Entwicklung… Weil die Welt sich immer weiter dreht
Nachdem ich meinen letzten Artikel ganz besonders für meine Freundin Katja geschrieben habe, ist dieser Artikel ganz besonders für uns alle, inklusive mir selbst. Denn das mit dem Feedback ist so eine Sache… In ungefähr jedem meiner Workshops, jeder meiner Schulungen und mindestens in jedem zweiten Blog-Artikel arbeite ich heraus, wie unglaublich wichtig Feedback ist. Ohne Feedback keine Weiterentwicklung und wenn sich eine Organisation nicht weiterentwickelt, sie nicht lebendig und flexibel ist, nicht aus Fehlern lernt und immer besser wird, wird sie links und rechts überholt und verschwindet irgendwann. Ähnlich geht es auch uns Menschen: wenn nicht auch wir uns stetig weiterentwickeln, wenn nicht auch wir unserem Gehirn den stetigem Wunsch nach Lernen erfüllen, werden auch wir links und rechts überholt und verlieren die Orientierung, weil wir das Gefühl haben, nicht mehr mithalten zu können.
Selbstbild - Fremdbild
Die Krux bei uns Menschen und auch bei Organisationen ist, dass keiner von uns morgens aufsteht und sich entscheidet, heute mal NICHT gut zu sein. Keiner von uns geht zur Arbeit, mit dem unbedingten Wunsch, schlechte oder mangelhafte Leistung zu erbringen. Für gewöhnlich ist das Gegenteil der Fall! Aber trotzdem passiert es manchmal, dass wir, obwohl wir unbedingt alles gut und richtig und toll machen möchten, völligen Käse produzieren. Ich schließe mich da nicht aus. Richtig blöd wird es, wenn wir Tag für Tag eine schlechte Leistung erbringen, aber weil es uns keiner sagt, glauben, dass alles genau so perfekt und gut sei. Ich persönlich verstehe nicht, warum es Kollegen, Vorgesetzte und ganze Organisationen gibt, die lieber sogenannte Low-Performer-Listen im Kopf und gelegentlich sogar in den Schreibtischschubladen haben, anstatt den betreffenden Personen ein klares Feedback zu geben, damit sie so die Möglichkeit haben, es zukünftig besser zu machen, sich weiterzuentwickeln, zu lernen. Das ist dem Menschen gegenüber nicht fair. In Hinblick auf den Erfolg der Organisation ist es sogar richtig dumm. Aber sei’s drum, so macht man das eben manchmal, obwohl die Herren Luft und Ingham schon vor Jahrzehnte die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild skizzierten und wir alle wissen, dass wir unsere blinden Flecken haben, die wir nur mit Hilfe von Feedback beleuchten können. Trotzdem scheint diese Feedback-Hürde manchmal unüberwindbar, obwohl der Nutzen davon doch so wahnsinnig einleuchtend ist.
Warum ich kein Feedback gebe
Um etwas besser zu verstehen, warum Feedback uns oftmals schwer fällt, ist es wichtig, zunächst zu verstehen, wie der Mensch so funktioniert. Wer meinen Blog schon länger verfolgt, weiß, dass ich mich bei dieser Erklärung gerne bei der Evolution und bei unseren Hirnfunktionen bediene. All die Vorzüge eines Feedbacks sind selbstverständlich in unserem modernsten Hirnteil, dem Neokortex hinterlegt. Allerdings wird dieser Neokortex gerne mal durch unser deutlich älteres, erfahreneres und schneller reagierende Gefühlshirn, das Limbische System ausgetrickst. Hierbei gibt es zwei Varianten:
Ich befinde mich in einer Akutsituation, mein Gegenüber tut etwas, das mich irritiert und da mein Limbisches System nur Schwarz und Weiß kennt, Kampf oder Flucht, reagiere ich entweder mit Kampf und alles mündet in einen Streit, oder mein Unterbewusstsein entscheidet sich für Flucht, weil es die Kräfteverhältnisse zu meinem Nachteil einschätzt. Die moderne Form der Flucht ist übrigens der innere Rückzug. Ich beteilige mich nicht mehr, mache mein Ding und stelle Kommunikation weitestgehend ein. Das alles ist das Resultat eines normal funktionierendem Gehirn, dass uns großartig durch die Evolution geführt hat. Allerdings stößt genau dieses Gehirn in komplexen Arbeitsumfeldern an seine Grenzen. Denn weder Kampf noch Flucht oder innerer Rückzug sind heutzutage Erfolgsfaktoren, um nicht zu sagen, es sind großartige Faktoren für Misserfolge. Vor Jahren kam es zu einem Flugzeugunglück, das vermeidbar gewesen wäre, hätte einer der beiden Piloten sich nicht innerlich zurückgezogen und sein Ding gemacht (übrigens aus einer Situation heraus, die für uns alle total nachvollziehbar gewesen wäre), wäre ein voll funktionsfähiges Passagierflugzeug an diesem Tag wahrscheinlich nicht in einen Berg geflogen. Der Neokortex dieses Piloten hat übrigens vorher sehr ausführlich gelernt, dass Feedback wichtig für seine Arbeit und die Flugsicherheit ist. Nur vom Limbischen System und davon, warum der Mensch für gewöhnlich lieber kein Feedback gibt, hat ihm niemand erzählt.
Die zweite Variante ist weniger impulsiv, aber nicht weniger emotional, als die erste. In der zweiten Variante fangen die Gedanken sich an im Kreis zu drehen und am Ende gibt man kein Feedback, weil man keinen Konflikt heraufbeschwören möchte. Ich weiß nicht, wie oft ich davon abgesehen habe, etwas anzusprechen, weil ich mir im Kopf natürlich die schlimmst-mögliche Reaktion meines Gegenübers zurechtgelegt habe. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch nicht, wie oft ich schon Feedback gegeben habe und total überrascht war, das absolut kein Gegenwind zu verspüren war. Tja, wir Menschen sind irgendwie konfliktscheu, weil die Evolution uns beigebracht hat, dass man in der Gruppe die besten Überlebenschancen hat. Soll ich meine Gruppenzugehörigkeit so leichtfertig aufs Spiel setzen? Wie schon oft erwähnt, unser Limbisches System ist noch im Steinzeit-Modus. Zusätzlich dazu ist der Mensch auch noch Ressourcen-orientiert. Das ist wohl Neuhochdeutsch für faul. Hat auch die Evolution für uns gemacht. Und da wir wissen, dass Feedback-Gespräche etwas Energie benötigen, flüstert uns unser fürsorgliche Gehirn, das natürlich immer nur das beste für uns will: “Lass es lieber sein. Wird schon alles gut gehen und gleich ist eh Feierabend!”
Das alte Hirn in der neuen Welt
Während Kampf und Flucht, Gruppen- und Ressourcenorientierung für Jahrtausende absolute Hauptzutaten der Erfolgsrezeptes “Mensch” waren, hat unsere moderne und komplexe Umwelt, die eben nicht mehr einfach nur Schwarz und Weiß ist, die Dinge irgendwie kompliziert gemacht. Während der Neokortex sich immer weiter anpasst, dazulernt und auch alle Schattierung von Grau erkennen kann, hängt das Limbische System, unser Gefühlshirn, noch immer im altbekannten Schwarz-Weiß-Schema fest und weil es älter ist, als der Neokortex, hatte es mehr Zeit zum üben und reagiert deshalb auch entsprechend schneller. Das heißt, noch eh unser Neokortex sein Gelerntes anwenden kann kann, gibt ein kleiner Teil im Limbischen System, das Angsthirn (auch Mandelkern oder Amygdala genannt) Vollgas und schüttet viele Hormone aus, die als allererstes unseren Neokortex blockieren. Die von mir ganz besonders geschätzte Vera Birkenbihl nannte diesen Zustand psychologischen Nebel. Ihr alle kennt diesen Zustand bestimmt: etwa zwei bis drei Stunden NACH einem Konflikt fallen euch plötzlich die wirklich guten Argumente ein… Ja, da war euer Neokortex wohl im psychologischen Nebel und konnte sich gute, kreative Argumente weder einfallen lassen, noch konnte er sie verbalisieren.
Und jetzt?
Als Human Factors Trainer nehme ich den Mensch so wie er ist. Dieses Gehirn und die damit verbundenen übliche Reaktionen werde ich selbst im besten Workshop nicht ändern. Aus diesem Grund liegt mein Schwerpunkt nicht darauf wie gutes Feedback geht und wie wichtig es ist. Dazu könnte man auch ein Buch lesen. Ich beschäftige mich lieber damit, was uns davon abhält Feedback zu geben und wie wir uns hier selbst ein wenig austricksen können, um unser Gehirn auf lange Frist etwas besser an unser komplexes Arbeitsumfeld anzupassen.
Der Weg hin zum Feedback führt uns unweigerlich über unseren Neokortex, denn der würde es ja richtig machen, weiß er doch zum einen wie es geht und zum anderen, wie wichtig Feedback ist. Ergo muss ich lernen, mein Gefühlshirn in den Griff zu bekommen, damit meine rationalen Hirnteile ihren Job machen können. Das hört sich erstmal leicht an, geht aber schon damit los, dass ich in der Lagen sein muss, überhaupt zu erkennen, dass ich impulsiv oder irrational agiere. Das erfordert im ersten Schritt eine sehr hohe Achtsamkeit. Was passiert bei euch, wenn ihr in diesen psychologischen Nebel abgleitet? Körperlich? In den Gedanken? Um mich selbst besser zu verstehen und mich in diesen Situation schnelle zu erkennen, habe ich mir das seinerzeit sogar alles aufgeschrieben, einfach nur im mich selbst ein wenig zu ordnen.
Wenn ich mir dann meiner eigenen körperlichen Reaktionen bewusst bin, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese an mir wahrnehme und dieses bewusste Wahrnehmen ist der erst Schritt, mein Gefühlshirn zu Gunsten meiner Ratio auszutricksen. Ab hier bedarf es dann nur noch etwas Disziplin, Übung und den Mut, einen neuen Weg auszuprobieren.
Feedback mit System und Struktur
Habe ich erkannt, dass die Situation nach einem Feedback schreit, dann fange ich am besten an, meinen Neokortex wie verrückt zu beschäftigen. So verrückt, dass er das Limbische System quasi überstrahlt und dann auch jede Form von Angst-Spirale keine Chance mehr hat. Das mache ich am ich am besten mit drei Fragen, die nicht nur die grauen Zellen beschäftigt halten, sondern mir auch noch Struktur und Sicherheit für das anstehende Gespräch geben:
Was habe ich WAHRGENOMMEN? Ich habe oft das Gefühl, dass subjektiv empfunden etwas falsch läuft und manchmal bin ich sogar sauer, ohne so richtig zu wissen, warum. Aus diesem Grund ist es zunächst erstmal wichtig, in sich selbst aufzuräumen und sich Klarheit darüber zu verschaffen, was denn überhaupt passiert ist.
Wie hat das auf mich GEWIRKT? Wenn ich verstehe, was mich berührt hat, ist es im zweiten Schritt wichtig, sich zu überlegen, was das Wahrgenommene mit mir gemacht hat. Unser Limbisches System überflutet uns manchmal so sehr mit Gefühlen, dass man droht, den Überblick zu verlieren. Überlegt euch bitte genau, was ihr gefühlt habt: wart ihr enttäuscht, traurig, wütend, erschrocken… Da gibt es so viel und alles ist richtig, weil es eure Gefühle sind.
Was WÜNSCHE ich mir für die Zukunft? Ein Feedback ist immer etwas konstruktives, weil es meinen Kollegen Alternativen aufzeigen soll, die ihnen das Leben zukünftig leichter machen können. Aus diesem Grund ist ein Feedback auch nur dann ein Feedback, wenn es konstruktive Vorschläge für die Zukunft enthält. Deshalb gibt es in meiner persönlichen Feedback-Welt auch kein negatives Feedback. Wenn sich Menschen gegenseitig dabei helfen, immer besser zu werden, kann ein Feedback niemals negativ sein.
Mit der Idee des konstruktiven Feedback sind wir dann auch schon bei dem vielleicht wichtigsten Aspekt überhaupt: meiner eigenen inneren Haltung. Solange ich noch im Kampf-Flucht-Modus bin, bin ich nicht in der Lage, ein gutes und konstruktives Feedback zu geben. Für gewöhnlich beruhigt und besänftigt es unser Gehirn schon, wenn wir uns ausführlich Gedanken über die drei Fragen machen. Sollte das nicht helfen, empfehle ich, das Feedback-Gespräch nach Möglichkeit zu verschieben oder, wenn es nicht verschiebbar ist, sich bewusst zu entspannen. Ich nutze meine geliebte Yoga-Atmung, Vera Birkenbihl empfiehlt, eine Minute bewusst zu grinsen. Beides stimuliert den Vagus-Nerv, der bei uns für Entspannung sorgt und vielleicht habt ihr schon ganz eigene Strategien. Wichtig ist nur, dass ihr ruhig und entspannt in das Gespräch geht. Es darf euch niemals darum gehen, den andern wegen eines Fehlers oder eines Fehlverhaltens zur Schnecke zu machen. Fehler sind systemimmanent, ihr seid wohlwollend und großzügig und möchtet euren Kollegen eine Möglichkeit geben, sich weiterzuentwickeln.
Und dann das Gespräch
Kommt es nun zu Gespräch, schafft bitte einen angemessenen Rahmen, unter vier Augen, wenn möglich abgeschirmt. Im Kopf habt ihr eure drei W's: Wahrnehmung - Wirkung - Wunsch. Und genau diese gilt es dann zu formulieren: “Ich habe eben gesehen, wie du mit dem Kunden XY gesprochen hast. Ich konnte hören, wie du auf einmal sehr lauf geworden bist und wild gestikuliert hast. Ich bin da erst einmal wirklich erschrocken, weil ich dich so nicht kenne und danach bin ich wütend geworden, weil wir uns einen solchen Umgang mit Kunden nicht leisten können. Ich möchte dich bitten, nicht so mit unseren Kunden zu sprechen. Und wenn du das nächste mal so wütend bist, egal aus welchem Grund, geh bitte aus der Situation heraus und lass das mich oder einen Kollegen übernehmen.” Ehrlich Leute, keiner steht morgens auf, um andere zu erschrecken, oder wütend zu machen. Manchmal passiert es uns aber trotzdem, ohne dass wir es wollen oder merken. In diesen Situationen brauchen wir einen Spiegel, um uns weiterentwickeln zu können. Ja, unser Gehirn ist manchmal echt von gestern, aber es ist auch super lernfähig, wenn wir ihm nur die Chance dazu geben.
Und was ist mit der guten alten Sandwich-Methode?
Ich weiß, Feedback wird gerne noch nach der Sandwich-Methode gelehrt: erst was nettes, dann das Problem und dann nochmal etwas nettes. Das soll den anderen öffnen, weil wir ihm ja erstmal erklären, wie toll er ist und was er gut macht. Aus meiner Sicht besteht hier die Gefahr, dass der Feedback-Nehmer nach dem Positiven abschaltet, oder es konstruktiv im Kopf für sich sofort relativiert, weil eigentlich war ja das meiste voll gut! Außerdem muss ich mein Gegenüber gar nicht auf mein böses Feedback vorbereiten, weil es sofort meine wohlwollende Grundhaltung spürt und wenn ich den ersten Punkt, meine Wahrnehmung, auch wirklich als meine ganz persönliche Wahrnehmung ausdrücke, fühlt sich auch niemand in die Enge getrieben oder gerät in eine Abwehrhaltung.
Üben - üben - üben
Dieses WWW-Prinzip scheint auf den ersten Blick nicht schwer, trotzdem bedarf es etwas Übung, um es dann, wenn es drauf ankommt, auch wie selbstverständlich nutzen zu können. Nur zu wissen, dass es das gibt, wird euch nicht sonderlich weiterhelfen. Ich schlage vor, dass ihr einfach damit anfangt, Positives nach dem WWW-Prinzip zu feedbacken. Das könnt ihr im Job tun, ihr könnt aber auch im Privatleben damit anfangen. Der Unterschied zwischen einem Lob und einem positiven Feedback ist folgender:
Das Lob: “Gut gemacht!”
Das positive Feedback: “Ich haben eben zufällig mitbekommen, wie du mit Kunden XY telefoniert hast. Ich fand es bewundernswert, wie ruhig und geduldig du geblieben bist. Das war wirklich gut. Weiter so!”
Wenn ich nur ein einziges Mal am Tag ein konkretes und klares positives Feedback gebe und das dann vielleicht zwei Wochen am Stück täglich durchziehe, hat mein Gehirn abgespeichert, wie es geht. Also traut euch!
Eure Constance