Ein Land im Regenbogenfieber...

Weil es nicht nur um Respekt und Akzeptanz geht

Mein Gott, was war denn da los? Pünktlich zum Spiel Deutschland gegen Ungarn hat Deutschland sich in ein kunterbuntes Regenbogenkleidchen gehüllt. Gefühlt war wirklich ganz Deutschland im absoluten Regenbogenfieber. Auf die ein oder andere graue Ausnahme komme ich später noch zu sprechen! Natürlich konnte auch ich mich dem nicht entziehen. Wer mir auf den sozialen Medien folgt, hat das bestimmt mitbekommen. Ich muss gestehen, es hat mich wirklich stolz gemacht, zu sehen, wie viele Menschen einfach so mitgemacht haben und es hat mich stolz gemacht, dass es mein Land war, dass die Diskussion über dieses ganz und gar unrühmliche Gesetz der ungarischen Regierung derart angefeuert hat! Danke München! Und vielleicht auch Danke UEFA! Hättest du die Beleuchtung nicht verboten, hätten viele Menschen in Europa sicher nicht mitbekommen, was in Ungarn vor sich geht! Plötzlich scheint sich die Diskussion von Gleichstellung, Gleichberechtigung und eben auch die Akzeptanz des Anderen in ganz neue Höhen zu schwingen.

Es geht um so viel mehr, als sexuelle Orientierung

In meinem Fall ist es wohl so, dass ich mal abgesehen davon, dass ich irgendwie zu groß und zu laut bin, wahrscheinlich dem entspreche, was auch in Ungarn diese vermeintliche Norm ist. OK, ich habe mich bewusst gegen eigene Kinder entschieden. Vielleicht passt das nicht wirklich in das Bild der heilen Familie. Wie dem auch sei, ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, festzustellen, anders zu sein, als es diese sonderbare, gesellschaftliche Norm festlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, was es im Kern bedeutet, sich zu verstellen, sich anzupassen, weil man die Sorge hat, Familie oder Freunde könnten sich von einem abwenden, sobald man, man selbst ist. Ich musste meine Liebe niemals verstecken, weder aus Angst vor dummen Kommentaren, noch vor verletzenden Blicken, oder vielleicht sogar rechtlichen Konsequenzen. Wenn ich mit dem Menschen, den ich liebe, durch die Straßen gehe, halten wir uns natürlich an den Händen, wir umarmen uns, küssen uns, weil wir glücklich sind und das darf die ganze Welt wissen. Es gibt Menschen, die nichts anderes tun, dafür aber beleidigt, angespuckt, verprügelt werden! Weil sie lieben?! Ganz ehrlich, was ist das für eine absurde Welt! Wir Leben im 21. Jahrhundert, sind digitalisiert bis unter die Zähne und sexuell so aufgeklärt, dass es mir manchmal fast weh tut und in Mitten dieses ach so aufgeklärten Zeitalters versucht eine europäische, demokratische Regierung gleichgeschlechtliche Liebe aus dem kollektiven Bewusstsein zu streichen? - Schlimmer noch, sie stellt Homosexualität gefühlt in eine Ecke mit Pädophilie! Wie verletzend das für alle schwulen Männer sein muss, hat mir ein lieber und langjähriger Freund bestätigt. Was machen diese Diskussionen mit Menschen? Ich würde anfangen mich zu verstellen und meine Persönlichkeit zu verstecken. Beides würde sehr viel Energie fressen, mich in meiner Entfaltung hemmen und der Welt die Möglichkeit nehmen, mich ganzheitlich in all meinen Farben, mit all meinen Fähigkeiten zu erleben! Traurige Vorstellung, findet ihr nicht auch?

Es geht um Potenzial und um Entwicklung

Als Human Factors Consultant habe ich, wenn es um Potenzial, um das Humanvermögen einer Organisation geht (nennt sie Team, Unternehmen, Land, oder Welt), noch mal eine ganz eigene Perspektive, auf das, was in Hinblick auf Diversity und Akzeptanz von Unterschiedlichkeit passiert. Im Job ist es mein Ziel, High Performance Teams und High Performance Organisationen “zu produzieren”. Über meine Wege und Hebel zur Erreichung dieses heeren Zieles berichte ich ja allwöchentlich. Was ich vielleicht noch nicht so deutlich gemacht habe, ist die “menschliche Basis” von High Performance! Diese Basis ist nämlich im besten Fall ausgesprochen heterogen, um nicht zu sagen divers! Warum? Weil es in einer komplexen Welt einfach ganz viele unterschiedliche Perspektiven braucht, um zu einer bestmöglichen Lösung zu kommen. Natürlich resultieren diese unterschiedlichen Perspektiven auch aus unterschiedlichen Persönlichkeiten. Diversity bedeute nicht nur unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen, oder diese überstrapazierten Diskussionen über Frauen in Führungsetagen zu führen, sondern auch aus einer Kombination aus unterschiedlichen kulturellen Einflüssen, unterschiedlichen generationsbedingten Einflüssen und Wertesystemen, unterschiedlichen Vorlieben und unterschiedlichen Meinungen ganz neue Ideen zu gewinnen. Je bunter und breiter gefächert das Bild, je diverser das Team, desto größer die Wahrscheinlichkeit, High Performance zu erzeugen.

Das einzige, was uns in so perfekten Kombinationen unterschiedlicher Menschen davon abhält, zu einem echten High Performance Team zu werden, ist diese offensichtlich sehr tief sitzende Angst vor allem, was anders ist. Diese Angst ist wissenschaftlich verbrieft und kommt noch aus den Zeiten, in denen wir in Höhlen zu hausen pflegten. Da waren “die anderen” natürlich immer eine veritable Bedrohung für Leib, Leben und Hausstand! Allerdings ist festzustellen, dass diese Zeiten vorbei sind! -Wie gesagt, digitalisiert bis unter die Zähne! Das passt nicht zu steinzeitähnlichem Verhalten, nicht in Ungarn und auch nicht hier in Deutschland! -Ja, die Regenbogenflut war gewaltig, aber auch die intoleranten Gegenstimmen haben sich für meinen Geschmack noch zu deutlich Luft gemacht. Ganz ehrlich, die sexuelle Orientierung meines Nachbars, das Geschlecht meinX ChefX, die Hautfarbe des Eisverkäufers, oder die Haarfarbe der von oben bis unten tätowierten Kindergärtnerin der Nachbarskinder hat keinerlei Einfluss auf mein Leben! Soll doch jeder sein wie er will! Denn nur wenn Menschen nicht mehr all ihre Energie darauf verschwenden müssen, sich an irgendein Schema “F “anzupassen, können sie diese Energie nutzen, um tatsächlich Höchstleistungen zu erbringen!

Und am Ende geht es ums Glücklich Sein

Jetzt stelle ich mir vor, was diese Gesellschaft für eine High Performance Gesellschaft sein könnten, wenn jeder einfach sein dürfte, wie er wirklich ist, wenn keine Energie mehr darauf verschwendet werden müsste, um einem bestimmten Schema zu entsprechen. Ein bisschen träumen muss in diesem Zusammenhang ja erlaubt sein! Wobei, wenn ich mir die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit anschaue, sollten wir tunlichst daran arbeiten, diesen Traum in die Realität umzusetzen. Wir haben mehr als genug Probleme, die es anzugehen gilt und ein klein wenig High Performance kann dabei nicht schaden. Zauberhafter Nebeneffekt dieser radikalen Toleranz, Akzeptanz und persönlichen Freiheit wäre, dass es viel mehr glückliche Menschen gebe. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zeit, die uns zum glücklich sein, geschenkt wird, am Ende des Tages doch ausgesprochen begrenzt ist, wäre das vielleicht das größte Geschenk!

Danke München

Und zum Abschluss: wie war eigentlich euer Fußballabend? Das Spiel war ja ehr so “geht so”! Während ich mich durch dieses Spiel gezittert habe, habe ich mich tatsächlich immer wieder bei dem Gedanken ertappt, was denn wäre, wenn München die bunten Lichter trotz Verbots irgendwann anschalten würde! Würde die Regie in einen Schwarz-Weiß-Modus umschalten? Würde die Welt untergehen? Ungarn aus der EU austreten? Der rechtsradikale Fanblock aus diesem schönen Land am Balaton wutschnaubend das Spielfeld stürmen? Oder würde einfach nichts passieren und die LGBTQ Community in Ungarn für einen kurzen Moment das Gefühl haben, nicht alleine zu sein? -Nicht “falsch” zu sein? Vielleicht wäre es das i-Tüpfelchen gewesen und ich war am Ende fast ein bisschen enttäuscht, dass München sich nicht in zivilen Ungehorsam geübt hat. Ich verstehe aber auch, dass es nicht passiert ist! Was bleibt ist das fette Dankeschön an die Stadt München. Danke für diese Diskussion! Ich hoffe sehr, dass sie länger anhält, als, die Regenbogen in den Sozialen Medien!

Eure Constance

Mehr Farbe braucht die Welt…

Mehr Farbe braucht die Welt…

Teams mit Dysfunktionen? -Vielleicht auch nur ein Spiegel arroganter Coaches?

Dysfunktion hier, Dysfunktion dort…

All jenen unter euch, die meine Artikel in den letzten Wochen gelesen haben, geht es vielleicht wie mir. Vielleicht könnt ihr das Wort Dysfunktionen auch nicht mehr hören. Was soll das überhaupt, einem Team zu unterstellen, es sei dysfunktional? Und woher kommt dieser Ansatz der fünf Dysfunktionen überhaupt? Interessanterweise entspringt die Ausformulierung tatsächlich der Kultur der sogenannten New Work, genauer gesagt der agilen Welt des Scrum. Unmengen agiler Coaches und Scrum Master referieren (so wie ich in den letzten beiden Wochen) darüber, wie wir die fünf Dysfunktionen bei (Scrum) Teams identifizieren können und welche Maßnahmen zu ergreifen sind , um die jeweiligen Dysfunktionalität auszumerzen.

So weit so gut und das ist ja auch alles fachlich und inhaltlich richtig. Ich habe mich in den letzten Wochen jedoch immer wieder gefragt, warum ich mir mit dieser sachlichen Beschreibung so schwertue. Nach reiflicher Überlegung muss ich einfach zugeben, dass ich am Ende des Tages wohl doch ein ressourcenorientierter Human Factors Trainer und Consultant bin. Der Agile Coach bin ich wohl nur nebenbei. Mein Herz schlägt anders. Wie ich darauf komme? Mir gefällt es nicht, Dysfunktionen an Menschen oder in Teams zu identifizieren und daran zu arbeiten. Ich sage es mal ganz frei nach der von mir so häufig genannten Harvard Professorin Amy C. Edmondson: Kein Mensch steht morgens auf und fährt zur Arbeit, weil er es nicht abwarten kann, dysfunktional zu agieren. In Wirklichkeit ist es doch viel mehr so, dass die allermeisten von uns morgens aufstehen und sich fest vornehmen, ihr Bestes zu geben. Dass dabei nicht immer alles glatt läuft, ist jedem von uns klar. Manchmal ist es sogar strukturell bedingt, aber eines ist es eben immer: menschlich. Verunsicherung und Konfliktvermeidung sind etwas zu tiefst Menschliches und keine Dysfunktion. Vielmehr sehe ich es so, dass dieses normale, menschliche Verhalten, das wir alle mal mehr und mal weniger ausgeprägt an den Tag legen, in unserer neuen, modernen, komplexen und dynamischen Welt die Performance (die individuelle, die eines Teams und auch die einer gesamten Organisation) beeinträchtigen. Dysfunktional ist in diesem Kontext bestenfalls unser Umfeld, unsere Welt, die sich auf geradezu absurde Weise immer schneller zu drehen scheint und an die es sich anzupassen gilt.

Warum ich mir so sehr gewünscht habe, in einem agilen Umfeld zu arbeiten

Als meine Wut auf all diese großen und ruhmreichen Agilisten, die Bücher schreiben und Vorträge halten, wieder ein wenig verraucht war, habe ich mich schließlich gefragt, warum ich denn eigentlich unbedingt in ein agiles Umfeld wollte. Dass ich momentan hauptberuflich als Agile Coach in einer großen Bank arbeiten darf, war ein Traum, der sich über Jahre hinweg in mir entwickelt hat. Dieser Traum hat als absolutes Fundament mein Menschenbild und meine Idee von der Bedeutung des Faktors Mensch in modernen Organisationsstrukturen. Nach vielen Jahren als Human Factors Trainer wurden mir diesbezüglich zwei Dinge glasklar:

  1. Der Mensch ist der absolute Schlüssel zum Erfolg all unserer Systeme!

  2. Menschen machen Fehler, ja! Aber sie tun das nicht, weil sie sich dazu entschieden haben. Vielmehr will jeder von uns zu jeder Zeit sein Bestes geben, sich einbringen und zum Erfolg eines Teams oder einer Organisation beitragen.

Natürlich resultiert aus diesen beiden Feststellungen zwangsläufig die Frage, was Menschen denn dann brauchen, um all ihr Potenzial nutzen zu können. Die Antwort ist ebenso profan wie sie kompliziert ist. Menschen brauchen Vertrauen und Gestaltungsraum. Ja, hört sich einfach an, aber findet das mal in klassischen Wirtschaftsorganisationen, in denen der Chef den Mitarbeitern Boni bietet, weil er denkt, dass sie sonst auf keinen Fall volle Leistung erbringen und gleichzeitig nimmt er ihnen so ziemlich alle Gestaltungsmöglichkeiten, gibt strenge Rahmenbedingungen vor und glaubt noch immer, dass Druck ein gutes Mittel zur Leistungssteigerung sei. Ich habe mir lange vorgestellt, wie eine Organisation aussehen müsste, die genau das anders macht, wie Führung aussehen könnte, die anders vorgeht, Raum lässt und Vertrauen schenkt. Alles das hat mich in die Welt agiler Strukturen eintauchen lassen und ich war irgendwie selig. Alles hat so viel Sinn ergeben: dieser Fokus auf selbst-organisierten Teams und dieser dienenden Führung, die man Neu-Hochdeutsch ja als Servant Leadership bezeichnet, hat mich in den Bann gezogen. Hier habe ich mein Menschenbild wiedergefunden. Die Grundidee aller Agilität liegt meiner Meinung nach darin, dass man den Menschen als kompetent, leistungsbereit, eigenverantwortlich und positiv sieht und ihm deshalb eben auch zutraut, dass er sich selbst im Team bestmöglich organisieren kann, dass er selbst klug genug ist, um sich die für ihn passenden Voraussetzungen für High Performance zu schaffen und vor allem, dass der Mensch nicht kontrolliert werden muss und keine Karotten braucht, die man ihm wie einem Esel vor die Nase hängt, damit er schneller rennt.

Und nach dem Träumen kommt natürlich immer die Realität

Es war dieser Traum, der mir den Mut gegeben hat, mein Leben komplett auf links zu drehen und mich dieser neuen Welt und einem ganz anderen Leben zu stellen. Nach 21 Jahren Flugzeuge im Bauch und Kerosin im Blut plötzlich in einer Bank! Das war und ist verrückt. Nichtsdestotrotz hat mein Traum mir ausreichend Rückenwind gegeben und jetzt stehe ich hier, nach einem halben Jahr als Agile Coach eigentlich noch recht grün hinter den Ohren aber eben auch nicht blind und taub! Um zu lernen habe ich mich natürlich sehr intensiv umgeschaut, in der schönen neuen Welt der Agilität. Ich habe unendlich viele Blogs anderer Coaches gelesen, Bücher, Publikationen, etc. Ich habe viele tolle neue Anregungen und Ideen gefunden, die ich zum Teil auch schon mit meinen Teams umsetze. Ich durfte über Kanban und OKRs lernen, die Struktur eines Obeya kennenlernen und alles das sind tolle Tools und eigentlich finde ich auch mein Menschenbild darin wieder… Eigentlich! Denn parallel musste ich lernen, dass Coaches über Dysfunktionen schreiben und aus einer Perspektive, die ich persönlich gefährlich Arrogant finde, Teams oder Strukturen beurteilen und glauben es gebe Tools und Frameworks, die nach “Schema F” einzuführen sind und schon läuft der Laden! Aber weder Scrum, noch Kanban ist eine Lösung! Die Lösung liegt immer in den Menschen selbst, auch im agilen Coaching! -Sorry Leute, ist eben so! Eine anständige Portion Systemik schadet nicht, wenn ich High Performance Teams und Organisationen schaffen möchte!

Was bleibt ist die Frage der inneren Haltung

Worüber ich mich freue, ist dass ich als Agile Coach frei bin, meinen Ansatz so zu wählen, wie er zu mir passt und wie ich am besten arbeiten kann. Und ich verspreche hoch und heilig NIEMALS mit einem meiner Teams an deren Dysfunktionen zu arbeiten. Meine Teams haben keine Dysfunktionen! Ich schau mir an, worin meine Teams gut sind und worin sie besser werden können, möchten oder vielleicht sogar müssen. Am Ende streben wir doch alle nach High Performance und brauchen immer mal wieder einen Coach, der uns dabei hilft, unsere eigene Performance zu verbessern, was nicht bedeutet, dass wir deshalb schlecht sind. Wir sind immer so gut wie wir sein können. Als systemischer Coach und auch im NLP bekommt man diese innere Haltung ausführlich eingeimpft, weil es anders nicht läuft. Jeder Agile Coach der nicht nur einen guten, sondern einen sehr guten Job machen möchte, ist, so denke ich, sicher gut beraten, sich hinsichtlich seiner eigenen inneren Haltung zu reflektieren. Und diese innere Haltung zeigt sich eben auch in der Perspektive, die wie einnehmen: sehe ich Defizite (und arbeite deshalb mit den fünf Dysfunktionen) oder sehe ich Entwicklungsräume (und orientiere mich deshalb vielleicht aus den Merkmalen der H!PE Formel für High Performance Teams der TU Chemnitz). Inhaltlich ist beides richtig. Es ist nur die innere Haltung, die den Unterschied macht! -Übrigens auch bei euch und in anderen Zusammenhängen!

So! Das musste ich mal sagen!

Habt einen zauberhaft sonnigen Sonntag.

Eure Constance

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alte Karren mit multiplen Dysfunktionen?

-Oder Autos mit dem Potenzial etwas besonderes zu sein?

Warum es ohne Konflikte niemals zu High Performance kommt

Die zweite Dysfunktion (agiler) Teams: Angst vor Konflikten

All jene unter euch, die meinen Blog regelmäßig lesen, erinnern sich sicher noch daran, dass ich in der letzten Woche die fünf großen Dysfunktionen agiler Teams vorgestellt habe. Während ich mich in der letzten Woche schließlich auf die erste Dysfunktion, den Mangel an Vertrauen, fokussiert habe, weil diese Dysfunktion für mich so etwas wie die Mutter aller Dysfunktionen ist, möchte ich mich in dieser Woche mit der zweiten Dysfunktion, der Angst vor Konflikten, auseinandersetzen. Diese Dysfunktion steht völlig zurecht auf Platz zwei der Liste, da ohne Konfliktfähigkeit, das heißt ohne die Fähigkeit, Konflikte auszutragen, keine High Performance entstehen kann. Warum? Weil man ohne, dass man sich über unterschiedliche Meinungen und Ansichten auszutauschen, diesen wertvollen Input nicht zum Wohle des Teams nutzen kann. Oder wie Winston Churchill es ausgedrückt hat: “Wenn zwei Menschen immer die gleiche Meinung haben, ist einer von beiden überflüssig.” Ferner ist es so, dass ohne offene Auseinandersetzungen schwelende Konflikte im Team nicht aufgearbeitet und gelöst werden können. Ist das der Fall, wie soll man in einem Team blind zusammenarbeiten? Wie soll ich voller Vertrauen und auf meine Arbeit fokussiert Höchstleistung erbringen, wenn persönliche Bedürfnisse nicht eingebracht werden können, unterschiedliche Sichtweisen nicht ausgetauscht werden und Ärger übereinander einfach heruntergeschluckt wird? Richtig, gar nicht! All diese “rosa Elefanten” halten mich mal mehr und mal weniger von dem ab, was ich eigentlich tun sollte.

Merkmale von Teams mit Konfliktangst

Wissend, dass eine angemessene Konfliktkultur nun wichtig für die Performance eines Teams ist, stellt sich nun die Frage, woran ich als Vorgesetzter, Teamleiter, (Agile) Coach, Scrum Master, Product Owner, etc. merken kann, dass mein Team durch mangelnde Konfliktfähigkeit in seiner Performance gehemmt wird? Ich erzähle euch mal, wann ich als Agile Coach hellhörig werde:

  1. Taktieren hinter dem Rücken der Betroffenen stehen an der Tagesordnung: zum Beispiel werden in Einzelgesprächen mit mir als Coach, mit den Scrum Master, dem Product Owner oder dem Vorgesetzten Probleme benannt, die in Teamgesprächen jedoch nicht erwähnt werden. Insgesamt wird häufig übereinander gesprochen und der Flurfunk läuft sehr hochfrequent.

  2. Meetings sind eher langweilig und formal: eigentlich belanglose oder untergeordnete Themen werden in epischer Breite besprochen, ohne jedoch des Pudels Kern zu benennen und insgesamt wird am liebsten über rein formale Themen gesprochen. Persönliches und Zwischenmenschliches hat keinen Platz.

  3. Kontroverse Themen, die wichtig für den Erfolg des Teams sind, werden weitestgehend ignoriert: kontroverse Themen werden nur in Einzelgesprächen benannt, in Meetings und der täglichen Arbeit jedoch ausgeblendet. Auch wichtige Entscheidungen werden gerne so lange ignoriert, bis sie jemand anderes für das Team trifft (hier gerne der Chef, der Scrum Master, der Product Owner). Selbstverständlich werden die getroffenen Entscheidungen anschließend ausführlich diskutiert und in Frage gestellt. Es versteht sich von selbst, dass das nicht offen, sondern hinterm Rücken getan wird!

  4. Unterschiedliche Meinungen oder Perspektiven werden kaum gehört. Lieber wird geschwiegen.

  5. Die einzelnen Teammitglieder verbringen viel Zeit mit zwischenmenschlicher Absicherung und persönlicher Selbstdarstellung: in Meetings werden vor allem Erfolge und unkritische Themen hervorgehoben. Positive Aspekte werden gerne als persönliche Erfolge verkauft, während für negative Aspekte gerne schon im Vorfeld Ausreden und Entschuldigungen zurechtgelegt werden.

Und? Habt ihr etwas wiedererkannt?

Ich muss gestehen, wenn ich derartige Listen runtertippe, bekomme ich ein ums andere Mal Gänsehaut, weil ich natürlich das ein oder andere wiedererkenne. Mal habe ich es in Teams erlebt, mal habe ich es sogar selbst getan. Die Wahrheit ist nämlich, dass wir Menschen alle so aufgestellt sind, dass wir Konflikte tendenziell nicht toll finden und würden wir vorher gefragt werden, ob wir diesen oder jenen Konflikt haben möchte, würden wir diese Frage sicher klar mit Nein beantworten. Wir alle müssen unseren inneren Schweinehund überwinden, um potenziell konfliktträchtige Themen zu benennen. Jedoch ist den meisten von uns sicher klar, dass genau das nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen immanent wichtig ist, um erfolgreich zu sein. Schaffen es ganze Teams nicht, ihre inneren Schweinehunde zu überwinden und baden dafür lieber in einer oberflächlichen Harmonie, hat das nicht nur negativen Einfluss auf die Produktivität dieses Teams, sondern auch auf die Kreativität und Innovationskraft. Als Führungskraft, Product Owner, Scrum Master oder eben auch als (Agile) Coach muss ich hier aktiv werden.

Was kann man denn schon tun, als Coach oder Führungskraft

In so einer Situation ist guter Rat natürlich teuer und glaubt mir, auch für eine Coach und Mediator wird das niemals zur Routine, also zu mindestens nicht für mich. Steht ein konkreter, unausgesprochener Konflikt im Raum, muss dieser gelöst werden, eh er die Atmosphäre nachhaltig schädigt. Der Profi hierfür ist der Mediator und auch Coaches sind durchaus in der Lage, ein entsprechendes klärendes Gespräch zu moderieren. Liebe Führungskraft, wenn du dich mir einer derartigen Situation überfordert fühlst, ist das absolut OK, wahrscheinlich ist es sogar normal. Hol dir Hilfe!

Ist das akute Problem aus der Welt geschafft, empfehle ich einen Workshop, der im ersten Schritt aufzeigt, woher unterschiedliche Meinungen und Perspektiven kommen und warum es gerade diese Unterschiedlichkeit ist, die Teams besonders erfolgreich machen. Im zweiten Schritt empfiehlt es sich, den Workshop-Teilnehmern konkrete Tools rund um das Thema Kommunikation, Konfliktmanagement und Feedback mitzugeben. Zu meinem Repertoire gehört hierbei natürlich Schulz von Thun, die Konflikteskalation nach Glasl, das Harvard Prinzip, gegebenenfalls Gewaltfreie Kommunikation, auf jeden Fall aber das Drei-Welten-Modell von Bernd Schmitt und das WWW-Prinzip als Struktur für ein Feedback. Über alles habe ich im Rahmen meines Blogs bereits berichtet. Also blättere gerne zurück!

Darüber hinaus ist es wichtig, im Anschluss an den Workshop für Nachhaltigkeit zu sorgen. Als Coach ist es sinnvoll, mit besonders konfliktscheuen, ruhigen oder unsicheren Mitarbeiter das Einzelgespräch zu suchen. Für das gesamte Team empfehle ich regelmäßige Debriefings oder Retrospektiven, in denen die Zusammenarbeit besprochen wird. Derartige Termine sind gute Möglichkeiten für Coaches, potenzielle unausgesprochenes durch strategisch kluge Moderation ans Tageslicht zu befördern. Je häufiger die Kollegen die Erfahrung machen, dass Meinungsverschiedenheiten kein Drama sind, sondern mit Team gelöst werden können, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass der Coach als Moderator nicht mehr benötig wird! Tja, gute Coaches schaffen sich mit der Zeit eben leider selbst ab!

In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Sonntag! Genießt den Sommer! Wir haben lange genug auf ihn gewartet!

Eure Constance

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Ran an die anderen Meinungen!

Kopf in den Sand oder Augen verschließen ist niemals hilfreich…