Die Macht der Schwachen - oder eine Arschbombe ins Tabu!

Weiterbildung bildet eben weiter…

Mein letztes Wochenende habe ich in Köln verbracht und mich in einem Vertiefungs-Workshop mit provokativer systemsicher Arbeit oder provokativem Coaching beschäftigt. Nach meinem Basiskurs Ende Februar habe ich Feuer gefangen und ich bin mir sicher ich werde mich in dieser Arbeitsweise noch weiter fortbilden. Vielleicht bin ich irgendwann ja mal so weit, um sie in einem Artikel auf den Punkt genau vorzustellen. Es ist ziemlich verrücktes Zeug!

Seit dem Basis-Workshop haben wir nun alle Fälle, Patienten oder Coachings-Prozesse gesammelt, die es im Vertiefungs-Workshop zu besprechen galt um den Schritt von der Theorie in die Praxis zu gehen. Ein besonderer Fokus lag auf denjenigen Fällen, in denen wir entweder gefühlt feststecken oder in denen wir uns nicht trauen, provokative Tools anzuwenden. Im Prinzip war es eine gigantische Supervision.

Irgendwie alle verrückt…

So haben wir uns also voll Fall zu Fall gearbeitet, Ideen, Vorschläge und Feedbacks unterbreitet. In diesen Settings bekomme ich gerne mal das Gefühl, die ganze Welt ist ein bisschen verrückt. Aber wahrscheinlich ist das auch so. Was ist schon normal?! Plötzlich tauchte in einem der Fälle dieser zarte, zerbrechliche und verunsicherte junge Mann auf, dem das Leben übel mitspielt. Viel zu viel hat er zu tun. Keine Unterstützung auf der Arbeit, alle Last liegt auf seinen Schultern und im Privatleben ist er fast ganz allein. - Ein Stereotype, der auch eine junge Frau sein könnte. Hilfsbedürftig, ein Opfer der Umstände, vielleicht auch noch depressiv. Die Einladung an den Coach ist groß, vom Mitgefühl ins Mitleid abzugleiten, helfen zu wollen, in Watte packen zu wollen, schützen zu wollen. Ja, ich kenne diesen Stereotypen aus meinem eigenen Erleben. Auch in mir kommt immer mal wieder ein gewisses Helfersyndrom hoch, das in letzter Konsequenz das Potenzial hat, mich daran zu hindern, meinen Job als Coach angemessen zu erfüllen, wenn mein gegenüber allzu zerbrechlich wirkt. Ich laufe also Gefahr, mein gegenüber in Watte zu packen, frage viel vorsichtiger und bohre vielleicht auch nicht so tief um schmerzhafte Reflexionsschleifen zu umschiffen. Das arme zarte Wesen braucht Schutz und Samthandschuhe… Und ganz sicher braucht das Gegenüber kein provokatives Coaching… Oder doch?

“Die Macht der Schwachen!” tönte es durch den Raum mitten in mein Mitleidskonstrukt. Ich komme aus meinem Gedankenfilm zurück und ja, da ist etwas dran. In diesen Situationen haben meine Kunden mich total in der Hand, so sehr, dass ich ihnen tatsächlich die potenziell unangenehme Reflexionsschleife erspare. Ganz schön clever von ihnen!

Die Macht der Schwachen führt im Alltag dazu, dass wir Menschen, die wir für schwach halten, in Watte packen, Konflikte oder negative Thematiken bestmöglich von ihnen fernhalten, wie als klebt ihnen dieser “Vorsicht! Zerbrechlich!-Aufkleber” auf der Stirn. In einem konkreten Fall habe ich es erlebt, dass die Kollegen der schwachen Person sogar tagtäglich das Frühstück für diese Kollegin mit zur Arbeit gebracht haben, weil sie sich ja unmöglich nicht auch noch darum kümmern könne, sich etwas zu essen vorzubereiten. Es wird also Rücksicht genommen und Vorsicht wird walten gelassen. Die Schwachen werden umsorgt und natürlich wird genau darauf geachtet nichts Falsches zu tun. Wie toll für die Schwachen! Es läuft bei ihnen könnte man sagen. Verrückt wären sie doch, würden sie plötzlich stark werden. Selbst Frühstück machen, weniger Aufmerksamkeit, dafür mehr unangenehme Themen? Nein danke. Dann doch lieber schwach und zerbrechlich und die Fäden der Manipulation fest in den unterbewussten Fingerchen. Alles andere könnte mit der Zeit ganz schön anstrengend werden. Eine Betrachtungsweise, die gefühlt eine Art Tabu darstellt, weil sie unsere Idee von Schwarz und Weiß irgendwie auf den Kopf stellt. Das macht man doch nicht! Man kümmert sich um die, die weniger fit oder stark oder stabil sind…

Der sekundäre Krankheitsgewinn oder keine Veränderung ohne Preis

In der Psychologie spricht man hier vom sekundären Krankheitsgewinn. Oft hat eine bestimmte Symptomatik Vorteile oder Vorzüge, die auf unterbewusster oder unbewusster Ebene dazu führen, dass an der Symptomatik festgehalten wird.

Auch im Coaching erlebe ich immer wieder, dass Veränderungen, die meine Kunden selbst wollen, nicht umgesetzt werden, weil die unerwünschte Thematik auf unbewusster Ebene gewisse Vorzüge mit sich bringt, die das Unbewusste nicht verlieren möchte. Aus diesem Grund finden im Rahmen professioneller und nachhaltig wirksamer Coaching-Prozesse immer wieder sogenannte Ökologie-Checks statt. Denn es gibt keine Veränderung ohne Preis. Bereits zu Beginn des Prozesses erarbeite ich mit meinen Kunden den primären und sekundären Gewinn der unerwünschten Symptomatik oder des unerwünschten Verhaltens um festzustellen, ob sie bereit sind, diesen Preis für die Veränderung zu zahlen. Passiert das nicht, kann der Mensch noch so hart am neuen Verhalten arbeiten, das Unterbewusste wird immer und immer wieder dazwischenfunken, weil es den Benefit resultierend aus dem Verhalten nicht aufgeben möchte. Getreu dem Motto: Ich will es ja nicht, aber ES macht es einfach mit mir…

So machtvoll schwach…

So haben die Schwachen ihr Umfeld also ziemlich machtvoll im Griff, nicht selten sogar Coaches oder Therapeuten und irgendwo tief in ihnen ist da eine Stimme, die sich dieses Mechanismus auch sehr deutlich bewusst ist.

Was bedeutet das alles für mich? Zum einen spüre ich in meiner Rolle als Coach immer mal wieder das Bedürfnis, mich zu kümmern oder helfen zu müssen. Aber es gibt hier noch eine andere Seite in mir. Seit frühster Kindheit triggern mich diese zarten, schwachen, kleinen, süßen Wesen auch immer wieder. Schon seit dem Kindergarten falle ich durch eine anständige Portion Selbstbewusstsein und den Fakt, dass ich gut einen Kopf größer bin, als die meisten, auf. Schon im zarten Alter von drei habe ich wohl unbewusst verstanden, dass diese Attribute jedoch mit Nichten zu meiner Überlegenheit beitragen. Kaum heulte eines dieser zarten Wesen, musste ich das Spielzeug abgeben. Begleitet wurde das von den wohlmeinenden Worten von Tante Eva: “Du bist doch schon so groß!”

Die Macht der Schwachen! Seitdem triggert sie mich und mit der Zeit hat sie mich fast neidisch gemacht. In mir drin gibt es eine Seite, die auch so gerne Schwach wäre, damit sich liebevoll und gut um mich gekümmert wird. Meine Schattenpersönlichkeit taucht tatsächlich hier und da, ganz heimlich und im ganz sicheren Rahmen auf und zeigt mich in all meinem Schwachsein, um unbewusst vielleicht dann doch die Macht, die diese Schwäche hat, auszuspielen. Ich befürchte mein Mann kann davon ein Lied singen, springt in ihm doch sofort Mitleid und Hilfsbereitschaft an. Es tut mir so leid Schatz! Das ist wahrscheinlich ganz schön manipulativ von mir! Manchmal möchte sich die Schattenpersönlichkeit einfach zeigen… Ich dachte mit dem Coach-Sein käme auch die persönliche Erleuchtung, aber dem ist offensichtlich (noch) nicht so.

Ich frage mich, ob ihr diese Macht der Schwachen auch kennt? Vielleicht sogar wie ich aus beiden Perspektiven? Wann nutzt ihr die eigene Schwäche selbstverständlich nur unbewusst aus um ein Ziel zu erreichen? Und wann lasst ihr euch durch die Schwäche anderer in eine bestimmt Aktion drücken? Keine Angst, alles das sind völlig normal Verhaltensweisen, die zum Menschsein dazugehören. Wenn ich darüber nachdenke ist es für mich in meiner Rolle als Coach ein großer Vorteil beide Seiten zu kennen. So weiß ich aus eigenem Erleben, wieviel Stärke sich in der Schwäche versteckt. Auch deshalb gelingt es mir in meinen Coaching-Prozessen inzwischen recht verlässlich nicht durch Mitleid getrieben an der Schwäche meiner Kundinnen und Kunden anzudocken, sondern an deren Stärke, an deren Ressourcen. Denn ich weiß, dass die Momentaufnahmen, die nichts als Schwäche oder Ohnmacht vermuten lassen, zum einen Momentaufnahmen sind und zum anderen war und ist es die Macht der eigenen Ressourcen, die meine Kundinnen und Kunden zu mir kommen lässt. Wirkliche Ohnmacht gibt es wahrscheinlich nur im Märchen und selbst Hänsel und Gretel haben die Hexe am Ende in den Ofen gesteckt!

Vielleicht hast du ja beim Lesen Lust bekommen gemeinsam mit mir an deinen eigenen Themen, Verhaltensweisen, deinem Stark- oder Schwachsein zu arbeiten. Gerne auch provokativ. Dann melde dich. Ab Mai wird bei mir wieder ein Platz auf meinen großartigen Coaching-Sesseln frei und ich habe gegenwärtig keine Wartelist! Wahrscheinlich sollte ich mich mal um mein Marketing kümmern…

Habt einen schönen Sonntag, ob stark oder schwach… Völlig egal.

Eure Constance

Unser Leben ist eine Reise, ein Weg immer dem Horizont entgegen

Keiner außer uns selbst geht diesen Weg, auch wenn wir manchmal ganz fest davon überzeugt werden, dass er einfach nur mit uns gegangen wird und wir keinen Einfluss auf die Richtung haben! -Stimmt nicht! Es ist und bleibt unser Weg!

Der Glasklippen-Effekt: Über Frauen und Machtpositionen

Die Feministin in mir

Wahrscheinlich gibt es offensichtliche, auf der Hand liegende biologische Ursachen dafür, dass mich als Frau Themen rund um Frauen in Führungspositionen häufig deutlich emotionaler beschäftigen, als Themen rund um Männer in Führungspositionen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Frauen besonders in Senior-Management Positionen in meiner Wahrnehmung noch immer eine eher seltenere Erscheinung sind und meine Faszination für Raritäten einfach größer ist als für den subjektiv empfundenen Standard. Keine Ahnung… Ich weiß noch genau als ich damals in meiner Zeit als Stewardess mit Anfang zwanzig zum ersten Mal mit einer Kapitänin geflogen bin. Sie war nicht besonders nett, aber ich war tief beeindruckt. In den letzten 25 Jahren hat sich zum Glück nicht nur in der Luftfahrt Einiges getan und ja, diese unsichtbare Decke aus Glas, die Frauen wie von Geisterhand von einer bestimmten Ebene trennt, ist deutlich durchlässiger geworden, nicht nur in Flugzeugen. Ist diese gläserne Decke für Frauen ebenso durchlässig wie für Männer? Gefühlt nicht. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und heute möchte ich darauf nicht eingehen. Zumal es dazu so viele Studien und so viele Meinungen gibt, dass ich nichts wirklich Neues zu berichten wüsste.

Vor einer guten Woche habe ich versucht meine Perspektive zum Thema zu wechseln und mir ganz genau anzuschauen aus welchen Gründen und in welchen Rahmenbedingungen es Frauen eben doch gelingt diese gläserne Decke zu durchbrechen und in Macht- oder Verantwortungspositionen zu gelangen. Ich habe versucht die Thematik ressourcenorientiert zu betrachten. Eigentlich wollte ich mir einmal mehr eine Haltung zum Thema Frauenquoten erarbeiten, da ich an dieser Stelle hin und her gerissen bin. Während meiner Recherchen bin ich jedoch auf eine Thematik gestoßen, die mir so vorher noch nicht begegnet ist. Genau diese Thematik möchte ich an diesem sonnigen Wochenende mit euch teilen.

Durch die Glasdecke der Macht geschossen um direkt über die gläserne Klippe zu springen?

Im Jahr 2005 waren es Michelle Ryan und Alexander Haslam von der University of Exter, die erstmals den Begriff der “Glass Cliff”, also der gläsernen Klippe in die Welt getragen haben. Ihren Forschungen zu Folge wartet auf Frauen, denen es erfolgreich gelungen ist, die gläserne Decke hin zu Führungspositionen zu durchbrechen überdurchschnittlich häufig einer Art gläserne Klippe über die man sie schließlich springen lässt. Die Forschungsergebnisse der beiden Wissenschaftler*innen zeigten eindeutig, dass Frauen eher in Führungspositionen gehoben werden, wenn das Unternehmen oder der Unternehmensbereich in einer schwierigen, unklaren, herausfordernden oder gar prekären Situation ist.

Die Erklärungsansätze für diesen Umstand sind mannigfaltig und leider nicht so schmeichelhaft wie: Frauen sind besonders gute Krisenmanagerinnen! Ein Ansatz hat mich sogar so sehr empört, dass ich für den Moment der Meinung bin, dass wir unbedingt Frauenquoten brauchen um diesen wie ich finde toxischen Geschlechterautomatismus zu durchbrechen. Ich habe euch mal drei unterschiedliche Erklärungsansätze mitgebracht. Wahrscheinlich lassen sich die Ergebnisse dieser Studie durch eine Mischung aller drei und sicher noch einiger anderer Faktoren erklären.

Ein Erklärungsansatz, den ich auch selbst spontan im Kopf hatte, lieferten Christy Glass und Ali Cook von der Utha State University. Die beiden beschrieben, dass Frauen und andere Minderheiten riskante Jobangebote häufig als einzige Möglichkeit sehen um sich weiterzuentwickeln. Je unattraktiver der Job, desto geringer die (männliche) Konkurrenz. Was mich ein wenig getroffen hat, ist, dass die beiden Damen von Frauen als Minderheiten gesprochen haben. Ich weiß sicher wie es gemeint war. Aber mal ehrlich Ladies, wir machen etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Wir sind keine Minderheit! Und meine Herren, einige von euch würden sicher recht sparsam dreinschauen, wären wir Frauen tatsächlich eine Minderheit…

Einen zweiten Erklärungsansatz lieferte Alexander Haslam selbst. Für ihn ist einer der Gründe, weshalb Frauen eher als Männer bereit sind eine Glass-Cliff-Position zu akzeptieren, der, dass Frauen häufig keinen Zugang zu qualitativ hochwertiger Information und Unterstützung haben, die Führungskräfte normalerweise davor warnt, bestimmte Positionen anzunehmen. Frauen mangelt es laut Haslam häufig an einem entsprechenden Netzwerk und an hochkarätigen Unterstützern (hier habe ich mal bewusst aufs gendern verzichtet!).

Der dritte Erklärungsansatz hat es aus meiner Sicht in sich. Mir persönlich ging beim Lesen der Puls nach oben. Ich gestehe er hat mich richtig wütenden gemacht. Also Vorsicht beim Weiterlesen.

Die an der an der Universität von Houston lehrende Psychologieprofessorin Kristin J. Anderson beschreibt, dass Unternehmen Glass-Cliff-Positionen gerne an die Frau bringen, weil diese Unternehmen Frauen als “verbrauchbarere und bessere Sündenböcke” betrachten. Die Logik dahinter ist laut Anderson folgende: Ist die Frau wider Erwarten dann doch erfolgreich, ist das Unternehmen besser dran. Also alles fein. Scheitert die Frau, kann man ihr die Schuld geben und sich gleichzeitig dafür feiern lassen, wie geschlechtergerecht und fortschrittlich man ist, weil man einer Frau eine Chance gegeben hat. Und nachdem die Frau dann als Sündenbock entfernt wurde, könne man laut Anderson wieder zur alten Praxis zurückkehren und einen Mann benennen.

Meinen inneren Kriegspfad sinnvoll kanalisieren

Puh, da war ich aber angefressen. Mein kleine innere Emanze befand sich bereits wütend auf dem Kriegspfad. Besonders weil es kein Thema von 2005 ist. Klar könnte man meinen, die Studie sei im wissenschaftlichen Sinne uralt und die Welt habe sich weitergedreht. Ich bin auf die Thematik über einen sehr aktuellen Artikel von Michelle Ryan in der Financial Times aufmerksam geworden, in dem Ryan klar und deutlich darlegt, dass die Glasklippe für Frauen heute, das heißt 2024, so aktuell ist, wie sie es 2005 war.

So marschiert meine kleine innere Emanze also weiter und weiter und ärgert sich über all die Unternehmen, die es vielleicht sogar immer und immer wieder mit Frauenquoten versuchen und denen es jedoch trotz größter Bemühung einfach nicht gelingen will eine qualifizierte Dame für den Posten zu finden. Arme Unternehmen! Vorständinnen fallen eben nicht vom Himmel und wenn es auf der nicht medienwirksam vermarktbaren Ebene gläserne Decken und gläserne Klippen für Frauen gibt, die sich nebenbei noch mit Thematiken wie der Gender Care Gap auseinandersetzen müssen und mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit auch noch schlechter bezahlt werden, als ihre männlichen Kollegen, dann haben wir ein Thema, das so viel größer ist, als ein Quote. Aber vielleicht dient eine Quote als kleiner Türöffner. Denn eines sind Frauen, die wie gesagt keine Minderheit sind, sicher nicht: Schlechter!

In diesem Sinne wünsche ich euch allen, Männer und Frauen, einen sonnigen Sonntag. Lasst mich gerne wissen, wie ihr dieses Thema im eigenen täglichen Erleben wahrnehmt und ob ihr dieses Phänomen der Glasklippe bereits kanntet und wie ihr dazu steht. Vielleicht habt ihr ja noch andere Erklärungsansätzen? Oder vielleicht kennt ihr Beispiele aus dem eigenen Erleben?

Eure Constance

Glasklippe?

Wenn schon Klippen, dann klar erkennbar, damit man sie auch erfolgreich umschiffen kann…

Die Suche nach Ostereiern, Glück und dem Sinn

Frohe Ostern

Und? Schon Eier gesucht und erfolgreich gewesen?

Ich genieße mein langes Osterwochenende gerade in vollen Zügen mit Mann, Hund, Freunden und Familie. Ich habe in diesem Jahr sage und schreibe 36 Osternester gebastelt und gerade kommt mir nichts in meinem Leben sinnvoller vor als die Osterparty mit meinen Freunden gestern, die leuchtenden Augen ihrer Kids als ich ihnen zum Abschied ihre Osternester in die kleinen Hände gedrückt habe und der Ausblick darauf morgen das Haus voll mit Familie zu haben, gemeinsam Burger zu essen und den Tag vorbeiziehen zu lassen. Das ist Sinn, das hat Sinn und das macht mich sehr, sehr glücklich!

Aus diesem tiefen Gefühl von Glück und Sinnhaftigkeit ist die Idee zu diesem Artikel geboren. Warum nicht über den Sinn schreiben? - Zumal mich dieses Thema auch durch meine gesamte letzte Arbeitswoche begleitet hat.

Purpose! Purpose! Überall Purpose

Schon meine kurze Arbeitswoche vor Ostern hat wie gesagt mit dem Thema Sinn oder Purpose wie wir es Neuhochdeutsch im Business-Kontext nennen, begonnen. Ich wurde für die Master-Arbeit einer jungen Studentin, die im Dezember meinen Workshop an der Uni in Maastricht besucht hat, interviewt. Jana setzt sich in ihrer Arbeit mit der Bedeutung von Purpose im Rahmen von Business Coachings auseinander. Spannendes Thema. Ich bin schon jetzt auf ihre Ergebnisse gespannt.

Das Interview mit Jana hat mich dazu angeregt, mir die ganze Woche Gedanken zum Thema Purpose zu machen, die ich heute, an Ostern, mit euch teilen möchte. Zwar erscheint die Suche nach Ostereiern erfolgsversprechender oder wenigstens einfacher, als die nach dem Sinn. Man kann aber durchaus mal darüber nachdenken welche Bedeutung Sinn in unserem (Arbeits-) Leben hat.

Welche Rolle spielt Sinnhaftigkeit oder Purpose denn nun in meinen Business Coachings?

“Eine ausgesprochen große”, war meine spontane Antwort. Die Frage nach dem Wofür scheint dieser Tage allgegenwärtig. Es gibt Coaches, die sich sogar auf das Thema Purpose spezialisiert haben und viele Unternehmen betreiben einen immensen Aufwand nicht nur ihren Mitarbeitenden, sondern sogar sich selbst einen oft medienwirksamen, strahlend schönen Purpose zu geben.

Was ich als Coach regelmäßig erlebe, ist dass ich mit Menschen arbeite, die glauben ihren Purpose oder ihr Wofür gefunden zu haben und trotzdem mit diesem Purpose hadern, weil sie häufig vor allem gesellschaftliche Erwartungen erfüllen oder sich die Erwartungshaltung von Eltern, Freunden, Partnern zu eigen gemacht haben und nun glauben das sei ihr Purpose. Sie haben sich das Wofür, das ihnen übergestülpt wurde zu eigen gemacht. Parallel entwickeln sie getrieben von Heerscharen von Coaches wie mir auch noch ihren Purpose im Business-Kontext, der natürlich in den großen und fast schon spirituellen Purpose des jeweiligen Unternehmens passen muss. So beginnen sie ganz überfüllt von Sinnhaftigkeit sich daran abzuarbeiten…

In dieser Gemengelage ist die große Herausforderung für mich als Coach diesen Menschen, die sich selbst, ihr ganzheitliches Ich, mit ihrer Rolle im beruflichen Kontext verwechseln und sich Tag ein Tag aus bemühen in ein vorgegebenes Bild zu passen, dabei zu begleiten ihren wirklichen, eigenen, intrinsischen und unbeeinflussten Purpose zu finden. Hierbei führt uns die Reise häufig tief in Werte- und Glaubenssysteme und am Ende dieser Reise steht fast immer die Erkenntnis, dass der wahre Sinn des Lebens eine Dimension hat, die weit über unsere berufliche Tätigkeit hinaus geht.

Nicht falsch verstehen! Es ist durchaus hilfreich, dass unser Job uns in einer gewissen Weise erfüllt. Wir verbringen so viel Zeit damit zu arbeiten, dass es Sinn macht, sich in dieser Zeit mit Dingen zu beschäftigen, die als positiv empfunden werden, oder uns die Möglichkeit geben uns kreativ zu entfalten. Jedoch arbeiten die allermeisten von uns in erster Linie um die eigene Existenz zu sichern. Selbst ich, die ich meine Arbeit sehr liebe, würde sofort kürzertreten, hätte ich die finanziellen Mittel, um mehr Zeit mit meinem Mann, meiner Familie, meinen Freunden zu verbringen, um länger und öfter mit dem Hund spazieren gehen zu können, um häufiger zu reisen und mehr Zeit für meine Hobbies zu haben. Würde ich meinen “Purpose” primär über meine berufliche Tätigkeit definieren, würde ich mich wahrscheinlich in Teilen selbst belügen, da ein ganz elementarer Teil keine ausreichende Würdigung erfährt.

Ja, Purpose spielt im Business Coaching eine große und wichtige Rolle. -Manchmal eben auch um diesem Purpose im Business-Kontext zu entschärfen und den Fokus auf das große Ganze zu legen: Ich lebe nicht um zu arbeiten, ich arbeite um zu leben. Ich habe das große Glück eine Arbeit gefunden zu haben, die mir unendlich viel Spaß macht, aber meine Basis und das was mir wirklich wichtig ist und was mir die substanzielle Kraft gibt, in meinem Job Höchstleistung zu erbringen ist nicht der Purpose des Unternehmens für das ich arbeite und den ich durchaus mag. Vielmehr ist es die Liebe, Geborgenheit und das Gefühl der Zugehörigkeit in meinem Privatleben, es ist die Möglichkeit meine Neugier aufs Leben durch Reisen und Lernen zu stillen, die Möglichkeit gutes Essen und guten Wein genießen zu dürfen, zu tanzen und zu lachen. -Kurzum die Fähigkeit das Maximum an glücklichen und unbeschwerten Momenten aus meiner Verweildauer auf dieser Welt herauszuholen. An dieser Stelle muss ich an meinen Vater denken. Er ist schon lange Tod, fast 20 Jahre. Er starb als ich noch eine recht junge Stewardess war. Damals, als ich mich entschied Flugbegleiterin zu werden, war mein alter Herr zu tiefst erschüttert. Für ihn war es eine unangemessenen Verschwendung meiner intellektuellen und kognitiven Ressourcen. Als er von seiner Krankheit schon sehr gezeichnet war, saßen wir auf dem Krankenhausflur. Er hat ein Erdbeereis gegessen. Es war ein schöner Herbsttag und wir haben über den Sinn des Lebens philosophiert. In diesem Gespräch hat er sich mit meiner damaligen beruflichen Tätigkeit ausgesöhnt. Er hat mein Wofür verstanden. Er hat verstanden, dass ich von einer unglaublichen Neugier auf die Welt und die Menschen in dieser Welt getrieben war und keine andere Möglichkeit sah, diese Neugier zu stillen. Manchmal stelle ich mir vor wie es wäre, wenn er heute sehen könnte was aus dieser Neugier und aus mir geworden ist. Heute habe ich durch meine Arbeit als Coach eine andere Möglichkeit erschlossen, diese Neugier zu stillen. Ich denke es wäre OK für ihn!

Vielleicht ist der Sinn des Lebens zu leben… zu liebe und zu lachen…

Was mir einfach nicht gelingen will, ist das Thema Purpose isoliert von unserer eigenen Vergänglichkeit zu betrachten. Nicht nur weil sich der Todestag meiner Mama am letzten Donnerstag einmal mehr gejährt hat, bin ich mir der Tatsache bewusst, dass ich nicht ewig Zeit habe meinem Sinn oder meinem Purpose hinterher zu jagen. Und was, wenn ich sterbe, bevor ich mein großes Lebensziel erreicht habe? Würde mein Leben dann sinnlos gewesen sein? Eine schreckliche Vorstellung! Die Jagd nach dem großen Sinn und dem großen Glück kann ganz schön frustrierend werden. Es gibt sogar Studien die belegen, dass diejenigen, die am akribischsten nach Glück und Bedeutsamkeit suchen am unglücklichsten sind. So gesehen sollte man vorsichtig sein, wie groß oder unerreichbar man seinen Purpose schneidet. Denn besonders glücklich sind laut aktuellen Glücksstudien diejenigen, die nicht primär nach dem großen Glück, sondern nach der allgemeinen Zufriedenheit streben. Vielleicht sollte man das mit dem Sinn ähnlich halten.

Und zum Glück gibt es Viktor Frankl

Irgendwie führt mich all diese Sinnsuche immer wieder zum großen Viktor Frankl, diesem außergewöhnlichen Psychiater und Mensch, der als Vater der sogenannten Logotherapie (vom griechischen Lógos, zu Deutsch “Sinn” kommend), also der Therapie durch Sinn oder Sinnhaftigkeit gilt. Er ist sozusagen der Urvater der Bewegung die inzwischen selbst Unternehmen mit Sinnhaftigkeit übergießt. Er hatte die Fähigkeit Sinn selbst im Leid zu finden.

Frankl selbst hat den Holocaust überlebt und verzaubert mich bis heute mit seinem wohl berühmtesten Zitat: “Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In dieser Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.” Er war nie ein Gefangener. In seiner eigenen Logik, in seiner Sinnhaftigkeit war er zu jeder Zeit frei, da er jederzeit die Freiheit hatte, zu entscheiden wie er den Raum zwischen Reiz und Reaktion nutzt. So hat Frankl selbst dem Unaussprechlichsten seinen Sinn gegeben, da Sinn für ihn eng mit Selbstwirksamkeit verknüpft ist, die er sich niemals hat nehmen lassen.

Vielleicht liegt der große Sinn des Lebens darin, sich einfach nicht jagen zu lassen. -Weder von gesellschaftlichen Erwartungen oder den Vorstellungen Dritter, noch von dem Druck allem einen größeren Sinn geben zu müssen. Der Sinn ist stattdessen selbstwirksam zu gestalten. -Vor allem mit Blick darauf, dass wir den Faktoren im Außen nicht die Macht überlassen unsere Reaktionen zu bestimmen. Wir geben allem Sinn, wenn wir uns bewusst sind, dass wir die Freiheit haben, Verantwortung für unser Tun zu übernehmen.

Die meisten von uns dürfen über Ostern wahrscheinlich ein besonders langes Wochenende genießen und vielleicht wäre es ja ausgesprochen sinnvoll, diese Zeit bewusst, selbstwirksam zu erleben und zu gestalten, zu lachen, dankbar zu sein für die Menschen die wir lieben und die uns vielleicht sogar zurück lieben. Gibt es wirklich etwas, das größer ist, als diese kurzen, flüchtigen Momente, das Lachen und das warme Gefühl der Gemeinschaft? Ich arbeite gerne hart und leiste meinen gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Beitrag um in Frieden und relativem Wohlstand auch weitere besondere Tage mit meiner Familie und meinen Freunden genießen zu können. -Purpose hin, Purpose her…

Vielleicht ist es mit dem Sinn des Lebens ja ähnlich wie mit dem Sinn des Universums. Douglas Adams hatte dazu in “Per Anhalter durch die Galaxis” eine ausgesprochen einleuchtende Theorie, die besagt, dass, “wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. -Es gibt eine andere Theorie nach der das schon passiert ist.”

Zu eine gewissen Teil ist mein Sinn wahrscheinlich die stetige Suche nach dem Sinn. Das hält mich neugierig, offen und in Bewegung. -Ganz ohne Druck, quasi per Anhalter durch mein Leben. Allerdings muss in diesem Zusammenhang die Frage erlaubt sein, ob nicht gefundene oder übersehene Sinne mit der Zeit ebenso zu stinken anfangen, wie die nicht gefundenen oder übersehenen Ostereier?

Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Erfolg bei eurer Suche nach den bunten Eiern, dem Sinn und dem Glück. Habt ein zauberhaft sinnvolles restliches Osterwochenende!

Eure Constance