Persönlichkeit

Resilienz - das Allheilmittel für VUCA, Krieg und Himmelsstürmer?

Von Hypes und Modeerscheinungen

Irgendwie scheint der Begriff der Resilienz seit einigen Jahren in aller Munde. Resilienz-Trainings werden immer populärer und selbst in meine Trainings in der zivilen Luftfahrt hat Resilienz vor einigen Jahren Einzug gehalten. Dies geschah interessanterweise kurz nach dem tragischen Germanwings Unglück, als ein Co-Pilot im Rahmen eines erweiterten Selbstmord den Flug 4U 9525 in den französischen Alpen bewusst zu Absturz brachte. Natürlich vermutete ich zunächst einen direkten Zusammenhang. Wie so oft habe ich mit einer guten Portion gefährlichen Halbwissens schlussgefolgert und wurde, nachdem ich mich dann intensiver mit Resilienz beschäftigt habe, eines besseren belehrt. Resilienz und die damit zusammenhängenden Trainings bieten großartige Möglichkeiten und ich halte Resilienz besonders in Arbeitsumgebungen, die einer starken Dynamik unterliegen, für einen wichtigen Erfolgsfaktor, dem man einiges an Aufmerksamkeit widmen sollte. Allerdings muss einem hierbei klar sein, dass Resilienz, bzw. Resilienz-Trainings klare Grenzen haben. Resilienz ist kein Wundermittel und keine Pille, die man am Ende eines Workshops einnimmt und ab da wird alles toll. Mit diesem Artikel möchte ich Resilienz aus dem Bereich des unbedachten Slang Droppings herausholen und ein wenig Aufklärung betreiben. Wo kommt Resilienz her? Was meinen wir, wenn wir von Resilienz sprechen? Wie kann Resilienz zu einem Erfolgsfaktor für Individuen und für ganze Organisationen werden? Und vielleicht am wichtigsten: kann ich auch ganz ohne Resilienz-Training etwas für meine individuelle Resilienz tun?

Resilienz - eine Begriffsklärung

Der Begriff Resilienz entspringt dem lateinischen Wort “resilire”, das auf Deutsch so viel heißt, wie “zurückspringen” oder “abprallen” und ursprünglich wurde dieser Begriff auch gar nicht in der Psychologie, sondern in der Physik verwendet. Hier beschreibt er die Eigenschaft eines Körpers, nach seiner Verformung in seinen ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Die Psychologie hat den Begriff irgendwann übernommen und beschreibt mit dessen Hilfe die psychische Widerstandsfähigkeit, Krisen zu bewältigen, bzw. die Fähigkeit während oder nach stressvollen Ereignissen seine psychische Gesundheit zu erhalten, bzw. schnell wieder herzustellen. So weit weg von der ursprünglichen Idee der Physik ist das für mich tatsächlich nicht. Ich stelle mir vor, dass meine Seele (oder wie auch immer ihr euer Gefühlsleben zusammenfassen möchtet) durch ein einschneidendes Ereignis kurzzeitig ein wenig aus der Form gerät, dann jedoch wieder in seine ursprüngliche Form zurückfindet und auf dem Weg dahin sogar noch etwas über sich selbst lernt. In der Praxis kann man Resilienz zum Beispiel an Kindern wahrnehmen, die unter widrigsten Umständen groß werden, trotzdem nicht von ihrem Weg abkommen und sich später erfolgreich in die Gesellschaft einordnen. Wer hier mehr wissen möchte, sollte die US-amerikanische Psychologin Emmy Werner googlen. Resilienz wird auch im Zusammenhang mit Menschen verwendet, die jede nur denkbare Art der Lebenskrise (schwere Krankheit, Krieg, Drogenabhängigkeit, etc.) erfolgreich durchstehen, oder die sich von plötzlichen Traumata (plötzlicher Verlust eines nahen Angehörigen, Vergewaltigung, etc.) zügig und vor allem abschließend erholen.

Wo kommt meine eigene Resilienz her?

Die wissenschaftliche Suche nach den Ursprüngen der individuellen Resilienz ist tatsächlich eine noch recht junge und aktuelle Suche. In den Jahren 2008, 2012 und 2014 kamen drei unabhängige Studien mit Zwillingen zum Schluss, dass etwa 40 Prozent unserer individuellen Resilienz genetisch bedingt ist. Ob das jetzt viel oder wenig ist? Keine Ahnung. Immerhin bleiben ganze 60 Prozent übrig, die durch das individuelle Erleben von Umweltfaktoren und Erfahrung geprägt sind. Spätestens als Erwachsener habe ich schließlich sogar Einfluss auf mein individuelles Erleben meiner Umwelt. Manchmal ist es einfach nur eine bewusste Entscheidung, ob das Glas denn nun halb voll oder halb leer ist. Bei all der Genetik empfinde ich das als tröstlich. Denn es gibt zahlreiche Hinweise, dass Resilienz tatsächlich ein Stück weit trainierbar ist. Die US Army führt seit 2009 gemeinsam mit der Universität von Pennsylvania ein sehr aufwendiges und kostenintensives Training für ihre Soldaten durch und auch bei der Bundeswehr gewinnt die “psychische Ressourcenstärkung” zunehmend an Bedeutung. Allerdings ist hier wichtig zu verstehen, dass diese Schulungen bei Streitkräften in erster Linie dazu dienen, dass nach Einsätzen die Anzahl an Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkranken, sinken. Je höher die individuelle Resilienz, desto geringer die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, so die Forschungsergebnisse.

Und was ist mit all jenen, die nicht in den Krieg ziehen?

Auch wenn sich VUCA ein bisschen nach Krieg, oder wenigstens nach einer schweren Schlacht anhört, ist wirklicher Krieg für die meisten von uns zum Glück sehr weit weg. Ja, der ein oder andere Kunde, Chef oder Kollegen lässt anderes vermuten und auch die Konkurrenz stellt hier und da ein verdammtes Drohszenario dar. In den aller wenigsten Fällen hat das jedoch wirklich Potenzial für ein echtes Trauma! Also was um alles in der Welt sollen wir Otto-Nomarlos in Friedenszeiten mit Resilienz? Genau das würde ich zunächst gerne am Beispiel der Luftfahrt erläutern.

Warum resiliente Piloten Leben retten

Wir haben also festgestellt, dass resiliente Persönlichkeiten sich schneller von mehr oder weniger heftigen “Einschlägen” erholen, als wenig oder nicht resiliente Persönlichkeiten. Zeit spielt in der Luftfahrt eine entscheidende Rolle. So ein Flugzeug ist recht schnell unterwegs und manchmal muss ich als Besatzung eben sehr schnell handeln, damit es nicht zu einer Katastrophe kommt. In der Geschichte der Luftfahrt gab es immer wieder Akteure, die durch ihr überlegtes und schnelles Handeln in Situationen, in welchen auch sie selbst sicher sehr große Angst hatten, zahlreiche Menschenleben gerettet haben. Zwei dieser stillen Helden sind die Herren De Crespigny und Haynes, über deren Leistung ich bereits vor einigen Wochen ausführlich berichtet habe. (Link zum Blog: hier klicken) In diese erlesene Gruppe reiht sich auch ein gewisser Sully Sullenberger ein, seitdem er 2009 seinen Airbus A320 auf dem Hudson gelandet hat. Wir stellen uns die Situation kurz vor: Wir sitzen als erfahrener Kapitän vorne links in unserem Airbus. Der Start verläuft so, wie wir ihn schon unzählige Mal erlebt haben. Alles ist gut, die Wolkenkratzer werden langsam kleiner, wir nähern uns der Wolkendecke. Vielleicht freuen wir uns schon ein wenig auf dem Moment, in dem wir durch die Wolkendecke durchfliegen und uns die Sonne ins Gesicht strahlt. Plötzlich taucht ein Vogelschwarm auf und gefühlt im gleichen Moment tut es einen Schlag. Beide Triebwerke sind aus. Sie wieder anzuschalten, dauert eine Weile und wenn die Erde, wie an diesem Januartag, noch so nah ist, reicht die Zeit dafür nicht aus. Kapitän Sullenberger, aber auch Co-Pilot Jeffrey Skiles wussten, dass sie sich in einer lebensbedrohlichen Situation befanden. Angst ist hier normal. Dieser “Einschlag” war heftig! Allerdings ist es beiden Herren ausgesprochen schnell gelungen, die Angst beiseite zu schieben und wieder zu ihrer ursprünglichen “Form” zurückzukehren. Innerhalb kürzester Zeit ist es Sully Sullenberger gelungen, klare, mutige und kreative Entscheidungen zu treffen. Selbst der Fluglotse wollte bis zu Letzt nicht glauben, dass Sully seinen Flieger auf dem Hudson landen würde. Ja, wir trainieren sogenannte Notwasserungen, aber sie sind unfassbar riskant. Allerdings hat Sully klar und eindeutig entschieden, dass das Risiko, über bewohntes Gebiet zu fliegen, ungleich höher ist, als das Risiko, auf dem Wasser zu landen. Der Rest ist Geschichte!

In der Luftfahrt haben Positivbeispiele wie Sully Sullenberger, aber auch Negativbeispiele, die es selbstverständlich gab, zu der Erkenntnis geführt, dass es nicht ausreichend ist, Piloten beizubringen, wie sie analytische Entscheidungen treffen und wie sie ein riskantes Manöver wie eine Notwasserung durchführen. Wichtig ist, dass sie das Gelernte in einer Hochstresssituation, in der von sich sehr schnell ändernden Grundvoraussetzungen überrascht werden, auch abrufen können. Man stellte fest, dass eine resiliente Persönlichkeit nach einem Schockmoment deutlich schneller wieder ins aktive und bewusste Handeln kommt und dabei nicht problem-, sondern lösungsorientiert vorgeht. Diese Erkenntnis spielt sowohl bereits bei der Auswahl von Piloten, aber auch im Rahmen der Ausbildung und schließlich auch während ihrer regelmäßigen Weiterbildungen eine Rolle.

Vom Himmel ins VUCA

Für all jene, die sich gerade ein wenig wundern, worüber ich spreche, eine ganz kurze Erklärung: VUCA ist ein englisches Akronym, das die schwierigen Rahmenbedingungen der modernen Unternehmensführung beschreiben soll. Es steht für Volantility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Spätestens seitdem die um sich greifende Globalisierung die Weltwirtschaft wie unter einem Brennglas anheizt, sind wir irgendwie alle ein bisschen VUCA. Aber keine Sorge, das tut nicht weh. Die Luftfahrt ist es schon immer und ich bin seit zwanzig Jahren dort recht glücklich. Und das liegt vor allem daran, dass die Luftfahrt VUCA seit Jahren unter anderem durch resiliente Akteure managt.

Die klugen Slang Dropper der New Work begegnen VUCA übrigens gerne mit VUCA, nämlich mit Vision (Vision), Understanding (Verstehen), Clarity (Klarheit) und Agility (Agilität). Das ist an sich eine super Strategie, aber auch hierfür brauche ich Persönlichkeiten, die es schaffen, sich nach einem großen Schockmoment schnell zu erholen und noch vor der Konkurrenz Visionen und Ideen entwickeln, weil sie gedanklich ganz schnell Klarheit und Ordnung ins Chaos bringen können. Man stelle sich vor, Flugzeuge werden unerwartet in Hochhäuser gesteuert und die Börsen kollabieren, oder ein Virus legt die Weltwirtschaft lahm, Grenzen dicht, von jetzt auf gleich, statt Tod droht Pleite, was jedoch auch gehörig Angst machen kann. Hier gewinnen natürlich die, die schneller gute Entscheidungen treffen können. Aus diesem Grund macht es für alle Unternehmen Sinn, über ein resilientes Humanvermögen zu verfügen und entsprechende Schulungen sind hierbei neben einer klugen Personalauswahl ausgesprochen hilfreich.

Und wie werde ich jetzt resilient?

Ab hier wird es jetzt leider kompliziert. Als Trainer bin ich nicht in der Lage, den Teilnehmern meiner Resilienz-Trainings diese Resilienz-Pille zu überreichen. Ja, wir haben eingangs gelernt, dass wir ein Leben lang an unserer Resilienz arbeiten können. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Prozess, der langsam von statten geht und durchaus auch anstrengend sein kann. Wie bereits beschrieben, werden 60 Prozent unserer Resilienz durch das individuelle Erleben von Situationen oder Erfahrungen geprägt. Genau hier ist mein Hebel. An dieser Stelle kann ich beginnen, an mir zu arbeiten. Und wie? Indem ich mir bewusst mache, wie ich eine Situation wahrnehme. Stelle ich hierbei fest, dass mein Glas immer nur halb leer ist, darf ich mich fragen, ob ich meine diesbezügliche Perspektive wechseln möchte. Wäre es nicht möglich, das Glas auch als halb voll zu betrachten? Wie agiere ich, wenn etwas schief läuft? Bleibe ich lange am Problem kleben? Was kann ich tun, um mich schneller auf die Lösung zu konzentrieren? Achtsamkeit und alles, was mit Achtsamkeit zu tun hat (Meditation, Yoga, Qigong, progressive Muskelentspannung und so weiter und so fort), ist hilfreich. Im ersten Schritt steht jedoch der Mut, sich gnadenlos selbst zu reflektieren. Das ist eine Herausforderung, die ich nicht klein reden möchte. Hierbei kann ein Trainer oder ein Coach sehr gute Impulse setzen. Aber auch ein Unternehmen kann seine Mitarbeiter dabei unterstützen.

Organisationskultur und Resilienz

Wenn ich als Unternehmen möchte, dass meine Mitarbeiter die Herausforderungen der VUCA-Welt bestmöglich meistern, sollte ich deren Resilienz stützen. Ein Workshop ist hierfür nicht ausreichend. Wenn ich möchte, dass meine Leute sich selbst reflektieren und achtsam mit sich sind, um resilient agieren zu können, wenn es darauf ankommt, muss ich ihnen als erstes gestatten, sie selbst sein zu dürfen. Ich benötige als Unternehmen einen ganzheitlichen, oder holistischen Ansatz im Umgang mit meinen Mitarbeitern. Ich rege hierbei an, über Dresscodes nachzudenken, darüber, welche Wirkung Hunde im Büro haben, welche Möglichkeiten ich habe, meine Mitarbeiter auch zum privaten Austausch anzuregen, zum Beispiel mittels Teambuilding auf neutralem Boden. Vor allem aber muss ich dafür sorgen, dass meine Mitarbeiter sich sicher fühlen. Denn wer verunsichert ist, der wird sich immer ein Stück weit verstecken oder kontrollieren und wer damit beschäftigt ist, sich zu kontrollieren, hat keine Kapazitäten für Selbstreflexion und Achtsamkeit. Hierfür muss ich mich frei und sicher fühlen. Ich weiß, irgendwie schreibe ich das in gut der Hälfte meiner Blogs, aber es ist nun mal so: um als Organisation erfolgreich zu sein, sollte ich mich mit Amy Edmondsons Psychological Safety auseinandersetzen. Das ist die totale Basis und ich komme immer wieder darauf zurück.

Und jetzt?

Mein Tipp als Coach ist es, nicht darauf zu warten, dass mein Arbeitgeber aktiv wird und sich womöglich sogar noch darüber zu ärgern, dass der Arbeitgeber sich nicht ausreichend um mich kümmert. Das wäre ein wenig resilientes Opferverhalten! Am Ende sind wir unseres eigenen Glückes Schmied (erste und wichtigste Resilienz-Erkenntnis). Ich mache jetzt ein bisschen Yoga und frage mich einmal ganz bewusst, wie es mir geht und wie ich die Ereignisse der letzten Woche wahrgenommen habe. Bei mir war wirklich viel los. Und bei euch?

Eure Constance

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Immer wieder zum bewussten Handeln zurück finden

Resilienz-Trainings zur Personalentwicklung

Die Vorzüge der ewig missverstandenen Intuition und warum man im Business mit Wassermelone erfolgreicher ist, als mit Schokolade

Daniel Kahneman, großer Denker und Nobelpreisträger

Der US-amerikanisch-israelische Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat im Jahr 2011 mit seinem Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” einen für die Wirtschaft im allgemeinen und für die Welt der sagenumwobenen “New Work” einen aus meiner Sicht wirklich großen Wurf gelandet. Der Harvard Professor Steven Pinker bezeichnet Kahneman als den wichtigsten Psychologen der Gegenwart und der Economist hat Kahneman im Jahr 2015 unter die zehn weltweit einflussreichsten Ökonomen gewählt. Woher all der Ruhm? Gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky legte Kahneman die Grundlagen der Verhaltensökonomie. Sein Forschungsfeld war es, das menschliche Urteilsvermögen im Rahmen wirtschaftlicher Entscheidungsfindungsprozessen realistischer (und menschlicher) darzustellen, als es traditionelle Kosten-Nutzen-Modelle tun. Wir können es drehen und wenden, wie es uns beliebt, was bleibt ist, dass der Mensch eben so intuitiv wie reflektiert ist und auch genau so entscheidet. Kahneman bezeichnet das als zwei Systeme, die dem Mensch inne wohnen, ihn beeinflussen und beide Vorzüge und Nachteile haben.

Schnelles Denken, langsames Denken - zwei Systeme, ein Mensch

Daniel Kahneman hat im Rahmen seiner Forschung herausgearbeitet, dass es in unseren Gehirnen zwei grundlegend unterschiedliche Weisen zu denken gibt. Diese stellt er anhand von zwei Systemen dar, die selbstverständlich als Metapher zu verstehen sind, unsere Arten zu denken jedoch sehr anschaulich machen:

  • System 1: schnell, automatisch, immer aktiv, stereotypisierend, emotional, intuitiv, unbewusst, nicht besonders intelligent

  • System 2: langsam, logisch, anstrengend, selten aktiv, berechnend, bewusst, klug, wenig effektiv

Kahneman beschreibt in seinem Buch eine Reihe von Experimenten, die die Unterschiede beider Denkprozesse herausstellen und zeigt eindrucksvoll auf, wie beide Systeme oft zu verschiedenen Schlussfolgerungen kommen. Ja ja, der kleine Widerspruch in uns, mit dem schon Faust in Gestalt seiner zwei Seelen zu kämpfen hatte. Dieses Problem scheint so alt wie die Menschheit selbst. Die Frage ist immer, welche Seele am Ende gewinnt!

System 1 hat in Kahnemans Struktur die Aufgabe uns das Leben zu retten. Es entscheidet permanent, ob wir vor etwas fliehen möchten, kämpfen müssen, oder ob wir etwas lieben. Hierfür sammelt System 1 unendlich viele Bilder und Erfahrungen vom Normalfall und schlägt bei jeder Abweichung von der abgespeicherten Normalität, oder bei allem, was auf eine Gefahr hindeuten könnte, Alarm. System 1 ist hierbei vor allem eins: sehr fleißig. Es arbeitet permanent und mühelos. Es erkennt Situationen, liest Emotionen und verarbeitet Sinneseindrücke. Das Problem ist, dass es sich hierbei gerne und einfach täuschen lässt. Im Prinzip reicht hierfür eine 3D-Brille. Hinzu kommen aber noch allerlei Wahrnehmungs- und Interpretationsfallen, die einfach allgegenwärtig sind.

Zum Glück hat die Evolution uns noch mit System 2 ausgestattet. System 2 ist extrem gut darin, Dinge zu ordnen. - Wie zum Beispiel all die Bilder und Eindrücke, die System 1 unentwegt erzeugt. System 2 schafft es, System 1 zur Ordnung zu rufen, sich zu fragen, ob das denn nun real sei, oder alles nur durch eine 3D-Brille vorgespielt wird. Es kennt sogar einige dieser zahllosen Wahrnehmungs- und Interpretationsfallen. Außerdem ist System 2 eine Art Gewissen und soziale Notbremse. Es sorgt dafür, dass wir auch die blöden Nachbarn grüßen, weil wir bei der nächsten Paketannahme vielleicht auf sie angewiesen sind. Es verhindert, dass wir die Schokolade essen, weil wir uns gerade in Mitten einer Beerdigungszeremonie befinden und das unangebracht wäre. Dieses System 2 ist einfach großartig und man fragt sich, warum es nicht einfach alle unsere Entscheidungen trifft.

Das faule Superhirn

System 2 ist leider sehr langsam, arbeitet ineffizient und benötigt dabei auch noch eine Menge Energie in Form von Glukose! Hinzu kommt, dass in unserer Realität immer viele Dinge gleichzeitig passieren und System 2 ist absolut kein Multitasker. Tja, und wann immer System 2 schwächelt, spring das super fleißige System 1 ein.

Über Fehlurteile und dumme Entscheidungen

Eine der häufigsten Gründe für dumme Entscheidungen oder Fehlurteile ist, dass System 2 gerade nicht vollumfänglich verfügbar ist, weil es entweder beschäftigt, müde oder hungrig ist. Die einfachste Möglichkeit, System 2 mal im Selbstversuch Schritt für Schritt auszuschalten, ist übrigens, ihm Alkohol zu geben. Während es sich dann schrittweise verabschiedet, können wir wahrnehmen, wie System 1 langsam übernimmt. Es ist natürlich der Meinung, dass noch ein weiteres Getränk zu verschmerzen ist, es lässt Gefühle ungefiltert raus, findet sich selbst dabei einfach nur mega toll und im schlimmsten Fall ist es natürlich der Meinung, dass es sowohl tanzen, als auch Auto fahren kann. Natürlich müssen schlechte Entscheidungen nicht zwangsläufig etwas mit Drogenkonsum zu tun haben. System 2 ist nicht nur nicht in der Lage, zwei Dinge gleichzeitig zu erledigen, sondern es ist auch damit überfordert, sie zu lange am Stück oder zur falschen Uhrzeit zu tun. Nachts möchte es nämlich schlafen, außerdem arbeitet es nicht gerne lange am Stück und teilt sich deshalb seine Pausen selbstständig ein. Aus diesem Grund gibt es zum Beispiel für Flugzeugbesatzungen vorgeschriebene maximale Dienstzeiten, Ruhezeit und ein verpflichtendes Fatigue Risk Training. Ich möchte nicht, dass mein Kapitän bei einer böigen Landung nur noch über System 1 verfügt.

Und jetzt?

Die große Frage ist jetzt natürlich, wie man damit umgehen kann. System 1 ist schnell, flink, allgegenwärtig und wir können uns nicht gegen seine Aktivität wehren? Dass so hinzunehmen, wäre wohl zu einfach. Schon der große Kant hat das besser gewusst: “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen”. Sich entscheiden, zu denken, Dinge proaktiv hinterfragen, abwägen und die Perspektive wechseln führt unweigerlich zu einer besseren Entscheidung, weil dadurch automatisch System 2 hinzugeschaltet wird. Hierauf setzen viele analytische Entscheidungsfindungsmodelle. (Solltet ihr ein solches kennenlernen möchten, findet ihr hier den Link)

Doch es gibt noch weitere gute Möglichkeiten, seine zwei Systeme zu managen. System 1 ist nicht nur der Ursprung vieler Dinge, die wir vermeintlich falsch machen, sondern auch sehr vieler Dinge, die wir außergewöhnlich richtig machen. In unserer komplexen Arbeitswelt können wir gar nicht alles über System 2 laufen lassen. Das fleißige System 1 kann ein wertvoller Verbündeter sein, wenn es darum geht, Komplexität zu managen, wenn System 2 überlastet ist. Dazu müssen wir es aber trainieren und schulen. Je mehr unserer alltäglichen und standardisierten Aufgaben System 1 übernimmt, desto besser können wir System 2 schonen. So ist es dann dienstbereit, wenn es wirklich drauf ankommt. Dazu können Organisationen zum Beispiel Abläufe standardisieren, Check Listen erstellen und ihre Mitarbeiter die Standards so ausführlich üben lassen, bis diese in Fleisch und Blut, bzw. in System 1 übergegangen sind. So hat System 2 genügen Kapazität, um sich um Non-Standards zu kümmern und hier bewusst und bestmöglich zu entscheiden. In der Luftfahrt hat sich dieses Vorgehen bis ins kleinste Detail durchgesetzt, um Flugzeugbesatzungen in Notfällen handlungsfähig zu halten. -Das operative Konzept der Routine! So nannte es Kahneman selbst.

Es gibt noch mehr, was Organisationen tun können, um das System 2 ihrer Belegschaft bestmöglich in Stellung zu bringen: Thema Work-Life-Balance! Wir haben gelernt, dass System 2 nicht besonders ausdauernd ist, regelmäßig Pausen und Glukose benötig und ausreichend und am liebsten auch nachts schlafen möchte. Ein besonders produktiver Mitarbeiter ist nicht der, der täglich zehn Stunden am Schreibtisch sitzt. Dieser verzettelt sich nur, weil System 2 wahrscheinlich einen Großteil der Zeit nicht mit am Werk ist. Es gibt inzwischen sogar Studien, die darlegen, dass Mitarbeiter, mit welchen per se eine kürzere tägliche Arbeitszeit vereinbart wurde, nicht nur während der Arbeitszeit effizienter sind, sondern auch insgesamt produktiver. New Work eben! Natürlich gibt es Bereiche, da ist das mit der New Work nicht so leicht umzusetzen. Ich bin ein Kind der Luftfahrtindustrie. Da muss, ähnlich wie in vielen anderen High Risk Environments, nachts gearbeitet werden, oder auch mal 16 Stunden am Stück. Hierbei ist es wichtig, dass durch eine entsprechende Pausenregelung, durch Freizeitmodelle und maximale Dienstzeiten der bestmögliche Ausgleich geschaffen wird. Die Luftfahrt ist hier vor allem durch gesetzliche Vorgaben recht gut aufgestellt. Für Krankenhäuser, Kernkraftwerke, etc. würde ich mir ähnliches wünschen, weil an deren Entscheidungen, ggf. unser aller Leben hängen kann.

Das Team als entscheidender Schutzfaktor

Aber selbst die besten Standards und die beste Pausenregelung können nicht verhindern, dass uns System 2 doch einmal den Dienst versagt. Deshalb arbeite ich als Human Factors oder Crew Ressource Management Trainer. Denn unser bestes Schutzschild ist Backup Behavior! So heißt das, wenn man ein Team in wichtige Entscheidungen mit einbezieht, aktive die Perspektiver der Kollegen einfordert, bzw. seine Perspektive proaktiv mitteilt und Kollegen als Backup betrachtet. Natürlich wünschen wir uns alle diese Warnglocke im Kopf, die uns davor warnt, dass sich System 1 gerade einmal wieder verselbstständigt und anfängt Blödsinn zu machen. Diese Warnglocke gibt es aber nicht. Von der Evolution nicht vorgesehen! Wie oft schreit die laute klare Stimme der Intuition viel viel lauter als das zarte Stimmchen der Vernunft? In diesen Situationen wollten wir die Warnglocke ohnehin nicht hören. Hier ist es wie mit einem Spaziergang in vermieten Gelände: Das Mienenfeld lässt sich eben einfacher erkennen, wenn andere darin spazieren gehen. Unsere Warnglocken sind unsere Kollegen und Teammitglieder, die die Möglichkeit haben, unser System 1 zur Raison zu bringen, da sie uns von außen beobachten können. Eine Perspektive die mit Gold nicht aufzuwiegen ist. Natürlich muss die Organisationskultur ein solches Verhalten fördern, bzw. einfordern, vom Top-Management bis hin zum Praktikanten. Mitglieder solcher Organisationen (Führungskräfte wie Mitarbeiter) sehen die Stärken ihrer Kollegen nicht als Bedrohung, sondern als Kompensierung ihrer eigenen Schwächen. Vor allem aber sind sie sich ihrer eigene Schwächen (und ihrer Systeme 1) bewusst. Deshalb bin ich dankbar, wenn der Kollege sich traut, mein Handeln zu hinterfragen. Wir alle haben diese zwei Systeme im Kopf, aber gemeinsam schaffen wir es, bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Also seid milde mit eurer Intuition. Sie ist fleißig, will euch beschützen und immer ihr bestes geben. Sie meint es unglaublich gut mit uns, aber manchmal müssen wir eben auf sie aufpassen. Und das geht im Team viel besser und einfacher als allein.

Zu guter Letzt

Noch ein spannender Fact zum Abschluss: Im Januar 2016 erschienen im Rahmen des Harvard Business Reviews die Ergebnisse einer Studie aus dem Vorjahr, die beschreibt, dass in diesem Jahr Mitarbeiter aller Hierarchieebenen etwa 50 Prozent mehr Arbeitszeit damit verbracht haben, mit anderen im Team zusammen zu arbeiten, als noch im Jahr 1995. Tendenz steigend. Warum, sollte klar sein: unsere Welt und somit auch unser Arbeitsumfeld wird immer komplexer und ein einziges System 2 schafft das nicht mehr alleine. Es benötigt noch ein paar andere Systeme 2, um die verschiedenen Aufgaben zu erledigen, dabei kreativ und innovativ zu sein und natürlich, um auf alle diese hyperaktiven Systeme 1 aufzupassen.

So, mein System 2 möchte nicht mehr mitarbeiten. Es ist müde, ihm reicht es. System 1 schreit gleichzeitig laut nach Schokolade und Sofa. Ich bin echt froh, dass System 2 wenigstens noch fit genug ist, um mit letzter Kraft zu intervenieren. Es gibt Wassermelone und Yoga!

Eure Constance

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System 1 vs. System 2

Weil Schokolade toll ist, Wassermelone manchmal aber klüger

Wie meine Körpersprache mich immer wieder demaskiert

… und ich dagegen machtlos bin

Das wirklich blöde an meiner eigenen Mimik ist, dass sie anderen unmissverständlich meine Meinung sagt, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Sie tut das sogar, wenn ich es ihr explizit verbiete! Verrückt, oder?

Diese Körpersprache scheint eine unglaubliche Macht zu haben. Aber fangen wir mal ganz von vorne an und nähern uns dem komplexen Thema Körpersprache zunächst einmal mit einigen Zahlen, Daten, Fakten: Ein kluger Kopf, der sich im Rahmen seiner Forschung intensiv mit dem Phänomen der Körpersprache auseinandergesetzt hat, war der iranisch-amerikanische Psychologieprofessor Albert Mehrabian. Er hat die sogenannte 7-38-55-Regel erarbeitet, die besagt, dass das, was wir insgesamt als Kommunikation bezeichnen in drei Bereiche mit unterschiedlich starker Bedeutung oder Wertung aufgeteilt werden kann. Hierbei entfallen auf die verbale Kommunikation, also das rein inhaltlich Gesagte, nur etwa 7 Prozent, 38 Prozent entfallen auf den Bereich, den man als Paralinguistik bezeichnet. Zu nennen wären hier Lautstärke, Intonation, Sprechgeschwindigkeit und dergleichen. Bleiben folglich nach Adam Riese 55 Prozent für die Körpersprache, also Gestik, Mimik und Motorik. Selbstverständlich kann es hier situationsbedingt zu Abweichungen kommen, aber die unglaublich große Bedeutung der Körpersprache bleibt unbestritten. Warum das so ist? Wir Menschen bewerten das was wir sehen als wichtiger, im Vergleich zu dem, was wir hören. Unser Gehirn verarbeitet deutlich mehr visuelle als auditive Reize. Evolutionsgeschichtlich war Sehen beim Überleben wichtiger als Hören. Hören war offensichtlich sogar so unwichtig, dass unser Gehirn in Stresssituationen bis heute gerne unser Gehör ausblendet, damit wir nicht mit unnötigen Informationen überfrachtet werden. Sehr fürsorglich, unser Gehirn. So hat mein fürsorgliches Gehirn schon mehrfach dafür gesorgt, dass mir wirklich wichtige Infos im Eifer des Gefechts durch die Lappen gegangen sind. Danke auch dafür.

Ich fasse mal kurz zusammen: Er sagt “Schatz, ist alles OK?”, worauf sie erwidert “Ja, alles OK!”. Dabei kneift sie die Augen zusammen, verschränkt die Arme und schaut mit in Falten gelegter Stirn unter sich. Die Situation ist sehr eindeutig. Und natürlich hat Mann gelernt, besser dem Gesehenen, als dem Gehörten zu vertrauen! Diese Fähigkeit fällt dann unter natürliche Selektion nach Charles Darwin, weil kann anders durchaus tödlich enden!

Was ist Körpersprache aber denn eigentlich?

Lasst uns mal ins Detail gehen und kurz anschauen, was Körpersprache eigentlich ist. Unsere Körpersprache setzt sich aus Mimik, Blick, Gestik und Motorik zusammen. Es gibt Quellen, die hier auch Kleidungsstil und Styling dazu nehmen. Da ich der Meinung bin, dass ein Affe, den man in einen maßgeschneiderten Anzug aus Seide steckt, am Ende auch nur ein Affe ist, soll dieser Aspekt hier und heute keine Rolle spielen.

Als erstes möchte ich mir die Mimik vornehmen, weil sie der Teil der Körpersprache ist, welcher universell und kulturkreisübergreifend verständlich ist. Dem US-amerikanischen Anthropologen und Psychologen Paul Ekman ist es Ende der 1970er Jahre tatsächlich gelungen, die menschliche Mimik zu dekodieren. Sein sogenanntes Facial Acting Coding System (FACS) ist ein weltweit verbreitetes Verfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken. Inzwischen gibt es sogar Software, die basierend auf FACS menschliche Stimmungslagen bewerten kann. Sie lesen uns, die Computer! Verrückte Welt. Aber zurück zu Ekman: das für mich bahnbrechendste an seiner Forschung ist, dass Ekman der Beweis gelungen ist, dass die sieben Grundemotionen Angst, Wut, Ekel, Freude, Trauer, Verachtung und Überraschung weltweit gleich ausgedrückt werden. Mimik ist also eine Art universelle Sprache des Menschen.

Doch schon beim Blick selbst, oder dem Blickkontakt, gibt es kulturelle Unterschiede. Während Blickkontakt in unserem Kulturkreis als höflich und respektvoll erachtet wird, gibt es Kulturkreise, in denen Blickkontakt als unangenehm empfunden wird. Dazu müssen wir auch nicht unbedingt nach Asien oder Afrika reisen. Ein schneller Flug nach Finnland ist ausreichend.

Auch unsere Gestik erfreut sich großer kultureller Unterschiede, sowohl im Bereich der unbewussten Gestik (man stelle sich hier den Italiener beim Erzählen vor und daneben eben den Deutschen: die Hände werden sehr unterschiedliche Dinge tun), als auch im Bereich der bewusst genutzten Handzeichen. Vorsicht, Daumen hoch ist zum Beispiel auf Sardinien etwas äußerst Unanständiges. Natürlich gibt es bei der Gestik auch Gemeinsamkeiten. So scheint es, als werden die kleinen Ticks, die wir alle haben, wenn wir unter Stress stehen, weltweit richtig verstanden. Diese Ticks nennt man Adaptoren und mein persönlicher “Haupt-Adaptor” ist, dass ich mir ständig an den Hals greife, unbewusst und so lange bis ich rote Flecken bekommen.

In Hinblick auf Motorik, der Art und Weise, wie wir uns bewegen, ist zu sagen, dass es Bereiche gibt, die kulturkreisübergreifend gleich sind. Zum Beispiel gab es Versuchsreihen, die belegen, dass wir Männer und Frauen am Gang unterscheiden können, überall, weltweit. Es gibt aber auch Bereiche, die kulturell geprägt sind. Hier ist vor allem unser Distanzverhalten zu nennen. So werden wir Deutsche in Japan gerne mal als aufdringlich empfunden, weil der Japaner das Gefühl hat, dass wir ihm im Gespräch zu nah kommen. Wir wiederum empfinden Brasilianer als aufdringlich, weil diese uns näher kommen, als uns lieb ist. Ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ein Japaner auf einen Brasilianer trifft!

Wenn ich also meine Körpersprache kontrolliere…

Insgesamt scheint das mit der Körpersprache nicht so kompliziert zu sein. Es gibt Regeln und Standards, da müsste es doch ausreichen, zu lernen, wie mein Körper kommunizieren muss, damit ich als kompetent, sympathisch, souverän, positiv wahrgenommen werde. Dafür gibt es kluge Bücher… Ja, das Leben wäre so einfach, wenn unser eigenständiges und fürsorgliches Gehirn nicht immer wieder dazwischen funken würde, weil es so gerne macht, was es will!

Dem ein oder anderen ist Sigmund Freuds Eisbergmodell sicher ein Begriff. Zwanzig Prozent auf der bewussten und achtzig Prozent auf der unbewussten Ebene. Diese Modell lässt sich auch wunderbar auf unsere Körpersprache adaptieren. Zwanzig Prozent können wir bewusst beeinflussen, die restlichen achtzig Prozent erzählen unserem Gegenüber immer die Wahrheit. Unser Gegenüber muss, um diese Wahrheit zu lesen, noch nicht einmal einen Kurs in Körpersprache belegen. Den gibt es von der Evolution gratis im Gesamtpaket dazu. Natürlich gibt es hier Menschen, die das noch ein bisschen besser können, als der Durchschnitt. Der bereits erwähnte Paul Ekman ist einer dieser Zeitgenossen. Die Serie “Lie to me” basiert auf seiner Arbeit, wirklich sehenswert. Aber auch all diejenigen, die eine Lüge nicht sofort und eindeutig demaskieren können, haben eine Intuition, die sich meistens als Bauchgefühl breit macht. Wenn unser Gehirn nämlich zu der Einschätzung gelangt, dass uns jemand etwas vorspielt, das Gesamtbild nicht kongruent ist, wittert es Gefahr und sorgt für Unbehagen.

Meine Lesson Learned

Meine ganz persönlich Lesson Learned ist in diesem Zusammenhang frustrierend und erfreulich zugleich: ich muss keine Energie darauf verwenden Körpersprache zu lernen und bewusst einzusetzen, weil mich das nicht weiterbringt. Warum sollte ich hundert Prozent Energie für etwas verschwenden, das mir nur zu zwanzig Prozent gelingen wird? Erinnert mich irgendwie an das Paretoprinzip! Warum sollte ich in einer Situation, in der ich gestresst oder aufgeregt bin, alles daran setzen, meiner Umwelt vorzuspielen, dass ich total souverän bin? Achtzig Prozent meines Körpers werden stresstypische Gestik, die beschriebenen Adaptoren zeigen, anhand derer mein Gegenüber mich unbewusst sicher nicht als souverän einschätzen wird. Im besten Fall sorgt das bei meinem Gegenüber für Irritation, was mich auch nicht erfolgreicher macht. Anstatt meine Energie dafür zu nutzen, souverän zu wirken, ist es sinnvoller an meiner inneren Haltung zu arbeiten und dann auch souveräner zu sein. In diesem Fall muss ich auch keine Körpersprache mehr auswendig lernen. Und wenn ich trotzdem irgendwann einmal aufgeregt oder gestresst bin, kann ich das doch ganz einfach benennen. Als ich meinen letzten Vortrag vor Corona gehalten haben, war ich tatsächlich aufgeregt. Es war in einem Kino und allein die Kulisse war spektakulär. Auch das Publikum war damals noch nicht wirklich einschätzbar für mich. Ich bin mir sicher, dass es keinen der Anwesenden irritiert hat, dass ich direkt zu Anfang erklärt habe, dass ich an diesem Tag wirklich etwas aufgeregter bin, als sonst. Ich gehe sogar davon aus, dass die Gehirne meiner Zuschauer und Zuhörer das recht angenehm fanden, weil ich für sie sofort einschätzbar wurde: “Von der großen Frau da vorne geht keine Gefahr für mich aus. Die ist einfach nur aufgeregt und das kann ich gut verstehen, wäre ich an ihrer Stelle wahrscheinlich auch!”

Und so entlasse ich euch in diesen Sonntag mit der Aufforderung, euch weniger Gedanken darüber zu machen, wie ihr wirkt, sondern lieber darüber nachzudenken, wie ihr seid. Hört auf, an eurer Körpersprache “rumzudoktoren”, sondern seid achtsam mit euch selbst und arbeitet an eurer inneren Haltung. Die Wirkung kommt dann von ganz allein.

Eure Constance

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Leugnen zwecklos

Ich weiß was du denkst…