeuge und agile Krisen

Ich muss gestehen, dass ich bei meiner Reise durch die Welt von New Work und Agilität immer und immer wieder daran erinnert werde, wo ich her komme und natürlich mache ich immer wieder den agilen Kardinalsfehler (und zwar mit voller Absicht, weil ich es für absolut richtig halte): ich vergleiche, stelle Parallelen fest, schaue mir an, wie man seit Jahrzehnten in der Luftfahrt Dynamik und Komplexität managt, Teams strukturiert und in die Eigenverantwortung und Selbstorganisation führt und natürlich auch, wie Führung in der Luftfahrt geschult und wahrgenommen wird. Natürlich ist die Definition von Erfolg in der Luftfahrt ganz anders als in einer Bank. Aber VUKA ist genau so dynamisch und komplex wie es Flugzeuge sind, die ziemlich flott auf 10 Kilometer Höhe um die Welt düsen! Hinzu kommt, dass sich in diesen Flugzeugen selbstorganisierte Teams befinden, die auf sich gestellt sind, agieren und entscheiden müssen und auch die Art der Führung, wie sie in der Luftfahrt geschult wird, ist nicht wirklich weit weg von dem, was man in agilen Strukturen Servant Leadership nennt. In flachen Hierarchien ist sich der Kapitän jederzeit bewusst, dass seine wertvollste Ressource seine Crew ist, weil einer alleine diese Komplexität der fliegenden Blechdosen niemals überblicken kann. Ein Kapitän ist darauf angewiesen, dass jedes Crewmitglied ein hohes Maß an Eigenverantwortung spürt und wahrnimmt (nennt man Neuhochdeutsch ja gerne Self-Leadership), sich dabei aber jederzeit als Teil eines Teams sieht und sich bewusst darüber ist, dass es in erster Linie immer um den Erfolg des Teams geht und nicht darum, sich selbst zu profilieren.

Ja, Flugzeuge sind anders als Banken und Erfolg sieht in beiden Bereichen ausgesprochen unterschiedlich aus. Aber die Faktoren auf menschlicher Ebene, die eine Organisation erfolgreich machen, sind überall die gleichen und ich stelle fest, dass ich in meiner agilen Welt vieles versuche noch klarer und deutlicher zu implementieren, dass ich auch als Human Faktors Trainer in der Luftfahrt immer wieder gepredigt habe: klare Priorisierung, absolute Transparenz, eine Kultur der psychologischen Sicherheit und eine Führung, die sich vor allem auch darum kümmert, dass das Team bestmögliche Voraussetzungen hat, um Leistung zu erbringen. Hierbei habe ich bereits in den ersten Monaten meiner agilen Reise festgestellt, dass auch agile Teams Leitplanken benötigen und dass man alles das, was sich standardisieren lässt, auch standardisieren und automatisieren sollten. Denn wenn plötzlich ein wirklich wilder Sturm zu toben beginnt, sind es die Automatismen, alles das, worüber wir nicht nachdenken müssen, was uns die kognitive Kapazität gibt, um in Krisensituationen kreativ agieren zu können.

Und Führungspersönlichkeiten braucht es überall

Und wie viel Führung braucht es denn nun in der agilen Welt? Diese Diskussion zwischen Alignment und Autonomy ist allgegenwärtig und was soll man einer Führungskraft, die gerne Servant Leader sein möchte, raten? Nicht einfach! Wobei, eigentlich doch! Wenn der Wind ganz sanft weht und dabei warm die Nase kitzelt, dann läuft der Laden, dann braucht dein Team niemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist. Im sanften, warmen Wind fühlt dein Team sich sicher, agiert routiniert und ist dankbar für den Raum, den du ihm lässt. Wird aus dem Wind ein Sturm, wird die Unsicherheit immer größer, liegen die Dinge anders. Wenn ich nicht mehr weiß, was in dieser unbekannten, dynamischen und vielleicht sogar beängstigenden Situation richtig und falsch ist, suche ich förmlich nach Führung. Lieber Servant Leader, in deiner Berufsbezeichnung steht nicht nur Servant, sondern auch Leader und wenn eine steife Brise anfängt dein Team durcheinanderzuwirbeln, dann ist Führung gefragt. Dann geht es darum, mit deinem Team und für dein Team Strukturen zu schaffen, Prioritäten zu setzen und vielleicht sogar mal darum, zu sagen, wie die Segel zu setzen sind. Keine Angst, das ist nicht “un-agil”. Agil ist zu sehen, was es wann braucht und entsprechend situativ zu agieren. Einen besseren Dienst am Team gibt es nicht! Also nur Mut, lieber Servant Leader!

Bei mir weht übrigens gerade gar kein Wind. Dafür scheint die Sonne und ich gehe wandern! Habt einen schönen Sonntag!

Eure Constance

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Die Ruhe vor dem Sturm?

Manchmal braucht es einen Kapitän auf der Brücke und keinen Kammerdiener

Horizontale und vertikale Kommunikation - von Warren Buffets "Lucky Sperm Club" hin zur holistischen New Work

Kommunizieren über Kommunikation

Über Kommunikation wird gefühlt unendlich viel geschrieben und gesprochen. Es scheint ein Fass ohne Boden zu sein. Und in der Tat, Kommunikation ist extrem vielschichtig und komplex. Trotzdem oder gerade deshalb ist es sinnvoll, sich immer und immer wieder mit allen möglichen Aspekten der Kommunikation auseinander zu setzen. Für mich als Coach, Mediator und Trainer ist Kommunikation irgendwie immer Teil des Problems, jedoch gleichzeitig auch das wichtigste Tool zur Lösung eben dieses! Deshalb beschäftige ich mich heute mit einem Aspekt der Kommunikation, der auf den ersten Blick recht simpel erscheint. Da Männer jedoch bekannterweise vom Mars, Frauen hingegen von der Venus kommen und zwischen Menschen offensichtlich nichts wirklich simpel ist, ist diese Betrachtung von Kommunikation aus der horizontalen und vertikalen Perspektive tatsächlich durchaus mal einen Artikel wert!

Also, was hat es denn nun damit auf sich? Erstmal ganz einfach: Im Kontext einer Organisation versteht man unter vertikaler Kommunikation die Verständigung von Führungskräften und Mitarbeitern, quasi eine Kommunikation die sich über alle Hierarchieebenen erstreckt. Unter horizontaler Kommunikation versteht man die Kommunikation innerhalb einer Hierarchieebene. Hierbei könnte man es nun belassen. Wir alle wissen, dass wir mit den direkten Kollegen anders kommunizieren, als mit dem Chef und alle unter euch mit Führungsverantwortung sind sich natürlich im Klaren darüber, dass die Kommunikation eine andere Qualität hat, wenn ihr die Tür hinter euch zu macht und euer Team unter sich ist.

Und was steckt nun dahinter?

Tatsächlich ist horizontale und vertikale Kommunikation mehr als nur Kommandoton, Informationen “cheftauglich” zu machen oder in der Kaffeeküche zu lästern. Es gibt sie nämlich schon viel länger als es Wirtschaftsorganisationen gibt und interessanterweise kommunizieren wir auch in unserer Freizeit recht gerne horizontal oder vertikal. Das zu mindestens behauptet die Soziolinguistin Deborah Tannen von der Georgetown University. Sie stellt fest, dass Menschen sich generell in zwei unterschiedlichen Sprachsystemen bewegen. So gibt es Menschen die generell vertikal kommunizieren. Diese Menschen sind zunächst vor allem an Rang und Revier interessiert und müssen beides auch kommunikativ abstecken, bevor sie in der Lage sind, sich dem eigentlichen Inhalt der Kommunikation zuzuwenden. Ich denke es ist keine große Überraschung, dass Tannen festgestellt hat, dass nicht ausschließlich, aber vor allem Männer vertikal kommunizieren. Das steckt eben in den Genen. Ein gewisser Prozentsatz Höhlenmensch macht uns ja auch in anderen Zusammenhängen unser Leben nicht einfacher und gelernt ist eben gelernt, über Jahrtausende hinweg!

Und wie kommuniziert man auf der Venus?

Im Gegensatz zu den vertikalen Kommunikationstypen gibt es folglich auch die horizontalen Kommunikationstypen. Bei diesen Typen (die laut Tannen übrigens fast alle weiblich sind!) dreht sich Kommunikation in erster Linie darum, soziale Zugehörigkeiten zu manifestieren und Information auszutauschen. Um das Manifestieren einer bestimmten Rangordnung geht es hier, wenn überhaupt höchstens sehr nachrangig.

Und jetzt?

Diese Unterschiedlichkeit in der Kommunikation ist laut Unternehmensberater und Autor Peter Modler mitverantwortlich dafür, dass Frauen trotz Quote und Support noch immer Exotinnen in der Chefetage sind. Klar, zwischen subjektiv empfunden narzisstischen Selbstdarstellen und den modernen Don Juans kann Frau sich schon mal recht verloren vorkommen. Wo will man da sozial andocken?! Nun könnte man meinen, dass die exklusiven Männer-Clubs dann eben gerne unter sich bleiben und gut ist! Allerdings hat sich in der Gedankenwelt der (männlichen) Chefs in den letzten Jahren eine Menge getan. In Unternehmen geht es zunehmend um “Humanvermögen” und die Frage, wie man die Mitarbeiter in eine Position bringt, die es ihnen ermöglicht, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. -Und Frauen haben ein verdammtes Potenzial. Man(n) wäre dumm es nicht zu nutzen! Das Wichtigste hierbei ist, dass alle Mitarbeiter in ihrer Diversität respektiert und akzeptiert werden. Dazu gehört auch und vor allem, sich darüber bewusst zu sein, dass es der absolute Kardinalfehler ist, anzunehmen, dass andere ebenso denken und ticken wie ich selbst. Genau damit beginnt auch Modlers kleine Gebrauchsanweisung für horizontal kommunizierende Frauen im Business. Modler beschreibt fünf Fehler, die Männer im Umgang mit Frauen im Business unterlassen sollten:

  1. Zu glauben, dass mangelndes Interesse an Rang und Prestige ein Zeichen für mangelnde Kompetenz sein könnte, ist ein Fehler. Es gibt Menschen, für die Rangordnung keine Bedeutung hat und die trotzdem grandios gut sind in dem was sie tun.

  2. Witze über Blondinen, Quotenfrauen, Frauen am Steuer und so weiter und so fort sind Musterbeispiele für vertikale Kommunikation. Sich selbst größer machen, in dem man andere kleiner macht… -Ein ganz altes Spiel! Einfach sein lassen! Auch wenn wir Ladies gelegentlich mit lachen! Im Büro fühlt es sich trotzdem im besten Fall doof, im schlechtesten sogar nachhaltig verletzend an. Auf jeden Fall fühlt man sich außen vor, bei dieser Form der (männlichen) Verbrüderung! Soziales andocken schwer bis unmöglich! Man gehört einfach nicht dazu, auch wenn man den ein oder anderen Witz ganz lustig findet.

  3. Unterbrechungen und dazwischenreden: Was im vertikalen System oft zu eher spielerischen Rangtests genutzt wird, fühlt sich für Menschen, die horizontal kommunizieren, häufig verletzend an, als persönliche Herabsetzung, respektlos. Passiert das zu oft, wird die Person, die horizontal kommuniziert, wahrscheinlich komplett verstummen. Schade, wenn ausgerechnet diese Person das Wissen hat, das man gerade am dringlichsten braucht.

  4. Falsche Bescheidenheit nicht auch als solche wahrzunehmen, ist ein weiterer Fehler, der vertikal kommunizierenden Menschen im Umgang mit horizontal kommunizierenden nur zu gerne unterläuft. “Vertikale” sind nämlich ausgesprochen gut darin, ihre Erfolge klar herauszustellen und angemessen zu feiern. Das ist auch völlig in Ordnung so. Allerdings haben die “Horizontalen” gefühlt fast so etwas wie einen angeborenen Demutsreflex, der sie ihre Leistung sofort relativieren lässt: “Das war nicht nur ich, das war das Team”, “Na ja, das hätte man noch besser machen können”, “Ach, das war kein großes Ding”… Liebe Chefs, lasst das nicht so stehen.

  5. Und abschließend kommt noch ein kleiner Tipp aus dem Bereich der Kommunikation, den wir bislang außen vorgelassen: Körpersprache! Ja, man kommuniziert auch mit dem Körper horizontal oder vertikal! Wir alle erinnern uns an Putins unangemessenes Tätscheln der Schulter unserer Bundeskanzlerin. Ein absolute Dominanzgeste. Vielleicht ganz nett gemeint, jedoch unangemessen! Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich will auf eine andere, weit verbreitete Stilblüte vertikaler Körpersprache heraus: Die Herren lassen sich in ihren Bürostühlen nieder und zwar in einer Haltung die Fachleute die “Cowboy-Sattelhaltung” nennen: breitestmögliche Spreizung der Beine und im besten Fall die Hände noch hinter dem Kopf verschränkt. Der sofortige Reflex bei den allermeisten Frauen ist nicht Bewunderung, sondern instinktives Unwohlsein. Bei einer derart offensichtlichen Versammlung dessen, was Warren Buffet mal als den “Lucky Sperm Club” bezeichnet hat, ist jeder Frau sofort klar, dass sie da niemals wird mitmachen können, rein physisch schon nicht! Soziales andocken unmöglich! Mann, Jungs, vielleicht einfach mal die Beine zusammenlassen!

Denn eigentlich muss man Mars und Venus sprechen!

Menschen mit einer hohen sozialen Intelligenz sind, wenn sie es denn wollen, in der Lage sowohl horizontal, als auch vertikal zu kommunizieren, unabhängig ihrer “Muttersprache”. Nicht mehr und nicht weniger erwarte ich von guten Chefs, sollen sie doch dafür sorgen, dass jeder sein volles Potenzial entfalten kann, zum Wohle der Organisation und auch zum eigenen. Und noch eines erwarte ich von echten Führungspersönlichkeiten: sie sollten niemals die Sprache der anderen Seite ignorieren, oder die eigene Sprache als die richtige oder bessere sehen, geschweige denn die andere Sprache als Schwäche einordnen! Dazu muss man sich im ersten Schritt zunächst einmal klar darüber werden, welche Sprache denn die eigene “Muttersprache” ist. Mir ist das gar nicht so leichtgefallen. Im ersten Schritt habe ich mich für einen der wenigen Menschen gehalten, die tatsächlich zweisprachig sind. Über die Jahre hinweg musste ich mir schließlich eingestehen, dass ich eigentlich recht klischeemäßig horizontal kommuniziere, allerdings habe ich mir mit der Zeit viele vertikale Elemente angewöhnt, weil ich wohl irgendwann festgestellt habe, dass man so geschmeidiger und mit weniger gefühlten Zurückweisungen durchs Leben kommt. Eigentlich fast ein bisschen traurig, wenn man bedenkt, dass Teams vor allem durch die Unterschiedlichkeit ihrer Teammitglieder zu wirklichen High Performance Teams werden. Und trotzdem suchen wir alle nach Gleichheit oder passen uns einfach an. Wertfrei durchs Leben zu gehen ist theoretisch so einleuchtend und praktisch so unglaublich schwer.

Genießt euren Sonntag!

Eure Constance

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Horizontal -Vertikal

Kommunikation ist eben immer Teil des Problems!