Empowerment

Führung von unten leicht gemacht! - Das Phänomen der "Unterwachung"

Wer führt, wird geführt!

-Die Frage ist nur durch wen! Selbst in den hierarchischsten Organisationen findet Führung nicht nur in eine Richtung, nämlich in der Hierarchie nach unten, statt, sondern immer auch von unten nach oben. Offiziell und formell werden Entscheidungen zwar an der Spitze der Organisation getroffen aber die Informationen, auf deren Grundlage die Entscheidungen getroffen werden, kommen von “unten”. So hat die Basis eines Unternehmens großen Einfluss auf ihre Führenden. Dieses Phänomen bezeichnete der große Systemtheoretiker Niklas Luhmann als “Unterwachung”. - Eine systemische Dynamik, die für Chefs und Organisationen geradezu überlebenswichtig ist, sagte er. Das tiefe Eintauchen in Themen ist für Führende häufig ein viel zu großer Aufwand und ich als Coach unterstütze daher die Aussage, dass die Führungskraft stets der/die schlechteste Fachexperte oder -Expertin sein sollte. Diese Aussage stammt übrigens von meiner Chef-Chefin und ich liebe sie für diese Haltung! Aber woher kommt dann die Grundlage für viele Entscheidungen? -Richtig, von “unten”!

Wann Führungskräfte wie tief in die einzelnen Themen einsteigen, ist selbstverständlich ihnen überlassen. Allerdings können sie selbst bei größter Detailorientierung ihre Nasen nur in das stecken, was ihren Horizont auch erreicht. Hierbei muss ich direkt an Gunther Schmidt denken, der mich gelehrt hat, die Macht und den Einfluss von Assistenzen nicht hochgenug einzuschätzen und zu würdigen. Sie sind die Türsteher, die gnadenlos filtern. Das tun sie nicht aus Spaß, sondern weil auch sie Luhmanns Theorien unbewusst verinnerlicht haben: “Würden Untergebene alle Probleme nach oben geben, wären ihre Vorgesetzten verloren”, hat Luhmann dereinst geschrieben. Somit haben Assistenzen und Business Manager natürlich immer auch einen kleinen “Schutzauftrag” und bestimmen gleichzeitig die Strategien eines Unternehmens ziemlich machtvoll mit, indem sie die Chefin oder den Chef strategisch “unterwachen”.

Warum wir alle früher oder später “unterwachen”

Sicher gibt es unterschiedliche Gründe für “Unterwachung”. Ich möchte euch gerne drei vorstellen, Vielleicht findet ihr euch ja irgendwo wieder. Ich persönlich habe mich bei allen dreien schon ertappt:

  1. Die Form der “Unterwachung”, die ich gerne als altruistisch bezeichne: Hier geht es um das Wohl der Organisation, der Abteilung oder des Teams. Man unterliegt der Annahme, die ein oder andere Entscheidung nach Möglichkeiten von der Führung fern zu halten, weil man glaubt, die Mitarbeitenden haben einen besseren Blick für die große Gemengelage und ein besseres Verständnis dafür, was auf Arbeitsebene zu tun oder nicht zu tun ist.

  2. Die Form der “Unterwachung”, die ich als strategisch-egoistisch bezeichne: Haben wir nicht alle schon einmal Entscheidungen bewusst in eine Richtung beeinflusst, weil uns diese strategisch und in Hinblick auf unsere eigenen Weiterentwicklung besser passt?

  3. Die Form der “Unterwachung”, die ich als ausgesprochen ressourcenorientiert bezeichne, weil sie zu einem entspannten Arbeitsalltag beiträgt: Halte ich den Chef mit Aufgaben beschäftigt, die mir nicht wehtun, lässt er mich ansonsten in Ruhe vor mich hinarbeiten.

In der Realität treten diese drei Arten für gewöhnlich als Mischform auf, da das eine häufig mit dem anderen zusammenhängt.

Und dann bilden sich “Unterwachungs-Netzwerke”

Da die Zufriedenheit im Team häufig eine wichtig Basis für meinen individuellen Erfolg darstellt und der Wunsch in Ruhe arbeiten zu können, direkt auch auf die Zufriedenheit im Team bzw. das Wohl der Organisation einzahlt, bilden sich für gewöhnlich ganz automatisch und wie von Zauberhand ganze “Unterwachungs-Netzwerke”. Kaffeeküchen oder Kantinen sind hierbei willkommene Geburtshelfer. Inzwischen tun es aber auch Teams-Kanäle oder Skype!

Laut Luhmann lässt sich das Phänomen der “Unterwachung” nicht unterbinden. Es ist eine Dynamik die in dem Moment losgetreten wird, in dem sich Menschen in hierarchisch organisierten Gruppen zusammenfinden und ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Er bezeichnet dieses Phänomen als “brauchbare illegale Verhaltensweise”, die sich jenseits der Formalstruktur einer Organisation ausbildet und einen wertvollen Beitrag dazu leistet, die Organisation am Laufen zu halten. Als Führungskraft würde mir an dieser Stelle erst einmal angst und bange werden. Ist das Ziel doch meistens eher Verantwortung und Macht, vielleicht sogar Kontrolle und weniger Fremdbestimmung in Kombination mit Verantwortung. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, sich der unterschiedlichen Machtressourcen seines Team bewusst zu sein, um diese entweder für sich zu nutzen, oder bewusst punktuell gegenzusteuern. Generelle Gegensteuerung ist nicht möglich, sagt nicht nur Luhmann!

Teams haben hierbei die Macht, die Themen, die nach “oben” kommen zu filtern. Heute wird dieses Vorgehen auch gerne als “Nudging” bezeichnet: Ich habe eine gewünschte Variante und stelle dieser Variante zwei ziemlich blödsinnige Optionen zur Seite. Die dritte vielleicht ähnlich erfolgsversprechende Variante lasse ich weg, weil sie nicht meinen Wünschen entspricht. Wer trifft hier wirklich die Entscheidung? Die Chefin oder der Chef, oder die Person, die die Optionen auswählt?

Eine weitere Macht ist diejenige, die meine Chef-Chefin geradezu ins Schaufenster stellt, indem sie sagt, dass die Führungskraft für gewöhnlich die schlechteste Expertin oder der schlechteste Experte ist. - Es ist die Macht des Fachwissens. Diese Macht hat sich seit der Veröffentlichung von Luhmanns Systemtheorien in den 70ern und 80ern noch verschärft, da Businesswissen in einer zunehmend digitalen Welt nun auch noch durch IT-Wissen ergänzt werden muss. Luhmann würde nicht skandieren “IT’ler an die Macht!”, sondern “IT’ler an der Macht!”.

Die dritte große Macht über die Mitarbeitende verfügen, ist die, die Perspektive auf das Thema zu bestimmen. Und machen wir uns nichts, vor, wir alle haben schon einmal Informationen cheftauglich eingefärbt!

Die vierte und letzte Macht, die Mitarbeitende in diesem Zusammenhang haben, ist etwas anders gelagert, als die ersten drei, aber ein verdammt spannendes Tool der “Unterwachung”: Es ist die Macht, Probleme bewusst nach oben abzugeben, denn auch Chefinnen und Chefs müssen ja beschäftigt bleiben, nicht dass sie ihre Nase doch in meine Themen stecken…

“Unterwachung” als bewusstes Prinzip der Zusammenarbeit in modernen Unternehmensstrukturen

Tja, liebe Führungskräfte, da bleibt man doch am Montag besser mal im Bett! Man denkt, man führt, gestaltet, hat neben der Verantwortung auch Macht und dann kommt da so ein wild gewordener Soziologe und Gesellschaftstheoretiker daher und führt einem vor Augen, dass man am Ende doch ziemlich fremdbestimmt agiert. Schlimmer noch, es sind die, die wir dachte zu führen, die uns fremdbestimmen und manipulieren! Aber Kopf hoch, die Realität ist deutlich weniger tragisch als sich das Prinzip der “Unterwachung” im ersten Moment liest. Nehmen wir zum Beispiel die Vorstandsassistentin, die “unterwacht” um auf den Chef aufzupassen. - Ich kannte mal eine, die sogar ein Blutdruckmessgerät in ihrem Schreibtisch hatte. - Für Notfälle. Wie fürsorglich. Und auch ich ertappe mich meistens aus sehr fürsorglichen Gründen dabei, meine Chefin zu “unterwachen”! - Liebe Grüße an dieser Stelle! Ich weiß, dass sie meine Artikel immer mal wieder liest! Und ich weiß, dass die “Unterwachung” meinerseits für meine Führungskraft völlig OK ist. Denn kluge Führungskräfte und kluge Unternehmen sind sich diesem unvermeidbaren Phänomen bewusst und haben es umgedreht um es für sich zu nutzen. Sie nennen es “Empowerment” und bezeichnen es als eine der wichtigsten Antworten auf ein zunehmend dynamisches und komplexes Marktumfeld. Kein Mensch kann mehr alles verstehen, wissen, können, mitbekommen. Es braucht Teams, Teams die Höchstleistungen erbringen. Und schaut man sich an, welche Zutaten ein High Performance Team braucht, findet sich da nicht nur Kommunikation, Konfliktfähigkeit, ein gemeinsames Ziel und kognitive Diversität, sondern auch Eigenverantwortung (also den Mut zu “unterwachen”) und Führung. Es braucht Führungskräfte, die “empowern”, die sich bewusst “unterwachen” lassen, weil sie zum einen wissen, dass es ohnehin stattfindet und zum anderen darauf vertrauen, dass die “Unterwachung” im positivsten Sinne stattfindet, weil sie am Ende doch nicht alles mitbekommen oder wissen können.

Vertrauen, da ist es wieder: Die Basis für Empowerment oder eine positive “Unterwachung”, die eine Organisation erfolgreich am Laufen hält, ist Vertrauen. Bereits in den 1980er Jahren schreibt Luhmann, dass “Unterwachung” am wirkungsvollsten sei, wenn sie in vertrauensvolle Kooperation eingebettet sei, indem “jede Seite, im Interesse der besonderen Macht über den anderen, dessen Macht schont und beachtet.” Danke Niklas Luhmann! Inzwischen wurde Amy C. Edmondson zum zweiten Mal in Folge mit dem Thema Vertrauen, oder Psychological Safety, zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft gewählt und Studienreihen wie das Projekt “Aristoteles” von Google belegen, dass die Leistung eines Teams oder einer Organisation mit dem subjektiv empfundenen Vertrauen der einzelnen Mitglieder anwächst.

Liebe Führungskräfte, ihr könnte “Unterwachung” nicht unterbinden. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass der Versuch der Unterbindung die “Unterwachung” nur noch größer werden lässt. Ihr könnt sie aber umdeuten und aus ihr Empowerment machen. Ja, dieser Schritt braucht Mut, vor allem aber eine vertrauensvolle Teamkultur. An dieser Kultur könnt ihr bewusst arbeiten. - Und sollte ihr nicht so richtig wissen wie, dann unterstützen euch systemische Coaches und Berater wie ich sicher gerne!

Liebe Mitarbeitenden, ihr seid mit Nichten Machtlos! Im Gegenteil, ihr seid sogar sehr machtvoll. Luhmann hätte in diesem Zusammenhang den Tipp, dass Macht auch immer mit Verantwortung einher gehen sollte. Nutz eure Macht, aber nutzt sie verantwortungsvoll, achtsam und im Sinne aller!

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

Unterwachung…

Lass dich nicht zum Narren machen! Wer führt wird geführt.

Stets lächelnde Lebensretter - warum Kapitäne eine Mannschaft brauchen

Wenn ein Flugzeug vom Himmel fällt

San Francisco am 06. Juli 2013 um 11:27 Uhr Ortszeit: Die Boeing B777 der Asiana Airlines knallt mit 307 Menschen an Bord mit ihrem Heck gegen eine Quai-Mauer. Ein Teil des Flugzeuges reißt ab. Das, was übrig bleibt, dreht sich um sich selbst, stellt sich im 40 Grad Winkel auf und knallt auf den staubigen Boden. Hier der Link zu einer Videosequenz, die dieses Unglück dokumentiert. Es grenzt an ein Wunder, dass bei diesem Unfall lediglich drei Menschen ihr Leben verloren haben.

Selbstverständlich wurde im Nachhinein sehr ausführlich ermittelt und irgendwann stand fest, dass die Unfallursache im Bereich des menschlichen Versagens zu finden war. Eine fatale Aneinanderreihung von Pilotenfehlern führte letzten Endes zum Tod von drei jungen Menschen. Warum es zu diesen Fehlern kam, wurde natürlich auch hinterfragt und selbstverständlich gab es viele Ursachen: die Piloten waren müde, die Ausbildung war zwar den gesetzlichen Vorschriften entsprechend, passte aber nicht zu den Bedürfnissen der agierenden Piloten. Die Piloten vertrauten der ausgefeilten Technik ihres modernen Fliegers fast blind, einer der Piloten hatte Angst davor, um Hilfe zu bitten und es herrschte ein recht starkes hierarchisches Gefälle zwischen ihnen. Jeder im Cockpit war mit seinen Unsicherheiten allein und der Kapitän hat sich selbst zum Einzelkämpfer auserkoren, der unbedingt zeigen wollte, was er kann. Wer alles das noch nie an sich selbst beobachtet hat, der werfe bitte den ersten Stein. Fehler passieren, jedem. Aber in einem High Risk Environment wie der Luftfahrt sind die Folgen so fatal, dass diese Fehler eben ganz besonders ausführlich beleuchtet werden und man immer wieder hinterfragt, wie man diesen Fehlern auch systemisch begegnen kann.

Katastrophen bieten Raum für Helden

Kurz nach der Bruchlandung ging die Maschine in Flammen auf. Das warf eine weitere Frage auf: Wie ist es gelungen, dass fast alle Menschen überlebt haben. Es wurde rekonstruiert, dass die drei Toten während des Crashs aus dem Flugzeug geschleudert wurden, weil sie wahrscheinlich nicht richtig angeschnallt waren. Bei einer jungen Frau ist man sich sicher, bei den beiden anderen liegt die Vermutung aufgrund vieler Indizien sehr nah. Das heißt, allen Menschen, die richtig angeschnallt waren, war es möglich, das Flugzeug zu verlassen, noch ehe das Feuer sich ausgebreitet hat. Darunter waren auch 181 zum Teil schwer Verletzte, von denen einige nicht in der Lage waren zu laufen oder in den Trümmern eingeklemmt waren.

Man könnte meinen, der Kapitän hat schnell verstanden, in welcher Situation sein Flieger samt Passagieren und Crew war, und hat deshalb eine sehr schnelle Evakuierung angeordnet. Interessanterweise war sogar das Gegenteil der Fall. Die Chefflugbegleiterin ging direkt nachdem das Flugzeug zur Ruhe kam ins Cockpit und fragte den Kapitän, ob sie evakuieren soll. Dieser bat sie noch zu warten. In dieser Zeit hat ein weiterer Flugbegleiter ein Feuer außerhalb des Flugzeuges wahrgenommen und damit nahm die Heldengeschichte dieser Katastrophe ihren Lauf, während die Piloten offenbar noch ganz starr vor Schreck waren: Der Flugbegleiter, der auf Höhe der zweiten Flugzeugtüren saß, nahm das Heft des Handelns in die eigene Hand, koordinierte die Kollegen, die direkt beim ihm saßen und leitete die Evakuierung eigenständig ein. Die Chefflugbegleiterin, die eben noch von ihrem Kapitän angewiesen wurde, noch nicht zu evakuieren, hat infolge auch an ihren Türen die Evakuierung eingeleitet und so nahm die Geschichte ihren Lauf. Mehr als die Hälfte der Kabinenbesatzung waren entweder eingeklemmt, oder so schwer verletzt, dass sie ihre Kollegen nicht unterstützen konnten. So retteten fünf Flugbegleiter, Stewards und Stewardessen, im Volksmund auch Saftschubsen genannt, mehr als 300 Menschenleben. Zum Teil haben sie verletzte Passagiere aus dem Wrack herausgetragen, so lange, bis sie aufgrund des aufziehenden Qualms selbst nicht mehr atmen konnten. Helden, oder?

Macht und Ermächtigung

Defacto könnte man sagen, dieser eine Flugbegleiter hat sich über alle hierarchischen Strukturen hinweggesetzt, die Befehlsgewalt des Kommandanten untergraben und die Chefflugbegleiterin hat bereitwillig mitgemacht! Jetzt kommt das wirklich verrückte: in der Luftfahrt ermuntern wir unsere Crew-Mitglieder genau das zu tun. Das System des Crew Ressource Managements, das ich euch letzte Woche in seinen Grundzügen vorgestellt habe, ermächtigt jedes einzelne Crew-Mitglied, niemals blind hinterher zu laufen. Guter Followership in der Luftfahrt bedeutet, dass jeder jederzeit hellwach und kritisch ist und seinen eigenen Verstand nutzt. Jede Führungskraft, ob im Cockpit oder in der Kabine, ist sich im Klaren darüber, dass die Luftfahrt so komplex ist, dass auch sie Fehler machen. Aus diesem Grund ermächtigen sie ihre Teammitglieder dazu, jederzeit Stopp sagen zu können. So dürfen auch Co-Piloten ihrem Kapitän den Flieger “abnehmen”, wenn sie das Gefühl haben, dass es ansonsten zu einem fatalen Fehler kommen kann und auch die Kollegen in der Kabine sind dazu aufgerufen, kritisch zu sein, ihre Meinung zu äußern und auch in der Hierarchie nach oben Feedback zu geben. Die Basis der Sicherheitskultur in der Luftfahrt ist, dass Führungskräfte ihre Macht auch dazu nutzen, ihre Teams zu ermächtigen, ihnen den Raum geben, um ihr gesamtes Potenzial zu nutzen, weil es keine andere Möglichkeit gibt um in einem komplexen und dynamischen Umfeld sicher und erfolgreich zu agieren.

Denn das Team ist der Star - Confession of a Trolley Dolly

Ich plaudere mal ein wenig aus dem Nähkästchen. In über zwanzig Jahren in der Luftfahrt erlebt man so einiges und in all dieser Zeit bekommt man auch ein gewisses Gefühl dafür, wie man in seiner Rolle als Kabinenbesatzung wahrgenommen wird. Eine Szene, die ich schon tausende Male erlebt habe, ist dass ich nach dem Flug an der Tür stehe, um mich von meinen Gästen zu verabschieden. Viele bedanken sich ganz herzlich für den Flug und den Service. Einig laufen allerdings lächelnd und fröhlich auf mich zu um zu sagen “sagen Sie dem Kapitän vielen Dank für den Flug…” und dann verschwinden sie in der Gangway. Natürlich meint das keiner meiner Gäste böse. Es ist ihre Art, auszudrücken, dass sie froh sind, gut gelandet zu sein. Ich muss jedoch gestehen, dass mich diese Situation gelegentlich zum Schmunzeln bringt. Da lässt jemand seinen Dank für den Flug einem Menschen ausrichten, den er kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hat, weil man glaubt, dass dieser eine übermächtige Heilige es verantwortet hat, dass man sicher angekommen ist… Mal abgesehen davon, dass die Kollegen in der Kabine ihre Gäste während des Fluges im Rahmen der Möglichkeiten, die ihre jeweilige Airline ihnen bietet, mit Service beglücken, sind es nicht die Kapitäne, die das Feuer löschen, falls mal wieder jemand seine brennende Zigarette auf der Toilette “vergisst”. Es sind auch nicht die Kapitäne, die den Defibrillator bedienen, falls ein Gast wiederbelebt werden muss. Es ist übrigens auch nicht der herbeigerufene Notarzt! Schwierig im Flieger! Wenn ein Gast aus welchen Gründen auch immer die Beherrschung verliert, sind es die Flugbegleiter, die diese Situation so regeln, dass die anderen Gäste möglichst nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Es ist nicht die herbeigerufene Polizei! Auch wenn der Handy-Akku explodiert, kann man sich auf seine Flugbegleiter verlassen und falls die Chlortabletten, die ein Gast zur Poolreinigung im Handgepäck hat, anfangen giftige Dämpfe zu bilden, sind es ebenfalls die Flugbegleiter, die wissen was zu tun ist, um Chlorgasvergiftungen zu vermeiden… Piloten wissen das und sind sich über den Wert ihrer Kabinenkollegen bewusst. In der öffentlichen Wahrnehmung findet das alles jedoch (zum Glück) nicht statt, weil all diese Situationen glücklicherweise sehr selten sind. Allerdings wurde der Asiana Crash wenigsten in Südkorea sehr wohl wahrgenommen, was dazu führte, dass Flugbegleiter eine deutliche Aufwertung in der öffentlichen Wahrnehmung Südkoreas erfahren haben. Der Luftfahrtpsychologe H. C. Foushee hat einmal folgendes gesagt: “A flying mission is always a team task.” Da jeder Fehler machen kann, egal wo er in die Hierarchie steht, ist jedes einzelne Teammitglied gleich wertvoll, allerdings zeigt sich dieser Wert manchmal erst, wenn es im Vorfeld zu fatalen Fehlern kommt.

Quo vadis, Stewardess?

Nun erlebe ich die Luftfahrt seit über zwanzig Jahren hautnah mit und ich muss sagen, die Dinge verändern sich rasant und nicht erst durch Corona. Der Luftfahrtpsychologe James Reason hat kürzlich erklärt, dass er der Meinung sei, dass die Luftfahrt ihr höchstes Level an Sicherheit bereits vor einigen Jahren erreicht habe. Klar sei Fliegen auch weiterhin sicher, aber das wirklich hohe Sicherheitsniveau, dass sich die Luftfahrt über Jahrzehnte hart erarbeitet habe, sei inzwischen wieder rückläufig. Er begründet diese These damit, dass die Wettbewerbssituation in der Luftfahrt angefacht durch das, was der Volksmund Billig-Airlines nennt, derart gnadenlos geworden ist, dass eine gesamte Branche dazu gezwungen ist, jeden Cent zweimal umzudrehen und sich auf diesen unwürdigen und gefährlichen Kampf einzulassen. Aus diesem Grund wird auch bei ihrem Kabinenpersonal gespart. Eine große, seriöse Airline mit hohem Sicherheitsniveau und angemessenen Arbeitsbedingungen macht es im Schatten von Corona vor: Da werden vermeintlich teure Töchter abgewickelt und eine neue kostenbewusstere Tochter aus dem Boden gestampft. Die Mitarbeiter der nun geschlossenen Töchter habe selbstverständlich die tolle Möglichkeit, bei der neuen Tochter anzufangen, natürlich für deutlich weniger Gehalt und zu “neuen” Bedingungen. Die Alternative ist natürlich Arbeitslosigkeit, weil sich selbstverständlich viele andere junge Menschen finden, die die angebotenen Verträge gerne annehmen. So läuft das in der freien Markwirtschaft. Allerdings hat das auch Folgen für die Sicherheit. Am 19. März 2019 musste ein Airbus A320 der Laudamotion in London den Start abbrechen. Das passiert selten und wenn man es miterlebt, ist das recht spektakulär, laut und auch etwas erschreckend. Es ist aber nicht lebensgefährlich und die Kabinenbesatzung sollte in einer solchen Situation auch auf keinen Fall selbstständig evakuieren. Die junge Chefflugbegleiterin hat aber trotzdem direkt nach dem Stillstand der Maschine reflexartig und eigenständig die Evakuierung eingeleitet. Da eines der Treibwerke noch lief, hat sie die evakuierten Gäste, für die sie verantwortlich war, in wirkliche und greifbare Gefahr gebracht. Die britischen Unfallermittler waren “not amused”, stellten aber fest, dass man den Vorwurf nicht in erster Linie dieser jungen Frau machen konnte, da sie von ihrem Arbeitgeber in eine Situation gebracht wurde, die sie niemals hätte meistern können. Totale Überforderung! Zum einen hatte die junge Frau nur wenig Erfahrung als Flugbegleiterin, wahrscheinlich zu wenig Erfahrung, um die Verantwortung als Chefflugbegleiterin zu übernehmen. Zum anderen hatte das wenige Training, dass sie erhalten hat, klare Defizite. Das System “Geiz-ist-geil” war schlichtweg der Hauptgrund dafür, dass dieses arme Mädchen, auf dem infolge erstmal gehörig rumgehackt wurde, niemals eine faire Chance hatte, ihren Job gut zu machen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Zum Glück verstanden die Piloten recht schnell, was vor sich ging und schalteten das noch laufenden Triebwerk ab. Nicht auszumalen, wäre ein Passagier in das noch laufende Triebwerk geraten… Unverantwortlich den Gästen gegenüber und unendlich gemein, niederträchtig und verantwortungslos meiner jungen Kollegin gegenüber. Eine Airline hat gegenüber ihren Mitarbeiten ihre Verantwortung und ihre Fürsorgepflicht wahrzunehmen!

Schuld ist natürlich immer der andere

Selbstverständlich führen solche Situationen mal wieder zu allgemeinem Airline-Bashing! -Verschmutzen die Umwelt und kümmern sich dabei noch nicht mal angemessen um ihre Mitarbeiter, bilden sie nicht richtig aus und riskieren die Gesundheit ihrer Passagiere! Natürlich ist es ein No-Go, was die ein oder andere Airline so treibt, auf Kosten ihrer Mitarbeiter, ihrer Gäste, der Sicherheit. Ein unverschämtes und verantwortungsloses Verhalten! Was ich jedoch wirklich unverschämt und verantwortungslos finde, ist, dass die Qualität einer Airline in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend vor allem anhand ihres Service definiert wird, selbst wenn diese gefeierte Dienstleistungsbereitschaft auf Kosten der Sicherheit geht. Beispiel gefällig: “Die Airline XY ist viel besser, weil die Stewardessen da viel netter sind. Da muss ich mein Kind nicht zur Landung wecken, um es anzuschnallen! Ich werde mich über Sie beschweren.” Kurze Erinnerung: Beim Crash der Asiana sind nur die Gäste gestorben, die nicht angeschnallt waren. Die ein oder andere Stewardess denkt sich in einer solchen Situation sicher so etwas wie: “Und mir ist Ihr Kind und dessen Gesundheit so wichtig, dass ich mich dafür sogar mit Ihnen streite. Mir könnte es auch einfach egal sein und ich könnte weitergehen. Das würde meinen Tag viel netter und einfacher machen. Aber ich bin mir meiner Verantwortung für meine Gäste bewusst.” Dabei lächelt die Stewardess freundlich, weil sie den Unmut der gestressten Mutter natürlich versteht, erklärt ihr die Situation nochmal ganz freundlich und hilft ihr, das Kind vorsichtig, sicher anzuschnallen, möglichst ohne es aufzuwecken. Wobei das am Ende des Tages eigentlich egal ist, weil man dann doch am liebsten den billigsten Flug bucht…

Liebe Verbraucher, auch ihr habt Verantwortung. Im Prinzip habt ihr es sogar in der Hand. Ihr habt mit Geiz-ist-geil angefangen, ihr könnt damit aufhören und vor allem könnt ihr euch entscheiden, wie ihr Flugbeleiter wahrnehmt: Servicepersonal, dass einen gängelt oder Menschen, die Verantwortung für das Wohlergehen anderer Menschen übernehmen. Wer sicher von A nach B möchte, tut gut daran, zu verstehen, dass Flugbegleiter dafür absolut systemrelevant sind, so wie es das Pflegepersonal für die Intensivstationen ist. Ein Flugzeug mit Piloten allein ist, wenn es um Menschenleben geht, so hilfreich wie eine Intensivstation mit vielen Betten und Ärzten, aber ohne Pflegepersonal.

Krankenschwestern, Stewardessen - stets sanft lächelnde Lebensretter die einfach da sind, als gegeben hingenommen werden, im Verborgenen wirksam werden, ihre gefeierten Piloten und Ärzte unterstützen, damit man im Team gemeinsam Leben rettet. Jeder leistet seinen Beitrag, seinen systemrelevanten Beitrag. Für diesen Beitrag hat man Respekt verdient und eine Bezahlung, die diesen Respekt widerspiegelt und vor allem hat man eine Ausbildung verdient, die einen in angemessener Art und Weise auf seinen verantwortungsvollen Berufsalltag vorbereitet

Liebe Verbraucher, hört auf über die Geister zu schimpfen, die ihr selbst herbeigerufen habt! Wenn ihr diese Geister nicht mögt, ruft euch neue, bessere Geister herbei. Marktwirtschaft bedeutet nämlich auch, dass der Markt die Wirtschaft macht und der Markt sind wir! - Wow, ich sollte eine Revolution anzetteln!

Eure Constance

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Cabin under Preassure

Flugbegleiter in Zeiten von Billigfliegern - zwischen Verantwortung und wirtschaftlichem Druck