Über unsere vier Grundängste, über Riemann und Thomann und darüber wie Riemanns Ängste zu Thomanns Ansatz zum Konfliktmanagement werden

Meine Ängste, meine Widersprüche

Der Psychoanalytiker Fritz Riemann, der übrigens in dem Jahr verstorben ist, in dem ich geboren wurde (ich weiß, total überflüssige Zusatzinfo!), veröffentlichte 1961 sein Hauptwerk “Grundformen der Angst”. Hierin erklärt Riemann, dass wir Menschen von vier grundlegenden Ängsten gesteuert werden, von denen sich jeweils zwei quasi als Pärchen diametral gegenüberstehen und dadurch ein inneres Spannungsfeld erzeugen, indem sie uns stetig in die eine oder andere Richtung zerren.

Pärchen Nummer eins sind Distanz und Nähe: die Angst vor zu viel Nähe, sich anderen Menschen voll und ganz anzuvertrauen, alle Masken fallen zu lassen und quasi nackt und wehrlos dazustehen, steht der Angst vor Einsamkeit, Distanz und Isolation gegenüber.

Pärchen Nummer zwei sind Veränderung und Dauer, bzw. Beständigkeit: auf der einen Seite haben wir Angst vor Endgültigkeit und davor in unseren festen Bahnen gefangen zu sein, auf der anderen Seite fürchten wir uns aber auch vor Wandel und Vergänglichkeit. Wer kennt ihn nicht, diesen Satz: eigentlich ist alles gut so wie es ist! Eigentlich!

Die kleinen Teufelchen meiner Ängste…

Ich stelle mir diese Ängste gerne wie kleine Teufelchen vor, die sich permanent darum streiten wer wichtiger ist und aus diesen Streitereien, dem Geziehe und Gezerre entsteht meine Persönlichkeit, meine ganz individuelle Balance, die sich zwischen den extremen Polen meiner Ängste einpendelt. Denn kommt es zu einer absoluten Dominanz einer dieser vier Ängste, drohen laut Riemann ernsthafte Erkrankungen: bei einer starken Dominanz der Angst vor Nähe besteht die Gefahr einer schizoiden, bindungsunfähigen Persönlichkeitsstruktur, während die Angst vor Distanz laut Riemann depressiv macht, die Angst vor Veränderung ruft zwanghafte und die Angst vor Dauer und Beständigkeit hysterische Persönlichkeiten hervor. Verrückt, dass es nach Riemann für emotional gesunde Menschen völlig normal ist, sich gelegentlich hin und her gerissen zu fühlen. Irgendwie aber auch total tröstlich! Innere Zweifel und innerer Dialog nicht nur erlaubt, sondern sogar wünschenswert!

Was wir von den Teufelchen unserer Ängste lernen können

Es war der Psychologe Christoph Thomann, der diese Erkenntnisse Riemanns genommen hat um sich die Frage zu stellen, wie man das Wissen um seine Ängste und somit um seine Persönlichkeit für sich nutzen kann. Thomann hat Riemanns Ansatz zu einem ressourcenorientierten Persönlichkeitsmodell weiterentwickelt, dass nicht nur die Schatten-, sondern auch die Sonnenseiten der einzelnen Persönlichkeitsausprägungen darstellt.

Sich damit zu beschäftigen ist, wie ich finde, extrem sinnvoll, weil eine der Hauptursachen für Konflikte darin liegt, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse oder Werte haben, die natürlich durch deren individuellen Persönlichkeitsstruktur geprägt werden und selbstverständlich sind mir Menschen, die ebenso funktionieren oder reagieren, wie ich selbst, von Natur aus näher, als jene, die grundlegend anders reagieren. Die müssen ja irgendetwas falsch machen! Konflikt!

Also nennen wir die vier kleinen Teufelchen nicht mehr Ängste sondern vier Grundbestrebungen, die dem Menschen inne wohnen. Jeder hat das Bedürfnis nach Nähe, Distanz, Wechsel und Dauer, alles auf einmal, gleichzeitig! Die Frage ist, wie stark sind diese einzelnen Bestrebungen bei mir ausgeprägt. Für all jene, die jetzt Lust bekommen haben, sich selbst einzuordnen, hier eine kleine Hilfestellung:

  • Eine starke Nähe-Orientierung sorgt dafür, dass Menschen kontaktfreudig und ausgleichend sind. Sie sind verständnisvoll und akzeptierend. Im Büro sind sie für Harmonie verantwortlich, sorgen dafür, dass alle die Geburtstagskarten unterschreiben. Sie haben stets einen freien Stuhl an ihren Schreibtischen, der auch gerne genutzt wird, weil man ihnen auf Grund ihrer Offenheit und Warmherzigkeit vertraut. Allerdings vermeiden diese Menschen auch gerne Spannungen und Auseinandersetzungen. Weil es ihnen wichtig ist, gemocht zu werden, können sie nur schwer nein sagen oder ihrem Ärger Ausdruck verleihen.

  • Für Menschen mit einer hohen Distanz-Orientierung gilt das Gegenteil: sie wirken sachlich, kühl, unpersönlich und distanziert. Generell arbeiten Distanz-Menschen gerne alleine. Wenn Teamwork notwendig ist, ist es ihnen wichtig, dass Aufgaben klar verteilt und umrissen sind. Unnötiges “Geschwätz”, wie zum Beispiel in Meetings, mag der Distanz-Typ genauso wenig wie kollegiales Zusammensein nach Feierabend. Allerdings macht ihn das alles auch ausgesprochen abgrenzungsfähig. Er kann gut nein sagen, ist ein ausgezeichneter sachlich-kritischer Beobachter und kann sich auch in Konfliktsituationen klar artikulieren. Auch wenn es hitzig wird, ist es ihm wichtig, sachlich richtige, auf Fakten basierende Entscheidungen zu treffen.

  • Menschen mit einer hohen Dauer-Orientierung sind ordentlich, strukturiert, organisiert, gewissenhaft, verfügen über ein scheinbar perfektes Zeit-Management, sie schätzen Listen und Planungssysteme und haben ein ausgeklügeltes Ablagesystem. Allerdings neigen diese Zeitgenossen auch gerne zu Prinzipienreiterei und Dogmatismus, sind konservativ und kontrollierend und wirken fast schon pedantisch. Neuerungen sehen sie ziemlich kritisch.

  • Im Gegensatz dazu steht der Wechsel-Mensch, der kreativ, flexibel und ausgesprochen phantasievoll durch den Arbeitsalltag flattert. Der Schreibtisch versinkt im Chaos und der Terminkalender ebenso. Er ist spontan, mag Risiken und alles was neu und unkonventionell ist. Er ist charmant und unterhaltsam und bringt verdammt viel Farbe in den Büroalltag. Allerdings weicht er Verpflichtungen, Vorschriften und Gesetzen gerne aus, genauso wie den Konsequenzen seines Handelns. Der Wechsel-Typ hat immer noch ein Hintertürchen, durch das er verschwinden kann, wenn es eng wird. Über Pünktlichkeit und Ordnung muss ich in diesem Zusammenhang wohl eher nicht referieren…

Und? Konntet ihr euch ein bisschen einordnen, auf der X- und auch auf der Y-Achse? Das ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zum erfolgreichem Konfliktmanagement.

Weil ein klein wenig Achtsamkeit nicht schadet

Das wirklich interessante an Konflikten ist, dass sie häufig viel mehr mit uns selbst, als mit unserem Konfliktpartner zu tun haben. Es bringt mich nicht weiter, es ganz furchtbar zu finden, dass der Gegenüber ein so verdammter Dauer-Typ ist, so ein verdammter Pedant, nur weil ich damit konfrontiert wurde, dass es Menschen gibt, die mit meinen chaotischen, bunten, kreativen, schönen und unstrukturierten Ansätzen nichts anfangen können. Klar kann ich mich aufregen oder beleidigt sein, es hilft aber nichts, weil es hier kein Richtig oder Falsch gibt! Ist es richtig, ordentliche und strukturiert zu sein? Oder ist es richtig kreativ und flexibel zu sein? Eben! Dann mal auf zu einer kleinen Schritt für Schritt Anleitung zum Umgang mit Konflikten und zu einer wertfreien Betrachtung meiner Kollegen:

  1. Schritt: Achtsamkeit! Ich muss wissen, wie ich selbst funktioniere, um zu verstehen, warum mich die vermeintlich chaotischen Aussagen meines Kollegen rasend machen, oder warum mich dieses permanente Bla-Bla am Schreibtisch gegenüber so sehr nervt, oder, oder, oder…

  2. Schritt: Wenn ich selbst verstanden habe, was “für ein Typ” ich bin, überlege ich, was denn die Tendenzen meines Gegenübers sind und warum sie mich emotional tangieren. Interessanterweise stellen wir dabei nicht selten fest, dass wir besonders häufig mit Typen aneinandergeraten, die uns selbst in der Riemann-Thomann-Matrix diametral gegenüberstehen! Überraschung!

  3. Schritt: Jetzt wird es super einfach! Ich muss mir eigentlich nur kurz überlegen, was mein Gegenüber für Bedürfnisse in Konflikten hat, diese muss ich befriedigen und Konfliktmanagement wird zum Kinderspiel. Das funktioniert natürlich nur, wenn ich es schaffe, mein Gegenüber WERTFREI zu betrachten und das, was mich nerv nicht als zwangsläufig böse gemeint einzuordnen. Genau dazu habe ich mal einen Blog geschrieben. Es ging um Gewaltfreie Kommunikation und innere Haltung, damals, als mir die Giraffe in den Sekt gespuckt hat (verrückte Geschichte!). Den Link zum Blog findet ihr hier falls ihr nochmal nachlesen möchtet.

Kleine Checkliste für alle Fälle

Damit ihr etwas habt, worauf ihr in einer Akutsituation aufbauen könnt, hier in aller Kürze die Bedürfnisse unserer vier Typen in Konflikten:

Der Nähe-Typ braucht in Konflikten unbedingt das Gefühl, dass es um die Sache und auf keinen Fall um ihn als Person geht. Er benötigt das Gefühl, gemocht und geschätzt zu werden und Vertrauen baut er nur auf, wenn ihm zum einen zugehört wird und sich zum anderen auch sein Gegenüber emotional öffnet. Zur Einleitung kann hier ein wenig Smalltalk Wunder wirken. -Etwas, das der Distanz-Typ so gar nicht mag.

Der Distanz-Typ kann Kritik nur akzeptieren, wenn diese sachlich vorgetragen wird. Er mag klare Aussagen und hasst es, wenn um den heißen Brei herumgeredet wird. Was er übrigens noch mehr hasst, ist wenn man versucht, seine Gefühle und Bedürfnisse zu ergründen. Außerdem braucht er etwas Zeit, um die Situation für sich und mit sich zu klären, weshalb man ihm nach dem Konflikt erstmal in Ruhe lassen sollte. Der Nähe-Typ freut sich im Gegensatz zum Distanz-Typ nach einem Konfliktgespräch wahrscheinlich über einen gemeinsamen Kaffee!

Dauer-Typen brauchen Struktur. Vom Hundertstel ins Tausendstel zu kommen, hilft beim Dauer-Typ nicht weiter. Viel mehr braucht er Zahlen, Daten, Fakten, konkrete Beispiele und eine konkrete Übereinkunft, die von beiden Seiten eingehalten wird, gerne auch schriftlich.

Der Wechsel-Typ braucht vor allem zwei Dinge: Verständnis, bzw. Toleranz für seine Emotionen und Freiraum. Er möchte nicht festgenagelt werden und er möchte nicht dafür verdammt werden, wenn er in der Situation Gefühle zeigt. Außerdem ist es ihm wichtig, offen und flexibel auch nach kreativen Lösungsansätzen suchen zu dürfen. Wenn ihr in ein Konflikt- oder Feedbackgespräch mit einem Wechsel-Typ geht, seid großzügig, er meint es nicht so!

Wir sind doch nicht bei “wünsch-dir-was”!

Klar darf die Frage erlaubt sein, warum ich mich auf mein Gegenüber einstellen sollte. Und natürlich kann mich nichts und niemand dazu zwingen, noch nicht einmal im Business. Das schöne ist, dass ich jederzeit selbst entscheiden kann, ob ich eine bestimmte Situation oder einen Konflikt durch ein Gespräch oder Feedback lösen möchte oder nicht. In Hinblick auf das Businessumfeld gebe ich gerne zu bedenken, dass ein funktionierendes Team meine vielleicht wertvollste Ressource darstellt. Um des Erfolgs Willen sollte ich alles tun, was notwendig ist, um dieses Team in einem guten Performance Bereich zu halten. Mit einem schwelenden Konflikt ist das unmöglich. Und ganz ehrlich, wenn ich in einer solchen Situation immer darauf warte, dass der andere den ersten Schritt auf mich zu macht, mache ich mich erstens selbst zu einem armen, passiven Opfer (wer will das schon) und zum anderen kann es durchaus sein, dass dieser andere, der so viele meiner Ressourcen bindet, weil er mich echt wütend macht, noch gar nicht weiß, dass er einen Konflikt mit mir hat, weil er alles so macht wie immer und sich nichts Böses dabei denkt.

Im Prinzip ist es auch gar nicht schwer, ein erfolgreiches Gespräch zu suchen, noch eh der Konflikt eskaliert. Mit der entsprechenden inneren Haltung wird es mit der Zeit sogar immer leichter! Ich habe für mich festgestellt, dass es mir sehr guttut, meinen Mitmenschen per se erstmal nur die besten und positivsten Motive zu unterstellen. Ich habe mich dazu entschieden, dass es absolut in Ordnung ist, wenn jemand nicht genauso tickt wie ich selbst. Es ist nicht besser oder schlechter, weil jeder Mensch Sonnen- und Schattenseiten mitbringt, die all gleichermaßen wertvoll und wichtig sind. Bringt mich eine Verhaltensweise auf die Palme, unterstelle ich meinem Gegenüber auch erstmal keine bösen Absichten. Vielleicht ist es ausgerechnet die totale Pedanterie meines Kollegen, die mich fast in den Wahnsinn treibt, mir aber auf meinem nächsten Flug das Leben rettet, weil ihm etwas auffällt, das ich total kreativ übersehen habe! Im Job geht es darum und zwar nur darum. Unterschiedlichkeit macht ein Team nun mal erfolgreicher. Nur wenn ich diese Unterschiedlichkeit akzeptiere und respektiere fühlen sich auch meine Kollegen anerkannt und sicher, sicher genug, um den Mund aufzumachen, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas schiefläuft. Der Schlüssel zu High Performance im Team! Tja, und da sind wir wieder bei den Giraffen, mir selbst und meiner eigenen inneren Haltung!

Eure Constance

PS: Privat sind total unprofessionelle Streits übrigens voll OK, finde ich!

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Die Riemann-Thomann-Matrix

Und wo ordnet ihr euch ein?

Was Piloten meinen, wenn sie von CRM sprechen und was (nicht nur) Ärzte daraus lernen können

Die Krux mit den Akronymen: weil CRM nicht gleich CRM ist

Während in weiten Teilen der Wirtschaft CRM dafürsteht, wie man die Beziehung zu seinen Kunden managt (was sicherlich auch indirekt überlebenswichtig für ein Unternehmen ist) hat CRM in der Luftfahrt tatsächlich eine direkt überlebenswichtige Bedeutung. Bei Flugzeugbesatzungen steht CRM nicht für Customer Relationship Management sondern für Crew Ressource Management. Was ist das und warum rettet das Leben?

Als die Technik immer zuverlässiger wurde

Mit Beginn der kommerziellen Luftfahrt hat man schnell festgestellt, dass man die Flugzeugtechnik dringend verlässlicher gestalten muss, um Ausfälle, Zwischenfälle und Unfälle zu vermeiden. Vorläufiger Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war der 9. Februar 1969 als der Jumbo, die Boeing 747, ihren Jungfernflug hatte. Die Luftfahrttechnik machte Quantensprünge und man fühlte sich an Bord der großen Verkehrsflieger immer sicherer. Doch dann kam das Jahr 1977, in dem zwei technisch perfekt funktionierende Jumbo Jets auf dem Flughafen von Teneriffa zusammenstießen und 583 Menschen auf einen Schlag ihre Leben verloren. Wer mehr über diesen schwarzen Tag der Luftfahrt wissen möchte, findet hier den Link zu einem älteren Artikel, der die Ereignisse dieses Tage ein wenig ausführlicher darstellt. Für heute soll die Erkenntnis reichen, dass es an diesem Tag nicht die Technik war, die versagt hat, sondern der Mensch. Dabei stellte man interessanterweise fest, dass diese Menschen, die versagt haben, sich eigentlich so verhalten haben, wie es Menschen üblicherweise tun: sie waren ungeduldig, glaubten, der andere würde das, was sie sagten, auch so verstehen, wie sie es meinten, sie glaubten, dass der Chef natürlich wusste was er tat und natürlich hörte man nicht richtig zu, weil man mit tausend Dingen gleichzeitig beschäftigt war… Erkennt sich der ein oder andere wieder? Ja, alles total menschlich. In High Risk Environments wie in der Luftfahrt (oder der Medizin) kann diese “Menschlichkeit” schnell tödlich enden. Genau das war die Geburtsstunde des CRM Trainings in der Luftfahrt.

Crew Ressource Management

Der Oberbegriff Crew Ressource Management vereint unter ausgesprochen praxisorientierten Vorzeichen eine Reihe von Forschungs- und Theoriesträngen sozialpsychologischer, soziologischer, physiologischer und pädagogischer Ursprünge, in deren Mittelpunkt die Gestaltung von erfolgreicher Arbeit unter komplexen und dynamischen Arbeitsbedingungen steht. Seinen Ursprung hat CRM, wie gesagt, in der Luftfahrt, allerdings haben die damit verbundenen Ideen inzwischen auch in weitere verlässlichkeitsorientierte Arbeitsfelder Einzug gehalten. Zu nennen wären hier zum Beispiel Kernkraftwerke, Bohrinseln, Feuerwehr, Katastrophenschutz, aber eben auch Krankenhäuser.

Die Grundidee aller CRM-Ansätze liegt in der Annahme, dass Interaktionsprozesse in Teams bei der Bewältigung kritischer Situationen einen deutlichen Einfluss auf den Erfolg haben. Es gibt hierbei Interaktionen, die förderlich im Umgang mit komplexen Situationen wirken, genauso wie solche, die im Umgang mit komplexen Situationen hemmen. Ziel von CRM ist es, das Wissen und die Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitgliedes für das Team maximal nutzbar zu machen, also alle Team-Ressourcen optimal und im Sinne der Zielerreichung zu nutzen. CRM bedient sich hierbei der gesamten Bandbreite verlässlichkeitsorientierter Forschungsfelder, wie etwa der Fehlerforschung (Fehlerkultur und Lernen aus Fehlern), der Entscheidungsfindung (analytische Entscheidungsfindungsprozesse) und der Gruppenforschung (Kommunikation, Konfliktforschung, Teamwork, Führung, Backup Behaviour, Feedback, interkulturelle Forschung). Ergänzend dazu befasst sich die Human Factors Forschung mit Faktoren, die die individuelle menschliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Als Grundlage dienen sowohl physiologische als auch psychologische Erkenntnisse (Stressmanagement, Fatigue Risk Management, Wahrnehmungsprozesse, Resilienz).

Kurzgefasst, die Luftfahrt ist so komplex und dynamisch, dass ein einzelner Mensch nicht in der Lage ist alles so weit zu überblicken, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Man benötigt ein möglichst vielseitiges und heterogenes Team, das alle benötigten Ressourcen in sich trägt, um erfolgreich (und sicher) von A nach B zu kommen. Genau das hat die Luftfahrt nicht nur mit dem gemeinsam, was wir heutzutage als VUCA-Welt (also diesem Businessumfeld, dass von hoher Dynamik, Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit geprägt ist) bezeichnen, sondern auch mit der Krankenhaus-Welt.

Weil Teamwork Leben rettet

Ähnlich wie in der kommerziellen Luftfahrt, spielt auch in Krankenhäusern die individuelle Einbindung in strikte Hierarchien eine große Rolle. Diese Hierarchien sind aus diversen Gründen notwendig und ich möchte in High Risk Environments das Vorhandensein von Hierarchien auf keinen Fall in Frage stellen. Im Gegenteil! Allerdings ist es in Hinblick auf die erfolgreich Lösung einer Situation wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass (falsch umgesetzte) Hierarchie zwei fatale Auswirkungen haben kann: zum einen liegt es in der menschlichen Natur, dass man davon ausgeht, dass der Chef es ohnehin besser weiß (hierzu könnt ihr gerne auch den sogenannten Halo Effekt googlen), zu andern neigen Menschen dazu, schlechte Nachrichten “chef-tauglich” zu machen, eigene Defizite und Unsicherheiten nach oben zu verschleiern und sich keinesfalls angreifbar zu machen. Es droht eine Kultur des Schweigens.

Die von mir so geschätzte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat einen Teil ihrer Grundlagenforschung zur sogenannten Lernenden Organisation, einer Organisation die schnell und flexibel auf komplexe und dynamische Situationen reagieren kann, in Krankenhäusern durchgeführt. Sie berichtet in diesem Zusammenhang von einer Situation auf einer Frühchen-Station: die junge Krankenschwester, die Edmondson Christina nannte, kümmerte sich um Zwillinge, die bereits in der 27. Woche zur Welt kamen. In einer Fortbildung, die Christina gerade erst erfolgreich absolviert hatte, hat sie gelernt, dass es sinnvoll ist, diesen extrem früh geborenen Kindern ein bestimmtes Medikament zu verabreichen, um die Entwicklung der kleinen, viel zu früh in die Pflicht genommenen Lungen zu verbessern. Dr. Drake, ein sehr erfahrener, älterer Arzt hat dieses Medikament jedoch nicht verschrieben. Christina wollte ihn eigentlich darauf ansprechen, ließ ihre Idee jedoch recht schnell wieder fallen. Sie sagte sich, dass der Arzt sicher selbst besser wisse, was zu tun sei und er sicher seine Gründe dafür habe, das Medikament nicht zu verschreiben (dass er es einfach vergessen haben könnte, kam ihr natürlich nicht in den Sinn). Sicher würde es den Zwillingen gut gehen. Außerdem erinnerte sich Christina an ein Gespräch zwischen Dr. Drake und einer anderen Schwester, das Christina kürzlich zufällig mit angehört hatte. In diesem Gespräch beschimpfte Dr. Drake diese Schwester, weil sie seine Anordnungen hinterfragte.

Ich weiß nicht, wie es mit den Zwillingen weitergegangen ist, aber ich hoffe, dass die beiden ein gesundes und glückliches Leben führen können. Auf jeden Fall beschreibt diese kurze Geschichte eindrücklich, dass Kollegen oder Teammitglieder unglaublich wertvolle Ressourcen darstellen und CRM soll dabei helfen, diese Ressourcen bestmöglich zu nutzen. So einfach und doch so kompliziert!

CRM hat zwei Grundlagen, an denen nicht gerüttelt werden darf: jeder macht Fehler (auch der Chef!) und jeder muss den Mut haben, den Mund aufzumachen (sei es, um eigene Fehler darzulegen, damit man andere davor schützt, evtl. in die gleiche Falle zu tappen, um nach Hilfe zu fragen, oder um andere (auch Vorgesetzte) auf Dinge hinzuweisen, die einem selbst in irgendeiner Art und Weise auffallen oder nicht schlüssig erscheinen. Das alles tut der Mensch nicht gerne. Nein, eigentlich tut er es gar nicht freiwillig. Wer geht dann schon zur Arbeit, um am Ende des Tages als Störenfried, unwissend oder Nichts-Könner dazustehen? In meinen CRM Trainings erwarte ich also ganz schön viel von meinen Teilnehmern. Ich erwarte sehr viel Mut von ihnen, um über ihren Schatten zu springen. Einen solchen Sprung kann ich von einem Menschen nur dann erwarten, wenn er weiß, dass er dabei nicht abstürzt. Diese Sicherungsleine nennt unsere Frau Professor Psychological Safety. -Für Edmondson die Voraussetzung für eine erfolgreiche Lernende Organisation, oder funktionierendes CRM. Es beginnt also mit der Unternehmenskultur.

CRM in der Medizin

Inzwischen gibt es einige Länder die CRM-Systeme wie in der Luftfahrt auch verpflichtend für Teams in Krankenhäusern eingeführt haben. Diese Entscheidung kann ich als potenzieller Patient oder Angehöriger nur begrüßen. Hier würde die Krankenschwester sicher beim Arzt nachfragen. Vielleicht würde der Arzt seine Gründe erklären, das Medikament nicht zu verschreiben und die Schwester würde entspannt nachhause fahren, oder dem Arzt würde auffallen, dass er im Stress etwas vergessen hat und sehr dankbar dafür sein, dass er diesen Fehler korrigieren kann, noch eh er fatale Folgen hat. In jedem Fall würde unser Arzt sich bei der Schwester bedanken und mit dem guten Gefühl weiterarbeiten, dass er kein einsamer Einzelkämpfer ist, sondern ein starkes Team um sich hat, dass mit ihm gemeinsam am gleichen Ziel arbeitet.

Hört sich gut an, oder? Der Weg zu einem solchen miteinander, ist spannend, lohnend, aber definitiv auch umfangreich. Die von Amy Edmondson beschriebenen Psycholigical Safety ist unglaublich eng mit einer Unternehmenskultur verbunden, die ein bestimmtes Menschenbild zur Grundlage hat. Deshalb, liebe Krankenhäuser, oder liebe Unternehmen, es ist zwecklos, eine Seminarreihe einzukaufen und zu glaube, alles wird plötzlich anders. Eh man eine solche Seminarreihe einkauft, ist es sinnvoll sich hinsichtlich der eigenen Kultur zu hinterfragen und auch mal grundgenerell zu überlegen, welches Bild man von seinen Mitarbeitern hat.

Niels Pfläging, für dessen Buch “Organisation für Komplexität” ich letzte Woche über meinen Instagram-Kanal ein wenig (unbezahlte) Werbung gemacht habe, stellt diesbezüglich zwei Theorien dar, die diese unterschiedlichen Menschenbilder wie ich finde sehr gut und verständlich darstellen:

  1. Theorie X: Menschen mögen Arbeit nicht. Sie finden Arbeit generell langweilig. Deshalb benötigen sie Anreize in Form von Boni, bzw. Druck von “Oben”. Außerdem bevorzugen es Menschen klare Anweisungen zu bekommen und Verantwortung übernehmen sie nicht gerne. Hauptmotivation für Menschen in der Theorie X sind Geld und Angst (vor dem Verlust des Jobs). Kreativ sind diese Menschen hauptsächlich immer dann, wenn es darum geht, Regeln zu umgehen.

  2. Theorie Y: Menschen müssen zwar arbeiten, suchen sich aber eine Arbeit, die ihnen auch Spaß macht und sie interessiert. Ihnen ist das Ziel ihres Tuns bewusst und sie arbeiten eigenständig darauf hin. Dabei übernehmen sie auch gerne Verantwortung und verspüren den Wunsch, ihr Potenzial voll nutzen zu können. Kreativität und Ideenreichtum sind weit verbreitet, dieses Potenzial wird jedoch oft (noch) nicht voll genutzt.

Alle Führungskräfte und Manager, die der Meinung sind, dass ihre Mitarbeiter der Theorie X entsprechen, dürfen sich an dieser Stelle gerne ausklinken. CRM wird hier nicht funktionieren, weil man einem solchen Bild folgend niemals die Psychological Safety und das Vertrauen aufbauen kann, dass für funktionierendes CRM notwendig ist.

Eine Kultur des Miteinanders

Natürlich ist es nicht ausreichend, fest daran zu glauben, dass seine Mitarbeiter interessiert, eigenmotiviert und verantwortungsbewusst sind und der Laden läuft. Allerdings ist diese Überzeugung die Voraussetzung dafür, dass Maßnahmen und Schulungen aus dem Bereich, den wir in der Luftfahrt CRM nennen, erfolgreich sein können. Erfolg kann hier alles sein! In High Risk Environments wie Luftfahrt oder Medizin bedeutet Erfolg in erster Linie weniger Tote, weil es zu weniger fatalen Fehlerketten kommt. Erfolg bedeutet aber auch schneller und besser auf sich stetig ändernde Voraussetzungen (wie es auch in dieser komplexen, dynamischen, mehrdeutigen, unsicheren VUCA-Welt der Fall ist) einstellen zu können, dabei alle im Boot zu behalten um alle zur Verfügung stehenden menschlichen Ressourcen bestmöglich nutzen zu können.

Wem der Glaube daran fehlt, dass man durch Team Building, Kommunikationstrainings und dergleichen als Organisation tatsächlich erfolgreicher wird, darf sich gerne mal die Unfallstatistiken der zivilen Luftfahrt aus den letzten fünfzig Jahren anschauen. Hier stellt man fest, dass die Hauptursache für Flugzeugunglücke tatsächlich der Mensch ist (man geht von etwa 80% aus). Allerdings sind schwere Unglücke (besonders in Relation zu den stetig ansteigenden Zahlen an Flügen weltweit) sehr selten geworden, weil der Mensch gemeinsam mit seinem Team durch CRM immer besser geworden ist.

Wie viele und wie umfangreiche Schulungen für diesen Erfolg notwendig waren? In der Luftfahrt gibt es einen zweitägigen Grundkurs und einen jährlichen Refresher. Diese Schulungen finden übrigens “Joint”, das heißt im ganzen Team (positions- und hierarchieübergreifend), statt. Denn CRM ist auch die bewusste Interaktion zwischen (Servant) Leadership und (mutigem) Followership. Dieser eine Workshop im Jahr ist ausreichend, weil die Prinzipien von CRM durch die Kultur im Umgang innerhalb der Crews tagtäglich gelebt werden und vielleicht auch, weil ich als CRM Trainer mir darüber bewusst bin, dass ich keinem meiner Teilnehmer und Kollegen CRM beibringe. CRM lernt man im Prozess der stetigen Selbstreflexion und Achtsamkeit. Mein Seminar liefert hierfür nicht mehr und nicht weniger, als das nötige Gedankenfutter. Denn ich glaube ganz fest an die Y-Typen und auch fest daran, dass ein jeder meiner Teilnehmer, alles das, was er benötigt und wissen muss, schon in sich trägt. Ich habe lediglich die ehrenvolle Aufgabe, meinen Teilnehmern den Weg hin zu den eigenen Ressourcen ein wenig zu beleuchten.

In diesem Sinne, werdet erfolgreicher, rettet Leben und seid dabei vor allem eins: wohlwollend und respektvoll mit euren Kollegen und Teammitgliedern. Sie sind eure wertvollste Ressource!

Eure Constance

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Teamwork

Die Erfolgs-Pille, nicht nur im Flugzeug!

Konflikte - keiner will sie, jeder hat sie und manchmal möchte man einfach nur laut schreien

Bekenntnisse eines Konflikt-Profis

Also, wie fange ich an…??? Vielleicht mit einer kleinen Beichte: ich bin Mediator, quasi Konflikt-Profi. Außerdem bin ich Human Factors Trainer und weiß, dass Konflikte für gewöhnlich daher rühren, dass zwei Parteien ein und dieselbe Situation einfach nur unterschiedlich wahrnehmen. Also alles kein Drama! Ich habe sogar gelernt, dass diese unterschiedlichen Wahrnehmungen super wichtig in einem High Performance Team sind, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Also alles kein Drama. Ich könnte mich ganz entspannt zurücklehnen und alle möglichen Konflikte auf mich zukommen lassen und sie in aller Ruhe und im Gespräch lösen und dann (etwas klüger als vorher) einfach weitermachen im Text. Ja, das alles könnte ich… Leider gibt es in meinem Gehirn diesen schon mehrfach von mir beschriebenen Party-Pooper namens Amygdala (oder gerne auch Angsthirn genannt), der rasend schnell agiert und das ganz anders sieht. Meine Amygdala schert sich einen feuchten Kehricht um die vernünftigen und positiven Nebeneffekte, die Konflikte so mit sich bringen. Meine Amygdala kennt nur Schwarz und Weiß, Freund oder Feind. In ihrer, zugegebenen etwas veralteten Vorstellung von der Welt leben wir noch in Höhlen und ein jeder, der nicht unserer Meinung ist, bedeutet Lebensgefahr. Meiner Amygdala ist es in solchen Situationen super wichtig, dass ich nicht unter die Räder komme. Deshalb versetzt sie mich auf sehr fürsorgliche Art und Weise sofort entweder in einen Kampf- oder in einen Fluchtmodus. Da die Amygdala schon sehr lang Zeit hatte, zu üben, ist sie dabei deutlich schneller, als meine modernen Mediatoren-Hirnteile, die natürlich wissen, dass eine andere Meinung heutzutage nicht unbedingt Lebensgefahr bedeutet. Das macht mich manchmal fertig! Deshalb will ich keine Konflikte, obwohl ich weiß welch großes Potenzial sie auch für meine Weiterentwicklung mit sich bringen. Nein, ich will sie nicht, ich versuche sie manchmal sogar aktiv zu meiden.

Kommen euch die Situationen bekannt vor, in denen ihr alles versucht, um einen Konflikt zu meiden? -In denen euch eine andere Meinung dazu bringt, euch innerlich zurückzuziehen, um bloß nicht mehr mit dem Gegenüber zu sprechen? -In denen ihr sofort und unüberlegt zurückschießt? Glückwunsch! Auch ihr habt eine gut ausgebildete und wachsame Amygdala, die im Zustand permanenter Aufmerksamkeit aufpasst, dass ihr nicht aus Versehen von einem Säbelzahntiger gefressen werdet. Soll heißen, euer Gehirn funktioniert ganz normal. Wut, Angst und Angriffslust (und auch der Wunsch manchmal laut zu schreien), aber auch innerer Rückzug und Bockigkeit sind ganz normale menschliche Gefühlsregungen. Soweit die gute Nachricht.

Weil die Welt sich weiterdreht

Jetzt kommt die schlechte Nachricht: ihr habt es sicher mitbekommen, die Säbelzahntiger sind ausgestorben und wir leben nicht mehr in Höhlen. Genau das müssen wir unseren Amygdalas behutsam beibringen, sonst wird das Leben in unserer modernen Welt echt anstrengend. Bei jeder abstrakten Bedrohung kämpfen oder flüchten zu müssen ist echt kräftezehrend. Wie man das ändern kann? Gute Frage! Zunächst einmal ist es wichtig, zu verstehen, wie diese Amygdala funktioniert, um zu verstehen, was mit einem selbst passiert, wenn man mal wieder rotsieht. In meinen Workshops fange ich zumeist erstmal damit an, zu erklären, woher das Wörtchen Konflikt überhaupt kommt. Seinen Ursprung hat das Wort im Lateinischen: confligere bedeutet so viel wie zusammenstoßen oder zusammenprallen. Das beschreibt es ganz gut. Die Amygdala wertet diesen abstrakten Zusammenstoß nämlich als konkreten, körperlichen Zusammenstoß und glaubt kämpfen zu müssen, um zu überleben. Diesen Umstand zu akzeptieren ist zunächst einmal die Basis, um daran arbeiten zu können. Denn Fakt ist, hat die Amygdala erstmal Gas gegeben, nimmt ein jeder Konflikt eine Eigendynamik auf, die sich auch durch den Versuch, den Konflikt und die damit verbundenen Gefühle zu ignorieren, nicht aufhalten lässt.

Zur Dynamik von Konflikten

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat 1980 sein Modell zur Konflikteskalation veröffentlich. Er hat dargestellt, dass alle Konflikte (auch die ignorierten) immer weiter eskalieren. Das tun sie in den stets gleichen Phasen. Ich halte es für wichtig, sich einmal mit diesen Phasen beschäftigt zu haben, um sich selbst in einem Konflikt besser zu verstehen und um zu wissen, wo es noch Ausgänge oder Notausgänge gibt. Deshalb hier in aller Kürze die Konflikteskalation nach Glasl:

  1. Es wird kälter: jeder kennt dieses Gefühl. Man merkt, dass etwas nicht stimmt. Es gibt Spannungen und Sticheleien, kein wirklicher Streit, aber genug um sich unwohl zu fühlen.

  2. Debatten und Polarisation: kurzgefasst; es wird diskutiert und debattiert wann immer es geht. Der jeweils andere wird dabei langsam zum Gegner.

  3. Taten statt Worte: jetzt geht es darum, den jeweils anderen konkret unter Druck zu setzen. Im Arbeitsumfeld könnte das bedeuten, den anderen vielleicht einfach mal zu vergessen, in einer wichtigen Mail nicht anzukopieren. Soll passieren, habe ich gehört! Ups!

  4. Jeder soll sehen, dass der andere der Schuft ist: natürlich geht es darum, Allianzen zu knüpfen, Unterstützung und Verbündete zu finden. Klar, wenn mir noch drei andere bestätigen, dass das Verhalten des anderen “gar nicht geht” wird meine subjektive Empfindung jetzt zur objektiven Wahrheit! Victory!

  5. Gesichtsverlust: nun geht es darum, den jeweils anderen moralisch zu entwerten. Es geht langsam aber sicher nicht mehr um das eigentliche Konfliktthema, sondern um den anderen als Person, um den Feind! Eine differenzierte Perspektive wird immer schwieriger.

  6. Drohstrategien: Mein Lieblingspunkt! Ja, wir Menschen drohen unglaublich gerne, weil wir glauben, dass der andere tut was wir wollen, wenn wir ihn nur gehörig unter Druck setzen. Dass wir uns dabei immer selbst am meisten unter Druck setzen, merken wir meistens erst zu spät! Kurze Geschichte gefällig? -Eine hochgeschätzte Trainerkollegin berichtet an dieser Stelle gerne von ihren beiden Söhnen, die nicht so gerne aufräumen. Das nervt Mama natürlich sehr. Mal wieder herrschte Chaos in den Kinderzimmern. Es war Wochenende, die ganze Familie freute sich auf ein Straßenfest. Mama freute sich am meisten, weil sie sich da mit Freundinnen zum Sektchen treffen wollte. Die unaufgeräumten Zimmer ihrer Jungs am Morgen erzürnte sie jedoch so sehr, dass sie sich zu folgendem Satz hinreißen ließ: “Wenn ihr das nicht sofort aufräumt, gehen wir nachher nicht auf das Straßenfest!”. Sie sprach es und bereute postwendend! Was wenn die beiden nicht aufräumten? Dann würde sie selbst entweder ihre Freundinnen nicht zum Sektchen treffen können, oder sie würde ihre Autorität bis zur Volljährigkeit der beiden verspielen müssen… Ich bin mir sicher, jeder kann von ähnlich gelagerten Situationen berichten und trotzdem tun wir es immer wieder! Es menschelt halt ungemein, wenn die Amygdala Gas gibt!

  7. Begrenzte Vernichtungsschläge: ab hier gibt es langsam aber sicher kein Halten mehr. Man fängt an, eigene moralische Grenzen zu überschreiten, nur um dem anderen zu schaden.

  8. Zersplitterung: jetzt geht es auch darum, den anderen zu isolieren, indem man seine Netzwerke zu zerstören versucht. Dabei macht man sogar vor der Manipulation Dritter keinen Halt.

  9. Gemeinsam in den Abgrund: nun ist schließlich der Punkt erreicht, an dem man selbst eigene Verluste billigend in Kauf nimmt, solange der andere noch ein klitzekleines bisschen mehr verliert. Wer kennt den Film “Rosenkrieg”? Genau so!

Und? habt ihr euch an der ein oder anderen Stelle an eine konkrete Situation zurückerinnert? Perfekt! Um einen Konflikt lösen zu können, muss man sich trotz all der Emotionen, die in uns toben, erstmal orientieren. Das funktioniert zunächst in der Retrospektive einfacher als in der akuten Situation.

Die Suche nach dem Exit Sign

Was jetzt noch bleibt ist die Frage, wie man wo aussteigen kann. Da Konflikte ja wie gesagt nicht einfach so verschwinden, ist es sinnvoll, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt auszusteigen. Friedrich Glasl und ich sind uns darin einig, dass wir einen Ausstieg noch während der ersten drei Stufen empfehlen. Aus zwei Gründen: zum einen lässt sich der Konflikt auf dieser Ebene meist in einer Win-Win-Situation klären und zum anderen auch ohne fremde Hilfe, weil noch nicht wirklich viel Porzellan zerschlagen wurde. Das einzige was es dafür braucht, ist die Achtsamkeit den aufkommenden Konflikt zu erkennen, die Akzeptanz, dass er eskalieren wird, wenn ich nicht einschreite und schließlich den Mut, das ganze anzusprechen. Ich spreche eine solche Situation gerne nach dem WWW-Prinzip an. In meinem Artikel Rund um das Thema Feedback habe ich diese Möglichkeit kurz beschrieben (hier der Link zum Artikel).

Bewege ich mich bereits auf den Stufen 4, 5, oder 6 wird es deutlich schwieriger einen Ausgang zu finden. Häufig ist es sinnvoll hierbei einen unparteiischen Mediator (das darf auch gerne ein neutraler Kollege oder der Vorgesetzte sein) einzuschalten, da man den Konflikt ab der vierten Stufe meist nur in einer Win-Lose-Situation lösen kann, weil bereits Dritte involviert sind. Im Business-Umfeld können gut vorbereitete Führungskräfte übrigens sehr wertvolle Beiträge dazu leisten, dass sich selbst “Lose” nicht allzu schmerzhaft anfühlt. Es geht um die Möglichkeit, sein Gesicht wahren zu können.

Ab Stufe 7 kann man höchstens noch von einem Notausgang sprechen, da die Lösung immer in einer Lose-Lose-Situation enden wird. Auch ist ein Mediator (der dann nicht selten ein Jurist, bzw. Richter sein kann) unumgänglich. Und ganz ehrlich, all euer Bestreben rund um das Thema Konflikt sollte stets sein, es nicht so weit kommen zu lassen.

Achtsamkeit und Selbstführung - mal wieder

So weit in aller Kürze zu den Weisheiten des Konfliktmanagement-Trainers. Der Coach in mir hat noch einen anderen Ansatz. Ich komme nochmal auf die Amygdala zurück. Denn am sinnvollste wäre es doch, wenn wir einfach weniger Konflikte hätten, bzw. unsere Amygdala weniger Situationen als bedrohlich wahrnimmt, weil sie langsam aber sicher in unserer modernen, abstrakten Welt ankommt. Hierzu müssen wir zunächst einmal einsehen, dass die Konflikte, die wir haben, zumeist deutlich mehr mit uns selbst, als mit unserem gegenüber zu tun haben. Den gefühlten Konflikt verursacht nämlich für gewöhnlich unsere ureigenste Bewertung der Situation. Wir müssen einfach davon loskommen, alles als Bedrohung wahrzunehmen. Das funktioniert, ist aber ein verdammt langer Weg. Vor etwa zwei Wochen habe ich bei Instagram (unbezahlte) Werbung für ein Buch gemacht: “… und ständig tickt die Selbstwertbombe” von H. H. Stavemann. Mit Hilfe dieses Buches kann man eine wirklich spannende Reise in sein eigenes Bewertungssystem unternehmen und gaaaaanz langsam, Schritt für Schritt, mittels des ABC-Modells an diesem Bewertungssystem arbeite. A steht hierbei für die Ausgangssituation, B für die Bewertung und C für die Konsequenzen. Wenn der ein oder andere diesbezüglich an sich arbeiten möchte und gerade keinen Coach an seiner Seite hat, ist Stavemanns Buch, das übrigens ausdrücklich für den Endverbraucher und psychologischen Laien geschrieben ist, eine tolle Alternative.

Egal welchen Weg ihr für euch wählt, Stavemann, einen Coach oder eine andere Möglichkeit zu Achtsamkeit und Selbstreflexion, am Ende bedeutet das immer zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: entweder ich unterwerfe mich meiner Amygdala und lasse sie uneingeschränkt meine gesamte Umwelt als bedrohlich einschätzen. Vielleicht ist das ja wirklich weniger kräftezehrend, als Selbstreflexion und bewusste Selbstführung. Oder ich arbeite an mir, meinen Mustern, versuche auch mal die Perspektive zu wechseln und das Thema Konflikt für mich um zu bewerten. Ich habe mich für zweites entschieden. Das lässt mich viel entspannter durchs Leben gehen. Natürlich gelingt es mir nicht immer. Manchmal passiert einfach etwas und meine Amygdala sieht rot. Aber das gönne ich mir dann auch. So ist der Mensch und manchmal ist es völlig OK, auch mal laut zu schreien, finde ich und freue mich gleichzeitig darüber, dass meine Amygdala in den letzten Jahren deutlich cooler geworden ist.

Eure Constance

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Gemeinsam in den Abgrund?

Weil Konflikte irgendwann nur noch Verlierer kennen