Freiheit

Wer bin ich und wer will ich sein? -Über Coaches, Krieger und Forscherinnen

Freiheit im 21. Jahrhundert

Das 21. Jahrhundert: das Jahrhundert, in dem ein Comedian, der einen Präsidenten spielt, nicht nur Präsident wird, sondern offensichtlich drauf und dran ist, zum ersten großen Freiheitskämpfer dieses Jahrhunderts zu werden. Es ist so beeindruckend und schmerzhaft zugleich. Wer bin ich und wer will ich sein? Studenten und Hausfrauen werden zu Kriegern und Kriegerinnen. Schüler werden zu Logistikfachleuten und Großmütter bauen Molotowcocktails…

Es ist das Leben mit all seinen Herausforderungen, den schönen und den herzzerreißenden, das uns zu dem werden lässt, was wir sein möchten oder sein müssen. Manchmal bleibt uns keine Wahl. Manchmal braucht es einfach nur eine Extraportion Mut. Und manchmal bleibt uns keine Wahl, als einfach mutig zu sein.

Wer meinen Blog schon länger kennt, weiß, dass ich hier und da aus gegebenem Anlass meine Agenda ändere, um mir zu erlauben, das zu kommentieren, was in der Welt passiert. Ich bin der Meinung, eine klare Haltung ist unabdingbar. Diese Woche bin ich allerdings hin und her gerissen. So viel wurde über diesen schrecklichen Krieg, aber auch über diesen unglaublichen Leader geschrieben. Auch hätte ich die Worte nicht, die ich als angemessen einstufen würde. Das menschliche Leid ist so groß. Es gibt Augenblicke, in denen ich mir vorstelle, ich würde in der U-Bahn sitzen, selbst kämpfen, versuchen mein Kind zu trösten, das sich gerade von seinem Papa verabschieden musste, der eben noch IT Spezialist war und jetzt in den Krieg zieht. Krieg in Europa, im 21. Jahrhundert! Es ist mir unbegreiflich, wie es so weit kommen konnte. Jedoch fühlt es sich in Teilen auch an, wie als wäre alles mit klarer Ansage passiert. Der Mediator in mir ist wort- und sprachlos. Denn was bleibt, ist die Erkenntnis, dass es keinen Frieden geben kann, wenn einer unbedingt den Krieg will. So stehe ich da, schaue von außen zu, schockiert von jeder neuen Nachricht, vor allem aber komplett hilflos. Wer bin ich und wer will ich sein?

Wenn Träume wahr werden

Während die Welt Kopf steht, schäme ich mich fast ein wenig darüber, dass ich gleichzeitig auch unglaublich viel Grund habe zu feiern. Am liebsten würde ich es in die Welt herausschreien: Ich bin jetzt Forscherin in Sachen psychologischer Sicherheit und am vorläufigen Ziel meiner Träume! Am Tag, an dem in der Ukraine die ersten Bomben fallen, lese ich es schwarz auf weiß, zum ersten Mal! Die Umfrage der Pre-Study ist fertig:

Einverständniserklärung zur Teilnehme an einer Forschungsstudie: “Führung und psychologische Sicherheit in Teams - eine multidisziplinäre Feldstudie”

Ziel und Hintergrund

Unsere Studie erforscht die psychologische Sicherheit vonseiten der Führungskräfte, sowie die erlebte psychologische Sicherheit der dazugehörigen Teams. Hierbei sind Fehlerkultur, Feedbackkultur und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten von besonderer Relevanz. Darüber hinaus erforschen wir, wie Führungskräfte ihre Leitungsposition wahrnehmen. Als Führungskraft oder Teammitglied wurden Sie als möglicher Teilnehmer dieser Studie ausgewählt…

Es kann also losgehen! Und unter “Das Forschungsteam” steht alphabethisch an dritter Stelle “Constance Ratazzi-Nelles”. Wer bin ich und wer will ich sein? Ich bin jetzt also eine Forscherin! Ich könnte vor stolz platzen, da ich mir diese Studie zu meinem Herzensthema schon so lange wünsche. Nun darf ich sogar elementarer Teil davon sein! Wow! Und während ich also dabei bin, vor Stolz zu platzen, meldet sich diese quietschende Stimme aus den Untiefen meines Geistes und erklärt mir sehr deutlich, dass ich vor allem eines sei: eine Hochstaplerin! Denn eine Forscherin sei ich sicher nicht!

Die Stimmen in meinem Kopf

Ich fühle mich gut 15 Monate zurückversetzt. Denn damals hat mich diese Stimme schon einmal dazu gebracht, ihr einen meiner Artikel zu widmen: “Der Agile Coach, der keiner ist…” Als ich vor einem guten Jahr angefangen habe, als Agile Coach zu arbeiten, war das strenggenommen und aus Sicht dieser quietschenden Stimme reinste Hochstapelei. Klar hatte ich einige Kompetenzen, die ein Agile Coach haben sollte, auch ohne, dass ich ein entsprechendes Zertifikat habe. Jedoch war da ein Teil von mir, der eigentlich nur darauf gewartet hat, ertappt zu werden, ertappt dabei, dass er nicht gut genug ist, fehl am Platz oder was auch immer. Das war eine aufregende Zeit und gerade zu Anfang brauchte ich jeden Tag diese Extraportion Mut. Ob ich heute sagen würde, dass ich wirklich ein Agile Coach bin? Auf jeden Fall. ich finde sogar, ich bin ein recht guter Agile Coach! Denn ich kann alles sein, was ich will!

Nun möchte ich also Forscherin sein! OK! Mit diesem Wunsch oder dieser Entscheidung ist nun auch wieder diese Aufregung zurück! Vor jedem Treffen mit meinen Mit-Forscherinnen der Uni in Maastricht hofft ein Teil von mir, bloß nicht als fehl am Platz ertappt zu werden. Ich möchte klug wirken und auf keinen Fall etwas “Doofes” sagen, ich möchte verstehen, ohne sicher sein zu können, dass ich das fachliche Wissen dafür wirklich mitbringe. Ich bin Coach, von mir aus auch agile, aber ein Studium der Psychologie ist für mich so weit weg wie der Mond!

Zum Glück ist diese quietschende Stimme nicht allein in meinem Kopf unterwegs. Gleichzeit ruft da eine tiefe und ruhige Stimme, dass diese Studie so sehr mein Thema ist, weil ich mich nun schon so lange genau damit beschäftige, und zwar ganz praktisch, mit echten Menschen, im echten Austausch. Diese Stimme sagt mir, dass ich so unglaublich viel Wertvolles zu diesem Thema beizutragen habe. So habe ich nun wirklich die Möglichkeit mein Herzensthema breiter aufzustellen. Ich darf wachsen und andere wachsen lassen, denn ich kann alles sein, was ich will! Und für dieses Jahr habe ich mich entschieden, nicht nur Coach, sondern auch Forscher zu sein!

Freiheit im 21. Jahrhundert

Vielleicht ist genau das mein größtes Glück: ich wurde im 20. Jahrhundert in eine freie Gesellschaft geboren, in der ich sein kann, was ich will. Alles was es braucht ist Mut, viel weniger Mut, als ihn Freiheitskämpfer und Kriegerinnen brauchen. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, dieser quietschenden Stimme in meinem Kopf, die stets versucht mich vor Blamagen zu schützen, zu sagen, dass ich ihr dankbar war und bin, aber dass ich sie momentan einfach nicht mehr brauche, denn ich bin frei, sogar frei mich zu blamieren.

Und während ich nun über diese Freiheit, meine Freiheit, nachdenke, stelle ich mehr und mehr fest, dass die Erfüllung meines Traums keineswegs das Ziel ist. Vielmehr ist das nur der Anfang. Noch mehr wird kommen und ich werde ganz sicher noch mehr sein können, vielleicht sogar irgendwann einmal Autorin!

Auch für die mutigen Menschen in der Ukraine wünsche ich mir, dass das nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang für sie ist. Ich hatte das Privileg in eine freie und demokratische Gesellschaft geboren zu werden. Ich musste nie dafür kämpfen und ich darf trotzdem Teil dieses exklusiven Clubs sein, der sich EU nennt. Wenn dieser Club mehr ist, als eine geopolitische und wirtschaftliche Interessengemeinschaft, wenn diese EU auch eine Wertegemeinschaft ist, dann frage ich mich, ob es momentan irgendein Volk mehr verdient hätte, Teil dieses Clubs zu sein. Meine Gedanken wandern immer zu den Menschen in der Ukraine und zu all jenen auf der Flucht. Dann wandern sie weiter zu den Menschen Russlands, zu all jenen, die dieses Vorgehen verurteilen, jedoch nicht die Freiheit haben, offen sprechen zu dürfen, die nicht sein können was sie wollen… und wahrscheinlich ist genau das das Problem: könnten alle Menschen sein, was sie wollen, dann könnten sie vor allem auch friedlich sein…

Das muss für heute reichen.

Genießt Euren Sonntag, umarmt Eure Liebsten und seht Euch an wie frei Ihr seid!

Eure Constance

Wer bin ich und wer will ich sein?

Denn Freiheit bedeutet auch die zu sein, die ich sein möchte! Coach und Forscherin, Träumerin und Weltenveränderin

Ein Land im Regenbogenfieber...

Weil es nicht nur um Respekt und Akzeptanz geht

Mein Gott, was war denn da los? Pünktlich zum Spiel Deutschland gegen Ungarn hat Deutschland sich in ein kunterbuntes Regenbogenkleidchen gehüllt. Gefühlt war wirklich ganz Deutschland im absoluten Regenbogenfieber. Auf die ein oder andere graue Ausnahme komme ich später noch zu sprechen! Natürlich konnte auch ich mich dem nicht entziehen. Wer mir auf den sozialen Medien folgt, hat das bestimmt mitbekommen. Ich muss gestehen, es hat mich wirklich stolz gemacht, zu sehen, wie viele Menschen einfach so mitgemacht haben und es hat mich stolz gemacht, dass es mein Land war, dass die Diskussion über dieses ganz und gar unrühmliche Gesetz der ungarischen Regierung derart angefeuert hat! Danke München! Und vielleicht auch Danke UEFA! Hättest du die Beleuchtung nicht verboten, hätten viele Menschen in Europa sicher nicht mitbekommen, was in Ungarn vor sich geht! Plötzlich scheint sich die Diskussion von Gleichstellung, Gleichberechtigung und eben auch die Akzeptanz des Anderen in ganz neue Höhen zu schwingen.

Es geht um so viel mehr, als sexuelle Orientierung

In meinem Fall ist es wohl so, dass ich mal abgesehen davon, dass ich irgendwie zu groß und zu laut bin, wahrscheinlich dem entspreche, was auch in Ungarn diese vermeintliche Norm ist. OK, ich habe mich bewusst gegen eigene Kinder entschieden. Vielleicht passt das nicht wirklich in das Bild der heilen Familie. Wie dem auch sei, ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, festzustellen, anders zu sein, als es diese sonderbare, gesellschaftliche Norm festlegt. Ich kann mir nicht vorstellen, was es im Kern bedeutet, sich zu verstellen, sich anzupassen, weil man die Sorge hat, Familie oder Freunde könnten sich von einem abwenden, sobald man, man selbst ist. Ich musste meine Liebe niemals verstecken, weder aus Angst vor dummen Kommentaren, noch vor verletzenden Blicken, oder vielleicht sogar rechtlichen Konsequenzen. Wenn ich mit dem Menschen, den ich liebe, durch die Straßen gehe, halten wir uns natürlich an den Händen, wir umarmen uns, küssen uns, weil wir glücklich sind und das darf die ganze Welt wissen. Es gibt Menschen, die nichts anderes tun, dafür aber beleidigt, angespuckt, verprügelt werden! Weil sie lieben?! Ganz ehrlich, was ist das für eine absurde Welt! Wir Leben im 21. Jahrhundert, sind digitalisiert bis unter die Zähne und sexuell so aufgeklärt, dass es mir manchmal fast weh tut und in Mitten dieses ach so aufgeklärten Zeitalters versucht eine europäische, demokratische Regierung gleichgeschlechtliche Liebe aus dem kollektiven Bewusstsein zu streichen? - Schlimmer noch, sie stellt Homosexualität gefühlt in eine Ecke mit Pädophilie! Wie verletzend das für alle schwulen Männer sein muss, hat mir ein lieber und langjähriger Freund bestätigt. Was machen diese Diskussionen mit Menschen? Ich würde anfangen mich zu verstellen und meine Persönlichkeit zu verstecken. Beides würde sehr viel Energie fressen, mich in meiner Entfaltung hemmen und der Welt die Möglichkeit nehmen, mich ganzheitlich in all meinen Farben, mit all meinen Fähigkeiten zu erleben! Traurige Vorstellung, findet ihr nicht auch?

Es geht um Potenzial und um Entwicklung

Als Human Factors Consultant habe ich, wenn es um Potenzial, um das Humanvermögen einer Organisation geht (nennt sie Team, Unternehmen, Land, oder Welt), noch mal eine ganz eigene Perspektive, auf das, was in Hinblick auf Diversity und Akzeptanz von Unterschiedlichkeit passiert. Im Job ist es mein Ziel, High Performance Teams und High Performance Organisationen “zu produzieren”. Über meine Wege und Hebel zur Erreichung dieses heeren Zieles berichte ich ja allwöchentlich. Was ich vielleicht noch nicht so deutlich gemacht habe, ist die “menschliche Basis” von High Performance! Diese Basis ist nämlich im besten Fall ausgesprochen heterogen, um nicht zu sagen divers! Warum? Weil es in einer komplexen Welt einfach ganz viele unterschiedliche Perspektiven braucht, um zu einer bestmöglichen Lösung zu kommen. Natürlich resultieren diese unterschiedlichen Perspektiven auch aus unterschiedlichen Persönlichkeiten. Diversity bedeute nicht nur unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen, oder diese überstrapazierten Diskussionen über Frauen in Führungsetagen zu führen, sondern auch aus einer Kombination aus unterschiedlichen kulturellen Einflüssen, unterschiedlichen generationsbedingten Einflüssen und Wertesystemen, unterschiedlichen Vorlieben und unterschiedlichen Meinungen ganz neue Ideen zu gewinnen. Je bunter und breiter gefächert das Bild, je diverser das Team, desto größer die Wahrscheinlichkeit, High Performance zu erzeugen.

Das einzige, was uns in so perfekten Kombinationen unterschiedlicher Menschen davon abhält, zu einem echten High Performance Team zu werden, ist diese offensichtlich sehr tief sitzende Angst vor allem, was anders ist. Diese Angst ist wissenschaftlich verbrieft und kommt noch aus den Zeiten, in denen wir in Höhlen zu hausen pflegten. Da waren “die anderen” natürlich immer eine veritable Bedrohung für Leib, Leben und Hausstand! Allerdings ist festzustellen, dass diese Zeiten vorbei sind! -Wie gesagt, digitalisiert bis unter die Zähne! Das passt nicht zu steinzeitähnlichem Verhalten, nicht in Ungarn und auch nicht hier in Deutschland! -Ja, die Regenbogenflut war gewaltig, aber auch die intoleranten Gegenstimmen haben sich für meinen Geschmack noch zu deutlich Luft gemacht. Ganz ehrlich, die sexuelle Orientierung meines Nachbars, das Geschlecht meinX ChefX, die Hautfarbe des Eisverkäufers, oder die Haarfarbe der von oben bis unten tätowierten Kindergärtnerin der Nachbarskinder hat keinerlei Einfluss auf mein Leben! Soll doch jeder sein wie er will! Denn nur wenn Menschen nicht mehr all ihre Energie darauf verschwenden müssen, sich an irgendein Schema “F “anzupassen, können sie diese Energie nutzen, um tatsächlich Höchstleistungen zu erbringen!

Und am Ende geht es ums Glücklich Sein

Jetzt stelle ich mir vor, was diese Gesellschaft für eine High Performance Gesellschaft sein könnten, wenn jeder einfach sein dürfte, wie er wirklich ist, wenn keine Energie mehr darauf verschwendet werden müsste, um einem bestimmten Schema zu entsprechen. Ein bisschen träumen muss in diesem Zusammenhang ja erlaubt sein! Wobei, wenn ich mir die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit anschaue, sollten wir tunlichst daran arbeiten, diesen Traum in die Realität umzusetzen. Wir haben mehr als genug Probleme, die es anzugehen gilt und ein klein wenig High Performance kann dabei nicht schaden. Zauberhafter Nebeneffekt dieser radikalen Toleranz, Akzeptanz und persönlichen Freiheit wäre, dass es viel mehr glückliche Menschen gebe. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zeit, die uns zum glücklich sein, geschenkt wird, am Ende des Tages doch ausgesprochen begrenzt ist, wäre das vielleicht das größte Geschenk!

Danke München

Und zum Abschluss: wie war eigentlich euer Fußballabend? Das Spiel war ja ehr so “geht so”! Während ich mich durch dieses Spiel gezittert habe, habe ich mich tatsächlich immer wieder bei dem Gedanken ertappt, was denn wäre, wenn München die bunten Lichter trotz Verbots irgendwann anschalten würde! Würde die Regie in einen Schwarz-Weiß-Modus umschalten? Würde die Welt untergehen? Ungarn aus der EU austreten? Der rechtsradikale Fanblock aus diesem schönen Land am Balaton wutschnaubend das Spielfeld stürmen? Oder würde einfach nichts passieren und die LGBTQ Community in Ungarn für einen kurzen Moment das Gefühl haben, nicht alleine zu sein? -Nicht “falsch” zu sein? Vielleicht wäre es das i-Tüpfelchen gewesen und ich war am Ende fast ein bisschen enttäuscht, dass München sich nicht in zivilen Ungehorsam geübt hat. Ich verstehe aber auch, dass es nicht passiert ist! Was bleibt ist das fette Dankeschön an die Stadt München. Danke für diese Diskussion! Ich hoffe sehr, dass sie länger anhält, als, die Regenbogen in den Sozialen Medien!

Eure Constance

Mehr Farbe braucht die Welt…

Mehr Farbe braucht die Welt…