Unternehmenskultur

Wenn Mitarbeitende nicht so wollen, wie es sich die Führungskraft vorstellt - Autopoiese und Metakommunikation

Die hohe Kunst der Führung aus hypnosystemischer Perspektive

In den letzten beiden Woche habe ich gleich drei Situationen erlebt, in denen mir in meiner Rolle als Coach und Berater die hypnosystemischen Ansätze rund um das Thema Führung ausgesprochen hilfreich waren. Außerdem ist meine letzte Weiterbildung bei Dr. Gunther Schmidt, dem Vater der Hypnosystemik, noch sehr präsent. Somit hat sich das Thema für meine neusten Blog wie von alleine ergeben. Ich möchte euch in dieser Woche ein paar sehr praktische Tools aus dem hypnosystemsichen Ansatz von Dr. Gunther Schmidt mit Blick auf das große Thema Führung und herausfordernde Gespräche mit Mitarbeitenden erläutern.

Die Mitarbeitenden wollen einfach nicht so wie ich!

Immer diese Renitenz… Eine Thematik die wahrscheinlich keiner Führungskraft fremd ist. Ich will links, die Mitarbeitenden weigern sich oder wollen partout rechts… Woran liegt das? Schon Luhmann hatte in seinen systemtheoretischen Betrachtungen hierfür eine einleuchtende Erklärung: Autopoiese ist das magische Wort! Hierbei handelt es sich um einen Ansatz aus der Neurophysiologie, der ins Deutsche übersetzt so viel bedeutet wie “Selbstherstellung” oder “die Hervorbringung von etwas als Werk seiner selbst”. Komplexe Systeme, das heiß in diesem Zusammenhang psychische Systeme (also einzelne Menschen) und soziale Systeme (also Teams, Gruppen, Organisationen, aber auch Familien), entwickeln sich aus sich selbst heraus und entscheiden somit auch frei und aus sich selbst heraus. Ich kann von außen bestenfalls Impulse oder Anreize geben. Die Richtung abschließend vorgeben kann ich nicht. Allerdings können meine Impulse so klug oder einleuchtend sein, dass die betrachteten Systeme eigenständig entscheiden in die Richtung zu gehen, die ich vorschlage.

Ich drücke es mal ganz platt aus: Glaubt bitte nicht, ihr könnte irgendjemanden zu etwas zwingen oder davon überzeugen, dass etwas toll ist, nur weil ihr es toll findet. Sowohl einzelne Mitarbeitende, als auch ganze Teams oder Organisationen bleiben selbstbestimmt, immer. Dieses Phänomen der Autopoiese von Sozialsystemen und psychischen Systemen ist der Grund weshalb in Veränderung professionelle Begleitung hilfreich ist und weshalb Mitarbeitende sich eben nicht einfach in eine gewünschte Richtung entwickeln nur weil die Chefin oder der Chef das einfordert.

Gespräche mit Mitarbeitenden als Werbegespräche

Basierend auf dieser absoluten Eigenständigkeit des menschlichen Geistes spricht Dr. Gunther Schmidt gerne von Werbegesprächen mit Mitarbeitenden. Ich kann niemanden zwingen, aber ich kann für ein bestimmtes Ziel werben. Wie in der Werbung muss ich mir im Vorfeld sehr genau Gedanken darüber machen, was ich an den Mann oder die Frau bringen möchte, wofür das hilfreich ist und wie genau meine Zielgruppe aussieht. Generell gelten diese Kernpunkte sowohl im Change Management mit Blick auf ein größeres System, als auch in der Auseinandersetzung mit einzelnen Mitarbeitenden, bei denen die Führungskraft die Notwendigkeit einer Veränderung wahrnimmt. In diesem Artikel möchte ich mich auf den zweiten Fall, das heißt die Auseinandersetzung mit individuellen Mitarbeitenden fokussieren. Das Thema Change Management und Autopoiese liefere ich zu gegebener Zeit nach.

“Feedback ist ein Geschenk!” - Oder so in der Art…

Wann immer es in Feedback- oder Entwicklungsgesprächen mit Mitarbeitenden darum geht, dass die Führungskraft aus ihrer Sicht veränderungsbedürftige Thematiken bei ihren Mitarbeitenden ansprechen möchte oder muss, fühlen sich aus meinem Erleben zumeist beide Beteiligten nicht wohl. Um nicht zu sagen sie sind gestresst. Mitarbeitende fühlen sich mit Blick auf die asymmetrischen Machtverhältnisse häufig ausgeliefert und auch die Führungskräfte spüren vermehrten Stress, weil sie ja niemanden kritisieren oder verletzen wollen. Wie also herangehen, an ein solches Gespräch?

Aus hypnosystemsicher Sicht geht es bei dieser Art Gespräch nicht darum, Fehler aufzuzeigen. Vielmehr liegt der Fokus darauf, wie jede und jeder möglichst zieldienlich, das heißt im größeren Sinne des Unternehmens, agieren kann um ein gemeinsames positives Ergebnis zu erzielen. Ich finde diese Grundhaltung ist per se schon einmal hilfreich.

Schritt eins: Vorbereitung ist alles

Im Vorfeld eines solchen Entwicklungsgesprächs kann ich nur jeden ermuntern, sich selbst ausführlich zu reflektieren, im Idealfall vielleicht sogar mit Unterstützung eines hypnosystemischen Coaches:

  • Welchen Sinn (welches “Wofür) möchte ich dem Gespräch geben? Welches Ziel verfolge ich in diesem Gespräch? - Hier hat es sich als hilfreich erwiesen, sich dieses Ziel möglichst genau, auch bildlich vorzustellen.

  • Wie genau nehme ich die Leistungen der/des Mitarbeitenden wahr? Was macht die/der Mitarbeitende besonders gut (Muster des Gelingens erkennen)? Wo genau sehe ich Verbesserungspotenzial und wie genau (das heißt anhand welches Verhaltens) werde ich eine Verbesserung oder Entwicklung in die aus meiner Sicht optimale Richtung wahrnehmen?

  • Welche Wirkmöglichkeiten habe ich in meiner Rolle als Führungskraft? Was müsste und könnte ich tun, wenn keine Veränderung eintritt? Ich kann wie gesagt niemanden zwingen, etwas Bestimmtes zu tun. Aber ich kann sehr wohl versuchen extrinsische Motivationen zu setzen, die dazu führen, dass sich jemand selbstständig, unter Abwägung alles relevanten Fakten, entschließt, sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln.

  • Wie kann ich mein eignes Erleben der/des Mitarbeitenden respektvoll und lösungsorientiert formulieren?

  • In welche Zwickmühlen bringt mich dieses Situation selbst? Häufig möchten wir als Menschen gar nicht unbedingt andere auf ihr Entwicklungspotenzial hinweisen, in unserer Rolle als Führungskraft, einhergehend mit der Verantwortung für die Unternehmensziele, kommen wir jedoch nicht drumherum, entsprechend vorzugehen. Oder ich kann als Mensch das unerwünschte Verhalten der/des Mitarbeitenden sogar nachvollziehen, darf es in meiner Rolle als Führungskraft jedoch nicht akzeptieren, bzw. tolerieren.

  • In welcher Rolle führe ich das anstehende Gespräch? - Hier gibt es im Unternehmenskontext nur eine richtige Antwort für all jene unter euch, die in Führungsverantwortung sind: Als Führungskraft! Was bedeutet das für das anstehende Gespräch und mich selbst? Was brauche ich um mit eventuellen Ambivalenzen oder Rollenkonflikten Ambivalenzen gut umzugehen?

Schritt zwei: Durchführung

Als Initiator des Gesprächs legt die Führungskraft zunächst das “Wofür” des Gesprächs und ihre/seine Wahrnehmung der zu besprechenden Umstände dar. Das sollte so transparent und ehrlich wie nur möglich geschehen. Auch eigene Zwickmühlen dürfen an dieser Stelle transparent gemacht werden.

Anschließend wird die/der Mitarbeitende dazu eingeladen, die eigene Einschätzung darzulegen. Wie geht es der/dem Mitarbeitenden mit dem “Wofür” des Gesprächs? Welches “Wofür” wäre aus ihrer/seiner Sicht noch wünschenswert? Was brauch sie/er, um dieses Gespräch als unterstützend zu empfinden?

Bezogen auf die konkreten Themen wird die/der Mitarbeitende eingeladen, eine eigene Einschätzung abzugeben um Parallelen oder Unterschiede zur Einschätzung der Führungskraft auszudeuten. Hierbei hat sich die Arbeit mit Skalen von eins bis zehn sehr bewährt. Wichtig: Hierbei geht es NICHT um die objektive Wahrheit, sondern um subjektive Einschätzungen. Hierbei hat subjektiv betrachtet natürlich jede/jeder Recht! Ich kann die Einschätzung der/des Mitarbeitenden aus ihrer/seiner Sicht durchaus respektieren und es trotzdem aus meiner Rolle heraus anders einschätzen.

Bei der Vereinbarung über die nächsten konkreten Schritte ist es hilfreich, auf den sogenannten Mustern des Gelingens der/des Mitarbeitenden, das heißt auf alles das, was bereits wünschenswert läuft, aufzubauen. Zusätzlich zu den konkreten Schritten, die es für die/den Mitarbeitenden zu gehen gilt, ist es hilfreich, eine gemeinsame Resonanzschleife zu vereinbaren. - Wann treffen wir uns wieder um zu schauen ob es in eine gewünschte Richtung geht und ob ich dich in meiner Rolle als Führungskraft zusätzlich unterstützen kann?

Schritt drei: Umgang mit Widerständen

Das Phänomen der Autopoiese lässt grüßen! Denn wie eingangs beschrieben: Egal wie perfekt ich ein solches Gespräch aufbaue entscheidet allein die/der Mitarbeitende, ob sie/er Willens ist, in die gewünschte Richtung zu gehen, oder eben nicht. Für diese Entscheidung ist eine breite Kenntnis aller Fakten von hoher Bedeutung. Das heißt, die/der Mitarbeitende sollte unbedingt wissen, wie ich in meiner Rolle als Führungskraft vorgehen muss, wenn es eben nicht zur gewünschten Entwicklung oder Veränderung kommt.

Sollte der Widerstand seitens der/des Mitarbeitenden spürbar sein, ist es im ersten Schritt wichtig, mit diesem Widerstand respektvoll aber trotzdem zielorientiert anzusprechen. Hier kann es hilfreich sein, in eine Art Metakommunikation zu gehen: “Aus deiner Sicht oder als Mensch kann ich deine Haltung gut verstehen oder nachvollziehen. Ich respektiere deine Sichtweise, die aus deiner Perspektive verständlich ist. In meiner Rolle als Führungskraft, mit der Verantwortung für (…) sehe ich das jedoch anders, oder muss ich folgendermaßen argumentieren: …” Wichtig ist im Rahmen dieser Metakommunikation mit einem sehr klaren Appell zu beschließen: “In meiner Rolle als Führungskraft brauche ich (…) von dir.” Ist der Widerstand nach wie vor spürbar kann ich wie folgt ergänzen: “Wenn ich bis dann und dann allerdings nicht den Eindruck habe, dass ich (…) von dir bekomme, werde ich so und so reagieren müssen, auch wenn ich das eigentlich gar nicht will. Denn in meiner Rolle bleibt mir leider keine andere Alternative. Wie gesagt, ich respektiere, dass du frustriert, wütend, anderer Meinung bist, dennoch brauche ich (…) von dir. Kann ich dich dabei unterstützen? Was brauchst du von mir um (…) zu liefern?” -So oder so ähnlich!

Die Kunst des respektvollen Miteinanders

Im Kontext von Führung und Team-Management ist Hynosystemik, so wie sie Dr. Gunther Schmidt aus den hypnotherapeutischen Ansätzen des großen Milton Erickson entwickelt hat, für mich die Kunst das respektvollen und achtungsvollen Miteinanders. -Im Organisationskontext mit zusätzlichem, starken Fokus auf ein gemeinsames Ziel. Ein respektvolles Miteinander bedeutet jedoch nicht Harmonie und Friede-Freude-Eierkuchen. Ein respektvolles Miteinander bedeutet einen achtungsvollen Umgang mit Unterschieden. Denn in diesen Unterschieden steckt nicht selten das Entwicklungspotenzial einer Organisation. Henry Ford hat einmal gesagt, dass wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung seien, einer von beiden überflüssig sei. Unterschiedliche Einschätzungen und Wahrnehmungen sind das Salz in der Suppe des menschlichen Miteinanders, weil die jeweils andere Perspektive das Potenzial hat, ausgesprochen horizonterweiternd zu sein. In Unternehmen kommen aus meiner Sicht zwei zusätzliche Aspekte zum Tragen, die diese unterschiedliche Wahrnehmung noch etwas spannender machen:

  1. In Unternehmen gibt es ergänzend zu unseren individuellen Zielen auch immer ein höheres, gemeinsames Ziel, das es ausgesprochen gut und deutlich zu kommunizieren gilt. Dieses gemeinsam “Wofür” muss klar sein. Denn im Kontext meines Wirkens innerhalb dieses Unternehmens sollte ich in der Lage sein, meine individuellen Ziele dem großen Ziel anzupassen. Passen meine Ziel so ganz und gar nicht zu diesem Unternehmensziel, oder kann ich mich diesem Ziel aus anderen Gründen nicht anschließen, bin ich gut beraten mich zu fragen, ob ich am für mich richtigen Ort wirke.

  2. In Unternehmen gibt es unterschiedliche Rollen die auch in sehr flachen Hierarchien an unterschiedliche Macht-Niveaus (und damit subjektiv empfundenen Verantwortungs-Niveaus) und unterschiedlich Aufgaben (und damit Interessen und Problemräume) geknüpft sind. Diese unterschiedlichen Rollen bringen uns nicht nur innerhalb einer Hierarchie, sondern auch in der Auseinandersetzung mit den diversen Stakeholdern dazu, nicht als Mensch, der viele Themen gut nachvollziehen und gerne auch mal die berühmten Fünfe grade sein lassen möchte, zu agieren, sondern aus unserer jeweiligen Rolle heraus, im Sinne des Unternehmens. Diese Zwickmühlen gilt es wahrzunehmen und im täglichen Miteinander zu kommunizieren und wertzuschätzen um dann eine gemeinsame Lösung im Interesse des Unternehmens zu finden. In einer komplexen Welt brauchen erfolgreiche Unternehmen unterschiedliche Perspektiven die in einer achtungsvollen Diskussionskultur aufeinandertreffen.

Wo geratet ihr regelmäßig in diese Zwickmühlen und wie geht ihr für gewöhnlich damit um? Und vor allem, wie geht es euch mit diesen Feedback-Gesprächen? Wie gebt ihr Feedback und was braucht ihr um Feedback anzunehmen? Ich bin sehr gespannt auf Rückmeldungen zum Thema eurerseits.

Habt einen schönen, hoffentlich nicht zu regnerischen Sonntag.

Eure Constance

Führung leicht gemacht

Lösungen gemeinsam erarbeiten

Sinn und Sinnlosigkeit von Zielen und die Suche nach Bedeutung in einer volatilen Welt

Denn nichts ist so Gewiss wie die Ungewissheit

Wir leben in einer geradezu obszön zielorientierten Zeit. Alles braucht Ziele, persönliche Ziele, Unternehmensziele, Jahresziele, ESG-Ziele, CO2-Ziele,Kriegsziele, Friedensziele... Und natürlich müssen diese Ziele auch alle messbar, um nicht zu sagen SMART sein. Dabei frage ich mich wieder und wieder, wie nachhaltig und erreichbar diese festen Ziele in einer Zeit sind, die vor allem durch ihre Volatilität, ihre Dynamik und Unberechenbarkeit hervorsticht. Das frage ich mich nicht nur, weil ich kurz vor meinem eigenen Mid-Year-Review stehe und ich eines meiner sechs gesetzten Jahresziele in meinem Hauptberuf als Consultant wohl gnadenlos revidieren muss, da sich die Welt seitdem ich meine Ziele vor gut drei Monaten festgelegt habe, gehörig weitergedreht hat. Welchen Sinn haben langfristige Ziele in einer Zeit in der nichts so sicher ist, wie die stetige Veränderung?

Von den Polynesiern lernen

Mit Nichten behaupte ich, dass Ziele keinen höheren Zweck erfüllen. Allerdings kann dieser Zweck in einer dynamischen Umwelt eben nicht sein, die gesetzten Ziele auf Gedeih und Verderb zu erreichen. Vielmehr ist der Zweck von Zielen in einer so volatilen Umwelt aus meiner Sicht in erster Linie in Bewegung zu kommen. -Nicht mehr aber auch vor allem nicht weniger. Auf diese Art und Weise ist es den frühen polynesischen Seefahrern gelungen, sich quasi den gesamten Pazifik zu erschließen. Und der ist ganz schön groß.

In Zeiten, in denen Navigationssysteme bestenfalls die Sterne über uns waren, konnten diese mutigen Seefahrer nicht wissen, dass sie, wenn sie dort und dort lang segelten, irgendwann in Hawaii rauskämen. Trotzdem sind sie einfach losgesegelt. Dabei haben sie sich natürlich ein Ziel gegeben, eine Richtung. Während sie also in Richtung ihres zunächst gesetzten Zieles unterwegs waren, haben sie permanent geprüft ob die Richtung noch immer stimmte, oder ob sie diese ändern müssen. Hierbei zogen die alten Polynesier neben den Sternen unter anderem auch Fischschwärme, Strömungen und Wetterphänomene zu Rat und hatten keine Angst davor, die Richtung zu ändern, wann immer die Parameter ein entsprechendes Indiz darstellten. So ging es im Zickzack durch den Pazifik, den dieses kleine Inselvolk Schritt für Schritt erobert hat. Wer neue Welten entdecken möchte, der muss offensichtlich in der Lage sein, die Richtung zu wechseln.

Und apropos Segeln und neue Welten entdecken: Christoph Columbus hat sein ursprüngliches Ziel, Indien, unendlich weit verfehlt und ist dank dieser Verfehlung in die Geschichtsbücher eingegangen. Was wiederum bedeutet, dass gerade ein nicht erreichtes Ziel die Welt nachhaltig verändern kann. Denn wäre er ohne das Ziel Indien vor Augen losgesegelt? Wohl kaum!

Viktor Frankl und der Sinn hinter den Zielen

Ziele an sich seien sinnlos hat dieser österreichischer Neurologe und Psychiater in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts selbstbewusst in die Welt hinausgerufen und damit die Disziplinen der Existenzanalyse und Logotherapie, also der Therapie durch Sinn, begründet. Erst das “Wofür” des Ziels schafft seinen Wert und somit Motivation. Einfach mal so rechtsherum nach Indien segeln war wahrscheinlich nicht Columbus’ primärer Antrieb. Vielmehr wollte er wahrscheinlich Handel vereinfachen um leichter und besser leben zu können. Und vielleicht wollte er als Pionier neues entdecken und hat sich dafür entschieden, ausgetretene Pfade zu verlassen. Denn dort ist ja zu meist schon alles entdeckt.

Welchen Sinn haben also feste Jahresziele für Organisationen und vor allem für deren Mitarbeitende? Gefühlt ist die Dynamik unserer Zeit so groß, dass ein Jahresplan schon wie Planwirtschaft im sozialistischen Sinne anmutet. Als ich meine diesjährigen Ziele im Februar formuliert und mit meiner Chefin besprochen habe, war ich zumindest bei zwei meiner Ziele so frei direkt anzukündigen, dass wir uns Mitte des Jahres anschauen müssten, ob diese Ziele wirklich sinnvoll und für ein ganzes Jahr tragbar sind. Polynesisches Segeln also. Mit Blick auf eines der beiden Zielen kann ich jetzt schon sagen, dass alle Fischschwärme, die Sterne und diverse Wetterphänomene sehr deutlich darauf hinweisen, unbedingt eine neue Richtung einzuschlagen. Dieses Ziel endet nach momentanen Kenntnisstand irgendwo im nirgendwo. Für die Polynesier hätte so etwas wahrscheinlich den Tod auf hoher See bedeutet. In modernen Organisationen sind die Auswirkungen, die es hat auf ein leeres, nicht hilfreiches oder kontraproduktives Ziel hinzuarbeiten nicht so unmittelbar katastrophal. Sinnvoll ist es dennoch nicht! Zum Glück gibt es inzwischen in vielen Organisationen die Möglichkeit, Ziele zur Jahresmitte noch einmal zu schärfen oder zu revidieren, um der extremen Dynamik unserer Zeit Rechnung zu tragen.

Wofür braucht es sie dann, diese Art von Zielen? Fragt ihr eine Seite von mir, sagt diese euch ganz klar für nichts! Ich arbeite ohnehin so, dass es dem Wohlergehen meiner Organisation dienlich ist. -Zum einen, weil ich eine hohe intrinsische Motivation habe im positivsten Sinne produktiv zu sein, zum anderen aber auch, weil mein Gehalt und somit meine wirtschaftliche Existenz zu einem großen Teil vom Wohlergehen dieser Organisation abhängt. Ich brauche keine Karotte vor der Nase, ganz so wie ein Eselchen, das den Karren ziehen soll. Fragt ihr eine andere Seite in mit versteht diese natürlich auch das Bedürfnis einer Organisation die individuellen Leistungen der Mitarbeitenden messbar zu machen. Und natürlich ist es in einer Organisation immer hilfreich, wenn alle Beteiligten in eine Richtung ziehen. Wenn man entscheidet, diese Richtung über gemeinsame und abgestimmte Ziele zu geben, ist aus meiner Sicht dagegen erst einmal nichts einzuwenden. Nun folgt jedoch das große Aber: Hierbei ist es aus meiner Sicht unendlich wichtig, Ziele oder Richtungen auch wieder loszulassen und zu revidieren. Denn nur so gelingt es wirklich neue Welten zu entdecken, zu wachsen, sich erfolgreich weiterzuentwickeln. Leider erlebe ich es in ganz unterschiedlichen Kontexten noch immer zu häufig, dass der Mut, einmal gesetzte Ziele loszulassen oder zu revidieren fehlt. Damit fehlt dann auch diejenige Fehlerkultur, die wirkliches Wachstum und wirkliche Entwicklung erst ermöglicht. Was kann ein solches Verhalten im Organisationskontext bedeuten? Es wird nicht nur auf einen lahmen Esel gesetzt. Vielmehr ist es dann sogar so, dass alle Ressourcen in diesen lahmen Esel gesteckt werden und die anderen heißblütigen Rennpferde mit Potenzial verhungern am ausgestreckten Arm der Priorisierung. Natürlich bekommen das dann auch irgendwann alle Beteiligten mit und spätestens an dieser Stelle verliert das alte Ziel aus deren Sicht an Sinn und sie somit auch an Motivation und der arme lahme Esel wird nur noch halbherzig gepflegt. -Gerade so intensiv, dass man stets behaupten kann, man agiere der vorgegebenen Priorisierung folgend… Er fällt nicht um, aber rennen ist auch nicht mehr drin!

Was braucht der polynesische Segler?

Was braucht es also nun, beruflich und privat, um in einer dynamischen Welt die Segel stetig neu zu setzen ohne daran zu verzweifeln?

Zunächst muss ich wissen, wer ich bin. Wenn es keinen Kompass im Außen gibt, navigiere ich nach meinem inneren Kompass. Kenne ich meine Werte, meinen eigenen tiefen Sinn und meine damit verbundenen höheren Ziele, weiß ich intuitiv in welche Richtung ich (weiter)gehe. Sie sind mir vielleicht das, was den alten Polynesiern die Fischschwärme, Meeresströmungen, Sterne und Wetterphänomene waren, an denen sie im scheinbar endlosen Ozean Orientierung und Richtung finden konnten.

Im zweiten Schritt ist es hilfreich mir bewusst zu sein auf welche Fähigkeiten und Ressourcen ich zurückgreifen kann. -Zunächst in mir selbst. Häufig wissen Menschen recht gut was ihnen fehlt, was sie nicht können, wo sie eigenen Defizite sehen. Die wenigsten führen sich regelmäßig vor Augen, was sie können und auf welche Ressourcen sie sich tief in sich selbst verlassen können.

Habe ich diese inneren Ressourcen geklärt, richte ich meinen Blick ins Außen um zu sehen welche sozialen Unterstützungsnetzwerke es gibt, die ich nutzen kann oder deren Teil ich bin. Die Polynesier sind auch nicht allein, sondern in einer Gruppe losgesegelt.

Ist auch das geklärt, schaue ich mir an welche unterschiedlichen Ziele ich mit allen vorhandenen Ressourcen im Innen wie im Außen erreichen kann und welches dieser Ziel am Ende am meisten Sinn ergibt. Denn das als am sinnvollsten empfundene Ziel ist immer auch das, das die größte Motivation auslöst.

Diese vier Ebenen funktionieren aus meiner Sicht nicht nur für Individuen, beruflich wie privat, sondern auch für ganze Teams oder Organisationen, da sie für mich diese sagenumwobenen Change Kompetenzen unserer Zeit darstellen.

In diesem Sinne möchte ich euch ermutigen einfach loszusegeln. Habt keine Angst, ein falsches Ziel zu setzen, da es nichts gibt, das euch zwingt daran festzuhalten. Und wenn ihr nach Indien wollt, dabei aber aus Versehen eine neue Welt entdeckt, ist das doch vielleicht auch kein Drama. Der große Vaclav Haven hat einmal gesagt: “ Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.”

Ich wünsche euch ein wunderbar sinnvolles Pfingstwochenende.

Eure Constance

Segel setzen und erst einmal los

Nicht nur dem Ziel, sondern auch der Sinnhaftigkeit entgegen…

Der Glasklippen-Effekt: Über Frauen und Machtpositionen

Die Feministin in mir

Wahrscheinlich gibt es offensichtliche, auf der Hand liegende biologische Ursachen dafür, dass mich als Frau Themen rund um Frauen in Führungspositionen häufig deutlich emotionaler beschäftigen, als Themen rund um Männer in Führungspositionen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Frauen besonders in Senior-Management Positionen in meiner Wahrnehmung noch immer eine eher seltenere Erscheinung sind und meine Faszination für Raritäten einfach größer ist als für den subjektiv empfundenen Standard. Keine Ahnung… Ich weiß noch genau als ich damals in meiner Zeit als Stewardess mit Anfang zwanzig zum ersten Mal mit einer Kapitänin geflogen bin. Sie war nicht besonders nett, aber ich war tief beeindruckt. In den letzten 25 Jahren hat sich zum Glück nicht nur in der Luftfahrt Einiges getan und ja, diese unsichtbare Decke aus Glas, die Frauen wie von Geisterhand von einer bestimmten Ebene trennt, ist deutlich durchlässiger geworden, nicht nur in Flugzeugen. Ist diese gläserne Decke für Frauen ebenso durchlässig wie für Männer? Gefühlt nicht. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und heute möchte ich darauf nicht eingehen. Zumal es dazu so viele Studien und so viele Meinungen gibt, dass ich nichts wirklich Neues zu berichten wüsste.

Vor einer guten Woche habe ich versucht meine Perspektive zum Thema zu wechseln und mir ganz genau anzuschauen aus welchen Gründen und in welchen Rahmenbedingungen es Frauen eben doch gelingt diese gläserne Decke zu durchbrechen und in Macht- oder Verantwortungspositionen zu gelangen. Ich habe versucht die Thematik ressourcenorientiert zu betrachten. Eigentlich wollte ich mir einmal mehr eine Haltung zum Thema Frauenquoten erarbeiten, da ich an dieser Stelle hin und her gerissen bin. Während meiner Recherchen bin ich jedoch auf eine Thematik gestoßen, die mir so vorher noch nicht begegnet ist. Genau diese Thematik möchte ich an diesem sonnigen Wochenende mit euch teilen.

Durch die Glasdecke der Macht geschossen um direkt über die gläserne Klippe zu springen?

Im Jahr 2005 waren es Michelle Ryan und Alexander Haslam von der University of Exter, die erstmals den Begriff der “Glass Cliff”, also der gläsernen Klippe in die Welt getragen haben. Ihren Forschungen zu Folge wartet auf Frauen, denen es erfolgreich gelungen ist, die gläserne Decke hin zu Führungspositionen zu durchbrechen überdurchschnittlich häufig einer Art gläserne Klippe über die man sie schließlich springen lässt. Die Forschungsergebnisse der beiden Wissenschaftler*innen zeigten eindeutig, dass Frauen eher in Führungspositionen gehoben werden, wenn das Unternehmen oder der Unternehmensbereich in einer schwierigen, unklaren, herausfordernden oder gar prekären Situation ist.

Die Erklärungsansätze für diesen Umstand sind mannigfaltig und leider nicht so schmeichelhaft wie: Frauen sind besonders gute Krisenmanagerinnen! Ein Ansatz hat mich sogar so sehr empört, dass ich für den Moment der Meinung bin, dass wir unbedingt Frauenquoten brauchen um diesen wie ich finde toxischen Geschlechterautomatismus zu durchbrechen. Ich habe euch mal drei unterschiedliche Erklärungsansätze mitgebracht. Wahrscheinlich lassen sich die Ergebnisse dieser Studie durch eine Mischung aller drei und sicher noch einiger anderer Faktoren erklären.

Ein Erklärungsansatz, den ich auch selbst spontan im Kopf hatte, lieferten Christy Glass und Ali Cook von der Utha State University. Die beiden beschrieben, dass Frauen und andere Minderheiten riskante Jobangebote häufig als einzige Möglichkeit sehen um sich weiterzuentwickeln. Je unattraktiver der Job, desto geringer die (männliche) Konkurrenz. Was mich ein wenig getroffen hat, ist, dass die beiden Damen von Frauen als Minderheiten gesprochen haben. Ich weiß sicher wie es gemeint war. Aber mal ehrlich Ladies, wir machen etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Wir sind keine Minderheit! Und meine Herren, einige von euch würden sicher recht sparsam dreinschauen, wären wir Frauen tatsächlich eine Minderheit…

Einen zweiten Erklärungsansatz lieferte Alexander Haslam selbst. Für ihn ist einer der Gründe, weshalb Frauen eher als Männer bereit sind eine Glass-Cliff-Position zu akzeptieren, der, dass Frauen häufig keinen Zugang zu qualitativ hochwertiger Information und Unterstützung haben, die Führungskräfte normalerweise davor warnt, bestimmte Positionen anzunehmen. Frauen mangelt es laut Haslam häufig an einem entsprechenden Netzwerk und an hochkarätigen Unterstützern (hier habe ich mal bewusst aufs gendern verzichtet!).

Der dritte Erklärungsansatz hat es aus meiner Sicht in sich. Mir persönlich ging beim Lesen der Puls nach oben. Ich gestehe er hat mich richtig wütenden gemacht. Also Vorsicht beim Weiterlesen.

Die an der an der Universität von Houston lehrende Psychologieprofessorin Kristin J. Anderson beschreibt, dass Unternehmen Glass-Cliff-Positionen gerne an die Frau bringen, weil diese Unternehmen Frauen als “verbrauchbarere und bessere Sündenböcke” betrachten. Die Logik dahinter ist laut Anderson folgende: Ist die Frau wider Erwarten dann doch erfolgreich, ist das Unternehmen besser dran. Also alles fein. Scheitert die Frau, kann man ihr die Schuld geben und sich gleichzeitig dafür feiern lassen, wie geschlechtergerecht und fortschrittlich man ist, weil man einer Frau eine Chance gegeben hat. Und nachdem die Frau dann als Sündenbock entfernt wurde, könne man laut Anderson wieder zur alten Praxis zurückkehren und einen Mann benennen.

Meinen inneren Kriegspfad sinnvoll kanalisieren

Puh, da war ich aber angefressen. Mein kleine innere Emanze befand sich bereits wütend auf dem Kriegspfad. Besonders weil es kein Thema von 2005 ist. Klar könnte man meinen, die Studie sei im wissenschaftlichen Sinne uralt und die Welt habe sich weitergedreht. Ich bin auf die Thematik über einen sehr aktuellen Artikel von Michelle Ryan in der Financial Times aufmerksam geworden, in dem Ryan klar und deutlich darlegt, dass die Glasklippe für Frauen heute, das heißt 2024, so aktuell ist, wie sie es 2005 war.

So marschiert meine kleine innere Emanze also weiter und weiter und ärgert sich über all die Unternehmen, die es vielleicht sogar immer und immer wieder mit Frauenquoten versuchen und denen es jedoch trotz größter Bemühung einfach nicht gelingen will eine qualifizierte Dame für den Posten zu finden. Arme Unternehmen! Vorständinnen fallen eben nicht vom Himmel und wenn es auf der nicht medienwirksam vermarktbaren Ebene gläserne Decken und gläserne Klippen für Frauen gibt, die sich nebenbei noch mit Thematiken wie der Gender Care Gap auseinandersetzen müssen und mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit auch noch schlechter bezahlt werden, als ihre männlichen Kollegen, dann haben wir ein Thema, das so viel größer ist, als ein Quote. Aber vielleicht dient eine Quote als kleiner Türöffner. Denn eines sind Frauen, die wie gesagt keine Minderheit sind, sicher nicht: Schlechter!

In diesem Sinne wünsche ich euch allen, Männer und Frauen, einen sonnigen Sonntag. Lasst mich gerne wissen, wie ihr dieses Thema im eigenen täglichen Erleben wahrnehmt und ob ihr dieses Phänomen der Glasklippe bereits kanntet und wie ihr dazu steht. Vielleicht habt ihr ja noch andere Erklärungsansätzen? Oder vielleicht kennt ihr Beispiele aus dem eigenen Erleben?

Eure Constance

Glasklippe?

Wenn schon Klippen, dann klar erkennbar, damit man sie auch erfolgreich umschiffen kann…