Wer ein Gehirn hat, hat Vorurteile! -Punkt!

Klischees über Klischees

Frauen können nicht einparken, Männern geht es immer nur um Sex, Benz-Fahrer haben die eingebaute Vorfahrt, Naturwissenschaftler sind auf der zwischenmenschlichen Ebene unbeholfen, Mädchen sind nicht gut in Physik und Jungs sind nicht gut in Sprachen, schlanke Frauen sind zickig und dicke lustig… Ich könnte sie beliebig fortsetzen, diese Liste von Vorurteilen. Ich bin übrigens Stewardess, oder wenigstens war ich das über einen ziemlich langen Zeitraum meines Lebens. Was sagt das über mich aus? Wahrscheinlich nichts, außer, dass ich offensichtlich gerne reise und mich unter Menschen wohl fühle. Dennoch spielt Schubladendenken eine große Rolle in unserem Leben. In der Business-Welt nennt man diese Schubladen inzwischen Unconscious Bias, die unbewusste Voreingenommenheit, die maßgeblich darüber entscheidet, wie wir unser berufliches Umfeld wahrnehmen, wen wir sympathisch finden und unterstützen und wem wir misstrauen. Basierend auf unserer unbewussten Voreingenommenheit treffen wir Entscheidungen, manchmal sogar richtungsweisende Entscheidungen. In Bewerbungsgesprächen beeinflussen sie uns ebenso wie in Meetings oder Beurteilungssituationen. Ist das Fair? Nein! Kann das für eine Unternehmen in der Gesamtbetrachtung von Nachteil sein? Ja! Sollten Organisationen sich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen? Auf jeden Fall! - Aber wie? Vielleicht, indem sie die Existenz dieser Voreingenommenheit zunächst einmal uneingeschränkt akzeptieren und auch verstehen, dass diese Form der Voreingenommenheit keineswegs unprofessionell ist und auch nicht weggezaubert werden kann. Hierfür ist es sicher hilfreich zu verstehen, woher dieses Schubladendenken kommt.

Vorurteile als Überlebensstrategie

Um zu verstehen, warum Menschen gerne und vor allem auch unbewusst in Schubladen denken, ist es hilfreich ein paar Jahre zurück in die Steinzeit zu reisen. Hier waren diese Vorurteile eine wichtige Überlebensstrategie. Denn wenn der Steinzeitmensch einem Säbelzahntiger begegnete, überprüfte er für gewöhnlich nicht, ob es sich bei diesen speziellen Säbelzahntiger vielleicht um ein ausgesprochen freundliches Exemplar seiner Gattung handelte. Beim Anblick der Rund 20 Zentimeter langen Säbelzähne war unser Steinzeitmensch gut beraten nicht lange nachzudenken und die Flucht zu ergreifen.

Ich gehe davon aus, dass die Steinzeitmenschen, die vorher noch überprüfen wollten, oder dieser Säbelzahntiger nicht doch vielleicht nett ist, weil sie es unfair fanden, alle Säbelzahntiger in eine Schublade zu stecken, gefressen wurden und so ihre von differenzierter Betrachtung geprägte Gene nicht weitergeben konnten.

Im Umgang mit Angehörigen fremder oder feindlicher Stämme griff dieser Mechanismus übrigens auch.

Das heißt also ursprünglich waren Vorurteile überlebenswichtig. Klar hängt unser Überleben heute nicht mehr von der Flucht vor Raubkatzen ab (also zumindest im Regelfall). Nichtsdestotrotz hat unser Gehirn sich über Jahrmillionen das Schubladendenken als Erfolgsstrategie abgespeichert und auch der beste Business Trainer wird das unseren Gehirnen nicht abtrainieren.

Guter Rat ist teuer! -Selbstreflexion ist jedoch kostenlos

Warum und wo überall in unserem Leben Vorurteile glasklare Nachteile mit sich bringen, weil sie unseren Horizont und unser Denken einschränken, muss ich sicher nicht noch einmal wiederholen. Vielmehr sollte uns die Frage umtreiben, wie wir damit umgehen sollen, dass wir ein Stück weit von Vorurteilen gesteuert werden. Der erste wichtige Schritt ist wie gesagt, sich selbst einzugestehen, dass auch wir nicht frei von Vorurteilen sind. Punkt! Wer ein normal funktionierendes Gehirn hat, hat Vorurteile! Habe ich das für mich verinnerlicht, kann ich mich im nächsten Schritt auf die Suche nach meinen eigenen Vorurteilen machen. Selbstreflexion braucht keinen Trainer und kostet kein Geld. Alles was wir dafür brauchen, ist die Einsicht, nicht alles was wir den lieben langen Tag so denken, auch uneingeschränkt zu glauben. Wer sich selbst mutig hinterfragt wird dabei ganz sicher auch Muster erkennen. Ich zum Beispiel habe ein Thema mit kleinen, zierlichen, mädchenhaften Frauen. Sie hatten bei mir sehr lange einen wirklich schweren Stand. Dieses Schubladenmuster habe ich dem Umstand zu verdanken, dass ich bereits mit drei Jahren einen Kopf größer war als alle anderen dreijährigen Mädchen im Kindergarten. Gab es Streit um ein Spielzeug musste ich mir immer anhören, dass ich doch vernünftig und nachgiebig sein solle, immerhin sei ich doch die Große! - Fuck! Ich war drei! Aber auf diese Weise hat mein kluges Gehirn gelernt, das kleine Mädchen immer das bekommen, was sie wollen und deshalb weniger durchsetzungsfähig und leistungsstrak sind wie große Frauen! Verrückt ist, dass die durchsetzungsfähigste, leistungsstärkste junge weibliche Führungskraft, die ich momentan begleiten darf, eine zauberhafte, mädchenhafte, kleine Frau ist! -Eine verflixte Urgewalt, die so viele in den Schatten stellt und so ausdauernd kämpfen kann.

Es hilft also, bewusst Gegenbeispiele für Vorurteile zu suchen. Dabei darf ich mir auch helfen lassen. Das ist noch einfacher als Selbstreflexion, wenn ich nur offen dafür bin. An dieser Stelle kommen kognitiv diverse Teams ins Spiel. Wie großartig, wenn ich Menschen um mich herum habe, die andere Denkmuster haben und mir vielfältige Angebote unterschiedlicher Perspektiven machen. Wie gesagt, ich muss einfach nur offen dafür sein. Denn Diversity ist so viel mehr als Menschen unterschiedlicher Herkunft willkommen zu heißen oder Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität zu respektieren.

Und jetzt gehts in die Sommerpause!

Mit diesem wunderschönen Gedanken geht es für mich in eine kurze und späte Sommerpause. Die Ex-Stewardess fliegt natürlich weit, weit weg! Neue Kulturen kennenlernen, neue Welten entdecken und den eigenen Horizont erweitern. Ich freue mich auf eine Auszeit im wunderschönen Sansibar. Die kreative Pause wird mir gut tun, um mit neuen Ideen und vollen Akkus zurück zu kommen.

Den nächsten Blog gibt es am 08. Oktober. Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit.

Eure Constance

Alle geleich und alle gut?

Mit Nichten! Wer ein Gehirn hat hat Vorurteile. -Oder warum sind Kicker-Figuren alle männlich?

Fail fast, fail forward? - Vorsicht vor der (positiven) Pauschalisierung von Fehlern!

Der Fehler zum Glück

“Fail fast, fail forward!” - Mit diesem Mantra bewegt sich die New Work-Bewegung nun schon seit Jahren durch die Business-Welt. Inzwischen scheint es weitverbreiteter Konsens, dass Fehler nicht nur OK sind, sondern den ultimativen Weg zum Erfolg unweigerlich flankieren. Hört man den guten alten Thomas Alva Edinson sagen “Ich bin nicht gescheitert. Ich habe 10.000 Wege gefunden, die nicht zum Ziel geführt haben.”, dann möchte man dem uneingeschränkt zustimmen, haben seine sogenannten Fehler und sein sogenanntes Scheitern doch zu legendärer Innovationskraft geführt. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht und dieses zauberhafte Fehler-Mantra ist aus diesem Grund auch nur eine Seite der Wahrheit. Und die andere Seite der Wahrheit kann wie so häufig ganz schön gefährlich oder kontraproduktiv sein!

Denn Fehler ist nicht gleich Fehler

Nicht alle Fehler sind gleich. Und nicht alle Fehler führen uns wie Edison mehr oder weniger direkt hin zur nächsten Innovation. Aus diesem Grund sind auch Unternehmen sehr gut beraten ihre Fehler möglichst genau zu analysieren, denn selbstverständlich waren es nicht die Wege, die nicht ans Ziel geführt haben, die Edisons Erfolg flankierten, sondern das, was Edison daraus gelernt hat. Fehler sind OK, aber feiern sollten wir die daraus resultierende Lernkurve, so es sie gibt!

Bei der Analyse von Fehlern unterscheide ich gerne in vier Kategorien:

Meine erste Kategorie ist der Flüchtigkeitsfehler, der häufig aus fehlender Fokussierung resultiert. Und nein, Flüchtigkeitsfehler sollte man nicht unbedingt feiern. Lernen kann man trotzdem aus ihnen. Denn kommt es in Teams, Organisationseinheiten, oder gar ganzen Organisationen zu einer Häufung von Flüchtigkeitsfehlern, ist es ratsam die Gesamtbelastung zu betrachten und zu schauen, auf welche Aufgaben man seinen Fokus legen möchte und welche Rahmenbedingungen es dafür zu schaffen gilt. Hierbei sollte klar priorisiert werden und natürlich muss eine rote Linie gezogen werden, die der realistisch möglichen Leistung entspricht. Kanban macht das ganz wunderbar mit den WIP-Limits, den Work-in-Progress-Limits, vor.

Meine zweite Kategorie sind die “Vogel-Strauß-Fehler”. Diese passieren häufig und sind so unglaublich menschlich. Wir legen alle Energie in eine Aufgabe oder in Projekte, die wir in absoluter Perfektion erledigen möchten, weil es uns ach so wichtig ist… Und dann geht es schief! Verdammt! Und jetzt? - Aufstehen, Krönchen richten und weiter im Text? Oder alternativ Kopf in den Sand wie dieser afrikanische Laufvogel. Auf jeden Fall nicht mehr drüber sprechen, war das Scheitern doch zu schmerzhaft. So schmerzhaft, dass man am liebsten nicht mehr darüber sprechen möchte, geschweige denn das Scheitern analysieren und daraus lernen. Menschlich absolut nachvollziehbar. Wäre das Edisons Ansatz gewesen, würde heute sicher niemand mehr seinen Namen nennen.

In einer Welt, in der wir den Fehler einfach nur feiern, kann aus “Fail fast, fail forward.” auch ganz schnell ein “Fail fast, move forward.” werden. Was fehlt ist die Lernkurve!

Die dritte Fehlergruppe ist die der Abwürgefehler (Stalling Mistakes in Englisch). Was bedeutets das? Es gibt Situationen, in denen Menschen sich so sehr auf den perfekten Prozess fokussieren, dass sie sich selbst abwürgen. Das heißt, sie erreichen nicht das erwünschte Ziel oder den gewünschten Outcome, sondern scheitern unterwegs. Man könnte auch sagen, sie bleiben liegen. Dieses Phänomen tritt häufig auf, wenn es Menschen entweder an Sicherheit, echtem Empowerment, oder Selbstbewusstsein mangelt, oder sie sehr perfektionistisch veranlagt sind. An dieser Stelle gilt es eine Kultur der Sicherheit zu schaffen, ggf. in Kombination mit kognitiv diversen Teams. Abgesehen davon ist die Lernkurve begrenzt, da man ja nicht abschließend sagen kann, ob der Weg der richtig war, oder wenn nicht, was man daraus für den nächsten Versuch lernen kann.

Kommen wir zur vierten Kategorie, der Königsdisziplin unter den Fehlern: Die sogenannten Entwicklungsfehler (oder Stretched Mistakes in Englisch). Diese vierte Gruppe sind die einzigen Fehler, die sich nicht vermeiden lassen und die auch nicht vermieden werden sollten. Entwicklungsfehler entstehen, wenn wir etwas Neues, Unbekanntes ausprobieren und ähnlich wie Edison nicht direkt den richtigen Lösungsweg einschlagen. In einer dynamischen, komplexen und mehrdeutigen Welt sind diese Fehler unvermeidbar, wenn wir versuchen uns weiterzuentwickeln. Naturwissenschaftliche Forschung basiert von Beginn an auf diesem “Trail and Error” -Prinzip. Und ja, hier wird sich auch über jede Möglichkeit, die man fortan ausschließen kann gefreut. Hierbei ist es wichtig zum einen zu analysieren an welcher Stelle genau man die falsche Abzweigung gewählt hat und was genau man daraus für den nächsten Versuch lernt und deshalb anders macht. Natürlich ist es in einer Organisation oder einem Team auch wichtig, diese Erkenntnisse zu teilen, damit nicht jeder einzelne diesen Fehler erst selbst machen muss, sondern sich direkt auf die nächste Möglichkeit fokussieren kann. So nähert man sich über das Ausschlussprinzip mit jedem Scheitern dem tatsächlichen Lösungsweg. Aus diesem Grund ist jeder dieser Fehler eine Party wert! Außerdem erfordern diese Fehler eine Menge Mut. Schritte ins Unbekannte zu wagen ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, die in einer Kultur der psychologischen Sicherheit leichter fallen als in einem Umfeld aus Druck und Angst. Nur wenn ich das Gefühl habe, dass es sicher ist, diese Fehler zu machen, werden ich den Schritt in die neue Richtung auch tatsächlich gehen. Und nur wenn ich spüre, dass mein Scheitern tatsächlich als Chance für den nächsten Schritt bewertet wird, werde ich mein Scheitern auch teilen und gebe so einem Team oder einer gesamten Organisation die Chance mit mir gemeinsam zu lernen. So entstehen im Idealfall ganze lernende Organisationen, die mit Sicherheit die einzig wirklich langfristig erfolgreiche Organisationsform in einer Zeit sein werden, die vor allem durch Dynamik, Komplexität und fehlender Eindeutigkeit geprägt ist.

Fehlerkultur beginnt bei mir

Natürlich taucht immer wieder die Frage auf, wie denn eine solche Kultur entsteht. An dieser Stelle sei mir der Verweis auf meinen letzten Artikel erlaubt. Denn Kultur ist nur in einem sehr geringen Anteil der Rahmen, den mir eine Organisation vorgibt. Kultur ist das, was Individuen (er-)leben. In meiner beruflichen Praxis sind mir schon mehr als einmal Organisationen oder Organisationseinheiten begegnet, die perfekte Rahmenbedingungen vorweisen konnte. Alles war da, um Themen offen anzusprechen, Fehler zu teilen, Feedback zu geben. Es ist aber einfach nicht passiert. Denn natürlich muss ich Menschen dabei unterstützen, sich diesen neuen Rahmen der New Work Strukturen auch zu erschließen. Tatsächliches Empowerment entsteht nicht, indem ich Menschen sagen, dass sie nun empowered sind. New Work needs Inner Work! Und der Prozess dieser inneren Arbeit dauert mindestens mehrere Monate, wenn nicht sogar mehrere Jahre. Aus diesem Grund sollten wir Transformationen nicht vorschnell als gescheitert erklären, sondern deren Menschen bewusst unterstützen. Denn auch eine offene Feedback- oder Fehlerkultur will gelernt und in Ruhe erprobt werden.

Zum Schluss noch ein Buchtipp

Ich kann natürlich noch nicht sagen was genau die von mir so verehrte Harvard-Professorin Amy C. Edmondson in ihrem neusten Buch “Right Kind of Wrong: The Science of Failing Well” beschreibt, da es erst am 5. September erscheinen wird. Aber wie auch schon mit der “Angstfreien Organisation” legt die Autorin den Finger an den Puls der Zeit. Fehlerkultur und in diesem Zusammenhang vor allem die daraus resultierende Lernkultur wird sicher eines der Topthemen der sehr nahen Zukunft sein.

Meine Ausgabe von Amys Buch ist bereits vorbestellt. Heute muss noch einmal eine andere Lektüre zum Kaffee am Sonntag herhalten. Letzte Woche bin ich in diesem Zusammenhang übrigens fatal an unserer Kaffeemaschine gescheitert. -Tasse unter den falschen Auslasser gestellt! Diagnose “Flüchtigkeitsfehler aus Übermüdung”! Wird mir diese Woche nicht nochmal passieren.

Eure Constance

Elektrisches licht sei auch nicht durch die stetige Verbesserung der Kerze entdeckt worden, sagte Oren Hariri.

Innovation braucht den Mut etwas substantiell Neues und Unbekanntes auszuprobieren. Dabei sind Fehler unvermeidbar und zeigen uns den richtigen Weg.

Gut geplant ist nicht auch immer gut gemacht - Wenn Change einfach nicht funktionieren will

Denn ein Autofahrer ist ja auch kein Formel 1 Fahrer

Ich gehe davon aus, die meisten meiner Leserinnen und Leser haben einen Führerschein und fahren regelmäßig Auto. Alles kein Problem. Wahrscheinlich fahrt ihr auch mal mit fremden Autos. Selbst der Wechsel von Schaltgetriebe auf Automatik oder umgekehrt läuft halbwegs geschmeidig.

Nun stellt euch vor, morgen gibt es ein riesiges Upgrade für euch! Anstatt eines normalen Autos steht ein Formel 1 Rennwagen vor der Tür und ihr sollt damit zur Arbeit fahren! Läuft bei euch? Bei mir auf keinen Fall. Klar, er hat vier Reifen, ein Lenkrad und einen Motor und ich habe einen Führerschein. Zur Arbeit werde ich es mit diesem Gefährt jedoch sicher trotzdem nicht schaffen. -Auch wenn ich es noch so gerne wollte.

So wie mir mit dem Rennauto geht es vielen Menschen während oder nach sogenannten Transformationsprozessen der Organisationen für die sie arbeiten. Im Hintergrund wird geplant, analysiert, optimiert und irgendwann stellt die Organisation den Mitarbeitenden das Formal 1 Auto untern den Arbeitsmodellen vor die Tür (nennt es New Work, Agilität oder wie auch immer) und keiner ist da, der es fahren kann. Blöd irgendwie.

Die vier Seiten ganzheitlicher Transformation

Was gilt es also zu beachten, damit eine Transformation oder ein Change erfolgreich ist? Die Herren Wilber und Ackerman haben hierfür ihr “Vier-Quadranten-Modell” erstellt, das die vier Felder auf welchen “transformiert” werden muss um nachhaltigen Erfolg zu erzielen, beleuchtet. Hierbei gibt es eine Achse aus Kollektiv und Individuum und einer Achse aus Innen und Außen.

Auf der Seite des Kollektivs im Außen entsteht das Rennauto. Hierbei wird intensiv an Strukturen und Prozessen gearbeitet. Im Innern wird an den Themen Kultur und Kommunikation gearbeitet, damit das schicke neue Rennauto auch auf Begeisterung stößt. Ich kann mich noch lebhaft an Zeiten erinnern, in denen im Prinzip nur und ausschließlich auf struktureller und prozeduraler Ebene gearbeitet wurde und nehme inzwischen wahr, dass immer intensiver auch Wert auf den kulturellen Wandel und ein angemessenes Kommunikationskonzept gelegt wird. Das ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung erfolgreicher Change-Prozesse. Allerdings fehlen bei dieser Herangehensweise noch immer zwei der laut Wilber und Ackerman relevanten vier Quadranten. -Also die Hälfte!

Denn New Work braucht Inner Work

Da steht es also, unser Rennauto. Dank eines guten Kommunikationskonzeptes finden es zunächst auch alle toll. Die Freude ist groß. Allerdings stellt sich sehr schnell Ernüchterung ein, denn so wie ich am Montagmorgen um mein Rennauto schleiche, so schleichen auch die betroffenen Menschen um das tolle neue Arbeitsmodell und wissen nichts damit anzufangen. Der Frust steigt!

Auf der Ebene des Individuums muss sich im Außen um die Themen Verhalten und Fähigkeiten gekümmert werden. Hierbei stellen zum Beispiel Agile Coaches eine tolle Unterstützung dar. Sie vermitteln das notwendige Handwerkszeug, spiegeln Verhalten und geben Feedback. Zusätzlich erstellt HR eine Lernreise hin zu Agilität, Scrum, Kanban, neuen IT-Systemen oder was es auch immer braucht. Drei von vier Quadranten sind abgedeckt.

So lernen die Menschen in einer Organisation Schritt für Schritt wie das neue, tolle Auto bedient werden muss, um von A nach B zu kommen. So weit so gut. Allerdings ist das neue Auto einfach deutlich schneller als das alte. Ein kleinwenig mehr Gas fühlt sich an wie eine Explosion und die Geschwindigkeit macht unsicher, ggf. sogar ängstlich. Und was ist mit denen die vorher lieber Bus gefahren sind? Es läuft zwar irgendwie, trotzdem wirkt es künstlich, unnatürlich, verkrampft. Man passt sich eben notgedrungen an. Dabei haben weder der Rennwagen noch der Fahrer Spaß. Der Rennwagen muss sich damit abfinden permanent in der Under-Performance zu sein, was dem Motor sicher nicht gefällt. Und der Fahrer ist permanent unsicher oder wenigstens niemals absolut sicher.

Was fehlt ist der vierte Quadrant in Wilbers und Ackermans Modell: Im Inneren muss sich mit dem Individuum inklusive seiner oder ihrer Haltung und Psyche beschäftigt werden, damit die Transformation erfolgreich sein kann. Warum ist das so wichtig? In modernen Kollaborationsmodellen verändert sich vor allem das Thema Führung und Macht. Jede und jeder bekommt in New Work Strukturen einen kleinen Teil der Macht, die in traditionellen Kollaborationsmodellen zentral bei der Führungskraft lag. Das nennt sich dann Empowerment und bedeutet selbstverständlich nicht, dass sich plötzlich alle so verhalten wie früher die Chefs. Vielmehr müssen nun alle gemeinsam im Team entscheiden, sich weiterentwickeln und gemeinsam lernen. Um hier gut und sicher zu agieren braucht es bestimmte Kompetenzen, die Menschen lernen müssen, wie eben auch Rennauto fahren, um dann nicht nur theoretisch schnell fahren zu können, sondern auch so viel Spaß dabei zu haben, dass die Performance des Autos wirklich Formel 1 würdig wird.

Persönlichkeitskompetenzen in einer dynamischen und komplexen Welt

In diesem Zusammenhang haben bereits vor einem guten Jahr Bettina Rollow und Joana Breidenbach drei Kompetenzfelder beschrieben, die in neuen Arbeitsmodellen eine besondere Rolle spielen: die individuellen Kompetenzen, die Beziehungskompetenzen und die Feldkompetenzen. Was gilt es in diesen drei Bereichen konkret zu lernen?

Im Bereich der individuellen Kompetenzen gibt es zwei Ebenen, auf denen ein besonderes Augenmerk liegen sollte: der Selbstkontakt und die Selbstreflexion. In der neuen Arbeitswelt mit fluiden Führungsrollen und weniger äußeren Vorgaben wird der Mensch selbst zu seinem wichtigsten Kompass und Richtungsgeber. Ist der Mensch in einem guten Selbstkontakt ist er sich seiner eigenen Gefühle stärker bewusst und somit in der Lage seine Umwelt bewusster und realistischer wahrnehmen. So können Beziehungen bewusster gestaltet werden, was wiederum dazu führt, dass zum Beispiel Entscheidungen informierter und analytischer getroffen werden, da diese auf mehreren Perspektiven und einer breiteren Faktenlage basieren. Eine gute Selbstreflexion wiederum bedeutet eigene Verhaltensmuster und dahinterliegende Bedürfnisse zu erkennen und so das persönliche Handlungsspektrum zu erweitern. Zum üblichen Reagieren kommt proaktives Agieren hinzu. Auf diese Weise kommen Menschen in der Selbstorganisation deutlich besser zurecht und können leichter eigenverantwortlich mitgestalten.

Schauen wir uns genauer an was sich konkret hinter dem Feld der Beziehungskompetenzen verbirgt, fällt hier zunächst das Thema Empathie, bzw. die transparente und empathische Kommunikation ist Auge. Erfolgreiche Zusammenarbeit im Team hängt in erster Linie von einer guten Beziehungsbasis ab, die eine Arbeitsatmosphäre der von mir so oft beschriebenen psychologischen Sicherheit schafft. Damit eine positiv bewertete Beziehungsbasis entstehen kann, sind unter anderem Fähigkeiten und Techniken der empathischen Kommunikation notwendig. Nur wenn alle im Team in der Lage sind sich auch hinsichtlich ihrer Gefühle und Bedürfnisse präzise und klar auszudrücken, wird es möglich, offen zu diskutieren, ehrliches Feedback zu geben und Konflikte konstruktiv anzugehen. Das Thema Konflikte bringt uns auch schon automatisch zum zweiten Feld im Bereich der Beziehungskompetenzen, das für uns von besonderem Interesse ist: die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. In selbstorganisierten Teams mit hoher Eigenverantwortung wird sehr intensiv um den besten gemeinsamen Kurs gerungen. Hierbei verstecken sich nicht selten Beziehungskonflikte im Mäntelchen der Sachkonflikte. Es ist wichtig, Spannungen im Team zu erkennen und die Angst vor Konflikten abzubauen. Offen über alle relevanten auch nicht fachlichen Themen zu sprechen ist von großer Bedeutung, wenn man das Team tatsächlich als Gesamtressource nutzen möchte. Unangenehmes unter den Teppich zu kehren ist kontraproduktiv.

Im dritten relevanten Bereich, den sogenannten Feldkompetenzen, geht es darum in all der Dynamik und Komplexität, aber auch in dieser Welt voller Möglichkeiten den Überblick nicht zu verlieren. Zwei besonders interessante Bereiche sind hier die sogenannte Metareflexion und die Fähigkeit zur Multiperspektivität in einem Team. Unter Metareflexion versteht man die Fähigkeit die kollektiven mentalen Modelle des Teams zu verstehen. Das heißt welche kulturellen Normen hinsichtlich der Zusammenarbeit gibt sich ein Team und welche sozialen Dynamiken herrschen im Team? Besonders in einem Umfeld der hohen Eigenverantwortung ist diese Fähigkeit von besonderer Bedeutung, da sie eine Voraussetzung dafür ist, einen gemeinsamen Rahmen für das Handeln der einzelnen Teammitglieder zu setzen. Ferner hat die Fähigkeit zur Metareflexion auch direkten Einfluss auf die Multiperspektivität. Multiperspektivität bedeutet, dass jede und jeder im Team ein Verständnis dafür entwickelt, dass Menschen auf Grund ihrer unterschiedlichen Erfahrung auch unterschiedliche Perspektiven und Haltungen entwickeln, wobei jede dieser Perspektiven eine wichtige und wertvolle Ergänzung des Gesamtbildes darstellt. Bei Multiperspektivität geht es nicht darum, andere Perspektiven oder Einschätzung zu respektieren. Multiperspektivität geht hier noch einen Schritt weiter: Es geht darum diese unterschiedlichen Perspektiven wertzuschätzen und jede unterschiedliche Einschätzung dankbar zu durchdenken.

In diesem dritten Bereich passiert aus meiner Erfahrung unter der Überschrift “Diversity & Inclusion” bereits eine Menge in Deutschlands Organisationen. Allerdings müssen wir meiner Meinung nach ein wenig aufpassen, dass diese wichtigen Bestrebungen nicht zur Modeerscheinung verkommen. Außerdem würde ich als Coach gerade mit Fokus auf die Feldkompetenzen der Mitarbeitenden zusätzlich zu Mann-Frau-Herkunft-sexuelle Orientierung-Generationen-Thematik den Fokus auch auf das Thema der kognitiven Diversität richten, denn in letzte Konsequenz geht es auch hierbei darum Unterschiedlichkeit zu integrieren und einen gemeinsamen Weg zu finden.

Der systemische Coach und Change Manager als Fahrlehrer in Rennwagen-Organisationen

Ja, Unternehmen sind gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitenden Fahrstunden für das neue Arbeitsmodell, die neue Struktur, den neuen Prozess anbieten. - Und zwar ganzheitlich, auf allen im Modell beschriebenen Ebenen. Hierbei können systemische Coaches und Change Manager so viel mehr leisten, als Kommunikationskonzepte zu entwickeln. Sie habe das Handwerkszeug um auch an den individuellen Kompetenzen, den Beziehungskompetenzen und den Feldkompetenzen zu arbeiten, wenn man ihnen den Raum und den Rahmen dafür gibt. New Work needs inner work! Und hierbei sollte man beim Management beginnen. Nur so kann es zu diesen wunderbaren Flow-Erlebnissen auch in der wilden Welt der New Work kommen. Nur so werden Organisationen zu lernenden und hoch performanten Organisationen und sind nachhaltig den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen. Eigentlich dürfte ich mir mit dieser Perspektive keine Gedanken hinsichtlich meiner beruflichen Zukunft machen. Dennoch merke ich wieder und wieder, dass es ein ewiger Kampf zu sein scheint, bei den Entscheidungsträgern für die Notwendigkeit systemischer Begleitung zu werben. Change wir häufig nur auf der Dimension der Strukturen und Prozesse gesehen. In diesem Zusammenhang ist klar, dass Menschen ihr neues Handwerk oder neue Fähigkeiten lernen müssen. Hier wird der Rahmen für gewöhnlich automatisch geschaffen. Im besten Fall wird die Ebene der Kultur und Kommunikation ebenfalls mit einbezogen. An dieser Stelle darf ich als Coach und Beraten häufig unterstützen und mitgestalten. Trotzdem fehlt die vierte Ebene, die individuelle innere Arbeit. Schauen wir uns all diese Veränderungsvorhaben an, die langfristig scheitern (es gibt Statistiken, die behaupten es seien 75%), liegt das gefühlt immer wieder daran, dass diese vierte Dimension einfach nicht Teil des Prozesses war und die Menschen ihre neuen Rennwagen zwar fahren, dabei aber viel zu vorsichtig sind, unter ihren Möglichkeiten agieren und dadurch irgendwann zunehmend frustriert werden.

Wie nehmt ihr diese unterschiedlichen Dimensionen in Veränderungsprozessen wahr? Besonders interessant würde ich Feedback von “Betroffenen” finden. Aber auch Feedback und Erfahrungen meiner Coach und Consultant Kolleginnen und Kollegen würde mich interessieren.

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Wer jetzt auf die Idee kommt, dass all die “Leader as Coaches”, also die Führungskräfte mit coachendem Führungsansatz, diese Lücke in Dimension vier füllen könnte, dem sei ganz klar gesagt “Nein!”. Eine Führungskraft ist und bleibt Führungskraft und der coachende Ansatz in der Führung hat ganz klare Grenzen. Mehr dazu findet ihr in meinem letzten Artikel. Also einfach weiter nach unten scrollen! ;)

Den Blick aufs grosse ganze

Erfolgreiche Transformation geht nur mit ganzheitlichem Ansatz. Denn New Work braucht auch Inner Work!