Unternehmenskultur

Und Schuld sind doch nicht immer die Eltern! - Glaubenssätze die Zweite und der wahnsinnige Zwang Menschen in Schubladen stecken zu müssen...

Du bist… -Und Ende der Geschichte!

Bereits vor vier Wochen, am Muttertag, habe ich mich an dieser Stelle mit Glaubenssätzen auseinandergesetzt. -Glaubenssätze: diese tief verankerten Annahmen, die wir Menschen über die Welt, die anderen, vor allem aber auch über uns selbst haben. Oft sind uns diese starken inneren Überzeugungen noch nicht einmal voll umfänglich bewusst und trotzdem, oder gerade deshalb, haben sie die Macht unsere Selbstsicht maßgeblich zu steuern. Das kann ein Geschenk sein, wenn ich Pippi Langstrumpf bin und unerschütterlich und aus tiefster Überzeugung fest daran glaube, alles erreichen zu können. “Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!”, erklärte Pippi damals inbrünstig. Leider bin ich nicht Pippi sondern Constance und habe mich viele Jahre mit eher weniger hilfreichen Glaubenssätzen durchs Leben geschlagen.

“Du bist nicht gut genug.” “Eigentlich wirst du auch nie gut genug sein!” “IT verstehst du eh nicht, weil du technisch eine echte Niete bist!” “Du bist eher ein Distanz-Typ.” “Distanz-Typen wird häufig nicht so richtig vertraut.” “Deine Größe macht dich unnahbar.” “Du bist eine komplizierte Frau, jedenfalls bist du nicht einfach im Umgang.” “Ab 40 geht es langsam bergab!”

Ich könnte die Liste meiner inneren Gemeinheiten gegen mich selbst beliebig fortsetzen. Und natürlich muss die Frage erlaubt sein, warum ich diese Glaubenssätze hatte oder habe und Pippi Langstrumpf ganz andere. Ja, Pippis Papa Efraim, der Piratenkönig, hat sicher einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, ein starkes junges Mädchen aus ihr zu machen, bevor er mit der Hoppetosse in die Südsee aufgebrochen ist. Allerdings hat mein Papa auch einen guten Job gemacht. Vielleicht hatte Pippi einfach Glück nicht in die Schule zu müssen, wo sie nicht gnadenlos nach einer einheitlichen Skala kategorisiert wurde und ihr nicht erklärt wurde, dass sie Mathe eben einfach nicht könne, was ja für ein Mädchen auch nicht ungewöhnlich sei. Sie hatte in der Oberstufe auch keinen Physiklehrer, der ihr und ihren Freundinnen erklärte, dass sie ja immerhin noch Frisösen werden könnten, wenn sie das nicht verstünden. Ihr wurde auch nie erklärt, dass aus ihr nichts werden würde, weil sie sich nicht anpassen könne und sie ohnehin viel zu (vor-) laut sei. Sie wurde auch nie dafür getadelt, dass einige ihrer Aussagen eher emotional als rational begründbar sein. Und Emotion ist natürlich schlecht.

Nein, nicht an allen unseren toxischen Glaubenssätzen sind unsere Eltern schuld. Und wer glaubt, nach der Schule würden sich die Dinge signifikant ändern, der hat recht. Es wird noch viel, viel engstirniger. Die Kategorien, in die wir gesteckt werden, werden immer enger gefasst und haben am Ende vielleicht sogar die Macht uns das zu nehmen, was in einer komplexen und dynamischen Welt wohl das wertvollste Gut ist: Unsere Fähigkeit uns stetig und grenzenlos weiterzuentwickeln. Man spricht von sogenannter Neuroplastizität und meint damit, dass unser Hirn und damit auch unsere Persönlichkeit nie aufhört zu wachsen, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln, wenn wir es einfach nur erlauben, oder wenn wir daran glauben, dass wir grenzenlos sind.

Komisch, rückblickend war mein Papa der Einzige, der mir immer und immer wieder erklärt hat, dass ich alles erreichen kann, was ich will, dass ich grenzenlos bin. Leider habe ich irgendwann aufgehört ihm zu glauben. Diese anderen Stimmen waren zu viele und zu laut. Liebe Grüße ins Taka-Tuka-Land und sorry Papa, dass ich dir nicht bedingungsloser geglaubt habe. Du hattest so recht.

Und dann kommt HR und gibt uns den Rest!

So trudelte ich also durch mein Leben direkt ins Zeitalter der Persönlichkeitstests: DISC, Myers-Briggs, LIFO, 16 Personalities und wie sie alle heißen. Das Schöne war, ich musste mir keine Gedanken mehr darüber machen, wer ich bin. Das wurde mir in einer kurzen Zusammenfassung feierlich schriftlich überreicht. Wie schön, dass man in Organisationen an Hand dieser Typisierungen fortan Teams zusammenstellen kann, Führungskräfte darauf vorbereiten kann, wie sie bestmöglich mit Typ A oder B umgehen, man weiß vorher mit wem man sich gut verstehen würde und bei wem Konflikte vorprogrammiert sind… Alles so einfach! -Und ich habe ihnen allen geglaubt, mehr als meinem Papa. Es handelt sich ja immerhin um angewandte Wissenschaft! So saß ich also fest in meiner Kategorie, in meiner inneren Überzeugungen über mich selbst und die Welt. Das Schöne war, ich hatte massiv viel Klarheit über mich, der Nachteil war, ich habe mich mit dem zufriedengegeben was war. So war ich eben. Ende der Geschichte!

Fun-Fact am Rande: Im Privatleben geht es direkt weiter. Selbst bei Tinder wird typisiert was das Zeug hält, damit man ganz einfach sein perfektes Match finden kann.

Ich weiß nicht wie er wieder an die Oberfläche gespült wurde, aber irgendwann war dieser verloren gegangene Glaube daran, dass ich grenzenlos bin, alles erreichen kann, alles lernen kann, was ich nur möchte, wieder da. -Ganz, ganz leise und zaghaft flüsternd irgendwo ganz hinten in meinem Kopf und in meinem Herzen versteckt wurde er irgendwann immer lauter und eines Tages hat er mich angeschrien, bis ich angefangen habe es zu glauben. Und plötzlich, mit Anfang 40 hat sich mir die Welt noch einmal ganz neu geöffnet. Vor mir lagen Träume, Möglichkeiten, Chance in Hülle und Fülle. Ich bin einfach aus meiner vorgesehenen Kategorie gesprungen! Unerhört eigentlich.

Zuschreibungen auf Identitätseben

“Zuschreibungen auf Identitätsebene” hat eine meiner Mentorinnen es immer genannt, wenn Menschen glaubten sagen zu können wie ein anderer Mensch ist, oder wie eben nicht. Zurecht hat sie darauf ziemlich allergisch reagiert. Niemand von uns, auch nicht der bester Persönlichkeitstest dieser Welt, ist in der Lage die menschliche Persönlichkeit allumfassend zu greifen, wahrzunehmen, zu verstehen. Alles das, was das Leben uns serviert sind kontextgebundene Momentaufnahmen unserer Mitmenschen. Und plötzlich kommt eine Instanz daher, nimmt diese kontextgebundene Momentaufnahme und macht sie zu unserer Persönlichkeit, zu unserer Identität, an die wir beginnen zu glauben. So bin ich also! Damit wird nicht nur ein großer Teil meines Ichs unterschlagen. Zusätzlich wird mir gefühlt die Möglichkeit und die Notwendigkeit genommen, mich weiterzuentwickeln. So bin ich eben: gut oder schlecht, erfolgreich oder eine Verliererin, kalt oder emotional, sensibel oder ausgeglichen, ernst oder fröhlich… Ich habe Jahre gebraucht um wirklich davon überzeugt zu sein, dass ich alles sein kann, wenn ich möchte sogar gleichzeitig!

Coaching und Persönlichkeitstests

Grundsätzlich finde ich all diese Persönlichkeitstest gar nicht schlecht. Bitte nicht falsch verstehen. Ihre Nutzung im organisationalen Kontext finde ich häufig nicht hilfreich, ehrlich gesagt sogar falsch! Ich selbst arbeite zum Beispiel immer wieder und sehr erfolgreich mit der Riemann-Thomann-Matrix. Allerdings nutze ich diese Matrix nicht um Menschen aufzuzeigen wie sie sind, sondern um sie dabei zu unterstützen, sich ihren möglichen Entwicklungsraum zu erschließen. Ich zeige ihnen, wie sie außerdem noch sein können.

Riemanns “Grundformen der Angst” sind für mich so etwas wie das “Urkonstrukt” vieler Typisierungen. Fritz Riemann ging es darum psychische Erkrankungen zu verstehen. Er kam zu dem Schluss, dass Menschen, die eine der vier Grundängste (Angst vor Nähe, vor Distanz, vor Dauer und vor Veränderung) ausschließlich und im Extrem empfinden, psychische Erkrankungen entwickeln, die er diesen Ängsten zuordnen konnte. Als Coach arbeite ich nicht diagnostisch. Schaut man sich diese Theorie jedoch ressourcenorientiert an, lässt sich daraus Schlussfolgern, dass der gesunde emotional Zustand das Gefühl der Zerrissenheit zwischen der Angst vor zu viel Nähe und zu viel Distanz und der Angst vor zu viel Dauer und zu viel Veränderung ist. Das heißt, alles ist bereits in uns angelegt, alles ist da und es liegt an uns alles das zu nutzen, bewusst, um vielseitige Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des eigenen Reaktionsrepertoires zu haben.

In meinen Workshops und Coachings nutze ich die Riemann-Thomann-Matrix sehr gerne in Kombination mit den Führungskulturstilen aus dem Harvard Business Review um meinen Coachees oder Teilnehmenden dabei zu helfen, sich im Moment zu orientieren. Zu verstehen, wo ich mich gerade befinde ist wichtig um bewusst und zielgerichtet dorthin zu gehen, wo ich hinmöchte. Ich nutze diese Typisierungen nicht um zu kategorisieren und damit Grenzen zu ziehen, sondern um Räume zu öffnen. Wir sind grenzenlos und alles ist möglich! Ich selbst musste 40 werden, um dieses Satz nicht nur zu verstehen, sondern auch wirklich tief in mir zu glauben und ich stelle mir manchmal vor wie es gewesen wäre, wenn dieser Glaube schon zehn, zwanzig Jahre früher eingetreten wäre, bzw. wenn ich ihn nie verloren hätte. So ist es mir zu einer Art inneren Mission geworden, Menschen dabei zu unterstützen, frei zu sein, frei zu denken, die Kategorien die ihnen zugeschrieben werden, oder die sie sich selbst zuschreiben, abzuschütteln. Und natürlich glaube ich ganz fest daran, dass es irgendwann auch möglich sein wird, dass große Organisationen, von Kindergärten über Schulen und Unis hin zu Konzernen und Unternehmen eines Tages verstehen werden, dass es nicht darum geht, Menschen zu kategorisieren, sondern ihnen zu zeigen, dass sie grenzenlos sind. Ich bin in der Vergangenheit so unendlich viel gereist. Man darf sagen ich habe die Welt gesehen. Die einzigen Grenzen, die ich dabei ausmachen konnte, waren alle ausnahmslos von Menschhand geschaffen. Das gilt, so denke ich, auch für die inneren Grenzen. Somit möchte ich meinen Blog in dieser Woche mit einem Zitat beenden, das schon über 700 Jahre alt ist und aktueller nicht sein könnte. Irgendwann um 1270 notierte ein gewisser Meister Eckhart, seines Zeichens Philosoph und Theologe, folgenden Satz:

“Wir selbst sind die Ursache aller unserer Hindernisse.”

Glaubt nicht alles was man euch sagt oder zuschreibt. Glaubt vielleicht noch nicht einmal alles was ihr selbst denkt oder glaubt!

Eure Constance

Rein in die Schublade und am Besten zuschließen

So ist sie eben! -Ende der Geschichte.

Tag der Arbeit und der ewige Traum einer besseren Welt

Alle Jahre wieder - 1. Mai

Morgen ist 1. Mai, Tag der Arbeit und dem Himmel sei Dank, ich habe frei! Ausgerechnet am Tag der Arbeit wird in Deutschland nicht gearbeitet. Genau mein Humor! Seinen Ursprung hat dieser Feiertag übrigens in den USA. Dort haben am 1. Mai 1886 etwa 400.000 Arbeiter in mehreren Städten für die Einführung des Acht-Stunden-Tages gestreikt. So gesehen sollte ich für diesen freien Montag nicht dem Himmel, sondern den mutigen Arbeitern danken, die den 1. Mai in vielen Ländern zum Feiertag der Arbeiterbewegung gemacht haben. Interessant, wie weit sie zurück geht, die Beschäftigung mit Rahmenbedingungen für Arbeit. Aber was ist Arbeit überhaupt? In der Physik ist Arbeit die Energiemenge, die bei einem Vorgang umgesetzt wird. Für Volkswirte ist Arbeit einer der Produktionsfaktoren, während in der Betriebswirtschaftslehre plan- und zweckmäßige, innerbetriebliche Tätigkeiten von Arbeitspersonen als Arbeit bezeichnet werden. Die Sozialwissenschaften haben eine andere Herangehensweise. Hier ist Arbeit die zielbewusste, durch Institutionen begründete menschliche Tätigkeit und die Philosophie geht sogar noch einen Schritt weiter und beschreibt Arbeit als einen Prozess der bewussten schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen.

Auch an dieser Stelle wird mir einmal mehr klar, dass ich weder Physikerin, noch Betriebs- oder Volkswirtin bin. Bei mir geht es um Ziel, Interaktion, Kreativität, Schöpfung, Purpose. Allerdings muss ich zugeben, dass mir die Definition der Physik durchaus gefällt. Arbeit ist etwas Energetisches, etwas Kraftvolles, etwas Aktives. Ich finde das passt gut als grober Rahmen. Denn seit diesem 1. Mai 1886 hat sich in der Wahrnehmung von Arbeit einiges verändert. Die klassischen Arbeiter, die aus körperlicher Arbeit heraus etwas kreieren, etwas produzieren, werden immer weniger. Und auch das gesellschaftliche Ansehen von klassischer Arbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Geistige und kreative Arbeit ist allgegenwertig und es gibt Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass es in unserer Welt nichts Produktiveres gibt, als das Kapital, das diejenigen, die darüber verfügen, für sich arbeiten lassen. Ja, es hat sich so einiges getan seit 1886. Was sich jedoch nicht verändert hat, ist die Frage nach den Arbeitsbedingungen und der Rolle des Manschens in der Wertschöpfungskette.

Resilienz und Vulnerabilität

Während sich 1886 Überarbeitung und Ausbeutung vor allem körperlich bemerkbar gemacht haben, ist das Bild von Überarbeitung und deren Auswirkungen anno 2023 deutlich abstrakter geworden. Seit Jahren nimmt der Anteil an Krankmeldungen aus psychischen Gründen stetig zu und doch sind Burnout, Depressionen und Co. gefühlt noch immer ein Tabuthema. Während ich Menschen beobachtet habe, die fast schon etwas stolz davon erzählten, wie sie sich im Skiurlaub den Oberschenkel zertrümmert habe, wie sie von der Bergrettung ausgeflogen wurden und wie viele Nägel und Platten und anderes Metall sie nun in ihrem Bein haben, habe ich auch Menschen getroffen, die ihre seelische Erkrankung versucht haben, bestmöglich zu verheimlichen, weil sie sich für ihr Burnout schämten. Sie schämten sich, weil sie sich im Job komplett überlastet haben! Alles für den Arbeitgeber und dann ab in die Klinik. Seelen brechen wie Oberschenkelhälse, wenn sie überlastet werden. Beide brauchen Zeit zum heilen und wahrscheinlich sind all jene , die sich bei dieser oder jener Tätigkeit einen Knochen gebrochen haben danach etwas vorsichtiger. Aber sind wir das auch im Job, wenn unsere Seele uns die gelbe oder rote Karte zeigt? Ich kenne Menschen die einen, zwei, drei stressbedingte Hörstürze hatten und einfach weiter gemacht haben, weil sie selbst oder andere es von ihnen erwartet haben. So wie die Arbeiter 1886 dafür gekämpft haben, die körperlichen Belastungen ihrer Arbeit auf ein akzeptables Maß zu reduzieren, so beginnt momentan zaghaft der schon längst überfällige Kampf der modernen Arbeiterschaft für emotional akzeptable Rahmenbedingungen. Denn auch ein “Bandscheibenvorfall der Seele” ist durch kein Gehalt der Welt gerechtfertigt.

Die dunkle Seite von Agilität und New Work

Wie kann es nun also sein, dass wir Unternehmen verändern, agil transformieren, Menschen mehr Gestaltungsraum schenken, mehr Eigenverantwortung und mehr Autonomie und Menschen werden offensichtlich vor genau diesem Hintergrund emotional immer stärker belastet? Wie um alles in der Welt kann mehr Freiraum und mehr Autonomie zu mehr Burnouts führen? Warum gelingt es diesen ach so freien Menschen nicht, besser auf sich zu achten? Ist der Mensch vielleicht doch nicht reif für New Work? Alles absolut berechtigte Fragen.

Zum Tag der Arbeit habe ich mir wieder einmal Frederic Lalouxs Buch “Reinventing Organizations” hervorgeholt. -Meine Bibel einer besseren Welt. Seitdem das Buch vor guten sieben Jahren auf den Markt kam, haben mehr und mehr Unternehmen die (agile) Transformation gewagt, haben ihre Arbeitsmodelle hinterfragt, verändert, Entscheidungsfindungsprozesse dezentralisiert und ihren Mitarbeitenden mehr Freiraum geschenkt. Was jedoch augenscheinlich nicht hinterher kommt ist der tatsächliche kulturelle Wandel. Die Idee der New Work auch so wie sie Laloux beschreibt, setzt ein bestimmtes Menschenbild als Basis für funktionierende „New Work-Strukturen” voraus.

New Work, Agilität und Co. gehen von leistungsbereiten, engagierten, eigenmotivierten Menschen aus. Sie gehen davon aus, dass Menschen den Raum ausfüllen, der ihnen gegeben wird, aus Überzeugung und Eigenmotivation. Die “alte Welt” ging eher davon aus, dass Menschen von außen motiviert werden müssen, wechselwirksam mit Druck und Anreizen. Der Chef sollte am besten hinterm Esel stehen, ihn mit der Peitsche antreiben und gleichzeitig mit einer Angel die Karotte vor die Nase halten, damit er möglichst schnell und weit läuft. Ohne Motivation von außen keine Bewegung. Dass der Esel laufen könnte, weil er Spaß am Laufen hat oder Sinn im Laufen sieht oder gar gerne mit dem Kutscher zusammenarbeitet weil er ihm vertraut, war undenkbar.

Agilität als Burnout-Falle

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich finde mich eindeutig in Lalouxs Menschenbild wieder und auch die allermeisten Menschen die ich beruflich und privat erleben, erlebe ich als ausgesprochen eigenmotiviert. -Eigentlich genau die richtigen Menschen für diese modernen neuen Arbeitsmodelle! Aber was passiert mit diesen Menschen, wenn ihr neues Arbeitsmodell in der Kultur und dem Menschenbild der alten Welt festhängt? - Sie schnappen sich eigenverantwortlich Aufgaben, übernehmen Verantwortung und treiben Themen nach allen verfügbaren Kräften voran. Sie geben 100 Prozent und legen noch eine extra Schippe drauf, weil sie der neue Freiraum zusätzlich motiviert. Gleichzeitig steht der Chef mit der Peitsche hinter ihnen, weil er ja davon ausgehen muss, dass man Menschen stets zusätzlich antreiben muss, Druck ausüben muss und vor ihnen hängen bergeweise Karotten in Form von Incentives. So läuft sich das Eselchen irgendwann tot, weil es sich permanent selbst überholt.

Natürlich gibt es Menschen mit unterschiedlich stark ausgeprägter intrinsischer Motivation und ganz sicher gibt es auch einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die keine besonders große Lust auf Leistung haben. Die alte Welt hat sich an dieser Minderheit orientiert und alle Strukturen sowie auch ihr Menschenbild nach ihnen ausgerichtet. In den eng gefassten Arbeitsstrukturen 1886 war das ganz sicher OK, weil diejenigen, die stark intrinsisch motiviert waren, auf Grund der Strukturen weitaus weniger gefährdet waren, in eine Überlastung zu gehen. Orientieren wir uns auch in den neuen Strukturen unserer Arbeitswelt weiterhin an dieser Minderheit brechen uns Stück für Stück die Hauptleistungsträger, die Kreativen, intrinsisch Motivierten weg, weil sie sich selbst überholen und darüber ins Straucheln geraten. So kann Agilität zu einer Art Katalysator für Burnout werden.

Und jetzt?

In Anbetracht der Kosten, die psychische Erkrankungen Jahr für Jahr mit steigender Tendenz verursachen ist guter Rat absolut nicht teuer. Liebe Unternehmen, macht euch Gedanken darüber, welches Menschenbild euren bunten Codes of Conduct zu Grunde liegt. Liebe Chefs, hinterfragt euch vielleicht einmal ganz kurz selbstkritisch welches Menschbild in euren Köpfen vorherrscht und ob dieses noch zeitgemäß ist. Vielleicht überlegt der ein oder andere sogar, an seinem Menschenbild zu arbeiten. Liebe HRler, braucht es wirklich noch diese Karotten, die wir Menschen vor die Nase halten? Liebe alle, traut euch die Ideen von Vier-Tage-Wochen einmal mitzudenken, ohne Neid und ohne Wenn und Aber.

Seit 1886 hat sich eine Menge getan und ich bin zuversichtlich, dass sich unsere Arbeitswelt auch weiterhin verändern wird. Ich gebe den Traum von der besseren Welt nicht auf, weil ich sicher bin, dass auch diese Welt erfolgreich und produktiv sein wird. Diese neue Welt ist zentrales Thema meiner bewussten schöpferischen Auseinandersetzung. Tagtäglich mache ich mir Gedanken, welchen Beitrag ich leisten kann, um das Drumherum zu gestalten und Kultur zu verändern. Im philosophischen Sinne ist dieser Traum meine Arbeit und tief in mir drin ist dieser Traum auch mein Purpose.

Habt einen schönen Sonntag und einen ebenso schönen Tag der Arbeit.

Eure Constance

Tag der Arbeit

… und der Traum von einer besseren Welt

Der Humble Consultant - beraten in Demut und Bescheidenheit

Und weiter geht die wilde Fahrt

In den letzten Jahren teile ich in meinem Blog nicht nur fachliche Themen, sondern immer mal wieder auch persönliche Meilensteine. Mein letzter Meilenstein war meine Reise nach Maastricht im letzten Dezember und heute ist es erneut an der Zeit über einen nächsten wichtigen Schritt zu schreiben. Seit erstem April (und nein, es ist kein Scherz) arbeite ich hauptberuflich nicht mehr als Agile Coach, sondern als Organizational Effectiveness Consultant. Aus dem Coach wurde also über Nacht ein Consultant! Abgesehen davon, dass der Titel sich bestimmt recht spannend anhört, ist das vielleicht attraktivste an diesem Job, dass er sich noch entwickelt und die abschließende Tätigkeitsbeschreibung in Teilen noch im Werden ist. Ich darf also selbst gestalten. Für Manche recht chaotische Voraussetzungen, für mich ein Traum. Ich bleibe in meiner Abteilung, gemeinsam mit meinen bisherigen Kolleg:innen. Eigentlich ändert sich erst einmal nicht so viel und trotzdem war das Thema Rollenfindung oder genauer gesagt Rollendefinition bereits im Vorfeld ein recht Großes für mich. “Coach oder Consultant?”, war die große Frage.

Der Berater, der weiß wie es geht, sagt wie es geht und dann wieder verschwindet…

Irgendwo in meinem Kopf versteckt sich noch immer ein recht stereotypes Bild eines Beraters oder Consultants: natürlich männlich, teurer Anzug und noch viel teurere Uhr, stets busy, busy, busy. So rauscht er rein ins Unternehmen, analysiert Zahlen und Prozesse nach festen Schemata und erstellt basierend auf diesen Analysen Empfehlungen. Er spricht laut und lacht noch viel lauter mit seinen Berater-Freunden! Zahlen, Daten, Fakten! Gedacht wird in FTEs und nicht in Menschen. Kognitive oder emotionale Diversität lassen sich nicht berechnen oder analysieren und kommen deshalb nicht vor. Ängste übrigens auch nicht! In meiner kunterbunten Welt mit absolutem People-Fokus ist das kein besonders schmeichelhaftes Bild und sollte keinesfalls zum Selbstbild werden! Somit habe ich mich sehr intensiv damit beschäftig, welche Art Beraterin oder Consultant ich sein möchte oder sein kann.

Für mich ist jede Organisation, jede Organisationseinheit, jedes Team eine Art lebender Organismus, individuell und einzigartig, mit ganz individuellen Bedürfnissen und Gesetzmäßigkeiten. Schema-F gab es bei mir noch nie. Die Basis für den Erfolg dieser Organisationen sind aus meiner Sicht ihre Menschen, in ihrer Individualität, Diversität und Emotionalität. Dem gilt es auch in der Beratung Rechnung zu zollen. Erfolg bedeutet für mich heute mehr denn je, die Dynamik, Komplexität und Unklarheit unserer Zeit erfolgreich zu managen. Das geschieht nur bedingt durch Prozesse. Diese stellen lediglich eine gute Basis dar, weil sie das Potenzial haben, Menschen zu entlasten. Auch Algorithmen und zunehmende Digitalisierung haben nicht das Potenzial Dynamik und Komplexität zu managen. Sie können in Hinblick auf Komplexität vielleicht entlasten. In Hinblick auf die Dynamik unserer Zeit bin ich davon überzeugt, dass zunehmende Digitalisierung und Automatisierung die Dynamik noch zusätzlich befeuern. -Fast ein kleiner Teufelskreis! Welche Instanz bleibt nun also um durch erfolgreiches Managen von Dynamik und Komplexität für Erfolg zu sorgen? -Natürlich: der Mensch, bzw. Gruppen aus Menschen die ihr Wissen, ihre Perspektiven und ihre Erfahrungen erfolgreich im Team nutzen.

Der Mensch als Schlüssel zu Erfolg unserer Systeme

Wie kann ich nun also ausgerechnet den Schlüsselfaktor Mensch in meinen Effizienzanalysen außer Acht lassen? Wie kann ich für unterschiedliche Systeme immer wieder die gleichen Lösungen anbieten? Dies soll mein Weg nicht sein! Ich möchte bei den Menschen beginnen. Ich möchte beraten, indem ich mich auf die Menschen in den jeweils betrachteten Systemen einlasse, mich mit ihnen auseinandersetze und ihnen einen Raum schaffe, ihre Lösungen zu finden. Als Beraterin möchte ich bescheiden, fast demütig sein, da ich mir sicher bin, dass niemand ein System so gut kennt, wie die Menschen, die Teil des Systems sind. Dementsprechend werden diese Menschen auch stets in der Lage sein, eine deutlich passendere Lösung für ihre jeweiligen Systeme zu finden, als ich. Ich habe Ideen, Erfahrung und Vorschläge, aber es wäre doch töricht zu glauben, ich hätte allgemeingültige Lösungen…

Und dann kam Edgar H. Schein

So haderte ich nun also mit mir selbst und meiner Rollendefinition, als mir ein Buch in die Hände fiel: “Humble Consulting - die Kunst des vorurteilslosen Beratens” von Edgar H. Schein. Der Titel hat mich direkt gefangen und auch der Umstand, dass der im Januar verstorbene Professor Emeritus des MIT Ed Schein als einer der Begründer dessen gilt, was wir heute Organisationsentwicklung oder Change Management nennen, sprach für sich. Ich habe es quasi über Nacht gelesen und kann nun voller Stolz verkünden: ich bin ein Humble Consultant, eine bescheidene und vorurteilslose Beraterin!

Hier für euch, die Kerngedanken aus Scheins Ansatz, die mich sofort vereinnahmt haben:

Die Voraussetzung für Humble Consulting ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Berater:in und Kund:in. Schein nennt sie Level 2 Beziehung, die aus seiner Sicht tiefer geht als eine klassische respektvolle Business-Beziehung (Level 1), jedoch mehr Abstand und Abgrenzung erlauben als intime Beziehungen, die Schein als Level 3 bezeichnet. Diese vertrauensvolle Beziehung ist die Basis dafür, dass Berater:in und Kund:in gemeinsam die wahren Sorgen und Probleme im betrachteten System ergründen können, offen und vorurteilsfrei. Im Rahmen dieses Prozesses ist es unabdingbar, dass der/die Berater:in offen und neugierig zuhört. Das Gehörte wiederum wird genutzt, um authentische Fragen zu stellen, die auch dazu dienen, ganz neue Denkprozesse in Gang zu bringen. Spätestens hier ist der Übergang zwischen Humble Consulting und (systemischen) Coaching fließend, empfiehl Schein doch an dieser Stelle die komplette Palette systemischer Fragen. So erarbeiten sich Kund:in und Berater:in gemeinsam und mit Hilfe eines Insider-Blickes und der Perspektive von außen ein tieferes Verständnis der Themen, die das System oder die Organisation einschränken.

Aus diesem gemeinsamen Verständnis entstehen im Sinne von Humble Consulting eine Intervention, die schrittweise oder iterativ erfolgt. Diese bedachtsamen Anpassungen entwickeln sich im stetigen Austausch mit den Menschen im betrachteten System.

Natürlich spielen auch im Rahmen dieses Beratungsprozesses Performance-Indikatoren oder Kennzahlen eine wichtige Rolle und auch prozedurale Abläufe, Schnittstellen und der Bereich Performance Management wird durchaus betrachtet. Deren Analyse stellt jedoch nicht den ersten Schritt meiner Arbeit dar, sondern ergeben sich ggf. aus der gemeinsamen Analyse mit meinen Kunden und Kundinnen. Die komplexen, oder eigentlich schon fast chaotischen Herausforderungen unserer Zeit benötigen eben ein menschenzentriertes Modell des Beratens, Coachens, Unterstützens.

Ja, ich denke so passt das für mich. So kann ich arbeiten. Schein schreibt, dass sein Modell des bescheidenen oder vorurteilslosen Beratens davon ausgeht, dass Berater:innen sich dafür engagieren, unterstützen zu dürfen, eine Menge echter Neugier mitbringen und eine fürsorgliche Grundeinstellung haben, was bedeutet, dass Humble Consultants die Bereitschaft haben, herauszufinden, was ihre Kunden und Kundinnen tatsächlich bewegt oder beunruhigt. Ich finde das passt doch ganz gut zu mir. Und was den teuren Anzug und die noch teurere Uhr anbelangt kann ich ja einfach mal schauen, was die Zukunft so bringt!

Habt einen wunderschönen Sonntag und bis in zwei Wochen.

Eure Constance

Coach oder consultant?

Oder vielleicht Consultant mit dem Mindset eines systemischen Coaches?