Als mir die Giraffe in den Sekt gespuckt hat! Ausflug in die Gewaltfreie Kommunikation

Manchmal ist das Leben verrückter, als es jede Geschichte sein könnte. Ja, mir hat tatsächlich mal eine Giraffe in den Sekt gespuckt, vor einigen Jahren während eines Sundowners außerhalb von Mombasa. Damals dachte ich, dass das verrückteste daran sei, dass einer meiner Mitreisenden so geistesgegenwärtig war, diesen Moment im Bild festzuhalten. Heute finde ich einen anderen Aspekt noch viel bemerkenswerter: Es war just an diesem Tag, an dem ich angefangen habe, mich auf meine Ausbildung zum Mediator vorzubereiten, während welcher ich mich unter anderem auch sehr ausführlich mit dem Thema der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg beschäftigt habe. Und Giraffen spielen in diesem System eine absolut herausstechende Rolle!

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Perspektivwechsel

Ob die Giraffe weiß, dass sie mir in den Sekt spuckt? Wenn ja, war es Absicht? -Um mich zu ärgern, oder weil Alkohol ungesund ist?

Gewaltfreie Kommunikation

Aber genug zu meinen skurrilen Reiseberichten und hin zum eigentlichen Thema und was Giraffen damit zu tun haben. Den Begriff der gewaltfreien Kommunikation hat sicher jeder irgendwann einmal in irgendeinem Zusammenhang gehört und da die Begrifflichkeit prinzipiell selbsterklärend ist, kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen, dass es bei Gewaltfreier Kommunikation um das menschliche Miteinander geht. Wer jetzt noch eins und eins zusammenzählt, könnte zu der Schlussfolgerung gelangen, dass es sich hierbei auch um eine Kommunikationsstrategie handelt. Tatsächlich ist diese reine Strategie, die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation, gar nicht kompliziert, recht schnell zu verstehen und auch kognitiv zu verinnerlichen. Was meiner Meinung nach das wirklich bahnbrechend Interessante ist, ist die innere Haltung, die der Gewaltfreien Kommunikation zu Grunde liegt und welche die erfolgreiche Umsetzung der vier Schritte Gewaltfreier Kommunikation überhaupt erst möglich macht. Aus diesem Grund möchte ich in den nächsten acht bis zehn Minuten kurz die Ursprünge und die innere Haltung der Gewaltfreien Kommunikation ein wenig beleuchten. Wer einfach nur die vier Schritte lernen möchte, möge sich bitte ein Buch kaufen oder Google befragen!

Rosenbergs gewaltvoller Weg zur Gewaltfreien Kommunikation

Zurück geht die Gewaltfreie Kommunikation auf den US amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg, der im Detroit der vierziger und fünfziger Jahre als Arbeiterkind groß wurde. Wer jetzt denkt, dass der Vater der Gewaltfreien Kommunikation mit Sicherheit sehr behütet und gewaltfrei großgeworden ist, den muss ich enttäuschen. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Immer wieder sammelte der junge Marshall heftige Gewalterfahrungen. 1943 konnte er auf Grund von Rassenunruhen vier Tage lang das Haus nicht verlassen. In direkter Nachbarschaft starben mehrere Menschen. Auch jenseits dieser Unruhen erlebte Marshall als Jude regelmäßig rassistische Hänseleien, Diskriminierung und Gewalt seitens seiner Mitschüler. Irgendwann begann er sich zu wehren, was zu zahlreichen Schulhofschlägereien führte, die regelmäßig auch zu Krankenhausaufenthalten beigetragen haben. Also alles andere als gewaltfrei, der kleine Marshall!

Allerdings erlebte Marshall sein Zuhause trotz allem als Ort der Einfühlsamkeit und Wärme. So kümmerten sich seine Eltern gemeinsam mit seinem Onkel hingebungsvoll um drei pflegebedürftige Angehörige, die mit im Elternhaus lebten. Diese Gegensätze ließen Marshall Rosenberg zu den Fragen kommen, die ihn schließlich dazu gebracht haben, Psychologie zu studieren: Warum schaffen es manche Menschen selbst unter widrigsten Umständen einfühlsam oder empathisch zu bleiben? Und lässt sich diese einfühlsame Haltung vielleicht sogar bewusst erlernen und weitergeben? Diese großen Fragen hielten ihn jedoch nicht davon ab, zu Beginn seines Studiums zunächst einmal sein Macho-Image zu pflegen, in dem er recht regelmäßig äußerst feucht-fröhlich feierte und auch der ein oder anderen handfesten körperlichen Auseinandersetzung nicht abgeneigt war. Gut, der ein oder andere sagt jetzt normales Studie-Leben, aber für jemanden, der Einfühlsamkeit verstehen wollte, eine recht interessante Herangehensweise.

Wie dem auch sei, irgendwann trat in Person von Carl Rogers ein Professor in Rosenbergs Leben, der half Orientierung zu geben. Rogers Theorie, dass es für eine helfende (oder therapeutische) zwischenmenschliche Beziehung unbedingt Emapthiefähigkeit, Aufrichtigkeit und Respekt braucht, hat Rosenberg den benötigten Antrieb auf seinem Weg zur Gewaltfreien Kommunikation gegeben.

Von Giraffen und Wölfen

Rosenbergs Grundannahme ist, dass es zwei Arten von Sprache gibt: die gewaltvolle und die gewaltfreie. Da Rosenberg es in den sechziger und siebziger Jahren als eine seiner Hauptaufgaben sah, die breite Masse, Erwachsene wie Kinder, in Gewaltfreier Kommunikation zu unterrichten, entwickelte er die Giraffe und den Wolf als Metapher für diese beiden Arten von Sprache.

Liebe Hundeliebhaber, an dieser Stelle ist es wichtig zu verstehen, dass diese beiden Kategorien Rosenbergs in keinster Weise wertend zu sehen sind. Es geht darum, zwei unterschiedliche Arten von Kommunikation möglichst greifbar zu machen und schon einmal vorweg: Beide Arten der Kommunikation, oder der ihnen zu Grunde liegenden Haltungen, haben eine Daseinsberechtigung.

Der Wolf heult immer sofort los, wenn er Schmerzen hat, ihm etwas nicht passt oder fehlt. Dabei zeigt der Wolf seinem Gegenüber spitze, Angst einflößende Zähne. Diese Zähne sollen ein Sinnbild dafür sein, dass man mit Sprache zubeißen kann, zubeißen durch Abwertung oder Wertung allgemein (auch Lob ist in Rosenbergs System “wölfisch”), Drohung, Schuldzuweisung, oder dem oft gut gemeinten Klau von Themen (“Das kenne ich, das ist bei mir auch immer so/noch schlimmer…”).

Die große Giraffe hat im Gegensatz zum Wolf immer einen wunderbaren Überblick, ist ruhig und besonnen. Sie hat zwei Antennen auf dem Kopf, damit sie noch besser wahrnehmen kann. Ihre Zunge kann selbst durch Dornen nicht verletzt werden und sie hat das größte Herz in der Tierwelt.

Wie gesagt, Wolf und Giraffe stehen nicht für gut und böse, sie stehen vielmehr für zwei unterschiedliche Möglichkeiten oder Gewohnheiten, Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, übrigens auch die eigenen. Hierbei wird unserem inneren Wolf eine ganz wichtige Rolle zuteil: er ist nämlich ein permanenter Anwalt unserer Bedürfnisse. Durch sein Geheule engagiert er sich sehr deutlich für die Erfüllung unserer Bedürfnisse. Allerdings heult der Wolf oft so laut und wild, dass es nicht einfach ist, diese Bedürfnisse wirklich herauszufiltern, weder bei anderen noch bei uns selbst. Hierfür benötigen wir die feinen Antennen der Giraffe, die aus all diesem Chaos die Gefühle und Bedürfnisse des heulenden Wolfes herausfiltern kann. Dazu ist etwas Abstand elementar, außerdem eine wohlwollende und positive Grundhaltung (ja, Wolfsgeheule kann echt nervig sein, aber hey, der arme Wolf macht das ja nicht aus Spaß oder um mich zu ärgern, sondern weil er ein echtes Problem hat, ihm etwas fehlt). Außerdem werten Rosenbergs Giraffen nicht. Eine Unterscheidung zwischen richtig und falsch, gut und böse gibt es in Rosenbergs Giraffenwelt nicht.

Das aus meiner Sicht schwierigste an der Gewaltfreien Kommunikation ist tatsächlich das Einnehmen der inneren Haltung der Giraffe. Oft gelingt es uns ja noch nicht einmal mit uns selbst wohlwollend und positiv zu sein. In der Kommunikation mit mir selbst wähle ich intuitiv eigentlich immer die Wolfssprache. Ich muss mich immer regelrecht zusammenreißen und konzentrieren, um mich selbst aus der Giraffenperspektive zu beobachten und so etwas wohlwollender mit mir selbst zu sprechen. Mit den Jahren der Übung fällt mir dieser Perspektivwechsel immer leichter, trotzdem muss ich mich noch immer bewusst dazu entscheiden.

Selbstreflexion als erster Schritt

Wie sprecht ihr denn mit euch selbst? Keine Sorgen, innere Dialoge sind völlig normal. Es gibt sogar Kommunikationsforscher, die der Meinung sind, dass wir etwa 90 Prozent all unserer Kommunikation im inneren Dialog verbringen. Um so wichtiger ist es doch, dass wir gut mit uns umgehen, großzügig mit uns selbst sind und in der Lage sind uns selbst und unsere Bedürfnisse zu verstehen. Vielleicht entscheidet ihr euch ja beim nächsten mal, wenn es in euch so richtig am brodeln ist, der Wolf heult und ihr am liebsten die Zähne zeigen würdet (wem auch immer), mal die Giraffenperspektive einzunehmen und in Giraffensprache zu kommunizieren: Das heißt, ihr beobachtet euch zunächst einmal und hört euch gut zu. Versucht im ersten Schritt eure Gefühle zu benennen und im zweiten Schritt die Bedürfnisse zu greifen, die sich hinter diesen Gefühlen verstecken. Der abschließende Schritt ist dann um die Erfüllung, Stillung, Befriedigung eurer Bedürfnisse zu bitten. Denn erst wenn das Bedürfnis gestillt ist, sind auch die Gefühle weg, die euch zum heulen gebracht haben.

Wenn ihr es schafft, mit euch selbst “giraffisch” zu sprechen, könnt ihr dann im zweiten Schritt auch mal versuchen, eure Antennen auf das Wolfsheulen der anderen zu richten, um durch empathisches und wertfreies Zuhören und vielleicht durch das Stellen der richtigen Fragen die Gefühle und Bedürfnisse eures Gegenübers zu verstehen.

Eigentlich ist Gewaltfreie Kommunikation nicht schwer. Schwer ist es manchmal Giraffe zu sein…

Alles das erklärt natürlich noch immer nicht, warum diese Giraffe sich dazu entschieden hat, mir in den Sekt zu spucken. Ich empfand das alles andere als gewaltfrei! Aber ich bin ja großzügig und habe ein großes Herz, deshalb will ich dieser Giraffe nichts unterstellen und nehme es lediglich wertfrei zur Kenntnis! Und hey, wem hat schon mal eine Giraffe in den Sundowner gespuckt???

Eure Constance

Das Beurteilungsgespräch, die merkwürdigste Situation des Jahres

Große Freude! Es ist wieder Beurteilungsgespräch!

Wer von euch freut sich nicht auf sein jährliches Beurteilungsgespräch, weil er danach inspiriert und gestärkt den Raum verlässt und sich voller Energie auf zu neuen Ufern macht? Und wer unter den Führungskräften würde nicht sagen, dass die vier bis sechs Wochen im Jahr, in deren Verlauf die Mitarbeitergespräche geführt werden, eine Bereicherung für das Teamgefüge darstellen? Wer hat keinen Spaß daran, sich “SMARTe” Ziel auszudenken und die wunderbaren Beurteilungsbögen der Personalabteilungen auszufüllen? Ich spüre euer müdes Lächeln…

Warum ist das so? Warum macht uns diese jährliche Leistungsbeurteilung so nervös? Mitarbeiter wie Führungskraft? Sicher auch, weil indirekt so viel von eben dieser Beurteilung abhängt: Beförderung, Gehaltserhöhung, Boni, Projekte, etc. Selbst Manager, denen das Thema Personalentwicklung sehr am Herzen liegt und die in der Beurteilung ihrer Mitarbeiter geschult sind, sind sich dessen bewusst und so wird die Gesprächsatmosphäre immer auch von Unsicherheit und Angst begleitet, auf beiden Seiten. Um sich selbst Sicherheit zu geben, klammert der Chef sich gerne an diesen wundervollen Bogen, den die Personalabteilung ihm zu Verfügung gestellt hat und der Mitarbeiter versucht sich von seiner besten Seite zu zeigen. Keiner will etwas falsch machen. Dabei weiß der Mitarbeiter oft nicht wirklich was auf ihn zukommt, da die meisten Mitarbeiter im Laufe des Jahres seitens ihres Chefs kein regelmäßiges und ausführliches Feedback erhalten. Die Nervosität steigt ins Unermessliche, beide Seiten achten tunlichst genau auf das, was sie sagen und das Gespräch, welches so entsteht, ist alles, nur nicht spontan, offen und inspirierend. Am Ende sind beide Seiten froh, “es” hinter sich zu haben und ab jetzt wieder zwölf Monate Ruhe davor zu haben.

Das Potenzial von Beurteilungsgesprächen

Schade eigentlich, wenn man sich überlegt welches Potenzial diese Gespräche haben. Was würde denn passieren, wenn wir diese Gespräche nicht mehr aus Verpflichtung heraus führen würden, sondern als Ausdruck der Verbundenheit, aus aufrichtiger Wertschätzung und ehrlichem Interesse? Was würde passieren, wenn es in diesen Gesprächen nicht mehr darum ginge, festzulegen zu wie viel Prozent die Vorjahresziele erreicht wurden, sondern um Fragen wie: Was möchte ich wirklich gerne tun? Was macht mir Spaß? Was sind meine ganz besonderen Talente? Wo bringe ich diese schon ein? Was hält mich davon ab, meine Talente komplett in meine Arbeit einzubringen? Was brauche ich um eben das zu tun? Was macht mich einzigartig? In einer von Angst und Unsicherheit geprägten Gesprächsatmosphäre wird ein spontaner und ehrlicher Austausch über diese Themen unmöglich. Aber liebe Chefs und Manager, erst wenn ihr diese Punkte für jeden eurer Mitarbeiter abgeklärt habt, könnt ihr eure Mitarbeiter ihren Fähigkeiten und Talente entsprechend fördern und einsetzen. Erst dann kommt es zur High Performance eines jeden Einzelnen.

Die etwas andere Form von Beurteilung

Wie schaffen wir es also, das jährliche Gespräch zwischen Manager und Mitarbeiter für echten Austausch und wirkliche Weiterentwicklung zu nutzen? Wir müssen es irgendwie schaffen, diese Leistungsbeurteilungen anders aufzubauen, so, dass sie keinen Druck und keine Angst mehr erzeugt.

Der Wahnsinn der Bonuszahlungen

Im ersten Schritt sollte man die an persönliche Jahresziele gebundene Zahlung von Boni oder Provisionen überdenken. Diese machen aus vielerlei Gründen keinen Sinn. Dass durch sie einer der größten Angstfaktoren im jährlichen Mitarbeitergespräch weg fällt, ist nur ein positiver Nebeneffekt. In erste Linie sollte sich jedes Unternehmen mal darüber Gedanken machen, was passiert, wenn ich meinen Mitarbeitern die Karotte buchstäblich vor die Nase halte. Klar wird dann vielleicht etwas schneller gerannt, aber leider auch mit recht großen Scheuklappen. Beispiel: Der Head of Facility Management bekommt das Jahresziel, Mietkosten zu senken, gerne auch durch einen Umzug. Also macht sich der Manager auf die Suche nach einer neuen Liegenschaft und wird fündig. Vergleichbares Gebäude, soundsoviel Prozent weniger Miete. OK, es ist ein Staffelmietvertrag und in vier Jahren sind die Mietkosten dann deutlich höher als sie es heute sind. Ist aber egal, denn den diesjährigen fetten Bonus hat unser Manager sicher. Der entsprechende Vorstand unterschreibt alles, weil auch er in diesem Jahr Kosten senken muss. Also egal was irgendwann mal sein wird, für den Moment ist alles super. Verständlich irgendwie. Warum sollte einem das Hemd auch nicht näher sein als die Hose? Was passiert, wenn man einem Esel eine Karotte vor die Nase hängt, ist dass sein Horizont eben just bei dieser Karotte aufhört. Langfristig gesehen ein totaler Supergau!

Selbstreflexion statt Beurteilungsbögen

Stellen wir uns vor, wir haben diese Provisionierung der individuellen Jahresziele also abgeschafft und es gibt so etwas wie eine allgemeine Gewinnbeteiligung. Damit haben wir einen Teil des Drucks für beide Seiten raus genommen. Beurteilt werden sollte aber trotzdem. Deshalb könnte es im zweiten Schritt eine großartige Idee sein, den jährlichen Beurteilungsprozess zunächst als Möglichkeit zur Selbstreflexion zu nehmen. Jeder Mitarbeiter bekommt eine Liste von Fragen anhand derer er seine eigene Leistung und Zielerreichung reflektiert. Ich selbst bin immer mal wieder in der Position, die Leistung anderer zu beurteilen und ich bin tatsächlich weitestgehend dazu übergegangen, mir zunächst einmal anzuhören, wie die jeweiligen Kollegen sich selbst beurteilen würden. In etwa 99 Prozent aller Fälle sind diese Kollegen deutlich kritischer mit sich selbst, als ich es jemals wäre. Ähnlich erlebe ich es auch im Rahmen meiner Workshops, wenn ich die Gruppe bitte, sich selbst hinsichtlich einer Übung oder Aufgabe zu reflektieren.

Das Team als Spiegel

Um dem Selbstbild aber auf jedem Fall noch ein Fremdbild hinzuzufügen, damit die Sache rund wird, brauchen wir im nächsten Schritt ein Feedback. Hier stellt sich die generelle Frage, wer denn besser geeignet ist, meine Leistung zu beurteilen: Meine Kollegen, die mich täglich mehrere Stunden erleben und auch ganz genau mitbekommen, welchen Anteil der Teamleistung mir zuzuordnen ist, oder mein Chef, der mich vielleicht nur wenige Minuten pro Tag erlebt, wenn überhaupt? Eine Antwort erübrigt sich. In einem Teammeeting in wohlwollender und entspannter Atmosphäre stellt ein Kollege zunächst kurz seine Selbstreflexion vor. Danach haben alle Kollegen einen Moment Zeit, sich über das Gehörte in aller Stille Gedanken zu machen. Im Anschluss daran beantwortet jeder zwei Fragen: Was schätze ich besonders an der Zusammenarbeit mit dir? Und was ist der Bereich, in dem du dich noch weiterentwickeln könntest? Ein Protokollant schreibt alles an der Flipchart mit und überreicht abschließen dem Kollegen, der in diesem Meeting im Fokus steht, das Papier.

Die Führungskraft als Coach

Kommen wir zum letzten Schritt des Beurteilungs- oder Entwicklungsprozesses: Mit seinem Flipchart-Bogen geht unser Mitarbeiter nun zum Chef. In einem Vieraugengespräch besprechen die beiden jetzt die Ergebnisse des Teammeetings und gemeinsam mit dem Chef erörtert unser Mitarbeiter was er aus diesem Prozess mitnimmt, was er gelernt hat und wie und in welche Richtung er sich zukünftig weiterentwickeln möchte. Auf diese Art und Weise wird die jährliche Beurteilung zu einem ermutigendem Prozess der Selbstreflexion und Weiterentwicklung.

Wer jetzt sagt, das ist alles Hokus-Pokus und Traumtänzerei, jenseits von Wirtschaftlichkeit und Realität, dem sei gesagt, dass es einige sehr erfolgreiche Unternehmen gibt, die einen solchen oder ähnlichen Prozess bereits implementiert haben. Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die nicht nur verstanden haben, dass der Mensch der Schlüsseln zu Erfolg ist, sondern darüber hinaus auch verstanden und verinnerlicht haben, was der Mensch braucht um sein volles Potenzial abzurufen: Respekt, Vertrauen, Sicherheit und Spaß!

Lasst uns aufhören mit diesem Karotten-Blödsinn in Kombination mit Druck und Angst. Lasst uns aufhören mit diesen Beurteilungsgesprächen um deren selbst Willen. Lasst uns doch mal wieder auf den ursprünglichen Sinn und Zweck dieser Gespräche rück besinnen. Es ging irgendwann mal um Weiterentwicklung und um mich weiter zu entwickeln brauche ich weder Druck, noch Angst, noch eine blöde Karotte. Ich brauche Unterstützung und jemanden, der mich als Person wahrnimmt, mit meinen Stärken und Schwächen. Wie sieht es bei euch aus? Was braucht ihr?

Eure Constance

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Total entspannt

Beurteilungsgespräche als Chance für alle beteiligten

Die Physiologie der Angst und das große Missverständnis der Mächtigen

Angst macht stark

Angst verleiht uns Bären-Kräfte, lässt uns schneller rennen und uns über uns selbst hinauswachsen, sie lässt uns blitzschnell entscheiden, weniger Schmerzen spüren und so weiter und so fort. So gesehen müsste Angst doch etwas gutes sein, so gut, dass es Manager und sogar Staatschefs gibt, die dem Glauben unterliegen, ihre Leute über Angst zu Höchstleistung anspornen zu können. -Eines der, wie ich finde, größten Missverständnisse der Evolution. Aber mal von vorne…

Angst ist uns vor allem als abstraktes Gefühl bekannt. Was vielen Menschen nicht bewusst ist, ist dass hinter diesem abstrakten Gefühl klar messbare physiologische Vorgänge stecken, deren evolutionshistorischer Ursprung darin begründet liegt, das Überleben unserer Art zu sichern. Also im Kern war Angst dann doch irgendwie etwas Positives.

Die Physiologie der Angst

Schauen wir uns mal an, wie Angst in unserem Körper entsteht: Zunächst nehmen unsere Sinnesorgane etwas wahr, das unsere Großhirnrinde, der modernste Teil unseres Gehirns, entsprechend unserer Erfahrungen interpretiert. Im Falle der Angst interpretiert unsere Großhirnrinde das Wahrgenommene als (lebens-)gefährlich. Diese Gefahrenmeldung geht sofort an unser Gefühlshirn, das Limbische System. Die dort ansässige Amygdala, unser Angshirn, sorgt in Zusammenarbeit mit dem Hippocampus dafür, dass der Hypothalamus Stresshormone ausschüttet (Adrenalin, Noradrenalin, Kortison und Kortisol). In Gefahrensituationen, in denen eine Blitzreaktion zum Überleben notwendig ist, macht das die fürsorgliche Amygdala auch gerne mal, ohne vorher mit der Großhirnrinde, dem rationalen Teil unseres Gehirns, Rücksprache zu halten. Das ist sehr oft sehr hilfreich, führt in unserem modernen Leben aber auch häufig zu ziemlich komischen Situationen.

Aber zurück zum Hypothalamus und seinen Hormonen: Diese Bewirken schließlich, dass unser Herz schneller schlägt, der Blutdruck steigt, die Muskulatur stärker durchblutet wird und das sogar mit einem nährstoffhaltigerem Blut, unsere Pupillen werden weiter, die Körpertemperatur steigt und unsere gesamte Aufmerksamkeit ist auf die Gefahr gerichtet. Sinn und Zweck der ganzen Übung ist, dass unser Körper für einen gewissen Moment besonders leistungsfähig ist, um wahlweise besser kämpfen, oder schneller flüchten zu können. Hierbei ist es sogar Teil der körpereigenen Überlebensstrategie, dass dieser Hormoncocktail bewirkt, dass unser Blut dickflüssiger wird. So verlieren wir im Falle einer Verletzung weniger Blut, ist ja dickflüssiger, was die Wahrscheinlichkeit zu überleben erhöht. Wahnsinn dieser Körper, oder?

Wann immer ich mich mit dem menschlichen Gehirn und damit verbundenen körperlichen Reaktionen beschäftige, passieren bei mit zwei Dinge: ersten werde ich ziemlich demütig vor der Evolution, Schöpfung oder wie auch immer man das nennen mag und zweitens wird mir wieder und wieder bewusst, wie großartig der Mensch ist, aber dass er mit seinen natürlichen oder instinktiven Reaktionen nicht für ein Leben in dieser modernen Welt gemacht ist. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung hat das Leben uns irgendwie überholt. Deshalb braucht es Human Factors Training, um hier nachzujustieren.

Das große Missverständnis

Jetzt aber mal zu diesem Missverständnis der Mächtigen, die glauben, über Angst Menschen zum einen besser kontrollieren und zum anderen zu Höchstleistungen anspornen zu können. Ja, funktioniert! Funktioniert sogar sehr gut, wenn die Höchstleistung, die man benötigt, besonders schnelles kopfloses Rennen, Schmerzunempfindlichkeit oder eine besonders hohe Schlagkraft ist! Ich frage mich gerade in welchen Teilen der modernen Arbeitswelt das von herausragender Wichtigkeit ist… Und zum Thema bessere Kontrolle: schon mal eine Gruppe ängstlicher Schafe kontrolliert? Geht gut, bis das erste drauf losrennt!

Wir sollten uns an dieser Stelle lieber nochmal anschauen, was mit uns Menschen im Zusand der Angst noch so alles passiert. Wenn unser Angsthirn so richtig Gas gibt und so richtig viele Stresshormone ausgeschüttet werden, passiert nämlich noch viel mehr. Als allererstes verändert sich unsere Wahrnehmung. Wir sind fast ausschließlich auf das fokussiert, was uns Angst macht und da unser Gehirn sehr fürsorglich ist, schaltet es das seiner Meinung nach für uns unwichtigste Sinnesorgan erstmal ab. Wir hören nicht mehr richtig und merken das noch nicht einmal! Ferner wird auch unser moderner rationaler Gehirnteil, die Großhirnrinde, ein Stück weit aus dem Spiel genommen. Zum einen führt das dazu, dass Situationen weniger rational und mehr emotional bewertet werden und als kleinen Nebeneffekt leiden wir außerdem noch an Wortfindungsstörungen. Unser Sprachzentrum wird nämlich ebenfalls beeinträchtigt. Jeder kennt die Situation, dass einem erst einige Zeit nach einem Streit die wirklich guten Argumente einfallen und man sich ärgert, dass man nicht das und das so und so gesagt hat. Herzlichen Glückwunsch, ihr habt ein völlig normal funktionierendes Gehirn. Das Angsthirn wertet Streit als bedrohlich, es aktiviert diesen Kampf- oder Fluchtmechanismus und weil höheres Denken weder beim Weglaufen noch beim Zuschlagen gebraucht wird, ist die Großhirnrinde erstmal ein Stück weit raus aus dem Spiel!

Wenn ich also Menschen in Angst versetze, dann steht ihnen zwar viel körperliche Energie zur Verfügung, allerdings hören sie nicht mehr zu, können sich selbst schlechter ausdrücken, ihre Wahrnehmung ist stark eingeschränkt und weil sich die Großhirnrinde in einem “psychologischen Nebel” (so nannte es die großartige Vera Birkenbihl) befindet, ist auch grade nichts mit abstrakter Problemlösung und kreativen Ideen. Wenn ich als Manager das nächste Mal an den Punkt komme, zu glauben, dass es hilfreich wäre, ein wenig Angst zu verbreiten um Ziele durchzusetzen, Verträge neu zu verhandeln, oder um die Leute einfach nur zu Höchstleistungen anzuspornen, sollte ich auch darüber nachdenken, ob meinem Unternehmen oder meiner Abteilung mit unkreativen, kopflosen und stammelnden Leuten wirklich geholfen ist. Ich lehne mich hier mal weit aus dem Fenster und sage ganz klar: NEIN!

Und weil das hier mein Blog ist und ich quasi schreiben kann, was ich will, lehne ich mich noch ein bisschen weiter aus dem Fenster und stelle die gewagte These in den Raum, dass Menschen, die aus einer Machtposition heraus bewusst mit Angst arbeiten, sogar eine Körperverletzung begehen. Wie ich darauf komme? Diese von der Evolution vorgesehenen physiologischen Vorgänge sind darauf ausgelegt, immer nur für einen kurzen Zeitraum anzuhalten. Wenn ich erfolgreich geflohen bin oder den Säbelzahntiger erlegt habe, ist erstmal Erholung angesagt. Angst- und Drohmechanismen, die durch Existenzängste durch drohenden Jobverlust oder Gehaltseinbußen, durch permanenten Leistungsdruck und Versagensängste gefüttert werden, sorgen dafür, dass mein Körper in einem dauerhaften Alarmzustand bleibt. Im Klartext bedeutet dies, dass unser Blutdruck permanent leicht erhöht ist, unser Herz dauerhaft schneller schlägt und unser Blut rund um die Uhr dickflüssiger ist. Krankheiten, die damit einhergehen, sollten bekannt sein. Ferner wird in diesem Alarmzustand die Verdauung unterdrückt und wenn ich trotzdem Essen nachschiebe, weil ich eben Hunger habe, kann das zu Erkrankungen im Magen-Darmtrakt führen (Magengeschwüre, Reizdarm, etc.). Auch unsere Seele wird krank, wenn der Körper sich permanent im Alarmzustand befindet. Depressionen und Burnout sind ja inzwischen schon fast Volkskrankheiten.

Von Macht und Verantwortung

Dieses Thema lässt mich auch in Diskussionen gerne sehr leidenschaftlich werden, weil die Folgen doch enorm sind und Führungskräfte meiner Meinung nach nicht nur Macht, sondern auch ganz, ganz viel Verantwortung haben, sowohl für das Unternehmen, aber auch für die Menschen, die ihnen anvertraut sind. Besonders betroffen macht mich momentan, dass nicht nur in der Wirtschaft hier und da - meiner Meinung nach - bewusst mit Ängsten gearbeitet wird. Wenn die Berichte über die “geleakten” Dokumente in Österreich stimmen, dann arbeitet hier wohl auch eine Staatsführung bewusst mit Angst. Ich gehe davon aus, dass das, wenn es denn so geschehen ist, sicher mit den besten Zielen und Motiven gemacht wurde. Klar, wenn die Menschen so richtig viel Angst vor dem Virus haben, weil man die Folgen etwas überzogener darstellt, bleiben sie vielleicht bereitwilliger zuhause, sind kooperativer und besser zu kontrollieren. “Corriger la fortune” sagt der Franzose. Aber zu welchem Preis? Da braucht man sich auch nicht zu wundern, dass die Menschen hirnlos und von Angst getrieben, rational nicht nachvollziehbare Dinge tun und Klopapier kaufen, als würde es kein Morgen mehr geben!

In diesem Sinne liebe Leser: Ängste bitte nicht füttern!

Eure Constance

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Ängste bitte nicht füttern!