Wie Kapitäne Flugzeugabstürze verhindert haben und was Führungskräfte daraus lernen können

Human Factors Training in der Luftfahrt

Wer meinen Blog mitverfolgt, kann sich vielleicht noch an Kapitän van Zanten erinnern, den ich euch am 23. April kurz vorgestellt habe. Kapitän van Zanten hat recht normale menschliche Verhaltensweisen gezeigt und hat damit 1977 eine Flugzeugkatastrophe verursacht, die 583 Menschen das Leben gekostet hat. Dieses Unglück auf dem Flughafen von Teneriffa hat eine ganze Industrie zum Nachdenken gebracht. Plötzlich hat man festgestellt, dass es nicht ausreicht, Flugzeugtechnik besser und verlässlicher zu machen, damit Fliegen sicherer wird: die Geburtsstunde des Crew Ressource Management oder Human Factors Training. Inhaltlich befassen sich diese für alle Besatzungsmitglieder verpflichtenden Schulungen mit allem, was die Soft-Skill-Charta so mit sich bringt: Kommunikation, Konfliktmanagement, Teammanagement, Führung (und geführt werden!), analytische Entscheidungsfindung, Stressmanagement, Wahrnehmung, Resilienz, Feedback, Fehlermanagement, kulturelle Unterschiedlichkeit, um nur einige zu nennen. Aber im Prinzip kann man das alles unter dem Thema Sicherheitskultur zusammenfassen: Wie gehe ich mit mir selbst um und wie agiere ich im Team, um erfolgreich von A nach B zu kommen. Die Definition von Erfolg ist in diesem Fall, dass keiner verletzt wird oder gar stirbt.

Seit Teneriffa hat sich die Luftfahrt in diesem Bereich rasant weiterentwickelt und fliegen ist tatsächlich immer sicherer geworden. Hierbei lernt die Luftfahrt vor allem aus ihren Fehlern, den großen Unglücken, aber auch den kleinen Zwischenfällen, weshalb eine transparente Fehlerkultur sogar eine behördliche Vorschrift ist. Sie stellt die Grundlage der Weiterentwicklung dar.

Resilienz als neue Perspektive

Das Thema Resilienz ist eines der jüngsten Themen des Trainingsleitfadens der Luftfahrt. Betrachtet man Weiterentwicklung und Lernen aus einer “resilienten Perspektive”, dann lernt man auch durch Erfolge, nicht nur durch Fehler. Und weil es so viel schöner ist, über gerettete Leben zu berichten, als über Tote, möchte ich mir gemeinsam mit euch in den nächsten Minuten zwei ganz besondere Kapitäne anschauen, die durch ihre Art der Führung, ihr Teammanagement, hauptverantwortlich für die Rettung einiger hundert Menschenleben waren. Selbstverständlich schauen wir uns dann im Anschluss an, was jede Führungskraft von diesen beiden Herren lernen kann. Egal ob im Flugzeug, am Schreibtisch, im OP oder im Verkauf, wir alle haben gemein, dass wir Menschen sind, so, wie die Evolution uns hervorgebracht hat. Am Ende sind es immer sehr ähnliche Faktoren, die uns erfolgreich machen, in dem was wir tun. Es ist lediglich unsere Definition von Erfolg, die uns unterscheidet.

Sioux City oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung gehen wir zurück zum 19. Juli 1989 (also etwa 13 Jahre nach Kapitän van Zanten). Wir befinden uns an Bord einer DC10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles geht seinen normalen Weg. Es fällt nur auf, dass besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind. United bot zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm an. Aber zurück zu unserem Flug: alles läuft recht unspektakulär ab, bis es plötzlich knallt und ab diesem Moment fliegt der Flieger irgendwie anders. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung aber höchsten einer der Passagiere. Dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind und der Flieger aus diesem Grund nicht mehr steuerbar ist. Auf ein solches Problem wurden Piloten im Training nicht vorbereit, weil man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (man braucht nur eins zum steuern, Nummer zwei und drei wurden als Redundanz eingebaut) gleichzeitig ausfallen könnten. An diesem Tag ist es aber passiert. Ursächlich war eines der Fanlaufräder eines Triebwerks, welches brach und dessen Fragmente die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlugen.

So sitzt jetzt also unser Kapitän Alfred, oder kurz Al Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Das ist ziemlich ernst. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und sagt, einer der Passagiere hätte sie angesprochen. Er sei DC10 Fluglehrer und er glaube es gebe ein Problem, bei dem er vielleicht behilflich sein könne.

Es ist mehr als ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfallsituationen Passagiere ins Cockpit lassen. Allerdings ist Kapitän Haynes klar, dass er jede nur erdenkliche Ressource nutzen muss, um eine realistische Überlebenschance zu wahren. So waren sie also schließlich zu viert im Cockpit, Kapitän Haynes, sein erster Offizier und sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam hat man schließlich eine Möglichkeit gefunden, das Flugzeug mittels Triebwerksschub zu steuern: rechts mehr Gas für eine Linkskurve, links mehr Gas für ein Rechtskurve. Hört sich einfach an, ist aber extrem schwer. Trotzdem gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen vor Sioux City zu landen. Bei der Landung bricht der Flieger in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben. 185 Menschen überleben. Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen “Katastrophenflug 232” verfilmt hat (mit Charlton Heston als Kapitän Hayney)? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, unter ihnen auch Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Flugsimulator diese beschädigte DC10 zu landen. Alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines Piloten, sondern durch das außergewöhnliche Teammanagement von Kapitän Haynes gerettet. Nur so waren alle Beteiligten in der Lage, ihr volles Potenzial einzubringen.

Kapitän Haynes ist im September letzten Jahres im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew Ressource Management oder Human Factors Schulungen waren, durch die er begriffen hat, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er hat verstanden, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat er sich sogar dazu entschieden, auch einen seiner Passagiere als wertvolle Ressource zu sehen.

Liebe Führungskräfte macht nicht den Fehler euch überlegen zu fühlen und zu glauben, ihr könntet oder wüsstet etwas besser, nur weil ihr Chef seid. Nehmt euch lieber hier und da bewusst Zeit, um das Potenzial eurer Mitarbeiter wahrzunehmen, traut ihnen etwas zu und fördert sie. Kapitän Haynes hatte den Mut, genau das zu tun. Belohnt wurde er mit 30 Jahren mehr Lebenszeit! -und einem Hollywood-Film! Aber was ist schon Hollywood?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Quantas auf dem Weg von Singapur nach Sidney. Neben den 440 Passagieren, befindet sich eine 29 köpfige Besatzung an Bord. Das sind zwei mehr als auf anderen Flügen, weil Kapitän De Crespigny an diesem Tag eine Überprüfung hatte, in Rahmen derer sich ein sogenannter Check-Kapitän die Arbeit des Kapitäns anschaut und beurteilt. Interessanterweise werden auch Check-Kapitäne regelmäßig überprüft und auch das ist auf dem heutigen Flug nach Sydney der Fall. Der Kapitän, der Kapitän De Crespigny überprüft, wird dabei überprüft, ob er sein Überprüfung auch gut und richtig macht. Man kann sich vorstellen, was da im Cockpit los war: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde ich auf dieser Reise versuchen nicht weiter aufzufallen.

Wie dem auch sei, die Geballte Kompetenz güldener Schulterklappen hebt also in einem riesigen Vogel aus Stahl ab gen Sydney. Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall und auf einen Schlag geht im Cockpit die zwanzigfache Menge an Fehlermeldungen ein, die normalerweise im Rahmen von Notfallsimulationen geübt werden. Das ist heftig!

In der Luftfahrt gibt es die Regel, dass in Notfällen immer sofort, nur und ausschließlich der Kapitän, des jeweiligen Fluges die absolute Entscheidungsgewalt hat, auch wenn sich höherrangige Piloten mit im Cockpit befinden. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne war, dass sie sich sofort unterordneten und Kapitän De Crespigny so den Raum hatte, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können. Mal ehrlich liebe Führungskräfte, gebt ihr euren Leuten genügend Raum, um sich entfalten zu können? Ohne Freiraum keine High Performance!

Zurück zu Kapitän De Crespigny und seinen Kollegen und all diesen Fehlermeldungen und Systemausfällen: Unser Kapitän unterbricht schließlich das Fehlermeldungs-Referat seines Co-Piloten, weil es ihm nicht helfe, zu hören, was alles nicht funktioniere (die Liste war sehr, sehr, sehr lang). Er müsse jetzt wissen was funktioniere, damit man sehen könne, womit man noch arbeiten (sprich fliegen) kann. Gemeinsam erarbeiten die Männer Möglichkeiten, dieses riesige Flugzeug zu steuern und entscheiden nach Singapur zurück zu fliegen. Die beiden Check-Kapitäne errechnen schließlich mittels Computer die Landedaten, die sicher stellen sollen, dass der Flieger im Anflug schnell genug ist, um keinen Strömungsabriss zu erleiden, dabei aber trotzdem langsam genug um vor dem Ende der Landebahn zum Stehen zu kommen. Schließlich geben sie die Zahlen an ihre Kollegen weiter.

Einen kurzen Moment später ergreift der Co-Pilot, das kleinste Licht im Schatten der Hierarchie-Sterne, das Wort und teilt mit, dass er glaube, dass die Zahlen, die die beiden Check-Kapitäne mittels eines dafür produzierten Computerprogramms errechnet haben, falsch sein müssten. Lebensmüde oder größenwahnsinnig könnte man sich da fragen. Aber Fakt war, dass der Co-Pilot recht hatte. Der Computer hat falsche Zahlen ausgeworfen, die zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny beriet sich mit seinen Kollegen und vertraute schließlich seinem Co-Piloten. Die Landedaten wurden angepasst und der Flieger konnte sicher in Singapur landen, 469 Menschen waren gesund und unverletzt!

Kapitän De Crespigny wurde zurecht als Held gefeiert, auch wenn er recht bescheiden erklärte, dass das einfach nur eine guten Teamleistung war, in der man mehrere Gehirne zu einem verschmolzen habe. Aber Fakt ist, das hat nur funktioniert, weil Kapitän De Crespigny eine Arbeitsatmosphäre geschaffen hat, die dafür gesorgt hat, dass jeder im Team, auch der Co-Pilot das Gefühl fachlicher Gleichberechtigung hatte. Zudem hatte der Co-Pilot durch seinen Vorgesetzten das Gefühl der Psychologischen Sicherheit (kleiner Seitenhieb auf die Harvard-Professorin Amy C. Edmondson), das er benötigte, um seine Zweifel frei aussprechen zu können.

Liebe Führungskräfte, haben eure Leute das Vertrauen und die Sicherheit, die sie benötigen, um euch im Zweifelsfall vor einem großen Fehler zu bewahren? Als ich vor Jahren Purser, sprich Kabinenchef, wurde, war das die Frage, die mich vor, während und nach jedem Flug sehr intensiv beschäftigt hat. Sie beschäftigt mich bis heute. Ich finde jede Führungskraft ist gut beraten, sich darüber immer mal wieder Gedanken zu machen.

Puh, das war jetzt viel Luftfahrt und viel Technik. Aber ich hoffe, ich konnte euch mit diesem kleinen Exkurs zwei wirklich besondere Männer näher bringen, die vor allem eines eint: Das Wissen um und das Vertrauen auf die Fähigkeiten ihrer Leute, gepaart mit einer realistischen Bescheidenheit bezüglich der eigenen Fähigkeiten! Sie sind oder waren Führungskräfte, aber sie sind weder Superman, noch Gott! Ihnen war in absoluten Hochstresssituationen bewusst, dass zwei ihrer wertvollsten Trümpfe das Können und das Wissen ihrer Mitarbeiter waren. Ein verdammtes Erfolgsrezept meine Damen und Herren Führungskräfte!

Das war’s für heute. Ich wünsche euch einen sonnigen Sonntag und wer noch nicht genug von mir hat, darf gerne mal bei den Blogrebellen vorbei schauen. Über diesen Kanal wurde letzte Woche ein Artikel von mir veröffentlicht, in dem ich mich mit einem absoluten Herzensthema auseinandersetze! Hier der Link!

Eure Constance

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Über den Wolken… lalalala…

Weil eigentlich nur Fliegen schöner ist!

"Hab ich's dir nicht gesagt?!" mfG, dein Bauchgefühl

Das war ja klar…

Jeder kennt diesen Moment… Das Bauchgefühl hat deutlich gewarnt, der Kopf hat gesagt, dass Bauchentscheidungen unprofessionell sind und alles ging gehörig in die Hose. Was bleibt ist dieses “ach hätte ich doch auf den Bauch gehört” und die Gewissheit, dass man dieses Gefühl wahrscheinlich auch beim nächsten Mal zu Gunsten unserer Ratio ignorieren wird. Bauchgefühle und Intuitionen sind eben einfach nicht zeitgemäß, esoterischer Hokuspokus!

Hokuspokus, doch real?

Interessant finde ich aber, dass wir alle ganz genau wissen, wie sich dieser Hokuspokus anfühlt, weil wir ihn alle kennen. Diese Gefühl ist so gegenwärtig, dass man sich ruhig einmal fragen darf, ob dieses Bauchgefühl vielleicht doch etwas ganz Reales ist, viel greifbarer, als wir alle denken. Meine kleinen, laienhaften Ausflüge in die Wissenschaft sind ja inzwischen hinlänglich bekannt. Weil diese Ausflüge einfach so unglaublich viel erklären, möchte ich auch meinen Beitrag zum Bauchgefühl und wie wir es vielleicht für uns nutzen können, anstatt es zu ignorieren, mit einem Ausflug in die Wissenschaft beginnen.

Von dieser dichten Anzahl an Nervenzellen in unserem Kopf, die wir Gehirn nennen, habe ich ja schon häufiger berichtet! Das kennen wir, auch wenn wir es manchmal nicht so wirklich verstehen. Eine weitere Ansammlung von Nervenzellen ist das Rückenmark. Auch davon haben wir alle gehört. Es gibt aber noch ein drittes Nervensystem in unserem Körper, das den meisten so nicht bekannt ist. Dieses System nennt sich enterisches Nervensystem (ENS), oder auch einfach Bauchhirn und befindet sich, wie der Name schon sagt, im Bauch. Genauer gesagt befindet es sich als dünne Schicht zwischen den Muskel des gesamten Verdauungstraktes. Es arbeitet, wie unser Kopfhirn auch mit Neurotransmittern und besteht aus etwa 100 bis 200 Millionen Nervenzellen. Das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass Hunde (die ja durchaus als intelligent gelten) etwa 160 Millionen Nervenzellen in ihrer “Kopfhirnrinde” haben.

Ist unser Bauch also in etwa so klug wie ein Schäferhund? Sind Schäferhunde in der Lage, gefährliche Situationen im Vorfeld zu erkennen? Das wären so die Fragen, mit welchen man anfangen könnte, diesen Hokuspokus zu erklären.

Das enterische Nervensystem

Ursprünglich ging man davon aus, dass das ENS für die Verdauung verantwortlich ist. Es arbeitet hierbei vollkommen autonom. Oder ist es jemanden von euch schon einmal gelungen, seine Verdauung über sein Gehirn oder seine Willenskraft zu beeinflussen? Eben! Es macht was es will. Inzwischen hat die Forschung jedoch herausgefunden, dass dieses Bauchhirn zwar autonom arbeitet, aber doch nicht so ganz unabhängig ist. Es gibt eine Verbindung oder Datenautobahn zwischen unserem Kopf- und unserem Bauchhirn. Interessant hierbei ist, dass etwa 90 Prozent aller Infos von unten nach oben gehen. Diese, recht einseitig genutzte Datenautobahn ist wohl Teil des Vagusnervs, unser Ruhenerv, der seine Informationen direkt in unser Gefühlshirn, das Limbische System, liefert. So nimmt unser Bauchhirn auch direkt Einfluss auf unsere Gefühle, unser Wohlbefinden. Einige Wissenschaftler vermuten nun, dass unser Bauchhirn, ähnlich wie unser Kopfhirn, Empfindungen speichert und immer wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen, sucht der Kopf nach ähnlichen Situationen und überprüft die dazu gespeicherten Gefühle, nicht nur die im Kopf, sondern auch die im Bauch. Die Entscheidung trifft am Ende der Kopf, aber tatsächlich scheint unser enterisches Nervensystem ein wichtiger Teil des Entscheidungsfindungsprozesses zu sein.

Die große Frage ist nun, was mache ich, als Mensch, jetzt aus diesem Wissen um mein kleines Zweithirn? Möglichkeit eins wäre, einfach weiterhin mein Bauchgefühl zu ignorieren, weil Intuition ja esoterisch und wenig professionell ist und Möglichkeit zwei wäre, immer schön den Bauch entscheiden lassen, dann muss man weniger denken.

Holen wir an dieser Stelle nochmal unseren Freund den Hund aufs Spielfeld, wäre das in etwa so: Auf dem Spaziergang weigert sich unser Hund mit allem was er hat, einen bestimmten Weg entlang zu laufen. Geben wir den Instinkten unseres Hundes hier immer nach, würde wir gegebenenfalls nie mehr nachhause kommen, statt dessen beim lokalen Metzgereibetrieb landen. Ignorieren wir die Instinkte unseres Hundes konsequent, geraten wir womöglich in einen Hinterhalt und werden ausgeraubt. Beides nicht wirklich zielführend.

Es muss also irgendwie noch eine dritte Option geben. Ich persönlich bin kein Freund davon, Instinkten oder Bauchgefühlen blind zu folgen, vielmehr glaube ich, es ist gut, mein Bauchgefühl bewusst zur Kenntnis zu nehmen und dann ganz bewusst nachzuforschen, woher es kommt, um danach eine Entscheidung zu treffen, unter Berücksichtigung aller mir zur Verfügung stehenden Ressourcen. Vielleicht hat mein Hund ja auch einfach nur eine total irrationale Angst vor roten Bällen und irgendwo versteckt hinter einer Mülltonne liegt einer… Keine Gefahr für mich und der Hund muss da eben durch!

Bauchgefühl und Selbstschutz

Dieses Bauchgefühl kann uns in vielen Bereichen unseres Lebens, beruflich wie privat, gute Dienste leisten. Im Rahmen unserer Deeskalations- und Selbstschutzschulungen arbeiten mein Co-Trainer und ich tatsächlich sogar bewusst damit. Unsere Workshops haben für gewöhnlich einen ein bis zweitägigen zeitlichen Umfang. Machen wir uns nichts vor, in dieser Zeit bildet man niemanden zum versierten Kämpfer in Sachen Selbstverteidigung aus. Anbieter, die etwas derartiges versprechen, sind schlicht und ergreifend nicht seriös. Was man aber auch in ein oder zwei Tagen leisten kann, ist als erstes das Gefahrenbewusstsein der Teilnehmer zu schärfen. Hierbei ist es tatsächlich unser Bauch, der meistens als erstes Alarm schlägt. Tut er das, sollte der Kopf schleunigst nachschauen warum. Hat der Kopf umrissen, was genau die Gefahr ist (hierzu gibt es im Rahmen unserer Workshops natürlich auch Anleitungen und Checklisten), sollte der Kopf einen schnellen Plan machen, um sich der Gefahr zu entziehen. Weglaufen ist tatsächlich die beste und effektivste Selbstschutzmaßnahme. Allerdings können viele unsere Teilnehmer besonders im beruflichen Umfeld nicht immer weglaufen, weil da ja noch ein Patient am Boden liegt, ein Haus brennt oder die Fluchtwege abgeschnitten sind. An dieser Stelle gibt es durchaus noch Möglichkeiten zur verbalen Deeskalation. Erst wenn auch das fehlschlägt, ist das gezielte Setzen eines Schmerzreizes (durch schlagen oder treten) eine letzte Möglichkeit, um sich ein Fluchtfenster zu erarbeiten, oder um den Angreifer gegebenenfalls im Team erstmal ruhig zu stellen. Wichtig ist hierbei, dass ich mich im Vorfeld mit dem Zuschlagen als Handlungsoption einmal auseinandergesetzt habe, es im besten Fall auch einmal geübt habe (beides tun wir im Rahmen unserer Workshops selbstverständlich), damit unser super gestresstes Gehirn in dieser Situation überhaupt in der Lage ist, diesen Joker zu ziehen und dann auch den Körper zum Weglaufen zu bewegen. Aber wie gesagt, alles das kann ich mir vielleicht sparen, wenn ganz zu Beginn der Situation mein Kopf und mein Bauch gut zusammengearbeitet haben.

Kann das Bauchhirn dann auch Parkinson bekommen?

Zum Abschluss noch ein kleiner Fun-Fact aus der Forschung: Da das enterische Nervensystem ähnlich unserem Gehirn aufgebaut ist, haben sich Forscher irgendwann gefragt, ob es denn dann vielleicht auch die gleichen Krankheiten bekommen kann, wie unser Gehirn. Sprich kann mein Bauch auch depressiv werden, Alzheimer oder Parkinson bekommen? Liegt ja schon irgendwie nahe. Und siehe da, zumindest im Falle von Parkinson ist die Wissenschaft bereits fündig geworden. So wurden bei Parkinson-Patienten im enterischen Nervensystem ähnliche charakteristische Veränderungen festgestellt, wie im Gehirn. Besonders interessant ist hierbei, dass diese Veränderungen im enterischen Nervensystem noch vor den Veränderungen im Gehirn auftreten und Patienten wohl schon langen vor dem Auftreten erster Veränderungen im Gehirn an Magen-Darm-Beschwerden leiden. Das könnte bei der Früherkennung von Parkinson zukünftig sicher eine Rolle spielen. Insgesamt steckt die Forschung hinsichtlich unseres Bauchhirn noch in den Kinderschuhen, aber fest steht auf jeden Fall, dass unser Bauch so viel mehr ist, als ein Verdauungsorgan. Irgendwie ist er auch eine Art Fenster zu unserem Kopf und zu unseren Gefühlen. Mit diesem Wissen wäre es doch töricht, unseren Bauch zu ignorieren, oder?

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen wunderschönen Muttertag, ein Tag, an dem wir Frauen feiern, die ganz oft ihren Instinkten und ihrem Bauch folgen und so die wahrscheinlich komplexeste Aufgabe der Zivilisation mit Bravour erledigen: das Großziehen von Kindern!

Eure Constance

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Ode ans Bauchgefühl

Irgendetwas stimmt doch da nicht…

Als mir die Giraffe in den Sekt gespuckt hat! Ausflug in die Gewaltfreie Kommunikation

Manchmal ist das Leben verrückter, als es jede Geschichte sein könnte. Ja, mir hat tatsächlich mal eine Giraffe in den Sekt gespuckt, vor einigen Jahren während eines Sundowners außerhalb von Mombasa. Damals dachte ich, dass das verrückteste daran sei, dass einer meiner Mitreisenden so geistesgegenwärtig war, diesen Moment im Bild festzuhalten. Heute finde ich einen anderen Aspekt noch viel bemerkenswerter: Es war just an diesem Tag, an dem ich angefangen habe, mich auf meine Ausbildung zum Mediator vorzubereiten, während welcher ich mich unter anderem auch sehr ausführlich mit dem Thema der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg beschäftigt habe. Und Giraffen spielen in diesem System eine absolut herausstechende Rolle!

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Perspektivwechsel

Ob die Giraffe weiß, dass sie mir in den Sekt spuckt? Wenn ja, war es Absicht? -Um mich zu ärgern, oder weil Alkohol ungesund ist?

Gewaltfreie Kommunikation

Aber genug zu meinen skurrilen Reiseberichten und hin zum eigentlichen Thema und was Giraffen damit zu tun haben. Den Begriff der gewaltfreien Kommunikation hat sicher jeder irgendwann einmal in irgendeinem Zusammenhang gehört und da die Begrifflichkeit prinzipiell selbsterklärend ist, kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen, dass es bei Gewaltfreier Kommunikation um das menschliche Miteinander geht. Wer jetzt noch eins und eins zusammenzählt, könnte zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es sich hierbei auch um eine Kommunikationsstrategie handelt. Tatsächlich ist diese reine Strategie, die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation, gar nicht kompliziert, recht schnell zu verstehen und auch kognitiv zu verinnerlichen. Was meiner Meinung nach das wirklich bahnbrechend Interessante ist, ist die innere Haltung, die der Gewaltfreien Kommunikation zu Grunde liegt und welche die erfolgreiche Umsetzung der vier Schritte Gewaltfreier Kommunikation überhaupt erst möglich macht. Aus diesem Grund möchte ich in den nächsten acht bis zehn Minuten kurz die Ursprünge und die innere Haltung der Gewaltfreien Kommunikation ein wenig beleuchten. Wer einfach nur die vier Schritte lernen möchte, möge sich bitte ein Buch kaufen oder Google befragen!

Rosenbergs gewaltvoller Weg zur Gewaltfreien Kommunikation

Zurück geht die Gewaltfreie Kommunikation auf den US amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg, der im Detroit der vierziger und fünfziger Jahre als Arbeiterkind groß wurde. Wer jetzt denkt, dass der Vater der Gewaltfreien Kommunikation mit Sicherheit sehr behütet und gewaltfrei großgeworden ist, den muss ich enttäuschen. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Immer wieder sammelte der junge Marshall heftige Gewalterfahrungen. 1943 konnte er auf Grund von Rassenunruhen vier Tage lang das Haus nicht verlassen. In direkter Nachbarschaft starben mehrere Menschen. Auch jenseits dieser Unruhen erlebte Marshall als Jude regelmäßig rassistische Hänseleien, Diskriminierung und Gewalt seitens seiner Mitschüler. Irgendwann begann er sich zu wehren, was zu zahlreichen Schulhofschlägereien führte, die regelmäßig auch zu Krankenhausaufenthalten beigetragen haben. Also alles andere als gewaltfrei, der kleine Marshall!

Allerdings erlebte Marshall sein Zuhause trotz allem als Ort der Einfühlsamkeit und Wärme. So kümmerten sich seine Eltern gemeinsam mit seinem Onkel hingebungsvoll um drei pflegebedürftige Angehörige, die mit im Elternhaus lebten. Diese Gegensätze ließen Marshall Rosenberg zu den Fragen kommen, die ihn schließlich dazu gebracht haben, Psychologie zu studieren: Warum schaffen es manche Menschen selbst unter widrigsten Umständen einfühlsam oder empathisch zu bleiben? Und lässt sich diese einfühlsame Haltung vielleicht sogar bewusst erlernen und weitergeben? Diese großen Fragen hielten ihn jedoch nicht davon ab, zu Beginn seines Studiums zunächst einmal sein Macho-Image zu pflegen, in dem er recht regelmäßig äußerst feucht-fröhlich feierte und auch der ein oder anderen handfesten körperlichen Auseinandersetzung nicht abgeneigt war. Gut, der ein oder andere sagt jetzt normales Studie-Leben, aber für jemanden, der Einfühlsamkeit verstehen wollte, eine recht interessante Herangehensweise.

Wie dem auch sei, irgendwann trat in Person von Carl Rogers ein Professor in Rosenbergs Leben, der half Orientierung zu geben. Rogers Theorie, dass es für eine helfende (oder therapeutische) zwischenmenschliche Beziehung unbedingt Emapthiefähigkeit, Aufrichtigkeit und Respekt braucht, hat Rosenberg den benötigten Antrieb auf seinem Weg zur Gewaltfreien Kommunikation gegeben.

Von Giraffen und Wölfen

Rosenbergs Grundannahme ist, dass es zwei Arten von Sprache gibt: die gewaltvolle und die gewaltfreie. Da Rosenberg es in den sechziger und siebziger Jahren als eine seiner Hauptaufgaben sah, die breite Masse, Erwachsene wie Kinder, in Gewaltfreier Kommunikation zu unterrichten, entwickelte er die Giraffe und den Wolf als Metapher für diese beiden Arten von Sprache.

Liebe Hundeliebhaber, an dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, dass diese beiden Kategorien Rosenbergs in keinster Weise wertend zu sehen sind. Es geht darum, zwei unterschiedliche Arten von Kommunikation möglichst greifbar zu machen und schon einmal vorweg: Beide Arten der Kommunikation, oder der ihnen zu Grunde liegenden Haltungen, haben eine Daseinsberechtigung.

Der Wolf heult immer sofort los, wenn er Schmerzen hat, ihm etwas nicht passt oder fehlt. Dabei zeigt der Wolf seinem Gegenüber spitze, Angst einflößende Zähne. Diese Zähne sollen ein Sinnbild dafür sein, dass man mit Sprache zubeißen kann, zubeißen durch Abwertung oder Wertung allgemein (auch Lob ist in Rosenbergs System “wölfisch”), Drohung, Schuldzuweisung, oder dem oft gut gemeinten Klau von Themen (“Das kenne ich, das ist bei mir auch immer so/noch schlimmer…”).

Die große Giraffe hat im Gegensatz zum Wolf immer einen wunderbaren Überblick, ist ruhig und besonnen. Sie hat zwei Antennen auf dem Kopf, damit sie noch besser wahrnehmen kann. Ihre Zunge kann selbst durch Dornen nicht verletzt werden und sie hat das größte Herz in der Tierwelt.

Wie gesagt, Wolf und Giraffe stehen nicht für gut und böse, sie stehen vielmehr für zwei unterschiedliche Möglichkeiten oder Gewohnheiten, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, übrigens auch die eigenen. Hierbei wird unserem inneren Wolf eine ganz wichtige Rolle zuteil: er ist nämlich ein permanenter Anwalt unserer Bedürfnisse. Durch sein Geheule engagiert er sich sehr deutlich für die Erfüllung unserer Bedürfnisse. Allerdings heult der Wolf oft so laut und wild, dass es nicht einfach ist, diese Bedürfnisse wirklich herauszufiltern, weder bei anderen noch bei uns selbst. Hierfür benötigen wir die feinen Antennen der Giraffe, die aus all diesem Chaos die Gefühle und Bedürfnisse des heulenden Wolfes herausfiltern kann. Dazu ist etwas Abstand elementar, außerdem eine wohlwollende und positive Grundhaltung (ja, Wolfsgeheule kann echt nervig sein, aber hey, der arme Wolf macht das ja nicht aus Spaß oder um mich zu ärgern, sondern weil er ein echtes Problem hat, ihm etwas fehlt). Außerdem werten Rosenbergs Giraffen nicht. Eine Unterscheidung zwischen richtig und falsch, gut und böse gibt es in Rosenbergs Giraffenwelt nicht.

Das aus meiner Sicht schwierigste an der Gewaltfreien Kommunikation ist tatsächlich das Einnehmen der inneren Haltung der Giraffe. Oft gelingt es uns ja noch nicht einmal mit uns selbst wohlwollend und positiv zu sein. In der Kommunikation mit mir selbst wähle ich intuitiv eigentlich immer die Wolfssprache. Ich muss mich immer regelrecht zusammenreißen und konzentrieren, um mich selbst aus der Giraffenperspektive zu beobachten und so etwas wohlwollender mit mir selbst zu sprechen. Mit den Jahren der Übung fällt mir dieser Perspektivwechsel immer leichter, trotzdem muss ich mich noch immer bewusst dazu entscheiden.

Selbstreflexion als erster Schritt

Wie sprecht ihr denn mit euch selbst? Keine Sorgen, innere Dialoge sind völlig normal. Es gibt sogar Kommunikationsforscher, die der Meinung sind, dass wir etwa 90 Prozent all unserer Kommunikation im inneren Dialog verbringen. Um so wichtiger ist es doch, dass wir gut mit uns umgehen, großzügig mit uns selbst sind und in der Lage sind uns selbst und unsere Bedürfnisse zu verstehen. Vielleicht entscheidet ihr euch ja beim nächsten mal, wenn es in euch so richtig am brodeln ist, der Wolf heult und ihr am liebsten die Zähne zeigen würdet (wem auch immer), mal die Giraffenperspektive einzunehmen und in Giraffensprache zu kommunizieren: Das heißt, ihr beobachtet euch zunächst einmal und hört euch gut zu. Versucht im ersten Schritt eure Gefühle zu benennen und im zweiten Schritt die Bedürfnisse zu greifen, die sich hinter diesen Gefühlen verstecken. Der abschließende Schritt ist dann um die Erfüllung, Stillung, Befriedigung eurer Bedürfnisse zu bitten. Denn erst wenn das Bedürfnis gestillt ist, sind auch die Gefühle weg, die euch zum heulen gebracht haben.

Wenn ihr es schafft, mit euch selbst “giraffisch” zu sprechen, könnt ihr dann im zweiten Schritt auch mal versuchen, eure Antennen auf das Wolfsheulen der anderen zu richten, um durch empathisches und wertfreies Zuhören und vielleicht durch das Stellen der richtigen Fragen die Gefühle und Bedürfnisse eures Gegenübers zu verstehen.

Eigentlich ist Gewaltfreie Kommunikation nicht schwer. Schwer ist es manchmal Giraffe zu sein…

Alles das erklärt natürlich noch immer nicht, warum diese Giraffe sich dazu entschieden hat, mir in den Sekt zu spucken. Ich empfand das alles andere als gewaltfrei! Aber ich bin ja großzügig und habe ein großes Herz, deshalb will ich dieser Giraffe nichts unterstellen und nehme es lediglich wertfrei zur Kenntnis! Und hey, wem hat schon mal eine Giraffe in den Sundowner gespuckt???

Eure Constance