"Wofür machst du denn NOCH eine Weiterbildung?" - Über Wissensdurst, Lernsucht und Perfektionsstreben.

“Du lernst im Leben nie zu viel, das sei auch stets dein Ziel!”

Diese Worte hat mir Mark bereits im Grundschulalter in meinem Poesiealbum hinterlassen. Ich glaube er hatte keine Ahnung, wie prophetisch sie sein sollten.

Gestern habe ich meine Ausbildung zum systemischen Change Manager und Business Coach abgeschlossen, inklusive IHK Prüfung am Freitag. Als ich vor einigen Wochen darüber im Büro erzählte, platzt es voller Erstaunen aus einem Kollegen heraus: “Wofür machst du denn noch eine Ausbildung?” Es war definitiv als Kompliment gedacht und eine absolut berechtigte Frage. Ich musste ganz kurz überlegen. Und meine Antwort an diesem Sommertag in Frankfurt war: “Professionalisierung!”. Ja, es stimmt, über die Jahre habe ich mir einen beeindruckenden Werkzeugkoffer im Bereich Training, Mediation und Coaching zugelegt. Wofür eine weitere Ausbildung, von der auch meine wunderbare Ausbilderin sagte, dass es für mich sicher viele Wiederholungen geben würde. War ich vielleicht lernsüchtig, oder war es dieses Gefühl noch immer nicht gut genug zu sein, das mich zuvor jahrelang auf Trab gehalten hat? Während die Ausbildung langsam startete, merkte ich, dass diese Ausbildung die erste in meinem Leben war, die ich nicht auch aus dem Motiv heraus, (noch) nicht gut genug zu sein, begonnen habe. Es ging mir tatsächlich darum, Bekanntes zu festigen, bzw. speziell im Businesskontext zu betrachten und durch neue Elemente insbesondere aus der systemischen Change-Beratung zu ergänzen, um mich weiter zu professionalisieren. Ja, ich habe einen ausgeprägtes Perfektionsstreben. Ich möchte für meine Kunden, intern wir extern, die beste Coach oder Beraterin sein, die sie finden können. Nicht mehr und nicht weniger! Allein schon dafür brauchte es eine stetige Weiterentwicklung.

Dynamik und Komplexität managen

Schon als sich die Ausbildung dem Ende zuneigte, war mir klar, dass es mir im Kern noch um viel mehr ging, als um Professionalisierung und Perfektionsstreben. Schon vor gut zwei Monaten habe ich meine parallel laufende Ausbildung zum NLP Master Coach abgeschlossen. Schaute ich damals in die Zukunft, freute ich mich sehr darauf, zukünftig nicht mehr etwa zwei Wochenenden im Monat in diversen Weiterbildungen zu verbringen, das erste Mal seit fast drei Jahren… Und während ich mich also auf meine neue Extraportion Freizeit freute, machte sich in einem Teil von mir Unbehagen breit. Eine innere Unruh, die durch den Gedanken, nicht mehr zweimal im Monat etwas hinzuzulernen und den Horizont zu erweitern, so groß wurde, dass ich bereits angefangen habe, zu schauen, was ich als nächstes lernen kann. Und glaubt mir, bei alle dem, was ich in den letzten Jahren bereits gemacht habe, wird es langsam wirklich herausfordernd, etwas zu finden, das sinnvoll daran anknüpft. Bin ich wohl lernsüchtig? Auf dieser Frage habe ich ziemlich lang herumgekaut und bin sehr tief in mein ganz persönliches Wofür eingestiegen. Während einer Gassi-Runde mit meinem Hund Kurt kam mir die Antwort: Es ist meine Strategie, um die große Dynamik und Komplexität unserer Welt für mich zu managen. Es ist offensichtlich meine Strategie um mich im Chaos dieser Welt nicht zu verlieren. Dadurch, dass ich stetig lerne und mich stetig weiterentwickle, machen mir die permanenten Veränderungen im Außen keine Angst. Ich gehe einfach ganz geschmeidig mit, indem ich auch permanent in der Veränderung bleibe.

Lebenslanges Lernen

Natürlich kannte ich das Prinzip des lebenslanges Lernens und habe es auch schon immer für wichtig und hilfreich erachtet. Ich habe über die Jahre sogar feststellen dürfen, dass mir das Lernen mit zunehmenden Alter immer leichter fällt. Sicher hängt das damit zusammen, dass ich mich inzwischen ausschließlich mit Themen beschäftige, die mich interessieren. Im Gegensatz zu Schulzeiten darf ich mir nun aussuchen, was ich lernen möchte. Allerdings bin ich mir zusätzlich sicher, dass meine Leichtigkeit des Lernens auch daran liegt, dass ich inzwischen Lernstrategien entwickelt habe, die perfekt auf mich abgestimmt sind. Ich habe gelernt zu lernen. Das macht es mir wahrscheinlich noch leichter, mich von Weiterbildung zu Weiterbildung zu begeben, manchmal sogar durch mehrere Weiterbildung parallel zu laufen und trotzdem nicht müde zu werden.

Wenn ich heute kurz inne halte, stelle ich fest, dass mich all dieses Lernen, meine Fähigkeit zur inneren Dynamik, unglaublich ruhig und angstfrei gemacht hat. Die Welt ist so verrückt und unberechenbar wie gefühlt noch nie und nein, ich bin nicht sorglos, aber ich ruhe so tief in mir wie ich es zuvor nicht kannte. Dadurch, dass ich nicht stillstehe, scheint es der Dynamik der Welt einfach nicht möglich zu sein, mich zu überholen. So sitze ich tatsächlich im “Driverseat” meines Lebens. -Dank meiner Idee des lebenslangen Lernens.

Und nun…???

Die Frage, die mich an diesem Sonntag umtreibt, ist natürlich die, wie es weitergeht. Erstmal bewusst freuen über das, was ich erreicht habe. Aber meine ursprünglich Idee, nun mal ein Jahr Pause zu machen und meine Wochenende einfach zu genießen, habe ich inzwischen wieder verworfen. Die Welt dreht sich so schnell wie nie und ich möchte mich mitdrehen, weil es mir guttut, mir innere Ruhe und Gelassenheit verschafft.

Im März werde ich meine Kompetenzen im provokativen Coaching vertiefen. Dafür habe ich mir einen dreitägigen Workshop mit der Mutter des provokativen Coachings in Deutschland, Dr. Noni Höfner, herausgesucht. Und im Juni geht es für ein paar Tage nach Heidelberg ans Milton Erickson Institut, wo ich mich unter der Anleitung von Dr. Gunther Schmidt mit dem interaktionellen Kreislauf von Führung beschäftigen werde. Mal schauen, was mir ansonsten noch in den Schoß fällt.

Es war eine wilde Reise bis hierher und ich habe verstanden, dass ich nicht um des Lernen willen lerne. Es geht mir auch nicht mehr darum, dieses Gefühl nicht gut genug zu sein, loszuwerden. Heute weiß ich, dass ich gut bin, manchmal sogar sehr gut. Ich lerne aus Neugierde und Offenheit, aus dem Wunsch, fachlich die Beste Version meiner selbst zu sein. Vor allem aber lerne ich, weil ich weiß, dass ich so nicht verloren gehe, in dieser schnellen Welt im Wandel. Ich trage meinen Kompass in mir und bin deshalb weniger stark auf den Kompass im Außen angewiesen.

So wird es mir dann auch in Zukunft leicht fallen, alle vierzehn Tage Themen zu finden, die es aus meiner Sicht wert sind, in meinem Blog beschrieben zu werden. Ich möchte niemals an den Punkt kommen, an dem ich nichts mehr zu erzählen habe.

Habt einen schönen Sonntag und bis in zwei Wochen!

Eure Constance

PS: Vielleicht habt ihr ja auch nun Lust bekommen zu lernen. Oder vielleicht fragt ihr euch schon eine Weile, wie auch ihr Coach werden könnt. Oder ihr coached bereits erfolgreich und tragt den Wunsch in euch, euch noch weiter zu professionalisieren. Eigentlich mache ich in meinem Blog keine Werbung. Aber aus tiefster Überzeugung möchte ich euch die Ausbildung zum Systemischen Business Coach und Changemanager bei Dr. Jasmin Messerschmidt ans Herz legen. Die nächste Ausbildung geht im kommenden Frühjahr los und ich finde, sie ist perfekt sowohl für Neueinsteiger, als auch für alte Hasen, die den nächsten Schritt gehen wollen. Schaut mal rein. Hier ist der direkte Link! Denn nachdem am Freitag auch die Beisitzerin der IHK das hohe Niveau aller “Prüflinge” betonte, wurde mir auch von außen bestätigt, was mir im Innen bereits klar war: Diese Ausbildung war ein großartiges Investment in mich und meine Zukunft.

Eine Ausbildung, zwei Zertifikate

Man lernt eben nie aus…

Für Jarin: „… hab nen Luftballon gefunden. Denk an dich und lass ihn fliegen…“

Wenn es nur noch Verlierer gibt…

In den beiden Wochen seit meinem letzten Blog ist eine Menge passiert. Während ein weiterer furchtbarer Krieg ausgebrochen ist, habe ich gleich vier Workshops zum Thema Konfliktmanagement gegeben. Viermal habe ich davon erzählt, dass die neunte und letzte Stufe auf Glasls Skala zur Konflikteskalation “Gemeinsam in den Abgrund” heißt und gleich viermal habe ich erklärt, dass wir ab diesem Grad der Eskalation sogar eigene Verluste in Kauf nehmen, solange der andere noch etwas mehr verliert. Ab einem gewissen Punkt gibt es nur noch Verlierer.

Viermal habe ich erklärt, wie das große Harvard-Konzept zur Konfliktverhandlung in Nahost offensichtlich gescheitert ist. Und vielleicht ist es Israel in Anbetracht des Grauens auch nicht mehr zumutbar, die für eine Verhandlung notwendigen Kompromisse einzugehen. Wie auch, bei so vielen Toten, bei enthaupteten Kindern, entführten Babys…? Es steht mir nicht zu, an dieser Stelle zu bewerten oder zu urteilen wo dieser Konflikt seinen Ursprung nahm. Ich bin einfach nur traurig und frage mich, wohin diese Welt steuert. - Diese wunderschöne Welt, unser aller Zuhause.

Am Ende meiner Weiterbildung bei Richard Bandler vor zwei Wochen hat er davon erzählt, dass er, der auch die NASA berät, eines der ersten Fotos zuhause hat, das die ersten Menschen auf dem Mond gemacht haben. Es ist ein Bild unserer Erde. Die ersten Menschen auf dem Mond haben nicht den Mond fotografierte, sondern die Erde. Richard Bandler hatte die Möglichkeit, die Crew zu diesem Foto zu befragen und sie sagten, dass ihnen die absolute Schönheit der Erde in diesem Moment bewusstwurde und sie nicht anders konnten, als den schönen blauen Planeten im Bild festzuhalten. Und wir sitzen hier unten und machen alles kaputt…

Eine Reise in die Vergangenheit

Die Geschehnisse in Israel haben mich in den letzten Tagen immer wieder in meine eigene Vergangenheit katapultiert, 25 Jahre zurück in eine wilde Zeit geprägt von Neugier, Freiheit und Mut. Nachrichten scheinen manchmal (zum Glück) so weit weg zu sein. Der Konflikt in Israel ist mir jedoch seit 25 Jahren recht nah. Ich war 19 und auf meiner großen Rucksackreise. Irgendwo im Nirgendwo stand er da: Jarin! Ich war fünf Tage lang schockverliebt. Er auch. Er war Mitte zwanzig, Israeli und ziellos. Ich erinnere mich, wie wir Nächte lang geredet haben, geredet, geträumt, gelacht und geweint. Jarins Großeltern väterlicherseits waren deutsche Holocaustüberlebende. Er sprach fließend Deutsch. Seine Mama war israelische Christin. Er verlor seine Großeltern, seine Eltern und sein große Schwester in einem Attentat der Hamas, in einem Krieg, den er nicht als seinen sah. Auf dem Papier war er zwar Israeli, aber Christ, einen deutschen Pass hatte er zudem. Wo er hingehörte wusste er nicht mehr.

Seit dem Tag, an dem er seine Familie verloren hatte, war er ziel- und heimatlos unterwegs. Zurück nach Israel wollte und konnte er nicht. Er galt als fahnenflüchtig. Wohin er wollte wusste er auch nicht. Er sprach von Hamburg, weil er das Meer liebte und seine Großeltern trotz ihrer schrecklichen Vergangenheit immer wieder positiv von Deutschland gesprochen haben.

So reisten wir ein kleines Stück gemeinsam. Ich genoss die Zeit mit ihm so sehr, wissend, dass sie begrenzt sein würde. Ich erinnere mich noch gut an seine warmen braunen Augen, in denen selbst in den fröhlichsten und unbeschwertesten Momenten immer auch Traurigkeit und Leere zu sehen war. Er war nicht wütend, nicht auf die Hamas, nicht auf Israel. Er war leer. Er sagte immer, es sei nicht sein Krieg, er wollte einfach nur in Frieden leben, so wie seine Familie, seine Eltern und Großeltern es wollten. Er hasse nicht, er könne nicht hassen. Nur lieben könne er auch nicht mehr.

Wir verabschiedeten uns Mitten in Irland, in Kilkenny. Am letzten Abend tranken wir noch ein gemeinsames Guinness und er ließ mir einen Spruch in meinem Reisetagebuch da: “Ich wandle einsam, mein Weg ist noch lang. Hinauf zum Himmel schau’ ich so bang. Kein Stern von oben blickt niederwärts, einsam der Himmel und traurig mein Herz. Mein Herz und der Himmel - sie plagt gleiche Not: Sein Glanz ist erloschen, meine Liebe ist tot.” Keine Ahnung, wen er da zitierte. Ich zitiere seitdem ihn.

Krieg und Frieden

Es war eine intensive Zeit, damals mit 19. Zum ersten Mal habe ich eine wirkliche Idee von Krieg bekommen. Zum ersten Mal konnte ich unmittelbar spüren, was Krieg tut. Er zerstört und zerreißt. -Nicht nur die aktiven Akteure, sondern alle, die nicht weit genug weg sein können. Wie viel Schmerz kann ein Mensch ertragen? Mit diesem Gedanken bin ich weitergereist. Der Zufall wollte es, dass ich nur wenige Wochen später an der irischen Westküste einen waschechten und zwischenzeitlich begnadigten Terroristen kennengelernt habe. Ein alter, gebrochener Mann, der sein Leben in Guinness und Whisky ertränkte und mir erklärte, dass er damals gemeinsam mit seinen Brüdern bei der IRA so sehr damit beschäftig war, für eine bessere Welt und ein besseres Leben für seine Familie, Frau und Kinder, zu kämpfen, dass er vergessen habe, eine Familie zu gründen. Nun sei er alt, einsam und habe seine besten Jahre an den Kampf verschenkt. Ich fragte mich wie viele Jarins er wohl zurückgelassen hatte und trotzdem tat er mir leid. Er hat von einer besseren und aus seiner Sicht gerechteren Welt geträumt und sich dabei verzockt. Er war blind vor Hass.

Gut und Böse, Richtig und Falsch

Damals habe ich beide Seiten erlebt und habe für mich begriffen, dass richtig und falsch, Gut und Böse häufig eine Frage der Perspektive ist. Die einzig absolute Macht ist für mich die Liebe, Liebe und Empathie. Betrachte ich mir typische Konfliktspiralen spielt der Verlust der Empathie im Rahmen der Eskalation eine große Rolle und es macht mir Angst zu sehen, mit wie wenig Empathie die Terroristen der Hamas Menschen auf schrecklichste Arten getötet haben. Ebenso macht es mit Angst, dass Israel sich offensichtlich gefühlt immer weniger Empathie mit all den unschuldigen Menschen in Gaza leisten kann. Natürlich frage ich mich, wo das alles hinführen soll, auch geopolitisch betrachtet…

Vielleicht sollten wir alle gemeinsam auf den Mond fliegen, um zu sehen wie wunderschön und beschützenswert unsere Erde und unser Leben auf unserer Erde ist. Probleme werden kleiner je weiter man weg ist…

Im Radio läuft gerade Grönemeyer “Kinder an die Macht”: Die Armeen sind aus Gummibärchen, die Panzer aus Marzipan. Kriege werden aufgegessen, einfacher Plan, kindlich genial…

Ich denke an Jarin. Jarin bedeutet “er wird froh sein”. Ich hoffe er hat einen Ort gefunden um zur Ruhe zu kommen, froh zu sein, vielleicht ja sogar in Hamburg. Er liebte Nenas 99 Luftballons und beharrte darauf, dass Kriege keinen Platz für Sieger ließen. Heute Abend werde ich wieder einmal die Nachrichten schauen und wissen, dass er recht hatte. Und gleichzeitig wird mein Herz auch all jene verstehen, die aus Trauer um ihre Liebsten erfüllt von Rachegefühlen auf der Eskalationsskala von Glasl weiter gemeinsam in den Abgrund steuern. Es ist eben nicht schwarz-weiß.

Habt einen friedlichen Sonntag voller Liebe.

Euere Constance

Gebt den Kindern das Kommando. Sie berechnen nicht was sie tun.

Es gibt kein Schwarz, es gibt kein Weiß…

Malik und seine Angst vor Kokospalmen - Über die Kompetenzen und Widersprüche von Ängsten

Zurück aus dem Urlaub

Zurück von der sonnigen Gewürzinsel Sansibar hab ich den Kopf voller Eindrücke und Ideen und freue mich auf ein furioses viertes Quartal 2023! Meinen Start in dieses Quartal möchte ich mit einer kleinen Urlaubsgeschichte begehen, weil sie mich auf sehr realitätsnahe Art an ein Thema erinnert hat, das mich schon lange umtreibt.

Während unseres Urlaubs haben wir unter anderem eine Gewürzfarm besucht. Ein Muss, wenn man genau da ist, wo der Pfeffer wächst! Auf der Farm wurden wir von Malik begrüßt. Vielleicht 18 Jahre alt erklärte er uns er sei unser Guide und würde uns ein bisschen was über die Farm und die Gewürze erzählen. So zogen wir durch die Felder und Malik erklärte unter anderem schelmisch grinsend, dass Muskat besonders bei Frauen beliebt sei, weil sie dann beim Tanzen weniger schüchtern seien. Vor großen Festen würden Frauen und Mädchen stets eine Extraportion Muskat zu sich nehmen. Männer hingegen würde eher Ingwer konsumieren. Mein Mann war kurz verwirrt. Von der enthemmenden Wirkung von Ingwer habe er noch nichts gehört. Maliks schelmisches Grinsen wurde immer breiter und als ich mutmaßte, dass es nicht um Enthemmung, sondern um Potenzsteigerung ginge, lachte Malik meinen Mann übers ganze Gesicht an. Er erklärte, dass wenn wir auf Sansibar Männer sehen, die im Teehaus darüber diskutieren, sich eine weitere Frau zuzulegen, hätten sie diesen Mut sicher dem Ingwertee zu verdanken. Wir lernten, dass Dank des osmanischen Erbes in Sansibar bis zu vier Frauen legal sind. So zogen wir durch die Felder von Nelken, Zitronengras, Sternanis, Kurkuma, Ingwer, Pfeffer, Zimt, Vanille, Curryblätter. Wir bewunderten riesige Jack-Fruit-Bäume und naschten Sternfrucht direkt vom Baum. Irgendwann standen wir am Rand eines tiefen Tals. “I call it the Thailand view,” erklärte Malik. “Because of all of these big coconut palmtrees!” Und ja, das Tal war über und über bewachsen mit riesigen Kokospalmen! Ganz plötzlich wurde der fröhliche Malik sehr ernst. Er erklärte, dass das alles aus der Ferne zwar sehr schön aussehe, allerdings sehr gefährlich sei. Er würde dort nicht hingehen. Kokospalmen seien sehr gefährlich. Viele Menschen würde von herabfallenden Kokosnüssen getötet, auch in Sansibar! -Und ich lustiger Touri lag am Tag davor fröhlich unter einer Palme und habe die Kokosnüsse über mir bewundert! Malik würde mich für lebensmüde erklären! Der fröhlich junge Mann hatte tatsächlich spürbar Angst davor von einer Kokosnuss erschlagen zu werden. - Eine Form des Ablebens mit der ich mich noch nie auseinandergesetzt habe, die Malik aber real ängstigte!

Ängste - Kompetenzen und Widerspruch

Maliks spürbare Angst vor Kokospalmen (und meine diesbezügliche Indifferenz) machte mich neugierig. Ich musste an Gunther Schmidts Vortrag zum Thema Ängste im März in Kassel denken und daran, dass die Entwicklung von Ängsten eine wichtig Kompetenz unseres Organismus ist. So sind diese kompetenten Ängste immer auch kontextspezifisch. Klar sind Todesfälle durch herabfallende Kokosnüsse nicht Teil meines Erfahrungsschatzes und haben mich am Strand gerade zu naiv und nachlässig gemacht. Nicht meine Welt! Maliks schon. Und so hatte Malik wiederum keine Angst vor Weißen Haien obwohl er am Meer wohnt. Nicht seine Welt. In Sansibar gibt es sie nicht. Warum sollte er sich davor fürchten? Interessanterweise musste ich in diesem Moment an einen Bär von Mann denken, den ich für ausgesprochen mutig halte. Er wohnt an der Ostsee und fürchtet sich heftig vor Weißen Haien. Ihn gruselt es bereits, wenn er nur entsprechende Bilder sieht. Verrückt! Gibt es doch auch in der Ostsee keine großen Weißen!

Überhaupt gibt es unglaublich viele Manschen, die sich vor Weißen Haien fürchten, obwohl diese unglaublich weit entfernt von ihrer Realitäten sind. Schon verrückt, was eine Filmreihe aus Hollywood anrichten kann. Gleichzeitig ist das jedoch eine spannende Bestätigung dafür, dass unsere Ängste eng mit unserer inneren Bilderwelt verknüpft sind. Hierbei ist es unserer Gefühlswelt ein Stück weit egal, ob diese Bilder reale Erfahrung abbilden oder auf andere Weise erzeugt wurden. Als Kind hatte ich Angst vor Wölfen, obwohl es damals keinen einzigen Wolf in Deutschland gab. Die Erzählungen meiner Oma von Rotkäppchen haben gesessen. Mein kindliches Gehirn hielt die erzeugten Bilder für real.

Manchmal verknüpft unser Gehirn sogar Bilder mit traumatischen Angsterfahrungen, die damit gar nicht zusammenpassen und lassen geradezu aberwitzige sogenannte Angststörungen oder Phobien entstehen. So kenne ich zum Beispiel einen jungen Mann, Mitte zwanzig und fast zwei Meter groß, der panische Angst vor Schnecken hat. Aber nur vor denen mit Häuschen. Nacktschnecken sind für ihn kein Thema. In diesem Fall ist nicht davon auszugehen, dass ein Hollywoodfilm diese Angst hervorgerufen hat. Jedenfalls kenne ich “Die Rückkehr der Killerschnecken” nicht. Auch kenne ich keine Märchen von fiesen Schnecken, die Großmütter fressen und ich bin mir sicher, dass der junge Mann niemals von einer Weinbergschnecke mit dem Leben bedroht wurde… Auch ist ihm diese Angst nicht angeboren. Als Kind hat er gemeinsam mit seiner Schwester Schnecken gesammelt. Jedoch ist zwischen diesem verregneten Sommertag, an dem er fröhlich Schnecken gesammelt hat und der ersten Situation, in der er diese große Angst zum ersten Mal gespürt hat, etwas für ihn Schlimmes oder Traumatisierendes passiert, das sein Gehirn mit dem Bild der Schnecke verknüpft hat. Seitdem ruft der Anblick von Schnecken mit Häuschen bei ihm eben die Gefühle hervor, die diese ihm bisher unbekannte Situation hervorgerufen hat.

Arbeit mit Ängsten

Als Coach finde ich es sehr spannend, mit Ängsten zu arbeiten, weil sie so vielfältig, so wichtig und gleichzeitig auch so widersprüchlich sind. Egal woher die Ängste rühren nutze ich in der Arbeit mit Ängsten die inneren Bilder, die sie erzeugen. Hierbei ist es oft schon entlastend, diese inneren Bilder zu verändern, oder sie neu im inneren Raum der Gefühle anzuordnen. Manchmal ist es hilfreich dem einen inneren Bild ein neues entgegenzusetzen. Wie gesagt, unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen Bilder, die durch eine real erlebte Situation entstanden sind und solchen, die wir zum Beispiel in einer hypnosystemischen Coaching-Sitzung oder mittels NLP entwickeln oder erzeugen. Von dieser großen Macht der inneren Bilder bin ich noch immer jedes Mal aufs Neue verzaubert. -Aber auch davon, erfahren zu dürfen was hintern den Ängsten meiner Klienten steckt. Die menschliche Persönlichkeit ist so komplex, vielfältig und bunt und es ist vielleicht das größte Privileg meines Berufs, nicht nur meine eigene innere Kunstaustellung besuchen zu dürfen, sondern auch einen geführten Einblick in die innere Bilderwelt anderer Manschen zu erlangen. Ängste sind hierbei ganz wunderbare Türöffner, weil sie unserer Persönlichkeit Tiefe verleihen.

Ängste und Business Coaching

Unter uns Coaches kommt regelmäßig die Frage auf wie weit wir uns in die Tiefen unserer Klienten wagen dürfen. Was ist noch Coaching und was ist schon Therapie? Hier hat jeder Coach seine eigenen Grenzen, die seinem Wohlfühlkorridor, aber auch seiner Ausbildung entsprechen. Durch meine recht ausführlichen Ausbildungen in NLP und der hypnosystemischen Arbeit fasse ich diese Grenze wahrscheinlich recht weit. Zu Anfang meiner Arbeit als Coach konnte ich mir nicht vorstellen, wie regelmäßig ich auch im Business-Kontext mit Angsthematiken konfrontiert werde. Es beginnt mit Versagensängsten die manchmal bis hin zum Existenzängsten gehen, es geht weiter mit Bühnenangst, der Angst vor Veränderungen, Flugangst, die für jemanden, der beruflich viel reisen muss ein echtes Thema ist und kann bis hin zu plötzlich auftretenden Angstattacken eines Berufspendlers beim Autofahren führen. Die Palette ist breit gefächert und natürlich könnte ich auch bei all diesen Ängsten zunächst mit klassischen Stressmanagement oder einer neuen Einordnung der Ängste mittels systemischer Fragen beginnen. Allerdings habe ich festgestellt, dass das eher eine Arbeit am Symptom ist. Die Arbeit mit inneren Bilderwelten, mal in einer leichten Trance, mal “bei vollem Bewusstsein” ist die Arbeit an der Ursache und ist somit meistens nachhaltiger und führt aus meiner Erfahrung häufig auch schneller zum Erfolg.

Lewis Carrolls “Alice im Wunderland” ist bis heute eines meiner liebsten Bücher. Hier sagt der König irgendwann zu seiner Königin: “Den Schreck dieses Augenblick werde ich nie vergessen.” Darauf erwidert die Königin: “Du wirst ihn vergessen. Es sei denn du baust ihm ein Denkmal.” Viele unserer Ängste sind für mich Denkmäler die unser Unterbewusstes aus Erfahrungen heraus errichtet hat, zum Schutz und zur Warnung. Allerdings gilt es an der ein oder anderen Stelle diese Denkmäler neu einzuordnen, oder ein wenig umzubauen. Maliks Angst vor Kokospalmen ist absolut sinnvoll. Auch eine gewisse Vorsicht beim Autofahren oder ein gewisser Respekt im Flugzeug machen Sinn. Das bedeutet jedoch nicht, dass Panikattacken sinnvoll sind und es sollte auch niemand, der aus seiner Position heraus regelmäßig auf die Bühne muss, so sehr darunter leiden, dass sich körperliche Symptome einstellen. Auch Ängste oder sogenannte Phobien vor Schnecken, Clowns, Löchern, vor dem Erbrechen und vor allem, was man sich nur vorstellen kann, haben Ursachen und inneren Denkmäler an denen wir mittels realer und auch konstruierter Bilder und Sinneseindrücke arbeiten können. Denn was selbst den sonderbarsten Ängsten gemein ist, ist dass sie für die Menschen, die sie empfinden absolut real und mit einem Leidensdruck verbunden sind.

Ich habe übrigens sehr große Angst vor Schlangen, sehr große und irrationale Angst vor Schlangen! Für mich ist diese Angst jedoch absolut rational und begründet, auch wenn es hier keine wirklich gefährlichen Schlangen gibt. Allerdings schränkt mich diese Angst im Alltag nicht wirklich ein, weshalb ich mir dieses innere Angstdenkmal weiterhin als Teil meiner inneren Kunstaustellung gönnen. Sollte ich mich entscheiden nach Texas, Afrika oder Australien auszuwandern, sollte ich wahrscheinlich nochmal darüber nachdenken, diese Angst neu einzuordnen und mein inneres Denkmal ein wenig umzubauen. Dafür würde ich mir ganz sicher Unterstützung bei einem NLP-Coach suchen!

Habt einen wunderschönen Sonntag. Ich bin heute in Mainz, wo ich eine dreitägige Weiterbildung beim großen Richard Bandler genießen darf. -Einem der Erfinder des NLP! Ich lerne also direkt von großen Meister. Gestern war war auch an dieser Stelle das Thema Ängste oder Phobien Teil der Agenda. Richard erzählte, dass er in seinen Grundkurse stets am Anfang erzähle, dass sie ganz am Ende mit Phobien arbeiten würden und er dafür Spinnen, Schlangen, Clowns, Kakerlaken und alles wovor sich Menschen sonst noch so fürchteten, mitbringen würde. In diesem Moment würde stets ein Gruppe Menschen panisch den Raum verlassen, obwohl es noch einiges an Zeit dauern würde, bis die Ausbildung zu Ende sei. Das zeige ihm, dass nicht die Spinne selbst das Problem sei, sondern das Image, das innere Bild, dass diese Menschen von Spinnen haben, Deshalb gehe es nicht darum, Menschen Spinnen näher zu bringen, sondern an deren inneren Bild der Spinne zu arbeiten.

Eure Constance

Sicher unterm jackfriut-Baum

Über die Kompetenzen und Widersprüche unserer Ängste