Über unsere vier Grundängste, über Riemann und Thomann und darüber wie Riemanns Ängste zu Thomanns Ansatz zum Konfliktmanagement werden

Meine Ängste, meine Widersprüche

Der Psychoanalytiker Fritz Riemann, der übrigens in dem Jahr verstorben ist, in dem ich geboren wurde (ich weiß, total überflüssige Zusatzinfo!), veröffentlichte 1961 sein Hauptwerk “Grundformen der Angst”. Hierin erklärt Riemann, dass wir Menschen von vier grundlegenden Ängsten gesteuert werden, von denen sich jeweils zwei quasi als Pärchen diametral gegenüberstehen und dadurch ein inneres Spannungsfeld erzeugen, indem sie uns stetig in die eine oder andere Richtung zerren.

Pärchen Nummer eins sind Distanz und Nähe: die Angst vor zu viel Nähe, sich anderen Menschen voll und ganz anzuvertrauen, alle Masken fallen zu lassen und quasi nackt und wehrlos dazustehen, steht der Angst vor Einsamkeit, Distanz und Isolation gegenüber.

Pärchen Nummer zwei sind Veränderung und Dauer, bzw. Beständigkeit: auf der einen Seite haben wir Angst vor Endgültigkeit und davor in unseren festen Bahnen gefangen zu sein, auf der anderen Seite fürchten wir uns aber auch vor Wandel und Vergänglichkeit. Wer kennt ihn nicht, diesen Satz: eigentlich ist alles gut so wie es ist! Eigentlich!

Die kleinen Teufelchen meiner Ängste…

Ich stelle mir diese Ängste gerne wie kleine Teufelchen vor, die sich permanent darum streiten wer wichtiger ist und aus diesen Streitereien, dem Geziehe und Gezerre entsteht meine Persönlichkeit, meine ganz individuelle Balance, die sich zwischen den extremen Polen meiner Ängste einpendelt. Denn kommt es zu einer absoluten Dominanz einer dieser vier Ängste, drohen laut Riemann ernsthafte Erkrankungen: bei einer starken Dominanz der Angst vor Nähe besteht die Gefahr einer schizoiden, bindungsunfähigen Persönlichkeitsstruktur, während die Angst vor Distanz laut Riemann depressiv macht, die Angst vor Veränderung ruft zwanghafte und die Angst vor Dauer und Beständigkeit hysterische Persönlichkeiten hervor. Verrückt, dass es nach Riemann für emotional gesunde Menschen völlig normal ist, sich gelegentlich hin und her gerissen zu fühlen. Irgendwie aber auch total tröstlich! Innere Zweifel und innerer Dialog nicht nur erlaubt, sondern sogar wünschenswert!

Was wir von den Teufelchen unserer Ängste lernen können

Es war der Psychologe Christoph Thomann, der diese Erkenntnisse Riemanns genommen hat um sich die Frage zu stellen, wie man das Wissen um seine Ängste und somit um seine Persönlichkeit für sich nutzen kann. Thomann hat Riemanns Ansatz zu einem ressourcenorientierten Persönlichkeitsmodell weiterentwickelt, dass nicht nur die Schatten-, sondern auch die Sonnenseiten der einzelnen Persönlichkeitsausprägungen darstellt.

Sich damit zu beschäftigen ist, wie ich finde, extrem sinnvoll, weil eine der Hauptursachen für Konflikte darin liegt, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse oder Werte haben, die natürlich durch deren individuellen Persönlichkeitsstruktur geprägt werden und selbstverständlich sind mir Menschen, die ebenso funktionieren oder reagieren, wie ich selbst, von Natur aus näher, als jene, die grundlegend anders reagieren. Die müssen ja irgendetwas falsch machen! Konflikt!

Also nennen wir die vier kleinen Teufelchen nicht mehr Ängste sondern vier Grundbestrebungen, die dem Menschen inne wohnen. Jeder hat das Bedürfnis nach Nähe, Distanz, Wechsel und Dauer, alles auf einmal, gleichzeitig! Die Frage ist, wie stark sind diese einzelnen Bestrebungen bei mir ausgeprägt. Für all jene, die jetzt Lust bekommen haben, sich selbst einzuordnen, hier eine kleine Hilfestellung:

  • Eine starke Nähe-Orientierung sorgt dafür, dass Menschen kontaktfreudig und ausgleichend sind. Sie sind verständnisvoll und akzeptierend. Im Büro sind sie für Harmonie verantwortlich, sorgen dafür, dass alle die Geburtstagskarten unterschreiben. Sie haben stets einen freien Stuhl an ihren Schreibtischen, der auch gerne genutzt wird, weil man ihnen auf Grund ihrer Offenheit und Warmherzigkeit vertraut. Allerdings vermeiden diese Menschen auch gerne Spannungen und Auseinandersetzungen. Weil es ihnen wichtig ist, gemocht zu werden, können sie nur schwer nein sagen oder ihrem Ärger Ausdruck verleihen.

  • Für Menschen mit einer hohen Distanz-Orientierung gilt das Gegenteil: sie wirken sachlich, kühl, unpersönlich und distanziert. Generell arbeiten Distanz-Menschen gerne alleine. Wenn Teamwork notwendig ist, ist es ihnen wichtig, dass Aufgaben klar verteilt und umrissen sind. Unnötiges “Geschwätz”, wie zum Beispiel in Meetings, mag der Distanz-Typ genauso wenig wie kollegiales Zusammensein nach Feierabend. Allerdings macht ihn das alles auch ausgesprochen abgrenzungsfähig. Er kann gut nein sagen, ist ein ausgezeichneter sachlich-kritischer Beobachter und kann sich auch in Konfliktsituationen klar artikulieren. Auch wenn es hitzig wird, ist es ihm wichtig, sachlich richtige, auf Fakten basierende Entscheidungen zu treffen.

  • Menschen mit einer hohen Dauer-Orientierung sind ordentlich, strukturiert, organisiert, gewissenhaft, verfügen über ein scheinbar perfektes Zeit-Management, sie schätzen Listen und Planungssysteme und haben ein ausgeklügeltes Ablagesystem. Allerdings neigen diese Zeitgenossen auch gerne zu Prinzipienreiterei und Dogmatismus, sind konservativ und kontrollierend und wirken fast schon pedantisch. Neuerungen sehen sie ziemlich kritisch.

  • Im Gegensatz dazu steht der Wechsel-Mensch, der kreativ, flexibel und ausgesprochen phantasievoll durch den Arbeitsalltag flattert. Der Schreibtisch versinkt im Chaos und der Terminkalender ebenso. Er ist spontan, mag Risiken und alles was neu und unkonventionell ist. Er ist charmant und unterhaltsam und bringt verdammt viel Farbe in den Büroalltag. Allerdings weicht er Verpflichtungen, Vorschriften und Gesetzen gerne aus, genauso wie den Konsequenzen seines Handelns. Der Wechsel-Typ hat immer noch ein Hintertürchen, durch das er verschwinden kann, wenn es eng wird. Über Pünktlichkeit und Ordnung muss ich in diesem Zusammenhang wohl eher nicht referieren…

Und? Konntet ihr euch ein bisschen einordnen, auf der X- und auch auf der Y-Achse? Das ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zum erfolgreichem Konfliktmanagement.

Weil ein klein wenig Achtsamkeit nicht schadet

Das wirklich interessante an Konflikten ist, dass sie häufig viel mehr mit uns selbst, als mit unserem Konfliktpartner zu tun haben. Es bringt mich nicht weiter, es ganz furchtbar zu finden, dass der Gegenüber ein so verdammter Dauer-Typ ist, so ein verdammter Pedant, nur weil ich damit konfrontiert wurde, dass es Menschen gibt, die mit meinen chaotischen, bunten, kreativen, schönen und unstrukturierten Ansätzen nichts anfangen können. Klar kann ich mich aufregen oder beleidigt sein, es hilft aber nichts, weil es hier kein Richtig oder Falsch gibt! Ist es richtig, ordentliche und strukturiert zu sein? Oder ist es richtig kreativ und flexibel zu sein? Eben! Dann mal auf zu einer kleinen Schritt für Schritt Anleitung zum Umgang mit Konflikten und zu einer wertfreien Betrachtung meiner Kollegen:

  1. Schritt: Achtsamkeit! Ich muss wissen, wie ich selbst funktioniere, um zu verstehen, warum mich die vermeintlich chaotischen Aussagen meines Kollegen rasend machen, oder warum mich dieses permanente Bla-Bla am Schreibtisch gegenüber so sehr nervt, oder, oder, oder…

  2. Schritt: Wenn ich selbst verstanden habe, was “für ein Typ” ich bin, überlege ich, was denn die Tendenzen meines Gegenübers sind und warum sie mich emotional tangieren. Interessanterweise stellen wir dabei nicht selten fest, dass wir besonders häufig mit Typen aneinandergeraten, die uns selbst in der Riemann-Thomann-Matrix diametral gegenüberstehen! Überraschung!

  3. Schritt: Jetzt wird es super einfach! Ich muss mir eigentlich nur kurz überlegen, was mein Gegenüber für Bedürfnisse in Konflikten hat, diese muss ich befriedigen und Konfliktmanagement wird zum Kinderspiel. Das funktioniert natürlich nur, wenn ich es schaffe, mein Gegenüber WERTFREI zu betrachten und das, was mich nerv nicht als zwangsläufig böse gemeint einzuordnen. Genau dazu habe ich mal einen Blog geschrieben. Es ging um Gewaltfreie Kommunikation und innere Haltung, damals, als mir die Giraffe in den Sekt gespuckt hat (verrückte Geschichte!). Den Link zum Blog findet ihr hier falls ihr nochmal nachlesen möchtet.

Kleine Checkliste für alle Fälle

Damit ihr etwas habt, worauf ihr in einer Akutsituation aufbauen könnt, hier in aller Kürze die Bedürfnisse unserer vier Typen in Konflikten:

Der Nähe-Typ braucht in Konflikten unbedingt das Gefühl, dass es um die Sache und auf keinen Fall um ihn als Person geht. Er benötigt das Gefühl, gemocht und geschätzt zu werden und Vertrauen baut er nur auf, wenn ihm zum einen zugehört wird und sich zum anderen auch sein Gegenüber emotional öffnet. Zur Einleitung kann hier ein wenig Smalltalk Wunder wirken. -Etwas, das der Distanz-Typ so gar nicht mag.

Der Distanz-Typ kann Kritik nur akzeptieren, wenn diese sachlich vorgetragen wird. Er mag klare Aussagen und hasst es, wenn um den heißen Brei herumgeredet wird. Was er übrigens noch mehr hasst, ist wenn man versucht, seine Gefühle und Bedürfnisse zu ergründen. Außerdem braucht er etwas Zeit, um die Situation für sich und mit sich zu klären, weshalb man ihm nach dem Konflikt erstmal in Ruhe lassen sollte. Der Nähe-Typ freut sich im Gegensatz zum Distanz-Typ nach einem Konfliktgespräch wahrscheinlich über einen gemeinsamen Kaffee!

Dauer-Typen brauchen Struktur. Vom Hundertstel ins Tausendstel zu kommen, hilft beim Dauer-Typ nicht weiter. Viel mehr braucht er Zahlen, Daten, Fakten, konkrete Beispiele und eine konkrete Übereinkunft, die von beiden Seiten eingehalten wird, gerne auch schriftlich.

Der Wechsel-Typ braucht vor allem zwei Dinge: Verständnis, bzw. Toleranz für seine Emotionen und Freiraum. Er möchte nicht festgenagelt werden und er möchte nicht dafür verdammt werden, wenn er in der Situation Gefühle zeigt. Außerdem ist es ihm wichtig, offen und flexibel auch nach kreativen Lösungsansätzen suchen zu dürfen. Wenn ihr in ein Konflikt- oder Feedbackgespräch mit einem Wechsel-Typ geht, seid großzügig, er meint es nicht so!

Wir sind doch nicht bei “wünsch-dir-was”!

Klar darf die Frage erlaubt sein, warum ich mich auf mein Gegenüber einstellen sollte. Und natürlich kann mich nichts und niemand dazu zwingen, noch nicht einmal im Business. Das schöne ist, dass ich jederzeit selbst entscheiden kann, ob ich eine bestimmte Situation oder einen Konflikt durch ein Gespräch oder Feedback lösen möchte oder nicht. In Hinblick auf das Businessumfeld gebe ich gerne zu bedenken, dass ein funktionierendes Team meine vielleicht wertvollste Ressource darstellt. Um des Erfolgs Willen sollte ich alles tun, was notwendig ist, um dieses Team in einem guten Performance Bereich zu halten. Mit einem schwelenden Konflikt ist das unmöglich. Und ganz ehrlich, wenn ich in einer solchen Situation immer darauf warte, dass der andere den ersten Schritt auf mich zu macht, mache ich mich erstens selbst zu einem armen, passiven Opfer (wer will das schon) und zum anderen kann es durchaus sein, dass dieser andere, der so viele meiner Ressourcen bindet, weil er mich echt wütend macht, noch gar nicht weiß, dass er einen Konflikt mit mir hat, weil er alles so macht wie immer und sich nichts Böses dabei denkt.

Im Prinzip ist es auch gar nicht schwer, ein erfolgreiches Gespräch zu suchen, noch eh der Konflikt eskaliert. Mit der entsprechenden inneren Haltung wird es mit der Zeit sogar immer leichter! Ich habe für mich festgestellt, dass es mir sehr guttut, meinen Mitmenschen per se erstmal nur die besten und positivsten Motive zu unterstellen. Ich habe mich dazu entschieden, dass es absolut in Ordnung ist, wenn jemand nicht genauso tickt wie ich selbst. Es ist nicht besser oder schlechter, weil jeder Mensch Sonnen- und Schattenseiten mitbringt, die all gleichermaßen wertvoll und wichtig sind. Bringt mich eine Verhaltensweise auf die Palme, unterstelle ich meinem Gegenüber auch erstmal keine bösen Absichten. Vielleicht ist es ausgerechnet die totale Pedanterie meines Kollegen, die mich fast in den Wahnsinn treibt, mir aber auf meinem nächsten Flug das Leben rettet, weil ihm etwas auffällt, das ich total kreativ übersehen habe! Im Job geht es darum und zwar nur darum. Unterschiedlichkeit macht ein Team nun mal erfolgreicher. Nur wenn ich diese Unterschiedlichkeit akzeptiere und respektiere fühlen sich auch meine Kollegen anerkannt und sicher, sicher genug, um den Mund aufzumachen, wenn sie das Gefühl haben, dass etwas schiefläuft. Der Schlüssel zu High Performance im Team! Tja, und da sind wir wieder bei den Giraffen, mir selbst und meiner eigenen inneren Haltung!

Eure Constance

PS: Privat sind total unprofessionelle Streits übrigens voll OK, finde ich!

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Die Riemann-Thomann-Matrix

Und wo ordnet ihr euch ein?