Entscheidungsfindung

Wer versucht sich alle Türen offen zu halten...

… der läuft Gefahr sein Leben auf dem Flur zu verbringen!

Meine neue Website ist online und damit auch meine neues, schärferes Profil als Coach und Consultant. Die für mich größte Veränderung ist, dass ich nach exakt 25 Jahren Luftfahrt dieser unendlich spannenden Branche den Rücken kehre. Es war zugegeben ein Abschied auf Raten. Schon vor vier Jahren habe ich meine geliebte Condor verlassen und war heilfroh, dass ich weiterhin als Human Factors und Security Trainer nebenbei einen Fuß in der Tür der Luftfahrt hatte. So habe ich mir diese Tür vier Jahre lang erfolgreich offen gehalten. -Aus Wehmut, aus Angst, aus Spaß, aus Unsicherheit… Ich glaube die Gründe waren vielfältig.

Mit meinem Re-Branding habe ich mich entschieden das Kapitel Luftfahrt nun für mich zu schließen. Bin ich wehmütig? -Oh ja! Ist mir die Entscheidung leicht gefallen? -Oh nein! Aber eine kluge Frau und Mentorin hat mir vor einigen Jahren einen Satz mitgegeben, den ich nicht nur in meiner Rolle als systemischer Change Manager immer wieder zitiere: “Keine Veränderung ohne Preis!”. Der Preis, den ich nun zahle, um in meiner Rolle als Coach und Consultant den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen, ist der endgültige Abschied aus der Welt der Flugzeuge, die ich jedoch sicher immer im Herzen tragen werde.

Über Risiken und Chancen

Wer versucht sich alle Türen offen zu halten, läuft Gefahr sein Leben auf dem Flur zu verbringen. Dieser landläufige, flotte Spruch verdeutlicht den verzweifelten versuch, sich alle Optionen offen zu halten, ohne eine klare Entscheidung zu treffen. Letztlich verharrt man dadurch in einem Zustand der Unentschlossenheit oder Passivität, anstatt aktiv zu werden und seinen Weg zu gehen. Aber “Wege entsteh dadurch, dass man sie geht” (F. Kafka). Dieser Spruch ist inzwischen nicht nur zum Motto meines Coaching Instituts geworden, sondern auch zu meinem ganz persönlichen.

Klar, wer immer auf dem Flur bleibt, meidet Risiken. -Ein nicht unerhebliches Argument in unseren gefühlt unsicheren Zeiten. Allerdings verpasst man so auch Chancen und die Möglichkeit, tiefere Erfahrungen zu machen, oder etwas bedeutendes zu erreichen. Das Leben ist nun mal eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten, die wiederum mutige Entscheidungen einfordern, auch wenn das bedeutet, manche Optionen aufzugeben. Ansonsten fliegen diese Möglichkeiten und somit unser Leben einfach so an uns vorbei.

Warum bleiben Menschen manchmal lieber auf dem Flur?

Es gibt sicher mehrere, vielleicht auch gute Gründe, warum Menschen lieber auf dem Flur bleiben, also in einem Zustand der Unentschlossenheit verweilen. Vielleicht kennt ihr diese Flurmomente ja auch aus dem eigenen Erleben. Woran lag es, oder liegt es, dass ihr euch auf dem Flur aufgehalten habt, nicht durch die Tür gegangen seid um euren Weg entstehen zu lassen? Hier eine kleine Liste der häufigsten Gründe für Unentschlossenheit:

  1. Angst vor Fehlern und Konsequenzen: Viele Menschen fürchten, eine falsche Entscheidung zu treffen, die negative Konsequenzen für sie haben könnte. Diese Angst vorm Scheitern oder einem möglichen Verlust lässt sie zögern und kann zu Vermeidungsverhalten führen.

  2. Perfektionismus: Perfektionismus lässt uns oft nach der bestmöglichen Entscheidung suchen. Da es in unserer komplexen Welt selten die eine perfekte Wahl gibt, bleiben Menschen manchmal in der Analysephase stecken, stets auf der Suche nach weiteren Informationen und besseren Optionen.

  3. Überforderung durch zu viele Möglichkeiten: In einer Welt voller Optionen kann die Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten überwältigend wirken. Dieser fast schon als “Tyrannei der Wahl” empfundene Zustand kann dazu führen, dass Menschen sich lieber gar nicht entscheiden, um nicht mit ihrer Wahl einer Option eine andere Möglichkeit auszuschließen.

  4. Mangelndes Vertrauen in die eigene Urteilskraft: Wenn Menschen sich hinsichtlich ihrer Entscheidung unsicher sind, zweifeln sie oft auch an sich selbst. Sie wollen sich alle Optionen offen halten um nicht mit den Konsequenzen ihrer Unsicherheit konfrontiert zu werden.

  5. Verlustangst: Eine Entscheidung bedeutet auch immer sich auf etwas festzulegen und damit andere Möglichkeiten aufzugeben. Es gibt Menschen, die von einer tiefen Angst etwas zu verpassen oder zu verlieren getrieben sind und deshalb lieber in einem Zustand der Offenheit bleiben. Neuhochdeutsch bezeichnet man dieses Phänomen heute als FOMO - Fear of Missing Out.

  6. Sozialer Druck und Erwartungen: Der Wunsch die Erwartungen anderer zu erfüllen, oder wenigstens nicht negativ aufzufallen, kann ebenfalls dazu führen, dass Menschen Entscheidungen meiden oder hinauszögern. Sie wollen es allen recht machen und meiden deshalb klare Positionen,

  7. Unbewusster Gewinn: Manchmal hat das Vermeiden von Entscheidung den Vorteil, dass man keine Verantwortung übernehmen muss, man bleibt in einer bequemen Positionen und meidet das Risiko sich zu exponieren oder gar zu versagen.

Diese Faktoren können alleine oder in Kombination dazu führen, dass Menschen sich schwer tun, eine Tür zu durchschreiten und lieber auf dem Flur bleiben. Um diesen Zustand zu überwinden braucht es Selbstreflexion, Mut und die Akzeptanz, dass nicht jede Entscheidung perfekt sein muss. In meinen Trainings in der Luftfahrt habe ich den Teilnehmenden immer versucht mitzugeben, dass die einzige absolut falsche Entscheidung die ist, die nicht getroffen wird. Denn dafür fliegen Flugzeuge einfach zu schnell! Und wenn mir mal ehrlich sind fliegt auch unser Leben zu schnell an uns vorbei, als dass wir es uns wirklich leisten könnten in abwartender Passivität zu verharren.

Keine Veränderung ohne Preis!

Ich habe meine Entscheidung nun also getroffen und selbstverständlich gab es auch Faktoren, die es mir leichter gemacht haben, das Thema Training und vor allem die Luftfahrt hinter mir zu lassen, meinen Preis zu zahlen.

Ob ich das Fliegen vermisse, hat mich auf meinem Rückflug aus dem Urlaub vor einer Woche eine ehemalige Condor-Kollegin gefragt. Nein, gar nicht! Ich habe etwas gefunden, das mich mich heute so erfüllt, wie es vor einigen Jahren die Luftfahrt getan hat. In meinem Leben ging und geht es in erster Linie um Menschen. Flugzeuge waren hierbei nicht mehr und nicht weniger als ein unglaublich cooles Hilfsmittel. Es sind die Menschen um mich herum, die mich in all ihren Facetten faszinieren. Ich bin neugierig auf die Menschen um mich, möchte über sie lernen und ich möchte verstehen. Das ist es, was mich wirklich antreibt. Und das ist es, was es mir möglich macht, Türen hinter mir zu schließen. Ich kenne mein Ziel, ich weiß wo ich hin möchte, habe meinen Purpose gefunden. Das macht es einfacher, Dinge zurück zu lassen und sie gleichzeitig weiterhin im Herzen zu tragen. -Deshalb volle Kraft voraus in die Richtung, die ich vor 25 Jahren als junge Stewardess in meinem ersten Human Factors Training eingeschlagen habe.

Ich wünsche euch einen schönen, herbstlichen Sonntag.

Eure Constance

Schön, so ein Flur

Aber es wäre doch auch sicher spannend, in das ein oder andere Zimmer hineinzutretet, zu schauen, was es dort gibt!

Buridians Esel und die Möglichkeiten von Entscheidungs-Coachings

Das oder das oder doch etwas ganz anderes?

Es war einmal ein durstiger, hungriger Esel, der genau in der Mitte zwischen einem Eimer Wasser und einem Heuhaufen stand und verzweifelt den Kopf hin und her schwenkte. Er konnte sich nicht entscheiden, ob er zuerst fressen oder trinken sollte. Schließlich starb das Tier - an Hunger und Durst!

Dieses Gleichnis wird dem gelehrten Jean Buridian zugeschrieben, der um 1300 geboren wurde. Wahrscheinlich ist es sogar noch viel älter und geht auf den Philosophen Al-Ghazali zurück. Das heißt das Motiv, sich nicht entscheiden zu können, scheint so alt wie die Menschheit. Die Situation des Esels können wir alle sicher gut nachempfinden. Je länger wir in einer als Dilemma empfundenen Situation nachdenken, desto klarer wird, dass sich die Argumente für und wider die Waage halten. Daraus resultiert häufig die Angst zum Falschen ja oder nein zu sagen. Mein alter Herr pflegte zu sagen, dass das Leben in der Form unendlich vieler Möglichkeiten auf uns einprasselt, die wir ganz sicher auch immer erkennen, sobald wir sie vertan haben!

Im Prinzip muss man das Gleichnis von Buridians Esel so lesen, als dass nicht die Entscheidung an sich uns verzweifeln lässt, sondern das Sich-Nicht-Entscheiden-Können uns immer tiefer in die Verzweiflung treibt. Dabei geht es in unserer ausgesprochen dynamischen und komplexen Welt nicht primär darum sich richtig zu entscheiden, sondern vielmehr darum sich überhaupt zu entscheiden. Nicht selten ist die einzig wirklich falsche Entscheidung die Entscheidung, die nicht getroffen wird, beruflich wie privat. Die Welt dreht sich stetig und gnadenlos weiter und wir Menschen sind gut beraten hier flexibel mitzugehen, damit sie uns nicht überrollt.

Entscheidungs-Coachings als Element im Business-Coaching

In meiner Rolle als Coach kenne ich diese Entscheidungsdilemmata nicht nur aus dem eigenen Erleben, sondern auch immer und immer wieder aus dem Erleben meiner Kundinnen und Kunden. Und wer soll es ihnen verdenken. Es ist nicht einfach in dieser verrückten Welt, in der gefühlt alle auf einen schauen, man glaubt omnipräsent zu sein und manchmal denkt, dass alle anderen nur darauf warten, dass man selbst einen Fehler macht. Gefühle von Angst und Lähmung sind hier nur zu verständlich. Wie gehe ich als Coach mit dieser Gemengelage um? Wie unterstütze ich meine Coachees dabei, eine für sie passende Entscheidung zu treffen und diese auch umzusetzen? Im Prinzip habe ich hierfür zwei Lieblingsmodell, mit denen ich arbeite. -Was nicht heißt, dass andere Modell schlechter sind! Meine beiden Liebsten möchte ich euch heute gerne vorstellen. Eines als Hilfe zur Selbsthilfe und eines um euch ein Modell vorzustellen, mit den ihr im Rahmen einer Coaching-Session gemeinsam mit einem systemischen Coach arbeiten könnt.

Analytische Entscheidungsfindung mit dem FOR-DEC-Modell

Das erste Modell, das ich auch in Coachings gerne nutze, verfolgt mich bereits seit fast 25 Jahren, da es seinen Ursprung in der Luftfahrt hat und Piloten, bzw. Crews dabei unterstützen soll, analytische Entscheidungen auch unter großem Stress und Ungewissheit zu treffen. Wahrscheinlich hat es auch den inzwischen berühmten Sully Sullenberger dabei unterstützt, seinerzeit die Blitzentscheidung auf dem Hudson zu landen, zu treffen. Es ist ebenso simpel wie effektiv und ihr seid herzlich eingeladen, es für euch zu nutzen.

Bei FOR-DEC handelt es sich um ein Akronym aus den Worten “Befor Decision” und soll Menschen in unklaren Situationen helfen, eine schnelle und analytische Entscheidung zu treffen. Im Prinzip ist es wie eine Check-Liste, die sequenziell abgearbeitet wird. Dabei stehen die sechs Buchstaben für folgende Schritte:

  1. F für Facts: Man beginnt mit einer Faktensammlung. Welche Informationen habe ich? Wichtig ist in diesem Schritt eine bewusste Unterscheidung von Fakten und Annahmen zu vollziehen.

  2. O für Options: Welche möglichen Optionen habe ich? Hierbei ist es erfahrungsgemäß ausgesprochen hilfreich nicht nach der zweiten möglichen Option aufzuhören. In vielen Situationen, die wir als Entweder-Oder erleben, gibt es zumeist noch mehr Möglichkeiten, die es zu betrachten gilt. Dabei ist selbstverständlich auch die Frage, was ich überhaupt erreichen möchte, wichtig.

  3. R für Risks & Benefits: Wie sind die einzelnen Optionen mit Blick auf Für und Wider einzuwerten?

  4. D für Decision: Dann muss entschieden werden. Diesen Punkt kann man sich auch im Rahmen des FOR-DEC-Modells nicht ersparen.

  5. E für Execution: Wie genau setze ich die Entscheidung um? Welche konkreten Schritt müssen wann von wem gegangen werden? Was ist mein Anteil?

  6. C für Check: An einem bestimmten Punkt (und dieser kommt in der Luftfahrt zumeist deutlich schneller als in meinen üblichen Business-Coaching-Kontexten) muss ich überprüfen, ob meine Entscheidung zum gewünschten Erfolg geführt hat. Dazu muss ich natürlich auch meine eigenen Erfolgskriterien kennen. Passt alles, fein, passt es nicht, zurück auf Anfang, denn dann habe ich nicht alle Fakten berücksichtigt… So kann ich mit FOR-DEC zu mindestens ein Stück weit die Angst vor sogenannten falschen Entscheidungen nehmen. Im Prinzip ist es ein Kreislauf, der der Dynamik des Umfelds gut Rechnung tragen kann.

Mit meinen Coachees arbeite ich in der ersten Session zumeist an den Punkten 1. bis 5. und für den Check vereinbaren wir, so gewünscht einen weiteren Termin. - Oder sie bekommen, so wie ihr, eine kleine Anleitung und dürfen selbst aktiv werden.

Das Tetralemma - Entweder, oder, sowohl, als auch oder doch ganz anders

Die zweite Methode, die ich im Rahmen von Entscheidungs-Coachings ausgesprochen gerne nutze, ist das sogenannte Tetralemma nach Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd, die ein Schema aus der indischen Logik genutzt haben, um daraus eine systemsiche Strukturaufstellung zu entwickeln. Wie die Bezeichnung Strukturaufstellung vermuten lässt, handelt es sich um eine Form der gemeinsamen Arbeit, in der der Raum genutzt wird. Das heißt jede der fünf Positionen bekommt einen Platz im Raum zugeordnet, die der Coachee nacheinander abschreitet. Dazwischen geht es physisch und gedanklich immer wieder zurück auf eine Metaposition, die meinen Coachees die Möglichkeit gibt, sich selbst von außen zu betrachten.

Ziel des Tetralemmas ist es, den Entscheidungs- und Handlungsraum innerhalb eines sogenannten Dilemmas zu erweitern. Ausgegangen wird von zwei Optionen: “Das eine” und “das andere” die direkt auch die ersten beiden Optionen im Tetralemma darstellen. Die dritte Position ist “Beides” was integratives Denken und eine Kompromissbereitschaft in Betracht ziehen soll. Die vierte Position ist eine Art paradoxe Position, die dazu dient, die Absolutheit von “entweder-oder” abzuschwächen und die “keins von beidem” genannt wird. Die fünfte Position führt sogar noch über die vierte Position hinaus und stellt eine Form der reflexiven Musterunterbrechung dar. Sie nennt sich “alles dies nicht und selbst das nicht”. Sie ermöglicht es den Coachees sich von den vorherigen Punkten zu lösen und somit auch die als Dilemma empfundene ursprüngliche Fragestellung hinter sich zu lassen.

Für einen kompletten Prozess plane ich für gewöhnlich nicht mit einer bei mir üblichen 60-minütigen Coaching-Session, sondern mit 90 Minuten. Während dieser Zeit beobachte ich immer wieder, wie meine Coachees ihren Entscheidungs- und somit auch Einflusshorizont stetig erweitern und nicht selten erlebe ich, dass die Entscheidung, die meine Coachees im Anschluss treffen, jenseits von “entweder-oder” liegen

Zurück zum Esel…

Tja, hätte Buridians Eseln nur einen Coach gehabt… Gestorben wäre er sicher nicht. Vielleicht denkt ihr ja an das arme Eselchen, wenn ihr das nächste Mal glaubt, euch in einem Entweder-Oder-Dilemma zu befinden und vielleicht könnt ihr euch dann sogar mit den FOR-DEC-Modell wunderbar selbst helfen, oder ihr meldet euch und bucht ein Entscheidungs-Coaching bei mir. Das Tetralemma ist eine ausgesprochen ganzheitliche und effektive Methode, die deutlich effektiver und klarer wirkt, wenn sie von einem erfahrenen systemsichen Coach begleitet wird. Auch ich coache mich in einem solchen Kontext nicht selbst, sondern wende mich vertrauensvoll an eine Kollegin oder einen Kollegen und lasse mich kompetent begleiten.

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag. Mein gerade zu klärendes Dilemma ist, ob ich erst bügeln oder erst ein wenig auf der Coach liegen möchte… Ich denke, das schaffe ich ohne Coach!

Eure Constance

So oder besser so oder besser doch so

Gefangen im Entscheidungsdilemma

Let's make some noise! Oder schlafende Hunde besser nicht aufwecken? - Entscheidungsfindungsprozesse mit Hintergrundrauschen

Happy New Year…

Darf man sich ja noch wünschen, oder? Ich hoffe ihr seid gut ins neue Jahr gekommen. Ich für meinen Teil bis sehr gespannt, was dieses Jahr 2022 mit sich bringt. Ein paar Ideen habe ich, aber am Ende kommt ja doch immer alles anders, als man denkt. Zumindest der Anfang war für mich recht entspannt, was aber ganz sicher nicht so bleiben wird.

Ich liege gerade mit Kurt, unserem neusten Familienmitglied auf der Couch und die sonst gerne auch mal recht quirlige kleine Französische Bulldogge döst friedlich vor sich hin. Schlafende Hunde soll man nicht aufwecken, schießt mir in den Kopf und ich verhalte mich ganz ruhig, um in Ruhe weiterschreiben zu können.

Schlafende Hunde soll man nicht aufwecken… So oder so ähnlich höre ich es gerne auch mal im Job, wenn ich mich in den Organisationseinheiten, die ich begleite, dazu aufmache, allen Mist, Staub und Dreck, der sich naturgemäß so ansammelt, an die Oberfläche zu spülen. Ist es sinnvoll, hierbei proaktiv oder reaktiv zu sein? Ich komme aus der Luftfahrt und habe mehr als deutlich gelernt, dass eine reaktive Haltung verdammt blutig enden kann. Zwischen den Jahren bin ich über ein Thema gestolpert, das ich ganz sicher proaktiv bei meinen Kunden ansprechen werde. Ebenso proaktive möchte ich meine Gedanken dazu auch mit euch teilen. - Und vielleicht einen schlafenden Hund wecken!

Das Märchen der richtigen Entscheidung

Ich habe schon häufiger über Entscheidungsfindungsprozesse geschrieben, stellen sie doch den Kern unseres Schaltens und Waltens auf Erden dar. Wir wachen morgens auf und treffen bereits die erste Entscheidung: direkt raus aus den Federn oder nochmal 10 Minuten auf Snooze? Schon an dieser Stelle durchlaufen wir alle einen individuellen Prozess mit unterschiedlichen Ergebnissen. Was ist richtig? Was ist falsch? -Beides, wenn es eben passt! Kaffee oder Tee? Frühstück oder gleich los? Und natürlich: was ziehe ich an?

So hangeln wir uns durch den Tag, jeder für sich und doch alle gemeinsam. Was uns sicher eint ist, dass jeder von uns immer bestmöglich entscheiden möchte, bzw. keiner von uns absichtlich eine falsche Entscheidung trifft.

Im Job geht es direkt weiter. Eine Entscheidung jagt die nächste. Besonders spannend wird es, wenn die Entscheidungen, die wir im Job treffen Folgen haben. Natürlich entscheiden wir auch hier nach bestem Wissen und Gewissen und trotzdem jeder von uns ein bisschen anders. Nehmen wir zum Beispiel einen Richter, der sich an Recht und Gesetz hält und seine Urteile natürlich bestmöglich trifft. Eigentlich müssten folglich alle Richter in Fällen mit exakt gleicher Sachlage auch immer gleich entscheiden. Tun sie aber nicht! Natürlich liegt das an der subjektiven Beurteilung der Fakten. So ist der eine Richter milder als der andere. Den einen empört zum Beispiel Betrug ganz besonders, der andere ist genau hier weniger scharf in seinem Urteil. Auf diese Weise entsteht selbst in unserem Rechtssystem eine gewisse Zufälligkeit. Und es gibt noch mehr Umstände die die Zufälligkeit noch viel zufälliger werden lassen. Studien aus den USA belegen, dass sogar Temperaturschwankungen Einfluss auf Gerichtsurteile haben, oder ob die örtliche Football-Mannschaft am Wochenende verloren hat, der Angeklagte Geburtstag hat, oder um den wievielten Fall des Tages es sich handelt. Total unberechenbar, oder?

Diese unberechenbare Abweichung bezeichnet der der Wirtschaftspsychologe Daniel Kahneman in seinem neusten Buch, das er gemeinsam mit den Herren Sibony und Sunstein geschrieben hat, als Noise.

Noise oder Bias

Nun wird der ein oder andere von euch sich völlig zurecht denken: diese Abweichung zur Norm kenne ich schon. Das habe ich bisher Bias genannt. Warum braucht es dafür ein neues Wort? Ganz einfach: weil es sich um zwei unterschiedliche Paar Schuhe handelt. Ich erkläre es kurz.

Wir stellen uns vor, eine gesamte Personalabteilung sei der Meinung, dass Frauen weniger geeignet wären eine Führungsposition einzunehmen! Das ist natürlich nur rein hypothetisch und total konstruiert! Aber stellen wir uns das einfach mal vor. So würde es zu einer einheitlichen Abweichung in der Beurteilung der Eignung von Frauen kommen. Das wäre dann ein unschöner, aber doch sehr berechenbarer Bias.

Stellen wir uns nun vor, dass es in ein und derselben Personalabteilung Kollegen gibt, die Frauen als weniger geeignet für Führungspositionen sehen, andere, die glauben, Frauen, seien generell besser geeignet, und natürlich gibt es auch die eine Hardlinerin, die glaubt es braucht generell mehr Frauen in der Chefetage, Qualifikation erstmal zweitrangig. Auch hier gibt es eine Abweichung von der Norm oder dem Ideal, allerdings eine komplett unberechenbare Abweichung, welche die drei W eisen aus den USA als Noise bezeichnen.

Sowohl Bias als auch Noise führen zu falschen Entscheidungen. Während das eine berechenbar ist, ist das andere total unberechenbar, weil es auf individuellen kognitiven Fehlleistungen beruht.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Diese Frage stellte sich dereinst Paul Watzlawick, als er seine Theorie des radikalen Kontruktivismus beschreibt. Watzlawick legt sehr eindeutig dar, dass wir Menschen uns unsere Wirklichkeit selbst konstruieren, passend zu unseren Erfahrungen, unserem Wertesystem, unseren Vorlieben und so weiter. Hier bringt jeder sein ganz eigenes Päckchen mit, was toll ist! Macht uns das doch ganz einzigartig. Gleichzeitig ruft genau das Noise hervor, da es dazu führt, dass wir ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich einordnen oder beurteilen. Hierzu gab es Studien bei Versicherungen, die belegen, dass unterschiedliche Sachbearbeiter den gleichen Umstand unterschiedlich bewerten. Die Abweichung liegt laut den Erkenntnissen Kahnemans bei über 50 Prozent. Das ist eine Menge! Besonders wenn es wie bei Versicherungen, oder Banken ums Geld geht, ganz zu schweigen, davon, wenn Justitia ins Spiel kommt!

Noise in Organisationen

Wie bei all diesen neuen Erkenntnissen aus den Federn der Wirtschaftspsychologen und Beratern, stellt sich die Gretchen-Frage, was Organisationen nun damit anfangen sollen. Als Coach würde ich mir im ersten Schritt mal anschauen, wie es denn um Noise, dieses Hintergrundrauschen, in der jeweiligen Organisation (-seinheit) bestellt ist. Wie? Ganz einfach! Ich konstruiere einen Sachverhalt, den es zu beurteilen gilt und gebe diesen unterschiedlichen Mitarbeitern und schaue mir am wie sie entscheiden, bzw. wie groß die Streuung der Ergebnisse ist.

Im zweiten Schritt geht es darum, die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Thema Noise zu lenken. Hier muss ich quasi den schlafenden Hund der kognitiven Diversität innerhalb meiner Organisation wecken!

Und dann? Dann ist es erstmal wichtig zu betonen, dass diese Unterschiedlichkeit keineswegs schlecht ist. Im Gegenteil! Es geht nämlich aus meiner Sicht nicht darum, ein Noise-freies System zu konstruieren. Das wäre das Ende von Innovation und Kreativität. Auch darf es keineswegs passieren, dass individuelle Ermessensspielräume genommen werden. In einem dynamischen und komplexen Umfeld würde dies das relative sichere Ende der Organisation bedeuten.

Also, was tun? Selbstverständlich das, was wir VUKA-Priester und Coaches Tag ein Tag aus von unserer hohen Kanzel aus predigen: analytisch das Team als Ressource auch im Rahmen von Entscheidungsfindungsprozessen nutzen und Transparenz schaffen. Aber gerne mal eins nach dem anderen:

  1. Zunächst muss jeder einzelne Mitarbeiter verstehen, dass es bei Entscheidungen nicht um den Ausdruck von Persönlichkeit, sondern von Genauigkeit geht. Dazu ist es hilfreich, die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, sich hinsichtlich ihrer ganz persönlichen Einflussfaktoren zu reflektieren.

  2. Während des Prozesses der Entscheidungsfindung ist es sinnvoll, eine Art Metaebene einzunehmen, von der aus man seinen individuellen Fall nicht als isolierten Einzelfall sieht, sondern versucht sich im Rahmen der Entscheidung auf eine Referenz ähnlich gelagerter Problemfälle zu beziehen.

  3. Auch ist es immer hilfreich, sich Beratung oder Unterstützung zu holen. Vielleicht lässt sich die eine, große Entscheidung in mehrere Teilentscheidungen zerlegen, die von unterschiedlichen Menschen getroffen werden können. Laut Kahneman und Konsorten ein ausgesprochen zielführendes Vorgehen.

  4. Warum nicht das Team nutzen, um andere Perspektiven einzubeziehen?! Aber bitte so, dass erst jeder für sich eine bestmögliche Entscheidung trifft und dann darüber gesprochen wird. Wird erst diskutiert, ist es den einzelnen Teammitgliedern nicht mehr möglich, ihre Entscheidung ganz unabhängig zu treffen. Eine Diskussion im Vorfeld würde diese verfälschen. Am dieser Stell muss ich gestehen, dass ich nicht zu hundert Prozent mit Kahneman übereinstimmen kann. Ich weiß natürlich was er meint. Diese Art der Voreingenommenheit möglichst zu verhindern um ein halbwegs objektives Bild der Situation zu bekommen, sollte Thema sein. Allerdings merke ich immer wieder an mir selbst, wie wichtig diese Diskussionen für meinen eigenen Horizont sind. Allerdings sollten diese faktenbasierend und nicht basierend auf Meinungen stattfinden.

  5. Ferner ist es laut Kahneman ausgesprochen hilfreich, Menschen nicht mit zu vielen Informationen zu überfrachten. Weniger ist mehr und hilft den Fokus zu halten. -Nicht einfach, betrachtet man den teilweise inflationären Informationsfluss in Organisationen.

  6. Abschließend schreibt Kahneman, dass Intuition durchaus am Ende des Prozesses eine Rolle spielen darf, da Entscheider das belohnende Gefühl brauchen, ihrer Intuition vertrauen zu können. Niemals darf Intuition jedoch am Anfang des Prozesses stehen. Stattdessen ist es wichtig, analytisch und faktenbasierend in den Prozess einzusteigen. Der intuitive Teil darf dann nach der analytischen Betrachtung aller Dimensionen mit einem gewissen zeitlichen Abstand folgen.

Natürlich kann man auch mit Hilfe von Algorithmen versuchen Noise in einer Organisation zu reduzieren, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese Algorithmen dann rassistisch, sexistisch oder anderweitig diskriminierend sind. Das erscheint mir persönlich wenig hilfreich! Also eben doch die schlafenden Hunde wecken und über Noise reden, Menschen, Teams, Organisationen dazu anregen sich selbst hinsichtlich ihrer Entscheidungsfindungsprozesse zu reflektieren und sich darüber bewusst sein, dass es diese eine objektiv richtige Entscheidung zumeist nicht gibt.

Ich wünsche euch einen wunderschönen Sonntag. Ich werde wohl in aller Stille mit dem Hund in den Schnee gehen, der schon seit Freitag ganz lautlos fällt.

Eure Constance

Schlafenden Hunde sollte man nicht aufwecken!

Trotzdem ist es manchmal sinvoll, anständig Krach zu machen…