Maslow

Wenn das Bessere tatsächlich zum Feind des Guten wird - Vom Change-Manager zum Konfetti-Kehrer

Was man so erzählt…

“Das Bessere ist der Feind des Guten!” -Klingt einleuchtend und wir hören ähnliche Aussagen immer wieder in unserer sich permanent verändernden Welt. Wie schnell ist so ein kluger Satz doch daher gesagt. Aber was bedeutet es, wenn das Bessere tatsächlich zum Feind des Guten erklärt wird? Betrachten wir uns das mal auf Organisationsebene, obgleich es ebenso Gültigkeit für Teamentwicklungen und sogar im Rahmen Deiner ganz individuellen Persönlichkeitsentwicklung hat. Wir sind also Teil einer Organisation. Im zitierten Satz steht das Gute metaphorisch für das Bisherige, die bisherige Zusammenarbeit, die bisherigen Ergebnisse. Wir stellen uns vor, dass dieses Bisherige, das Gute also, nicht schlecht war. Es war gut! Aus diesem Grund sind wir als Menschen in dieser Organisation im Prinzip mit dem Guten in einer positiven Verbindung, gegebenenfalls sogar in einer Allianz. Man könnte fast meinen, wir seien mit dem Guten befreundet. Nun kommt also mit viel Glamour, Glitzer und unter tosendem Beifall das Besser daher, das Neue. Konfetti fliegt! Es sieht ziemlich verlockend aus, verkündet jedoch breit grinsend: “Und ganz nebenbei, ich bin der Feind Eures Freundes, also quasi dann auch ein bisschen Euer Feind! Aber weil ich besser bin, möchte ich Euch bitten, mir ins Leben zu helfen.” Wie motiviert wärt Ihr in einer solchen Situation, dem Bessern tatsächlich in den Sattel zu helfen, es mit Leben zu füllen? -Wo es doch alles, was Ihr bisher geleistet habt, so konsequent zu seinem Feind erklärt. -Konfetti hin, Konfetti her…

Die Bedeutung der Veränderung ergründen

Was ist in unserem Beispiel passiert? Im Prinzip kam es durch dieses allseits beliebte Zitat zu einer Entwertung des Bisherigen, zu einer Entwertung der bisherigen Leistungen der Mitglieder der Organisation. Natürlich drückt das die intrinsische Motivation für die anstehende Veränderung ungemein und der Veränderungsprozess stagniert. Häufig setzten wir uns in Hinblick auf anstehende Veränderungen vor allem mit den Inhalten dieser Veränderungen auseinander. Wir erliegen dem Trugschluss, wenn der Inhalt ganz besonders toll glitzert, wird die Veränderung positive angenommen und gelingen. Das Zielbild muss eben inhaltlich nur schick genug sein. Es ist jedoch die Bedeutung der Veränderung, die letzten Endes entscheidend für die Umsetzung ist. -In unserem exemplarischen Fall wäre die Bedeutung in etwas folgendes: “Das was bisher war, war alles Käse. Erkennt also, dass Ihr bisher Blödsinn getrieben habt und schließt Euch dem Besseren an, das wird Euch schon zeigen, wie es geht!” Erkenne ich also das Bessere als solches an und setze es um, müsste ich mir gleichzeitig eingestehen, dass ich bisher auf dem Holzweg war. Tolle Bedeutung! Danke dafür. Ich befinde mich in einem Dilemma. Das Zielbild sieht vielleicht ganz gut aus, würde ich mich jedoch darauf einlassen, würde es bedeuten, dass ich bisher nicht gut (genug) war.

Diese Frage nach der Bedeutung bringt uns unweigerliche zu der weiterführenden Frage, wer diese Bedeutung gibt. Ich weiß, dass ich in den letzten Wochen Dr. Gunther Schmidt immer wieder zitiert habe. Was daran liegt, dass ich mich gerade in einer Weiterbildung befinde, in der er selbst und seine hypnosystemischen Ansätze sehr präsent sind. Ich fürchte, ich muss ihn auch an dieser Stelle wieder zu Rate ziehen. Dr. Gunther Schmidt würde die Frage, wer im Rahmen eines Veränderungsprozesses die Bedeutung gibt, ganz klar mit “der Sinnstifter” beantworten. Für Schmidt ist der Sinnstifter die machtvollste Person im Beratungssystem -Also der Chef.

Warum Berater die Leads als erstens ins Boot holen sollten

Nicht selten erlebe ich Führungskräfte, die das Etablierte, das Altbewährte in ihrem positiven Ansinnen Teams, Prozesse oder Organisationen weiterzuentwickeln, konsequent herabwürdigen. Das passiert in den aller wenigsten Situationen tatsächlich bewusst oder aus einer gefühlten Respektlosigkeit heraus. -Im Gegenteil. Häufig macht der Chef sich ausführlich Gedanken über eine Kommunikationsstrategie, die mitreißend wirkt, motivierend und positiv sein soll. Glitzernd, verführerisch, bunt, am besten mit einer Party zur Verkündung! Und ja, ich liebe Konfetti und Partys. -Allerdings nicht, wenn ich antreten soll, um das Konfetti wieder zusammen zu kehren. Hat von Euch schon mal jemand versucht, Konfetti zusammen zu kehren. Das ist ausgesprochen mühsam. Ebenso, wie es mühsam für mich als Coach und Berater ist, das Konfetti bunter Change-Kommunikationen wieder zusammen zu kehren. Ja, man kann auch Teams, die nach einer eben solchen Kommunikation in eine aus ihrer Sicht völlig nachvollziehbaren Verweigerungs- oder Enttäuschungshaltung geraten sind, wieder an Bord holen. Das funktioniert, dauert aber seine Zeit, hält auf und ist doch eigentlich nicht nötig.

Wer also keine Lust hat, Konfetti zu kehren, der sollte sich bereits im Vorfeld mit dem Sinnstifter seines jeweiligen Beratungssystems sehr intensiv auseinandersetzen. Im Idealfall habe ich die Möglichkeit, den relevanten Lead oder das relevante Leadership-Team bereits im Vorfeld abzuholen. Somit kann ich meinen Auftrag für mich gut im Vorfeld klären und gebe mir selbst innerhalb des Systems auch das Standing, das ich brauche. Zusätzlich habe ich vielleicht noch die Möglichkeit, die Leads dabei zu unterstützen, eine Kommunikationsstrategie zu wählen, die eine achtungsvolle Wertschätzung des Guten beinhaltet und das Bessere zum Freund des Guten erklärt. Das macht es doch für alles Seite viel einfacher.

Und was, wenn doch Konfetti gekehrt werden muss?

Natürlich sieht die Realität meistens so aus, als dass ich keinen Einfluss auf die Kommunikation der relevanten Leads habe, auch wenn ich natürlich unaufhörlich daran arbeite und inzwischen auch verdammt innovativ dabei geworden bin. Meistens muss ich eben doch Konfetti kehren. Meine wichtigste Erkenntnis der letzten zehn Monate ist jedoch, dass ich das allein nicht schaffe. Ich komme nicht umhin den Leads einen Besen in die Hand zu drücken. Wenn die achtungsvolle Wertschätzung der vergangenen Leistung nicht direkt im Rahmen der ersten Kommunikation von Veränderungsplänen erfolgt ist, ist es immanent wichtig, dass dies schleunigst nachgeholt wird. -Und zwar nicht vom Coach, sondern vom Sinnstifter.

Und was bleibt ist Abraham Maslow

Während ich mich also weiterhin wie Sisyphos mühsam, aber hoch motiviert in meinen Organisationen voran taste, ist es auch an dieser Stelle interessant, dass das, was immer wieder auftaucht, diese zutiefst menschlichen Grundbedürfnisse, wie sie Abraham Maslow seiner Zeit in einer Pyramide zusammengefasst hat, sind. Wir suchen nach Sicherheit, die wir häufig auch in den jeweiligen “Alphas” unserer Systeme zu finden hoffen. Ja, eine Aufgabe von Führung ist und bleibt, Sicherheit zu geben. Und Sicherheit gebe ich natürlich nicht, indem ich verkünde, dass das, was bisher gemacht oder geleistet wurde, Käse ist und deshalb alles anders werden muss. Selbst wenn ich parallel Konfetti werfe und Luftschlangen fliegen lasse. Die Message wird trotzdem klar sein. Nein, wir Menschen möchten hören, dass unsere Bemühungen der Vergangenheit wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Wir möchten Respekt für unsere bisherige Leistung. Das hat schon Maslow gewusst. Und ich weiß ganz sicher und erfahre immer wieder aufs Neue, dass von diesem Respekt auf der Seite der Sinnstifter ausgesprochen viel vorhanden ist, jedoch selten darüber gesprochen wird. So muss ich eigentlich nur Bühnen bauen, auf denen dieser Respekt auch verkündet werden kann! -Unglaublich einfach und doch so unfassbar schwer!

In diesem Sinne wünsche ich Dir jetzt einen schönen Sonntag und möchte mit der Frage beschließen, wie regelmäßig Du Dich in achtungsvoller Wertschätzung übst und den Respekt, den Du für die Menschen um Dich herum empfindest, auch kommunizierst? Am Ende ist er der “Schmierstoff” unseres sozialen Miteinanders und ganz nebenbei ist auch eine Familie oder ein Freundeskreis ein System von Menschen, denen es ausgesprochen guttut, wenn ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden.

Also auf geht’s: Wertschätzung üben!

Eure Constance

Change-Manager und Konfetti-Kehrer

Man tut was man kann und kann was man muss…

Auf der Suche nach dem Sinn: Abraham Maslow und die Humanistische Psychologie - Agile Mindset anno 1945

Die Humanistische Psychologie - weil der Mensch von Grund auf gut ist…

Der US-Amerikaner Abraham Maslow (1908 - 1970) gilt als Mitbegründer der Humanistischen Psychologie, die sich selbst als “dritte Kraft” der Psychologie sieht. Die Humanistische Psychologie stellt den erlebenden Menschen in den Mittelpunkt und richtet sich damit direkt gegen die vergleichende Verhaltenswissenschaft, die das Verhalten (von Tieren) in den Mittelpunkt stellt und die Psychoanalyse, die vom Verhalten neurotischer Menschen ausgeht. Die Schule der Humanistischen Psychologie fokussiert sich auf das aktive Streben des Menschen nach Anerkennung, Wertschätzung und Selbstverwirklichung um ein erfülltes Leben zu führen. Eine der zentralen Thesen ist die Anerkennung und Aufrechterhaltung der Würde und des Wertes eines jeden Einzelnen.

Maslow war der festen und unerschütterlichen Überzeugung, dass der Mensch von Grund auf gut ist und jeder Mensch die Fähigkeiten und Ressourcen hat, sich kreativ zu entfalten. Er ging davon aus, dass Persönlichkeitsbilder wie Destruktivität, Sadismus und Grausamkeit keine ureigenen menschlichen Verhaltensweisen sind, sondern viel mehr Frustreaktionen darauf, dass die uns angeborenen Bedürfnisse nicht vollumfänglich gestillt werden. Diese Bedürfnisse hat Maslow in seiner Bedürfnispyramide hierarchisch sortiert und seit mehr als 60 Jahren wagt niemand daran zu rütteln. OK, je nachdem, was gerade so los ist, ergänzt man gerne wahlweise WLAN oder Toilettenpapier. In ihren Grundzügen bleit sie jedoch bestehen, was eindeutig zeigt, dass wohl was dran ist, an Maslows Idee vom Menschen.

Die Bedürfnispyramide nach Maslow

Wie gesagt hat Maslow die menschlichen Bedürfnisse hierarchisch angeordnet. Das heißt, die Bedürfnisse müssen nacheinander gestillt werden. Wenn die Basis nicht befriedigt ist, braucht man über die Spitze nicht nachdenken!

Die Basis seiner Pyramide stellen für Maslow die körperlichen Grundbedürfnisse dar: Essen, Trinken, Schlaf, Bewegung. Werden diese Bedürfnisse konstant gestillt, verlieren sie an Bedeutung und der Mensch kann sich anderen Dingen zuwenden.

Auf der nächsten Stufe steht das Sicherheitsbedürfnis: der Wunsch nach Stabilität, Ordnung und Schutz. Wird dieses Bedürfnis nicht gestillt, verliert der Mensch in einer dynamischen und komplexen Welt sofort den Überblick und die Nerven, weil all sein Streben in Richtung einer vorhersagbaren Welt (die es ja nicht gibt! Voll un-VUCA!) geht.

Auf Stufe drei stellt Maslow die sozialen Bedürfnisse: Zugehörigkeit, Freundschafts- und Liebesbedürfnisse, gemocht werden, beliebt sein.

Es folgt auf Stufe vier der Wunsch nach Anerkennung, Respekt, Selbstliebe, Wertschätzung. Diese Bedürfnisebene umfasst auch den Wunsch nach Stärke, Leistung und Kompetenz (was einen durchaus ehrgeizig werden lässt), sowie den Wunsch nach Prestige, Status, Ruhm und Macht, wobei man Macht in diesem Zusammenhang nicht unbedingt negativ bewerten sollte. Es geht vielmehr um die Abwesenheit von Ohnmachtsgefühlen. Klingt gleich netter, oder? Diese Stufe ist die Grundlage für unseren Selbstwert.

Die Spitze der Bedürfnispyramide stellt schließlich das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung dar. Hierbei geht es um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, die von Person zu Person ganz individuell ist. Im Prinzip geht es um persönliches Wachstum, Persönlichkeitsentwicklung. Letzten Endes geht es darum, seinen individuellen Lebensauftrag zu erfüllen (durch Kreativität, dem Einsatz für Gerechtigkeit, selbstloses Kümmern um andere, etc.). Hierbei kommt es dann zu Eigenschaften wie Kreativität, Fröhlichkeit, Freundlichkeit, Ehrlichkeit, Liebe, Güte, Mut…

Das agile Mindset anno 1945

Mit diesem Ansatz war Maslow anno 1945 ausgesprochen fortschrittlich. Sein Buch “Motivation und Persönlichkeit” hatte großen Einfluss auf Führung und Management, ging man doch bis dato davon aus, dass der Mensch im Wirtschaftskontext, also bei der Arbeit, nicht grund-gut und leistungsbereit sei. Bis dato wurden Menschen in Wirtschaftsorganisationen als unwissender Anwender gesehen, dem man genau sagen muss, was er wie zu tun hat, weil Kreativität ja höchstens etwas für die Top-Chefs war. Man musste Menschen stets antreiben weil sie eigentlich bockig und faul sind und man hielt es zunehmend für eine gute Idee, ihnen Karotten in Form von leistungsabhängigen Boni vor die Nase zu halten, damit sie auch das Maximum an Leistung erbringen.

Und dann kam Maslow, der sagte, dass wenn man Menschen so bezahlt, dass sie sich über die Befriedigung ihrer physiologischen Grundbedürfnisse keine Gedanken mehr machen müssen, man ihnen Sicherheit und Struktur gibt (in dem man nicht permanent mit Kündigung, schlechten Beurteilungen, Gehaltskürzungen, oder Insolvenz des Unternehmens droht), man sie zum Teil des Teams macht, ihnen Anerkennung und Respekt schenkt, hat man plötzlich engagierte, kreative, mutige und leistungsbereite Mitarbeiter, die einen Sinn in dem finden, was sie tun und es deshalb sogar gerne tun! Toll! Was braucht man mehr, in einem zunehmend komplexen und dynamischen Umfeld?

Und wann hat man genug Anerkennung und Selbstverwirklichung???

- Eigentlich nie!

Maslow unterscheidet zwischen Defizit- bzw. Mangelbedürfnissen und den Wachstumsbedürfnissen. Habe ich immer ausreichend Nahrung, Schlaf, emotionale Sicherheit, Zuwendung, fühle mich zugehörig, etc., erlischt irgendwann mein explizites Verlangen nach diesen Bedürfnissen. Kein Mangel vorhanden. Irgendwann ist man eben satt und ausgeschlafen. Alles gut.

Mit den Bedürfnissen nach Anerkennung und Selbstverwirklichung sieht es etwas anders aus. Sie sind aus Maslows Perspektive sogenannte Wachstumsbedürfnisse, an denen wir ein Leben lang arbeiten und eben wachsen. Klar kann ich mein Bedürfnis nach Kreativität zum Beispiel durch das Schreiben eines Blogs stillen. Es ist aber mit Nichten so, dass dann nach soundso vielen Blogs gut ist und das Bedürfnis befriedigt ist. Im Gegenteil, ich wachse und entwickle mich und irgendwann werde ich das Bedürfnis haben, den nächsten Schritt gehen zu wollen, oder zu müssen. Keine Sorge, noch bin ich bei weitem nicht so weit, mich in Richtung Podcast weiterzuentwickeln. Allerdings musste ich mich in ganz anderer Hinsicht in dieser Woche fragen, wo und wie ich mich weiterentwickeln möchte, oder muss, um auch weiterhin glücklich und zufrieden zu sein. Wo soll meine Kreativität hinführen und wo finde ich den geeigneten Rahmen dafür, mich entsprechend auszutoben? Zum Glück hatte ich bereits während des ersten Lockdowns schon genügend Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, was denn mein ganz eigener individueller Lebensauftrag sein könnte, was mich erfüllt und glücklich macht und wo ich mich weiterentwickeln möchte. Bei den Wachstumsbedürfnissen müssen wir Menschen perspektivisch denken und handeln, um auch weiterhin glücklich und zufrieden zu bleiben. Jedoch bedeutet dieses perspektivische Denken auch, dass wir uns immer mal wieder aus unserer Komfortzone hinaus bewegen müssen. Das hört sich so einfach an und ich weiß nicht, wie häufig ich genau dieses “Raus aus der Komfortzone” im Lehrsaal propagiert habe… Wenn man darüber spricht, hört sich das so sinnvoll und selbstverständlich an. In dieser Woche habe ich an mir selbst merken dürfen, wie schwierig das ist, wie viel Angst das macht. Ich habe aber auch gemerkt, wie gut es sich anfühlt, wenn man diese Angst überwunden hat und über den eigenen Schatten gesprungen ist. Nach einigen weniger ruhigen Nächten, spüre ich jetzt eine große Euphorie und das Gefühl, dass die Welt mir offensteht und mein Leben eben nicht auf ausgetretenen Pfaden stattfindet, die zwar super sicher, aber auch totlangweilig sind. Wo und wie ich mich dann zukünftig mit der Machete des Mutes durch den Dschungel des Neuen und Unbekannten aufmachen werde, werde ich in den nächste Wochen berichten, mit aller Euphorie und allen Unsicherheiten.

Eure Constance

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Der Mensch ist kreativ

… und das ist gut so!

Agil-hybride Wasserfälle und warum der Mensch dann doch immer macht was er will, oder was er fühlt

Über Komplexität und menschliche Grundbedürfnisse

Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Woche. Meine war komplex und ereignisreich und ich habe das Bedürfnis, meine persönliche Quintessenz daraus mit euch zu teilen. Für all jene, die sich auf meinen Exkurs in die Welt der systemischen Fragen gefreut haben: keine Sorge, nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Ja, was war los? Ich hatte die große Freude, endlich mal wieder im Lehrsaal stehen zu dürfen. Die Erkenntnis daraus ist und bleibt, dass das natürliche Habitat eines Trainers nicht der Schreibtisch sein kann. Aber abgesehen davon, hatte ich diese Woche auch wirklich großartige Teilnehmer, die mich nicht nur daran erinnert haben, warum ich Trainer geworden bin, sondern mir auch sehr deutlich vor Augen geführt haben, worauf es wirklich ankommt, wenn es darum geht, die Komplexität zu managen, die die Arbeitswelt so mit sich bringt. Liebe Grüße nach Leipzig! Ich freu mich schon darauf, euch am Donnerstag wiederzusehen.

Weil die Welt sich dreht und dreht und dreht

Nichts ist so gewiss wie der Wandel und in der Unternehmenswelt ist dieser Wandel sehr greifbar und allgegenwärtig. Was gestern noch der neuste heißeste Scheiß war, ist heute schon wieder Schnee von gestern und was morgen kommt, weiß man noch nicht, aber sicher wird es auch wieder einen ziemlich coolen Namen haben. Während eben noch alles “Lean” sein sollte, schreien heute alle nach Agilität, oder vielleicht dann doch schon “Hybrid”! Hört sich halbwegs klug an, oder?! Manchmal habe ich das Gefühl, dass zielgenaues “Slang Dropping” heutzutage eine der wichtigsten Kernkompetenzen für eine möglichst steile Karriere sein muss. Und natürlich hat jeder, der spontan zwischen Toilette und Kaffee-Küche eine Entscheidung trifft, ein agiles Mindset. Logisch, was auch sonst.

Die Frage, die mich umtreibt, ist, warum man das Rad gefühlt jedes Jahr neu erfinden muss. Das ist super anstrengend und mega verwirrend! Ich denke, viele Unternehmen nehmen wahr, dass das Umfeld, in dem sie agieren immer komplexer wird. Die Anforderungen steigen, die Konkurrenz wird härter. Dankenswerterweise entdecken immer mehr Unternehmen die Bedeutung des Faktors Mensch, ihr sogenanntes Humanvermögen und suchen nach Möglichkeiten und Strategien, dieses Humanvermögen bestmöglich für sich zu nutzen. Als Human Factors Trainer gebe ich dafür natürlich zwei Daumen hoch. Allerdings stellt sich mir die Frage, was der Mensch denn nun wirklich braucht. Und ich bin da leider sehr wenig hip, um nicht zu sagen ich bin altmodisch. Ich hänge noch immer in der altbekannten Maslowschen Bedürfnispyramide fest. -Weil es so einfach und einleuchtend ist.

Von der Maslowschen Bedürfnispyramide zu agilen Strukturen

Im Jahr 1943 veröffentlichte der US-amerikanische Sozialpsychologe Abraham Maslow seine Pyramide der Grundbedürfnisse. Auf der ersten Stufe stehen die physiologischen Grundbedürfnisse: Hunger, Durst, Schlafen, Sexualität. Wenn ich mir Essen und Trinken leisten kann, weil ich ein angemessenes Gehalt habe und Arbeitszeiten, die es mir ermöglichen ausreichend Schlaf zu bekommen, steht schon mal die Basis (mit freundlichen Grüßen vom Mindestlohn!). Aus dem Thema Sexualität und Büroromanzen halte ich mich in diesem Zusammenhang raus, obwohl ich einen Kollegen geheiratet habe!

Kommen wir also zu Stufe zwei, mein Sicherheitsbedürfnis. Unternehmen können eine Menge dazu beitragen, dass ihre Angestellten sich sicher, oder eben total verunsichert fühlen. Eine besonderen Verantwortung entfällt hier auf die Führungskräfte, die wiederum maßgeblich Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Ich erlebe es leider immer wieder, dass es Führungskräfte (sogar Topmanager) gibt, die glauben, Angst würde zu Höchstleistungen führen. Ich glaube ich wiederhole mich hier, aber ich kann es nicht oft genug sagen: wenn die Höchstleistung, die ich brauche, um als Unternehmen erfolgreich zu sein, sehr schnelles Laufen oder sehr kraftvolles Zuschlagen ist, dann ist das richtig. Benötigt mein Unternehmen jedoch kreative, bzw. kognitive Höchstleistung um erfolgreich zu sein, kann ich den Laden an dieser Stelle auch dicht machen. Unter Stress (und Angst macht sehr viel Stress) kann meine Großhirnrinde nicht arbeiten. Naturwissenschaftlicher Fakt und nicht wegzudiskutieren!

Auf zu Stufe drei, den sozialen Bedürfnissen. Weil ich mich zugehörig fühlen möchte, sind Unternehmen gut beraten, großen Wert auf funktionierende Teamstrukturen und teambildende Maßnahmen zu legen. Ich persönlich denke, dass das eine der großen Herausforderungen im Homeoffice ist. Der Coffee-Kitchen-Talk ist super wichtig für das Wir-Gefühl. Schwierig über Teamspeak oder Zoom, oder?

Wenn das Wir-Gefühl passt, dürfen wir schließlich auf der vierten Stufe weitermachen. Sind unsere sozialen Bedürfnisse befriedigt, dürstet es uns Menschen nach Wertschätzung, Respekt und Anerkennung. Liebe Chefs, das altbekannte Motto “nicht getadelt ist doch schon gelobt” greift hier nicht! Im Gegenteil Wirklich schwer ist das doch auch nicht. Ein kleiner Anfang ist, dass die Chefs damit anfangen, ihre Mitarbeiter bewusst wahrzunehmen und das Wahrgenommene dann auch anzusprechen: “Ich habe heute mitbekommen, wie geduldig und strukturiert Sie vorhin mit dem Kunden am Telefon gesprochen haben. Das hat mir sehr gut gefallen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich selbst so ruhig geblieben wäre. Respekt!”. Kleines Konkretes Tool zum Üben: Steckt euch je nach Teamgröße ein bis vier Steinchen in die rechte Hosentasche. Bei jedem konkreten positiven Feedback dürft ihr ein Steinchen in die linke Hosentasche wandern lassen. Ziel ist es, dass am Ende des Tages alle Steinchen links sind. Es wird dazu führen, dass ihr eure Kollegen wohlwollend bewusst wahrnehmen. Eure Kollegen werden das als sehr positiv empfinden.

Stufe zwei, drei und vier fasst die von mir sehr geschätzte Harvard-Professorin Amy Edmondson als Psychological Safety zusammen, die Basis für das, was sie als Lernende Organisation bezeichnet. Ihr seht, es ist immer der gleiche alte Kram in neuen Kleidern. Den Menschen wird keiner neu erfinden. Der ist einfach so wie er ist und das ist auch gut so.

Gut, zurück zu Maslow: wenn ihr es geschafft habt, diese ersten vier Stufen als feste Basis zu implementieren, dann dürft ihr vorsichtig anfangen, an Ideen wie Agilität zu denken. Stufe fünf der Maslowschen Bedürfnispyramide ist schließlich die kreative Selbstverwirklichung und Persönlichkeitsentfaltung. Genau hierbei sollen agile Methoden oder Strukturen den Menschen unterstützen.

Ich persönlich finde Agilität äußerst spannend und faszinierend. Ich denke sogar darüber nach, auch noch mal eine Ausbildung zum agilen Coach zu machen. Aber ich glaube nicht, dass Agilität ein Allheilmittel ist. Es gibt einige wirklich großartige agile Methoden, die Menschen toll bei ihrer Arbeit unterstützen können, ihnen Struktur und Freiraum für Kreativität schaffen. Aber eine agile Transformation löst per se keine Probleme. Im Gegenteil: Wenn die Basis nicht passt, hat eine solche Transformation das Potenzial, sogar mehr Probleme zu schaffen, als zu lösen.

Über agile Mindsets, agile Strukturen und warum Menschen keine Computer sind

Allein wenn wir uns vor Augen führen, dass Agilität ursprünglich mal eine kluge Strategie zur Softwareentwicklung war, die plötzlich zur Managementmethode wurde, muss doch klar sein, dass man hier mit sehr offenem Geist und einiger Vorsicht zu Werke schreiten sollte, denn Menschen sind keine Softwareprogramme. Menschen sind deutlich komplexer. Die Grundidee von Agilität als Managementmethode ist, den Menschen Raum zu schaffen, sich eigenverantwortlich und selbstständig zu organisieren, um schließlich Höchstleistung zu erbringen. Bis hierher klatscht der Human Factors Trainer laut Beifall. Allerdings hat Agilität an dieser Stelle einen nicht unbedeutenden blinden Fleck: zwar sind Verantwortung und Mitgestaltung wichtige Komponenten für Zufriedenheit und Selbstverwirklichung (wir sind bei Stufe fünf!). Allerdings setzt Maslow hier voraus, dass der Mensch sein Maß an Verantwortung selbst wählen darf. Agilität zwingt zur Eigenverantwortung. Dieser Zwang kann leicht zu Verunsicherung führen, besonders bei all jenen, die eigentlich gar nicht so viel Verantwortung übernehmen möchten, die lieber einen Chef haben, der zwar sagt, wo es lang geht, der aber auch die Verantwortung dafür übernimmt. Zack bricht uns die Basis unserer Pyramide weg. Das war es dann auch erstmal mit kreativen Höchstleistungen.

Nun ist guter Rat teuer, denn wenn ich im Training letzte Woche mal wieder an eines sehr deutlich erinnert wurde, dann daran, dass Menschen unterschiedlich sind, unterschiedliche Bedürfnisse haben, was ja auch gut und richtig so ist. Nein, wir sind keine Computer oder berechenbare Softwaresysteme. Menschen sind komplex wie die Welt, die sie umgibt. Aus diesem Grund sind gerade in Strukturen, in denen man Führung auflöst, meiner Meinung nach ganz besonders die Führungskräfte gefragt. Gefragt ist eine neue Form der Führung, in der ich nicht mehr die abschließende Entscheidung treffe, oder sage in welche Richtung es geht. Viel mehr sind es meine Aufgaben, darauf zu achten, dass die Basisbedürfnisse meiner Mitarbeiter gestillt sind und dass ich diejenigen Mitarbeiter erkenne und unterstütze, die gar nicht so viel Verantwortung übernehmen möchten oder noch eine Extraportion Sicherheit benötigen, denn auch diese Mitarbeiter stellen sich häufig als besonders wertvolle Ressource für das Team heraus. Vielleicht ist man dann auf einem hybriden Weg unterwegs, was meiner Meinung nach jedoch viel agiler ist, als auf Teufel komm raus Strukturen um deren selbst Zweck einzuführen, um auf dem Papier agil, oder was auch immer zu sein. Man darf eben denn Sinn und Zweck seines Handelns nicht vergessen: es geht darum, den Menschen als Schlüssel zum Erfolg die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen. Das geht eben nur über Maslows Pyramide und ganz unter uns, es gibt auch traditionell hierarchische Strukturen, die es schaffen, ihren Mitarbeitern genügend Raum für Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung zu schaffen. Vielleicht hat man in diesen Strukturen ja auch ein agiles Mindset, ohne auf dem Papier agil zu sein.

Ich betrachte Wirtschaftsorganisationen gerne als lebendige Konstrukte, die komplex und einzigartig sind und die besonders flexiblen und besonders lebendigen unter ihnen schaffen es, innerhalb kürzester Zeit auf die sie umgebende Komplexität zu reagieren. Erfolg hat hierbei weniger mit den Organigrammen, sondern viel mehr mit der Unternehmenskultur zu tun. Wenn ein agiles Mindset das ist, was es braucht, um den Mut aufzubringen, seinen Mitarbeitern Raum zu geben und zu vertrauen und wenn es agile Methoden sind, die diesen Mitarbeitern den Rahmen für ihr Tun geben, ist das doch ganz wunderbar. Wenn Unternehmen zu diesem Zweck etwas anderes für sich gefunden haben, ist das genau so gut. Es ist der Mensch, der im Zentrum all unserer Mühen stehen sollte.

Das Kernthema meiner Schulung in der letzten Woche war übrigens “Komplexität managen”! Darum geht es, nicht mehr und nicht weniger. Und ich persönlich glaube, dass die Welt nach Corona vielleicht noch etwas komplexer und der Druck auf Unternehmen, um zu überleben, noch etwas größer werden wird. Aber Manager, die gebetsmühlenartig Horrorszenarien zeichnen, werden sich schwer tun, erfolgreich aus der Krise hervorzugehen. Vielmehr werden es diejenigen Unternehmen und Organisationen sein, die es, obwohl die Welt um sie grade im Chaos liegt, schaffen, ihren Mitarbeitern das Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit zu vermitteln.

Eure Constance

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Agilität als Mangementmethode

Ein großes Geschenk oder doch die Büchse der Pandora?