Angst

Warum wir alle ein bisschen Traumatherapeut*in sein sollten

- Oder das Zauberhafteste, das ich in den letzten beiden Wochen gehört habe!

„Wenn wir unser Gegenüber nicht repräsentativ für ein Problem sehen, das es zu lösen gilt, sondern als eine Erfahrung, die es zu machen gilt, legen wir die Basis.“ So oder so ähnlich hat sich die großartige Dr. Pat Ogden im Rahmen einer Weiterbildung, an der ich kürzlich teilgenommen habe, ausgedrückt. Was für ein Satz! Wie viel positive Energie und wie viel Weisheit. Sind Erfahrungen immer positiv? Nein, natürlich nicht. Aber sie sind immer hilfreich und lassen uns zu dem werden, der oder die wir sind.

Meine aktuelle Weiterbildung ist das „Advanced Master Program of the Treatment of Trauma“ am National Institute for the Clinical Application of Behavioral Medicine in den USA, an dem ich in den letzten beiden Wochen virtuell teilnehmen durfte. Dank der Zeitverschiebung gibt es Vorlesungen zur besten Sendezeit um 19:00 Uhr! Ja, es geht um Traumata, und um zu verstehen, wie man mit dieser von Dr. Ogden beschriebenen Haltung an Traumata arbeiten kann, ist es im ersten Schritt hilfreich, zunächst zu verstehen, was ein Trauma ist.

Trauma – Was ist das überhaupt?

Ein psychisches Trauma ist die Verletzung unserer Seele oder Psyche, die durch ein belastendes Ereignis hervorgerufen wurde. Ein wirklich weites Feld. Ein sehr bekanntes und sich drastisch auswirkendes Trauma ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), von der wir alle schon einmal im Kontext von Gewaltverbrechen oder Krieg gehört haben. Man geht davon aus, dass etwa die Hälfte aller Kriegsflüchtlinge an einer PTBS leidet. Bei etwa einem Drittel hat sich diese mutmaßlich chronifiziert und zu einer dauerhaften Persönlichkeitsveränderung geführt – eine Erkrankung, die man früher auch als KZ-Syndrom bezeichnet hat. Heute vielleicht das Afghanistan-, Syrien- oder Ukraine-Syndrom?

Bei einem Trauma führen belastende Erlebnisse dazu, dass das Nervensystem wie bei einer PTBS in völliger Überlastung läuft oder dass man das Erlebte abspaltet, um es aus der aktiven Erinnerung zu streichen. Hierbei kann es sein, dass Betroffene mehrere Persönlichkeiten entwickeln – eine dissoziative Identitätsstörung. Es kann auch vorkommen, dass der Körper nicht mehr wie gewohnt funktioniert, ohne dass es eine greifbare medizinische Diagnose dazu gibt. Diese Störungen können bis hin zu Lähmung oder Blindheit reichen. Es kann zu krampf- oder tranceartigen Anfällen kommen – und so weiter und so fort. Ein Trauma kann eine psychische Erkrankung hervorrufen, die sich massiv körperlich äußern kann – kann, muss aber nicht! Denn Fakt ist: Wir alle erleben im Laufe unseres Lebens viele größere und kleinere Traumata, und unser Organismus entwickelt Schritt für Schritt Strategien, um mit diesen Verletzungen umzugehen. Ganz so, wie euer Körper weiß, wie er sich um den tiefen Schnitt im Finger, den ihr euch beim Zwiebelschneiden zugezogen habt, kümmern muss. Vielleicht bleibt eine kleine Narbe, vielleicht auch nicht. Das ist unsere Resilienz, unsere psychische Abwehrkraft. Bei großen Verletzungen – wie bei einem Oberschenkelhalsbruch, einer massiven inneren Blutung oder einer Wunde, die sich infiziert hat – braucht der Organismus Unterstützung; kleinere Wunden heilt er selbst. Leider lassen sich diese seelischen Verwundungen nicht so gut erkennen wie die rein körperlichen.

Freeze – wenn der Körper einfach dichtmacht

Ein Hinweis auf eine Traumatisierung kann ein Zustand sein, den die moderne Neurowissenschaft als Freeze, also Einfrieren, bezeichnet – einen Zustand, den wir alle wahrscheinlich kennen. In der Schule stehen wir vorne an der Tafel, und alles, was wir einmal wussten, ist weg, und wir sind nicht in der Lage zu sprechen. Ein Blackout, das uns auch im beruflichen Kontext ereilen kann. Oder ihr kommt zu einem schweren Unfall dazu, seht schwer verletzte Menschen und seid nicht handlungsfähig. Der Schock hat euch einfrieren lassen. Oder ihr werdet angegriffen, und anstatt euch zu wehren, könnt ihr noch nicht einmal um Hilfe schreien. Euer gesamter Organismus, eure neuronalen Netzwerke, sind völlig überrollt und stellen erstmal jede Aktivität, jede Reaktionsfähigkeit ein.

Evolutionshistorisch machte das alles einmal Sinn. Die primäre Freeze-Reaktion diente dazu, sich vor der Flucht oder dem Kampf kurz zu orientieren – das kann man recht gut bei Rehen beobachten, die, sobald sie die Scheinwerfer erblicken, mitten auf der Straße stehen bleiben und erstmal ins Licht schauen. Im Idealfall sind wir nach dieser kurzen Lähmung, die – wie gesagt – zur Orientierung dient, wieder handlungsfähig und gehen entweder in eine Kampf- oder Fluchtreaktion. Erscheint unserem Organismus die subjektiv empfundene Gefahr so überwältigend, dass weder Kampf noch Flucht eine Option ist, entscheidet unser Organismus, es mit Einfrieren zu versuchen. Vielleicht fallen wir dann weniger auf, und der Jäger lässt von uns ab.

Schon die Erinnerung an ein erlittenes und noch nicht komplett verarbeitetes Trauma kann eine solche Reaktion hervorrufen – insbesondere auch in einem therapeutischen Setting. Aus diesem Grund sind Freeze-Reaktionen während einer Therapie nichts Außergewöhnliches. Die Herausforderung für Therapeutinnen: In diesem Zustand ist ein Mensch nur eingeschränkt kognitiv erreichbar und interaktionsfähig. Ein direktes therapeutisches Arbeiten ist also nicht möglich. Frustrierend für den/die Therapeutin?

Wie kommt man wieder raus aus dem Freeze?

An dieser Stelle setzte die bereits genannte Dr. Pat Ogden in einer Session zum Umgang mit Freeze im therapeutischen Kontext an. Denn die Basis dafür, Menschen Schritt für Schritt aus diesem Zustand der inneren und äußeren Lähmung herauszubegleiten, ist der Aufbau einer positiv belegten Beziehung. Klar könnte man meinen, ein erstarrter Klient stelle für den Therapeuten ein Problem dar. Begegne ich einem Klienten mit dieser Haltung, wird er das selbst im Zustand der Erstarrung intuitiv spüren und sich noch weiter in sich zurückziehen. Begegnen wir den Menschen offen, neugierig und positiv, wird er dies ebenfalls spüren, sich im besten Fall ein klein wenig sicherer fühlen und sich vielleicht Schritt für Schritt aus dem Schutzbunker seiner Seele herauswagen. In der systemischen Arbeit – egal ob Coaching oder Therapie – nennen wir das Pacing oder Begleiten. Dr. Ogden bezeichnet es als „Right-To-Right-Brain-Communication“, also die oft unbewusste Kommunikation zwischen unseren rechten Hirnhälften, die die Basis für zwischenmenschliche Beziehungen darstellt. Diese Art der Kommunikation beginnt mit meiner Einstellung, meiner Haltung gegenüber der Welt, meinen Mitmenschen und mir selbst.

Im Verlauf der Vorlesung wurde auch darauf eingegangen, wie wichtig es nicht nur für Therapeut*innen ist, mit der rechten Hirnhälfte auf Menschen zu reagieren, die starr vor Verunsicherung oder Angst sind. Traumata haben viele Gesichter, und jeder von uns trägt unzählige größere oder kleinere Narben – manchmal auch offene seelische Wunden, die für andere unsichtbar bleiben. Warum also nicht achtsam und neugierig reagieren, wenn Menschen sich anders verhalten, als wir es erwarten oder wünschen? In jedem von uns steckt ein kleiner psychologischer Ersthelfer. Alles, was es braucht, ist anstelle von Druck und Ungeduld, mit Neugier und Offenheit auf andere zuzugehen. Egal, ob als Lehrer, Pflegekraft, Mediziner, als Führungskraft, Kolleg*innen oder Nachbar*innen – lasst uns als Menschen offen, empathisch und neugierig begegnen. Das Problem ist aus meiner Sicht nicht die Anwesenheit von Wut, Frust oder Hilflosigkeit, sondern die Abwesenheit von Neugier und Liebe.

„Wenn wir unser Gegenüber nicht repräsentativ für ein Problem sehen, das es zu lösen gilt, sondern als eine Erfahrung, die es zu machen gilt, legen wir die Basis.“

Heute ist Wahltag in Deutschland. So viel wurde im Vorfeld über diese Wahl geschrieben, so viel wurde diskutiert. Das Leben um uns herum scheint in diesen Tagen einigermaßen turbulent zu sein. Ich erlebe viel Angst, Verunsicherung, alte Traumata, die aufgerissen werden, und neue, die hinzukommen. Ich spüre sogar mein eigenes transgenerationales Trauma (ja, auch das gibt es!).

Mein Wunsch wäre, dass sich sowohl wir als Gesellschaft als auch unsere (demokratischen) Politiker*innen mit Neugier der jeweils anderen Position und mit Offenheit für andere Argumentationen begegnen und so gemeinsam einen Weg finden, der uns wieder enger und verständnisvoller zusammenbringt.

In diesem Sinne: Geht wählen! Der Spruch ist alt und abgedroschen, aber vielleicht noch nie so aktuell wie heute: Wer in einer Demokratie schläft, droht in einer Diktatur wieder aufzuwachen.

Eure Constance

PS:

Im Kontext von Freeze-Reaktionen gab es auch etwas, das nach Ansicht aller Dozent*innen unbedingt zu unterlassen ist: Anfassen! Oft haben wir recht schnell das Gefühl, andere berühren zu wollen, um sie zu beruhigen. Ohne die eindeutige Erlaubnis der Betroffenen ist das immer eine denkbar schlechte Idee. Insbesondere im medizinischen Kontext haben Ogden & Co. von vielen beispielhaften Situationen berichtet, in denen Menschen gegen ihren Willen berührt wurden (mit bester und freundlichster Absicht). Aufgrund ihrer Erstarrung konnten sich die Betroffenen nicht äußern und wehren und haben diese Situation als weitere Ohnmachtssituation gespeichert. „Right-Brain-To-Right-Brain-Communication“ braucht keine körperlichen Berührungen!

Nicht jede Narbe, nicht jede Wunde ist sichtbar

Trauma: Wenn die Seele nicht mehr weiter weiß.

Malik und seine Angst vor Kokospalmen - Über die Kompetenzen und Widersprüche von Ängsten

Zurück aus dem Urlaub

Zurück von der sonnigen Gewürzinsel Sansibar hab ich den Kopf voller Eindrücke und Ideen und freue mich auf ein furioses viertes Quartal 2023! Meinen Start in dieses Quartal möchte ich mit einer kleinen Urlaubsgeschichte begehen, weil sie mich auf sehr realitätsnahe Art an ein Thema erinnert hat, das mich schon lange umtreibt.

Während unseres Urlaubs haben wir unter anderem eine Gewürzfarm besucht. Ein Muss, wenn man genau da ist, wo der Pfeffer wächst! Auf der Farm wurden wir von Malik begrüßt. Vielleicht 18 Jahre alt erklärte er uns er sei unser Guide und würde uns ein bisschen was über die Farm und die Gewürze erzählen. So zogen wir durch die Felder und Malik erklärte unter anderem schelmisch grinsend, dass Muskat besonders bei Frauen beliebt sei, weil sie dann beim Tanzen weniger schüchtern seien. Vor großen Festen würden Frauen und Mädchen stets eine Extraportion Muskat zu sich nehmen. Männer hingegen würde eher Ingwer konsumieren. Mein Mann war kurz verwirrt. Von der enthemmenden Wirkung von Ingwer habe er noch nichts gehört. Maliks schelmisches Grinsen wurde immer breiter und als ich mutmaßte, dass es nicht um Enthemmung, sondern um Potenzsteigerung ginge, lachte Malik meinen Mann übers ganze Gesicht an. Er erklärte, dass wenn wir auf Sansibar Männer sehen, die im Teehaus darüber diskutieren, sich eine weitere Frau zuzulegen, hätten sie diesen Mut sicher dem Ingwertee zu verdanken. Wir lernten, dass Dank des osmanischen Erbes in Sansibar bis zu vier Frauen legal sind. So zogen wir durch die Felder von Nelken, Zitronengras, Sternanis, Kurkuma, Ingwer, Pfeffer, Zimt, Vanille, Curryblätter. Wir bewunderten riesige Jack-Fruit-Bäume und naschten Sternfrucht direkt vom Baum. Irgendwann standen wir am Rand eines tiefen Tals. “I call it the Thailand view,” erklärte Malik. “Because of all of these big coconut palmtrees!” Und ja, das Tal war über und über bewachsen mit riesigen Kokospalmen! Ganz plötzlich wurde der fröhliche Malik sehr ernst. Er erklärte, dass das alles aus der Ferne zwar sehr schön aussehe, allerdings sehr gefährlich sei. Er würde dort nicht hingehen. Kokospalmen seien sehr gefährlich. Viele Menschen würde von herabfallenden Kokosnüssen getötet, auch in Sansibar! -Und ich lustiger Touri lag am Tag davor fröhlich unter einer Palme und habe die Kokosnüsse über mir bewundert! Malik würde mich für lebensmüde erklären! Der fröhlich junge Mann hatte tatsächlich spürbar Angst davor von einer Kokosnuss erschlagen zu werden. - Eine Form des Ablebens mit der ich mich noch nie auseinandergesetzt habe, die Malik aber real ängstigte!

Ängste - Kompetenzen und Widerspruch

Maliks spürbare Angst vor Kokospalmen (und meine diesbezügliche Indifferenz) machte mich neugierig. Ich musste an Gunther Schmidts Vortrag zum Thema Ängste im März in Kassel denken und daran, dass die Entwicklung von Ängsten eine wichtig Kompetenz unseres Organismus ist. So sind diese kompetenten Ängste immer auch kontextspezifisch. Klar sind Todesfälle durch herabfallende Kokosnüsse nicht Teil meines Erfahrungsschatzes und haben mich am Strand gerade zu naiv und nachlässig gemacht. Nicht meine Welt! Maliks schon. Und so hatte Malik wiederum keine Angst vor Weißen Haien obwohl er am Meer wohnt. Nicht seine Welt. In Sansibar gibt es sie nicht. Warum sollte er sich davor fürchten? Interessanterweise musste ich in diesem Moment an einen Bär von Mann denken, den ich für ausgesprochen mutig halte. Er wohnt an der Ostsee und fürchtet sich heftig vor Weißen Haien. Ihn gruselt es bereits, wenn er nur entsprechende Bilder sieht. Verrückt! Gibt es doch auch in der Ostsee keine großen Weißen!

Überhaupt gibt es unglaublich viele Manschen, die sich vor Weißen Haien fürchten, obwohl diese unglaublich weit entfernt von ihrer Realitäten sind. Schon verrückt, was eine Filmreihe aus Hollywood anrichten kann. Gleichzeitig ist das jedoch eine spannende Bestätigung dafür, dass unsere Ängste eng mit unserer inneren Bilderwelt verknüpft sind. Hierbei ist es unserer Gefühlswelt ein Stück weit egal, ob diese Bilder reale Erfahrung abbilden oder auf andere Weise erzeugt wurden. Als Kind hatte ich Angst vor Wölfen, obwohl es damals keinen einzigen Wolf in Deutschland gab. Die Erzählungen meiner Oma von Rotkäppchen haben gesessen. Mein kindliches Gehirn hielt die erzeugten Bilder für real.

Manchmal verknüpft unser Gehirn sogar Bilder mit traumatischen Angsterfahrungen, die damit gar nicht zusammenpassen und lassen geradezu aberwitzige sogenannte Angststörungen oder Phobien entstehen. So kenne ich zum Beispiel einen jungen Mann, Mitte zwanzig und fast zwei Meter groß, der panische Angst vor Schnecken hat. Aber nur vor denen mit Häuschen. Nacktschnecken sind für ihn kein Thema. In diesem Fall ist nicht davon auszugehen, dass ein Hollywoodfilm diese Angst hervorgerufen hat. Jedenfalls kenne ich “Die Rückkehr der Killerschnecken” nicht. Auch kenne ich keine Märchen von fiesen Schnecken, die Großmütter fressen und ich bin mir sicher, dass der junge Mann niemals von einer Weinbergschnecke mit dem Leben bedroht wurde… Auch ist ihm diese Angst nicht angeboren. Als Kind hat er gemeinsam mit seiner Schwester Schnecken gesammelt. Jedoch ist zwischen diesem verregneten Sommertag, an dem er fröhlich Schnecken gesammelt hat und der ersten Situation, in der er diese große Angst zum ersten Mal gespürt hat, etwas für ihn Schlimmes oder Traumatisierendes passiert, das sein Gehirn mit dem Bild der Schnecke verknüpft hat. Seitdem ruft der Anblick von Schnecken mit Häuschen bei ihm eben die Gefühle hervor, die diese ihm bisher unbekannte Situation hervorgerufen hat.

Arbeit mit Ängsten

Als Coach finde ich es sehr spannend, mit Ängsten zu arbeiten, weil sie so vielfältig, so wichtig und gleichzeitig auch so widersprüchlich sind. Egal woher die Ängste rühren nutze ich in der Arbeit mit Ängsten die inneren Bilder, die sie erzeugen. Hierbei ist es oft schon entlastend, diese inneren Bilder zu verändern, oder sie neu im inneren Raum der Gefühle anzuordnen. Manchmal ist es hilfreich dem einen inneren Bild ein neues entgegenzusetzen. Wie gesagt, unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen Bilder, die durch eine real erlebte Situation entstanden sind und solchen, die wir zum Beispiel in einer hypnosystemischen Coaching-Sitzung oder mittels NLP entwickeln oder erzeugen. Von dieser großen Macht der inneren Bilder bin ich noch immer jedes Mal aufs Neue verzaubert. -Aber auch davon, erfahren zu dürfen was hintern den Ängsten meiner Klienten steckt. Die menschliche Persönlichkeit ist so komplex, vielfältig und bunt und es ist vielleicht das größte Privileg meines Berufs, nicht nur meine eigene innere Kunstaustellung besuchen zu dürfen, sondern auch einen geführten Einblick in die innere Bilderwelt anderer Manschen zu erlangen. Ängste sind hierbei ganz wunderbare Türöffner, weil sie unserer Persönlichkeit Tiefe verleihen.

Ängste und Business Coaching

Unter uns Coaches kommt regelmäßig die Frage auf wie weit wir uns in die Tiefen unserer Klienten wagen dürfen. Was ist noch Coaching und was ist schon Therapie? Hier hat jeder Coach seine eigenen Grenzen, die seinem Wohlfühlkorridor, aber auch seiner Ausbildung entsprechen. Durch meine recht ausführlichen Ausbildungen in NLP und der hypnosystemischen Arbeit fasse ich diese Grenze wahrscheinlich recht weit. Zu Anfang meiner Arbeit als Coach konnte ich mir nicht vorstellen, wie regelmäßig ich auch im Business-Kontext mit Angsthematiken konfrontiert werde. Es beginnt mit Versagensängsten die manchmal bis hin zum Existenzängsten gehen, es geht weiter mit Bühnenangst, der Angst vor Veränderungen, Flugangst, die für jemanden, der beruflich viel reisen muss ein echtes Thema ist und kann bis hin zu plötzlich auftretenden Angstattacken eines Berufspendlers beim Autofahren führen. Die Palette ist breit gefächert und natürlich könnte ich auch bei all diesen Ängsten zunächst mit klassischen Stressmanagement oder einer neuen Einordnung der Ängste mittels systemischer Fragen beginnen. Allerdings habe ich festgestellt, dass das eher eine Arbeit am Symptom ist. Die Arbeit mit inneren Bilderwelten, mal in einer leichten Trance, mal “bei vollem Bewusstsein” ist die Arbeit an der Ursache und ist somit meistens nachhaltiger und führt aus meiner Erfahrung häufig auch schneller zum Erfolg.

Lewis Carrolls “Alice im Wunderland” ist bis heute eines meiner liebsten Bücher. Hier sagt der König irgendwann zu seiner Königin: “Den Schreck dieses Augenblick werde ich nie vergessen.” Darauf erwidert die Königin: “Du wirst ihn vergessen. Es sei denn du baust ihm ein Denkmal.” Viele unserer Ängste sind für mich Denkmäler die unser Unterbewusstes aus Erfahrungen heraus errichtet hat, zum Schutz und zur Warnung. Allerdings gilt es an der ein oder anderen Stelle diese Denkmäler neu einzuordnen, oder ein wenig umzubauen. Maliks Angst vor Kokospalmen ist absolut sinnvoll. Auch eine gewisse Vorsicht beim Autofahren oder ein gewisser Respekt im Flugzeug machen Sinn. Das bedeutet jedoch nicht, dass Panikattacken sinnvoll sind und es sollte auch niemand, der aus seiner Position heraus regelmäßig auf die Bühne muss, so sehr darunter leiden, dass sich körperliche Symptome einstellen. Auch Ängste oder sogenannte Phobien vor Schnecken, Clowns, Löchern, vor dem Erbrechen und vor allem, was man sich nur vorstellen kann, haben Ursachen und inneren Denkmäler an denen wir mittels realer und auch konstruierter Bilder und Sinneseindrücke arbeiten können. Denn was selbst den sonderbarsten Ängsten gemein ist, ist dass sie für die Menschen, die sie empfinden absolut real und mit einem Leidensdruck verbunden sind.

Ich habe übrigens sehr große Angst vor Schlangen, sehr große und irrationale Angst vor Schlangen! Für mich ist diese Angst jedoch absolut rational und begründet, auch wenn es hier keine wirklich gefährlichen Schlangen gibt. Allerdings schränkt mich diese Angst im Alltag nicht wirklich ein, weshalb ich mir dieses innere Angstdenkmal weiterhin als Teil meiner inneren Kunstaustellung gönnen. Sollte ich mich entscheiden nach Texas, Afrika oder Australien auszuwandern, sollte ich wahrscheinlich nochmal darüber nachdenken, diese Angst neu einzuordnen und mein inneres Denkmal ein wenig umzubauen. Dafür würde ich mir ganz sicher Unterstützung bei einem NLP-Coach suchen!

Habt einen wunderschönen Sonntag. Ich bin heute in Mainz, wo ich eine dreitägige Weiterbildung beim großen Richard Bandler genießen darf. -Einem der Erfinder des NLP! Ich lerne also direkt von großen Meister. Gestern war war auch an dieser Stelle das Thema Ängste oder Phobien Teil der Agenda. Richard erzählte, dass er in seinen Grundkurse stets am Anfang erzähle, dass sie ganz am Ende mit Phobien arbeiten würden und er dafür Spinnen, Schlangen, Clowns, Kakerlaken und alles wovor sich Menschen sonst noch so fürchteten, mitbringen würde. In diesem Moment würde stets ein Gruppe Menschen panisch den Raum verlassen, obwohl es noch einiges an Zeit dauern würde, bis die Ausbildung zu Ende sei. Das zeige ihm, dass nicht die Spinne selbst das Problem sei, sondern das Image, das innere Bild, dass diese Menschen von Spinnen haben, Deshalb gehe es nicht darum, Menschen Spinnen näher zu bringen, sondern an deren inneren Bild der Spinne zu arbeiten.

Eure Constance

Sicher unterm jackfriut-Baum

Über die Kompetenzen und Widersprüche unserer Ängste

Angst ist eine Leistung - wirklich!

“Wer Angst hat, hat Zukunft.” G. Schmidt

“Was?”, dachte ich mir, als ich mich im Rahmen der Jahreskonferenz der Milton Erickson Gesellschaft für meinen ersten Workshop bei Gunther Schmidt angemeldet habe. Nun gut, er wird schon wissen, wie er seine Workshops tituliert. Aber Angst und Zukunft…?

Ich war also in Kassel und sollte mich unter der Überschrift “Out of Fear” drei Tage lang mit Ängsten beschäftigen. Ängste sind keineswegs Therapeuten vorbehalten. Auch im Business Coaching lauern sie überall. - Versagensängste, Existenzängste, Angst vor Digitalisierung, Angst nicht gut genug zu sein, Angst nicht mithalten zu können, zum alten Eisen zu gehören, Angst vor der Blamage, Angst vor der Veränderung, Angst vor Gesichtsverlust … Ich kenne sie alle, auch aus dem eigenen Erleben. Warum also nicht drei Tage lang dazulernen, um mich als Coach noch kompetenter mit diesem Thema auseinandersetzen zu können?!

Ich nehme vorweg, das Angebot war riesig. Ich habe mich für zwei Workshops bei Gunther Schmidt entschieden um mehr über hypnosystemische Ansätze in der Arbeit mit Ängsten zu lernen, ich war bei Ortwin Meiss, der sich mit Versagensängsten in Hochleistungssituationen auseinandergesetzt hat. Prof. Bernhard Pörksen hat die durch die moderne Medienlandschaft initiierte Angstspirale beschrieben. Von Tilman Rentel habe ich wertvolle Impulse zur idiolektischen Gesprächsführung für das Coaching bei Angstthematiken bekommen und von Charlotte Cordes und Florian Schwartz durfte ich einiges zur provokativen Szenenarbeit im Coaching lernen. Im Prinzip sollte ich zu jedem einzelnen Workshop einen Blog schreiben. Vielleicht werde ich das auch Schritt für Schritt tun. Allerdings möchte ich heute damit anfangen, davon zu berichten, wie ich am letzten Wochenende meine eigenen Perspektive auf Angst grundlegend verändert habe.

“Die Arme, sie leidet so unter ihren Ängsten!”

Ich gebe zu, so oder so ähnlich schallte es in meinem Kopf, wann immer ich mit den Ängsten anderer konfrontiert wurde. Und dann kam Gunther Schmidt, der erklärte, dass die große Stärke von Menschen mit Ängsten ihre Zukunftsorientierung sei. Angst habe ich für gewöhnlich nicht “nach” etwas, sondern “vor” etwas, also vor etwas, das im zeitlichen Kontext vor mir liegt. Angst blickt konsequent in die Zukunft. Klar spielen hier auch Erfahrungen aus der Vergangenheit eine Rolle, aber der Fokus liegt auf der Zukunft. Überhaupt ist Angst etwas ausgesprochen Kraftvolles und Aktives. So jedenfalls stellte es Gunther Schmidt dar. Wie alle Emotionen hält auch sie uns “in motion”, also in Bewegung, lässt uns aktiv werden.

Das alles klingt nicht besonders bemitleidenswert. Gunther Schmidt fuhr fort und berichtete, dass Angst im Prinzip eine Leistung des Organismus sei, um bestimmte Ziele zu erreichen. Angst darf als Wegweiser in die Sicherheit betrachtet werden, oder wie Gunther Schmidt es beschrieben hat: als Undercover-Verkleidung unserer Sehnsucht nach Sicherheit. Evolutionshistorisch betrachtet waren es Ängste, die wie Bodyguards auf uns aufgepasst haben, dafür gesorgt haben, dass wir in Bewegung geblieben sind, das Ziel der Sicherheit stets im Kopf und im Herzen. Angst als unwillkürliches Phänomen hat also das Überleben der Menschheit gesichert, wird aber in unserer modernen Gesellschaft zunehmend zum Thema.

Mein Haus, mein Auto, meine Ängste und ich

Was ist passiert, auf dem Weg von der Höhle in unsere coolen, neuen Smart-Homes? Die Menschheit hat begonnen das unwillkürliche Phänomen der Angst zu objektivieren und sich damit in ein Opferempfinden manövriert: “Meine Angst, sie ist schuld! ICH will so ja gar nicht reagieren, aber ES passiert einfach!” Mit mir geschieht etwas und ich fühle mich ausgeliefert und hilflos. Die objektivierte Angst übernimmt meinen Körper, meinen Geist, meine Seele. Besessen von den kleinen Dämonen meiner Angst erlebe ich vor allem Ohnmacht oder Handlungsunfähigkeit. Nun ist guter Rat teuer. Was tun, um meine Ängste loszuwerden? Vielleicht wäre es ja hilfreich, im ersten Schritt zu überlegen, ob es überhaupt klug ist, meine Ängste loszuwerden. Immerhin helfen sie mir dabei, zukunftsorientiert zu sein, sie passen auf mich auf und sorgen dafür, dass ich in Bewegung bleibe, in Bewegung Richtung Sicherheit. Will ich in diesen verrückten Zeiten wirklich auf meinen Bodyguard verzichten? Unter Umständen könnte es viel besser sein, meinen Bodyguard einfach wie alle anderen guten Angestellten sicher zu führen, anstatt in rauszuschmeißen.

Mein Bodyguard namens Angst

Wie in der tatsächlichen Mitarbeiterführung ist es auch im Rahmen der Führung meines inneren Teams immanent wichtig jeden einzelnen Mitarbeitenden bestmöglich zu kennen, um ihn als Ressource zielorientiert zum Einsatz zu bringen. Also lasst uns diesen Bodyguard namens Angst etwas besser kennenlernen.

Dieser Bodyguard wird genährt durch meine Aufmerksamkeitsfokussierung auf ein einziges mögliches Szenario in der Zukunft. Wir alle kennen unsere Zukunft nicht. Wir alle haben tausende oder gar millionen mögliche Zukünfte. Unser Bodyguard, die Angst, pickt sich aus all diesen möglichen Szenarien eines heraus, auf das er all unsere Aufmerksamkeit richtet. Wichtig ist es nun zu verstehen, dass unser Bodyguard nicht so vorgeht, um uns zu ärgern. Nein, unser Bodyguard macht das, um bestmöglich auf uns aufzupassen. Wer stets vom Schlimmsten ausgeht, ist jederzeit bestmöglich auf alle Gefahren vorbereitet. Im Verlauf der Evolution hat sich bei uns Menschen eine selektive Priorität für Gefahren entwickelt. Wir alle haben uns aus der Genetik der “Angstbereiten” entwickelt. Die Mutigen waren zu langsam und am Ende nicht in der Lage ihre mutigen Gene weiterzugeben.

So sind wir gut ausgestattet mit den Bodyguards unserer Ängste. Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich davon berichten kann, wie ich mich fühle, wenn mein Bodyguard zur Höchstform aufläuft. Vielleicht gibt es noch andere Menschen, die schon einmal versucht haben, diesen Bodyguard zu bekämpfen und vielleicht bin ich nicht die Einzige, die die Erfahrung gemacht hat, dass der sicherste Weg ein Problem zu verstärken ist, es zu bekämpfen. Druck erzeugt eben immer Gegendruck, auch in der Mitarbeiterführung im innen wie im außen.

Ich werde es zukünftig auf einem anderen Weg versuchen: Ich werde nicht mehr gegen meine Ängste ankämpfen, sondern versuchen meinen Fokus zu verändern. Eine bedrohliche Zukunft macht doch nur dann Angst wenn ich mich ohnmächtig fühle und davon überzeugt bin, dass diese bedrohliche Zukunft meine einzige mögliche Zukunft ist. Ja, das schlimmstmögliche Szenario kann durchaus eintreten, das bestmögliche aber auch. - Und viele andere, die irgendwo dazwischen anzusiedeln sind. Ich gönne mir den Gedanken, dass es gefährlich ist, mit 180 über die Autobahn zu düsen. Lässt mich dieser Gedanke von Todesangst gelähmt zurück? -Oder in Schrittgeschwindigkeit auf dem Standstreifen? Nein, denn es gibt auch viele Szenarien, in denen ich lebend an mein Ziel komme. Mein Bodyguard ist bei mir und passt auf, dass ich nicht zu leichtsinnig oder unachtsam werde, aber er übernimmt nicht mein gesamtes Denken und Handeln. Ich fühle mich nicht fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt.

Ängste im Business Coaching und der Beratung

Was nehme ich für meine Rolle als Coach und Berater mit nachhause? Zum einen natürlich die Idee, dass Ängste nicht etwas Schwaches oder gar Bemitleidenswertes sind, sondern eine großartige Leistung unseres Organismus. Außerdem zeugen sie davon, dass ich ausgesprochen zukunftsorientierte Menschen vor mir habe, wenn mir diese von ihren Ängsten oder Sorgen berichten. Ich werde (noch) wertschätzender mit der großen Kompetenz der Angst umgehen.

Zum anderen denke ich natürlich auch über meine Arbeit mit ganzen Organisationen oder Organisationseinheiten nach. Mein Kernthema heißt Psychological Safety und tagein tagaus mache ich mir Gedanken darüber, wie Organisationen Rahmenbedingungen schaffen können, die die Voraussetzungen für eine Kultur der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit bestmöglich unterstützen. Hierzu habe ich über die Jahre hinweg ein recht gutes Repertoire entwickelt, das ich nach dem Workshop mit Gunther Schmidt besonders in Organisationen, die sich in einem Veränderungsprozess befinden, oder einen solchen planen, um einen Punkt erweitern möchte: Ich werde besonders die Führungskräfte dazu ermuntern, nicht nur eine Zukunftsvision zu entwickeln, sondern mehrere, damit den vielen Bodyguards der Mitarbeitenden möglichst von Anfang an klar ist, dass es nicht nur ein oder zwei Szenarien gibt. Für gewöhnlich sind das ja immer die schöne neue Welt in den Köpfen der Chefs und die überfordernde Horrorvision der Zukunft in den Köpfen der besorgten, skeptischen, ängstlichen Mitarbeitenden. Ich kann mir vorstellen, dass es hilfreich ist, unterschiedliche Szenarien zu zeichnen um den Fokus von Anfang an breiter zu halten.

In diesem Sinne entlasse ich euch in einen wunderschönen Sonntag. Vielen Dank für das Interesse an meinem Blog. Ich melde mich nach Ostern mit ein paar News zu meiner ganz persönlichen Rollenfindung. Seid gespannt, denn bei mir hat sich ein bisschen was getan! -Aber keine Angst, alles recht positiv!

Eure Constance

Out of fear?

-Ich doch nicht! Und das ist gut so.