Ziele

Sinn und Sinnlosigkeit von Zielen und die Suche nach Bedeutung in einer volatilen Welt

Denn nichts ist so Gewiss wie die Ungewissheit

Wir leben in einer geradezu obszön zielorientierten Zeit. Alles braucht Ziele, persönliche Ziele, Unternehmensziele, Jahresziele, ESG-Ziele, CO2-Ziele,Kriegsziele, Friedensziele... Und natürlich müssen diese Ziele auch alle messbar, um nicht zu sagen SMART sein. Dabei frage ich mich wieder und wieder, wie nachhaltig und erreichbar diese festen Ziele in einer Zeit sind, die vor allem durch ihre Volatilität, ihre Dynamik und Unberechenbarkeit hervorsticht. Das frage ich mich nicht nur, weil ich kurz vor meinem eigenen Mid-Year-Review stehe und ich eines meiner sechs gesetzten Jahresziele in meinem Hauptberuf als Consultant wohl gnadenlos revidieren muss, da sich die Welt seitdem ich meine Ziele vor gut drei Monaten festgelegt habe, gehörig weitergedreht hat. Welchen Sinn haben langfristige Ziele in einer Zeit in der nichts so sicher ist, wie die stetige Veränderung?

Von den Polynesiern lernen

Mit Nichten behaupte ich, dass Ziele keinen höheren Zweck erfüllen. Allerdings kann dieser Zweck in einer dynamischen Umwelt eben nicht sein, die gesetzten Ziele auf Gedeih und Verderb zu erreichen. Vielmehr ist der Zweck von Zielen in einer so volatilen Umwelt aus meiner Sicht in erster Linie in Bewegung zu kommen. -Nicht mehr aber auch vor allem nicht weniger. Auf diese Art und Weise ist es den frühen polynesischen Seefahrern gelungen, sich quasi den gesamten Pazifik zu erschließen. Und der ist ganz schön groß.

In Zeiten, in denen Navigationssysteme bestenfalls die Sterne über uns waren, konnten diese mutigen Seefahrer nicht wissen, dass sie, wenn sie dort und dort lang segelten, irgendwann in Hawaii rauskämen. Trotzdem sind sie einfach losgesegelt. Dabei haben sie sich natürlich ein Ziel gegeben, eine Richtung. Während sie also in Richtung ihres zunächst gesetzten Zieles unterwegs waren, haben sie permanent geprüft ob die Richtung noch immer stimmte, oder ob sie diese ändern müssen. Hierbei zogen die alten Polynesier neben den Sternen unter anderem auch Fischschwärme, Strömungen und Wetterphänomene zu Rat und hatten keine Angst davor, die Richtung zu ändern, wann immer die Parameter ein entsprechendes Indiz darstellten. So ging es im Zickzack durch den Pazifik, den dieses kleine Inselvolk Schritt für Schritt erobert hat. Wer neue Welten entdecken möchte, der muss offensichtlich in der Lage sein, die Richtung zu wechseln.

Und apropos Segeln und neue Welten entdecken: Christoph Columbus hat sein ursprüngliches Ziel, Indien, unendlich weit verfehlt und ist dank dieser Verfehlung in die Geschichtsbücher eingegangen. Was wiederum bedeutet, dass gerade ein nicht erreichtes Ziel die Welt nachhaltig verändern kann. Denn wäre er ohne das Ziel Indien vor Augen losgesegelt? Wohl kaum!

Viktor Frankl und der Sinn hinter den Zielen

Ziele an sich seien sinnlos hat dieser österreichischer Neurologe und Psychiater in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts selbstbewusst in die Welt hinausgerufen und damit die Disziplinen der Existenzanalyse und Logotherapie, also der Therapie durch Sinn, begründet. Erst das “Wofür” des Ziels schafft seinen Wert und somit Motivation. Einfach mal so rechtsherum nach Indien segeln war wahrscheinlich nicht Columbus’ primärer Antrieb. Vielmehr wollte er wahrscheinlich Handel vereinfachen um leichter und besser leben zu können. Und vielleicht wollte er als Pionier neues entdecken und hat sich dafür entschieden, ausgetretene Pfade zu verlassen. Denn dort ist ja zu meist schon alles entdeckt.

Welchen Sinn haben also feste Jahresziele für Organisationen und vor allem für deren Mitarbeitende? Gefühlt ist die Dynamik unserer Zeit so groß, dass ein Jahresplan schon wie Planwirtschaft im sozialistischen Sinne anmutet. Als ich meine diesjährigen Ziele im Februar formuliert und mit meiner Chefin besprochen habe, war ich zumindest bei zwei meiner Ziele so frei direkt anzukündigen, dass wir uns Mitte des Jahres anschauen müssten, ob diese Ziele wirklich sinnvoll und für ein ganzes Jahr tragbar sind. Polynesisches Segeln also. Mit Blick auf eines der beiden Zielen kann ich jetzt schon sagen, dass alle Fischschwärme, die Sterne und diverse Wetterphänomene sehr deutlich darauf hinweisen, unbedingt eine neue Richtung einzuschlagen. Dieses Ziel endet nach momentanen Kenntnisstand irgendwo im nirgendwo. Für die Polynesier hätte so etwas wahrscheinlich den Tod auf hoher See bedeutet. In modernen Organisationen sind die Auswirkungen, die es hat auf ein leeres, nicht hilfreiches oder kontraproduktives Ziel hinzuarbeiten nicht so unmittelbar katastrophal. Sinnvoll ist es dennoch nicht! Zum Glück gibt es inzwischen in vielen Organisationen die Möglichkeit, Ziele zur Jahresmitte noch einmal zu schärfen oder zu revidieren, um der extremen Dynamik unserer Zeit Rechnung zu tragen.

Wofür braucht es sie dann, diese Art von Zielen? Fragt ihr eine Seite von mir, sagt diese euch ganz klar für nichts! Ich arbeite ohnehin so, dass es dem Wohlergehen meiner Organisation dienlich ist. -Zum einen, weil ich eine hohe intrinsische Motivation habe im positivsten Sinne produktiv zu sein, zum anderen aber auch, weil mein Gehalt und somit meine wirtschaftliche Existenz zu einem großen Teil vom Wohlergehen dieser Organisation abhängt. Ich brauche keine Karotte vor der Nase, ganz so wie ein Eselchen, das den Karren ziehen soll. Fragt ihr eine andere Seite in mit versteht diese natürlich auch das Bedürfnis einer Organisation die individuellen Leistungen der Mitarbeitenden messbar zu machen. Und natürlich ist es in einer Organisation immer hilfreich, wenn alle Beteiligten in eine Richtung ziehen. Wenn man entscheidet, diese Richtung über gemeinsame und abgestimmte Ziele zu geben, ist aus meiner Sicht dagegen erst einmal nichts einzuwenden. Nun folgt jedoch das große Aber: Hierbei ist es aus meiner Sicht unendlich wichtig, Ziele oder Richtungen auch wieder loszulassen und zu revidieren. Denn nur so gelingt es wirklich neue Welten zu entdecken, zu wachsen, sich erfolgreich weiterzuentwickeln. Leider erlebe ich es in ganz unterschiedlichen Kontexten noch immer zu häufig, dass der Mut, einmal gesetzte Ziele loszulassen oder zu revidieren fehlt. Damit fehlt dann auch diejenige Fehlerkultur, die wirkliches Wachstum und wirkliche Entwicklung erst ermöglicht. Was kann ein solches Verhalten im Organisationskontext bedeuten? Es wird nicht nur auf einen lahmen Esel gesetzt. Vielmehr ist es dann sogar so, dass alle Ressourcen in diesen lahmen Esel gesteckt werden und die anderen heißblütigen Rennpferde mit Potenzial verhungern am ausgestreckten Arm der Priorisierung. Natürlich bekommen das dann auch irgendwann alle Beteiligten mit und spätestens an dieser Stelle verliert das alte Ziel aus deren Sicht an Sinn und sie somit auch an Motivation und der arme lahme Esel wird nur noch halbherzig gepflegt. -Gerade so intensiv, dass man stets behaupten kann, man agiere der vorgegebenen Priorisierung folgend… Er fällt nicht um, aber rennen ist auch nicht mehr drin!

Was braucht der polynesische Segler?

Was braucht es also nun, beruflich und privat, um in einer dynamischen Welt die Segel stetig neu zu setzen ohne daran zu verzweifeln?

Zunächst muss ich wissen, wer ich bin. Wenn es keinen Kompass im Außen gibt, navigiere ich nach meinem inneren Kompass. Kenne ich meine Werte, meinen eigenen tiefen Sinn und meine damit verbundenen höheren Ziele, weiß ich intuitiv in welche Richtung ich (weiter)gehe. Sie sind mir vielleicht das, was den alten Polynesiern die Fischschwärme, Meeresströmungen, Sterne und Wetterphänomene waren, an denen sie im scheinbar endlosen Ozean Orientierung und Richtung finden konnten.

Im zweiten Schritt ist es hilfreich mir bewusst zu sein auf welche Fähigkeiten und Ressourcen ich zurückgreifen kann. -Zunächst in mir selbst. Häufig wissen Menschen recht gut was ihnen fehlt, was sie nicht können, wo sie eigenen Defizite sehen. Die wenigsten führen sich regelmäßig vor Augen, was sie können und auf welche Ressourcen sie sich tief in sich selbst verlassen können.

Habe ich diese inneren Ressourcen geklärt, richte ich meinen Blick ins Außen um zu sehen welche sozialen Unterstützungsnetzwerke es gibt, die ich nutzen kann oder deren Teil ich bin. Die Polynesier sind auch nicht allein, sondern in einer Gruppe losgesegelt.

Ist auch das geklärt, schaue ich mir an welche unterschiedlichen Ziele ich mit allen vorhandenen Ressourcen im Innen wie im Außen erreichen kann und welches dieser Ziel am Ende am meisten Sinn ergibt. Denn das als am sinnvollsten empfundene Ziel ist immer auch das, das die größte Motivation auslöst.

Diese vier Ebenen funktionieren aus meiner Sicht nicht nur für Individuen, beruflich wie privat, sondern auch für ganze Teams oder Organisationen, da sie für mich diese sagenumwobenen Change Kompetenzen unserer Zeit darstellen.

In diesem Sinne möchte ich euch ermutigen einfach loszusegeln. Habt keine Angst, ein falsches Ziel zu setzen, da es nichts gibt, das euch zwingt daran festzuhalten. Und wenn ihr nach Indien wollt, dabei aber aus Versehen eine neue Welt entdeckt, ist das doch vielleicht auch kein Drama. Der große Vaclav Haven hat einmal gesagt: “ Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.”

Ich wünsche euch ein wunderbar sinnvolles Pfingstwochenende.

Eure Constance

Segel setzen und erst einmal los

Nicht nur dem Ziel, sondern auch der Sinnhaftigkeit entgegen…

Der Fiebertraum vom Sinn - alles auf Anfang

Wir glauben Erfahrungen zu machen, aber Erfahrungen machen uns.
— Eugène Ionesco

Eine Reise in die Vergangenheit

Ich habe ja bereits in meinem letzten Blog davon berichtet, dass ich Euch dringend mit auf die Reise nehmen möchte, auf die mich meine fiebrigen Träume während meiner Corona-Infektion geschickt haben. Ich war selbst so erstaunt, dass ich mir alles schnell notiert habe, als ich wieder halbwegs fit war.

Ich lag also bei 40 Grad Außentemperatur und 39,5 Grad Fieber unter meiner dicken Daunendecke. Ich starrte die Wand an. Den Hund hatte ich als Wärmflasche dabei. Und plötzlich gingen meine Gedanken auf die Reise, zurück zu meinen Wurzeln, zu zwei besonderen Sehnsuchtsorten, an denen ich Erfahrungen gemacht habe, die mich und meinen ungewöhnlichen Weg stark geprägt haben. Es waren Momente, die ich selbst tief in meiner Erinnerung vergraben habe und die das Fieber plötzlich wieder nach oben gespült hat.

Der Zauber der grünen Insel

So lange ich denken kann, habe ich davon geträumt, zu reisen, die Welt in allen ihren bunten Farben zu erleben, Menschen und Kulturen kennenzulernen und alles das ganz tief in mich aufzusaugen. Kein Wunder, dass ich bei einer Airline gestrandet bin und 21 lange Jahre die Finger nicht von fliegen lassen konnte! Dabei gab es immer zwei Orte, die auf ganz besondere Weise an meiner Sehnsucht und an meinem Fernweh angedockt haben. Der eine etwas erreichbarer als der andere. -Damals, als Teenager. Ich weiß nicht warum, aber seit meiner Teenagerzeit hat es mir die grüne Insel angetan. Ich hasse Regen! Aber ich musste einfach nach Irland. Und wenn ich etwas wollte, konnte ich recht kreativ werden, um es zu erreichen. Geld hatte ich keines, aber zwei gesunde und fleißige Hände und so habe ich meine Sommerferien zwischen der 11. und 12., sowie zwischen der 12. und 13. Klasse in Irland verbracht. Im ersten Sommer habe ich in einem Hotel gekellnert und im zweiten Sommer in einem Pub hinterm Tresen gestanden. Es war eine wilde Zeit, werte Lesende, auf die ich nicht genauer eingehen möchte…

Nach meinem Abitur hat es mich natürlich wieder in die Ferne gezogen und da ich Irland mochte, habe ich meinen Rucksack gepackt und mich erstmal gen Norden aufgemacht, obwohl mein eigentliches Ziel in völlig entgegengesetzter Richtung lag.

Mein Fiebertraum hat mich wieder zurück in diese Zeit nach meinem Abi katapultiert. Ich fand mich in diesem alten hölzernen Schaukelstuhl in der Aille River Hostel in Doolin wieder, tief im irischen Westen. Draußen prasselte der Regen, drin das Feuer im Kamin. In meiner Hand hatte ich eine Blechtasse mit Tee. Den gab es im Hostel kostenlos und ich war ja quasi ohne Geld unterwegs. Ich trank damals sehr viel kostenlosen Tee.

Irischer Sommer: Ich war durchgefroren und auch ein wenig nass, da ich vorher an den benachbarten Cliffs of Moher war. Diese imposanten Steilklippen haben bei Regen einen ganz speziellen Charme. Ich stand fast allein am Rand der Klippen. Es war ein Ort, an dem die Welt einerseits aufzuhören schien, andererseits schien es jedoch so, als läge hier die ganze Welt erst vor mir. Der Horizont war unendlich. Damals, mit 19, war das ein unbeschreibliches Gefühl von Grenzenlosigkeit und Möglichkeiten. Die Möwen schrien, das Meer tobte und der Himmel war unglaublich wild. Ich weiß nicht, wie lang ich mich meinen Gedanken hingegeben habe. Sicher viel länger, als ich es mir heute gönnen würde. Damals hatte ich Zeit! Irgendwann war es dann jedoch der Regen, der mich zurück nach Doolin trampen ließ.

Als ich das Hostel betrat, wollte ich eigentlich heiß duschen, aber im Gemeinschaftraum saß eine illustre Gesellschaft Reisender, mit denen ich schon in den letzten Tagen immer wieder das Leben rauf und runter diskutiert habe. Also machte ich mir einen Tee und setzte mich dazu. In meinem Fiebertraum konnte ich den Tee, die Feuchtigkeit und das Torffeuer riechen. Ich konnte spüren, wie ich mir die Hände vorsichtig an der Tasse wärmte und langsam hin und her schaukelte. Dabei knarrte der alte Schaukelstuhl ganz leise und rhythmisch.

Wir kamen von überall her. Wir waren so bunt und unterschiedlich und wir hatte alle so unglaublich viel Lust auf das Leben.

Einer stach aus der Truppe heraus. Die graue Eminenz! Ein Amerikaner, Andrew. Er war schon ziemlich alt, Mitte dreißig (also knapp zehn Jahre jünger als ich heute!). Andrew wollte wissen, ob ich ein bestimmtes Ziel hatte. -Wo ich hinreisen möchte? Oder ob ich mich einfach treiben lassen würde? - So wie er seit 15 (!) Jahren.

Der Traum von Afrika

Ich hatte ein Ziel! Natürlich hatte ich ein Ziel! Ich habe immer ein Ziel. Seit ich Kind war, hatte ich dieses Ziel, das viel zu lange viel zu unerreichbar schien! Aber nun sollte es an der Zeit sein: Ich wollte nach Afrika. Die unendlichen Weiten, die imposante Landschaft, Wüsten, Flussdeltas, Sumpfland, Steppen, der Busch! Und all die Tiere und die Menschen. Die Farben! Afrika war für mich der Inbegriff von Magie.

Eine junge Kanadierin, Marissa Atos (oder so ähnlich), hörte uns zu und fragte schließlich, ob das nicht ganz schön gefährlich sei, also in Afrika als Frau, allein. Ich kam nicht dazu zu antworten. Es war Andrew, der lächelnd das Wort ergriff und erklärte, dass die gefährlichste Begegnung, die man auf einer solchen Reise haben könne, die mit sich selbst sei. Sich selbst in allen seinen Farben zu sehen, sei der größte Wahnsinn, der einem im Leben passieren könne. Marissa und ich fragten nicht weiter nach. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, aber die beiden Sätze haben sich in mein Gedächtnis gebrannt, wie als ob meine Seele schon viel mehr wusste, als mein 19-jähriges Ich verstehen konnte.

Als der Regen weniger wurde, machten wir uns alle gemeinsam auf den Weg ins benachbarte Pub, Fitzpatrick’s, tranken Guinness mit schwarzem Johannisbeersirup, lachten, hörten der Musik zu, sangen mit und genossen den Moment. Spät abends, als wir wieder zurück im Hostel waren, schrieb Andrew mir noch einen Spruch in mein Reise-Poesiealbum: “Two roads emerged from the woods. I took the one less travelled by. That made the difference.” Ich hatte damals keine Ahnung, dass Andrew meine Zukunft in nur drei Sätzen weissagen würde. Aber ich fand ihn cool, diesen Spruch.

Zeitsprung, denn der Fiebertraum macht es möglich

Im wirklichen Leben dauerte es nach diesem Abend an der wilden irischen Westküste noch eine Weile, bis ich schließlich in Afrika war. Mein Fiebertraum ermöglichte mir einen Zeitsprung. Was ich im Busch gesucht habe, habe ich schließlich und wider aller Erwartungen in einer lauten, bunten, wilden afrikanischen Metropole gefunden.

In meinem Traum fand ich mich in einem “Black Taxi”, einem Sammeltaxi mit dem vorzugsweise die farbigen und schwarzen Südafrikaner unterwegs waren, wieder. Ich reiste noch immer mit sehr kleinem Budget! Es war eng, sehr laut und stickig und trotzdem war es einer der magischsten Momente meines Lebens, als der De Waal Drive um eine langgezogene Kurve führte und plötzlich Kapstadt in all seiner Pracht vor mir lag. Links von mir thronten majestätisch der Devil’s Peak und der Tafelberg. Weiter weg konnte ich den Signal Hill erkennen. Waren das da tatsächlich grasende Antilopen? Ich war wie verzaubert und spürte trotz dieser Enge im Taxi eine riesige Weite. Rechts vor mir lag die Stadt, so wunderschön. In der Table Bay glitzerte das Wasser und Robben Island lag in der Ferne. Der Himmel war strahlend blau und ich war sprachlos. Das war er, der Ort, den ich so sehr gesucht habe. Ich glaube es war schon dieser flüchtige Moment, dieser erste Eindruck, der dazu führte, dass ich in den nächsten Jahren mein Leben darauf ausgerichtet habe, mehr Zeit in Kapstadt als in Deutschland zu verbringen. Es waren drei ausgesprochen lebendige und bunte Jahre. Dieser Schmelztiegel am Ende der Welt hat mich in seinen Bann gezogen und ich habe das Leben Schritt für Schritt aus anderen Augen sehen können.

Lange konnte ich nicht in dieser Situation verweilen. Mein Traum katapultierte mich direkt weiter.

Irgendwann, vielleicht nach ein oder zwei Jahren in Kapstadt ist es nämlich passiert; der Moment, von dem Andrew gesprochen hat, der Moment, an dem ich mich für einige Sekunden in allen meinen Farben sehen konnte. Eine wirklich gefährliche Begegnung, zu der mich meine fiebrigen Gedanken zurückgeführt haben. Es war in Camps Bay, einem Stadtteil von Kapstadt mit einer großartigen Strandpromenade mit Palmen, Restaurants und Bars, ein bisschen wie Miami! Der Strand war links und rechts von großen, abgerundeten, hellgrauen Felsen eingerahmt, die weit ins Meer führten, wie Brücken ins Nirgendwo. Die Sonne war am Untergehen und tauchte die Szenerie in ein fast unwirkliches Licht. Ich bin ganz bis ans Ende der Felsen geklettert, saß da und schaute aufs Meer hinaus, das sanft und rhythmisch rauschte. In der Ferne hörte ich Musik und Lachen. Es roch nach Salz und Sommer. Keine Ahnung, was dann passierte, aber plötzlich war da dieser Moment, in dem ich mich selbst dort sitzen sah. Nur ich, ich selbst, echt und ungeschönt, unverstellt und authentisch. Ich sah eine junge Frau mit unendlicher Neugier und Energie, mit unglaublicher innerer Stärke, Mut und Kreativität. Ich saß da in meiner hellblauen Cargo-Hose und dem beigen Sonnentop und mir gefiel extrem was ich sah. Der Fels unter mir war herrlich warm und der Wind wehte sanft. Vielleicht war das der einzige Moment in meinem Leben, in dem ich noch nicht einmal einen Hauch von Selbstzweifeln empfunden habe. Unglaublich gefährlich, denn plötzlich dachte ich, dass für mich einfach alles möglich war. Eine ganze Welt voller Möglichkeiten stand mir offen.

Wahrscheinlich ist das Unterbewusstsein ziemlich klug

Irgendwann war das Fieber weg und ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen, warum mein Unterbewusstsein mir ausgerechnet diese Momente hochgespült hat. Es wollte mich wohl an etwas erinnern, dass ich im Alltagswahnsinn vergessen habe: Ich bin noch immer neugierig, voller Energie, ich bin stark, mutig und kreativ. Aber vor allem liegt vor mir eine ganze Welt voller Möglichkeiten. Ja, ich bin älter geworden, aber ich bin noch immer ich und vielleicht wollte mich mein Fiebertraum auch an all die ungewöhnlichen Wege erinnern, die ich bislang noch nicht beschritten habe, von denen ich aber tief in mir schon lange träume. Ganz so wie ich sehr lange von Afrika geträumt habe.

Denn so wie es war, wird es nie mehr sein…

… und so wie es ist wird es ganz bestimmt nicht bleiben. So vergingen die Jahre. Nichts ist so Gewiss wie der Wandel. Während sich alles um mich herum verändert hat, bin ich selbst zur wichtigsten Konstante in meinem Leben geworden. Afrika trage ich in meinem Herzen und habe es doch auch ein Stück weit hinter mir gelassen. Jahrelang war ich immer wieder in Urlaub dort. Noch immer ist Kapstadt die zauberhafteste Stadt der Welt, nur mein Seelenort ist Kapstadt irgendwie nicht mehr. Es war nicht der Ort, es waren die Menschen, die mich echt sein ließen, die es mir erlaubten, mich selbst zu finden.

Jürgen, Rolz, Shane und Elias halten noch immer die Stellung in Kapstadt, Vee ist in Texas, Mel in New Orleans, Saul ist in Neuseeland, Tracey ist schon lange tot - scheiß Krebs - , Cass ist in Qatar, Paul ist in London, Sylvia lebt in Amsterdam, Ivan ist verloren gegangen, James hat sein Glück in Australien gefunden, Svenja habe ich aus den Augen verloren, Delme hat Corona nicht überlebt, Arthur ist mal hier, mal da, Tim scheint auf einem anderen Planeten zu sein, Bronie passt aufs Zebra Crossing auf, Avril wandelt auf den Weltmeeren, Philippe ist irgendwo in Belgien... Ich bin zurück zuhause und trage sie alle in meinem Herzen. Das, was ich in den entlegensten Ecken diese Welt gesucht habe, habe ich schließlich tief in mir gefunden.

So stehe ich heute also wieder da, an den Klippen meiner Gedanken, am Meer meiner Träume und eine ganze Welt voller Möglichkeiten liegt vor mir. Natürlich riecht der Wind nach Veränderung… Und ja, ich habe ein Ziel! Ich habe immer ein Ziel! Eines das viel zu lange unerreichbar schien. Aber vielleicht ist es nun an der Zeit.

Genießt Euren Sonntag, den Moment und das Leben.

Eure Constance

Seelenort

Two roads emerged from the woods. I took the one less travelled by. That made the difference.

Changing Flight Levels - Die Stewardess die die Welt verändern wollte

Ein Jahr danach…

Nun hätte ich also die Luftfahrt verlassen und müsse mich noch immer mit den gleichen Themen beschäftigen. -Ob das nicht langweilig sei, fragte mich Anfang dieser Woche eine Führungskraft, als wir die ein oder andere „kulturgestaltende“ Maßnahmen für seinen Bereich planten. Ich musste lächeln, denn genau das war doch mein Plan, mein Traum seit Jahren: Raus in die Welt zu gehen und alles das, was mir die Luftfahrt in Hinblick auf den Faktor Mensch und High Performance Teams beigebracht hat, zu teilen. Und was soll ich sagen? Es funktioniert ganz ausgezeichnet!

Aber lasst mich mal von vorne anfangen, denn die Zeit verging wie im Flug. So musste ich feststellen, dass es schon ein Jahr her ist, dass ich die für mich so große Entscheidung getroffen habe, die Luftfahrt nach 21 Jahren zu verlassen. -Nicht wegen Corona oder weil ich keine Lust mehr auf Flugzeuge hatte, sondern weil da schon so lange dieser Traum existiert, der nicht geringer ist, als die (Business-) Welt zu verändern. Dass ich mich trotzdem gefühlt täglich mit dem Thema Flight Levels beschäftigen würde, war mir damals noch nicht klar, war mein agiles Wissen doch noch ausbaufähig. Aber das ist ein anderes Thema. Denn vor dem Neubeginn stand ja zunächst der Abschied. -Der tränenreiche Abschied! Diejenigen von euch, die mir auf den sozialen Medien folgen, konnten in den letzten beiden Wochen meine Abschieds-Blogs nochmals lesen. Die Frage, die darauf immer wieder aufkam, war ob ich es denn bereut habe. Die Antwort ist klar und deutlich: Nein! Zu keiner Sekunde!

“Two roads emerged for the woods. I took the one less travelled by and that made the difference…“

Das schrieb mir mit neunzehn oder zwanzig eine Backpacker-Bekanntschaft in mein Reise-Poesiealbum. Mit zwanzig findet man das einfach nur cool und irgendwie progressiv. Dass dieser kluge Satz tatsächlich eine Art Prophezeiung sein würde, war mir damals nicht wirklich klar, auch wenn ich natürlich immer anders sein wollte, also mit Anfang zwanzig! Es folgte eine Phase in der ich nach Menschen gesucht habe, die so sind wie ich, damit ich eben nicht mehr anders bin. Interessanterweise habe ich parallel dazu erzählt, wie wichtig Diversität doch sei. Verrückt, oder?

Als ich mich entschieden hatte von der Luftfahrt in die Bankenwelt zu wechseln, war mir natürlich total klar, dass ich vom ersten Tag an anders sein würde, als jeder andere dort. Mein Werdegang und das Paket, das ich mitbringe, würde absolut einzigartig sein und selbstverständlich habe ich mich mehr als einmal gefragt ob das denn passen könne. Nun neigt sich mein erstes von zwei Jahren dem Ende zu und ich finde es passt perfekt. Es „menschelt“ einfach überall gleich und es ist, wie ich es mir erhofft habe: Alles das, was ich in meiner Zeit in der Luftfahrt in Hinblick auf den Faktor Mensch lernen durfte, passt perfekt in meine neue Welt. De Facto mache ich mir gerade fast Sorgen, dass mir ein weiteres Jahr nicht ausreicht, um all das da zu lassen, was aus meiner Sicht einen Mehrwert darstellen kann. Und parallel dazu gibt es so viel zu lernen.

Denn Coaches brauchen natürlich einen Purpose

So wirble ich also durch mein neues Leben, mit viel Motivation, Freude und vor allem auch Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Umfeld bin, in dem ich mich ausprobieren darf. Das ist zum einen sehr befreiend, zum anderen sorgt es dafür, dass ich gefühlt täglich dazulerne. Auf diese Weise konnte ich mich auch inhaltlich gut an meinen neuen Job herantasten, um inzwischen einen verdammt klaren Plan im Kopf zu haben. Überraschung! Mein Thema ist Feedback-Kultur gepaart mit Psychological Safety und bewusster Selbstführung. In kleinen Schritten darf ich also Kultur gestalten, die Zusammenarbeit in Organisationseinheiten von 60 bis zu 500 Kollegen Schritt für Schritt hin zur Kultur einer lernenden Organisation führen! -Und ich habe noch ein ganzes weiteres Jahr Zeit! Ein weiteres Jahr um mich auszuprobieren, zu lernen, zu wachsen und das zu tun, was mich tief in meinem innersten antreibt. Ja, natürlich haben viele Coaches, gerade im agilen Umfeld, einen Purpose, eine Bedeutung, ein Ziel, eine Bestimmung, die wir uns geben. Meinen Purpose habe ich schon sehr lange, aber ich habe ihn bis heute noch nie geteilt, weil ich immer Sorge hatte, man könnte mich für größenwahnsinnig halten. Denn mein Purpose ist kein geringerer, als die (Business-) Welt zu verändern! „Ich verändere die Welt“ postuliert meine innere Stimme. Vor einem Jahr war mir klar, dass ich die Welt nicht verändern kann, wenn ich weiter im Korsett meiner alten Welt gefangen bin. Ich wollte die Welt verändern, indem ich meinen Beitrag dazu leiste, holistische Unternehmenskulturen zu schaffen, geprägt von einem achtsamen Miteinander, denn ich bin davon überzeugt, dass das der einzig wahre Weg zu echter High Performance ist. Der zauberhafte Nebeneffekt ist, dass Menschen glücklicher, zufriedener, ausgeglichener sind. -Meine Art die Welt zu verändern, für eine Hand voll Menschen, in winzig kleinen Schritten! Dabei wurden mir meine wunderschönen “Flugzeugschuhe” irgendwie zu klein.

Mit den Erfolgen kommt der Mut. Mit dem Mut werden die Träume größer.

Zu merken, dass mein Weg, mein Ansatz auch außerhalb der Luftfahrt nicht nur funktioniert, sondern sogar begeistert und auf offene Ohren und Gemüter stößt, macht mich von Tag zu Tag mutiger und gibt meinen Träumen weitere Flügel. Momentan träume ich von einer Mischung aus Konferenz und Bar-Camp unter dem Arbeitstitel „Luftfahrt meets Business - der Mensch als Schlüssel zum Erfolg nach dem Vorbild des Human Factors Trainings in der Luftfahrt“. Ich weiß, der Titel ist viel zu lang! Vielleicht hat ja jemand von euch eine zündende Idee. Inhaltlich wird es super, auch weil ich ein unglaubliches Team toller Frauen dafür begeistern konnte, mitzumachen. Und es gibt noch ein zweites zartes Pflänzchen, das vorsichtig sein Köpfchen aus der Erde streckt: Das Leben hat mir die Möglichkeit vor die Füße gespült, meine Schulungsansätze aus der Luftfahrt für die Business-Welt im Rahmen eines Vortrags mit Master-Studenten im Bereich Talent and Learning zu teilen! Wie kann man die Welt nachhaltiger verändern, als der nächsten Generation eine anständige Portion „Food for Thought“ mitzugeben. Bin ich doch fest davon überzeugt, dass meine Generation lediglich den ersten Schritt in Richtung einer wirklich neuen Welt der Zusammenarbeit macht. Die fundamentalen Veränderungen, auch auf gesellschaftlicher Ebene, stehen uns noch bevor und werden von diesen jungen Menschen getragen, denen ich meine Gedanken mitgeben darf. Welche Ehre!

Ja, es haben wohl tatsächlich zwei Pfade aus diesem Wald geführt und ich habe mich für den weniger ausgetretenen entschieden und das macht mich besonders. Es macht den Unterschied. Mein ungewöhnlicher und in weiten Teilen vielleicht auch steinigerer Weg hat mir Perspektiven geschenkt, die einzigartig sind und die mich einzigartig machen. „Jemand anderes sein zu wollen ist eine Verschwendung deiner Persönlichkeit“ sagte Kurt Cobain und er hat recht! Als ich selbst bin ich am besten! Und die letzten zwölf Monate haben mir sehr intensiv dabei geholfen, herauszufinden, wer ich bin und worin ich am besten sein kann. Allein aus diesem Grund habe ich meine Entscheidung nicht bereut. Ich fliege jetzt eben auf einem anderen Flight Level! Und wenn es zu turbulent wird, wechsle ich einfach das Flight Level… Für den Moment bin ich angekommen und das fühlt sich toll an.

Und was die Zukunft bringt…

Keine Ahnung! Klar habe ich zumindest für die nächsten zwölf Monate einen Plan. Allerdings bin ich mir auch bewusst, dass ich in etwa acht Monaten damit anfangen werde, mich beruflich neu auszurichten. Ende nächsten Jahres läuft mein Vertrag mit der ING aus und Stand jetzt habe ich tausend Ideen, aber keinen Plan, wie ich danach weitermachen möchte, oder wer denn überhaupt Lust auf mich hat, auf einen Quereinsteiger in so ziemlich jedem Kontext. Wahrscheinlich schreibe ich euch in einem Jahr einen Blog, in dem ich euch davon berichten werde, wie schwer mir der Abschied von der ING fällt, wie aufgeregt ich hinsichtlich meines neuen Jobs bin, wie oft ich mich fragen werde, ob ich dem Neuen gewachsen sein werde und so weiter und so fort… Mein Leben ist Wandel und alles ist in einer stetigen Veränderung begriffen. Das war ehrlicherweise schon immer so. Der einzige Unterschied ist, dass ich mich entschieden habe, diese Veränderungen nun bewusst wahrzunehmen und zu gestalten. Charles Darwin hat einmal gesagt, dass es nicht die stärkste Spezies sei, die überlebe und auch nicht die intelligenteste. Es sei diejenige, die sich am ehesten an den Wandel anpasse. Challenge accepted! Her mit dem Wandel! Ich bin bereit für weitere steinige Pfade durch wilde Wälder, die mir weitere wertvolle Perspektiven liefern, die mich nicht nur als Coach und Berater, sondern auch als Mensch einzigartig machen.

Ich wünsche euch einen schönen Sonntag! Seid ihr selbst und genießt euch dabei! Alles andere wäre tatsächlich Verschwendung!

Eure Constance

“Two roads emerged from the woods. I took the one less travelled by and that made the difference.”

Wenn das gute alte Poesiealbum zur Weissagung wird!