Unternehmenskultur

Komplizierte Flugzeuge, komplexe Luftfahrt... Wie Soft Skills über den Wolken Leben retten

Alles nur Wortklauberei

Habt ihr euch mal Gedanken darüber gemacht, was der Unterschied zwischen “kompliziert” und “komplex” ist? Freund Duden sagt folgendes:

  • kom/pli/ziert - in seiner Vielfältigkeit, Unübersichtlichkeit o. Ä., schwer zu durchschauen, zu handhaben

  • kom/plex - 1. vielschichtig, viele Dinge umfassend 2. allseitig, umfassend

So weit so gut und eigentlich das Gleiche! -Wirklich? Mit Nichten, meine Damen und Herren. Einer der größten Fehler unserer Zeit ist es, zu glauben dass es sich hierbei im Prinzip um das Gleiche handelt, weil man somit auf beides auch gleich reagiert. Schauen wir uns deshalb mal an, was der Unterschied zwischen komplexen und komplizierten Systemen ist.

Ein kompliziertes System ist vorhersagbar. Es ist zwar schwer zu durchschauen, aber es ist durchschaubar. Allerdings muss man hierfür zu einem Experten werden. In komplizierten Systemen ist die Ursache-Wirkungskette klar zu belegen und sie können von außen kontrolliert werden. So ein Flugzeug ist ein gutes Beispiel für ein kompliziertes System. Wenn etwas nicht funktioniert, kann man dafür eine Ursache finden, allerdings ist das nicht einfach, weshalb man hierfür eine Ausbildung zum Fluggerätemechaniker benötigt. Auch um das komplizierte System Flugzeug von außen zu kontrollieren, benötigt man eine Ausbildung, eigentlich sogar zwei: zum einen die Pilotenausbildung und zum anderen noch ein spezielles Type Rating, eine sogenannte Musterberechtigung, für eben dieses Flugzeug, das man fliegt. Für solche komplizierte Systeme sind Experten Gold wert, weil diese Systeme ohne ihr Fachwissen nicht zu beherrschen oder deren Reaktionen nicht vorherzusagen sind.

Ein komplexes System ist dagegen unvorhersehbar, und steckt voller Überraschungen. Es ist vielschichtig, alles hängt irgendwie zusammen, jedoch ist eine Ursache-Wirkungskette nicht eindeutig identifizierbar, weil es immer mehrere Faktoren sind, die zu einem wahrnehmbaren Outcome führen. Komplexe Systeme kann man vortrefflich von außen beobachte, kontrollieren kann man sie von außen nicht. Sie sind wie lebende Organismen, weil alles zusammenhängt und man diesen Zusammenhang auf den ersten Blick oft nicht erkennt.

Ein komplexes System besteht häufig aus vielen Teilen, die für sich genommen eigenständigen Standards folgen. Diese Teile können durchaus auch komplizierte Systeme sein. Diese komplizierten Flugzeuge sind zum Beispiel ein elementare Bestandteile der Luftfahrt. Doch bereits im Jahr 1977 hat die Luftfahrt verstanden, dass es nicht ausreichend ist, das komplizierte System Flugzeug zu perfektionieren und die Piloten, die es beherrschen sollen, bestmöglich auszubilden, um erfolgreich zu sein. Am 27. März 1977 kollidierten auf dem Flughafen von Teneriffa zwei fehlerfrei funktionierende Jumbo-Jets mit sehr gut ausgebildeten Piloten. Hier der Link zum Blog, der erklärt was passiert ist. Dieser Unfall, bei dem 583 Menschen ihr Leben verloren, sorgte dafür, dass sich eine ganze Branche hinsichtlich ihrer Erfolgsfaktoren hinterfragt hat.

Wie man in komplexen Umfeldern kompliziert scheitert

Man stellte fest, dass es an diesem Tag zu viele Faktoren gab, die von außen nicht kontrollierbar waren: ein Attentat auf dem Flughafen von Las Palmas, das zur Überfüllung des Flughafens von Teneriffa geführt hat, dieser dichte Nebel, der Zufall, dass eben dieser Lotse sich so ausgedrückt hat, dass der Kapitän der einen Maschine es falsch verstehen konnte, dieser zweite Zufall, dass die andere Maschine just zu dieser Zeit über die Startbahne rollte und dass der Co-Pilot sich nicht traute, seinen Kapitän zu hinterfragen und so weiter und so fort… Der Luftfahrtpsychologe James Reason beschreibt diese Verkettung unterschiedlichster Faktoren, die einem Flugzeugunglück immer vorausgehen müssen, in seinem Swiss-Cheese-Model, das ihr ebenfalls im oben verlinkten Blog findet.

Anfang der Achtziger machte sich in der Luftfahrt die Idee breit, dass man die komplizierten Flugzeuge zwar durch Experten fliegen und warten lassen sollte, aber dass deren Expertenwissen nicht ausreichend ist, um auch die komplexe Luftfahrt als Ganzes zu verstehen und entsprechend zu reagieren. Man erkannte, dass die Idee, ein komplexes Umfeld von oben, durch einen Experten, kontrollieren zu lassen, ein Kardinalsfehler war, der an diesem Tag in Teneriffa viele Menschen das Leben kostete. Allerdings war damals zunächst nicht klar, wie man es anders machen könnte. Bis dato kannte man das althergebrachte System, in dem der eine kompetente Experte alle anderen steuert, ihnen sagt, was zu tun ist. Nach dem Unglück von Teneriffa verstand man jedoch relativ schnell, dass es im Prinzip nur eine einzige Instanz gibt, die in einem komplexen Umfeld erfolgreich agieren kann: das Team. Somit war das Unglück von Teneriffa die Geburtsstunde dessen, was die Luftfahrt Crew Ressource Management nennt. Man stellte fest, dass komplexe Umfelder unmöglich von einer einzelnen Person ganzheitlich verstanden und beherrscht werden können. Was man benötigte, war eine neue Form der Zusammenarbeit, der Führung, dem Umgang mit Fehlern und dem Prozess der Entscheidungsfindung. Nicht mehr und nicht weniger. Man implementierte Backup Behavior, Kommunikationsstandards, man akzeptierte, dass Fehler im komplexen Umfeldern nicht zu vermeiden sind und entschied sich deshalb Fehler als systemimmanent zu akzeptieren, um als Organisation aus den Fehlern des einzelnen zu lernen. Vor allem lernten Kapitäne recht schnell, dass sie mutige Crewmitglieder benötigen, die (im Gegensatz zum Co-Piloten in Teneriffa) ihre Gedanken und Bedenken teilen. Nein, noch nicht einmal Kapitäne sind in der Lage, Komplexe Systeme bis ins letzte Detail zu verstehen und zu durchschauen. Allein die Physiologie der Wahrnehmung macht ihnen hier einen deutlichen Strich durch die Rechnung. So verarbeitet unser Gehirn nur etwa fünf Prozent aller Sinneswahrnehmungen. Da ist man doch froh, wenn neben einem selbst jemand sitzt, der fünf weitere Prozent verarbeitet. In einem dynamischen, sich ständig ändernden Umfeld ist das noch immer nicht wirklich viel, aber wenigstens ein bisschen mehr. Als Nicht-Mathematiker darf ich mich zu der Aussage hinreißen lassen, dass man zu zweit immerhin eine doppelt so hohe Erfolgsquote hat!

So lernt die Luftfahrt seit vierzig Jahren immer weiter dazu. Der entsprechende Trainingsleitfaden wird stetig und aktuellen Ereignissen folgen weiterentwickelt, getreu dem Motto Inspect and Adapt. Ganz schön agil sag ich da als Scrum Master! Das wichtigste, was die Luftfahrt jedoch gelernt hat, ist den Wert eines jeden einzelnen Crew Members wahrzunehmen, weil jeder benötigt wird, um erfolgreich zu sein, der erfahrene Kapitän genauso wie die frisch ausgebildete Flugbegleiterin.

Um an dieser Stelle noch ein wenig tiefer einzutauchen, werde ich euch nächste Woche vom 06. Juli 2013 berichten, als auf dem Flughafen von San Francisco eine Boeing B777 der koreanischen Asiana heftig verunglückte, weil die Experten ganz vorne Fehler machten. Der Grund, weshalb dieser Unfall mit drei Toten nicht zu einer Katastrophe mit über 300 Toten wurde, war die Reaktion der Kabinenbesatzung, die in dieser extrem dynamischen Situation im richtigen Moment Verantwortung übernahm und als Team, das leistete, was ein einzelner Mensch, egal wie gut ausgebildet und wie erfahren, nicht zu leisten in der Lage gewesen wäre. Dieser Vorfall führte dazu, dass Flugbegleiter in Korea auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine große Aufwertung erfahren haben. Aber dazu nächste Woche mehr. Für heute soll es das mit Flugzeugen gewesen sein.

Vom Flugzeug in die Welt des Big Business

Letzte Woche wurde ich in einem Gespräch gefragt, was denn für mich der wirkliche Unterschied zwischen traditionellen und agilen Organisationsstrukturen ist. Das war eine gute Frage und ich musste kurz nachdenken. Aber eigentlich ist es klar: das Menschenbild! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass agile Strukturen ihr Humanvermögen, also den Wert ihrer Mitarbeiter, viel bewusster wahrnehmen. In agilen Strukturen kann ich nicht kontrollieren. Ich muss vertrauen. In agilen Strukturen versuche ich nicht, Höchstleistung durch maximalen Druck zu erzeugen, sondern indem ich alles daran setze, dass meine Mitarbeiter sich sicher und wohl fühlen, weil ich davon ausgehe, dass die Menschen in meinem Unternehmen bereitwillig ihr Bestes geben, weil es ihnen wichtig ist, sich einzubringen, zu gestalten und weil sie ein wertvoller Teil der großen Ganzen sein wollen. In agilen Strukturen haben Chefs erkannt, dass sie ohne ihre Teams nichts sind und werden deshalb automatischen zu dem, was man inzwischen Servant Leader nennt.

All jene unter euch, die jetzt darauf warten, dass ich anfange mit Glitzer-Konfetti um mich zu werfen, damit mich dann ein Einhorn abholt, sei gesagt, das ist keine Utopie. Es gibt immer mehr Unternehmen, die sich entschieden haben, anders zu sein. Es gibt immer mehr Chefs, die hochqualifizierte Mitarbeiter nicht mehr für teures Geld anheuern, um ihnen dann genau zu sagen, was zu tun ist, sondern diese Mitarbeiter in die Position bringen, ihr gesamtes Potenzial zu nutzen, indem sie ihnen Gestaltungsraum geben. Es gibt sie, diese Chefs, die die Sache mit dem Humanvermögen und der sozialen Verantwortung wirklich verstanden haben. Und dabei sind diese Chefs auch noch (wirtschaftlich) unfassbar erfolgreich. Ich möchte euch in diesem Zusammenhang Frederic Laloux’ Buch “Reinventing Organizations” ans Herz legen. Laloux stellt diese Unternehmen und ihre Mindsets vor und erläutert ihren Erfolg sehr kurzweilig und anschaulich (diese Werbung ist natürlich unbezahlt!).

Vielleicht eine Utopie, aber der Unterschied zwischen komplex und kompliziert bleibt trotzdem bestehen

Ich weiß, das alles hört sich für unsere Ohren manchmal ein wenig verrückt an. Sicher wird Agilität nicht alles lösen und es gibt auch schon die ersten, die post-agile Strukturen propagieren… Selbstverständlich darf im Dschungel der New Work jeder eine eigene Meinung haben. Und vielleicht ist das mit der Agilität ja auch völliger Quatsch. Was aber bleibt, ist der Unterschied zwischen kompliziert und komplex und an dem einen mit der Medizin für das andere rumzudoktern ist nicht zielführend. Es ist sogar dumm und in der Luftfahrt gefährlich. Wer erfolgreich sein will, muss wissen, mit was er es zu tun hat. Und sollte sich ein System doch eher als komplex herausstellen, gibt es nur eine Lösung: das Team, das Humanvermögen - um nicht von einer vielschichtigen Dynamik überrollt zu werden.

Natürlich darf man auch diesen Soft-Skill-Hokuspokus verteufeln und als nicht Performance-relevantes Beiwerk verstehen. Wir leben ja auch so alle zusammen, kommen auch bei der Arbeit miteinander klar und das läuft doch auch alles, irgendwie, schon immer… Ja, stimmt, das lief auch in der Luftfahrt vor 1977 irgendwie, allerdings offensichtlich nicht so gut. Man muss dem Menschen jedoch tatsächlich erst beibringen, sich in komplexen und dynamischen Situationen gemeinsam mit anderen zurecht zu finden. Von allein tut der Mensch das nicht. Ohne Schulung verhält sich der Mensch genauso, wie es sein Überleben über Jahrmillionen gesichert hat: er schweigt, passt sich an, ist ungeduldig, so stark fokussiert, dass er um sich herum manchmal gar nichts mehr wahrnimmt, er folgt dem Stärksten und Erfahrensten blind und wenn es eng wird, schlägt er entweder zu, oder läuft weg. Das hat sehr lange gut funktioniert. Damals war das Leben kompliziert und gefährlich. Heute ist es komplex und der Mensch muss lernen, sein Potenzial so zu nutzen, dass er auch weiterhin erfolgreich ist. Dass ein solcher Lernprozess erfolgreich sein kann, beweist uns die zivile Luftfahrt tagtäglich. Hier sind Soft Skill Schulungen gesetzlich vorgeschrieben und die Unfallstatistik zeigt, dass sie erfolgreich sind. Zwar ist bei etwa 80 Prozent aller Unfälle und Zwischenfälle in der zivilen Luftfahrt der Mensch dafür verantwortlich, dass es schief ging und geht. Das ist ja auch logisch: ein komplexes Umfeld kann nur durch Menschen, die im Team zusammenarbeiten, beherrscht werden. Und Menschen machen eben Fehler, auch im Team. Betrachtet man sich aber die Statistik der letzten vierzig Jahre, sieht man, dass die Unfälle in der zivilen Luftfahrt signifikant weniger wurden und werden, weil die agierenden Crews immer besser zusammenarbeiten, Backup Behaviour immer konsequenter nutzen. Denn genau das wird ihnen alle Jahre wieder in Schulungen vermittelt. In Hinblick auf die Sicherheit ist die Luftfahrt also immer erfolgreicher geworden. Klar geht es in eurem Arbeitsumfeld wahrscheinlich nicht unbedingt darum, zu fliegen. Aber glaubt mir, Erfolg ist Erfolg und in einem komplexen Umfeld sind es immer die gleichen Faktoren, die einen erfolgreich machen, auch wenn die Definition von Erfolg unter Umständen eine ganz andere ist. Nennt es Agile, nennt es Crew Ressource Management, von mir aus auch Horst oder Uschi… Gebt dem Kind euren ganz eigenen Namen. Orientiert euch an dem, was schon da ist, oder erfindet etwas Neues, das zu eurem Umfeld passt… Alles ganz egal! Aber werdet euch eures Humanvermögens bewusst, eures eigenen und dem eurer Mitarbeiter, Kollegen, Teammitglieder. Denn das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Eure Constance

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Über den Wolken…

Aerodynamik oder Zauberei? Auf jeden Fall komplex!

Was Piloten meinen, wenn sie von CRM sprechen und was (nicht nur) Ärzte daraus lernen können

Die Krux mit den Akronymen: weil CRM nicht gleich CRM ist

Während in weiten Teilen der Wirtschaft CRM dafürsteht, wie man die Beziehung zu seinen Kunden managt (was sicherlich auch indirekt überlebenswichtig für ein Unternehmen ist) hat CRM in der Luftfahrt tatsächlich eine direkt überlebenswichtige Bedeutung. Bei Flugzeugbesatzungen steht CRM nicht für Customer Relationship Management sondern für Crew Ressource Management. Was ist das und warum rettet das Leben?

Als die Technik immer zuverlässiger wurde

Mit Beginn der kommerziellen Luftfahrt hat man schnell festgestellt, dass man die Flugzeugtechnik dringend verlässlicher gestalten muss, um Ausfälle, Zwischenfälle und Unfälle zu vermeiden. Vorläufiger Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war der 9. Februar 1969 als der Jumbo, die Boeing 747, ihren Jungfernflug hatte. Die Luftfahrttechnik machte Quantensprünge und man fühlte sich an Bord der großen Verkehrsflieger immer sicherer. Doch dann kam das Jahr 1977, in dem zwei technisch perfekt funktionierende Jumbo Jets auf dem Flughafen von Teneriffa zusammenstießen und 583 Menschen auf einen Schlag ihre Leben verloren. Wer mehr über diesen schwarzen Tag der Luftfahrt wissen möchte, findet hier den Link zu einem älteren Artikel, der die Ereignisse dieses Tage ein wenig ausführlicher darstellt. Für heute soll die Erkenntnis reichen, dass es an diesem Tag nicht die Technik war, die versagt hat, sondern der Mensch. Dabei stellte man interessanterweise fest, dass diese Menschen, die versagt haben, sich eigentlich so verhalten haben, wie es Menschen üblicherweise tun: sie waren ungeduldig, glaubten, der andere würde das, was sie sagten, auch so verstehen, wie sie es meinten, sie glaubten, dass der Chef natürlich wusste was er tat und natürlich hörte man nicht richtig zu, weil man mit tausend Dingen gleichzeitig beschäftigt war… Erkennt sich der ein oder andere wieder? Ja, alles total menschlich. In High Risk Environments wie in der Luftfahrt (oder der Medizin) kann diese “Menschlichkeit” schnell tödlich enden. Genau das war die Geburtsstunde des CRM Trainings in der Luftfahrt.

Crew Ressource Management

Der Oberbegriff Crew Ressource Management vereint unter ausgesprochen praxisorientierten Vorzeichen eine Reihe von Forschungs- und Theoriesträngen sozialpsychologischer, soziologischer, physiologischer und pädagogischer Ursprünge, in deren Mittelpunkt die Gestaltung von erfolgreicher Arbeit unter komplexen und dynamischen Arbeitsbedingungen steht. Seinen Ursprung hat CRM, wie gesagt, in der Luftfahrt, allerdings haben die damit verbundenen Ideen inzwischen auch in weitere verlässlichkeitsorientierte Arbeitsfelder Einzug gehalten. Zu nennen wären hier zum Beispiel Kernkraftwerke, Bohrinseln, Feuerwehr, Katastrophenschutz, aber eben auch Krankenhäuser.

Die Grundidee aller CRM-Ansätze liegt in der Annahme, dass Interaktionsprozesse in Teams bei der Bewältigung kritischer Situationen einen deutlichen Einfluss auf den Erfolg haben. Es gibt hierbei Interaktionen, die förderlich im Umgang mit komplexen Situationen wirken, genauso wie solche, die im Umgang mit komplexen Situationen hemmen. Ziel von CRM ist es, das Wissen und die Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitgliedes für das Team maximal nutzbar zu machen, also alle Team-Ressourcen optimal und im Sinne der Zielerreichung zu nutzen. CRM bedient sich hierbei der gesamten Bandbreite verlässlichkeitsorientierter Forschungsfelder, wie etwa der Fehlerforschung (Fehlerkultur und Lernen aus Fehlern), der Entscheidungsfindung (analytische Entscheidungsfindungsprozesse) und der Gruppenforschung (Kommunikation, Konfliktforschung, Teamwork, Führung, Backup Behaviour, Feedback, interkulturelle Forschung). Ergänzend dazu befasst sich die Human Factors Forschung mit Faktoren, die die individuelle menschliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Als Grundlage dienen sowohl physiologische als auch psychologische Erkenntnisse (Stressmanagement, Fatigue Risk Management, Wahrnehmungsprozesse, Resilienz).

Kurzgefasst, die Luftfahrt ist so komplex und dynamisch, dass ein einzelner Mensch nicht in der Lage ist alles so weit zu überblicken, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Man benötigt ein möglichst vielseitiges und heterogenes Team, das alle benötigten Ressourcen in sich trägt, um erfolgreich (und sicher) von A nach B zu kommen. Genau das hat die Luftfahrt nicht nur mit dem gemeinsam, was wir heutzutage als VUCA-Welt (also diesem Businessumfeld, dass von hoher Dynamik, Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit geprägt ist) bezeichnen, sondern auch mit der Krankenhaus-Welt.

Weil Teamwork Leben rettet

Ähnlich wie in der kommerziellen Luftfahrt, spielt auch in Krankenhäusern die individuelle Einbindung in strikte Hierarchien eine große Rolle. Diese Hierarchien sind aus diversen Gründen notwendig und ich möchte in High Risk Environments das Vorhandensein von Hierarchien auf keinen Fall in Frage stellen. Im Gegenteil! Allerdings ist es in Hinblick auf die erfolgreich Lösung einer Situation wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass (falsch umgesetzte) Hierarchie zwei fatale Auswirkungen haben kann: zum einen liegt es in der menschlichen Natur, dass man davon ausgeht, dass der Chef es ohnehin besser weiß (hierzu könnt ihr gerne auch den sogenannten Halo Effekt googlen), zu andern neigen Menschen dazu, schlechte Nachrichten “chef-tauglich” zu machen, eigene Defizite und Unsicherheiten nach oben zu verschleiern und sich keinesfalls angreifbar zu machen. Es droht eine Kultur des Schweigens.

Die von mir so geschätzte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat einen Teil ihrer Grundlagenforschung zur sogenannten Lernenden Organisation, einer Organisation die schnell und flexibel auf komplexe und dynamische Situationen reagieren kann, in Krankenhäusern durchgeführt. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von einer Situation auf einer Frühchen-Station: die junge Krankenschwester, die Edmondson Christina nannte, kümmerte sich um Zwillinge, die bereits in der 27. Woche zur Welt kamen. In einer Fortbildung, die Christina gerade erst erfolgreich absolviert hatte, hat sie gelernt, dass es sinnvoll ist, diesen extrem früh geborenen Kindern ein bestimmtes Medikament zu verabreichen, um die Entwicklung der kleinen, viel zu früh in die Pflicht genommenen Lungen zu verbessern. Dr. Drake, ein sehr erfahrener, älterer Arzt hat dieses Medikament jedoch nicht verschrieben. Christina wollte ihn eigentlich darauf ansprechen, ließ ihre Idee jedoch recht schnell wieder fallen. Sie sagte sich, dass der Arzt sicher selbst besser wisse, was zu tun sei und er sicher seine Gründe dafür habe, das Medikament nicht zu verschreiben (dass er es einfach vergessen haben könnte, kam ihr natürlich nicht in den Sinn). Sicher würde es den Zwillingen gut gehen. Außerdem erinnerte sich Christina an ein Gespräch zwischen Dr. Drake und einer anderen Schwester, das Christina kürzlich zufällig mit angehört hatte. In diesem Gespräch beschimpfte Dr. Drake diese Schwester, weil sie seine Anordnungen hinterfragte.

Ich weiß nicht, wie es mit den Zwillingen weitergegangen ist, aber ich hoffe, dass die beiden ein gesundes und glückliches Leben führen können. Auf jeden Fall beschreibt diese kurze Geschichte eindrücklich, dass Kollegen oder Teammitglieder unglaublich wertvolle Ressourcen darstellen und CRM soll dabei helfen, diese Ressourcen bestmöglich zu nutzen. So einfach und doch so kompliziert!

CRM hat zwei Grundlagen, an denen nicht gerüttelt werden darf: jeder macht Fehler (auch der Chef!) und jeder muss den Mut haben, den Mund aufzumachen (sei es, um eigene Fehler darzulegen, damit man andere davor schützt, evtl. in die gleiche Falle zu tappen, um nach Hilfe zu fragen, oder um andere (auch Vorgesetzte) auf Dinge hinzuweisen, die einem selbst in irgendeiner Art und Weise auffallen oder nicht schlüssig erscheinen. Das alles tut der Mensch nicht gerne. Nein, eigentlich tut er es gar nicht freiwillig. Wer geht dann schon zur Arbeit, um am Ende des Tages als Störenfried, unwissend oder Nichts-Könner dazustehen? In meinen CRM Trainings erwarte ich also ganz schön viel von meinen Teilnehmern. Ich erwarte sehr viel Mut von ihnen, um über ihren Schatten zu springen. Einen solchen Sprung kann ich von einem Menschen nur dann erwarten, wenn er weiß, dass er dabei nicht abstürzt. Diese Sicherungsleine nennt unsere Frau Professor Psychological Safety. -Für Edmondson die Voraussetzung für eine erfolgreiche Lernende Organisation, oder funktionierendes CRM. Es beginnt also mit der Unternehmenskultur.

CRM in der Medizin

Inzwischen gibt es einige Länder die CRM-Systeme wie in der Luftfahrt auch verpflichtend für Teams in Krankenhäusern eingeführt haben. Diese Entscheidung kann ich als potenzieller Patient oder Angehöriger nur begrüßen. Hier würde die Krankenschwester sicher beim Arzt nachfragen. Vielleicht würde der Arzt seine Gründe erklären, das Medikament nicht zu verschreiben und die Schwester würde entspannt nachhause fahren, oder dem Arzt würde auffallen, dass er im Stress etwas vergessen hat und sehr dankbar dafür sein, dass er diesen Fehler korrigieren kann, noch eh er fatale Folgen hat. In jedem Fall würde unser Arzt sich bei der Schwester bedanken und mit dem guten Gefühl weiterarbeiten, dass er kein einsamer Einzelkämpfer ist, sondern ein starkes Team um sich hat, dass mit ihm gemeinsam am gleichen Ziel arbeitet.

Hört sich gut an, oder? Der Weg zu einem solchen miteinander, ist spannend, lohnend, aber definitiv auch umfangreich. Die von Amy Edmondson beschriebenen Psycholigical Safety ist unglaublich eng mit einer Unternehmenskultur verbunden, die ein bestimmtes Menschenbild zur Grundlage hat. Deshalb, liebe Krankenhäuser, oder liebe Unternehmen, es ist zwecklos, eine Seminarreihe einzukaufen und zu glaube, alles wird plötzlich anders. Eh man eine solche Seminarreihe einkauft, ist es sinnvoll sich hinsichtlich der eigenen Kultur zu hinterfragen und auch mal grundgenerell zu überlegen, welches Bild man von seinen Mitarbeitern hat.

Niels Pfläging, für dessen Buch “Organisation für Komplexität” ich letzte Woche über meinen Instagram-Kanal ein wenig (unbezahlte) Werbung gemacht habe, stellt diesbezüglich zwei Theorien dar, die diese unterschiedlichen Menschenbilder wie ich finde sehr gut und verständlich darstellen:

  1. Theorie X: Menschen mögen Arbeit nicht. Sie finden Arbeit generell langweilig. Deshalb benötigen sie Anreize in Form von Boni, bzw. Druck von “Oben”. Außerdem bevorzugen es Menschen klare Anweisungen zu bekommen und Verantwortung übernehmen sie nicht gerne. Hauptmotivation für Menschen in der Theorie X sind Geld und Angst (vor dem Verlust des Jobs). Kreativ sind diese Menschen hauptsächlich immer dann, wenn es darum geht, Regeln zu umgehen.

  2. Theorie Y: Menschen müssen zwar arbeiten, suchen sich aber eine Arbeit, die ihnen auch Spaß macht und sie interessiert. Ihnen ist das Ziel ihres Tuns bewusst und sie arbeiten eigenständig darauf hin. Dabei übernehmen sie auch gerne Verantwortung und verspüren den Wunsch, ihr Potenzial voll nutzen zu können. Kreativität und Ideenreichtum sind weit verbreitet, dieses Potenzial wird jedoch oft (noch) nicht voll genutzt.

Alle Führungskräfte und Manager, die der Meinung sind, dass ihre Mitarbeiter der Theorie X entsprechen, dürfen sich an dieser Stelle gerne ausklinken. CRM wird hier nicht funktionieren, weil man einem solchen Bild folgend niemals die Psychological Safety und das Vertrauen aufbauen kann, dass für funktionierendes CRM notwendig ist.

Eine Kultur des Miteinanders

Natürlich ist es nicht ausreichend, fest daran zu glauben, dass seine Mitarbeiter interessiert, eigenmotiviert und verantwortungsbewusst sind und der Laden läuft. Allerdings ist diese Überzeugung die Voraussetzung dafür, dass Maßnahmen und Schulungen aus dem Bereich, den wir in der Luftfahrt CRM nennen, erfolgreich sein können. Erfolg kann hier alles sein! In High Risk Environments wie Luftfahrt oder Medizin bedeutet Erfolg in erster Linie weniger Tote, weil es zu weniger fatalen Fehlerketten kommt. Erfolg bedeutet aber auch schneller und besser auf sich stetig ändernde Voraussetzungen (wie es auch in dieser komplexen, dynamischen, mehrdeutigen, unsicheren VUCA-Welt der Fall ist) einstellen zu können, dabei alle im Boot zu behalten um alle zur Verfügung stehenden menschlichen Ressourcen bestmöglich nutzen zu können.

Wem der Glaube daran fehlt, dass man durch Team Building, Kommunikationstrainings und dergleichen als Organisation tatsächlich erfolgreicher wird, darf sich gerne mal die Unfallstatistiken der zivilen Luftfahrt aus den letzten fünfzig Jahren anschauen. Hier stellt man fest, dass die Hauptursache für Flugzeugunglücke tatsächlich der Mensch ist (man geht von etwa 80% aus). Allerdings sind schwere Unglücke (besonders in Relation zu den stetig ansteigenden Zahlen an Flügen weltweit) sehr selten geworden, weil der Mensch gemeinsam mit seinem Team durch CRM immer besser geworden ist.

Wie viele und wie umfangreiche Schulungen für diesen Erfolg notwendig waren? In der Luftfahrt gibt es einen zweitägigen Grundkurs und einen jährlichen Refresher. Diese Schulungen finden übrigens “Joint”, das heißt im ganzen Team (positions- und hierarchieübergreifend), statt. Denn CRM ist auch die bewusste Interaktion zwischen (Servant) Leadership und (mutigem) Followership. Dieser eine Workshop im Jahr ist ausreichend, weil die Prinzipien von CRM durch die Kultur im Umgang innerhalb der Crews tagtäglich gelebt werden und vielleicht auch, weil ich als CRM Trainer mir darüber bewusst bin, dass ich keinem meiner Teilnehmer und Kollegen CRM beibringe. CRM lernt man im Prozess der stetigen Selbstreflexion und Achtsamkeit. Mein Seminar liefert hierfür nicht mehr und nicht weniger, als das nötige Gedankenfutter. Denn ich glaube ganz fest an die Y-Typen und auch fest daran, dass ein jeder meiner Teilnehmer, alles das, was er benötigt und wissen muss, schon in sich trägt. Ich habe lediglich die ehrenvolle Aufgabe, meinen Teilnehmern den Weg hin zu den eigenen Ressourcen ein wenig zu beleuchten.

In diesem Sinne, werdet erfolgreicher, rettet Leben und seid dabei vor allem eins: wohlwollend und respektvoll mit euren Kollegen und Teammitgliedern. Sie sind eure wertvollste Ressource!

Eure Constance

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Teamwork

Die Erfolgs-Pille, nicht nur im Flugzeug!

Die helle Triade - vom Bad Leadership zum Good Leadership zum Shared Leadership und den mutigen Geführten

Wie dunkel bin ich?

Ich muss zugeben, dass ich während meiner Recherche zur Dunklen Triade für meinen Artikel von vor zwei Wochen (hier der Link) ein wenig schlucken musste, als ich über diese “Niederträchtigen Neun” gestolpert bin. So ein bisschen habe ich mich im ein oder anderen Punkt dann doch wiedererkannt. Ich habe mir wirklich intensiv Gedanken gemacht, wie es denn um meine eigene dunkle Triade bestellt ist. Das hat sich nicht besonders gut angefühlt, denn mal ehrlich, keiner von uns will auf diese Art und Weise “dunkel” sein und “Antisozialer Kern” hört sich auch echt fies an! Etwas leichter wurde mir ums Herz, als ich schließlich auf die helle Triade und die zwölf Items der hellen Triade (quasi der Gegenentwurf zu den Niederträchtigen Neun) gestoßen bin.

Der gute Mensch - Humanismus für Fortgeschrittene

Erst im letzten Jahr definierte eine Forschungsgruppe um den Psychologen Scott Kaufmann vom Positive Psychology Center der Universität in Pennsylvania die sogenannte helle Triade als Gegenentwurf zur dunklen Triade. Im Zentrum ihres Interesses stand der sogenannte “Everyday Saint”, also der Alltagsheilige, der überall, auch in Wirtschaftsorganisationen, zu finden ist und sich positiv und wohltuend von den Vertretern der dunklen Triade abhebt, indem er mit Folgender Triade auftrumpft:

  • Humanismus (der Wertschätzung der Würde und des Wertes eines jeden Menschens)

  • Kantianismus (nach dem Kategorischen Imperativ: die Behandlung der Mitarbeiter ist immer auch das Ziel, niemals nur das bloße Mittel zum Zweck)

  • Glaube an die Menschlichkeit (die Überzeugung, dass alle Mitarbeiter im Grund gut sind)

Parallel dazu entwickelten sie die zwölf Items der hellen Triade. Wie bei den Niederträchtigen Neun, seid ihr auch hier eingeladen zu reflektieren, in welchen Punkten ihr euch selbst wiederfindet:

  1. Ich neige dazu, das Gute im Menschen zu sehen.

  2. Ich vertraue darauf, dass andere Menschen mich fair behandeln.

  3. Ich glaube, dass die meisten Menschen gut sind.

  4. Menschen, die mich verletzt haben, vergebe ich schnell.

  5. Ich neige dazu, andere Menschen zu bewundern.

  6. Ich neige dazu, den Erfolg anderer freudig anzuerkennen.

  7. Ich neige dazu, anderen wertschätzend zu begegnen.

  8. Ich genieße es anderen Menschen zuzuhören, egal welcher sozialen Schicht sie angehören.

  9. Ehrlichkeit ist mir wichtiger als Freundlichkeit.

  10. Ich fühle mich schlecht, wenn ich andere manipuliere, damit sie in meinem Sinne handeln.

  11. Ich möchte authentisch sein, selbst, wenn das meinem Ansehen schadet.

  12. Wenn ich mit Menschen spreche, denke ich kaum an das, was ich von ihnen will.

Und? Habt ihr euch hier und da wiedererkannt? Ich jedenfalls habe festgestellt, dass ich offensichtlich deutlich heller bin, als nach den Niederträchtigen Neun gedacht. Glück gehabt!

Von Moral und Tugendhaftigkeit

Nun hat die Suche nach dem Guten im Menschen zum Glück nicht erst im letzten Jahr begonnen. Im Prinzip ist diese Suche so alt wie die Menschheit selbst. Ihren wohl bekanntesten Ausdruck findet diese sogenannte Tugendethik in den vier Kardinaltugenden:

  • Klugheit: sie gilt als die Mutter aller weiteren Tugenden, weil alle weiteren Tugenden in ihrer Umsetzung zwingend Klugheit benötigen. Klugheit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man sowohl nach innen, auf sein Wissen und Gewissen, als auch nach außen, auf die Ideen und Argumente anderer, hört und entsprechend abwägt. - Es lebe das Feedback!

  • Gerechtigkeit: als ungerecht wird empfunden, dass einem Menschen das Seine vorenthalten, oder weggenommen wird, und zwar nicht durch ein Unglück, sondern durch andere Menschen, die daraus einen Vorteil für sich ziehen. Gerechtigkeit hat folglich immer auch mit dem Anderen zu tun.

  • Tapferkeit: tapfer zu sein bedeutet, sein Handeln in schwierigen, ggf. sogar bedrohlichen Situationen nicht von Angst, sondern von (Zivil-) Courage und Klugheit leiten zu lassen.

  • Mäßigung: Mäßigung bedeutet in diesem Zusammenhang nicht etwa die Mäßigung beim Zuckerkonsum oder ähnlichen, sondern das agieren aus einer inneren Ordnung, Ruhe und Ausgeglichenheit. Selbstreflektion ist hier das Thema!

Die Supertugend der Arbeitswelt

Zu diesen vier Kardinaltugenden hat sich im Businessumfeld seit einiger Zeit noch ein Art Supertugend gesellt: die Integrität. Jeder spricht von ihr, aber was bedeutet es denn, integer zu sein? Es bedeutet als erstes, dass meine Worte auch meinen Taten entsprechen. Werte, die ich vertrete, müssen sich auch in meinem Handeln widerspiegeln. Zusätzlich wird von der integreren Person verlangt, standhaft zu sein und auch im Angesicht von Widerständen den eigenen Grundsätzen treu zu bleiben. Interessanterweise treffen diese ersten beiden Punkte auch auf den ein oder anderen Allerweltsdiktator zu. Deshalb muss sich bei integreren Menschen zwangsläufig noch eine Portion Moralität hinzugesellen. Wer integer handelt, dem ist wichtig, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen gegenüber gerecht wird. Der kleine aber feine Unterschied zwischen Diktatoren und integreren Führungspersönlichkeiten! Ich denke, es war auch dieser Unterschied, den die Führungsethikerin Joanne Ciulla im Kopf hatte, als sie folgendes formulierte: “Es ist das Charakteristikum einer Führungsaufgabe in der Wirtschaft oder in jedem anderen Kontext, dass ihre genuine Tätigkeit gewöhnlich verlangt, mehr für die Interessen von Fremden Sorge zu tragen, als für die eigenen.”

Nichts ist für die Ewigkeit… Oder wie Unternehmenskultur Führung bedingt

So könnte man also meinen, dass eine gezielte Personalauswahl einfach nur die tugendhaften, integreren Kandidaten rausfiltern müsste und der Drops sei gelutscht. Integrität ist jedoch leider, wie alle Tugenden, keine Eigenschaft, die man einmal besitzt und dann ein Leben lang behält. Sie wird in einem langen Prozesse aufgebaut und gewahrt und stellt ein ausgesprochen zerbrechliches Gut dar, das schon in einem kurzen Moment zerstört werden kann. Die integersten Persönlichkeiten haben in einem Umfeld, dass diese Eigenschaften nicht auch durch eine entsprechende Unternehmenskultur fördert, auf lange Frist nur zwei Möglichkeiten: anpassen, oder weiterziehen. Kein Licht, egal will hell, strahlt eben für immer, wenn es nicht gepflegt wird.

Da Unternehmenskultur eine so große Bedeutung hat, finde ich es durchaus interessant, sich mal zu fragen, wo Unternehmenskultur herkommt, bzw. wer sie denn formt. Eine entsprechende Diskussion habe ich vor einigen Tagen in einem meiner Workshops vom Zaun gebrochen. Natürlich war man sich zunächst einig, dass die Kultur selbstverständlich von der Geschäftsführung gemacht werde und die Führungsebene dafür verantwortlich sei. Immerhin werden auf dieser Ebene ja die allseits bekannten Leitlinien oder Verhaltenskodexe erstellt. Natürlich musste ich fragen, ob die tatsächliche Unternehmenskultur denn das sei, was auf bunten Postern gedruckt ist, oder das, was auf Arbeitsebene gelebt wird. Böser Trainer! Zack war klar, dass ein jeder verantwortlich dafür ist, wie eine Unternehmenskultur sich darstellt. Natürlich haben auch Führungskräfte hierbei eine große Verantwortung und selbstverständlich gibt es Wechselwirkungen und Umstände, die sich komplex bedingen. Aber ich persönlich glaube, dass die Macht des “Fußvolks” noch immer deutlich unterschätzt wird. Lasst uns das Thema Gesellschaft und Kultur doch einmal historisch betrachten: wo wurden denn die wirklich großen gesellschaftlichen Veränderungen, wie zum Beispiel die Französische Revolution initiiert? Richtig, nicht auf Führungsebene. Es ist die breite Masse, die in der Lage ist, Gesellschaft und Kultur zu formen. Wenn die Masse “wir sind das Volk” brüllt (und damit meine ich ausdrücklich nur diejenigen, die das in den 80er Jahren gerufen haben!), kann das von oben übergestülpte, kulturelle oder gesellschaftliche Korsett noch so eng sein, es wird gesprengt.

“Mutige Geführte” und warum Followership ebenso wichtig ist wie Leadership

Weil man sich der Bedeutung der “Geführten” inzwischen auch auf Businessebene immer bewusster wird, fängt man zum Glück langsam aber sich an, sich nicht nur über gute Führungskräfte und optimale Führungskräfteentwicklung Gedanken zu machen, sondern auch über gute “Geführte”. 2009 hat der Publizist Ira Chaleff sein Konzept der “Mutigen Geführten” (Courageous Follower) veröffentlicht. In diesem Rahmen hat er die fünf Dimensionen einer mutigen Gefolgschaft dargestellt: Als erstes steht der Mut zum moralischen Handeln (mal wieder!), gefolgt vom Mut zur Verantwortungsübernahme und den Mut zur Herausforderung (der nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als die Fähigkeit, auch den Führungskräften eine konstruktive Kritik angedeihen zu lassen, sollten diese sich gefühlt auf dem Holzweg befinden), außerdem wäre dann noch der Mut zum Mitwirken an Veränderungen und abschließend der Mut zu dienen (was in diesem Kontext so viel bedeutet, wie ein hohes Engagement zur Zielerreichung).

Relativ zeitgleich wurde auch an der Universität von Virginia unter dem Titel “Workplace Courage” oder “Mut am Arbeitsplatz” ein weiterer Ansatz zu Thema “Good Followership” veröffentlicht, der ebenfalls zum Schluss kommt, dass gute Follower Menschen sind, die mutig sind, Verantwortung übernehmen, die sich trauen kritisch zu sein und diese Kritik auch auszusprechen, die selbstständig und selbst-organisiert sind, gemeinsam mit ihren Kollegen auf ein Ziel hinarbeiten und selbstverständlich dabei auch kompetent und gut für ihren jeweiligen Bereich ausgebildet sind. Tja, da sind wir wohl beim mündigen Arbeitnehmer, der sich selbst bewusst führt und einbringt.

All diese Überlegungen führen uns schließlich zu einer hochaktuellen Richtung der Führungsforschung: der geteilten Führung, oder Neuhochdeutsch dem “Shared Leadership”.

Shared Leadership, weil das Team der Star ist!

Wenn wir von Shared Leadership sprechen, sprechen wir von nicht mehr und nicht weniger als von einem fundamentalen Wandel in der Grundauffassung von Führung. Shared Leadership versteht sich als Gegenposition zur sogenannten herrschenden Führung, wonach Führung nur von einzelnen positional ausgeübt wird. Im Shared Leadership geht man davon aus, dass effektiver und auch ethisch korrekter Führung ein dynamischer und multidirektionaler Gruppenprozess zu Grunde liegt, an dem die Geführten als kompetente, verantwortliche und verantwortungsbewusste Mit-Führende (“Coleader”) beteiligt sind. Als Kind der Luftfahrt freue ich mich sehr, dass man diese Idee inzwischen auch im Kreise der “Fußgänger” für sich zu entdecken scheint, denn in der Luftfahrt wurde schon vor Jahrzehnten festgestellt, dass diese Art des Teammanagements die beste Möglichkeit ist, alle Ressourcen zu nutzen, um zum Erfolg zu kommen. In meinem Artikel vom 17. Mai habe ich euch die Herren Haynes und De Crespigny vorgestellt (hier der Link). Ihre Art des Shared Leadership hat hunderte von Menschenleben gerettet. Und liebe Führungskräfte, keine Angst vor Shared Leadership. Ihr müsst nichts abgeben. Im Gegenteil, ihr gewinnt dazu und bleibt trotzdem Chef, so wie diese beiden großartigen Flugkapitäne.

In diesem Sinne, lasst euch nicht entmutigen, egal auf welcher Ebene ihr unterwegs seid! Es lohnt sich!

Eure Constance

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Das zarte Pflänzchen guter Führung

Es will sich gehegt und gepflegt fühlen