Vertrauen

Wie Psychologische Sicherheit High Performance auf Teamebene ermöglicht - Zwei Fallbeispiel aus der Luftfahrt

Der Faktor Mensch in der Dynamik und Komplexität der Luftfahrt

In meinem letzten Artikel habe ich euch das Thema Psychologische Sicherheit und insbesondere die Rolle, die Führung in diesem Kontext spielt, „in a nutshell“ umrissen. Ich habe dabei darauf hingewiesen, dass es in diesem Artikel nun darum gehen soll, die praktischen Auswirkungen von subjektiv empfundener Sicherheit zu betrachten. Dazu habe ich euch zwei Fallbeispiele aus der Luftfahrt mitgebracht. Das zweite Beispiel hatte ich auch dabei, als ich in dieser Woche zum nun schon dritten Mal an der Universität in Maastricht zu Gast war. Auch in meinem Workshop für Studierende im Masterstudiengang “Learning & Development in Organisations” ging es darum, welche Rolle Psychologische Sicherheit im Kontext von hochdynamischen und komplexen Umfeldern spielt und wie es der Luftfahrt als Vorreiter seit Jahrzehnten gelingt, dieses Phänomen so zu etablieren, dass Fliegen immer sicherer wird – weil es Menschen zunehmend gelingt, nicht nur in sich selbst, sondern auch in ihr Team zu vertrauen.

Sioux City – oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung in Kombination mit Vertrauen gehen wir zurück zum 19. Juli 1989. Wir befinden uns an Bord einer DC-10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles verläuft normal. Auffällig ist lediglich, dass an diesem Tag besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind, da United zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm anbot. Doch zurück zum Flug: Alles läuft unspektakulär ab, bis ein lauter Knall die Crew aus ihrer Routine reißt. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung höchstens einer der Passagiere – dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind, wodurch das Flugzeug nicht mehr steuerbar ist. Ein solches Problem war in Trainings nicht vorgesehen, da man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (von denen nur eines benötigt wird; die anderen zwei dienen der Redundanz) gleichzeitig ausfallen könnten. Doch an diesem Tag ist genau das passiert. Der Grund: Ein Fanlaufrad eines Triebwerks war gebrochen, und die Fragmente hatten die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlagen.

Nun sitzt Kapitän Alfred „Al“ Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Eine verdammt ernste Situation. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und berichtet, dass ein Passagier sie angesprochen habe. Er sei DC-10-Fluglehrer und glaube, er könne bei diesem Problem vielleicht helfen.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfällen Passagiere ins Cockpit lassen. Doch Kapitän Haynes ist sich bewusst, dass er jede mögliche Ressource nutzen muss, um die Überlebenschancen zu wahren. So sitzen schließlich vier Personen im Cockpit: Kapitän Haynes, sein Erster Offizier, sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam entwickeln sie eine Möglichkeit, das Flugzeug mithilfe der Triebwerksschübe zu steuern: Mehr Schub auf der rechten Seite für eine Linkskurve, mehr Schub links für eine Rechtskurve. Das klingt einfach, ist aber extrem herausfordernd. Dennoch gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen von Sioux City zu landen. Bei der Landung zerbricht das Flugzeug in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben, 185 Menschen überleben.

Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen „Katastrophenflug 232“ mit Charlton Heston als Kapitän Haynes verfilmte? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, darunter Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Simulator diese beschädigte DC-10 zu landen – alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines einzelnen Piloten, sondern durch außergewöhnliches Teammanagement und das Vertrauen von Kapitän Haynes in einen Fremden gerettet. Manchmal ist Vertrauen eine Entscheidung – und diese hat oft mit Demut zu tun.

Kapitän Haynes ist im September 2019 im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew-Ressource-Management- oder Human-Factors-Schulungen waren, durch die er begriff, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er verstand, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat Al Haynes sich entschieden, zu vertrauen. Und wenn eine Führungskraft sich entscheidet, zu vertrauen, legt sie den Grundstein für eine Kultur des Vertrauens im Team – und damit für weit überdurchschnittliche Leistungen.

Wie gut seid ihr, insbesondere die Führungskräfte unter euch, bedingungslos zu vertrauen? -Und damit den Grundstein für eine Kultur der Psychologischen Sicherheit zu legen?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Qantas Airways, auf dem Weg von Singapur nach Sydney. Neben den 440 Passagieren befindet sich eine 29-köpfige Besatzung an Bord. Allein im Cockpit sind an diesem Tag fünf Personen, da Kapitän De Crespigny einer Überprüfung unterzogen wird, bei der ein sogenannter Check-Kapitän seine Arbeit bewertet. Interessanterweise wird auch der Check-Kapitän selbst überprüft, ob er die Überprüfung korrekt durchführt. Man kann sich vorstellen, wie angespannt die Atmosphäre im Cockpit ist: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde man auf diesem Flug wahrscheinlich versuchen, so wenig wie möglich aufzufallen. Der Second Officer, ein Pilot in Ausbildung, betrachtete die Situation sicher auch interessiert, aber eher zurückhaltend.

Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall, und auf einen Schlag gehen im Cockpit mehr als zehnmal so viele Fehlermeldungen ein, wie normalerweise in Notfallsimulationen geübt werden. In der Luftfahrt gilt die Regel, dass in Notfällen ausschließlich der Kapitän des Fluges die Entscheidungsgewalt hat, selbst wenn ranghöhere Piloten anwesend sind. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne bestand darin, dass sie sich sofort unterordneten und in die Fähigkeiten ihres Kollegen vertrauten. So hatte Kapitän De Crespigny den Raum, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können.

Liebe Führungskräfte unter ich euch, ich frage euch erneut: Ist euer Vertrauen groß genug um den Raum für Höchstleistungen zu geben?

Zurück zu den Fehlermeldungen und Systemausfällen: Kapitän De Crespigny unterbricht schließlich die endlose Aufzählung seines Co-Piloten und sagt, er müsse jetzt wissen, was noch funktioniere, um herauszufinden, womit man arbeiten (sprich fliegen) könne. Gemeinsam entwickelt die Crew einen Plan, um das Flugzeug sicher zurück nach Singapur zu bringen. Da auch das System zum Kerosinablassen defekt war, musste der Flieger mit einem viel zu hohen Gewicht landen. Ein sogenanntes Overweight Landing stand bevor.

Die beiden Check-Kapitäne errechnen mithilfe eines Computerprogramms die dafür erforderlichen Landedaten und geben diese weiter um sie in die Bordsysteme einzugeben. Doch der Co-Pilot meldet sich zu Wort und äußert, dass die berechneten Zahlen falsch sein müssten. Trotz seines „untergeordneten“ Ranges wird ihm zugehört – und er hat recht. Der Computer hatte falsche Daten ausgegeben, die beinahe zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny berät sich mit seinen Kollegen und vertraut schließlich auf die Einschätzung des Co-Piloten. Die Zahlen werden angepasst, und der Airbus A380 kann sicher landen. 469 Menschen verlassen das Flugzeug gesund und unverletzt. Nachdem sich der Erste Offizier oder Co-Pilot diese Szenen in den Cockpit Voice Records angehört hat, war er selbst erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit er zwei Check-Kapitänen und der Software von Airbus widersprach. Er sagt, er habe keine Sekunde gezögert, weil er sich absolut sicher gefühlt hatte, kritisch sein zu dürfen.

De Crespigny erklärte später bescheiden, dass es sich um eine Teamleistung handelte, bei der mehrere Gehirne zu einem verschmolzen seien. Doch die Basis für diese Teamleistung war eine Kultur des Vertrauens und der Psychologischen Sicherheit, die jedem Crew-Mitglied ermöglichte, offen und ehrlich zu kommunizieren.

Führung in einer komplexen Welt

Die Luftfahrt ist seit Jahrzehnten ein Vorreiter darin, wie Vertrauen und Teamarbeit außergewöhnliche Leistungen ermöglichen. Vertrauen, das Gefühl subjektiv empfundener Sicherheit im Arbeitskontext, ist die absolute Basis dafür, in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt erfolgreich agieren zu können. Auch außerhalb der Luftfahrt ist Erfolg in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt nicht mehr von Einzelkämpfern abhängig, sondern von Teams, die gemeinsam besser sind als jede Einzelperson. Die Basis für Gemeinsamkeit ist Vertrauen.

Deshalb meine erneute Frage an alle Führungskräfte: Wie viel Vertrauen habt ihr in euer Team? Lebt ihr eine Kultur des Vertrauens – oder sprecht ihr nur davon?

Eure

Constance

Wer hoch hinaus will braucht Vertrauen

… Nicht nur in der Luftfahrt!

Wer versucht sich alle Türen offen zu halten...

… der läuft Gefahr sein Leben auf dem Flur zu verbringen!

Meine neue Website ist online und damit auch meine neues, schärferes Profil als Coach und Consultant. Die für mich größte Veränderung ist, dass ich nach exakt 25 Jahren Luftfahrt dieser unendlich spannenden Branche den Rücken kehre. Es war zugegeben ein Abschied auf Raten. Schon vor vier Jahren habe ich meine geliebte Condor verlassen und war heilfroh, dass ich weiterhin als Human Factors und Security Trainer nebenbei einen Fuß in der Tür der Luftfahrt hatte. So habe ich mir diese Tür vier Jahre lang erfolgreich offen gehalten. -Aus Wehmut, aus Angst, aus Spaß, aus Unsicherheit… Ich glaube die Gründe waren vielfältig.

Mit meinem Re-Branding habe ich mich entschieden das Kapitel Luftfahrt nun für mich zu schließen. Bin ich wehmütig? -Oh ja! Ist mir die Entscheidung leicht gefallen? -Oh nein! Aber eine kluge Frau und Mentorin hat mir vor einigen Jahren einen Satz mitgegeben, den ich nicht nur in meiner Rolle als systemischer Change Manager immer wieder zitiere: “Keine Veränderung ohne Preis!”. Der Preis, den ich nun zahle, um in meiner Rolle als Coach und Consultant den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen, ist der endgültige Abschied aus der Welt der Flugzeuge, die ich jedoch sicher immer im Herzen tragen werde.

Über Risiken und Chancen

Wer versucht sich alle Türen offen zu halten, läuft Gefahr sein Leben auf dem Flur zu verbringen. Dieser landläufige, flotte Spruch verdeutlicht den verzweifelten versuch, sich alle Optionen offen zu halten, ohne eine klare Entscheidung zu treffen. Letztlich verharrt man dadurch in einem Zustand der Unentschlossenheit oder Passivität, anstatt aktiv zu werden und seinen Weg zu gehen. Aber “Wege entsteh dadurch, dass man sie geht” (F. Kafka). Dieser Spruch ist inzwischen nicht nur zum Motto meines Coaching Instituts geworden, sondern auch zu meinem ganz persönlichen.

Klar, wer immer auf dem Flur bleibt, meidet Risiken. -Ein nicht unerhebliches Argument in unseren gefühlt unsicheren Zeiten. Allerdings verpasst man so auch Chancen und die Möglichkeit, tiefere Erfahrungen zu machen, oder etwas bedeutendes zu erreichen. Das Leben ist nun mal eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten, die wiederum mutige Entscheidungen einfordern, auch wenn das bedeutet, manche Optionen aufzugeben. Ansonsten fliegen diese Möglichkeiten und somit unser Leben einfach so an uns vorbei.

Warum bleiben Menschen manchmal lieber auf dem Flur?

Es gibt sicher mehrere, vielleicht auch gute Gründe, warum Menschen lieber auf dem Flur bleiben, also in einem Zustand der Unentschlossenheit verweilen. Vielleicht kennt ihr diese Flurmomente ja auch aus dem eigenen Erleben. Woran lag es, oder liegt es, dass ihr euch auf dem Flur aufgehalten habt, nicht durch die Tür gegangen seid um euren Weg entstehen zu lassen? Hier eine kleine Liste der häufigsten Gründe für Unentschlossenheit:

  1. Angst vor Fehlern und Konsequenzen: Viele Menschen fürchten, eine falsche Entscheidung zu treffen, die negative Konsequenzen für sie haben könnte. Diese Angst vorm Scheitern oder einem möglichen Verlust lässt sie zögern und kann zu Vermeidungsverhalten führen.

  2. Perfektionismus: Perfektionismus lässt uns oft nach der bestmöglichen Entscheidung suchen. Da es in unserer komplexen Welt selten die eine perfekte Wahl gibt, bleiben Menschen manchmal in der Analysephase stecken, stets auf der Suche nach weiteren Informationen und besseren Optionen.

  3. Überforderung durch zu viele Möglichkeiten: In einer Welt voller Optionen kann die Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten überwältigend wirken. Dieser fast schon als “Tyrannei der Wahl” empfundene Zustand kann dazu führen, dass Menschen sich lieber gar nicht entscheiden, um nicht mit ihrer Wahl einer Option eine andere Möglichkeit auszuschließen.

  4. Mangelndes Vertrauen in die eigene Urteilskraft: Wenn Menschen sich hinsichtlich ihrer Entscheidung unsicher sind, zweifeln sie oft auch an sich selbst. Sie wollen sich alle Optionen offen halten um nicht mit den Konsequenzen ihrer Unsicherheit konfrontiert zu werden.

  5. Verlustangst: Eine Entscheidung bedeutet auch immer sich auf etwas festzulegen und damit andere Möglichkeiten aufzugeben. Es gibt Menschen, die von einer tiefen Angst etwas zu verpassen oder zu verlieren getrieben sind und deshalb lieber in einem Zustand der Offenheit bleiben. Neuhochdeutsch bezeichnet man dieses Phänomen heute als FOMO - Fear of Missing Out.

  6. Sozialer Druck und Erwartungen: Der Wunsch die Erwartungen anderer zu erfüllen, oder wenigstens nicht negativ aufzufallen, kann ebenfalls dazu führen, dass Menschen Entscheidungen meiden oder hinauszögern. Sie wollen es allen recht machen und meiden deshalb klare Positionen,

  7. Unbewusster Gewinn: Manchmal hat das Vermeiden von Entscheidung den Vorteil, dass man keine Verantwortung übernehmen muss, man bleibt in einer bequemen Positionen und meidet das Risiko sich zu exponieren oder gar zu versagen.

Diese Faktoren können alleine oder in Kombination dazu führen, dass Menschen sich schwer tun, eine Tür zu durchschreiten und lieber auf dem Flur bleiben. Um diesen Zustand zu überwinden braucht es Selbstreflexion, Mut und die Akzeptanz, dass nicht jede Entscheidung perfekt sein muss. In meinen Trainings in der Luftfahrt habe ich den Teilnehmenden immer versucht mitzugeben, dass die einzige absolut falsche Entscheidung die ist, die nicht getroffen wird. Denn dafür fliegen Flugzeuge einfach zu schnell! Und wenn mir mal ehrlich sind fliegt auch unser Leben zu schnell an uns vorbei, als dass wir es uns wirklich leisten könnten in abwartender Passivität zu verharren.

Keine Veränderung ohne Preis!

Ich habe meine Entscheidung nun also getroffen und selbstverständlich gab es auch Faktoren, die es mir leichter gemacht haben, das Thema Training und vor allem die Luftfahrt hinter mir zu lassen, meinen Preis zu zahlen.

Ob ich das Fliegen vermisse, hat mich auf meinem Rückflug aus dem Urlaub vor einer Woche eine ehemalige Condor-Kollegin gefragt. Nein, gar nicht! Ich habe etwas gefunden, das mich mich heute so erfüllt, wie es vor einigen Jahren die Luftfahrt getan hat. In meinem Leben ging und geht es in erster Linie um Menschen. Flugzeuge waren hierbei nicht mehr und nicht weniger als ein unglaublich cooles Hilfsmittel. Es sind die Menschen um mich herum, die mich in all ihren Facetten faszinieren. Ich bin neugierig auf die Menschen um mich, möchte über sie lernen und ich möchte verstehen. Das ist es, was mich wirklich antreibt. Und das ist es, was es mir möglich macht, Türen hinter mir zu schließen. Ich kenne mein Ziel, ich weiß wo ich hin möchte, habe meinen Purpose gefunden. Das macht es einfacher, Dinge zurück zu lassen und sie gleichzeitig weiterhin im Herzen zu tragen. -Deshalb volle Kraft voraus in die Richtung, die ich vor 25 Jahren als junge Stewardess in meinem ersten Human Factors Training eingeschlagen habe.

Ich wünsche euch einen schönen, herbstlichen Sonntag.

Eure Constance

Schön, so ein Flur

Aber es wäre doch auch sicher spannend, in das ein oder andere Zimmer hineinzutretet, zu schauen, was es dort gibt!

Führung von unten leicht gemacht! - Das Phänomen der "Unterwachung"

Wer führt, wird geführt!

-Die Frage ist nur durch wen! Selbst in den hierarchischsten Organisationen findet Führung nicht nur in eine Richtung, nämlich in der Hierarchie nach unten, statt, sondern immer auch von unten nach oben. Offiziell und formell werden Entscheidungen zwar an der Spitze der Organisation getroffen aber die Informationen, auf deren Grundlage die Entscheidungen getroffen werden, kommen von “unten”. So hat die Basis eines Unternehmens großen Einfluss auf ihre Führenden. Dieses Phänomen bezeichnete der große Systemtheoretiker Niklas Luhmann als “Unterwachung”. - Eine systemische Dynamik, die für Chefs und Organisationen geradezu überlebenswichtig ist, sagte er. Das tiefe Eintauchen in Themen ist für Führende häufig ein viel zu großer Aufwand und ich als Coach unterstütze daher die Aussage, dass die Führungskraft stets der/die schlechteste Fachexperte oder -Expertin sein sollte. Diese Aussage stammt übrigens von meiner Chef-Chefin und ich liebe sie für diese Haltung! Aber woher kommt dann die Grundlage für viele Entscheidungen? -Richtig, von “unten”!

Wann Führungskräfte wie tief in die einzelnen Themen einsteigen, ist selbstverständlich ihnen überlassen. Allerdings können sie selbst bei größter Detailorientierung ihre Nasen nur in das stecken, was ihren Horizont auch erreicht. Hierbei muss ich direkt an Gunther Schmidt denken, der mich gelehrt hat, die Macht und den Einfluss von Assistenzen nicht hochgenug einzuschätzen und zu würdigen. Sie sind die Türsteher, die gnadenlos filtern. Das tun sie nicht aus Spaß, sondern weil auch sie Luhmanns Theorien unbewusst verinnerlicht haben: “Würden Untergebene alle Probleme nach oben geben, wären ihre Vorgesetzten verloren”, hat Luhmann dereinst geschrieben. Somit haben Assistenzen und Business Manager natürlich immer auch einen kleinen “Schutzauftrag” und bestimmen gleichzeitig die Strategien eines Unternehmens ziemlich machtvoll mit, indem sie die Chefin oder den Chef strategisch “unterwachen”.

Warum wir alle früher oder später “unterwachen”

Sicher gibt es unterschiedliche Gründe für “Unterwachung”. Ich möchte euch gerne drei vorstellen, Vielleicht findet ihr euch ja irgendwo wieder. Ich persönlich habe mich bei allen dreien schon ertappt:

  1. Die Form der “Unterwachung”, die ich gerne als altruistisch bezeichne: Hier geht es um das Wohl der Organisation, der Abteilung oder des Teams. Man unterliegt der Annahme, die ein oder andere Entscheidung nach Möglichkeiten von der Führung fern zu halten, weil man glaubt, die Mitarbeitenden haben einen besseren Blick für die große Gemengelage und ein besseres Verständnis dafür, was auf Arbeitsebene zu tun oder nicht zu tun ist.

  2. Die Form der “Unterwachung”, die ich als strategisch-egoistisch bezeichne: Haben wir nicht alle schon einmal Entscheidungen bewusst in eine Richtung beeinflusst, weil uns diese strategisch und in Hinblick auf unsere eigenen Weiterentwicklung besser passt?

  3. Die Form der “Unterwachung”, die ich als ausgesprochen ressourcenorientiert bezeichne, weil sie zu einem entspannten Arbeitsalltag beiträgt: Halte ich den Chef mit Aufgaben beschäftigt, die mir nicht wehtun, lässt er mich ansonsten in Ruhe vor mich hinarbeiten.

In der Realität treten diese drei Arten für gewöhnlich als Mischform auf, da das eine häufig mit dem anderen zusammenhängt.

Und dann bilden sich “Unterwachungs-Netzwerke”

Da die Zufriedenheit im Team häufig eine wichtig Basis für meinen individuellen Erfolg darstellt und der Wunsch in Ruhe arbeiten zu können, direkt auch auf die Zufriedenheit im Team bzw. das Wohl der Organisation einzahlt, bilden sich für gewöhnlich ganz automatisch und wie von Zauberhand ganze “Unterwachungs-Netzwerke”. Kaffeeküchen oder Kantinen sind hierbei willkommene Geburtshelfer. Inzwischen tun es aber auch Teams-Kanäle oder Skype!

Laut Luhmann lässt sich das Phänomen der “Unterwachung” nicht unterbinden. Es ist eine Dynamik die in dem Moment losgetreten wird, in dem sich Menschen in hierarchisch organisierten Gruppen zusammenfinden und ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Er bezeichnet dieses Phänomen als “brauchbare illegale Verhaltensweise”, die sich jenseits der Formalstruktur einer Organisation ausbildet und einen wertvollen Beitrag dazu leistet, die Organisation am Laufen zu halten. Als Führungskraft würde mir an dieser Stelle erst einmal angst und bange werden. Ist das Ziel doch meistens eher Verantwortung und Macht, vielleicht sogar Kontrolle und weniger Fremdbestimmung in Kombination mit Verantwortung. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich der unterschiedlichen Machtressourcen seines Team bewusst zu sein, um diese entweder für sich zu nutzen, oder bewusst punktuell gegenzusteuern. Generelle Gegensteuerung ist nicht möglich, sagt nicht nur Luhmann!

Teams haben hierbei die Macht, die Themen, die nach “oben” kommen zu filtern. Heute wird dieses Vorgehen auch gerne als “Nudging” bezeichnet: Ich habe eine gewünschte Variante und stelle dieser Variante zwei ziemlich blödsinnige Optionen zur Seite. Die dritte vielleicht ähnlich erfolgsversprechende Variante lasse ich weg, weil sie nicht meinen Wünschen entspricht. Wer trifft hier wirklich die Entscheidung? Die Chefin oder der Chef, oder die Person, die die Optionen auswählt?

Eine weitere Macht ist diejenige, die meine Chef-Chefin geradezu ins Schaufenster stellt, indem sie sagt, dass die Führungskraft für gewöhnlich die schlechteste Expertin oder der schlechteste Experte ist. - Es ist die Macht des Fachwissens. Diese Macht hat sich seit der Veröffentlichung von Luhmanns Systemtheorien in den 70ern und 80ern noch verschärft, da Businesswissen in einer zunehmend digitalen Welt nun auch noch durch IT-Wissen ergänzt werden muss. Luhmann würde nicht skandieren “IT’ler an die Macht!”, sondern “IT’ler an der Macht!”.

Die dritte große Macht über die Mitarbeitende verfügen, ist die, die Perspektive auf das Thema zu bestimmen. Und machen wir uns nichts, vor, wir alle haben schon einmal Informationen cheftauglich eingefärbt!

Die vierte und letzte Macht, die Mitarbeitende in diesem Zusammenhang haben, ist etwas anders gelagert, als die ersten drei, aber ein verdammt spannendes Tool der “Unterwachung”: Es ist die Macht, Probleme bewusst nach oben abzugeben, denn auch Chefinnen und Chefs müssen ja beschäftigt bleiben, nicht dass sie ihre Nase doch in meine Themen stecken…

“Unterwachung” als bewusstes Prinzip der Zusammenarbeit in modernen Unternehmensstrukturen

Tja, liebe Führungskräfte, da bleibt man doch am Montag besser mal im Bett! Man denkt, man führt, gestaltet, hat neben der Verantwortung auch Macht und dann kommt da so ein wild gewordener Soziologe und Gesellschaftstheoretiker daher und führt einem vor Augen, dass man am Ende doch ziemlich fremdbestimmt agiert. Schlimmer noch, es sind die, die wir dachte zu führen, die uns fremdbestimmen und manipulieren! Aber Kopf hoch, die Realität ist deutlich weniger tragisch als sich das Prinzip der “Unterwachung” im ersten Moment liest. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstandsassistentin, die “unterwacht” um auf den Chef aufzupassen. - Ich kannte mal eine, die sogar ein Blutdruckmessgerät in ihrem Schreibtisch hatte. - Für Notfälle. Wie fürsorglich. Und auch ich ertappe mich meistens aus sehr fürsorglichen Gründen dabei, meine Chefin zu “unterwachen”! - Liebe Grüße an dieser Stelle! Ich weiß, dass sie meine Artikel immer mal wieder liest! Und ich weiß, dass die “Unterwachung” meinerseits für meine Führungskraft völlig OK ist. Denn kluge Führungskräfte und kluge Unternehmen sind sich diesem unvermeidbaren Phänomen bewusst und haben es umgedreht um es für sich zu nutzen. Sie nennen es “Empowerment” und bezeichnen es als eine der wichtigsten Antworten auf ein zunehmend dynamisches und komplexes Marktumfeld. Kein Mensch kann mehr alles verstehen, wissen, können, mitbekommen. Es braucht Teams, Teams die Höchstleistungen erbringen. Und schaut man sich an, welche Zutaten ein High Performance Team braucht, findet sich da nicht nur Kommunikation, Konfliktfähigkeit, ein gemeinsames Ziel und kognitive Diversität, sondern auch Eigenverantwortung (also den Mut zu “unterwachen”) und Führung. Es braucht Führungskräfte, die “empowern”, die sich bewusst “unterwachen” lassen, weil sie zum einen wissen, dass es ohnehin stattfindet und zum anderen darauf vertrauen, dass die “Unterwachung” im positivsten Sinne stattfindet, weil sie am Ende doch nicht alles mitbekommen oder wissen können.

Vertrauen, da ist es wieder: Die Basis für Empowerment oder eine positive “Unterwachung”, die eine Organisation erfolgreich am Laufen hält, ist Vertrauen. Bereits in den 1980er Jahren schreibt Luhmann, dass “Unterwachung” am wirkungsvollsten sei, wenn sie in vertrauensvolle Kooperation eingebettet sei, indem “jede Seite, im Interesse der besonderen Macht über den anderen, dessen Macht schont und beachtet.” Danke Niklas Luhmann! Inzwischen wurde Amy C. Edmondson zum zweiten Mal in Folge mit dem Thema Vertrauen, oder Psychological Safety, zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft gewählt und Studienreihen wie das Projekt “Aristoteles” von Google belegen, dass die Leistung eines Teams oder einer Organisation mit dem subjektiv empfundenen Vertrauen der einzelnen Mitglieder anwächst.

Liebe Führungskräfte, ihr könnte “Unterwachung” nicht unterbinden. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass der Versuch der Unterbindung die “Unterwachung” nur noch größer werden lässt. Ihr könnt sie aber umdeuten und aus ihr Empowerment machen. Ja, dieser Schritt braucht Mut, vor allem aber eine vertrauensvolle Teamkultur. An dieser Kultur könnt ihr bewusst arbeiten. - Und sollte ihr nicht so richtig wissen wie, dann unterstützen euch systemische Coaches und Berater wie ich sicher gerne!

Liebe Mitarbeitenden, ihr seid mit Nichten Machtlos! Im Gegenteil, ihr seid sogar sehr machtvoll. Luhmann hätte in diesem Zusammenhang den Tipp, dass Macht auch immer mit Verantwortung einher gehen sollte. Nutz eure Macht, aber nutzt sie verantwortungsvoll, achtsam und im Sinne aller!

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

Unterwachung…

Lass dich nicht zum Narren machen! Wer führt wird geführt.