Weihnachten! - Fest der Liebe? Von Eskalation und Deeskalation und einer Welt die den Fokus verliert

Stellt euch vor…

Ich weiß, der gute Katholik wartet eigentlich bis nach Totensonntag, ist mir aber egal! Meine Vorfreude ist riesig, deshalb habe ich bereits in dieser Woche die erste Eskalationsstufe gezündet: Meine Weihnachtsdeko steht und leuchtet und glitzert! Sie erfüllt mein schönes, sicheres und warmes Zuhause mit einer zusätzlichen Portion Wärme und Gemütlichkeit! Weihnachten! Das Fest der Liebe, der Familie, des Miteinanders. Ganz besonders hoffe ich natürlich, dass ich im Gegensatz zum letzten Jahr, in diesem Jahr wieder mit etwas mehr Menschen feiern darf. Ich denke jetzt schon darüber nach, was ich kochen möchte. Die Auswahl ist riesig und es bedeutet mir viel, meine Familie und meine Freude an den Feiertagen verwöhnen zu können. Eines meiner absoluten Jahreshighlights! Vielleicht geht es dir ja auch ähnlich.

Jetzt stellt dir einmal vor, du wärst an einem anderen Ort geboren. So gründest du auch deine Familie, die du an den Feiertagen verwöhnen möchtest, an einem anderen Ort. Vielleicht ist das Wetter anders und du glaubst an einen anderen Gott. Vielleicht tragen deine Feiertage jetzt einen anderen Namen und finden in einem anderen Monat statt. Was jedoch gleich bleibt, ist die Liebe zu deiner Familie und das Bedürfnis, dich gut um deine Familie zu kümmern, sie zu verwöhnen und deinen Kindern einen guten und sicheren Start in ihr Leben mitzugeben. An diesem Ort herrscht jedoch Krieg oder Hunger, oder gleich beides. Du weißt, es gibt einen besseren Ort für deine Familie, einen sicheren Ort, ohne Hunger. Verrückt wärst du, dort nicht hingehen zu wollen. Allerdings scheint der Weg zu beschwerlich, fast unmöglich. So tust du also dein Möglichstes, deine Familie zu schützen und satt zu bekommen. Was bleibt ist der Traum von einem besseren Ort.

Plötzlich erreicht dich ein Angebot über Belarus nach Europa reisen zu können. Alles ganz einfach, quasi eine Art Pauschalreise. Du verkauft alles was du hast, verschuldest dich vielleicht sogar. Du packst deine sieben Sachen, deine Kinder, deinen Mann oder deine Frau, vielleicht sogar noch deine alten und gebrechlichen Eltern und machst dich guten Glaubens auf in ein besseres Leben.

Weil Märchen doch nur Fabeln sind

Doch alles kommt anders als erhofft. Du findest dich im Niemandsland, im Wald zwischen Belarus und Polen wieder. Es ist bitter kalt. Du kommst weder vor noch zurück. Auf beiden Seiten Polizei und Armee, die dich hin und her jagen. Keine Toiletten, kein Essen, kein Dach über dem Kopf. Du sitzt da, im nasskalten Winter, dein kleines Kind auf dem Arm. Es hat Fieber. Du frierst und versuchst doch alles, dein Baby zu wärmen. Es weint, denn es hat Hunger. Du hast nichts zu essen und es gibt auch keinen Ort, zu dem du gehen könntest, um Essen zu holen. Frohe Weihnachten! Ein gesegnetes Fest! Tränen hast du schon lange nicht mehr. Neben dir dein alter Vater, der täglich schwächer wird, droht zu erfrieren. Dein Traum von einer besseren Welt ist zum Alptraum geworden und du drohst selbst das Letzte und Wertvollste zu verlieren, was du noch hast: deine Familie und dein eigenes Leben. Bist du nicht gegangen, um genau das zu schützen? Dass du zu einem politischen Spielball geworden bist, weißt du nicht und verstehst du nicht, denn du siehst nur das Hier und Jetzt und hoffst und betest Tag und Nacht, dass deine Liebsten dir erhalten bleiben. Es geht nicht mehr um ein besseres Leben. Es geht nur noch um das Leben selbst.

Die Vorstellung, dass ich dort sitzen könnte, im Niemandsland, frierend und hungernd, hoffend, dass meine Kinder nicht erfrieren oder verhungern, bricht mir das Herz. Ich sitze hier, in Wärme und Sicherheit und habe alles, weil mir das Glück zu Teil wurde, zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren worden zu sein.

Und dann geht es ja auch noch ums Prinzip…

Seit Wochen beobachte ich die Situation an der Grenze zwischen Polen und Belarus und seit Wochen denke ich mir, dass man doch nicht so mit Menschen umgehen kann, so kalt und so ignorant. Warum? Um einem Herrn Lukaschenko klar zu machen, dass seine Art, sein Land zu führen inakzeptabel ist. Ja, das ist sie, unumwunden! Davongejagt gehört dieser Despot! Aber welchen Preis sind wir bereit dafür zu zahlen? Indem wir (und damit meine ich den Westen, unsere Wertegemeinschaft, Europa) den Führungsstil eines Herrn Lukaschenkos verurteilen, geben wir diesen unterschiedlichen Systemen auch eine moralische Wertung und natürlich finde ich, dass die Demokratie einer Diktatur moralisch absolut überlegen ist. Aber welche Moral zeigt sich wiederum an dieser besagten Grenze, an der man Menschen, die zum Opfer des Systems Lukaschenko geworden sind, so leiden lässt, ihren Tod in Kauf nimmt? Von Liebe und Nächstenliebe ist hier nicht viel zu spüren. Von Moral und Ethik auch nicht.

Nur miteinander reden hilft…

Inmitten dieser Gemengelage dann die Meldung, dass Frau Merkel zum Telefonhörer gegriffen hat, sogar mehrfach! Wie kann sie nur mit diesem Despoten sprechen? Totale Empörung in Polen und auch in Deutschland! Ausgerechnet aus Richtung der Grünen gibt es scharfe Kritik. Auch aus der belarussischen Opposition kommt deutliche Kritik. Und ich denke mir nur, “Ist das euer Ernst? Wer für eine bessere Welt kämpft, wer diesen großen Mut aufbringt, weil die belarussische Opposition, der sollte auch zu einer besseren Welt beitragen, wann immer er oder sie die Chance hat!”. Es geht um Menschenleben. Gibt es etwas wichtigeres? Ich war nie ein expliziter Merkel-Fan und auch kein Gegner. Genau zweimal hat sie mir jedoch besonders imponiert: Als sie es nicht mehr hinnehmen konnte und wollte, dass Menschen an Bahnhöfen leiden und nun, da sie die moralische Überlegenheit unseres Systems durch Menschlichkeit unter Beweis stellt. Sie hat quasi im Alleingang zum Telefonhörer gegriffen, weil sie verstanden hat, dass diese Prinzipienreiterei, dieses quasi Aufflammen einer erneuten kalten Kriegssituation das Leben Unschuldiger kosten kann. Das ist ein Preis, den ich als Gesellschaft nicht zahlen möchte. Es geht ja auch gar nicht darum, dass all die Unglücklichen an der Grenze nun nach Polen reisen sollen und es geht auch nicht darum, dass Lukaschenko als legitimer Präsident anerkannt wird. Es geht darum, eine Lösung für Menschen zu finden, die verhindert, dass sie sterben, verhungern, erfrieren. Und Lösungen findet man nun mal nur, indem man miteinander redet. Das ist das kleine Einmaleins der Mediation. Verpasst man den Punkt miteinander zu sprechen, ist eine Eskalation unausweichlich. Hinzu kommt, dass die Machthabenden in Polen mit ihrer ausgesprochen interessanten Kriegsrhetorik zusätzlich Öl ins Feuer schütten. Zu behaupten, man habe eine Schlacht gewonnen, weil einige der Flüchtlinge mit Bussen an der Grenze abgeholt wurden und wohl wieder in ihre Heimatländer gebracht werden, kann auf der Seite Lukaschenkos durchaus als Provokation empfunden werden. Das ist nicht hilfreich. Vielmehr empfinde ich es als menschenverachtend!

Erste Erfolge stärken Merkels Initiative den Rücken, finde ich. Immerhin sitzen die Leute jetzt größtenteils wenigstens in Fabrikhallen und die ersten konnte sogar schon die Heimreise antreten. Ich wünsche mir, dass Frau Merkel noch öfter mit Herrn Lukaschenko spricht, um eine Lösung für jeden einzelnen Menschen, der derart perfide von einem System instrumentalisiert wurde, zu finden. Denn das muss jetzt oberste Priorität haben und hat nichts mit einem Gesichtsverlust des Westens, oder wie es Polen ausdrückte, mit Verrat zu tun. Es ist ein konsequentes Umsetzen unserer Werte. Das sollte auch die weißrussische Opposition verstehen! Was im nächsten Schritt mit Lukaschenko passiert, wird sich zeigen. Ich frage mich ohnehin, wie lang Putin es sich noch leisten kann, ihm die Stange zu halten. Aber was weiß ich schon von Politik und Diplomatie. Ich bin für beides offensichtlich viel zu emotional. Ich sehe nur Weihnachten, das Fest der Liebe und gleichzeitig sehe ich, wie Leid und Hunger direkt vor unserer Tür aus Prinzip hingenommen werden. Das passt für mich nicht zusammen…

War is over… if you want it…

Danke John Lennon! Dein Lied werde ich wohl noch einige Jahre hören, wie ein Mantra einer besseren Welt!

Ich wünsche euch da draußen einen ruhigen Totensonntag. Vergesst dabei nicht, auch an die Lebenden zu denken. Und danach ist dann auch offiziell Feuer frei: Raus mit der Weihnachtsdeko, den Kerzen, den Lichtern und dem Glitter!

Eure Constance

War is over…

… if you want it…

Piper Alpha - was die Business-Welt von einer abgebrannten Bohrinsel lernen kann

Aus Erfahrungen klug werden - die Lernende Organisation

Ich komme aus dem High Risk Umfeld und ja, ich weiß, dass Flugzeuge oder Bohrinseln etwas anderes sind als Banken oder IT-Unternehmen. Aber es gibt auch die ein oder andere Parallele, die es durchaus möglich macht von der scheinbar so anderen Branche zu lernen. Wer sagt denn, dass ich nur aus meinen eigenen Fehlern lernen darf? Manchmal ist es fast klüger, aus den Fehlern der anderen zu lernen. Der ein oder andere, der das hier gerade liest, wird sich sicher schon mehr als einmal gewünscht haben, dass die eigenen Kinder nicht unbedingt alle Fehler selbst machen müssen, sondern auch aus den Erfahrungen der Eltern Lehren ziehen. Tja, seht ihr, auf der einen Seite wirft man dieses Verhalten den eigenen Kindern vor, weil man sieht, dass sie es so viel leichter haben könnten, wenn… Aber auf der anderen Seite sind wir im Eifer des Gefechts auch nicht besser. Oder doch? Du hast jetzt die Möglichkeit, dir fünf bis zehn Minuten Zeit zu nehmen, um aus den Fehlern anderer zu lernen! Viel Spaß dabei!

Lasst uns mit dem anfangen, was Bohrinseln, Flugzeuge, IT Start-Ups, Banken und noch viele weitere Bereiche gemeinsam haben: Alle wollen in dem was sie tun erfolgreich sein, alle sind in ein dynamisches und komplexes Umfeld eingebettet und überall agieren Menschen. Ja, die jeweilige Definition von Erfolg ist komplett unterschiedlich aber die Faktoren auf menschlicher Ebene, die eine Organisation erfolgreich machen, sind überall die gleichen. Auf eben diese fokussieren wir uns in der nun folgenden Fallstudie.

Profit vs. Sicherheit - Wie risikobereit ist eine Organisation?

Piper Alpha war eine Bohrinsel im Piper-Ölfeld der Nordsee. Vor ihrer vollständigen Zerstörung am 06. Juli 1988 förderte sie zehn Prozent des gesamten Nordseeöls und -Gases zu Tage. Dabei war Piper Alpha ursprünglich gar nicht auf die Gasförderung ausgelegt. Jedoch änderten sich Ende der siebziger Jahre gesetzliche Vorgaben und das Erdgas, das als Nebenprodukt der Ölförderung allgegenwärtig war, durfte nicht mehr einfach so abgefackelt werden. Auch das Gas musste fortan gefördert werden. Also entschied man, Piper Alpha baulich ein wenig anzupassen, um weiterhin produktiv zu bleiben. Die entsprechenden Vorschriften verlangten, dass die Bereiche für die Öl- und Gasförderung baulich komplett getrennt sein mussten. Man baute eine Trennwand ein! Diese war sogar feuerfest, allerdings nicht explosionssicher. Eine solche Trennwand hätte es gegeben, aber das entsprechende Risk Assessment hatte irgendwie die Möglichkeit übersehen, dass Gas auch explodieren kann. Na ja, und dann war feuerfest wohl auch günstiger als explosionssicher.

Dahinter steckt natürlich die Frage danach, wie risikobereit eine Organisation ist oder sein möchte. Und natürlich stellt sich die Frage nach der Risikobereitschaft nicht nur in einem direkten Sicherheitskontext, sondern auch in einem abstrakteren Sinne. Nicht vorhandene IT-Sicherheit ist zwar nicht direkt tödlich, kann aber durchaus fatal sein. Und denken wir an Lehman Brothers zurück, dann spielt Risikobereitschaft auch auf den Finanzmärkten eine große Rolle.

Nun gut, die Betreiber von Piper Alpha, Occidental Petroleum und Texaco, haben sich für die risikoreichere Variante entschieden, die auch über zehn Jahre super funktionierte. In dynamischen und komplexen Umfeldern kommt es jedoch manchmal zu Kettenreaktionen, die einfach nicht vorhersehbar sind.

Chronologie des Versagens

In der Woche vor dem 06. Juli wurden neue Gasleitungen verlegt. Aus diesem Grund waren am späten Nachmittag des 05. Julis Taucher an der Plattform zu Gange. Um diese zu schützen, wurde das automatische Löschsystem vorübergehend ausgeschaltet, bzw. auf Handbetrieb umgeschaltet. Man will ja niemanden einsaugen, denn gelöscht wurde mit Meerwasser. Hierzu gab es auch eine klare Arbeitsanweisung, die jedoch besagt, dass man nur das System auf der jeweiligen Seite, an der die Taucher arbeiten, ausschaltet. Auf Piper Alpha hatte sich jedoch eingebürgert, das gesamte System abzuschalten. Das war einfacher und schneller. Aber das war auch ein klarer Regelverstoß und ein eingegangenes Risiko. Nun ist es jedoch so, dass wir alle ständig gegen Regeln verstoßen und Risiken eingehen. Ich erinnere nur ans Autofahren! Dabei verringere ich meine Erfolgsaussichten sicher anzukommen. Bewusst bin ich mir dessen natürlich nicht. Bis zu welchem Grad ein solches Bewusstsein geschaffen wird, ist Teil der Organisationskultur. Ich habe zum Beispiel viel Zeit in Südafrika verbracht. Damals gab es eine Initiative der Regierung, überall am Straßenrand großformatige Bilder von schrecklichen und tödlichen Unfällen aufzustellen. Ich muss nicht erklären, welchen Einfluss das auf meine Risikobereitschaft hatte. Auf Piper Alpha wurde das Thema Risiko im Zusammenhang mit Regelverstößen nie thematisiert. Vielleicht hat man ja auch über Jahre hinweg von der Risikobereitschaft profitiert, weil alles eben schneller ging, wie beim Autofahren. Diese über die Zeit antrainierte Sorglosigkeit nennen wir Human Factors Trainer Complancency. Und der Kölner nennt sie „et hätt noch immer juut jejange“ -oder so ähnlich.

Parallel zu den Wartungsarbeiten der Taucher war ein Arbeiter mit Wartungsarbeiten an einer der beiden Gaspumpen beschäftigt. Hierbei gilt es zu wissen, dass es auf Piper Alpha zwei Gaspumpen gab, jedoch immer nur eine in Betrieb war. Am 05. Juli wurde an der ausgeschalteten Pumpe A gearbeitet, als die Feierabendglocke schellte. Der Arbeiter, der an der Pumpe tätig war, hörte auf ohne fertig zu sein und deckte das Leitungsende mit einer Abdeckplatte aus Metall provisorisch ab. Das ist kein ungewöhnliches Vorgehen und hätte keine Folgen gehabt, wäre alles den Vorgaben entsprechend kommuniziert und damit transparent gemacht worden. Jedoch ist Kommunikation offensichtlich immer Teil des Problems. Der Arbeiter, der also in seinen Feierabend gehen wollte, füllte die Dokumentation vorschriftsmäßig aus, aber anstatt sie dem Schichtleiter, wie vorgesehen, persönlich zu übergeben, legte der Arbeiter sie lediglich auf den Tisch des Schichtleiters, welcher gerade beschäftigt war, annehmend, dass dieser das Formular schon sehen würde. Wie wir alle immer mal wieder, hat unser Arbeiter es eilig gehabt und ist Annahmen unterlegen. Das ist ein normales menschliches Verhalten. In einem dynamischen und komplexen Umfeld, in dem einfach alles zusammenhängt, kann das schwerwiegende Folgen haben. Denn dieses Formular wurde schlicht und ergreifend übersehen. Dann gab es plötzlich einen Ausfall von Pumpe B und damit die Förderung weitergehen konnte, wurde auf Pumpe A umgeschaltet, annehmend, dass die Wartungsarbeiten abgeschlossen wurden. Immerhin lag auch keine andere Information vor…

Transparenz und Kommunikation sind absoluten Säulen der New Work. Hier seht ihr wie unter einem Brennglas warum.

Und was es dann noch braucht, ist Eigenverantwortung und bewusste Selbstführung

Ich fasse mal zusammen: Es ist 21:57 Uhr, die provisorische Abdeckung von Pumpe A gibt nach und es tritt brennbares Flüssiggas aus. Es herrscht große Überraschung, weil die entsprechende Info untergegangen ist. Die daraus folgende erste Explosion tötet wahrscheinlich zwei Arbeiter. Das automatische Löschsystem war komplett abgeschaltet und da es brannte, kam man auch nicht an die manuelle Anschaltvorrichtung für das Löschsystem. Beim Versuch sterben weitere Arbeiter. Was mit zwei winzig kleinen Regelverstößen begann, mündet in einem Inferno. Habe ich erwähnt, dass die Trennwand zwischen Öl- und Gasförderung nicht explosionssicher war? -Ging ja lange genug gut.

Wenigstens ein Aufseher in der Leitwarte reagierte prompt und beendet per Notaus die Förderung auf Piper Alpha. Allerdings ist Piper Alpha durch Leitungsrohre mit zwei weiteren Bohrinseln verbunden: Tartan und Claymore. So fließt durch das Rohrsystem stetig Öl und Gas weiter in die brennende Bohrinsel. Das Notaus hat quasi nichts bewirkt. Die Verantwortlichen in den anderen Bohrinseln trauen sich nicht, ohne Anweisung vom Festland die Entscheidung zu treffen, ihre Förderung zu stoppen. Das könnte teuer werden und vielleicht könnte man am Ende Ärger bekommen. Es war schließlich die einsame Entscheidung eines Mitarbeiters, der dabei noch seinen Vorgesetzten overruled hat, die zum Notaus führte. Leider zu spät. Führung ist eben so viel mehr als Macht. Vor allem ist Führung Verantwortung! Nicht nur auf Bohrinseln. Je höher ich die Karriereleiter klettere, desto einsamer werden meine Entscheidungen gegebenenfalls und desto größer werden die Konsequenzen, mit welchen ich mich auseinandersetzen muss. Aber das ist Teil des Vertrages. Für diesen Mut gibt es das extra große Schmerzensgeld!

Zusätzlich sollte ich als Vorgesetzter auch immer daran interessiert sein, meine Mitarbeiter zu Eigenverantwortung zu motivieren und die Atmosphäre dafür zu schaffen. Dieser eine Kollegen, der den Mut hatte, seinen offensichtlich handlungsunfähigen Supervisor zu overrulen, hat für angemessenes, eigenverantwortliches und situatives Handeln einen Preis verdient. Diese Menschen brauchen wir überall, nicht nur auf Bohrinseln. Menschen, die sich bewusst selbst führen und einen starken inneren Kompass haben, verlieren auch in Hochstresssituationen nicht den Überblick und bleiben handlungsfähig.

Als dieser eine Mutige seine Entscheidung getroffen hat, stand Piper Alpha schon lichterloh in Flammen. Auch herbeigerufene Löschschiffe konnten nichts mehr ausrichten.

Die allermeisten Arbeiter handelten eins zu eins nach den Notfallvorschriften und versammelten sich im Wohnblock unterhalb der Hubschrauberplattform um auf Hilfe zu warten. Leider stand der Wind so, dass der Qualm jede Hilfe unmöglich machte. Einige Arbeiter haben sich entschieden, gegen alle Regeln und Vorschriften zu verstoßen und sind ins kalte Wasser gesprungen, obwohl ihnen im Training immer wieder gesagt wurde, dass das den sicheren Tod bedeute. Sie haben die Situation evaluiert und sind doch gesprungen.

Um 00:45 Uhr versank Piper Alpha schließlich im Meer. 176 Menschen verloren ihr Leben. Es gab nur 61 Überlebende. Es waren die, die sich entschieden haben zu springen. Diese 61 sind ein Beispiel dafür, dass Regelverstoß auch sinnvoll sein kann, wenn er auf bewusster Selbstführung und bewusstem Abwägen der Situation beruht. Denn wer sich selbst bewusst führt und somit den Überblick behält, ist in der Lage jede noch so komplexe und dynamische Situation rational zu bewerten und seine Handlungsalternativen bewusst einzuschätzen, ohne dabei von Stress, Bequemlichkeit, Frust, Wut oder Euphorie getrieben zu sein. Überhaupt bin ich als Coach der Meinung, dass bewusste Selbstführung eine der wichtigsten persönlichen Qualitäten ist, die es braucht um in dieser komplexen und dynamischen VUKA Welt nicht den Überblick zu verlieren. Ich kann jedem nur wärmstens ans Herz legen, sich damit auseinanderzusetzen.

Was bleibt ist die Frage nach der Schuld

Aber wieder zurück zu Piper Alpha und ihrem fatalen Ende: Wenn Menschen sterben, bleiben wir oft fassungslos zurück und natürlich hat man intuitiv das Bedürfnis, einen Schuldigen zu finden, um all diese Gefühle zwischen Wut und Trauer kanalisieren zu können. Aber wer ist denn nun schuld an der Katastrophe? Diejenigen, die keine explosionssichere Trennwand eingebaut haben, oder die, die gesetzlich verboten haben, Gas abzufackeln? Oder diejenigen, die wie so viele vor ihnen das automatische Löschsystem komplett ausgeschaltet haben? Vielleicht der Arbeiter, der wie so viele vor ihm das Formular lediglich auf den Tisch des Schichtleiters gelegt hat? Der Schichtleiter, weil er es übersehen hat? Vielleicht sind ja auch die Diensthabenden auf Titan und Claymore schuld, weil sie nicht den Notaus betätigt haben? Oder die Bosse auf dem Festland, weil sie den wirtschaftlichen Druck gemacht haben, der diese Entscheidung für die jeweiligen Schichtleiter unmöglich gemacht hat? Man könnte auch sagen, diejenigen die das Sicherheitstraining konzipiert haben, waren Schuld. Wären sie nicht gewesen, wären mehr Menschen ins Wasser gesprungen und hätten womöglich überlebt. Aber vielleicht war ja auch der Wind schuld, der an diesem Tag leider aus der falschen Richtung geweht hat…

In einem dynamischen und komplexen Umfeld ist es fast unmöglich, den einen Schuldigen zu finden. Manchmal findet man noch nicht mal einen, der genügend Rückgrat hat, die Verantwortung zu übernehmen. Häufig handelt es sich um ein systemisches Versagen und da wir alle Teile von Systemen sind, können wir auch Teil eines eben solchen Versagens sein. Was wir dagegen tun können? Bewusste Selbstführung, Risikobewusstsein, Selbstreflexion… Und natürlich können wir alle an unserem System arbeiten. -So, dass es transparent ist, Kommunikationswege genutzt werden, wir können an einer Kultur arbeiten, die Menschen Angst vor Entscheidungen nimmt, in dem Führung einen unterstützenden Charakter hat und wir können Feedback geben, in alle Richtungen, um eventuelle Missstände zu benennen und um täglich besser zu werden. So entstehen Lernende Organisationen und jeder von uns kann seinen Beitrag dazu leisten. Ihr dürft gerne direkt darüber nachdenken, welcher eurer sein kann.

Eure Constance

In einem dynamischen und komplexen Umfeld ist es fast unmöglich, den einen Schuldigen zu finden

Manchmal findet man noch nicht einmal jemanden, der genügend Rückgrat hat, die Verantwortung zu übernehmen

Changing Flight Levels - Die Stewardess die die Welt verändern wollte

Ein Jahr danach…

Nun hätte ich also die Luftfahrt verlassen und müsse mich noch immer mit den gleichen Themen beschäftigen. -Ob das nicht langweilig sei, fragte mich Anfang dieser Woche eine Führungskraft, als wir die ein oder andere „kulturgestaltende“ Maßnahmen für seinen Bereich planten. Ich musste lächeln, denn genau das war doch mein Plan, mein Traum seit Jahren: Raus in die Welt zu gehen und alles das, was mir die Luftfahrt in Hinblick auf den Faktor Mensch und High Performance Teams beigebracht hat, zu teilen. Und was soll ich sagen? Es funktioniert ganz ausgezeichnet!

Aber lasst mich mal von vorne anfangen, denn die Zeit verging wie im Flug. So musste ich feststellen, dass es schon ein Jahr her ist, dass ich die für mich so große Entscheidung getroffen habe, die Luftfahrt nach 21 Jahren zu verlassen. -Nicht wegen Corona oder weil ich keine Lust mehr auf Flugzeuge hatte, sondern weil da schon so lange dieser Traum existiert, der nicht geringer ist, als die (Business-) Welt zu verändern. Dass ich mich trotzdem gefühlt täglich mit dem Thema Flight Levels beschäftigen würde, war mir damals noch nicht klar, war mein agiles Wissen doch noch ausbaufähig. Aber das ist ein anderes Thema. Denn vor dem Neubeginn stand ja zunächst der Abschied. -Der tränenreiche Abschied! Diejenigen von euch, die mir auf den sozialen Medien folgen, konnten in den letzten beiden Wochen meine Abschieds-Blogs nochmals lesen. Die Frage, die darauf immer wieder aufkam, war ob ich es denn bereut habe. Die Antwort ist klar und deutlich: Nein! Zu keiner Sekunde!

“Two roads emerged for the woods. I took the one less travelled by and that made the difference…“

Das schrieb mir mit neunzehn oder zwanzig eine Backpacker-Bekanntschaft in mein Reise-Poesiealbum. Mit zwanzig findet man das einfach nur cool und irgendwie progressiv. Dass dieser kluge Satz tatsächlich eine Art Prophezeiung sein würde, war mir damals nicht wirklich klar, auch wenn ich natürlich immer anders sein wollte, also mit Anfang zwanzig! Es folgte eine Phase in der ich nach Menschen gesucht habe, die so sind wie ich, damit ich eben nicht mehr anders bin. Interessanterweise habe ich parallel dazu erzählt, wie wichtig Diversität doch sei. Verrückt, oder?

Als ich mich entschieden hatte von der Luftfahrt in die Bankenwelt zu wechseln, war mir natürlich total klar, dass ich vom ersten Tag an anders sein würde, als jeder andere dort. Mein Werdegang und das Paket, das ich mitbringe, würde absolut einzigartig sein und selbstverständlich habe ich mich mehr als einmal gefragt ob das denn passen könne. Nun neigt sich mein erstes von zwei Jahren dem Ende zu und ich finde es passt perfekt. Es „menschelt“ einfach überall gleich und es ist, wie ich es mir erhofft habe: Alles das, was ich in meiner Zeit in der Luftfahrt in Hinblick auf den Faktor Mensch lernen durfte, passt perfekt in meine neue Welt. De Facto mache ich mir gerade fast Sorgen, dass mir ein weiteres Jahr nicht ausreicht, um all das da zu lassen, was aus meiner Sicht einen Mehrwert darstellen kann. Und parallel dazu gibt es so viel zu lernen.

Denn Coaches brauchen natürlich einen Purpose

So wirble ich also durch mein neues Leben, mit viel Motivation, Freude und vor allem auch Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Umfeld bin, in dem ich mich ausprobieren darf. Das ist zum einen sehr befreiend, zum anderen sorgt es dafür, dass ich gefühlt täglich dazulerne. Auf diese Weise konnte ich mich auch inhaltlich gut an meinen neuen Job herantasten, um inzwischen einen verdammt klaren Plan im Kopf zu haben. Überraschung! Mein Thema ist Feedback-Kultur gepaart mit Psychological Safety und bewusster Selbstführung. In kleinen Schritten darf ich also Kultur gestalten, die Zusammenarbeit in Organisationseinheiten von 60 bis zu 500 Kollegen Schritt für Schritt hin zur Kultur einer lernenden Organisation führen! -Und ich habe noch ein ganzes weiteres Jahr Zeit! Ein weiteres Jahr um mich auszuprobieren, zu lernen, zu wachsen und das zu tun, was mich tief in meinem innersten antreibt. Ja, natürlich haben viele Coaches, gerade im agilen Umfeld, einen Purpose, eine Bedeutung, ein Ziel, eine Bestimmung, die wir uns geben. Meinen Purpose habe ich schon sehr lange, aber ich habe ihn bis heute noch nie geteilt, weil ich immer Sorge hatte, man könnte mich für größenwahnsinnig halten. Denn mein Purpose ist kein geringerer, als die (Business-) Welt zu verändern! „Ich verändere die Welt“ postuliert meine innere Stimme. Vor einem Jahr war mir klar, dass ich die Welt nicht verändern kann, wenn ich weiter im Korsett meiner alten Welt gefangen bin. Ich wollte die Welt verändern, indem ich meinen Beitrag dazu leiste, holistische Unternehmenskulturen zu schaffen, geprägt von einem achtsamen Miteinander, denn ich bin davon überzeugt, dass das der einzig wahre Weg zu echter High Performance ist. Der zauberhafte Nebeneffekt ist, dass Menschen glücklicher, zufriedener, ausgeglichener sind. -Meine Art die Welt zu verändern, für eine Hand voll Menschen, in winzig kleinen Schritten! Dabei wurden mir meine wunderschönen “Flugzeugschuhe” irgendwie zu klein.

Mit den Erfolgen kommt der Mut. Mit dem Mut werden die Träume größer.

Zu merken, dass mein Weg, mein Ansatz auch außerhalb der Luftfahrt nicht nur funktioniert, sondern sogar begeistert und auf offene Ohren und Gemüter stößt, macht mich von Tag zu Tag mutiger und gibt meinen Träumen weitere Flügel. Momentan träume ich von einer Mischung aus Konferenz und Bar-Camp unter dem Arbeitstitel „Luftfahrt meets Business - der Mensch als Schlüssel zum Erfolg nach dem Vorbild des Human Factors Trainings in der Luftfahrt“. Ich weiß, der Titel ist viel zu lang! Vielleicht hat ja jemand von euch eine zündende Idee. Inhaltlich wird es super, auch weil ich ein unglaubliches Team toller Frauen dafür begeistern konnte, mitzumachen. Und es gibt noch ein zweites zartes Pflänzchen, das vorsichtig sein Köpfchen aus der Erde streckt: Das Leben hat mir die Möglichkeit vor die Füße gespült, meine Schulungsansätze aus der Luftfahrt für die Business-Welt im Rahmen eines Vortrags mit Master-Studenten im Bereich Talent and Learning zu teilen! Wie kann man die Welt nachhaltiger verändern, als der nächsten Generation eine anständige Portion „Food for Thought“ mitzugeben. Bin ich doch fest davon überzeugt, dass meine Generation lediglich den ersten Schritt in Richtung einer wirklich neuen Welt der Zusammenarbeit macht. Die fundamentalen Veränderungen, auch auf gesellschaftlicher Ebene, stehen uns noch bevor und werden von diesen jungen Menschen getragen, denen ich meine Gedanken mitgeben darf. Welche Ehre!

Ja, es haben wohl tatsächlich zwei Pfade aus diesem Wald geführt und ich habe mich für den weniger ausgetretenen entschieden und das macht mich besonders. Es macht den Unterschied. Mein ungewöhnlicher und in weiten Teilen vielleicht auch steinigerer Weg hat mir Perspektiven geschenkt, die einzigartig sind und die mich einzigartig machen. „Jemand anderes sein zu wollen ist eine Verschwendung deiner Persönlichkeit“ sagte Kurt Cobain und er hat recht! Als ich selbst bin ich am besten! Und die letzten zwölf Monate haben mir sehr intensiv dabei geholfen, herauszufinden, wer ich bin und worin ich am besten sein kann. Allein aus diesem Grund habe ich meine Entscheidung nicht bereut. Ich fliege jetzt eben auf einem anderen Flight Level! Und wenn es zu turbulent wird, wechsle ich einfach das Flight Level… Für den Moment bin ich angekommen und das fühlt sich toll an.

Und was die Zukunft bringt…

Keine Ahnung! Klar habe ich zumindest für die nächsten zwölf Monate einen Plan. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass ich in etwa acht Monaten damit anfangen werde, mich beruflich neu auszurichten. Ende nächsten Jahres läuft mein Vertrag mit der ING aus und Stand jetzt habe ich tausend Ideen, aber keinen Plan, wie ich danach weitermachen möchte, oder wer denn überhaupt Lust auf mich hat, auf einen Quereinsteiger in so ziemlich jedem Kontext. Wahrscheinlich schreibe ich euch in einem Jahr einen Blog, in dem ich euch davon berichten werde, wie schwer mir der Abschied von der ING fällt, wie aufgeregt ich hinsichtlich meines neuen Jobs bin, wie oft ich mich fragen werde, ob ich dem Neuen gewachsen sein werde und so weiter und so fort… Mein Leben ist Wandel und alles ist in einer stetigen Veränderung begriffen. Das war ehrlicherweise schon immer so. Der einzige Unterschied ist, dass ich mich entschieden habe, diese Veränderungen nun bewusst wahrzunehmen und zu gestalten. Charles Darwin hat einmal gesagt, dass es nicht die stärkste Spezies sei, die überlebe und auch nicht die intelligenteste. Es sei diejenige, die sich am ehesten an den Wandel anpasse. Challenge accepted! Her mit dem Wandel! Ich bin bereit für weitere steinige Pfade durch wilde Wälder, die mir weitere wertvolle Perspektiven liefern, die mich nicht nur als Coach und Berater, sondern auch als Mensch einzigartig machen.

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag! Seid ihr selbst und genießt euch dabei! Alles andere wäre tatsächlich Verschwendung!

Eure Constance

“Two roads emerged from the woods. I took the one less travelled by and that made the difference.”

Wenn das gute alte Poesiealbum zur Weissagung wird!