… und ich dagegen machtlos bin
Das wirklich blöde an meiner eigenen Mimik ist, dass sie anderen unmissverständlich meine Meinung sagt, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Sie tut das sogar, wenn ich es ihr explizit verbiete! Verrückt, oder?
Diese Körpersprache scheint eine unglaubliche Macht zu haben. Aber fangen wir mal ganz von vorne an und nähern uns dem komplexen Thema Körpersprache zunächst einmal mit einigen Zahlen, Daten, Fakten: Ein kluger Kopf, der sich im Rahmen seiner Forschung intensiv mit dem Phänomen der Körpersprache auseinandergesetzt hat, war der iranisch-amerikanische Psychologieprofessor Albert Mehrabian. Er hat die sogenannte 7-38-55-Regel erarbeitet, die besagt, dass das, was wir insgesamt als Kommunikation bezeichnen in drei Bereiche mit unterschiedlich starker Bedeutung oder Wertung aufgeteilt werden kann. Hierbei entfallen auf die verbale Kommunikation, also das rein inhaltlich Gesagte, nur etwa 7 Prozent, 38 Prozent entfallen auf den Bereich, den man als Paralinguistik bezeichnet. Zu nennen wären hier Lautstärke, Intonation, Sprechgeschwindigkeit und dergleichen. Bleiben folglich nach Adam Riese 55 Prozent für die Körpersprache, also Gestik, Mimik und Motorik. Selbstverständlich kann es hier situationsbedingt zu Abweichungen kommen, aber die unglaublich große Bedeutung der Körpersprache bleibt unbestritten. Warum das so ist? Wir Menschen bewerten das was wir sehen als wichtiger, im Vergleich zu dem, was wir hören. Unser Gehirn verarbeitet deutlich mehr visuelle als auditive Reize. Evolutionsgeschichtlich war Sehen beim Überleben wichtiger als Hören. Hören war offensichtlich sogar so unwichtig, dass unser Gehirn in Stresssituationen bis heute gerne unser Gehör ausblendet, damit wir nicht mit unnötigen Informationen überfrachtet werden. Sehr fürsorglich, unser Gehirn. So hat mein fürsorgliches Gehirn schon mehrfach dafür gesorgt, dass mir wirklich wichtige Infos im Eifer des Gefechts durch die Lappen gegangen sind. Danke auch dafür.
Ich fasse mal kurz zusammen: Er sagt “Schatz, ist alles OK?”, worauf sie erwidert “Ja, alles OK!”. Dabei kneift sie die Augen zusammen, verschränkt die Arme und schaut mit in Falten gelegter Stirn unter sich. Die Situation ist sehr eindeutig. Und natürlich hat Mann gelernt, besser dem Gesehenen, als dem Gehörten zu vertrauen! Diese Fähigkeit fällt dann unter natürliche Selektion nach Charles Darwin, weil kann anders durchaus tödlich enden!
Was ist Körpersprache aber denn eigentlich?
Lasst uns mal ins Detail gehen und kurz anschauen, was Körpersprache eigentlich ist. Unsere Körpersprache setzt sich aus Mimik, Blick, Gestik und Motorik zusammen. Es gibt Quellen, die hier auch Kleidungsstil und Styling dazu nehmen. Da ich der Meinung bin, dass ein Affe, den man in einen maßgeschneiderten Anzug aus Seide steckt, am Ende auch nur ein Affe ist, soll dieser Aspekt hier und heute keine Rolle spielen.
Als erstes möchte ich mir die Mimik vornehmen, weil sie der Teil der Körpersprache ist, welcher universell und kulturkreisübergreifend verständlich ist. Dem US-amerikanischen Anthropologen und Psychologen Paul Ekman ist es Ende der 1970er Jahre tatsächlich gelungen, die menschliche Mimik zu dekodieren. Sein sogenanntes Facial Acting Coding System (FACS) ist ein weltweit verbreitetes Verfahren zur Beschreibung von Gesichtsausdrücken. Inzwischen gibt es sogar Software, die basierend auf FACS menschliche Stimmungslagen bewerten kann. Sie lesen uns, die Computer! Verrückte Welt. Aber zurück zu Ekman: das für mich bahnbrechendste an seiner Forschung ist, dass Ekman der Beweis gelungen ist, dass die sieben Grundemotionen Angst, Wut, Ekel, Freude, Trauer, Verachtung und Überraschung weltweit gleich ausgedrückt werden. Mimik ist also eine Art universelle Sprache des Menschen.
Doch schon beim Blick selbst, oder dem Blickkontakt, gibt es kulturelle Unterschiede. Während Blickkontakt in unserem Kulturkreis als höflich und respektvoll erachtet wird, gibt es Kulturkreise, in denen Blickkontakt als unangenehm empfunden wird. Dazu müssen wir auch nicht unbedingt nach Asien oder Afrika reisen. Ein schneller Flug nach Finnland ist ausreichend.
Auch unsere Gestik erfreut sich großer kultureller Unterschiede, sowohl im Bereich der unbewussten Gestik (man stelle sich hier den Italiener beim Erzählen vor und daneben eben den Deutschen: die Hände werden sehr unterschiedliche Dinge tun), als auch im Bereich der bewusst genutzten Handzeichen. Vorsicht, Daumen hoch ist zum Beispiel auf Sardinien etwas äußerst Unanständiges. Natürlich gibt es bei der Gestik auch Gemeinsamkeiten. So scheint es, als werden die kleinen Ticks, die wir alle haben, wenn wir unter Stress stehen, weltweit richtig verstanden. Diese Ticks nennt man Adaptoren und mein persönlicher “Haupt-Adaptor” ist, dass ich mir ständig an den Hals greife, unbewusst und so lange bis ich rote Flecken bekommen.
In Hinblick auf Motorik, der Art und Weise, wie wir uns bewegen, ist zu sagen, dass es Bereiche gibt, die kulturkreisübergreifend gleich sind. Zum Beispiel gab es Versuchsreihen, die belegen, dass wir Männer und Frauen am Gang unterscheiden können, überall, weltweit. Es gibt aber auch Bereiche, die kulturell geprägt sind. Hier ist vor allem unser Distanzverhalten zu nennen. So werden wir Deutsche in Japan gerne mal als aufdringlich empfunden, weil der Japaner das Gefühl hat, dass wir ihm im Gespräch zu nah kommen. Wir wiederum empfinden Brasilianer als aufdringlich, weil diese uns näher kommen, als uns lieb ist. Ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert, wenn ein Japaner auf einen Brasilianer trifft!
Wenn ich also meine Körpersprache kontrolliere…
Insgesamt scheint das mit der Körpersprache nicht so kompliziert zu sein. Es gibt Regeln und Standards, da müsste es doch ausreichen, zu lernen, wie mein Körper kommunizieren muss, damit ich als kompetent, sympathisch, souverän, positiv wahrgenommen werde. Dafür gibt es kluge Bücher… Ja, das Leben wäre so einfach, wenn unser eigenständiges und fürsorgliches Gehirn nicht immer wieder dazwischen funken würde, weil es so gerne macht, was es will!
Dem ein oder anderen ist Sigmund Freuds Eisbergmodell sicher ein Begriff. Zwanzig Prozent auf der bewussten und achtzig Prozent auf der unbewussten Ebene. Diese Modell lässt sich auch wunderbar auf unsere Körpersprache adaptieren. Zwanzig Prozent können wir bewusst beeinflussen, die restlichen achtzig Prozent erzählen unserem Gegenüber immer die Wahrheit. Unser Gegenüber muss, um diese Wahrheit zu lesen, noch nicht einmal einen Kurs in Körpersprache belegen. Den gibt es von der Evolution gratis im Gesamtpaket dazu. Natürlich gibt es hier Menschen, die das noch ein bisschen besser können, als der Durchschnitt. Der bereits erwähnte Paul Ekman ist einer dieser Zeitgenossen. Die Serie “Lie to me” basiert auf seiner Arbeit, wirklich sehenswert. Aber auch all diejenigen, die eine Lüge nicht sofort und eindeutig demaskieren können, haben eine Intuition, die sich meistens als Bauchgefühl breit macht. Wenn unser Gehirn nämlich zu der Einschätzung gelangt, dass uns jemand etwas vorspielt, das Gesamtbild nicht kongruent ist, wittert es Gefahr und sorgt für Unbehagen.
Meine Lesson Learned
Meine ganz persönlich Lesson Learned ist in diesem Zusammenhang frustrierend und erfreulich zugleich: ich muss keine Energie darauf verwenden Körpersprache zu lernen und bewusst einzusetzen, weil mich das nicht weiterbringt. Warum sollte ich hundert Prozent Energie für etwas verschwenden, das mir nur zu zwanzig Prozent gelingen wird? Erinnert mich irgendwie an das Paretoprinzip! Warum sollte ich in einer Situation, in der ich gestresst oder aufgeregt bin, alles daran setzen, meiner Umwelt vorzuspielen, dass ich total souverän bin? Achtzig Prozent meines Körpers werden stresstypische Gestik, die beschriebenen Adaptoren zeigen, anhand derer mein Gegenüber mich unbewusst sicher nicht als souverän einschätzen wird. Im besten Fall sorgt das bei meinem Gegenüber für Irritation, was mich auch nicht erfolgreicher macht. Anstatt meine Energie dafür zu nutzen, souverän zu wirken, ist es sinnvoller an meiner inneren Haltung zu arbeiten und dann auch souveräner zu sein. In diesem Fall muss ich auch keine Körpersprache mehr auswendig lernen. Und wenn ich trotzdem irgendwann einmal aufgeregt oder gestresst bin, kann ich das doch ganz einfach benennen. Als ich meinen letzten Vortrag vor Corona gehalten haben, war ich tatsächlich aufgeregt. Es war in einem Kino und allein die Kulisse war spektakulär. Auch das Publikum war damals noch nicht wirklich einschätzbar für mich. Ich bin mir sicher, dass es keinen der Anwesenden irritiert hat, dass ich direkt zu Anfang erklärt habe, dass ich an diesem Tag wirklich etwas aufgeregter bin, als sonst. Ich gehe sogar davon aus, dass die Gehirne meiner Zuschauer und Zuhörer das recht angenehm fanden, weil ich für sie sofort einschätzbar wurde: “Von der großen Frau da vorne geht keine Gefahr für mich aus. Die ist einfach nur aufgeregt und das kann ich gut verstehen, wäre ich an ihrer Stelle wahrscheinlich auch!”
Und so entlasse ich euch in diesen Sonntag mit der Aufforderung, euch weniger Gedanken darüber zu machen, wie ihr wirkt, sondern lieber darüber nachzudenken, wie ihr seid. Hört auf, an eurer Körpersprache “rumzudoktoren”, sondern seid achtsam mit euch selbst und arbeitet an eurer inneren Haltung. Die Wirkung kommt dann von ganz allein.
Eure Constance