Führung

Fünf Dysfunktionen (agiler) Teams und die Frage nach dem Huhn oder dem Ei

Teams an ihren Grenzen

In Scrum Umgebungen spricht man gerne von fünf Dysfunktionen, die dazu beitragen, dass ein Team nicht erfolgreich agieren kann:

  1. Mangel an Vertrauen

  2. Angst vor Konflikten

  3. Fehlendes Engagement oder Commitment

  4. Scheu vor Eigenverantwortung innerhalb des Teams

  5. Fehlende Ergebnis- oder Zielorientierung

Selbstverständlich sind diese fünf Killer-Facts für ein erfolgreich agierendes Team nicht erst mit der Erfindung von Scrum aufgetaucht. Bereits seit den siebziger Jahren ist der Mensch und die menschliche Leistung zunehmend in den Fokus geraten, wenn es darum ging, die Frage zu beantworten, warum es Organisationen und Teams gibt, die bei vergleichbaren Voraussetzungen erfolgreicher sind als andere. Die Idee des Humanvermögens eines Unternehmens war geboren.

Mit steigender Dynamik und Komplexität des Marktumfeldes war es nicht mehr nur der einzelne Mensch, der im Fokus der Berater und Erfolgsforscher stand, sondern das Team. Im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung wurde nämlich schnell klar, dass ein einzelner Mensch nicht mehr in der Lage sein würde, schnell genug und mit ausreichendem Überblick erfolgreich zu agieren. Erste Trendsetter waren hierbei die sogenannten High Risk Environments wie zum Beispiel die von mir so gerne zitierte Luftfahrt, da in diesen Bereichen Misserfolge absolut sind, nicht relativierbar und auch nicht zu vertuschen. Bereits 1977 kam es in Teneriffa zu einem Flugzeugunglück, dass einem ganzen Industriezweig verdeutlichte, dass es nicht ausreichend ist, die Technik stetig zu verbessern, um Unglücke (also Misserfolge) auszuschließen. Es war die Geburtsstunde des sogenannten Human Factors oder Crew Ressource Management Trainings, dass inzwischen seit etwa 40 Jahren fester Bestandteil der Schulungen für Piloten, Kabinenbesatzungen und zunehmend auch der operationellen Strukturen am Boden ist.

Inzwischen bin ich kein Human Factors Trainer mehr. In meinem neuen Leben als Agile Coach beschäftige ich mich interessanterweise mit ausgesprochen ähnlichen Themen. Ich arbeite mit meinen Teams an deren gemeinsamen Ziel- oder Kundenorientierung, nicht nur weil es Sinn mach das Ziel seiner Arbeit und somit eben auch den Kunden stets im Blick zu behalten, sondern weil ein gemeinsames Ziel das Team zusätzlich eint und zusammenschweißt. Außerdem merke ich immer wieder, dass Eigeninitiative und Eigenverantwortung die absolute Basis dafür sind, in agilen Strukturen erfolgreich sein zu können. Team bedeutet eben nicht eine Gruppe von Menschen, hinter denen man sich verstecken kann. In der Luftfahrt kann mangelnde Eigenverantwortung fatale Folgen haben, in agilen Strukturen bedeutet es mangelnde Innovationskraft und Geschwindigkeitsverlust! - Beides fatal, wenn sich die Welt immer schneller dreht. Wer sich da nicht mit bewegt, bleibt schnell auf der Strecke. Mit dem Thema Eigenverantwortung und Eigeninitiative gehen auch Engagement und Commitment einher. Je mehr ich von dem überzeugt bin, was ich tue, je mehr ich mich mit meiner Arbeit identifizieren kann, je mehr Sinnhaftigkeit ich in meinem Tun sehe, desto mehr Leistung bin ich bereit zu erbringen. Befinde ich mich in einem Team, dass durch ein gemeinsames Commitment geeint ist, nimmt das Team gemeinsam an Geschwindigkeit auf und es geht nicht mehr um persönliche Befindlichkeiten, Eitelkeiten und die ganz persönliche Karriere, sondern vor allem um das gemeinsame Ziel. In der Luftfahrt ist dieses Ziel gemeinsam gesund und munter zu landen.

Warum hat die Angst vor Konflikten sowohl in agilen Strukturen als auch in der Luftfahrt negative Auswirkungen auf die Teamperformance? Menschen die keine Konflikte wollen, vielleicht sogar Angst davor haben, streiten sich doch auch weniger und genau das ist doch gut für ein Team, oder? -Mehr Harmonie! Tja, was soll ich sagen, als Mediator und Konflikt-Sucher?! Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Menschen in einem Team gemeinsam arbeiten können, ohne Konflikte zu haben. Die Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind da und nur weil sie aus Angst vor einer vermeidlichen Eskalation ignoriert werden, sind sie trotzdem nicht weg. Sie bleiben wie unsichtbare aber spürbare rosa Elefanten im Raum und beeinflussen die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. All das totgeschwiegene und nicht gesagte sorgt dafür, dass ich unsicher bin, anders kommuniziere und mich permanent in Alarmbereitschaft befinde. Da bleibt nicht viel Kapazität für außergewöhnliche Leistungen. Hinzu kommt, dass man im Bereich der High Performance Teams sogar nach einer möglichst heterogenen Gruppe von Menschen sucht, um eine größtmögliche Bandbreite unterschiedlicher Perspektiven, Ansätze, Wahrnehmungen, etc. zu vereinen. Davon profitiert das Team jedoch nur, wenn man eben genau darüber diskutiert, ohne Angst davor, jemanden zu widersprechen, oder selbst widersprochen zu bekommen. In der Luftfahrt stellt man aus genau diesem Grund dem Piloten nicht nur einen Autopiloten zur Seite, sondern mindestens noch einen weiteren Piloten. Die Dynamik und Komplexität in der Luftfahrt ist so groß, dass eine zweite Meinung oder Perspektive ausgesprochen wertvoll für einen bestmöglichen Entscheidungsfindungsprozess ist.

Vertrauen und Psychological Safety als Basis für funktionierende Teams und Organisationen

An all diesen Punkten kann man als Human Factors Trainer oder Agile Coach arbeiten. Jeder einzelne von uns kann daran arbeiten. Jedoch gibt es eine absolute Grundvoraussetzung dafür, dass diese Arbeit auch von Erfolg gekrönt ist. Diese Grundvoraussetzung führt uns schließlich zur ersten Dysfunktion: Mangel an Vertrauen. Wenn ich nicht Vertraue, werde ich potenzielle Konflikte nicht ansprechen, ich werde mich nicht committen, weil ich mich unwohl fühle, ich werde keine Eigenverantwortung übernehmen, weil ich Angst davor habe, Fehler zu machen und weil ich ständig auf der Hut sein werde, werde ich auch nicht in der Lage sein, mich stets auf ein gemeinsames Ziel zu fokussieren, da ich mich ja darauf fokussieren muss, auf mich selbst aufzupassen.

Die Basis aller Dysfunktionen in Teams ist ein Mangel an Vertrauen, oder ein fehlendes Sicherheitsgefühl. Es ist dieses Sicherheitsgefühl, dass die Harvard Professorin Amy C. Edmondson als Psychological Safety beschreibt und das für sie die Basis jeder High Performance ist. Google beschreibt Psychological Safety als den absoluten Grundbaustein ihres Unternehmenskodex, da der Rest ohne das Gefühl von Sicherheit nicht funktioniere. Und ich, als Coach, Trainer, Mediator habe gelernt, dass ich, wenn ich mit Teams oder Organisationen daran arbeiten möchte, in die Sphären der High Performance aufzusteigen, muss ich zunächst am Sicherheitsgefühl, der Psychological Safety arbeiten. Ohne dieses Gefühl gibt es keine Feedbackkultur, auch wenn ich allen ausführlich erklärt habe, wie Feedback technisch funktioniert und warum es wichtig ist. Es gibt keine Fehlerkultur, auch wenn jeder weiß, dass es eigentlich wichtig ist, aus Fehlern zu lernen. Es gibt keine Eigenverantwortung und auch das Engagement wird nie bei hundert Prozent sein, wenn ich mich nicht sicher fühle.

Die Gretchenfrage

Die absolute Gretchenfrage ist nun natürlich wie man in einem Team, oder am besten in einer ganzen Organisation zu diesem Gefühl gegenseitigen Vertrauens, bzw. diesem Gefühl von Sicherheit, das Edmondson als Psychological Safety beschreibt, kommt. Wann fühlt ihr euch denn im beruflichen Kontext absolut sicher? Was braucht ihr, um absolutes Vertrauen in euch, euer Umfeld und in das was ihr tut, zu haben? Bei mir kommt dieses Gefühl der Psychological Safety immer dann auf, wenn ich genau weiß, woran ich bin. Wenn ich weiß, was mein Umfeld über das denkt, was ich tue und wenn ich mir ganz sicher sein kann, dass man mir nicht nur sagt, dass das, was ich tue gut ist, sondern auch, wenn man der Meinung ist, dass ich dabei bin, mich auf den Holzweg zu begeben. Ich fühle mich sicher, wenn man mit mir und nicht über mich spricht. Das was ich brauche, um mich sicher zu fühlen, ist Feedback, eingebettet in ein natürlich und funktionierende Feedbackkultur, in der jeder zu jeder Zeit frei und offen sprechen kann.

Henne Babs und die Frage nach dem Huhn oder dem Ei

So weit, so einfach! Psychological Safety braucht also eine lebendige Feedbackkultur. Wenn ich euch jetzt jedoch bitte, kurz darüber nachzudenken, was ihr braucht, um zu jeder Zeit offen und frei sprechen zu können, wird es kompliziert! Denn eure Antwort wird sicher sein, dass ihr euch sicher fühlen müsst, dass ihr Vertrauen benötigt, sprich Psychological Safety… Wenn wir über Feedbackkultur und Psychological Safety sprechen, führt uns das ziemlich schnell zu dieser uralten Menschheitsfrage: Was war zuerst? -Das Huhn oder das Ei? Das eine bedingt das andere! Was Henne Babs, die mir dankenswerterweise ihr Portrait für diesen Artikel zu Verfügung gestellt hat, völlig egal ist, da dieser Kreislauf in ihrem Fall ganz formidabel läuft, treibt mich als Coach dieser Tage non-stop recht intensiv um! Auf spontane Zellteilung oder göttlich Intervention kann ich auf Organisationsebene sicher nicht hoffen. Diesen Kreislauf muss ich schon selbst irgendwie in Gang bringen. Fakt ist, einer muss eben anfangen! In Organisationen ist es für gewöhnlich die Führungsebene, die aus ihrer Position heraus am ehesten in der Lage ist, einen Kreislauf aus Feedbackkultur und Psychological Safety in Gang zu bringen, indem sie vorlegt. Die Erfahrung zeigt, dass all jene, die im Organigramm nachgeordnet sind, recht schnell nachziehen.

Hierbei gibt es jedoch einen Knoten gordischen Ausmaßes, der vorher gelöst werden will. Denn auch Führungskräfte benötigen dieses Gefühl von Sicherheit, um in eine Feedbackschleife einzusteigen. Leider wird es an der Spitze der meisten Organisationen oft etwas einsam. Wenn ich permanent damit beschäftigt bin, meinen Posten verteidigen zu müssen, aus Angst, da sägt jemand an meinem Stuhl, wenn ich meine Ellenbogen gegen meinen Mit-Führungskräfte einsetzen muss, um mich durchzusetzen und wenn ich stetig Angst davor haben muss, einen Fehler zu machen, weil dieser gegen mich verwendet werden könnte, dann habe ich keine Zeit und keine Lust, mich mit Feedback und Feedbackkultur zu beschäftigen, denn die Kultur, die ich tatsächlich erlebe, ist eine andere.

Das gute alte Teambuilding

Was es braucht, um diesen gordischen Knoten zu lösen, ist eine Gruppe von Führungskräften, die sich als Team versteht, die sich vertraut, zusammenarbeitet, miteinander Probleme löst und nicht die Probleme der anderen für eigene Zwecke ausnutzt. Feedbackkultur und Psychological Safety lassen sich nicht einführen, indem ich erkläre, wie Feedback funktioniert und warum es wichtig ist. -Beides kann auch in Büchern nachgelesen werden. Vielmehr handelt es sich um mühsame, aber auch wunderschöne Arbeit am kulturellen Miteinander innerhalb einer Organisation und beginnt damit, ein Führungsteam zu formen. Rosen brauchen breit gefächerte Wurzeln und einen festen Stamm, damit sie die Jahreszeit gut überdauern, aber sie duften oben, an der Blüte! Ich weiß, das hört sich etwas “cheesy” an, aber ich wollte mir diesen Spruch vom Fisch, der vom Kopf her stinkt, gerne ersparen, bzw. ihn in sein Gegenteil umkehren. Denn an dieser Stelle muss auch betont werden, dass alle nicht-Führungskräfte nicht raus sind aus der Verantwortung für ein Kultur von Psychological Safety und Feedback. Im Gegenteil! Denn im zweiten Schritt braucht es eine breite Basis, die die Impulse, die von oben kommen, auch aufgreifen und mitziehen, die den Wandel mitgehen, proaktiv und eigenverantwortlich. Denn auch zu vertrauen ist manchmal eben eine aktive Entscheidung.

Wie lange so ein Prozess dauert? Keine Ahnung! Aber ganz sicher deutlich länger, als meine Tages-Workshops zu Thema. Je nach individuellen Voraussetzungen eineinhalb bis zwei Jahre, die nachhaltig und ganzheitlich begleitet werden wollen. Allerdings sagt die Erfahrung, dass hierbei der erste Schritt der schwerste ist. Kommt der Ball einmal ins Rollen, wird es leichter, fast wie ein ganz natürlicher Prozess, den man als Coach oder als Trainer einfach nur begleitet.

Zu guter Letzt

So viel für heute von mir. Ich freue mich jetzt auf mein Sonntagsei! Euch wünsche ich einen schönen Tag. Vielleicht gab es bei euch ja heute auch ein Ei zum Frühstück! Oder vielleicht gönnt ihr euch ja heute sogar euer Frühstücksei auswärts. Langsam aber sicher scheint die Welt ja wieder Schritt für Schritt zu öffnen!

Eure Constance

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Henne Babs

… der die Frage nach dem Huhn und dem Ei sicher völlig egal ist!

Führung in Extremsituationen - Agilität an ihren Grenzen?

Agilität - Allheilmittel für alle Fälle?

Agilität und agile Führung oder Servant Leadership sind absolute Trendthemen unserer Zeit. Beides wird nur zu gerne als Allheilmittel für diese so gnadenlose, unbeständige, dynamische und komplexe VUKA-Welt beschrieben. Aber wie viel VUKA darf es denn sein, bis die Ansätze von Agilität und agiler Führung gegebenenfalls an ihre Grenzen kommen, weil eine Situation zu dynamisch wird und am Ende eben doch einer die Verantwortung übernehmen muss?

In der Grundidee von Agilität geht man davon aus, in einem Umfeld navigieren zu müssen, das von hoher Unsicherheit, Komplexität und Dynamik geprägt ist. Auch jede Extremsituation oder Krise ist geprägt von Unsicherheit, Komplexität und Dynamik. Man denke nur an Corona, eine weltweite Extremsituation, die man so noch nie zuvor erlebt hat. Wenn Agilität und agile Führung nun bedeutet, sich flexibel und schnell auf eine neue Situation einzustellen um folglich auch entsprechend schnell zu handeln, dann ist ein agiles Mindset tatsächlich eine Grundvoraussetzung, um in Extremsituationen überhaupt erfolgreich führen zu können. Wer in einer solchen Situation nicht flexibel reagiert und führt, indem er darauf vertraut, dass alle Mitarbeiter eigenverantwortlich, in Teams mit einem hohen Grad an Selbstorganisation reagieren, wird vermutlich scheitern. Die sozialistische Planwirtschaft des Topdown-Managements ist hier zum Scheitern verurteilt.

Agilität an ihren Grenzen

Allerdings erreichen Teams in extremen Situationen oder Krisen häufig sehr schnell die Grenzen der Selbstorganisation. Tobt der Sturm so heftig, dass er droht die Segel zu zerreißen, agieren selbstorganisierte Teams wahrscheinlich zu zögerlich. Was es in dieser Situation braucht sind klare Ansagen und Leitplanken, so wie Handlungsanweisungen und jemanden, der Verantwortung übernimmt. Eigentlich passt das ja überhaupt nicht in die schöne bunte Welt der Agilität. Auf der anderen Seite finde ich, dass es sehr wohl zur Grundidee von Agilität und Servant Leadership passt: Führung fällt situativ dem zu, der die besten Voraussetzungen, Kompetenzen oder die meiste Erfahrung für die jeweilige Situation mitbringt. In einer Studie zu High Performance Teams der TU Chemnitz wird diese Form von Führung als transformational bezeichnet und darf getrost als einer der Schlüssel zu High Performance gesehen werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür ist jedoch, dass Zuständigkeiten klar geregelt sind. Als Beispiel hierfür führt die Studie der TU Chemnitz unter anderem die Luftrettung an. Hier agieren Teams unterschiedlicher Experten gemeinsam innerhalb eines gesetzten Rahmens. Jeder hat seinen Fachbereich und es ist völlig klar wer den fliegerischen Hut auf hat, wer den medizinischen und wer die größte Kompetenz im Bereich der Rettungstechnik hat. Je nachdem, um was es gerade geht, wechselt die Führung in diesen Teams von einem zum anderen. Zusätzlich hat das Team gemeinsame Regeln, Vorschriften und Anweisungen.

Ein weiterer Aspekt, der Agilität in Extremsituationen an ihre Grenzen bringen kann, ist der Umstand, dass in agilen Umfeldern gerne bis zum Exzess gepredigt wird, dass es darum geht, immer und stets kreativ zu sein, Neues auszuprobieren, Experimente zu wagen, nicht auf bereits ausgetretenen Pfaden zu wandeln und sich stetig neu zu erfinden. Das ist großartig und dafür liebe ich die Idee der Agilität! Allerdings ist es in Extremsituationen und Krisen sinnvoll ein bereits trainiertes und jederzeit abrufbares Handlungsrepertoire zu haben, das einen schnell reagieren lässt, ohne große Denkprozesse. - Quasi eine Art erste Hilfe, die einem die Luft verschafft, um in zweiten Schritt schließlich kreativ sein zu können. Der Wert von Routinen, die Ruhe und Sicherheit im Zustand höchster Dynamik und Komplexität bringen, wird in agilen Strukturen noch häufig unterschätzt. Oft sind es diese Routinen oder auch einfach nur eine klare und bereits im Vorfeld festgelegte Priorisierung, die uns in besonderen Stresssituationen die kognitive Kapazität verschaffen, damit letzten Endes dann doch etwas Großartiges rauskommt.

Flugzeuge und agile Krisen

Ich muss gestehen, dass ich bei meiner Reise durch die Welt von New Work und Agilität immer und immer wieder daran erinnert werde, wo ich her komme und natürlich mache ich immer wieder den agilen Kardinalsfehler (und zwar mit voller Absicht, weil ich es für absolut richtig halte): ich vergleiche, stelle Parallelen fest, schaue mir an, wie man seit Jahrzehnten in der Luftfahrt Dynamik und Komplexität managt, Teams strukturiert und in die Eigenverantwortung und Selbstorganisation führt und natürlich auch, wie Führung in der Luftfahrt geschult und wahrgenommen wird. Natürlich ist die Definition von Erfolg in der Luftfahrt ganz anders als in einer Bank. Aber VUKA ist genau so dynamisch und komplex wie es Flugzeuge sind, die ziemlich flott auf 10 Kilometer Höhe um die Welt düsen! Hinzu kommt, dass sich in diesen Flugzeugen selbstorganisierte Teams befinden, die auf sich gestellt sind, agieren und entscheiden müssen und auch die Art der Führung, wie sie in der Luftfahrt geschult wird, ist nicht wirklich weit weg von dem, was man in agilen Strukturen Servant Leadership nennt. In flachen Hierarchien ist sich der Kapitän jederzeit bewusst, dass seine wertvollste Ressource seine Crew ist, weil einer alleine diese Komplexität der fliegenden Blechdosen niemals überblicken kann. Ein Kapitän ist darauf angewiesen, dass jedes Crewmitglied ein hohes Maß an Eigenverantwortung spürt und wahrnimmt (nennt man Neuhochdeutsch ja gerne Self-Leadership), sich dabei aber jederzeit als Teil eines Teams sieht und sich bewusst darüber ist, dass es in erster Linie immer um den Erfolg des Teams geht und nicht darum, sich selbst zu profilieren.

Ja, Flugzeuge sind anders als Banken und Erfolg sieht in beiden Bereichen ausgesprochen unterschiedlich aus. Aber die Faktoren auf menschlicher Ebene, die eine Organisation erfolgreich machen, sind überall die gleichen und ich stelle fest, dass ich in meiner agilen Welt vieles versuche noch klarer und deutlicher zu implementieren, dass ich auch als Human Faktors Trainer in der Luftfahrt immer wieder gepredigt habe: klare Priorisierung, absolute Transparenz, eine Kultur der psychologischen Sicherheit und eine Führung, die sich vor allem auch darum kümmert, dass das Team bestmögliche Voraussetzungen hat, um Leistung zu erbringen. Hierbei habe ich bereits in den ersten Monaten meiner agilen Reise festgestellt, dass auch agile Teams Leitplanken benötigen und dass man alles das, was sich standardisieren lässt, auch standardisieren und automatisieren sollten. Denn wenn plötzlich ein wirklich wilder Sturm zu toben beginnt, sind es die Automatismen, alles das, worüber wir nicht nachdenken müssen, was uns die kognitive Kapazität gibt, um in Krisensituationen kreativ agieren zu können.

Und Führungspersönlichkeiten braucht es überall

Und wie viel Führung braucht es denn nun in der agilen Welt? Diese Diskussion zwischen Alignment und Autonomy ist allgegenwärtig und was soll man einer Führungskraft, die gerne Servant Leader sein möchte, raten? Nicht einfach! Wobei, eigentlich doch! Wenn der Wind ganz sanft weht und dabei warm die Nase kitzelt, dann läuft der Laden, dann braucht dein Team niemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist. Im sanften, warmen Wind fühlt dein Team sich sicher, agiert routiniert und ist dankbar für den Raum, den du ihm lässt. Wird aus dem Wind ein Sturm, wird die Unsicherheit immer größer, liegen die Dinge anders. Wenn ich nicht mehr weiß, was in dieser unbekannten, dynamischen und vielleicht sogar beängstigenden Situation richtig und falsch ist, suche ich förmlich nach Führung. Lieber Servant Leader, in deiner Berufsbezeichnung steht nicht nur Servant, sondern auch Leader und wenn eine steife Brise anfängt dein Team durcheinanderzuwirbeln, dann ist Führung gefragt. Dann geht es darum, mit deinem Team und für dein Team Strukturen zu schaffen, Prioritäten zu setzen und vielleicht sogar mal darum, zu sagen, wie die Segel zu setzen sind. Keine Angst, das ist nicht “un-agil”. Agil ist zu sehen, was es wann braucht und entsprechend situativ zu agieren. Einen besseren Dienst am Team gibt es nicht! Also nur Mut, lieber Servant Leader!

Bei mir weht übrigens gerade gar kein Wind. Dafür scheint die Sonne und ich gehe wandern! Habt einen schönen Sonntag!

Eure Constance

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Die Ruhe vor dem Sturm?

Manchmal braucht es einen Kapitän auf der Brücke und keinen Kammerdiener

Ist ja alles schön und gut mit diesem Team-Gedöns, aber...

Aus der beliebten Rubrik: Alltag eines Agile Coaches

Nachdem ich in meinen wöchentlichen Blog-Artikeln ja häufig von der Theorie berichte, mit der ich mich gerade beschäftige, ist es heute mal wieder an der Zeit, ein wenig aus der Praxis und den damit verbundenen Grenzen der Theorie zu erzählen.

Als Agile Coach begleite ich Menschen durch den Transformationsprozess ihrer Organisation, weg von den klassischen Top-Down-Management-Strukturen hin zu Unternehmensstrukturen, die ihren Menschen, ihrem Humanvermögen, Raum geben, um deren volles Potenzial auszuschöpfen. Was sich einfach anhört, ist in der Praxis ganz schön schwierig! Diese neue Autonomie schreit förmlich nach Eigenverantwortung, Selbstführung, Eigeninitiative, Mut, Selbstreflexion und so weiter und so fort. Ich sollte also in einem guten und ehrlichen Kontakt mit mir selbst sein. Gleichzeitig ist jedoch das absolute Verständnis eines Kerngedankens die Voraussetzung, um in dieser dynamischen und komplexen Welt der New Work bestehen können: der wahre Star in unserer neuen Arbeitswelt ist das Team! Will ich erfolgreich sein, muss ich verstehen, dass meine wertvollste Ressource mein Team ist. Egal wie gut ich bin, die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Team erfolgreicher sind, als ich allein, liegt bei fast hundert Prozent!

Nun haben wir also im Idealfall eine Gruppe von Menschen, die sich autonom, eigeninitiativ, (selbst-) kritisch, mutig selbst führen und dann kommt der Coach und erzählt ihnen, dass das ja alles schön und gut sei, wenn sie jetzt jedoch wirklich erfolgreich sein wollen, müssen sie es schaffen, sich mit all diesen Eigenschaften in ein Team zu integrieren und fortan mit den Kollegen zusammen zu arbeiten…

Die Magie der neuen Perspektive

Warum Teams für gewöhnlich erfolgreicher sind, lässt sich ganz schnell und einfach mit der Physiologie unserer Wahrnehmung erklären: unsere zauberhafte Blackbox, die wir Gehirn nennen, verarbeitet nur etwa fünf Prozent all der Reize, die durch unsere Sinne eingesammelt werden, so, dass sie in unser Bewusstsein rutschen. Das, was wir als unsere individuelle Wahrheit bezeichnen, sind gerade mal fünf Prozent von dem, was tatsächlich ist. Diese fünf Prozent werden inhaltlich durch unsere Erfahrungen, unser Wertesystem, unsere Erziehung, unseren Präferenzen, etc. bestimmt. Wenn es also darum geht, in einem komplexen und dynamischen Umfeld zu entscheiden, ob es rechts oder doch lieber links herum gehen soll, ist es eine ziemlich gute Idee, sich eine zweite, dritte oder vierte Meinung zu holen. Im besten Fall frage ich sogar Menschen die ganz anders sind, als ich selbst, mit anderen Erfahrungen, einem anderen Hintergrund und einer anderen Meinung. Mit etwas Glück hat deren Gehirn sich ganz andere fünf Prozent der Realität herausgesucht, um sie auf eine bewusste Ebene zu heben.

Toll! Und jetzt haben wir den Salat der X verschiedenen Meinungen… Entscheidungsfindung im Team

In der letzten Woche hatte ich gleich mehrere Workshops, Diskussionen und Coachings, die Teamwork und Teambuilding zum Thema hatten und meine Argumente für mehr Team schienen geradezu entwaffnend! Sobald es jedoch an die praktische Umsetzung ging, habe ich immer wieder gemerkt, dass meine Kollegen wirklich bemüht waren, oft aber keinen bewussten Hebel hatten, die Team Idee in die Praxis zu transferieren. Wie löst man denn nun ein Problem im Team? Wie trifft man eine Entscheidung? Hier gab es zwei Herangehensweisen, die man aus einem anderen Kontext kennt: entweder der Chef entscheidet, oder es gibt eine demokratische Abstimmung… beide Wege scheinen nicht optimal, was meinen Teilnehmern auch irgendwie klar war. In unserer modernen und komplexen Arbeitswelt sind es schon lange nicht mehr die Vorgesetzten, die alles am besten wissen und können. Unternehmen geben Unsummen für ausgezeichnet qualifizierte Experten aus, aber wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen gehen sie zwischen Führungskräften und der Mehrheit unter? Das erscheint mir ausgesprochen ungünstig (und unrentabel)! In meiner alten Welt, der Luftfahrt, die als High Risk Environment gilt, sind derartige Entscheidungsfindungsprozesse lebensgefährlich. Wenn es also um erfolgreiche und vor allem analytische Entscheidungsfindungsprozesse geht, darf man getrost mal schauen, wie Flugzeugbesatzungen zu ihren Entscheidungen kommen. Immerhin hat man hier schon Ende der siebziger Jahre festgestellt, dass der größtmögliche Erfolg in einem dynamischen und komplexen Umfeld daraus resultiert, dass Crews als Teams zusammenarbeiten und die Kollegen die eigenen größtmögliche Ressource darstellen, wenn gerade mal wieder alles im Chaos liegen zu scheint.

Ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der alle zur Verfügung stehenden Perspektiven berücksichtigt, muss her

Was in der Luftfahrt her musste (und was die agile Welt unbedingt noch braucht), war ein analytischer Entscheidungsfindungsprozess, der für Teamstrukturen nutzbar ist. Kluge Menschen haben sich FOR-DEC ausgedacht. Hört sich komisch an, ist aber ganz einfach, verblüffend einfach…

FOR-DEC ist ein Akronym, das man aus man aus den Worten “befor decision” entwickelt hat und Einzelpersonen oder eben auch ganze Teams durch einen Entscheidungsfindungsprozess führen soll. Es gilt, sechs Phasen abzuarbeiten:

  1. F steht für Facts: hier geht es darum alle verfügbaren Fakten zu sammeln. Im Flugzeug ist es durchaus möglich das einer der entscheidendsten Fakten nur von der jungen, frisch ausgebildeten Stewardess in der hinteren Bordküche wahrgenommen wird. Komplexität eben. Fakten kann man formidabel im Team sammeln. Was man im Rahmen der Faktensammlung jedoch unbedingt beachten muss ist, Annahmen nicht mit Fakten zu verwechseln. Denkt mal drüber nach!

  2. O steht für Options: Habe ich alle verfügbaren Fakten beisammen, schaue ich mal, welche Optionen es gibt. Auch hierbei darf man das Team befragen. Und Achtung: meistens gibt es mehr als zwei Optionen. Hier können andere Perspektiven ausgesprochen bereichernd sein!

  3. R steht für Risks and Benefits, denn jede Option hat Vor- und Nachteile. Auch an dieser Stelle können Teammitglieder Vor- oder Nachteile sehen, deren ich mir vielleicht gar nicht bewusst bin.

  4. D steht für Decision, denn jetzt liegen die Karten auf dem Tisch, deshalb muss die Entscheidung her. Wer sie trifft? Der, der sie auch verantwortet. In kleinen Dingen ist das jeder selbst, in seinem kleinen Bereich. In größerem Rahmen ist es traditionell oft der Chef, oder in der Luftfahrt dann der Kapitän. Allerdings wird jede Entscheidung nur so gut sein, wie die Fakten, auf welchen sie basiert. Aus diesem Grund rufe ich dazu auf, nicht über die Entscheidung, die andere getroffen haben, zu meckern, sondern sich selbst lieber mal kritisch zu hinterfragen, ob ich denn auch alle Fakten dazu beigetragen habe, um diese Entscheidung so gut wie möglich werden zu lassen.

  5. E steht schließlich für Execution, da man alle Entscheidungen ja auch irgendwann mal umsetzen muss. Hierbei ist es sinnvoll, Aufgaben klar zu verteilen und möglichst transparent zu machen.

  6. Nach der Umsetzung ist man ja eigentlich fertig. Trotzdem kommt unter Punkt sechs das vielleicht wichtigste des gesamten Prozesses. C steht für Check. Nach der Umsetzung ist es nämlich unglaublich wichtig, zu überprüfen, ob denn meine Entscheidung auch zum gewünschten Resultat geführt hat. Und wenn nicht, dann haben mir wohl Fakten gefehlt, oder vielleicht hat sich die Ausgangssituation verändert (soll passieren, in einem dynamischen Umfeld). Dann geht es einfach wieder zurück zu F und das Spiel geht von vorne los. So kann einem das FOR-DEC Modell sogar die Angst vor vermeintlich falschen Entscheidungen nehmen. Die gibt es nämlich in dynamischen und komplexen Systemen nicht.

So einfach und doch so schwer

Wenn man das so liest, erscheint ein Studium der Raketenwissenschaften nicht unbedingt als Voraussetzung dafür, FOR-DEC zu verstehen und durchzuführen. Für sich ganz allein durchläuft sicher jeder von uns diesen Prozess immer wieder, mal bewusst, mal ganz unbewusst. Das spannende ist, dass man durch FOR-DEC recht einfach und vor allem auch ohne Emotionen und Rechthaberei mehrere Menschen in den Entscheidungsfindungsprozess mit einbeziehen kann. Es geht nicht ums Recht haben, um Erfahrung, Bauchgefühl oder um das beste Durchsetzungsvermögen. Es geht um Fakten, so wie eine gemeinsame Analyse diese Fakten und ganz nebenbei bietet FOR-DEC all jenen, die in Führungsverantwortung sind, die tolle Möglichkeit, alle Ressourcen, die das Team einem zur Verfügung stellt, auch zu nutzen. In der Luftfahrt ist das tatsächlich überlebenswichtig. In meiner neuen Welt kann ich dieses Drohszenario leider nicht nutzen. Erfolg, vor allem aber Misserfolg kann hier einfacher relativiert werden, als in einem High Risk Environment wie der Luftfahrt. Ein Flugzeugabsturz ist etwas Absolutes. Bilanzen und Zahlen sind irgendwie relativ. Aber Fakt ist, dass die Faktoren, die ein Team oder eine ganze Organisation letzten Endes erfolgreich machen, auf menschlicher Ebene immer die gleichen sind. Teammanagement und die tatsächliche Nutzung des Humanvermögens eines Teams oder einer Organisation spielen in einer komplexen und dynamischen Umwelt eine immer entscheidendere Rolle.

Und jetzt weg mit den Würfeln und hin zu mehr Analyse!

Ich bin gespannt, was all jene, die in der letzten Woche irgendwie keine wirklich Alternative zur Top-Down-Entscheidung oder zur Basisdemokratie sahen, sagen werden, wenn ich ihnen FOR-DEC vorstelle! Dieses Würfelspiel der Entscheidungsfindung hat mir einfach zu viel mit Glück zu tun. Deshalb seid auch ihr von Herzen dazu eingeladen, im Rahmen eurer nächsten Entscheidung nicht nur eure eigenen Fakten zu sammeln, sondern auch einmal nachzudenken, ob es noch jemanden gibt, der vielleicht eine andere Perspektive und andere Fakten für euch hat.

Eure Constance

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Würfelt ihr noch

Oder entscheidet ihr schon?