Unternehmenskultur

Nokia wer??? Human Factors Tod eines Weltmarktführers

Als die Handys smart wurden

Wer aus der Generation Ü-40 hatte irgendwann einmal ein Handy von Nokia? Ich hatte zwei. Mein erstes Handy überhaupt war von Nokia, lila mit Antenne. Auch sein Nachfolger, blau-grau ohne Antenne, war vom damaligen Weltmarktführer in Sachen Mobiltelefon. Ich war mit beiden Handys sehr zufrieden. Das zweite fand leider ein sehr tragisches Ende in einer südafrikanischen Waschmaschine… Der Nachfolger war von der Konkurrenz, obwohl ich eigentlich lieber wieder ein Handy meiner Lieblingsmarke gehabt hätte. Irgendwie gab es aber nichts neues, innovatives von Nokia mehr. Ich landete bei Samsung. Heute habe ich Apple, aber auch eher durch Zufall. Unbezahlter Werbeblock hiermit beendet.

So wie mir ging es damals vielen Kunden in den Mobilfunkgeschäften. Komisch, Nokia war Jahre lang der heißeste Scheiß in Sachen Handy. Weltmarktführer mit einem Marktanteil von fast 25 Prozent Ende der 90er Jahre. Doch plötzlich ist Nokia verschwunden. Ich erinnere mich noch schemenhaft an die Proteste, als 2008 das Nokia Werk in Bochum geschlossen wurde. Der Weltmarktführer verschwand und andere standen schon bereit, um in die freiwerdende Lücke zu springen. Natürlich ist es in derart schnelllebigen und innovationsbasierten Branchen nicht unüblich, dass selbst Weltmarktführer von anderen Unternehmen überholt werden. Der schnelle, sang- und klanglose Niedergang der Mobilfunksparte von Nokia ist dennoch bemerkenswert, nicht nur weil der Marktwert des Unternehmens selbst innerhalb weniger Jahre um 75 Prozent sank. Was nach außen wie ein rasanter Niedergang aussah, war in Wirklichkeit der schleichende Human Factors Tod, der inzwischen gut beleuchtet und aufgearbeitet wurde. Dieser schleichende Prozess bei Nokia ist ein sehr gutes Beispiel, aus dem andere Organisationen formidabel lernen können, wenn sie denn wollen.

Das Ende einer Erfolgsstory

In den frühen 2000er Jahre brachte Nokia alles mit um zum Beherrscher des exponentiell wachsenden Smartphone Marktes zu werden. Die großen Erfolge der näheren Vergangenheit legten die wirtschaftliche Basis für Investitionen in die Zukunft und mit seinem Betriebssystem Symbian war Nokia zunächst auch auf einem scheinbar guten Weg.

Warum war Nokia nicht in der Lage, seine PS auf die Straße zu bringen, um Apple und Co. zu zeigen, wo der Hammer hängt? Hervorgerufen durch ein, ich möchte es mal temperamentvolles Management nennen und durch den eng umkämpften Markt, der als stetige Drohkulisse genutzt wurde, herrschte im gesamten Unternehmen eine angsterfüllte emotionale Atmosphäre, die zu einer gewissen Trägheit im gesamten Unternehmen führte. So jedenfalls stellten es Professor Dr. Quy N. Huy und der Executive Director der internationalen Industrie- und Handelskammer Finnland Timo O.Vuori im “Administrative Science Quarterly 61.1” heraus.

Weil der Fisch für gewöhnlich von Kopf stinkt…

Wie konnte es soweit kommen? Dass der Fisch immer vom Kopf stinke, ist eine altbekannte Weisheit, die so nicht immer richtig ist. Um die angsterfüllte Atmosphäre und deren Auswirkungen bei Nokia zu verstehen, ist es jedoch wichtig, “oben” anzufangen. Der für einen Finnen offensichtlich recht heißblütige Vorstandsvorsitzende Olli-Pekka Kallesvuo war bekannt dafür, seine Mitarbeiter regelmäßig aus voller Kehle anzuschreien und eine Managementebene tiefer war man sich einig, dass man Olli-Pekka besser nur das mitteilte, was er auch hören möchte. Von Problem wollte Olli-Pekka übrigens nichts hören, nie! Auch Olli-Pekkas Stellvertreter war aus aus ähnlichem Holz geschnitzt. Man sagte ihm nach, dass er während Meetings regelmäßig so heftig mit der Faust auf den Tisch schlug, dass das Obst auf dem Tisch abhob. Alles das konnte man im bereits erwähnten Administrative Science Quarterly nachlesen. Leitende Führungskräfte, die mit den Anforderungen und der Kultur nicht mithalten konnten oder wollten, wurden als öffentlich “Loser” bezeichnet, als Low-Performer und sie “setzten ihren Ruf aufs Spiel”. Man hielt also besser den Mund und unterwarf sich den Regeln des Spiels.

Ich glaube ich muss nicht weiter beschreiben, wie es um die Gefühlslage der leitenden Führungskräfte bestellt war. Cholerische Chefs und panische Angst vor der innovativen Konkurrenz aus dem Silicon Valley! Klar dass die Nerven hier dauerhaft blank lagen und der Druck natürlich nach unten weitergegeben wurde. Daraus resultierend hatten die Manager auf mittlerer Führungsebene Angst davor, schlechte Nachrichten weiterzugeben. Stattdessen lieferten sie regelmäßig einen etwas zu optimistischen Ausblick auf die technologischen Features des zu entwickelnden Smartphones und versäumten es, zwingend notwendige Investitionen in die Entwicklung komplexer Innovationen einzufordern. Ein Manager erklärte: “In der Abteilung für Forschung und Entwicklung bei Nokia gab es die Kultur, dass man die obere Ebene zufriedenstellen wollte. Man wollte gute Nachrichten und keine Realitätsprüfung.” (Dieses Zitat entspringt ebenfalls den Auswertungen der Herren Huy und Vuori).

Die Folgen psychologischer Unsicherheit

Nokia befand sich in einer sich schnell verändernden Branche, in der Erfolg vom Wissen, der Kommunikation, der Kreativität, der Innovationskraft und vor allem der Zusammenarbeit der Mitarbeiter abhängig war. Der geneigte Leser meiner Blogs hat inzwischen sicher verstanden, dass kreative und innovative kognitive Fähigkeiten im Zustand von Angst nicht möglich sind. Auch ein angemessenes Fehlermanagement, bzw. eine daraus resultierende Lernschleife ist unmöglich, wenn ich Angst davor habe, Fehler und Missstände zu melden. Alles das führt uns zu dem von mir regelmäßig bearbeiteten Thema der psychologischen Sicherheit und zu der von mir so geliebten Amy Edmondson aus Harvard! Selbstverständlich kann man nicht sagen, dass psychologische Sicherheit Nokias Erfolg in einer derart hart umkämpften Branche nachhaltig gesichert hätte. Aber nur in einer Kultur der psychologischen Sicherheit können die Mitarbeiter, die als Humanvermögen eines Unternehmens über die letzten Jahrzehnte zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, ihr volles innovatives und kreatives Potenzial nutzen. Und nur in einer Kultur der psychologischen Sicherheit können leitende Führungskräfte und das Top-Management wissen, wo das Unternehmen wirklich steht, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können.

Was den Finnen ihr Olli-Pekka ist den Deutschen ihr Martin

Natürlich könnte man jetzt sagen, die spinnen die Finnen. Aber das ist kein finnisches Problem. Der Dieselskandal rund um Volkswagen, der den großen Martin Winterkorn in die Knie gezwungen hat, ist ja noch immer in aller Munde. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Winterkorn erklärte, dass er von nichts wusste und sich auch keines Fehler bewusst war. Klar, der arrogant, überhebliche Autokrat Winterkorn stellt natürlich einen medienwirksamen Bösewicht dar. Das verrückte ist, dass ich ihm voll und ganz glaube. Er wusste von nichts! Warum? Weil alle Angst vor ihm hatten. Und natürlich glaubte er, alles richtig gemacht zu haben. Immerhin wurde er von einem gewissen Ferdinand Piech ins Amt befördert, weil er so war wie er und deshalb Kontinuität im Führungsstil versprach. Aber was war das für ein Führungsstil? Ich erzähle mal eine Szene nach, die so auch auf YouTube anzuschauen ist: auf der Automobilmesse in Frankfurt 2011 stellt Hyundai eine geräuschlose Lenkwelle vor. Als Winterkorn das sieht, schreit er seinen Chefdesigner Bischoff an und faltet ihn encora Publikum, weil VW diese für fast unmöglich gehaltene Innovation nicht gelungen war. Die Umherstehenden übten sich in betretenem Fremdschämen. Chefdesigner Bischoff verteidigte Winterkorns Verhalten interessanterweise später in einem Interview. Klar würde sein Chef durch die Decke gehen, wenn etwas aus seiner Sicht schief liefe, allerdings sei sein Chef privat ein echt Guter und Sozialer, der sich sehr für das persönliche Schicksal von Menschen interessiere. Aber es geht doch nicht darum, ob jemand ein guter Mensch ist, sondern ob es ihm als Chef gelingt, so zu führen, dass es dem Erfolg des Unternehmens zuträglich ist. Bei VW herrschte, ähnlich wie bei Nokia, ein Klima der Angst und als Winterkorn den Ingenieuren das Unmögliche befahl, nämlich die Stickstoffemission der Dieselmotoren unter das magische US-Maß zu senken, haben diese sich nicht getraut, zu sagen, dass es technisch nicht möglich sei. Lieber haben sie aus Angst vor Konsequenzen und Arbeitsplatzverlust angefangen zu schummeln. Und natürlich wusste Winterkorn nichts, weil alle Angst vor ihm hatten. Am 24. September 2015 schrieb Aufsichtsratsmitglied Bernd Osterloh in einem Brief an die Belegschaft: “In Zukunft brauchen wir ein Betriebsklima, in dem Probleme nicht verheimlicht werden, sondern offen mit Vorgesetzten geteilt werden können. Wir brauchen eine Kultur, in der es möglich ist, mit dem Vorgesetzten über die beste Handlungsweise zu diskutieren.” Entscheidet selbst: wärt ihr in der Lage, offen mit einem Chef Probleme zu diskutieren, der öffentlich Kollegen anschreit? Ich nicht! Winterkorn ist jetzt wohl Privatier.

Keine Sorge, mein Mitleid mit den unwissenden Martins und Olli-Pekkas dieser Welt hält sich in Grenzen. Ja, sie wussten nichts und ja, sie waren von den Entwicklungen sicher selbst am meisten überrascht. Aber sie haben es sich all die Jahre einfach viel zu leicht gemacht. Klar sorgt so ein Angst-Regime dafür, dass man als Führungskraft einen lauen Lenz schieben kann. Wenn ich nur gemeldet bekomme, dass alles läuft, ist doch alles easy. Keiner wird gerne mit Problemen konfrontiert, die einem dann noch Arbeit machen. Aber so läuft das nun mal. Nur so kann ich wissen, was in meinem Unternehmen oder in meiner Abteilung vor sich geht. Erfolg stellt immer nur eine Momentaufnahme dar und vielleicht brodelt es in diesem Moment schon gehörig unter der Oberfläche. Der Human Factors Tod eines Unternehmens ist ein langsamer, stiller, aber nachhaltiger Tod. Dabei ist er vor allem jedoch eins: vermeidbar! Deshalb ist mein Mitleid bei all den Menschen, die auf diese Art und Weise in eine existenzbedrohende Situation gekommen sind. Bei den Müttern, die ihren Kinder erklären müssen, dass sie nicht an diesem Ausflug mit den Freunden teilnehmen können. Bei denen, die in der Schlange der örtlichen Tafel stehend versuchen, ihre Würde zu wahren. Manager und Führungskräfte haben eine Verantwortung, die weit über Bilanzkurven und Börsenkurse hinausgeht. Sie tragen Verantwortung für Menschen. Es gibt Dinge, die sind unvermeidbar, ja! Der Human Factors Tod gehört aber nicht dazu!

Bad Leadership

Eigentlich habe ich mich immer nur damit auseinandergesetzt, was gute Führung ausmacht. All jene von euch, die mir bei Instagram folgen (kleiner Werbeblock in eigener Sache: klicke hier) haben sicher mitbekommen, dass ich mir ein neues Buch gekauft habe: Bad Leadership. Ich habe es noch nicht gelesen, aber ich glaube tatsächlich, dass man sich dem Thema Führung sinnvollerweise von beiden Seiten nähern sollte. Führung ist so unglaublich wichtig und machtvoll, egal ob Servant Leadership, bad Leadership, oder was auch immer. Außerdem bin ich mir ganz sicher, dass auch Martin und Olli-Pekka nicht entschieden haben, schlechte Führungskräfte zu sein. Es ist einfach passiert, während sie, wie jeder andere auch, versucht haben, ihr Bestes zu geben. Deshalb ist der Mut, sich selbst zu hinterfragen und zu reflektieren vielleicht die wichtigste und mutigste Führungseigenschaft.

Eure Constance

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Nokia wer???

Wie das Smartphone von Nokia wohl gewesen wäre…? Und wenn Nokia auf der Erfolgsspur geblieben wäre…? Was wäre dann aus Apple und Co. geworden…?

Die Vorzüge der ewig missverstandenen Intuition und warum man im Business mit Wassermelone erfolgreicher ist, als mit Schokolade

Daniel Kahneman, großer Denker und Nobelpreisträger

Der US-amerikanisch-israelische Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat im Jahr 2011 mit seinem Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” einen für die Wirtschaft im allgemeinen und für die Welt der sagenumwobenen “New Work” einen aus meiner Sicht wirklich großen Wurf gelandet. Der Harvard Professor Steven Pinker bezeichnet Kahneman als den wichtigsten Psychologen der Gegenwart und der Economist hat Kahneman im Jahr 2015 unter die zehn weltweit einflussreichsten Ökonomen gewählt. Woher all der Ruhm? Gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky legte Kahneman die Grundlagen der Verhaltensökonomie. Sein Forschungsfeld war es, das menschliche Urteilsvermögen im Rahmen wirtschaftlicher Entscheidungsfindungsprozessen realistischer (und menschlicher) darzustellen, als es traditionelle Kosten-Nutzen-Modelle tun. Wir können es drehen und wenden, wie es uns beliebt, was bleibt ist, dass der Mensch eben so intuitiv wie reflektiert ist und auch genau so entscheidet. Kahneman bezeichnet das als zwei Systeme, die dem Mensch inne wohnen, ihn beeinflussen und beide Vorzüge und Nachteile haben.

Schnelles Denken, langsames Denken - zwei Systeme, ein Mensch

Daniel Kahneman hat im Rahmen seiner Forschung herausgearbeitet, dass es in unseren Gehirnen zwei grundlegend unterschiedliche Weisen zu denken gibt. Diese stellt er anhand von zwei Systemen dar, die selbstverständlich als Metapher zu verstehen sind, unsere Arten zu denken jedoch sehr anschaulich machen:

  • System 1: schnell, automatisch, immer aktiv, stereotypisierend, emotional, intuitiv, unbewusst, nicht besonders intelligent

  • System 2: langsam, logisch, anstrengend, selten aktiv, berechnend, bewusst, klug, wenig effektiv

Kahneman beschreibt in seinem Buch eine Reihe von Experimenten, die die Unterschiede beider Denkprozesse herausstellen und zeigt eindrucksvoll auf, wie beide Systeme oft zu verschiedenen Schlussfolgerungen kommen. Ja ja, der kleine Widerspruch in uns, mit dem schon Faust in Gestalt seiner zwei Seelen zu kämpfen hatte. Dieses Problem scheint so alt wie die Menschheit selbst. Die Frage ist immer, welche Seele am Ende gewinnt!

System 1 hat in Kahnemans Struktur die Aufgabe uns das Leben zu retten. Es entscheidet permanent, ob wir vor etwas fliehen möchten, kämpfen müssen, oder ob wir etwas lieben. Hierfür sammelt System 1 unendlich viele Bilder und Erfahrungen vom Normalfall und schlägt bei jeder Abweichung von der abgespeicherten Normalität, oder bei allem, was auf eine Gefahr hindeuten könnte, Alarm. System 1 ist hierbei vor allem eins: sehr fleißig. Es arbeitet permanent und mühelos. Es erkennt Situationen, liest Emotionen und verarbeitet Sinneseindrücke. Das Problem ist, dass es sich hierbei gerne und einfach täuschen lässt. Im Prinzip reicht hierfür eine 3D-Brille. Hinzu kommen aber noch allerlei Wahrnehmungs- und Interpretationsfallen, die einfach allgegenwärtig sind.

Zum Glück hat die Evolution uns noch mit System 2 ausgestattet. System 2 ist extrem gut darin, Dinge zu ordnen. - Wie zum Beispiel all die Bilder und Eindrücke, die System 1 unentwegt erzeugt. System 2 schafft es, System 1 zur Ordnung zu rufen, sich zu fragen, ob das denn nun real sei, oder alles nur durch eine 3D-Brille vorgespielt wird. Es kennt sogar einige dieser zahllosen Wahrnehmungs- und Interpretationsfallen. Außerdem ist System 2 eine Art Gewissen und soziale Notbremse. Es sorgt dafür, dass wir auch die blöden Nachbarn grüßen, weil wir bei der nächsten Paketannahme vielleicht auf sie angewiesen sind. Es verhindert, dass wir die Schokolade essen, weil wir uns gerade in Mitten einer Beerdigungszeremonie befinden und das unangebracht wäre. Dieses System 2 ist einfach großartig und man fragt sich, warum es nicht einfach alle unsere Entscheidungen trifft.

Das faule Superhirn

System 2 ist leider sehr langsam, arbeitet ineffizient und benötigt dabei auch noch eine Menge Energie in Form von Glukose! Hinzu kommt, dass in unserer Realität immer viele Dinge gleichzeitig passieren und System 2 ist absolut kein Multitasker. Tja, und wann immer System 2 schwächelt, spring das super fleißige System 1 ein.

Über Fehlurteile und dumme Entscheidungen

Eine der häufigsten Gründe für dumme Entscheidungen oder Fehlurteile ist, dass System 2 gerade nicht vollumfänglich verfügbar ist, weil es entweder beschäftigt, müde oder hungrig ist. Die einfachste Möglichkeit, System 2 mal im Selbstversuch Schritt für Schritt auszuschalten, ist übrigens, ihm Alkohol zu geben. Während es sich dann schrittweise verabschiedet, können wir wahrnehmen, wie System 1 langsam übernimmt. Es ist natürlich der Meinung, dass noch ein weiteres Getränk zu verschmerzen ist, es lässt Gefühle ungefiltert raus, findet sich selbst dabei einfach nur mega toll und im schlimmsten Fall ist es natürlich der Meinung, dass es sowohl tanzen, als auch Auto fahren kann. Natürlich müssen schlechte Entscheidungen nicht zwangsläufig etwas mit Drogenkonsum zu tun haben. System 2 ist nicht nur nicht in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig zu erledigen, sondern es ist auch damit überfordert, sie zu lange am Stück oder zur falschen Uhrzeit zu tun. Nachts möchte es nämlich schlafen, außerdem arbeitet es nicht gerne lange am Stück und teilt sich deshalb seine Pausen selbstständig ein. Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel für Flugzeugbesatzungen vorgeschriebene maximale Dienstzeiten, Ruhezeit und ein verpflichtendes Fatigue Risk Training. Ich möchte nicht, dass mein Kapitän bei einer böigen Landung nur noch über System 1 verfügt.

Und jetzt?

Die große Frage ist jetzt natürlich, wie man damit umgehen kann. System 1 ist schnell, flink, allgegenwärtig und wir können uns nicht gegen seine Aktivität wehren? Dass so hinzunehmen, wäre wohl zu einfach. Schon der große Kant hat das besser gewusst: “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”. Sich entscheiden, zu denken, Dinge proaktiv hinterfragen, abwägen und die Perspektive wechseln führt unweigerlich zu einer besseren Entscheidung, weil dadurch automatisch System 2 hinzugeschaltet wird. Hierauf setzen viele analytische Entscheidungsfindungsmodelle. (Solltet ihr ein solches kennenlernen möchten, findet ihr hier den Link)

Doch es gibt noch weitere gute Möglichkeiten, seine zwei Systeme zu managen. System 1 ist nicht nur der Ursprung vieler Dinge, die wir vermeintlich falsch machen, sondern auch sehr vieler Dinge, die wir außergewöhnlich richtig machen. In unserer komplexen Arbeitswelt können wir gar nicht alles über System 2 laufen lassen. Das fleißige System 1 kann ein wertvoller Verbündeter sein, wenn es darum geht, Komplexität zu managen, wenn System 2 überlastet ist. Dazu müssen wir es aber trainieren und schulen. Je mehr unserer alltäglichen und standardisierten Aufgaben System 1 übernimmt, desto besser können wir System 2 schonen. So ist es dann dienstbereit, wenn es wirklich drauf ankommt. Dazu können Organisationen zum Beispiel Abläufe standardisieren, Check Listen erstellen und ihre Mitarbeiter die Standards so ausführlich üben lassen, bis diese in Fleisch und Blut, bzw. in System 1 übergegangen sind. So hat System 2 genügen Kapazität, um sich um Non-Standards zu kümmern und hier bewusst und bestmöglich zu entscheiden. In der Luftfahrt hat sich dieses Vorgehen bis ins kleinste Detail durchgesetzt, um Flugzeugbesatzungen in Notfällen handlungsfähig zu halten. -Das operative Konzept der Routine! So nannte es Kahneman selbst.

Es gibt noch mehr, was Organisationen tun können, um das System 2 ihrer Belegschaft bestmöglich in Stellung zu bringen: Thema Work-Life-Balance! Wir haben gelernt, dass System 2 nicht besonders ausdauernd ist, regelmäßig Pausen und Glukose benötig und ausreichend und am liebsten auch nachts schlafen möchte. Ein besonders produktiver Mitarbeiter ist nicht der, der täglich zehn Stunden am Schreibtisch sitzt. Dieser verzettelt sich nur, weil System 2 wahrscheinlich einen Großteil der Zeit nicht mit am Werk ist. Es gibt inzwischen sogar Studien, die darlegen, dass Mitarbeiter, mit welchen per se eine kürzere tägliche Arbeitszeit vereinbart wurde, nicht nur während der Arbeitszeit effizienter sind, sondern auch insgesamt produktiver. New Work eben! Natürlich gibt es Bereiche, da ist das mit der New Work nicht so leicht umzusetzen. Ich bin ein Kind der Luftfahrtindustrie. Da muss, ähnlich wie in vielen anderen High Risk Environments, nachts gearbeitet werden, oder auch mal 16 Stunden am Stück. Hierbei ist es wichtig, dass durch eine entsprechende Pausenregelung, durch Freizeitmodelle und maximale Dienstzeiten der bestmögliche Ausgleich geschaffen wird. Die Luftfahrt ist hier vor allem durch gesetzliche Vorgaben recht gut aufgestellt. Für Krankenhäuser, Kernkraftwerke, etc. würde ich mir ähnliches wünschen, weil an deren Entscheidungen, ggf. unser aller Leben hängen kann.

Das Team als entscheidender Schutzfaktor

Aber selbst die besten Standards und die beste Pausenregelung können nicht verhindern, dass uns System 2 doch einmal den Dienst versagt. Deshalb arbeite ich als Human Factors oder Crew Ressource Management Trainer. Denn unser bestes Schutzschild ist Backup Behavior! So heißt das, wenn man ein Team in wichtige Entscheidungen mit einbezieht, aktive die Perspektiver der Kollegen einfordert, bzw. seine Perspektive proaktiv mitteilt und Kollegen als Backup betrachtet. Natürlich wünschen wir uns alle diese Warnglocke im Kopf, die uns davor warnt, dass sich System 1 gerade einmal wieder verselbstständigt und anfängt Blödsinn zu machen. Diese Warnglocke gibt es aber nicht. Von der Evolution nicht vorgesehen! Wie oft schreit die laute klare Stimme der Intuition viel viel lauter als das zarte Stimmchen der Vernunft? In diesen Situationen wollten wir die Warnglocke ohnehin nicht hören. Hier ist es wie mit einem Spaziergang in vermieten Gelände: Das Mienenfeld lässt sich eben einfacher erkennen, wenn andere darin spazieren gehen. Unsere Warnglocken sind unsere Kollegen und Teammitglieder, die die Möglichkeit haben, unser System 1 zur Raison zu bringen, da sie uns von außen beobachten können. Eine Perspektive die mit Gold nicht aufzuwiegen ist. Natürlich muss die Organisationskultur ein solches Verhalten fördern, bzw. einfordern, vom Top-Management bis hin zum Praktikanten. Mitglieder solcher Organisationen (Führungskräfte wie Mitarbeiter) sehen die Stärken ihrer Kollegen nicht als Bedrohung, sondern als Kompensierung ihrer eigenen Schwächen. Vor allem aber sind sie sich ihrer eigene Schwächen (und ihrer Systeme 1) bewusst. Deshalb bin ich dankbar, wenn der Kollege sich traut, mein Handeln zu hinterfragen. Wir alle haben diese zwei Systeme im Kopf, aber gemeinsam schaffen wir es, bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Also seid milde mit eurer Intuition. Sie ist fleißig, will euch beschützen und immer ihr bestes geben. Sie meint es unglaublich gut mit uns, aber manchmal müssen wir eben auf sie aufpassen. Und das geht im Team viel besser und einfacher als allein.

Zu guter Letzt

Noch ein spannender Fact zum Abschluss: Im Januar 2016 erschienen im Rahmen des Harvard Business Reviews die Ergebnisse einer Studie aus dem Vorjahr, die beschreibt, dass in diesem Jahr Mitarbeiter aller Hierarchieebenen etwa 50 Prozent mehr Arbeitszeit damit verbracht haben, mit anderen im Team zusammen zu arbeiten, als noch im Jahr 1995. Tendenz steigend. Warum, sollte klar sein: unsere Welt und somit auch unser Arbeitsumfeld wird immer komplexer und ein einziges System 2 schafft das nicht mehr alleine. Es benötigt noch ein paar andere Systeme 2, um die verschiedenen Aufgaben zu erledigen, dabei kreativ und innovativ zu sein und natürlich, um auf alle diese hyperaktiven Systeme 1 aufzupassen.

So, mein System 2 möchte nicht mehr mitarbeiten. Es ist müde, ihm reicht es. System 1 schreit gleichzeitig laut nach Schokolade und Sofa. Ich bin echt froh, dass System 2 wenigstens noch fit genug ist, um mit letzter Kraft zu intervenieren. Es gibt Wassermelone und Yoga!

Eure Constance

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System 1 vs. System 2

Weil Schokolade toll ist, Wassermelone manchmal aber klüger

Ja, Feedback ist wichtig! Aber wie geht es richtig? Und warum gebe ich manchmal einfach kein Feedback?

Entwicklung… Weil die Welt sich immer weiter dreht

Nachdem ich meinen letzten Artikel ganz besonders für meine Freundin Katja geschrieben habe, ist dieser Artikel ganz besonders für uns alle, inklusive mir selbst. Denn das mit dem Feedback ist so eine Sache… In ungefähr jedem meiner Workshops, jeder meiner Schulungen und mindestens in jedem zweiten Blog-Artikel arbeite ich heraus, wie unglaublich wichtig Feedback ist. Ohne Feedback keine Weiterentwicklung und wenn sich eine Organisation nicht weiterentwickelt, sie nicht lebendig und flexibel ist, nicht aus Fehlern lernt und immer besser wird, wird sie links und rechts überholt und verschwindet irgendwann. Ähnlich geht es auch uns Menschen: wenn nicht auch wir uns stetig weiterentwickeln, wenn nicht auch wir unserem Gehirn den stetigem Wunsch nach Lernen erfüllen, werden auch wir links und rechts überholt und verlieren die Orientierung, weil wir das Gefühl haben, nicht mehr mithalten zu können.

Selbstbild - Fremdbild

Die Krux bei uns Menschen und auch bei Organisationen ist, dass keiner von uns morgens aufsteht und sich entscheidet, heute mal NICHT gut zu sein. Keiner von uns geht zur Arbeit, mit dem unbedingten Wunsch, schlechte oder mangelhafte Leistung zu erbringen. Für gewöhnlich ist das Gegenteil der Fall! Aber trotzdem passiert es manchmal, dass wir, obwohl wir unbedingt alles gut und richtig und toll machen möchten, völligen Käse produzieren. Ich schließe mich da nicht aus. Richtig blöd wird es, wenn wir Tag für Tag eine schlechte Leistung erbringen, aber weil es uns keiner sagt, glauben, dass alles genau so perfekt und gut sei. Ich persönlich verstehe nicht, warum es Kollegen, Vorgesetzte und ganze Organisationen gibt, die lieber sogenannte Low-Performer-Listen im Kopf und gelegentlich sogar in den Schreibtischschubladen haben, anstatt den betreffenden Personen ein klares Feedback zu geben, damit sie so die Möglichkeit haben, es zukünftig besser zu machen, sich weiterzuentwickeln, zu lernen. Das ist dem Menschen gegenüber nicht fair. In Hinblick auf den Erfolg der Organisation ist es sogar richtig dumm. Aber sei’s drum, so macht man das eben manchmal, obwohl die Herren Luft und Ingham schon vor Jahrzehnte die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild skizzierten und wir alle wissen, dass wir unsere blinden Flecken haben, die wir nur mit Hilfe von Feedback beleuchten können. Trotzdem scheint diese Feedback-Hürde manchmal unüberwindbar, obwohl der Nutzen davon doch so wahnsinnig einleuchtend ist.

Warum ich kein Feedback gebe

Um etwas besser zu verstehen, warum Feedback uns oftmals schwer fällt, ist es wichtig, zunächst zu verstehen, wie der Mensch so funktioniert. Wer meinen Blog schon länger verfolgt, weiß, dass ich mich bei dieser Erklärung gerne bei der Evolution und bei unseren Hirnfunktionen bediene. All die Vorzüge eines Feedbacks sind selbstverständlich in unserem modernsten Hirnteil, dem Neokortex hinterlegt. Allerdings wird dieser Neokortex gerne mal durch unser deutlich älteres, erfahreneres und schneller reagierende Gefühlshirn, das Limbische System ausgetrickst. Hierbei gibt es zwei Varianten:

  1. Ich befinde mich in einer Akutsituation, mein Gegenüber tut etwas, das mich irritiert und da mein Limbisches System nur Schwarz und Weiß kennt, Kampf oder Flucht, reagiere ich entweder mit Kampf und alles mündet in einen Streit, oder mein Unterbewusstsein entscheidet sich für Flucht, weil es die Kräfteverhältnisse zu meinem Nachteil einschätzt. Die moderne Form der Flucht ist übrigens der innere Rückzug. Ich beteilige mich nicht mehr, mache mein Ding und stelle Kommunikation weitestgehend ein. Das alles ist das Resultat eines normal funktionierendem Gehirn, dass uns großartig durch die Evolution geführt hat. Allerdings stößt genau dieses Gehirn in komplexen Arbeitsumfeldern an seine Grenzen. Denn weder Kampf noch Flucht oder innerer Rückzug sind heutzutage Erfolgsfaktoren, um nicht zu sagen, es sind großartige Faktoren für Misserfolge. Vor Jahren kam es zu einem Flugzeugunglück, das vermeidbar gewesen wäre, hätte einer der beiden Piloten sich nicht innerlich zurückgezogen und sein Ding gemacht (übrigens aus einer Situation heraus, die für uns alle total nachvollziehbar gewesen wäre), wäre ein voll funktionsfähiges Passagierflugzeug an diesem Tag wahrscheinlich nicht in einen Berg geflogen. Der Neokortex dieses Piloten hat übrigens vorher sehr ausführlich gelernt, dass Feedback wichtig für seine Arbeit und die Flugsicherheit ist. Nur vom Limbischen System und davon, warum der Mensch für gewöhnlich lieber kein Feedback gibt, hat ihm niemand erzählt.

  2. Die zweite Variante ist weniger impulsiv, aber nicht weniger emotional, als die erste. In der zweiten Variante fangen die Gedanken sich an im Kreis zu drehen und am Ende gibt man kein Feedback, weil man keinen Konflikt heraufbeschwören möchte. Ich weiß nicht, wie oft ich davon abgesehen habe, etwas anzusprechen, weil ich mir im Kopf natürlich die schlimmst-mögliche Reaktion meines Gegenübers zurechtgelegt habe. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch nicht, wie oft ich schon Feedback gegeben habe und total überrascht war, das absolut kein Gegenwind zu verspüren war. Tja, wir Menschen sind irgendwie konfliktscheu, weil die Evolution uns beigebracht hat, dass man in der Gruppe die besten Überlebenschancen hat. Soll ich meine Gruppenzugehörigkeit so leichtfertig aufs Spiel setzen? Wie schon oft erwähnt, unser Limbisches System ist noch im Steinzeit-Modus. Zusätzlich dazu ist der Mensch auch noch Ressourcen-orientiert. Das ist wohl Neuhochdeutsch für faul. Hat auch die Evolution für uns gemacht. Und da wir wissen, dass Feedback-Gespräche etwas Energie benötigen, flüstert uns unser fürsorgliche Gehirn, das natürlich immer nur das beste für uns will: “Lass es lieber sein. Wird schon alles gut gehen und gleich ist eh Feierabend!”

Das alte Hirn in der neuen Welt

Während Kampf und Flucht, Gruppen- und Ressourcenorientierung für Jahrtausende absolute Hauptzutaten der Erfolgsrezeptes “Mensch” waren, hat unsere moderne und komplexe Umwelt, die eben nicht mehr einfach nur Schwarz und Weiß ist, die Dinge irgendwie kompliziert gemacht. Während der Neokortex sich immer weiter anpasst, dazulernt und auch alle Schattierung von Grau erkennen kann, hängt das Limbische System, unser Gefühlshirn, noch immer im altbekannten Schwarz-Weiß-Schema fest und weil es älter ist, als der Neokortex, hatte es mehr Zeit zum üben und reagiert deshalb auch entsprechend schneller. Das heißt, noch eh unser Neokortex sein Gelerntes anwenden kann kann, gibt ein kleiner Teil im Limbischen System, das Angsthirn (auch Mandelkern oder Amygdala genannt) Vollgas und schüttet viele Hormone aus, die als allererstes unseren Neokortex blockieren. Die von mir ganz besonders geschätzte Vera Birkenbihl nannte diesen Zustand psychologischen Nebel. Ihr alle kennt diesen Zustand bestimmt: etwa zwei bis drei Stunden NACH einem Konflikt fallen euch plötzlich die wirklich guten Argumente ein… Ja, da war euer Neokortex wohl im psychologischen Nebel und konnte sich gute, kreative Argumente weder einfallen lassen, noch konnte er sie verbalisieren.

Und jetzt?

Als Human Factors Trainer nehme ich den Mensch so wie er ist. Dieses Gehirn und die damit verbundenen übliche Reaktionen werde ich selbst im besten Workshop nicht ändern. Aus diesem Grund liegt mein Schwerpunkt nicht darauf wie gutes Feedback geht und wie wichtig es ist. Dazu könnte man auch ein Buch lesen. Ich beschäftige mich lieber damit, was uns davon abhält Feedback zu geben und wie wir uns hier selbst ein wenig austricksen können, um unser Gehirn auf lange Frist etwas besser an unser komplexes Arbeitsumfeld anzupassen.

Der Weg hin zum Feedback führt uns unweigerlich über unseren Neokortex, denn der würde es ja richtig machen, weiß er doch zum einen wie es geht und zum anderen, wie wichtig Feedback ist. Ergo muss ich lernen, mein Gefühlshirn in den Griff zu bekommen, damit meine rationalen Hirnteile ihren Job machen können. Das hört sich erstmal leicht an, geht aber schon damit los, dass ich in der Lagen sein muss, überhaupt zu erkennen, dass ich impulsiv oder irrational agiere. Das erfordert im ersten Schritt eine sehr hohe Achtsamkeit. Was passiert bei euch, wenn ihr in diesen psychologischen Nebel abgleitet? Körperlich? In den Gedanken? Um mich selbst besser zu verstehen und mich in diesen Situation schnelle zu erkennen, habe ich mir das seinerzeit sogar alles aufgeschrieben, einfach nur im mich selbst ein wenig zu ordnen.

Wenn ich mir dann meiner eigenen körperlichen Reaktionen bewusst bin, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese an mir wahrnehme und dieses bewusste Wahrnehmen ist der erst Schritt, mein Gefühlshirn zu Gunsten meiner Ratio auszutricksen. Ab hier bedarf es dann nur noch etwas Disziplin, Übung und den Mut, einen neuen Weg auszuprobieren.

Feedback mit System und Struktur

Habe ich erkannt, dass die Situation nach einem Feedback schreit, dann fange ich am besten an, meinen Neokortex wie verrückt zu beschäftigen. So verrückt, dass er das Limbische System quasi überstrahlt und dann auch jede Form von Angst-Spirale keine Chance mehr hat. Das mache ich am ich am besten mit drei Fragen, die nicht nur die grauen Zellen beschäftigt halten, sondern mir auch noch Struktur und Sicherheit für das anstehende Gespräch geben:

  1. Was habe ich WAHRGENOMMEN? Ich habe oft das Gefühl, dass subjektiv empfunden etwas falsch läuft und manchmal bin ich sogar sauer, ohne so richtig zu wissen, warum. Aus diesem Grund ist es zunächst erstmal wichtig, in sich selbst aufzuräumen und sich Klarheit darüber zu verschaffen, was denn überhaupt passiert ist.

  2. Wie hat das auf mich GEWIRKT? Wenn ich verstehe, was mich berührt hat, ist es im zweiten Schritt wichtig, sich zu überlegen, was das Wahrgenommene mit mir gemacht hat. Unser Limbisches System überflutet uns manchmal so sehr mit Gefühlen, dass man droht, den Überblick zu verlieren. Überlegt euch bitte genau, was ihr gefühlt habt: wart ihr enttäuscht, traurig, wütend, erschrocken… Da gibt es so viel und alles ist richtig, weil es eure Gefühle sind.

  3. Was WÜNSCHE ich mir für die Zukunft? Ein Feedback ist immer etwas konstruktives, weil es meinen Kollegen Alternativen aufzeigen soll, die ihnen das Leben zukünftig leichter machen können. Aus diesem Grund ist ein Feedback auch nur dann ein Feedback, wenn es konstruktive Vorschläge für die Zukunft enthält. Deshalb gibt es in meiner persönlichen Feedback-Welt auch kein negatives Feedback. Wenn sich Menschen gegenseitig dabei helfen, immer besser zu werden, kann ein Feedback niemals negativ sein.

Mit der Idee des konstruktiven Feedback sind wir dann auch schon bei dem vielleicht wichtigsten Aspekt überhaupt: meiner eigenen inneren Haltung. Solange ich noch im Kampf-Flucht-Modus bin, bin ich nicht in der Lage, ein gutes und konstruktives Feedback zu geben. Für gewöhnlich beruhigt und besänftigt es unser Gehirn schon, wenn wir uns ausführlich Gedanken über die drei Fragen machen. Sollte das nicht helfen, empfehle ich, das Feedback-Gespräch nach Möglichkeit zu verschieben oder, wenn es nicht verschiebbar ist, sich bewusst zu entspannen. Ich nutze meine geliebte Yoga-Atmung, Vera Birkenbihl empfiehlt, eine Minute bewusst zu grinsen. Beides stimuliert den Vagus-Nerv, der bei uns für Entspannung sorgt und vielleicht habt ihr schon ganz eigene Strategien. Wichtig ist nur, dass ihr ruhig und entspannt in das Gespräch geht. Es darf euch niemals darum gehen, den andern wegen eines Fehlers oder eines Fehlverhaltens zur Schnecke zu machen. Fehler sind systemimmanent, ihr seid wohlwollend und großzügig und möchtet euren Kollegen eine Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln.

Und dann das Gespräch

Kommt es nun zu Gespräch, schafft bitte einen angemessenen Rahmen, unter vier Augen, wenn möglich abgeschirmt. Im Kopf habt ihr eure drei W's: Wahrnehmung - Wirkung - Wunsch. Und genau diese gilt es dann zu formulieren: “Ich habe eben gesehen, wie du mit dem Kunden XY gesprochen hast. Ich konnte hören, wie du auf einmal sehr lauf geworden bist und wild gestikuliert hast. Ich bin da erst einmal wirklich erschrocken, weil ich dich so nicht kenne und danach bin ich wütend geworden, weil wir uns einen solchen Umgang mit Kunden nicht leisten können. Ich möchte dich bitten, nicht so mit unseren Kunden zu sprechen. Und wenn du das nächste mal so wütend bist, egal aus welchem Grund, geh bitte aus der Situation heraus und lass das mich oder einen Kollegen übernehmen.” Ehrlich Leute, keiner steht morgens auf, um andere zu erschrecken, oder wütend zu machen. Manchmal passiert es uns aber trotzdem, ohne dass wir es wollen oder merken. In diesen Situationen brauchen wir einen Spiegel, um uns weiterentwickeln zu können. Ja, unser Gehirn ist manchmal echt von gestern, aber es ist auch super lernfähig, wenn wir ihm nur die Chance dazu geben.

Und was ist mit der guten alten Sandwich-Methode?

Ich weiß, Feedback wird gerne noch nach der Sandwich-Methode gelehrt: erst was nettes, dann das Problem und dann nochmal etwas nettes. Das soll den anderen öffnen, weil wir ihm ja erstmal erklären, wie toll er ist und was er gut macht. Aus meiner Sicht besteht hier die Gefahr, dass der Feedback-Nehmer nach dem Positiven abschaltet, oder es konstruktiv im Kopf für sich sofort relativiert, weil eigentlich war ja das meiste voll gut! Außerdem muss ich mein Gegenüber gar nicht auf mein böses Feedback vorbereiten, weil es sofort meine wohlwollende Grundhaltung spürt und wenn ich den ersten Punkt, meine Wahrnehmung, auch wirklich als meine ganz persönliche Wahrnehmung ausdrücke, fühlt sich auch niemand in die Enge getrieben oder gerät in eine Abwehrhaltung.

Üben - üben - üben

Dieses WWW-Prinzip scheint auf den ersten Blick nicht schwer, trotzdem bedarf es etwas Übung, um es dann, wenn es drauf ankommt, auch wie selbstverständlich nutzen zu können. Nur zu wissen, dass es das gibt, wird euch nicht sonderlich weiterhelfen. Ich schlage vor, dass ihr einfach damit anfangt, Positives nach dem WWW-Prinzip zu feedbacken. Das könnt ihr im Job tun, ihr könnt aber auch im Privatleben damit anfangen. Der Unterschied zwischen einem Lob und einem positiven Feedback ist folgender:

  • Das Lob: “Gut gemacht!”

  • Das positive Feedback: “Ich haben eben zufällig mitbekommen, wie du mit Kunden XY telefoniert hast. Ich fand es bewundernswert, wie ruhig und geduldig du geblieben bist. Das war wirklich gut. Weiter so!”

Wenn ich nur ein einziges Mal am Tag ein konkretes und klares positives Feedback gebe und das dann vielleicht zwei Wochen am Stück täglich durchziehe, hat mein Gehirn abgespeichert, wie es geht. Also traut euch!

Eure Constance

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Feedback mit Struktur

Das WWW-Prinzip