siebter Sinn

"Hab ich's dir nicht gesagt?!" mfG, dein Bauchgefühl

Das war ja klar…

Jeder kennt diesen Moment… Das Bauchgefühl hat deutlich gewarnt, der Kopf hat gesagt, dass Bauchentscheidungen unprofessionell sind und alles ging gehörig in die Hose. Was bleibt ist dieses “ach hätte ich doch auf den Bauch gehört” und die Gewissheit, dass man dieses Gefühl wahrscheinlich auch beim nächsten Mal zu Gunsten unserer Ratio ignorieren wird. Bauchgefühle und Intuitionen sind eben einfach nicht zeitgemäß, esoterischer Hokuspokus!

Hokuspokus, doch real?

Interessant finde ich aber, dass wir alle ganz genau wissen, wie sich dieser Hokuspokus anfühlt, weil wir ihn alle kennen. Diese Gefühl ist so gegenwärtig, dass man sich ruhig einmal fragen darf, ob dieses Bauchgefühl vielleicht doch etwas ganz Reales ist, viel greifbarer, als wir alle denken. Meine kleinen, laienhaften Ausflüge in die Wissenschaft sind ja inzwischen hinlänglich bekannt. Weil diese Ausflüge einfach so unglaublich viel erklären, möchte ich auch meinen Beitrag zum Bauchgefühl und wie wir es vielleicht für uns nutzen können, anstatt es zu ignorieren, mit einem Ausflug in die Wissenschaft beginnen.

Von dieser dichten Anzahl an Nervenzellen in unserem Kopf, die wir Gehirn nennen, habe ich ja schon häufiger berichtet! Das kennen wir, auch wenn wir es manchmal nicht so wirklich verstehen. Eine weitere Ansammlung von Nervenzellen ist das Rückenmark. Auch davon haben wir alle gehört. Es gibt aber noch ein drittes Nervensystem in unserem Körper, das den meisten so nicht bekannt ist. Dieses System nennt sich enterisches Nervensystem (ENS), oder auch einfach Bauchhirn und befindet sich, wie der Name schon sagt, im Bauch. Genauer gesagt befindet es sich als dünne Schicht zwischen den Muskel des gesamten Verdauungstraktes. Es arbeitet, wie unser Kopfhirn auch mit Neurotransmittern und besteht aus etwa 100 bis 200 Millionen Nervenzellen. Das ist eine Menge, wenn man bedenkt, dass Hunde (die ja durchaus als intelligent gelten) etwa 160 Millionen Nervenzellen in ihrer “Kopfhirnrinde” haben.

Ist unser Bauch also in etwa so klug wie ein Schäferhund? Sind Schäferhunde in der Lage, gefährliche Situationen im Vorfeld zu erkennen? Das wären so die Fragen, mit welchen man anfangen könnte, diesen Hokuspokus zu erklären.

Das enterische Nervensystem

Ursprünglich ging man davon aus, dass das ENS für die Verdauung verantwortlich ist. Es arbeitet hierbei vollkommen autonom. Oder ist es jemanden von euch schon einmal gelungen, seine Verdauung über sein Gehirn oder seine Willenskraft zu beeinflussen? Eben! Es macht was es will. Inzwischen hat die Forschung jedoch herausgefunden, dass dieses Bauchhirn zwar autonom arbeitet, aber doch nicht so ganz unabhängig ist. Es gibt eine Verbindung oder Datenautobahn zwischen unserem Kopf- und unserem Bauchhirn. Interessant hierbei ist, dass etwa 90 Prozent aller Infos von unten nach oben gehen. Diese, recht einseitig genutzte Datenautobahn ist wohl Teil des Vagusnervs, unser Ruhenerv, der seine Informationen direkt in unser Gefühlshirn, das Limbische System, liefert. So nimmt unser Bauchhirn auch direkt Einfluss auf unsere Gefühle, unser Wohlbefinden. Einige Wissenschaftler vermuten nun, dass unser Bauchhirn, ähnlich wie unser Kopfhirn, Empfindungen speichert und immer wenn es darum geht, eine Entscheidung zu treffen, sucht der Kopf nach ähnlichen Situationen und überprüft die dazu gespeicherten Gefühle, nicht nur die im Kopf, sondern auch die im Bauch. Die Entscheidung trifft am Ende der Kopf, aber tatsächlich scheint unser enterisches Nervensystem ein wichtiger Teil des Entscheidungsfindungsprozesses zu sein.

Die große Frage ist nun, was mache ich, als Mensch, jetzt aus diesem Wissen um mein kleines Zweithirn? Möglichkeit eins wäre, einfach weiterhin mein Bauchgefühl zu ignorieren, weil Intuition ja esoterisch und wenig professionell ist und Möglichkeit zwei wäre, immer schön den Bauch entscheiden lassen, dann muss man weniger denken.

Holen wir an dieser Stelle nochmal unseren Freund den Hund aufs Spielfeld, wäre das in etwa so: Auf dem Spaziergang weigert sich unser Hund mit allem was er hat, einen bestimmten Weg entlang zu laufen. Geben wir den Instinkten unseres Hundes hier immer nach, würde wir gegebenenfalls nie mehr nachhause kommen, statt dessen beim lokalen Metzgereibetrieb landen. Ignorieren wir die Instinkte unseres Hundes konsequent, geraten wir womöglich in einen Hinterhalt und werden ausgeraubt. Beides nicht wirklich zielführend.

Es muss also irgendwie noch eine dritte Option geben. Ich persönlich bin kein Freund davon, Instinkten oder Bauchgefühlen blind zu folgen, vielmehr glaube ich, es ist gut, mein Bauchgefühl bewusst zur Kenntnis zu nehmen und dann ganz bewusst nachzuforschen, woher es kommt, um danach eine Entscheidung zu treffen, unter Berücksichtigung aller mir zur Verfügung stehenden Ressourcen. Vielleicht hat mein Hund ja auch einfach nur eine total irrationale Angst vor roten Bällen und irgendwo versteckt hinter einer Mülltonne liegt einer… Keine Gefahr für mich und der Hund muss da eben durch!

Bauchgefühl und Selbstschutz

Dieses Bauchgefühl kann uns in vielen Bereichen unseres Lebens, beruflich wie privat, gute Dienste leisten. Im Rahmen unserer Deeskalations- und Selbstschutzschulungen arbeiten mein Co-Trainer und ich tatsächlich sogar bewusst damit. Unsere Workshops haben für gewöhnlich einen ein bis zweitägigen zeitlichen Umfang. Machen wir uns nichts vor, in dieser Zeit bildet man niemanden zum versierten Kämpfer in Sachen Selbstverteidigung aus. Anbieter, die etwas derartiges versprechen, sind schlicht und ergreifend nicht seriös. Was man aber auch in ein oder zwei Tagen leisten kann, ist als erstes das Gefahrenbewusstsein der Teilnehmer zu schärfen. Hierbei ist es tatsächlich unser Bauch, der meistens als erstes Alarm schlägt. Tut er das, sollte der Kopf schleunigst nachschauen warum. Hat der Kopf umrissen, was genau die Gefahr ist (hierzu gibt es im Rahmen unserer Workshops natürlich auch Anleitungen und Checklisten), sollte der Kopf einen schnellen Plan machen, um sich der Gefahr zu entziehen. Weglaufen ist tatsächlich die beste und effektivste Selbstschutzmaßnahme. Allerdings können viele unsere Teilnehmer besonders im beruflichen Umfeld nicht immer weglaufen, weil da ja noch ein Patient am Boden liegt, ein Haus brennt oder die Fluchtwege abgeschnitten sind. An dieser Stelle gibt es durchaus noch Möglichkeiten zur verbalen Deeskalation. Erst wenn auch das fehlschlägt, ist das gezielte Setzen eines Schmerzreizes (durch schlagen oder treten) eine letzte Möglichkeit, um sich ein Fluchtfenster zu erarbeiten, oder um den Angreifer gegebenenfalls im Team erstmal ruhig zu stellen. Wichtig ist hierbei, dass ich mich im Vorfeld mit dem Zuschlagen als Handlungsoption einmal auseinandergesetzt habe, es im besten Fall auch einmal geübt habe (beides tun wir im Rahmen unserer Workshops selbstverständlich), damit unser super gestresstes Gehirn in dieser Situation überhaupt in der Lage ist, diesen Joker zu ziehen und dann auch den Körper zum Weglaufen zu bewegen. Aber wie gesagt, alles das kann ich mir vielleicht sparen, wenn ganz zu Beginn der Situation mein Kopf und mein Bauch gut zusammengearbeitet haben.

Kann das Bauchhirn dann auch Parkinson bekommen?

Zum Abschluss noch ein kleiner Fun-Fact aus der Forschung: Da das enterische Nervensystem ähnlich unserem Gehirn aufgebaut ist, haben sich Forscher irgendwann gefragt, ob es denn dann vielleicht auch die gleichen Krankheiten bekommen kann, wie unser Gehirn. Sprich kann mein Bauch auch depressiv werden, Alzheimer oder Parkinson bekommen? Liegt ja schon irgendwie nahe. Und siehe da, zumindest im Falle von Parkinson ist die Wissenschaft bereits fündig geworden. So wurden bei Parkinson-Patienten im enterischen Nervensystem ähnliche charakteristische Veränderungen festgestellt, wie im Gehirn. Besonders interessant ist hierbei, dass diese Veränderungen im enterischen Nervensystem noch vor den Veränderungen im Gehirn auftreten und Patienten wohl schon langen vor dem Auftreten erster Veränderungen im Gehirn an Magen-Darm-Beschwerden leiden. Das könnte bei der Früherkennung von Parkinson zukünftig sicher eine Rolle spielen. Insgesamt steckt die Forschung hinsichtlich unseres Bauchhirn noch in den Kinderschuhen, aber fest steht auf jeden Fall, dass unser Bauch so viel mehr ist, als ein Verdauungsorgan. Irgendwie ist er auch eine Art Fenster zu unserem Kopf und zu unseren Gefühlen. Mit diesem Wissen wäre es doch töricht, unseren Bauch zu ignorieren, oder?

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen wunderschönen Muttertag, ein Tag, an dem wir Frauen feiern, die ganz oft ihren Instinkten und ihrem Bauch folgen und so die wahrscheinlich komplexeste Aufgabe der Zivilisation mit Bravour erledigen: das Großziehen von Kindern!

Eure Constance

Constanze Homepage (74).jpg

Ode ans Bauchgefühl

Irgendetwas stimmt doch da nicht…