Persönlichkeit

Reaktanz! - Das "aus-Prinzip-dagegen-Phänomen" positiv kanalisieren

Reaktanz – Blindwiderstand, der einfach so passiert

Reaktanz ist ein Phänomen, das mich als Coach und Organisationsentwicklerin schon seit Jahren beschäftigt und in gewisser Weise auch fasziniert. Denn bei Reaktanz handelt es sich nicht um eine bewusste Entscheidung, sondern eher um einen unbewussten Automatismus, dem wir uns einfach nicht entziehen können.

Der Begriff selbst wurde bereits in den 1960er Jahren vom Sozialpsychologen Jack W. Brehm geprägt und ist ein zentraler Bestandteil der sogenannten Reaktanztheorie, die erklärt, wie Menschen intuitiv auf die Einschränkung ihrer Freiheit reagieren und wie eine solche Einschränkung ihr Verhalten beeinflusst. Hinter dieser „aus-Prinzip-dagegen-Haltung“ steckt also oft viel mehr als frühkindliche Bockigkeit. Wer das Prinzip der Reaktanztheorie versteht, kann diese Reaktion im positivsten Sinne als Frühwarnsystem und Gerechtigkeitssensor nutzen und somit Meetings, Entscheidungen und Teamdynamiken effektiver, stressfreier, positiver gestalten.

Reiz-Reaktion-Reaktanz

In der Psychologie bezeichnet man Reaktanz als emotionale und motivationale Reaktion auf wahrgenommene Einschränkungen oder Bedrohungen der persönlichen Freiheit. Sie tritt immer dann auf, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Entscheidungsfreiheit oder ihr Handlungsspielraum eingeschränkt werden – also, wenn eine Person das Gefühl hat, etwas nicht mehr tun oder wählen zu dürfen, was vorher möglich war.

Beispiele hierfür sind:

  • Verbote oder Einschränkungen.

  • (Subjektiv empfundene) manipulative Überzeugungsversuche – das heißt, auch wenn etwas ausschließlich stark positiv dargestellt wird. Auch zu deutliche Motivation ruft intuitiven Widerstand hervor!

  • Soziale oder gesellschaftliche Zwänge.

Mögliche Reaktanz-Reaktionen sind:

  • Widerstand gegen die Einschränkung.

  • Wiederherstellung der Freiheit, zum Beispiel durch Trotzverhalten oder bewussten Regelverstoß.

  • Aufwertung der eingeschränkten Option – das heißt, das Verbotene wird plötzlich super attraktiv (wenn du willst, dass ein Kind garantiert an ein heißes Bügeleisen fasst, verbiete es vehement und immer wieder) oder das stark Angepriesene wird unattraktiv und intuitiv abgewertet.

Reaktanz und Gerechtigkeit

Insgesamt hängt Reaktanz sehr eng mit unserem Gerechtigkeitsempfinden zusammen, da beide Phänomene darauf beruhen, wie Menschen Einschränkungen und Ungleichbehandlungen wahrnehmen. Somit ist Reaktanz mitnichten etwas Negatives. Im Gegenteil: Protest- oder Freiheitsbewegungen entstehen oft aus einer Kombination von Reaktanz und dem Gefühl von Ungerechtigkeit (zum Beispiel gegen Diskriminierung oder soziale Ungleichheit) und entwickeln so mitunter eine gesellschaftsverändernde Kraft.

In diesem Kontext ist es besonders interessant, dass Einschränkungen, die als gerecht empfunden werden, oft akzeptiert werden und keinen Blindwiderstand hervorrufen – zum Beispiel eine Regel, die für alle gleichermaßen gilt und alle gleichermaßen benachteiligt. Wohingegen Regeln oder auch Sanktionen, die als ungerecht empfunden werden, garantiert Widerstand auslösen – zum Beispiel, wenn nur ein Teammitglied vom Chef dazu gezwungen wird, Überstunden zu machen, ohne das nachvollziehbar zu begründen.

Sowohl für uns als Gesellschaft als auch für Organisationen oder Unternehmen ist es wichtig, Regeln so zu gestalten, dass sie als gerecht oder fair empfunden werden, um allgemeine Reaktanz (die immer auch zur Einschränkung der individuellen Leistungsbereitschaft beiträgt) zu verhindern.

Reaktanz verhindern?!

Reaktanz zu verhindern ist ein komplexes Unterfangen. Kenne ich den Mechanismus, kann ich mich so aufstellen, dass mein Verhalten oder meine Kommunikation die Wahrscheinlichkeit von Reaktanz verringert.

Insgesamt erfordert der Versuch, Reaktanz zu verhindern, ein sensibles Vorgehen, das auf die Autonomie und die Bedürfnisse der betroffenen Personen eingeht. Respektvolle Kommunikation, die dabei weder überzogen positiv noch überzogen negativ ist, nachvollziehbare Begründungen und das Schaffen von Wahlmöglichkeiten sind hierbei zentrale Elemente.

Wie kann ich das konkret tun? Hier einige ganz praktische Möglichkeiten für dich:

  • Wahlfreiheit betonen: Gib Menschen das Gefühl, eine Wahl zu haben. Anstelle von Formulierungen wie „Das musst du unbedingt so machen!“ oder „Das darfst du keinesfalls so tun!“ bieten sich Formulierungen wie „Es gibt verschiedene Optionen. Eine davon wäre … und eine andere wäre …“ oder „Du selbst entscheidest, wie interessant das für dich ist.“

  • Transparente und rationale Begründungen: Begründe Einschränkungen nachvollziehbar. „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist keine nachvollziehbare Begründung.

  • Sanfte Kommunikation: Formuliere Bitten weniger autoritär und sei vorsichtig mit zu großer Euphorie in Bezug auf ein Thema, eine Veränderung, einen Workshop und so weiter. Neutral-positive Kommunikation öffnet Türen. Übertriebene Motivationsversuche können recht schnell Reaktanz auslösen.

  • Partizipation fördern: Mache Betroffene zu Beteiligten! – Ein Zitat, das ich einer Führungskraft, die ich schon länger begleite, „geklaut“ habe! Ich frage mich, wofür sie mich braucht. Wie dem auch sei: Sätze wie „Was denkst du, wäre die beste Lösung?“ oder „Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir das Thema angehen!“ wirken Wunder – übrigens auch ganz speziell in der Erziehung. Reaktanz macht auch vor Kindern nicht halt!

  • Verbote nicht explizit hervorheben! Das mit dem heißen Bügeleisen oder der Herdplatte ist der Klassiker. Auch Erwachsene wünschen sich häufig ganz besonders intensiv, das zu tun, was absolut verboten ist!

  • Empathie zeigen: Zeige Verständnis für die Meinung anderer, auch wenn sie nicht deiner eigenen Meinung entspricht. Zu verstehen heißt nicht zwangsläufig, einverstanden zu sein, öffnet aber ganz sicher Kommunikationswege und reduziert Widerstände.

  • Alternativen anbieten: Mehrere Optionen geben Menschen das Gefühl der Autonomie.

  • Positive Konsequenzen aufzeigen: Fokussiere dich auf die Vorteile einer Entscheidung anstatt auf die Einschränkungen. Ja, alles hat seinen Preis, aber alles hat auch seine Benefits, wie zum Beispiel: „Wenn wir das so machen, gewinnen wir mehr Zeit!“ oder „Diese Regelung hilft uns, das Ziel schneller zu erreichen!“

Vielleicht ist ja etwas dabei, das du gut für dich nutzen kannst. Oder vielleicht hast du ja auch schon eigene Ideen im Kopf, wie du das Reaktanz-Phänomen positiv kanalisieren kannst. In zwei Wochen werde ich an dieser Stelle noch etwas tiefer in die Welt dieser sogenannten integrativen Kommunikationsmuster einsteigen. Es gibt nämlich Menschen, die an sehr breiter Front das Gegenteil von Reaktanz hervorrufen. Vielmehr gelingt es ihnen, Menschen zu aktivieren und mitzuziehen. Diese Menschen sind für gewöhnlich natürliche Meister in der Nutzung integrativer Kommunikationsmuster – oder sie haben diese Muster gelernt! Dazu, wie gesagt, mehr in zwei Wochen.

Abschließend ist es mir nochmal wichtig darzustellen, dass natürlich nicht jede Form von Widerstand und „Dagegen!“ mit einem natürlichen Reaktanzreflex erklärt werden kann. Manchmal wird einfach alles zu viel, und ich will nicht mehr, nichts mehr! – Keine Reaktanz, sondern schlicht und ergreifend die Nase voll! Auch bestimmte Persönlichkeitsausprägungen können zu automatisiertem Widerstand führen und je nach Intensität sogar auf eine tatsächliche Persönlichkeitsstörung hinweisen. Das Feld des Menschseins ist ein sehr breites, und Reaktanz ist selbstverständlich nur eine von vielen Möglichkeiten – aber eben eine recht häufige und gut berechenbare Möglichkeit, die man ganz wunderbar positiv oder konstruktiv kanalisieren kann.

Genießt euren Sonntag!

Eure Constance

Dagegen

Intuitiven Blindwiderstand kanalisieren anstatt dagegen anzukämpfen

Wir rennen und rennen und das Glück rennt hinterher!

Die Suche nach dem Glück

Dritter Advent! Weihnachten steht vor der Tür, und ein Jahresrückblick jagt den nächsten. Wie sieht euer Rückblick auf 2024 aus? War es ein gutes Jahr? Erfolgreich? Glücklich? Je älter ich werde, desto wichtiger wird mir insbesondere der Aspekt des Glücklichseins. Aber was ist das eigentlich, dieses Glück? Für meinen letzten Artikel in diesem Jahr habe ich mich auf die Suche nach dem Glück gemacht. Vielleicht sind ja Ideen dabei, die euch bei eurer eigenen Suche unterstützen!

Meine kleine Abhandlung zum Glück möchte ich gerne mit einem Zitat aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper einleiten, das mich bereits seit Jahren begleitet und mir vor allem eines sagt: Glück lässt sich nicht erzwingen, nicht einfangen:

“Ja, renn nur nach dem Glück. Doch renne nicht so sehr. Denn alle rennen nach dem Glück, und das Glück rennt hinterher.”

Das wirklich Spannende am Glück ist, dass es so viele Ideen davon gibt, was Glück sein könnte, wie es Menschen auf der Welt gibt. So versuchen wir alle danach zu greifen. - Nach unserer Idee vom Glück! Dabei scheint dieses Glück manchmal wie das Ende des Regenbogens: so nah und doch so unerreichbar.

Was ist es, das wir alle so sehr suchen?

ChatGPT erklärt, dass Glück ein komplexer und subjektiver Zustand sei, der von Person zu Person unterschiedlich definiert und erlebt wird. Aristoteles schrieb, dass Glück Selbstgenügsamkeit sei. Für Pessimisten ist Glück die Abwesenheit von Leiden. Hedonisten würden sagen, dass Glück Konsum sei (Schuhe kaufen macht definitiv glücklich!). Albert Schweitzer war der Meinung: Glück sei eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Für Harald Juhnke war Glück: leicht einen sitzen haben und keine weiteren Termine. Für den Neurobiologen ist Glück ein biochemischer Vorgang, der am einfachsten durch die Einnahme von Drogen hervorgerufen wird (Glühwein tut es dieser Tage vielleicht auch!).

Es gibt Länder, die angeblich besonders glücklich oder besonders unglücklich sind. Es gibt Lebensphasen, in denen der Mensch glücklicher ist als in anderen. Am unglücklichsten sind wir wohl zwischen 35 und 54, sagt die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot. Es gibt die Idee, dass Geld glücklich mache. Hierzu sagte der unlängst verstorbene Nobelpreisträger Daniel Kahneman, dass dafür 65.000 Euro Jahresgehalt ausreichend seien. Die Soziologin Hilke Brockmann hingegen sagt, das hänge davon ab, wie viel die Menschen um uns herum so hätten. Ungleichheit mache unglücklich. Mark Twain würde ihr recht geben. Er hat mal gesagt: “Vergleiche sind der Tod des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.” Das ist laut Brockmann übrigens der Hauptgrund dafür, warum die skandinavischen Länder beim Glücksindex stets ganz weit vorne landen: geringe soziale Unterschiede!

Auch in diesem Jahr stehen Finnland, Dänemark, Island und Schweden an der Spitze des World Happiness Reports. Geringe soziale Unterschiede! Was hingegen definitiv unglücklich macht, sind Hunger, Krieg, Korruption und politische Instabilität. Am Ende der aktuellen Glücksliste befinden sich Afghanistan, Libanon, Lesotho und Sierra Leone. Deutschland ist in diesem Jahr übrigens insgesamt von Platz 16 auf Platz 24 (von 143 untersuchten Ländern) abgerutscht. In der Altersgruppe unter 30 liegt Deutschland sogar nur auf Platz 47.

Wir brauchen Glücks-Fakten!

Fakt ist: Die Suche nach dem Glück scheint so alt wie die Menschheit. Allerdings gilt es hierbei zu beachten, dass die Suche nach dem Glück ausgesprochen unglücklich machen kann. Forscher der University of Reading haben anhand einer Studie belegt, dass die Menschen, die sich besonders darum bemühen, glücklich zu sein, am häufigsten am Glück scheitern und ein erhöhtes Risiko haben, an Depressionen zu erkranken. Die Suche nach dem Glück macht also unglücklich?

Dieser Cocktail aus körpereigenen Opiaten, wie zum Beispiel Endorphin, das unser Hirn ausschüttet, wenn es feststellt, dass sein Mensch gerade glücklich ist, hat offensichtlich verdammtes Suchtpotenzial. – Am Ende doch alles Biochemie?

Als ich mich also auf die Suche nach dem machte, was mich auch in diesem Jahr glücklich gemacht hat, tauchte eine These immer wieder auf: Glück ist immer auch eine Entscheidung! Aber ist das wirklich so?

Während meiner Recherchen bin ich zunächst auf die Aussage gestoßen, dass unser Gehirn gar nicht dafür gemacht ist, permanent glücklich zu sein. In den Fünfzigerjahren gab es hierzu eine Studie des Psychologen James Olds, der das Belohnungszentrum von Ratten mit Strom stimulierte, wann immer diese einen bestimmten Hebel drückten. Die Ratten drückten diesen Hebel bis zur Erschöpfung. Sie vergaßen sogar zu essen. Dieses unendliche Glücksgefühl hat sie fast umgebracht. Wer von euch hatte auch schon einmal Phasen, in denen er permanent und fast blind für potenzielle Gefahren auf der Suche nach dem nächsten Kick war? – Am Ende doch alles Biochemie!

Der verrückte Professor und das Glück

Wenn Wissenschaftler sich mit Glück beschäftigen, gehen sie häufig von zwei unterschiedlichen Arten von Glück aus - Ein Ansatz, der mir bei meiner Suche sehr geholfen hat:

  1. Das Glück als Hochgefühl, dieser Kick, dem sich die Ratten in Olds’ Versuch hemmungslos hingegeben haben, weil dieses Hochgefühl ein flüchtiger Zustand ist, der schnell vorbeigeht und einen mit Hunger auf mehr zurücklässt.

  2. Das Glück als Zustand der Zufriedenheit, den wir allgemein in unserem Leben spüren. Im Gegensatz zur ersten Erscheinungsform von Glück ist diese Form von Glück deutlich nachhaltiger.

Vom Glück und der Zufriedenheit

Für den Neurobiologen Gerhard Roth ist diese zweite Glücksform so etwas wie ein Ausgangslevel, von dem aus wir das Hochgefühl des Glücks erleben. Dieses Ausgangslevel ist bei uns Menschen auf unterschiedlichen Niveaus angesiedelt. In Zwillingsstudien wurde festgestellt, dass dieses Ausgangslevel, diese allgemeine Lebenszufriedenheit, in Teilen sogar genetisch bedingt ist. Der Rest hängt zum einen von Umweltfaktoren und Sozialisation ab, aber auch davon, wie wir mit Chancen und Möglichkeiten umgehen. Das heißt, ein Teil dieser Lebenszufriedenheit liegt in unserer eigenen Hand.

Laut Roth halten diese berauschenden Glücksmomente, die Glück Nummer eins hervorruft, bei Menschen mit einem hohen Level an Lebenszufriedenheit (also Glück Nummer zwei) deutlich länger an.

Das ist spannend! Ich sollte also nicht in erster Linie nach dem Glück suchen, sondern lieber erst einmal nach Zufriedenheit, denn je zufriedener ich bin, desto berauschender fühlen sich auch schon winzig kleine Glücksmomente an.

Insgesamt stellte sich Gerhard Roth tatsächlich als dankbare Quelle für meine Glückssuche heraus, habe ich bei ihm doch nicht nur Erklärungen dafür gefunden, was Glück ist, sondern auch, wodurch es hervorgerufen wird. Hierbei unterscheidet er zwischen drei unterschiedlich gelagerten Quellen für Glück:

Die erste Quelle: Materielle Belohnung

(wie zum Beispiel eine Gehaltserhöhung, eine Bonuszahlung oder gar große Geschenke zu Weihnachten). Hierbei wird im Gehirn eine Region stimuliert, die sich Nucleus Accumbens nennt. Diese Region ist ein kleiner Nimmersatt, der recht schnell auf einen Stimulus anspringt, genauso schnell aber wieder abflacht und dadurch ein ausgesprochen vergängliches Glücksgefühl verursacht, das postwendend nach mehr verlangt und dauerhaft nur schwer zu stillen ist. Liebe Chefs, Gehaltserhöhungen oder Boni sind toll, wenn ihr der Meinung seid, dass der Mitarbeiter sich das durch seine Leistung verdient hat. Zur nachhaltigen Motivation ist beides aber total ungeeignet! – Biochemie eben!

Die zweite Quelle: Soziale Belohnung

Anerkennung, Lob oder auch das gefährliche Gefühl von Macht. Hierbei werden Hirnareale stimuliert, die auf einer bewussteren Ebene angesiedelt sind als der nimmersatte Nucleus Accumbens und deshalb auch etwas nachhaltigere Reaktionen lostreten. Doch auch diese Glücksquellen sorgen nicht für dauerhaftes Glück und müssen deshalb immer weiter gefüttert werden. Bei Lob, Respekt und Anerkennung sehe ich das erst einmal unkritisch. Wird der Machthunger jedoch zum Selbstläufer, kann es unschön enden und vor allem die Mitmenschen unglücklich machen.

Die dritte Quelle: Intrinsisches Glück

Die einzige Glücksquelle, die nicht stetig durch ansteigende Dosen an Belohnungen stimuliert werden muss. Roth spricht hier vom sogenannten intrinsischen Glück, das sich direkt mit der eigenen Lebenszufriedenheit verbindet und somit deutlich länger in unserem Leben zu Gast bleibt als all die anderen Glücksformen. Dieses intrinsische Glück hat seinen Ursprung in der Erfahrung, Freude und Sinnhaftigkeit bei dem zu empfinden, was man tut. Hierbei kann es sich um die Familie oder Hobbys, aber auch um die Arbeit handeln. Wirklich glücklich sind eben am Ende die, die nicht das Gefühl haben, ihre kurze Zeit auf Erden sinnlos zu verstolpern!

Vom Glück und der Entschleunigung

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für mich? Auf jeden Fall, dass ich meinen Fokus noch deutlicher und klarer auf das legen möchte, was ich habe und was mich zufrieden macht. Im alltäglichen Rennen ertappe auch ich mich immer wieder dabei, etwas hinterherzulaufen, das mir noch fehlt. So ist es wie in Brechts Dreigroschenoper: Ich renne und renne, und das, was ich habe, was mich glücklich macht, kommt kaum hinterher! Ich möchte meinem Glück erlauben, hinterherzukommen, denn so bin ich weniger abhängig vom Lob und der Anerkennung anderer. Macht scheint weniger verführerisch, und ich mache mein Glück auch nicht von materiellen Dingen abhängig, auf die ich häufig noch nicht einmal direkten Einfluss habe.

Weihnachten steht vor der Tür, und ein Jahreswechsel steht an. Zusätzlich werde ich parallel auch schon wieder ein Jahr älter. Und während die Jahre so an mir vorbeigeflogen sind, habe ich diese magische Zeit rund um die Feiertage stets genutzt, um kurz innezuhalten, dankbar zu sein für all das, was ich habe und was ich erleben durfte, vor allem aber für die Menschen in meinem Leben. Was für ein Glück, auch in diesem Jahr wieder gemeinsam mit ihnen feiern zu dürfen, in Frieden und Wohlstand – keine Selbstverständlichkeit in Zeiten, in denen unser einziger Weihnachtswunsch Frieden sein sollte. Ich stelle mir vor, wie mein Geburtstag wäre, würde ich nicht in Deutschland leben, sondern in der Ukraine, Sierra Leone, im Libanon … Es gibt für mich viele Gründe, dankbar und zufrieden zu sein. So kommt der große Glücks-Hype von ganz allein! Ich muss mir nur die Zeit nehmen, um glücklich zu sein. So leicht gesagt und so schwer getan, wenn der Alltag einen wieder und wieder zu überholen droht.

Ich wünsche euch, dass ihr in den nächsten Tagen und Wochen Räume findet, um aus dem Rennen auszusteigen, euch Zeit zu nehmen – für euch und für eure Liebsten. Ich denke, nichts macht mich so glücklich wie Zeit mit Menschen zu verbringen, die meinem Leben den wahren Sinn geben! Schon gestern Abend hatte ich das große Glück, Zeit mit meiner besten Freundin zu verbringen. Katja ist seit Kindertagen an meiner Seite, in meinen glücklichsten und unglücklichsten Momenten. So war sie in meinem größten Unglück das Glück, nicht alleine zu sein, und in meinem größten Glück der Multiplikator, der den Champagner zum Anstoßen dabei hatte! Ich freue mich darauf, Zeit mit meinem Bruder und mit der Familie zu verbringen. Ich freue mich auf das Strahlen in den Augen meiner Liebsten, wenn sie ihre Geschenke auspacken. Ich freue mich auf ein rauschendes Geburtstagsfest mit meinen Freundinnen und ihren Familien. Ich freue mich darauf, dass viele Kinder unser Zuhause auf Links drehen. Und dann freue ich mich auf Silvester mit meinem Mann – ruhig und besinnlich!

Vielleicht ist Glück ja auch einfach Gemeinschaft, in Verbindung zu gehen, nicht allein zu sein, zu teilen.

Ich wünsche euch auf jeden Fall zauberhafte Feiertage voller Zufriedenheit, gespickt mit großartigen Glücksmomenten und dem Gefühl, kurz aus dem Rennen aussteigen zu dürfen. Ich bin am 12. Januar wieder zurück mit meinem Blog zum Jahresauftakt.

Eure Constance

Ja renn nur nach dem Glück, doch renne nicht zu sehr. denn alle rennen nach dem Glück und das Glück rennt hinterher…

Frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr!

Wie Psychologische Sicherheit High Performance auf Teamebene ermöglicht - Zwei Fallbeispiel aus der Luftfahrt

Der Faktor Mensch in der Dynamik und Komplexität der Luftfahrt

In meinem letzten Artikel habe ich euch das Thema Psychologische Sicherheit und insbesondere die Rolle, die Führung in diesem Kontext spielt, „in a nutshell“ umrissen. Ich habe dabei darauf hingewiesen, dass es in diesem Artikel nun darum gehen soll, die praktischen Auswirkungen von subjektiv empfundener Sicherheit zu betrachten. Dazu habe ich euch zwei Fallbeispiele aus der Luftfahrt mitgebracht. Das zweite Beispiel hatte ich auch dabei, als ich in dieser Woche zum nun schon dritten Mal an der Universität in Maastricht zu Gast war. Auch in meinem Workshop für Studierende im Masterstudiengang “Learning & Development in Organisations” ging es darum, welche Rolle Psychologische Sicherheit im Kontext von hochdynamischen und komplexen Umfeldern spielt und wie es der Luftfahrt als Vorreiter seit Jahrzehnten gelingt, dieses Phänomen so zu etablieren, dass Fliegen immer sicherer wird – weil es Menschen zunehmend gelingt, nicht nur in sich selbst, sondern auch in ihr Team zu vertrauen.

Sioux City – oder wie Hollywood-Helden entstehen

Für unser erstes Beispiel herausragender Führung in Kombination mit Vertrauen gehen wir zurück zum 19. Juli 1989. Wir befinden uns an Bord einer DC-10 der United Airlines auf dem Weg von Denver nach Philadelphia. Alles verläuft normal. Auffällig ist lediglich, dass an diesem Tag besonders viele Familien mit Kindern an Bord sind, da United zu dieser Zeit ein spezielles Familienprogramm anbot. Doch zurück zum Flug: Alles läuft unspektakulär ab, bis ein lauter Knall die Crew aus ihrer Routine reißt. Jedem ist klar, dass ein Problem vorliegen muss. Die Ernsthaftigkeit dieses Problems ahnt zu diesem Zeitpunkt neben der Besatzung höchstens einer der Passagiere – dazu gleich mehr.

Im Cockpit stellen die Piloten kurz nach dem Knall fest, dass alle drei Hydrauliksysteme ausgefallen sind, wodurch das Flugzeug nicht mehr steuerbar ist. Ein solches Problem war in Trainings nicht vorgesehen, da man es schlicht und ergreifend für unmöglich hielt, dass alle drei unabhängigen Systeme (von denen nur eines benötigt wird; die anderen zwei dienen der Redundanz) gleichzeitig ausfallen könnten. Doch an diesem Tag ist genau das passiert. Der Grund: Ein Fanlaufrad eines Triebwerks war gebrochen, und die Fragmente hatten die Leitungen aller drei Hydrauliksysteme durchschlagen.

Nun sitzt Kapitän Alfred „Al“ Haynes am Steuer eines nicht mehr steuerbaren Flugzeuges. Eine verdammt ernste Situation. Eine Flugbegleiterin kommt nach vorne und berichtet, dass ein Passagier sie angesprochen habe. Er sei DC-10-Fluglehrer und glaube, er könne bei diesem Problem vielleicht helfen.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Kapitäne in derartigen Notfällen Passagiere ins Cockpit lassen. Doch Kapitän Haynes ist sich bewusst, dass er jede mögliche Ressource nutzen muss, um die Überlebenschancen zu wahren. So sitzen schließlich vier Personen im Cockpit: Kapitän Haynes, sein Erster Offizier, sein Flugingenieur und der fremde Fluglehrer. Gemeinsam entwickeln sie eine Möglichkeit, das Flugzeug mithilfe der Triebwerksschübe zu steuern: Mehr Schub auf der rechten Seite für eine Linkskurve, mehr Schub links für eine Rechtskurve. Das klingt einfach, ist aber extrem herausfordernd. Dennoch gelingt es diesem Team, den Flieger auf dem Flughafen von Sioux City zu landen. Bei der Landung zerbricht das Flugzeug in zwei Teile. 110 Passagiere und eine Flugbegleiterin sterben, 185 Menschen überleben.

Warum Kapitän Haynes als Held gefeiert wurde und Hollywood die Ereignisse dieses Fluges unter dem Namen „Katastrophenflug 232“ mit Charlton Heston als Kapitän Haynes verfilmte? Nach dem Unglück versuchten viele Piloten, darunter Werkspiloten des Flugzeugherstellers, im Simulator diese beschädigte DC-10 zu landen – alle ohne Erfolg. An diesem Tag wurden die 185 Menschenleben nicht durch das fliegerische Können eines einzelnen Piloten, sondern durch außergewöhnliches Teammanagement und das Vertrauen von Kapitän Haynes in einen Fremden gerettet. Manchmal ist Vertrauen eine Entscheidung – und diese hat oft mit Demut zu tun.

Kapitän Haynes ist im September 2019 im Alter von 87 Jahren verstorben. Nach diesem 19. Juli 1989 erzählte er, dass es seine ersten Crew-Ressource-Management- oder Human-Factors-Schulungen waren, durch die er begriff, dass er nicht alles besser kann, nur weil er der Chef ist. Er verstand, dass Chef-Sein bedeutet, alle Ressourcen seines Teams zu nutzen, um erfolgreich zu sein. An diesem einen Tag hat Al Haynes sich entschieden, zu vertrauen. Und wenn eine Führungskraft sich entscheidet, zu vertrauen, legt sie den Grundstein für eine Kultur des Vertrauens im Team – und damit für weit überdurchschnittliche Leistungen.

Wie gut seid ihr, insbesondere die Führungskräfte unter euch, bedingungslos zu vertrauen? -Und damit den Grundstein für eine Kultur der Psychologischen Sicherheit zu legen?

Wenn Bauchgefühl den Computer schlägt

Für unser zweites Beispiel überspringen wir jetzt gute 20 Jahre Luftfahrtgeschichte. Wir schreiben den 4. November 2010 und befinden uns gemeinsam mit Kapitän Richard De Crespigny und seiner Besatzung an Bord des fast nagelneuen Airbus A380 der Qantas Airways, auf dem Weg von Singapur nach Sydney. Neben den 440 Passagieren befindet sich eine 29-köpfige Besatzung an Bord. Allein im Cockpit sind an diesem Tag fünf Personen, da Kapitän De Crespigny einer Überprüfung unterzogen wird, bei der ein sogenannter Check-Kapitän seine Arbeit bewertet. Interessanterweise wird auch der Check-Kapitän selbst überprüft, ob er die Überprüfung korrekt durchführt. Man kann sich vorstellen, wie angespannt die Atmosphäre im Cockpit ist: eine doppelte Überprüfungssituation und Hierarchiestrukturen, die leicht bedrohlich wirken können. Als Co-Pilot oder Erster Offizier würde man auf diesem Flug wahrscheinlich versuchen, so wenig wie möglich aufzufallen. Der Second Officer, ein Pilot in Ausbildung, betrachtete die Situation sicher auch interessiert, aber eher zurückhaltend.

Bereits kurz nach dem Start gibt es einen lauten Knall, und auf einen Schlag gehen im Cockpit mehr als zehnmal so viele Fehlermeldungen ein, wie normalerweise in Notfallsimulationen geübt werden. In der Luftfahrt gilt die Regel, dass in Notfällen ausschließlich der Kapitän des Fluges die Entscheidungsgewalt hat, selbst wenn ranghöhere Piloten anwesend sind. Die herausragende Führungsleistung der beiden überprüfenden Kapitäne bestand darin, dass sie sich sofort unterordneten und in die Fähigkeiten ihres Kollegen vertrauten. So hatte Kapitän De Crespigny den Raum, den er brauchte, um frei und bestmöglich agieren zu können.

Liebe Führungskräfte unter ich euch, ich frage euch erneut: Ist euer Vertrauen groß genug um den Raum für Höchstleistungen zu geben?

Zurück zu den Fehlermeldungen und Systemausfällen: Kapitän De Crespigny unterbricht schließlich die endlose Aufzählung seines Co-Piloten und sagt, er müsse jetzt wissen, was noch funktioniere, um herauszufinden, womit man arbeiten (sprich fliegen) könne. Gemeinsam entwickelt die Crew einen Plan, um das Flugzeug sicher zurück nach Singapur zu bringen. Da auch das System zum Kerosinablassen defekt war, musste der Flieger mit einem viel zu hohen Gewicht landen. Ein sogenanntes Overweight Landing stand bevor.

Die beiden Check-Kapitäne errechnen mithilfe eines Computerprogramms die dafür erforderlichen Landedaten und geben diese weiter um sie in die Bordsysteme einzugeben. Doch der Co-Pilot meldet sich zu Wort und äußert, dass die berechneten Zahlen falsch sein müssten. Trotz seines „untergeordneten“ Ranges wird ihm zugehört – und er hat recht. Der Computer hatte falsche Daten ausgegeben, die beinahe zu einer Katastrophe geführt hätten. Kapitän De Crespigny berät sich mit seinen Kollegen und vertraut schließlich auf die Einschätzung des Co-Piloten. Die Zahlen werden angepasst, und der Airbus A380 kann sicher landen. 469 Menschen verlassen das Flugzeug gesund und unverletzt. Nachdem sich der Erste Offizier oder Co-Pilot diese Szenen in den Cockpit Voice Records angehört hat, war er selbst erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit er zwei Check-Kapitänen und der Software von Airbus widersprach. Er sagt, er habe keine Sekunde gezögert, weil er sich absolut sicher gefühlt hatte, kritisch sein zu dürfen.

De Crespigny erklärte später bescheiden, dass es sich um eine Teamleistung handelte, bei der mehrere Gehirne zu einem verschmolzen seien. Doch die Basis für diese Teamleistung war eine Kultur des Vertrauens und der Psychologischen Sicherheit, die jedem Crew-Mitglied ermöglichte, offen und ehrlich zu kommunizieren.

Führung in einer komplexen Welt

Die Luftfahrt ist seit Jahrzehnten ein Vorreiter darin, wie Vertrauen und Teamarbeit außergewöhnliche Leistungen ermöglichen. Vertrauen, das Gefühl subjektiv empfundener Sicherheit im Arbeitskontext, ist die absolute Basis dafür, in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt erfolgreich agieren zu können. Auch außerhalb der Luftfahrt ist Erfolg in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt nicht mehr von Einzelkämpfern abhängig, sondern von Teams, die gemeinsam besser sind als jede Einzelperson. Die Basis für Gemeinsamkeit ist Vertrauen.

Deshalb meine erneute Frage an alle Führungskräfte: Wie viel Vertrauen habt ihr in euer Team? Lebt ihr eine Kultur des Vertrauens – oder sprecht ihr nur davon?

Eure

Constance

Wer hoch hinaus will braucht Vertrauen

… Nicht nur in der Luftfahrt!