hypnosystemisches Coaching

Wenn Mitarbeitende nicht so wollen, wie es sich die Führungskraft vorstellt - Autopoiese und Metakommunikation

Die hohe Kunst der Führung aus hypnosystemischer Perspektive

In den letzten beiden Woche habe ich gleich drei Situationen erlebt, in denen mir in meiner Rolle als Coach und Berater die hypnosystemischen Ansätze rund um das Thema Führung ausgesprochen hilfreich waren. Außerdem ist meine letzte Weiterbildung bei Dr. Gunther Schmidt, dem Vater der Hypnosystemik, noch sehr präsent. Somit hat sich das Thema für meine neusten Blog wie von alleine ergeben. Ich möchte euch in dieser Woche ein paar sehr praktische Tools aus dem hypnosystemsichen Ansatz von Dr. Gunther Schmidt mit Blick auf das große Thema Führung und herausfordernde Gespräche mit Mitarbeitenden erläutern.

Die Mitarbeitenden wollen einfach nicht so wie ich!

Immer diese Renitenz… Eine Thematik die wahrscheinlich keiner Führungskraft fremd ist. Ich will links, die Mitarbeitenden weigern sich oder wollen partout rechts… Woran liegt das? Schon Luhmann hatte in seinen systemtheoretischen Betrachtungen hierfür eine einleuchtende Erklärung: Autopoiese ist das magische Wort! Hierbei handelt es sich um einen Ansatz aus der Neurophysiologie, der ins Deutsche übersetzt so viel bedeutet wie “Selbstherstellung” oder “die Hervorbringung von etwas als Werk seiner selbst”. Komplexe Systeme, das heiß in diesem Zusammenhang psychische Systeme (also einzelne Menschen) und soziale Systeme (also Teams, Gruppen, Organisationen, aber auch Familien), entwickeln sich aus sich selbst heraus und entscheiden somit auch frei und aus sich selbst heraus. Ich kann von außen bestenfalls Impulse oder Anreize geben. Die Richtung abschließend vorgeben kann ich nicht. Allerdings können meine Impulse so klug oder einleuchtend sein, dass die betrachteten Systeme eigenständig entscheiden in die Richtung zu gehen, die ich vorschlage.

Ich drücke es mal ganz platt aus: Glaubt bitte nicht, ihr könnte irgendjemanden zu etwas zwingen oder davon überzeugen, dass etwas toll ist, nur weil ihr es toll findet. Sowohl einzelne Mitarbeitende, als auch ganze Teams oder Organisationen bleiben selbstbestimmt, immer. Dieses Phänomen der Autopoiese von Sozialsystemen und psychischen Systemen ist der Grund weshalb in Veränderung professionelle Begleitung hilfreich ist und weshalb Mitarbeitende sich eben nicht einfach in eine gewünschte Richtung entwickeln nur weil die Chefin oder der Chef das einfordert.

Gespräche mit Mitarbeitenden als Werbegespräche

Basierend auf dieser absoluten Eigenständigkeit des menschlichen Geistes spricht Dr. Gunther Schmidt gerne von Werbegesprächen mit Mitarbeitenden. Ich kann niemanden zwingen, aber ich kann für ein bestimmtes Ziel werben. Wie in der Werbung muss ich mir im Vorfeld sehr genau Gedanken darüber machen, was ich an den Mann oder die Frau bringen möchte, wofür das hilfreich ist und wie genau meine Zielgruppe aussieht. Generell gelten diese Kernpunkte sowohl im Change Management mit Blick auf ein größeres System, als auch in der Auseinandersetzung mit einzelnen Mitarbeitenden, bei denen die Führungskraft die Notwendigkeit einer Veränderung wahrnimmt. In diesem Artikel möchte ich mich auf den zweiten Fall, das heißt die Auseinandersetzung mit individuellen Mitarbeitenden fokussieren. Das Thema Change Management und Autopoiese liefere ich zu gegebener Zeit nach.

“Feedback ist ein Geschenk!” - Oder so in der Art…

Wann immer es in Feedback- oder Entwicklungsgesprächen mit Mitarbeitenden darum geht, dass die Führungskraft aus ihrer Sicht veränderungsbedürftige Thematiken bei ihren Mitarbeitenden ansprechen möchte oder muss, fühlen sich aus meinem Erleben zumeist beide Beteiligten nicht wohl. Um nicht zu sagen sie sind gestresst. Mitarbeitende fühlen sich mit Blick auf die asymmetrischen Machtverhältnisse häufig ausgeliefert und auch die Führungskräfte spüren vermehrten Stress, weil sie ja niemanden kritisieren oder verletzen wollen. Wie also herangehen, an ein solches Gespräch?

Aus hypnosystemsicher Sicht geht es bei dieser Art Gespräch nicht darum, Fehler aufzuzeigen. Vielmehr liegt der Fokus darauf, wie jede und jeder möglichst zieldienlich, das heißt im größeren Sinne des Unternehmens, agieren kann um ein gemeinsames positives Ergebnis zu erzielen. Ich finde diese Grundhaltung ist per se schon einmal hilfreich.

Schritt eins: Vorbereitung ist alles

Im Vorfeld eines solchen Entwicklungsgesprächs kann ich nur jeden ermuntern, sich selbst ausführlich zu reflektieren, im Idealfall vielleicht sogar mit Unterstützung eines hypnosystemischen Coaches:

  • Welchen Sinn (welches “Wofür) möchte ich dem Gespräch geben? Welches Ziel verfolge ich in diesem Gespräch? - Hier hat es sich als hilfreich erwiesen, sich dieses Ziel möglichst genau, auch bildlich vorzustellen.

  • Wie genau nehme ich die Leistungen der/des Mitarbeitenden wahr? Was macht die/der Mitarbeitende besonders gut (Muster des Gelingens erkennen)? Wo genau sehe ich Verbesserungspotenzial und wie genau (das heißt anhand welches Verhaltens) werde ich eine Verbesserung oder Entwicklung in die aus meiner Sicht optimale Richtung wahrnehmen?

  • Welche Wirkmöglichkeiten habe ich in meiner Rolle als Führungskraft? Was müsste und könnte ich tun, wenn keine Veränderung eintritt? Ich kann wie gesagt niemanden zwingen, etwas Bestimmtes zu tun. Aber ich kann sehr wohl versuchen extrinsische Motivationen zu setzen, die dazu führen, dass sich jemand selbstständig, unter Abwägung alles relevanten Fakten, entschließt, sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln.

  • Wie kann ich mein eignes Erleben der/des Mitarbeitenden respektvoll und lösungsorientiert formulieren?

  • In welche Zwickmühlen bringt mich dieses Situation selbst? Häufig möchten wir als Menschen gar nicht unbedingt andere auf ihr Entwicklungspotenzial hinweisen, in unserer Rolle als Führungskraft, einhergehend mit der Verantwortung für die Unternehmensziele, kommen wir jedoch nicht drumherum, entsprechend vorzugehen. Oder ich kann als Mensch das unerwünschte Verhalten der/des Mitarbeitenden sogar nachvollziehen, darf es in meiner Rolle als Führungskraft jedoch nicht akzeptieren, bzw. tolerieren.

  • In welcher Rolle führe ich das anstehende Gespräch? - Hier gibt es im Unternehmenskontext nur eine richtige Antwort für all jene unter euch, die in Führungsverantwortung sind: Als Führungskraft! Was bedeutet das für das anstehende Gespräch und mich selbst? Was brauche ich um mit eventuellen Ambivalenzen oder Rollenkonflikten Ambivalenzen gut umzugehen?

Schritt zwei: Durchführung

Als Initiator des Gesprächs legt die Führungskraft zunächst das “Wofür” des Gesprächs und ihre/seine Wahrnehmung der zu besprechenden Umstände dar. Das sollte so transparent und ehrlich wie nur möglich geschehen. Auch eigene Zwickmühlen dürfen an dieser Stelle transparent gemacht werden.

Anschließend wird die/der Mitarbeitende dazu eingeladen, die eigene Einschätzung darzulegen. Wie geht es der/dem Mitarbeitenden mit dem “Wofür” des Gesprächs? Welches “Wofür” wäre aus ihrer/seiner Sicht noch wünschenswert? Was brauch sie/er, um dieses Gespräch als unterstützend zu empfinden?

Bezogen auf die konkreten Themen wird die/der Mitarbeitende eingeladen, eine eigene Einschätzung abzugeben um Parallelen oder Unterschiede zur Einschätzung der Führungskraft auszudeuten. Hierbei hat sich die Arbeit mit Skalen von eins bis zehn sehr bewährt. Wichtig: Hierbei geht es NICHT um die objektive Wahrheit, sondern um subjektive Einschätzungen. Hierbei hat subjektiv betrachtet natürlich jede/jeder Recht! Ich kann die Einschätzung der/des Mitarbeitenden aus ihrer/seiner Sicht durchaus respektieren und es trotzdem aus meiner Rolle heraus anders einschätzen.

Bei der Vereinbarung über die nächsten konkreten Schritte ist es hilfreich, auf den sogenannten Mustern des Gelingens der/des Mitarbeitenden, das heißt auf alles das, was bereits wünschenswert läuft, aufzubauen. Zusätzlich zu den konkreten Schritten, die es für die/den Mitarbeitenden zu gehen gilt, ist es hilfreich, eine gemeinsame Resonanzschleife zu vereinbaren. - Wann treffen wir uns wieder um zu schauen ob es in eine gewünschte Richtung geht und ob ich dich in meiner Rolle als Führungskraft zusätzlich unterstützen kann?

Schritt drei: Umgang mit Widerständen

Das Phänomen der Autopoiese lässt grüßen! Denn wie eingangs beschrieben: Egal wie perfekt ich ein solches Gespräch aufbaue entscheidet allein die/der Mitarbeitende, ob sie/er Willens ist, in die gewünschte Richtung zu gehen, oder eben nicht. Für diese Entscheidung ist eine breite Kenntnis aller Fakten von hoher Bedeutung. Das heißt, die/der Mitarbeitende sollte unbedingt wissen, wie ich in meiner Rolle als Führungskraft vorgehen muss, wenn es eben nicht zur gewünschten Entwicklung oder Veränderung kommt.

Sollte der Widerstand seitens der/des Mitarbeitenden spürbar sein, ist es im ersten Schritt wichtig, mit diesem Widerstand respektvoll aber trotzdem zielorientiert anzusprechen. Hier kann es hilfreich sein, in eine Art Metakommunikation zu gehen: “Aus deiner Sicht oder als Mensch kann ich deine Haltung gut verstehen oder nachvollziehen. Ich respektiere deine Sichtweise, die aus deiner Perspektive verständlich ist. In meiner Rolle als Führungskraft, mit der Verantwortung für (…) sehe ich das jedoch anders, oder muss ich folgendermaßen argumentieren: …” Wichtig ist im Rahmen dieser Metakommunikation mit einem sehr klaren Appell zu beschließen: “In meiner Rolle als Führungskraft brauche ich (…) von dir.” Ist der Widerstand nach wie vor spürbar kann ich wie folgt ergänzen: “Wenn ich bis dann und dann allerdings nicht den Eindruck habe, dass ich (…) von dir bekomme, werde ich so und so reagieren müssen, auch wenn ich das eigentlich gar nicht will. Denn in meiner Rolle bleibt mir leider keine andere Alternative. Wie gesagt, ich respektiere, dass du frustriert, wütend, anderer Meinung bist, dennoch brauche ich (…) von dir. Kann ich dich dabei unterstützen? Was brauchst du von mir um (…) zu liefern?” -So oder so ähnlich!

Die Kunst des respektvollen Miteinanders

Im Kontext von Führung und Team-Management ist Hynosystemik, so wie sie Dr. Gunther Schmidt aus den hypnotherapeutischen Ansätzen des großen Milton Erickson entwickelt hat, für mich die Kunst das respektvollen und achtungsvollen Miteinanders. -Im Organisationskontext mit zusätzlichem, starken Fokus auf ein gemeinsames Ziel. Ein respektvolles Miteinander bedeutet jedoch nicht Harmonie und Friede-Freude-Eierkuchen. Ein respektvolles Miteinander bedeutet einen achtungsvollen Umgang mit Unterschieden. Denn in diesen Unterschieden steckt nicht selten das Entwicklungspotenzial einer Organisation. Henry Ford hat einmal gesagt, dass wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung seien, einer von beiden überflüssig sei. Unterschiedliche Einschätzungen und Wahrnehmungen sind das Salz in der Suppe des menschlichen Miteinanders, weil die jeweils andere Perspektive das Potenzial hat, ausgesprochen horizonterweiternd zu sein. In Unternehmen kommen aus meiner Sicht zwei zusätzliche Aspekte zum Tragen, die diese unterschiedliche Wahrnehmung noch etwas spannender machen:

  1. In Unternehmen gibt es ergänzend zu unseren individuellen Zielen auch immer ein höheres, gemeinsames Ziel, das es ausgesprochen gut und deutlich zu kommunizieren gilt. Dieses gemeinsam “Wofür” muss klar sein. Denn im Kontext meines Wirkens innerhalb dieses Unternehmens sollte ich in der Lage sein, meine individuellen Ziele dem großen Ziel anzupassen. Passen meine Ziel so ganz und gar nicht zu diesem Unternehmensziel, oder kann ich mich diesem Ziel aus anderen Gründen nicht anschließen, bin ich gut beraten mich zu fragen, ob ich am für mich richtigen Ort wirke.

  2. In Unternehmen gibt es unterschiedliche Rollen die auch in sehr flachen Hierarchien an unterschiedliche Macht-Niveaus (und damit subjektiv empfundenen Verantwortungs-Niveaus) und unterschiedlich Aufgaben (und damit Interessen und Problemräume) geknüpft sind. Diese unterschiedlichen Rollen bringen uns nicht nur innerhalb einer Hierarchie, sondern auch in der Auseinandersetzung mit den diversen Stakeholdern dazu, nicht als Mensch, der viele Themen gut nachvollziehen und gerne auch mal die berühmten Fünfe grade sein lassen möchte, zu agieren, sondern aus unserer jeweiligen Rolle heraus, im Sinne des Unternehmens. Diese Zwickmühlen gilt es wahrzunehmen und im täglichen Miteinander zu kommunizieren und wertzuschätzen um dann eine gemeinsame Lösung im Interesse des Unternehmens zu finden. In einer komplexen Welt brauchen erfolgreiche Unternehmen unterschiedliche Perspektiven die in einer achtungsvollen Diskussionskultur aufeinandertreffen.

Wo geratet ihr regelmäßig in diese Zwickmühlen und wie geht ihr für gewöhnlich damit um? Und vor allem, wie geht es euch mit diesen Feedback-Gesprächen? Wie gebt ihr Feedback und was braucht ihr um Feedback anzunehmen? Ich bin sehr gespannt auf Rückmeldungen zum Thema eurerseits.

Habt einen schönen, hoffentlich nicht zu regnerischen Sonntag.

Eure Constance

Führung leicht gemacht

Lösungen gemeinsam erarbeiten

Angst ist eine Leistung - wirklich!

“Wer Angst hat, hat Zukunft.” G. Schmidt

“Was?”, dachte ich mir, als ich mich im Rahmen der Jahreskonferenz der Milton Erickson Gesellschaft für meinen ersten Workshop bei Gunther Schmidt angemeldet habe. Nun gut, er wird schon wissen, wie er seine Workshops tituliert. Aber Angst und Zukunft…?

Ich war also in Kassel und sollte mich unter der Überschrift “Out of Fear” drei Tage lang mit Ängsten beschäftigen. Ängste sind keineswegs Therapeuten vorbehalten. Auch im Business Coaching lauern sie überall. - Versagensängste, Existenzängste, Angst vor Digitalisierung, Angst nicht gut genug zu sein, Angst nicht mithalten zu können, zum alten Eisen zu gehören, Angst vor der Blamage, Angst vor der Veränderung, Angst vor Gesichtsverlust … Ich kenne sie alle, auch aus dem eigenen Erleben. Warum also nicht drei Tage lang dazulernen, um mich als Coach noch kompetenter mit diesem Thema auseinandersetzen zu können?!

Ich nehme vorweg, das Angebot war riesig. Ich habe mich für zwei Workshops bei Gunther Schmidt entschieden um mehr über hypnosystemische Ansätze in der Arbeit mit Ängsten zu lernen, ich war bei Ortwin Meiss, der sich mit Versagensängsten in Hochleistungssituationen auseinandergesetzt hat. Prof. Bernhard Pörksen hat die durch die moderne Medienlandschaft initiierte Angstspirale beschrieben. Von Tilman Rentel habe ich wertvolle Impulse zur idiolektischen Gesprächsführung für das Coaching bei Angstthematiken bekommen und von Charlotte Cordes und Florian Schwartz durfte ich einiges zur provokativen Szenenarbeit im Coaching lernen. Im Prinzip sollte ich zu jedem einzelnen Workshop einen Blog schreiben. Vielleicht werde ich das auch Schritt für Schritt tun. Allerdings möchte ich heute damit anfangen, davon zu berichten, wie ich am letzten Wochenende meine eigenen Perspektive auf Angst grundlegend verändert habe.

“Die Arme, sie leidet so unter ihren Ängsten!”

Ich gebe zu, so oder so ähnlich schallte es in meinem Kopf, wann immer ich mit den Ängsten anderer konfrontiert wurde. Und dann kam Gunther Schmidt, der erklärte, dass die große Stärke von Menschen mit Ängsten ihre Zukunftsorientierung sei. Angst habe ich für gewöhnlich nicht “nach” etwas, sondern “vor” etwas, also vor etwas, das im zeitlichen Kontext vor mir liegt. Angst blickt konsequent in die Zukunft. Klar spielen hier auch Erfahrungen aus der Vergangenheit eine Rolle, aber der Fokus liegt auf der Zukunft. Überhaupt ist Angst etwas ausgesprochen Kraftvolles und Aktives. So jedenfalls stellte es Gunther Schmidt dar. Wie alle Emotionen hält auch sie uns “in motion”, also in Bewegung, lässt uns aktiv werden.

Das alles klingt nicht besonders bemitleidenswert. Gunther Schmidt fuhr fort und berichtete, dass Angst im Prinzip eine Leistung des Organismus sei, um bestimmte Ziele zu erreichen. Angst darf als Wegweiser in die Sicherheit betrachtet werden, oder wie Gunther Schmidt es beschrieben hat: als Undercover-Verkleidung unserer Sehnsucht nach Sicherheit. Evolutionshistorisch betrachtet waren es Ängste, die wie Bodyguards auf uns aufgepasst haben, dafür gesorgt haben, dass wir in Bewegung geblieben sind, das Ziel der Sicherheit stets im Kopf und im Herzen. Angst als unwillkürliches Phänomen hat also das Überleben der Menschheit gesichert, wird aber in unserer modernen Gesellschaft zunehmend zum Thema.

Mein Haus, mein Auto, meine Ängste und ich

Was ist passiert, auf dem Weg von der Höhle in unsere coolen, neuen Smart-Homes? Die Menschheit hat begonnen das unwillkürliche Phänomen der Angst zu objektivieren und sich damit in ein Opferempfinden manövriert: “Meine Angst, sie ist schuld! ICH will so ja gar nicht reagieren, aber ES passiert einfach!” Mit mir geschieht etwas und ich fühle mich ausgeliefert und hilflos. Die objektivierte Angst übernimmt meinen Körper, meinen Geist, meine Seele. Besessen von den kleinen Dämonen meiner Angst erlebe ich vor allem Ohnmacht oder Handlungsunfähigkeit. Nun ist guter Rat teuer. Was tun, um meine Ängste loszuwerden? Vielleicht wäre es ja hilfreich, im ersten Schritt zu überlegen, ob es überhaupt klug ist, meine Ängste loszuwerden. Immerhin helfen sie mir dabei, zukunftsorientiert zu sein, sie passen auf mich auf und sorgen dafür, dass ich in Bewegung bleibe, in Bewegung Richtung Sicherheit. Will ich in diesen verrückten Zeiten wirklich auf meinen Bodyguard verzichten? Unter Umständen könnte es viel besser sein, meinen Bodyguard einfach wie alle anderen guten Angestellten sicher zu führen, anstatt in rauszuschmeißen.

Mein Bodyguard namens Angst

Wie in der tatsächlichen Mitarbeiterführung ist es auch im Rahmen der Führung meines inneren Teams immanent wichtig jeden einzelnen Mitarbeitenden bestmöglich zu kennen, um ihn als Ressource zielorientiert zum Einsatz zu bringen. Also lasst uns diesen Bodyguard namens Angst etwas besser kennenlernen.

Dieser Bodyguard wird genährt durch meine Aufmerksamkeitsfokussierung auf ein einziges mögliches Szenario in der Zukunft. Wir alle kennen unsere Zukunft nicht. Wir alle haben tausende oder gar millionen mögliche Zukünfte. Unser Bodyguard, die Angst, pickt sich aus all diesen möglichen Szenarien eines heraus, auf das er all unsere Aufmerksamkeit richtet. Wichtig ist es nun zu verstehen, dass unser Bodyguard nicht so vorgeht, um uns zu ärgern. Nein, unser Bodyguard macht das, um bestmöglich auf uns aufzupassen. Wer stets vom Schlimmsten ausgeht, ist jederzeit bestmöglich auf alle Gefahren vorbereitet. Im Verlauf der Evolution hat sich bei uns Menschen eine selektive Priorität für Gefahren entwickelt. Wir alle haben uns aus der Genetik der “Angstbereiten” entwickelt. Die Mutigen waren zu langsam und am Ende nicht in der Lage ihre mutigen Gene weiterzugeben.

So sind wir gut ausgestattet mit den Bodyguards unserer Ängste. Ich bin mir sehr sicher, dass nicht nur ich davon berichten kann, wie ich mich fühle, wenn mein Bodyguard zur Höchstform aufläuft. Vielleicht gibt es noch andere Menschen, die schon einmal versucht haben, diesen Bodyguard zu bekämpfen und vielleicht bin ich nicht die Einzige, die die Erfahrung gemacht hat, dass der sicherste Weg ein Problem zu verstärken ist, es zu bekämpfen. Druck erzeugt eben immer Gegendruck, auch in der Mitarbeiterführung im innen wie im außen.

Ich werde es zukünftig auf einem anderen Weg versuchen: Ich werde nicht mehr gegen meine Ängste ankämpfen, sondern versuchen meinen Fokus zu verändern. Eine bedrohliche Zukunft macht doch nur dann Angst wenn ich mich ohnmächtig fühle und davon überzeugt bin, dass diese bedrohliche Zukunft meine einzige mögliche Zukunft ist. Ja, das schlimmstmögliche Szenario kann durchaus eintreten, das bestmögliche aber auch. - Und viele andere, die irgendwo dazwischen anzusiedeln sind. Ich gönne mir den Gedanken, dass es gefährlich ist, mit 180 über die Autobahn zu düsen. Lässt mich dieser Gedanke von Todesangst gelähmt zurück? -Oder in Schrittgeschwindigkeit auf dem Standstreifen? Nein, denn es gibt auch viele Szenarien, in denen ich lebend an mein Ziel komme. Mein Bodyguard ist bei mir und passt auf, dass ich nicht zu leichtsinnig oder unachtsam werde, aber er übernimmt nicht mein gesamtes Denken und Handeln. Ich fühle mich nicht fremdbestimmt, sondern selbstbestimmt.

Ängste im Business Coaching und der Beratung

Was nehme ich für meine Rolle als Coach und Berater mit nachhause? Zum einen natürlich die Idee, dass Ängste nicht etwas Schwaches oder gar Bemitleidenswertes sind, sondern eine großartige Leistung unseres Organismus. Außerdem zeugen sie davon, dass ich ausgesprochen zukunftsorientierte Menschen vor mir habe, wenn mir diese von ihren Ängsten oder Sorgen berichten. Ich werde (noch) wertschätzender mit der großen Kompetenz der Angst umgehen.

Zum anderen denke ich natürlich auch über meine Arbeit mit ganzen Organisationen oder Organisationseinheiten nach. Mein Kernthema heißt Psychological Safety und tagein tagaus mache ich mir Gedanken darüber, wie Organisationen Rahmenbedingungen schaffen können, die die Voraussetzungen für eine Kultur der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit bestmöglich unterstützen. Hierzu habe ich über die Jahre hinweg ein recht gutes Repertoire entwickelt, das ich nach dem Workshop mit Gunther Schmidt besonders in Organisationen, die sich in einem Veränderungsprozess befinden, oder einen solchen planen, um einen Punkt erweitern möchte: Ich werde besonders die Führungskräfte dazu ermuntern, nicht nur eine Zukunftsvision zu entwickeln, sondern mehrere, damit den vielen Bodyguards der Mitarbeitenden möglichst von Anfang an klar ist, dass es nicht nur ein oder zwei Szenarien gibt. Für gewöhnlich sind das ja immer die schöne neue Welt in den Köpfen der Chefs und die überfordernde Horrorvision der Zukunft in den Köpfen der besorgten, skeptischen, ängstlichen Mitarbeitenden. Ich kann mir vorstellen, dass es hilfreich ist, unterschiedliche Szenarien zu zeichnen um den Fokus von Anfang an breiter zu halten.

In diesem Sinne entlasse ich euch in einen wunderschönen Sonntag. Vielen Dank für das Interesse an meinem Blog. Ich melde mich nach Ostern mit ein paar News zu meiner ganz persönlichen Rollenfindung. Seid gespannt, denn bei mir hat sich ein bisschen was getan! -Aber keine Angst, alles recht positiv!

Eure Constance

Out of fear?

-Ich doch nicht! Und das ist gut so.

Der Mitsommernachtstraum von Organisationsentwicklung: Kultur oder Struktur? Henne oder Ei?

Mitsommernachtsträume und Fieberwahn

Eigentlich sollte ich, wenn ich schon über Träume schreibe, unbedingt meinen letzten Fiebertraum für Euch zusammenfassen. Der war nämlich ausgesprochen spannend und aufschlussreich. Mich hat Corona in der letzten Woche ziemlich umgehauen und als ich bei 40 Grad Außentemperatur mit über 39 Grad Fieber unter meiner Daunendecke frierend phantasiert habe, ist mir wieder etwas ziemlich Essentielles eingefallen, das ich auf jeden Fall mit Euch teilen muss. Aber ich habe ja bereits angekündigt, dass es diese Woche um Organisationsentwicklung gehen soll. Deshalb muss der Fiebertraum noch zwei Wochen warten. So viel aber vorab: Wir reisen gemeinsam an einen wunderschönen Ort, mit Bergen und Meer, exotischem Essen und vielen bunten Farben. Das passt doch ganz gut zur Urlaubssaison.

Mit Überschall in die Zukunft

Heute reise ich mit Euch nicht an einen anderen Ort, sondern in eine andere Zeit. Es geht in die Zukunft. Und zwar nicht in der üblichen Geschwindigkeit. Denn strenggenommen befinden wir uns alle auf einer stetigen Reise in die Zukunft. Ich gebe heute einfach mal ein bisschen mehr Gas und reise mit der Frage “was will ich werden?” in die eigene Zukunft und nehme Euch einfach mit.

Am letzten Wochenende habe ich einen wundervollen Vortrag des großartigen Gunther Schmidt gesehen. Der ein oder andere Satz ist nachhaltig im Kopf (und im Herz) geblieben. Niemand ist! Wir sind alle am werden! - So oder so ähnlich hat er sich ausgedrückt und damit bei mir voll ins Schwarze getroffen. Ich bin nun seit gut eineinhalb Jahren Agile Coach. Das ist OK und macht Spaß. Aber inzwischen ist es für mich fast wichtiger, wo die weitere Reise für mich hingeht, oder was ich gerade am werden bin! Die Antwort hierauf ist ziemlich klar: Ich möchte Organisationsentwickler und Change Manager werden. Warum? - Weil ich fest daran glaube, dass es zukünftig nicht darum gehen wird, Organisationen zu transformieren, sondern vielmehr darum, sie so aufzustellen, dass sie sich selbst stetig transformieren, stetig in die Zukunft reisen, aus eigener Kraft und aus eigenem Antrieb. Das ist für mich die einzige sinnvolle Antwort auf Dynamik und Komplexität unserer Umwelt. Es braucht also lernende, lebende, dynamische Organisationen und ich bilde mir ein, dass ich als Organisationsentwickler diese Entwicklung bestmöglich mitgestalten kann. Was brauch ich, wenn ich etwas werden will? Selbstverständlich eine Weiterbildung! Im Oktober geht es los! 13 Monate wird gelernt.

Das Imposter Syndrom und ich

Ja, ich brauche diese Weiterbildung! Ich bin nun mal am werden und irgendwie nie gut genug. Also wenigstens Luft nach oben ist da noch eine Menge! Aber ja, den einen Teil dessen, was Organisationsentwicklung heutzutage aus meiner Sicht ausmacht, decke ich bereits recht gut ab. Für mich besteht Organisationsentwicklung aus der Arbeit an Kultur und Struktur. Was nun was hervorbringt ist für mich wie die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Es ist die Frage, wer Recht hat: Luhmann mit seiner Systemtheorie oder Habermas mit seiner Handlungstheorie. Beides große Denker. Vielleicht haben beide recht und es ist am Ende ein experimenteller Mix aus beiden Gedankengängen, der die besten Effekte erzielt. Dazu muss ich aber beides kennen und verstehen. Ergo Zeit mich weiterzubilden!

Momentan ist mir die Systemtheorie deutlich näher und auf jeden Fall sind Kompetenzen aus dem klassischen systemischen Coaching auch in der Organisationsentwicklung und der Change-Begleitung ausgesprochen hilfreich: Jedes System braucht eine individuelle Lösung, weil jedes System einzigartig ist. Und diese passgenaue Lösung kann ein System nur aus sich selbst heraus nachhaltig entwickeln. Der Fokus auf bereits vorhandenen Ressourcen kommt in Transformationen häufig zu kurz, weil der Fokus vor allem darauf liegt, was fehlt. Mit einer ressourcenorientierten Herangehensweise ist es deutlich einfacher, Menschen mit auf die Reise zu nehmen und eine bestmögliche Lösung zu finden. Vor allem glaube ich ganz fest daran, dass Kultur Methode und Struktur zu Frühstück verspeist. Oder um es anders auszudrücken: Die innere Haltung der Menschen innerhalb des Systems hat größeren Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg, als die Methode. Ich glaube, dass der Mensch der Schlüssel zum Erfolg unserer Systeme ist. Ich bin wohl eine Kulturalistin in Reinform!

Denn Organigramm sind nur Bilder - noch nicht einmal besonders schöne Bilder

Noch deutlicher wurde der bereits erwähnte Gunther Schmidt, der beschrieben hat, dass er immer wieder als systemischer Berater gebucht wird. Um sich einen Überblick über die Organisation, das System, zu verschaffen, bekommt er zunächst ein ausführliches Organigramm zur Verfügung gestellt. Dies helfe ihm gar nicht. Denn Organigramme seien einfach nur Bilder, noch nicht mal besonders schöne Bilder. Lachend stellte Schmidt fest, dass ja kein Mensch in ein Museum ginge um sich Organigramme anzuschauen. Recht hat er. Besonders heutzutage. Einfache Organigramme reichen nicht mehr. Wir haben jetzt Matrix-Strukturen, die alles abbilden, nur nicht das, woran Schmidt als Berater arbeiten könnte. Abbildungen von den Organisationsstrukturen fehlt eben das, was der Soziologe Hartmut Rosa als soziale Energie bezeichnet. Wird der Abteilungsleiter wirklich als diejenige Respektsperson oder Autorität wahrgenommen, die das Organigramm erahnen lässt? Ist die Assistenz der Geschäftsführung überhaupt abgebildet? Und auch in der Machtposition aus der heraus sie agiert? Immerhin hat sie maßgeblichen Einfluss darauf, wer wann und wie lange mit dem Chef sprechen darf und wer in welchem Mail-Verteilen auftaucht oder ganz aus Versehen vergessen wird. Wie sind die Dynamiken und Allianzen? Wo schwelen Konflikte, vielleicht sogar strukturell bedingt? Ja ja, die eindeutigen und klaren Organigramme sind häufig nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Themas, das es zu bearbeiten gilt. Denn wenn sie nicht exakt so gelebt werden, wie sie dargestellt sind, sobald die soziale Energie vom Organigramm abweicht, bleibt nur ein wenig schönes und wenig kreatives Bild, das Museen noch nicht einmal geschenkt bekommen möchten…

Der hypnosystemische Ansatz in der Organisationsentwicklung

So stellte auch der “Imposter” in mir fest, dass die Welt jetzt nicht gleich untergeht und mir die Fälle nicht sofort davonschwimmen, wenn ich bislang nur als Kulturalist unterwegs bin und mir die Ideen hinter dem Strukturalismus in der Organisationsentwicklung bislang eher böhmische Dörfer sind. Das steigert mein Selbstbewusstsein! Und damit nicht genug! Eigentlich habe ich mich am letzten Wochenende ja mit dem hypnosystemischen Ansatz in der Mediation beschäftigt. Ganz nebenbei gab es aber auch einiges zum Thema Hypnosystemik in der Organisationsentwicklung. Dieser hypnosystemische Ansatz nach Gunther Schmidt ist seit meinem NLP Practitioner so etwas wie mein Heiliger Gral geworden und ich stelle erst Schritt für Schritt fest, wie vielseitig anwendbar dieser Ansatz ist.

Aber mal Schritt für Schritt von vorne: Was ist Hypnosystemik überhaupt? Im Rahmen seines hypnosystemischen Coachingansatzes hat Gunther Schmidt systemische Modelle aus dem Coaching, der Team- und Organisationsentwicklung mit den kompetenzaktivierenden Konzepten der Hypnotherapie nach Milton Erickson kombiniert, das Ganze noch mit etwas Psychodrama, Transaktionsanalyse und Körpertherapie angereichert und Forschungsergebnisse aus der modernen Neurowissenschaft einfließen lassen und fertig ist Schmidts Konzept, das neben den Methoden und Modellen vor auch eine Art zu denken, eine innere Haltung ist. Im hypnosystemischen Coaching gilt, dass alles Erleben, auch das von Sinn (und darum geht es uns doch allen früher oder später), ein ganz individueller Konstruktionsprozess ist. Im Zusammenhang mit Organisationsentwicklung oder Transformationsprozessen bedeutet das, dass sich Sinn nicht oktroyieren lässt. Was jedoch funktioniert, ist Angebote zu machen, über die sich die Organisationsmitglieder ihren persönlichen Sinn konstruieren können. Je sinnstiftender eine Veränderung wahrgenommen wird, desto größer ist dann auch die Motivation und das Vertrauen, sich auf diese Veränderung einzulassen. Klingt ganz einfach, oder? Ist es aber nicht!

Wer ist eigentlich “das System”?

Bevor ich jedoch an den Punkt komme, an dem ich mit den Organisationsmitgliedern, den Menschen innerhalb des Systems, arbeiten kann, sollte ich mir ziemlich genau die Frage stellen, wer oder was das System denn überhaupt ist! Denn auch Systeme sind Konstruktionen, zu Weilen sehr individuelle Konstruktionen. Zur Verdeutlichung nutze ich mal ein Beispiel, dessen sich auch Gunther Schmidt bedient hat.

Das System Großmetzgerei für Geflügel: Hier gibt es unterschiedliche Betrachtungsweisen. Die einfachste ist, den Betrieb irgendwo in Deutschland zu betrachten. Dieser produziert ausschließlich Hähnchenschenkel und Brüste, weil das die Deutschen am liebsten mögen. Der Rest geht als Abfall für kleines Geld nach Afrika. Der Betrieb ist insgesamt recht erfolgreich, zahlt seine Angestellten angemessen und bietet gute Arbeitsbedingungen. Natürlich sind die Hühnchen auch Bio! Voll gut! Gutes System! Spielen wir das ganz jetzt mal weiter und machen das, was Schmidt konsequent tut, nämlich permanent die Frage nach den Auswirkungen zu stellen, müssen wir uns auch Fragen stellen, welche Auswirkungen die deutschen Abfälle in Afrika haben. So wird Afrika Teil des Systems! Diese werden dort sehr günstig verkauft. Das ist im Prinzip toll für die Menschen dort. Win-Win könnte man meinen. Allerdings sind die deutschen Abfälle dort viel günstiger als die Produkte lokaler Produzenten. Diese müssen auf Grund des Preisdrucks schließlich aufgeben. Menschen werden arbeitslos, hoffnungslos und machen sich auf die Suche nach einer neuen Heimat. Ihr letztes Erspartes bekommen Schlepperbanden und diese Menschen landen schließlich in einer Unterkunft irgendwo in Deutschland. Dieses System nennt man dann Globalisierung. Dieses System braucht einen Blick aus einer gefühlten Meta-Metaebene, um schließlich das im Blick zu haben, worum es momentan gefühlt überall geht: Nachhaltigkeit!

In welcher Flughöhe möchte ich arbeiten? Was ist das System, in dem ich arbeite? Eine Entscheidung die ich bewusst treffen sollte, um genau festzulegen, in welchem Rahmen ich agiere.

Vielleicht geht’s ja doch ohne Strukturalismus

Während ich gerade so vor mich hin getippt habe, muss ich zugeben, hatte ich einen kurzen Anflug absoluten Größenwahns: Ja, die Welt braucht mich, unbedingt! Ich verfüge über alle Ressourcen, um nachhaltig gestalten zu können! Ich werde Organisationen entwickeln, lernende und angstfreie Organisationen! Yes I can!

Zum Glück meldet sich in diesen Situationen sehr zuverlässig und zeitnah mein innerer Kritiker und Leistungsantreiber, den ich spaßeshalber Patricia genannt habe. Patricia ist groß, hager und schaut meistens sehr ernst aus ihrem angespannten Gesicht. “Haben wir nicht gelernt, dass wirklicher und nachhaltiger Erfolg nicht aus Entweder-Oder-Konzepten, sondern aus integrativen Sowohl-Als-Auch-Konzepten entsteht?” Ich werde kleinlaut und wieder deutlich bescheidener… Patricia setzt noch einen drauf: “Wie um alles in der Welt kannst Du aus Bequemlichkeit alles das ignorieren, wovon Du doch eigentlich überzeugt bist?”

Das hat gesessen. Patricia hat natürlich recht. Ich bin wirklich froh, dass ich sie habe. Denn selbstverständlich darf und kann man Strukturen auch nicht aus der Betrachtung herausnehmen. Manchmal setzen Strukturen einfach unumstößlich Rahmen, innerhalb derer es sich zu bewegen gilt. Und natürlich gibt es auch die ein oder andere Theorie, die die Kombination von Kulturalismus und Strukturalismus beschreiben. Der britische Soziologe Anthony Giddens verfolgt zum Beispiel einen Ansatz, in dem die Struktur (das heißt Regeln und Ressourcen) zunächst das Handeln und damit auch die Kultur prägen. Allerdings hat das Handeln (und damit eben auch die Kultur) die Kraft, die Struktur zu ändern. In Giddens Ansatz kommt es zu einem Wechselspiel von handlungsprägenden Strukturen und strukturverändernden Handlungen. Hört sich schwer nach lernenden Strukturen an…

Puh, da gibt es noch eine Menge zu lernen und eine Menge zu werden. Nur zu zwei Wesen möchte ich auf keinen Fall werden: Ich möchte weder eine esoterische Kulturalistin mit Räucherstäbchen, noch möchte ich eine seelenlose Strukturalistin mit Excel-Tabellen werden. Ich werde einfach beides!

Habt einen schönen Sonntag. Ich freue mich darauf, Euch in zwei Wochen mit auf eine Reise an einen ganz besonderen Ort nehmen zu dürfen. Eigentlich sind es sogar zwei ganz besondere Orte… Aber ich will auch nicht zu viel spoilern.

Eure Constance

PS: Warum ich das hier mit Euch teile? - Ich habe dringend ein paar Argumente benötigt, mit denen ich mich schon jetzt als Organisationsentwicklerin bewerben kann. Drückt mir die Daumen. Vielleicht klappts ja.

Kultur oder Struktur?

Huhn oder Ei? Geht das eine ohne das andere?