Persönlichkeit

Wer ein Gehirn hat, hat Vorurteile! -Punkt!

Klischees über Klischees

Frauen können nicht einparken, Männern geht es immer nur um Sex, Benz-Fahrer haben die eingebaute Vorfahrt, Naturwissenschaftler sind auf der zwischenmenschlichen Ebene unbeholfen, Mädchen sind nicht gut in Physik und Jungs sind nicht gut in Sprachen, schlanke Frauen sind zickig und dicke lustig… Ich könnte sie beliebig fortsetzen, diese Liste von Vorurteilen. Ich bin übrigens Stewardess, oder wenigstens war ich das über einen ziemlich langen Zeitraum meines Lebens. Was sagt das über mich aus? Wahrscheinlich nichts, außer, dass ich offensichtlich gerne reise und mich unter Menschen wohl fühle. Dennoch spielt Schubladendenken eine große Rolle in unserem Leben. In der Business-Welt nennt man diese Schubladen inzwischen Unconscious Bias, die unbewusste Voreingenommenheit, die maßgeblich darüber entscheidet, wie wir unser berufliches Umfeld wahrnehmen, wen wir sympathisch finden und unterstützen und wem wir misstrauen. Basierend auf unserer unbewussten Voreingenommenheit treffen wir Entscheidungen, manchmal sogar richtungsweisende Entscheidungen. In Bewerbungsgesprächen beeinflussen sie uns ebenso wie in Meetings oder Beurteilungssituationen. Ist das Fair? Nein! Kann das für eine Unternehmen in der Gesamtbetrachtung von Nachteil sein? Ja! Sollten Organisationen sich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen? Auf jeden Fall! - Aber wie? Vielleicht, indem sie die Existenz dieser Voreingenommenheit zunächst einmal uneingeschränkt akzeptieren und auch verstehen, dass diese Form der Voreingenommenheit keineswegs unprofessionell ist und auch nicht weggezaubert werden kann. Hierfür ist es sicher hilfreich zu verstehen, woher dieses Schubladendenken kommt.

Vorurteile als Überlebensstrategie

Um zu verstehen, warum Menschen gerne und vor allem auch unbewusst in Schubladen denken, ist es hilfreich ein paar Jahre zurück in die Steinzeit zu reisen. Hier waren diese Vorurteile eine wichtige Überlebensstrategie. Denn wenn der Steinzeitmensch einem Säbelzahntiger begegnete, überprüfte er für gewöhnlich nicht, ob es sich bei diesen speziellen Säbelzahntiger vielleicht um ein ausgesprochen freundliches Exemplar seiner Gattung handelte. Beim Anblick der Rund 20 Zentimeter langen Säbelzähne war unser Steinzeitmensch gut beraten nicht lange nachzudenken und die Flucht zu ergreifen.

Ich gehe davon aus, dass die Steinzeitmenschen, die vorher noch überprüfen wollten, oder dieser Säbelzahntiger nicht doch vielleicht nett ist, weil sie es unfair fanden, alle Säbelzahntiger in eine Schublade zu stecken, gefressen wurden und so ihre von differenzierter Betrachtung geprägte Gene nicht weitergeben konnten.

Im Umgang mit Angehörigen fremder oder feindlicher Stämme griff dieser Mechanismus übrigens auch.

Das heißt also ursprünglich waren Vorurteile überlebenswichtig. Klar hängt unser Überleben heute nicht mehr von der Flucht vor Raubkatzen ab (also zumindest im Regelfall). Nichtsdestotrotz hat unser Gehirn sich über Jahrmillionen das Schubladendenken als Erfolgsstrategie abgespeichert und auch der beste Business Trainer wird das unseren Gehirnen nicht abtrainieren.

Guter Rat ist teuer! -Selbstreflexion ist jedoch kostenlos

Warum und wo überall in unserem Leben Vorurteile glasklare Nachteile mit sich bringen, weil sie unseren Horizont und unser Denken einschränken, muss ich sicher nicht noch einmal wiederholen. Vielmehr sollte uns die Frage umtreiben, wie wir damit umgehen sollen, dass wir ein Stück weit von Vorurteilen gesteuert werden. Der erste wichtige Schritt ist wie gesagt, sich selbst einzugestehen, dass auch wir nicht frei von Vorurteilen sind. Punkt! Wer ein normal funktionierendes Gehirn hat, hat Vorurteile! Habe ich das für mich verinnerlicht, kann ich mich im nächsten Schritt auf die Suche nach meinen eigenen Vorurteilen machen. Selbstreflexion braucht keinen Trainer und kostet kein Geld. Alles was wir dafür brauchen, ist die Einsicht, nicht alles was wir den lieben langen Tag so denken, auch uneingeschränkt zu glauben. Wer sich selbst mutig hinterfragt wird dabei ganz sicher auch Muster erkennen. Ich zum Beispiel habe ein Thema mit kleinen, zierlichen, mädchenhaften Frauen. Sie hatten bei mir sehr lange einen wirklich schweren Stand. Dieses Schubladenmuster habe ich dem Umstand zu verdanken, dass ich bereits mit drei Jahren einen Kopf größer war als alle anderen dreijährigen Mädchen im Kindergarten. Gab es Streit um ein Spielzeug musste ich mir immer anhören, dass ich doch vernünftig und nachgiebig sein solle, immerhin sei ich doch die Große! - Fuck! Ich war drei! Aber auf diese Weise hat mein kluges Gehirn gelernt, das kleine Mädchen immer das bekommen, was sie wollen und deshalb weniger durchsetzungsfähig und leistungsstrak sind wie große Frauen! Verrückt ist, dass die durchsetzungsfähigste, leistungsstärkste junge weibliche Führungskraft, die ich momentan begleiten darf, eine zauberhafte, mädchenhafte, kleine Frau ist! -Eine verflixte Urgewalt, die so viele in den Schatten stellt und so ausdauernd kämpfen kann.

Es hilft also, bewusst Gegenbeispiele für Vorurteile zu suchen. Dabei darf ich mir auch helfen lassen. Das ist noch einfacher als Selbstreflexion, wenn ich nur offen dafür bin. An dieser Stelle kommen kognitiv diverse Teams ins Spiel. Wie großartig, wenn ich Menschen um mich herum habe, die andere Denkmuster haben und mir vielfältige Angebote unterschiedlicher Perspektiven machen. Wie gesagt, ich muss einfach nur offen dafür sein. Denn Diversity ist so viel mehr als Menschen unterschiedlicher Herkunft willkommen zu heißen oder Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Identität zu respektieren.

Und jetzt gehts in die Sommerpause!

Mit diesem wunderschönen Gedanken geht es für mich in eine kurze und späte Sommerpause. Die Ex-Stewardess fliegt natürlich weit, weit weg! Neue Kulturen kennenlernen, neue Welten entdecken und den eigenen Horizont erweitern. Ich freue mich auf eine Auszeit im wunderschönen Sansibar. Die kreative Pause wird mir gut tun, um mit neuen Ideen und vollen Akkus zurück zu kommen.

Den nächsten Blog gibt es am 08. Oktober. Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit.

Eure Constance

Alle geleich und alle gut?

Mit Nichten! Wer ein Gehirn hat hat Vorurteile. -Oder warum sind Kicker-Figuren alle männlich?

Fail fast, fail forward? - Vorsicht vor der (positiven) Pauschalisierung von Fehlern!

Der Fehler zum Glück

“Fail fast, fail forward!” - Mit diesem Mantra bewegt sich die New Work-Bewegung nun schon seit Jahren durch die Business-Welt. Inzwischen scheint es weitverbreiteter Konsens, dass Fehler nicht nur OK sind, sondern den ultimativen Weg zum Erfolg unweigerlich flankieren. Hört man den guten alten Thomas Alva Edinson sagen “Ich bin nicht gescheitert. Ich habe 10.000 Wege gefunden, die nicht zum Ziel geführt haben.”, dann möchte man dem uneingeschränkt zustimmen, haben seine sogenannten Fehler und sein sogenanntes Scheitern doch zu legendärer Innovationskraft geführt. Aber ganz so einfach ist es eben doch nicht und dieses zauberhafte Fehler-Mantra ist aus diesem Grund auch nur eine Seite der Wahrheit. Und die andere Seite der Wahrheit kann wie so häufig ganz schön gefährlich oder kontraproduktiv sein!

Denn Fehler ist nicht gleich Fehler

Nicht alle Fehler sind gleich. Und nicht alle Fehler führen uns wie Edison mehr oder weniger direkt hin zur nächsten Innovation. Aus diesem Grund sind auch Unternehmen sehr gut beraten ihre Fehler möglichst genau zu analysieren, denn selbstverständlich waren es nicht die Wege, die nicht ans Ziel geführt haben, die Edisons Erfolg flankierten, sondern das, was Edison daraus gelernt hat. Fehler sind OK, aber feiern sollten wir die daraus resultierende Lernkurve, so es sie gibt!

Bei der Analyse von Fehlern unterscheide ich gerne in vier Kategorien:

Meine erste Kategorie ist der Flüchtigkeitsfehler, der häufig aus fehlender Fokussierung resultiert. Und nein, Flüchtigkeitsfehler sollte man nicht unbedingt feiern. Lernen kann man trotzdem aus ihnen. Denn kommt es in Teams, Organisationseinheiten, oder gar ganzen Organisationen zu einer Häufung von Flüchtigkeitsfehlern, ist es ratsam die Gesamtbelastung zu betrachten und zu schauen, auf welche Aufgaben man seinen Fokus legen möchte und welche Rahmenbedingungen es dafür zu schaffen gilt. Hierbei sollte klar priorisiert werden und natürlich muss eine rote Linie gezogen werden, die der realistisch möglichen Leistung entspricht. Kanban macht das ganz wunderbar mit den WIP-Limits, den Work-in-Progress-Limits, vor.

Meine zweite Kategorie sind die “Vogel-Strauß-Fehler”. Diese passieren häufig und sind so unglaublich menschlich. Wir legen alle Energie in eine Aufgabe oder in Projekte, die wir in absoluter Perfektion erledigen möchten, weil es uns ach so wichtig ist… Und dann geht es schief! Verdammt! Und jetzt? - Aufstehen, Krönchen richten und weiter im Text? Oder alternativ Kopf in den Sand wie dieser afrikanische Laufvogel. Auf jeden Fall nicht mehr drüber sprechen, war das Scheitern doch zu schmerzhaft. So schmerzhaft, dass man am liebsten nicht mehr darüber sprechen möchte, geschweige denn das Scheitern analysieren und daraus lernen. Menschlich absolut nachvollziehbar. Wäre das Edisons Ansatz gewesen, würde heute sicher niemand mehr seinen Namen nennen.

In einer Welt, in der wir den Fehler einfach nur feiern, kann aus “Fail fast, fail forward.” auch ganz schnell ein “Fail fast, move forward.” werden. Was fehlt ist die Lernkurve!

Die dritte Fehlergruppe ist die der Abwürgefehler (Stalling Mistakes in Englisch). Was bedeutets das? Es gibt Situationen, in denen Menschen sich so sehr auf den perfekten Prozess fokussieren, dass sie sich selbst abwürgen. Das heißt, sie erreichen nicht das erwünschte Ziel oder den gewünschten Outcome, sondern scheitern unterwegs. Man könnte auch sagen, sie bleiben liegen. Dieses Phänomen tritt häufig auf, wenn es Menschen entweder an Sicherheit, echtem Empowerment, oder Selbstbewusstsein mangelt, oder sie sehr perfektionistisch veranlagt sind. An dieser Stelle gilt es eine Kultur der Sicherheit zu schaffen, ggf. in Kombination mit kognitiv diversen Teams. Abgesehen davon ist die Lernkurve begrenzt, da man ja nicht abschließend sagen kann, ob der Weg der richtig war, oder wenn nicht, was man daraus für den nächsten Versuch lernen kann.

Kommen wir zur vierten Kategorie, der Königsdisziplin unter den Fehlern: Die sogenannten Entwicklungsfehler (oder Stretched Mistakes in Englisch). Diese vierte Gruppe sind die einzigen Fehler, die sich nicht vermeiden lassen und die auch nicht vermieden werden sollten. Entwicklungsfehler entstehen, wenn wir etwas Neues, Unbekanntes ausprobieren und ähnlich wie Edison nicht direkt den richtigen Lösungsweg einschlagen. In einer dynamischen, komplexen und mehrdeutigen Welt sind diese Fehler unvermeidbar, wenn wir versuchen uns weiterzuentwickeln. Naturwissenschaftliche Forschung basiert von Beginn an auf diesem “Trail and Error” -Prinzip. Und ja, hier wird sich auch über jede Möglichkeit, die man fortan ausschließen kann gefreut. Hierbei ist es wichtig zum einen zu analysieren an welcher Stelle genau man die falsche Abzweigung gewählt hat und was genau man daraus für den nächsten Versuch lernt und deshalb anders macht. Natürlich ist es in einer Organisation oder einem Team auch wichtig, diese Erkenntnisse zu teilen, damit nicht jeder einzelne diesen Fehler erst selbst machen muss, sondern sich direkt auf die nächste Möglichkeit fokussieren kann. So nähert man sich über das Ausschlussprinzip mit jedem Scheitern dem tatsächlichen Lösungsweg. Aus diesem Grund ist jeder dieser Fehler eine Party wert! Außerdem erfordern diese Fehler eine Menge Mut. Schritte ins Unbekannte zu wagen ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung, die in einer Kultur der psychologischen Sicherheit leichter fallen als in einem Umfeld aus Druck und Angst. Nur wenn ich das Gefühl habe, dass es sicher ist, diese Fehler zu machen, werden ich den Schritt in die neue Richtung auch tatsächlich gehen. Und nur wenn ich spüre, dass mein Scheitern tatsächlich als Chance für den nächsten Schritt bewertet wird, werde ich mein Scheitern auch teilen und gebe so einem Team oder einer gesamten Organisation die Chance mit mir gemeinsam zu lernen. So entstehen im Idealfall ganze lernende Organisationen, die mit Sicherheit die einzig wirklich langfristig erfolgreiche Organisationsform in einer Zeit sein werden, die vor allem durch Dynamik, Komplexität und fehlender Eindeutigkeit geprägt ist.

Fehlerkultur beginnt bei mir

Natürlich taucht immer wieder die Frage auf, wie denn eine solche Kultur entsteht. An dieser Stelle sei mir der Verweis auf meinen letzten Artikel erlaubt. Denn Kultur ist nur in einem sehr geringen Anteil der Rahmen, den mir eine Organisation vorgibt. Kultur ist das, was Individuen (er-)leben. In meiner beruflichen Praxis sind mir schon mehr als einmal Organisationen oder Organisationseinheiten begegnet, die perfekte Rahmenbedingungen vorweisen konnte. Alles war da, um Themen offen anzusprechen, Fehler zu teilen, Feedback zu geben. Es ist aber einfach nicht passiert. Denn natürlich muss ich Menschen dabei unterstützen, sich diesen neuen Rahmen der New Work Strukturen auch zu erschließen. Tatsächliches Empowerment entsteht nicht, indem ich Menschen sagen, dass sie nun empowered sind. New Work needs Inner Work! Und der Prozess dieser inneren Arbeit dauert mindestens mehrere Monate, wenn nicht sogar mehrere Jahre. Aus diesem Grund sollten wir Transformationen nicht vorschnell als gescheitert erklären, sondern deren Menschen bewusst unterstützen. Denn auch eine offene Feedback- oder Fehlerkultur will gelernt und in Ruhe erprobt werden.

Zum Schluss noch ein Buchtipp

Ich kann natürlich noch nicht sagen was genau die von mir so verehrte Harvard-Professorin Amy C. Edmondson in ihrem neusten Buch “Right Kind of Wrong: The Science of Failing Well” beschreibt, da es erst am 5. September erscheinen wird. Aber wie auch schon mit der “Angstfreien Organisation” legt die Autorin den Finger an den Puls der Zeit. Fehlerkultur und in diesem Zusammenhang vor allem die daraus resultierende Lernkultur wird sicher eines der Topthemen der sehr nahen Zukunft sein.

Meine Ausgabe von Amys Buch ist bereits vorbestellt. Heute muss noch einmal eine andere Lektüre zum Kaffee am Sonntag herhalten. Letzte Woche bin ich in diesem Zusammenhang übrigens fatal an unserer Kaffeemaschine gescheitert. -Tasse unter den falschen Auslasser gestellt! Diagnose “Flüchtigkeitsfehler aus Übermüdung”! Wird mir diese Woche nicht nochmal passieren.

Eure Constance

Elektrisches licht sei auch nicht durch die stetige Verbesserung der Kerze entdeckt worden, sagte Oren Hariri.

Innovation braucht den Mut etwas substantiell Neues und Unbekanntes auszuprobieren. Dabei sind Fehler unvermeidbar und zeigen uns den richtigen Weg.

Und Schuld sind doch nicht immer die Eltern! - Glaubenssätze die Zweite und der wahnsinnige Zwang Menschen in Schubladen stecken zu müssen...

Du bist… -Und Ende der Geschichte!

Bereits vor vier Wochen, am Muttertag, habe ich mich an dieser Stelle mit Glaubenssätzen auseinandergesetzt. -Glaubenssätze: diese tief verankerten Annahmen, die wir Menschen über die Welt, die anderen, vor allem aber auch über uns selbst haben. Oft sind uns diese starken inneren Überzeugungen noch nicht einmal voll umfänglich bewusst und trotzdem, oder gerade deshalb, haben sie die Macht unsere Selbstsicht maßgeblich zu steuern. Das kann ein Geschenk sein, wenn ich Pippi Langstrumpf bin und unerschütterlich und aus tiefster Überzeugung fest daran glaube, alles erreichen zu können. “Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe!”, erklärte Pippi damals inbrünstig. Leider bin ich nicht Pippi sondern Constance und habe mich viele Jahre mit eher weniger hilfreichen Glaubenssätzen durchs Leben geschlagen.

“Du bist nicht gut genug.” “Eigentlich wirst du auch nie gut genug sein!” “IT verstehst du eh nicht, weil du technisch eine echte Niete bist!” “Du bist eher ein Distanz-Typ.” “Distanz-Typen wird häufig nicht so richtig vertraut.” “Deine Größe macht dich unnahbar.” “Du bist eine komplizierte Frau, jedenfalls bist du nicht einfach im Umgang.” “Ab 40 geht es langsam bergab!”

Ich könnte die Liste meiner inneren Gemeinheiten gegen mich selbst beliebig fortsetzen. Und natürlich muss die Frage erlaubt sein, warum ich diese Glaubenssätze hatte oder habe und Pippi Langstrumpf ganz andere. Ja, Pippis Papa Efraim, der Piratenkönig, hat sicher einen wertvollen Beitrag dazu geleistet, ein starkes junges Mädchen aus ihr zu machen, bevor er mit der Hoppetosse in die Südsee aufgebrochen ist. Allerdings hat mein Papa auch einen guten Job gemacht. Vielleicht hatte Pippi einfach Glück nicht in die Schule zu müssen, wo sie nicht gnadenlos nach einer einheitlichen Skala kategorisiert wurde und ihr nicht erklärt wurde, dass sie Mathe eben einfach nicht könne, was ja für ein Mädchen auch nicht ungewöhnlich sei. Sie hatte in der Oberstufe auch keinen Physiklehrer, der ihr und ihren Freundinnen erklärte, dass sie ja immerhin noch Frisösen werden könnten, wenn sie das nicht verstünden. Ihr wurde auch nie erklärt, dass aus ihr nichts werden würde, weil sie sich nicht anpassen könne und sie ohnehin viel zu (vor-) laut sei. Sie wurde auch nie dafür getadelt, dass einige ihrer Aussagen eher emotional als rational begründbar sein. Und Emotion ist natürlich schlecht.

Nein, nicht an allen unseren toxischen Glaubenssätzen sind unsere Eltern schuld. Und wer glaubt, nach der Schule würden sich die Dinge signifikant ändern, der hat recht. Es wird noch viel, viel engstirniger. Die Kategorien, in die wir gesteckt werden, werden immer enger gefasst und haben am Ende vielleicht sogar die Macht uns das zu nehmen, was in einer komplexen und dynamischen Welt wohl das wertvollste Gut ist: Unsere Fähigkeit uns stetig und grenzenlos weiterzuentwickeln. Man spricht von sogenannter Neuroplastizität und meint damit, dass unser Hirn und damit auch unsere Persönlichkeit nie aufhört zu wachsen, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln, wenn wir es einfach nur erlauben, oder wenn wir daran glauben, dass wir grenzenlos sind.

Komisch, rückblickend war mein Papa der Einzige, der mir immer und immer wieder erklärt hat, dass ich alles erreichen kann, was ich will, dass ich grenzenlos bin. Leider habe ich irgendwann aufgehört ihm zu glauben. Diese anderen Stimmen waren zu viele und zu laut. Liebe Grüße ins Taka-Tuka-Land und sorry Papa, dass ich dir nicht bedingungsloser geglaubt habe. Du hattest so recht.

Und dann kommt HR und gibt uns den Rest!

So trudelte ich also durch mein Leben direkt ins Zeitalter der Persönlichkeitstests: DISC, Myers-Briggs, LIFO, 16 Personalities und wie sie alle heißen. Das Schöne war, ich musste mir keine Gedanken mehr darüber machen, wer ich bin. Das wurde mir in einer kurzen Zusammenfassung feierlich schriftlich überreicht. Wie schön, dass man in Organisationen an Hand dieser Typisierungen fortan Teams zusammenstellen kann, Führungskräfte darauf vorbereiten kann, wie sie bestmöglich mit Typ A oder B umgehen, man weiß vorher mit wem man sich gut verstehen würde und bei wem Konflikte vorprogrammiert sind… Alles so einfach! -Und ich habe ihnen allen geglaubt, mehr als meinem Papa. Es handelt sich ja immerhin um angewandte Wissenschaft! So saß ich also fest in meiner Kategorie, in meiner inneren Überzeugungen über mich selbst und die Welt. Das Schöne war, ich hatte massiv viel Klarheit über mich, der Nachteil war, ich habe mich mit dem zufriedengegeben was war. So war ich eben. Ende der Geschichte!

Fun-Fact am Rande: Im Privatleben geht es direkt weiter. Selbst bei Tinder wird typisiert was das Zeug hält, damit man ganz einfach sein perfektes Match finden kann.

Ich weiß nicht wie er wieder an die Oberfläche gespült wurde, aber irgendwann war dieser verloren gegangene Glaube daran, dass ich grenzenlos bin, alles erreichen kann, alles lernen kann, was ich nur möchte, wieder da. -Ganz, ganz leise und zaghaft flüsternd irgendwo ganz hinten in meinem Kopf und in meinem Herzen versteckt wurde er irgendwann immer lauter und eines Tages hat er mich angeschrien, bis ich angefangen habe es zu glauben. Und plötzlich, mit Anfang 40 hat sich mir die Welt noch einmal ganz neu geöffnet. Vor mir lagen Träume, Möglichkeiten, Chance in Hülle und Fülle. Ich bin einfach aus meiner vorgesehenen Kategorie gesprungen! Unerhört eigentlich.

Zuschreibungen auf Identitätseben

“Zuschreibungen auf Identitätsebene” hat eine meiner Mentorinnen es immer genannt, wenn Menschen glaubten sagen zu können wie ein anderer Mensch ist, oder wie eben nicht. Zurecht hat sie darauf ziemlich allergisch reagiert. Niemand von uns, auch nicht der bester Persönlichkeitstest dieser Welt, ist in der Lage die menschliche Persönlichkeit allumfassend zu greifen, wahrzunehmen, zu verstehen. Alles das, was das Leben uns serviert sind kontextgebundene Momentaufnahmen unserer Mitmenschen. Und plötzlich kommt eine Instanz daher, nimmt diese kontextgebundene Momentaufnahme und macht sie zu unserer Persönlichkeit, zu unserer Identität, an die wir beginnen zu glauben. So bin ich also! Damit wird nicht nur ein großer Teil meines Ichs unterschlagen. Zusätzlich wird mir gefühlt die Möglichkeit und die Notwendigkeit genommen, mich weiterzuentwickeln. So bin ich eben: gut oder schlecht, erfolgreich oder eine Verliererin, kalt oder emotional, sensibel oder ausgeglichen, ernst oder fröhlich… Ich habe Jahre gebraucht um wirklich davon überzeugt zu sein, dass ich alles sein kann, wenn ich möchte sogar gleichzeitig!

Coaching und Persönlichkeitstests

Grundsätzlich finde ich all diese Persönlichkeitstest gar nicht schlecht. Bitte nicht falsch verstehen. Ihre Nutzung im organisationalen Kontext finde ich häufig nicht hilfreich, ehrlich gesagt sogar falsch! Ich selbst arbeite zum Beispiel immer wieder und sehr erfolgreich mit der Riemann-Thomann-Matrix. Allerdings nutze ich diese Matrix nicht um Menschen aufzuzeigen wie sie sind, sondern um sie dabei zu unterstützen, sich ihren möglichen Entwicklungsraum zu erschließen. Ich zeige ihnen, wie sie außerdem noch sein können.

Riemanns “Grundformen der Angst” sind für mich so etwas wie das “Urkonstrukt” vieler Typisierungen. Fritz Riemann ging es darum psychische Erkrankungen zu verstehen. Er kam zu dem Schluss, dass Menschen, die eine der vier Grundängste (Angst vor Nähe, vor Distanz, vor Dauer und vor Veränderung) ausschließlich und im Extrem empfinden, psychische Erkrankungen entwickeln, die er diesen Ängsten zuordnen konnte. Als Coach arbeite ich nicht diagnostisch. Schaut man sich diese Theorie jedoch ressourcenorientiert an, lässt sich daraus Schlussfolgern, dass der gesunde emotional Zustand das Gefühl der Zerrissenheit zwischen der Angst vor zu viel Nähe und zu viel Distanz und der Angst vor zu viel Dauer und zu viel Veränderung ist. Das heißt, alles ist bereits in uns angelegt, alles ist da und es liegt an uns alles das zu nutzen, bewusst, um vielseitige Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des eigenen Reaktionsrepertoires zu haben.

In meinen Workshops und Coachings nutze ich die Riemann-Thomann-Matrix sehr gerne in Kombination mit den Führungskulturstilen aus dem Harvard Business Review um meinen Coachees oder Teilnehmenden dabei zu helfen, sich im Moment zu orientieren. Zu verstehen, wo ich mich gerade befinde ist wichtig um bewusst und zielgerichtet dorthin zu gehen, wo ich hinmöchte. Ich nutze diese Typisierungen nicht um zu kategorisieren und damit Grenzen zu ziehen, sondern um Räume zu öffnen. Wir sind grenzenlos und alles ist möglich! Ich selbst musste 40 werden, um dieses Satz nicht nur zu verstehen, sondern auch wirklich tief in mir zu glauben und ich stelle mir manchmal vor wie es gewesen wäre, wenn dieser Glaube schon zehn, zwanzig Jahre früher eingetreten wäre, bzw. wenn ich ihn nie verloren hätte. So ist es mir zu einer Art inneren Mission geworden, Menschen dabei zu unterstützen, frei zu sein, frei zu denken, die Kategorien die ihnen zugeschrieben werden, oder die sie sich selbst zuschreiben, abzuschütteln. Und natürlich glaube ich ganz fest daran, dass es irgendwann auch möglich sein wird, dass große Organisationen, von Kindergärten über Schulen und Unis hin zu Konzernen und Unternehmen eines Tages verstehen werden, dass es nicht darum geht, Menschen zu kategorisieren, sondern ihnen zu zeigen, dass sie grenzenlos sind. Ich bin in der Vergangenheit so unendlich viel gereist. Man darf sagen ich habe die Welt gesehen. Die einzigen Grenzen, die ich dabei ausmachen konnte, waren alle ausnahmslos von Menschhand geschaffen. Das gilt, so denke ich, auch für die inneren Grenzen. Somit möchte ich meinen Blog in dieser Woche mit einem Zitat beenden, das schon über 700 Jahre alt ist und aktueller nicht sein könnte. Irgendwann um 1270 notierte ein gewisser Meister Eckhart, seines Zeichens Philosoph und Theologe, folgenden Satz:

“Wir selbst sind die Ursache aller unserer Hindernisse.”

Glaubt nicht alles was man euch sagt oder zuschreibt. Glaubt vielleicht noch nicht einmal alles was ihr selbst denkt oder glaubt!

Eure Constance

Rein in die Schublade und am Besten zuschließen

So ist sie eben! -Ende der Geschichte.