Stressmanagement im Business Coaching: Neues von den Neurowissenschaftlern Teil 2

“Wenn sie sich dazu entscheiden, Ihre Stressreaktionen als hilfreich zu betrachten, schaffen Sie die biologische Voraussetzung für Mut.” Kelly McGonigal

Bäm! Das Zitat hat gesessen, als ich es zum ersten Mal gelesen habe. Jahrzehnte war es das Ziel Stress zu reduzieren, Stress in positiven und negativen Stress aufzuteilen und zu versuchen ruhig zu bleiben oder ruhig zu werden. Bis heute hat das eine Daseinsberechtigung und in meinem letzten Artikel bin deshalb auf die sogenannte Polyvagal Theorie eingegangen, die eine wertvolle Grundlage für tolle Möglichkeiten bietet, mit Stress im Business Coaching (oder in der Arbeit mit sich selbst) so zu arbeiten, dass er gefühlt weniger wird. Jedoch ist unsere Welt komplex und auch das Thema Stress sollten wir unbedingt aus mehreren Brillen betrachten und ein Repertoire parat haben, um auf Stress zu reagieren, oder eben nicht.

Ein Grund, weshalb ich mit klassischen Stressmanagement à la “reduziere deinen Stress!” stets ein wenig gefremdelt habe, ist weil ich meinen Stress liebe und unbedingt brauche! Mehr als einmal habe ich gehört, dass das eine ausgesprochen ungesunde Haltung sei. Bis Kelly McGonigal daher kam und ich dank ihr nun weiß, dass ich schlicht und ergreifend einfach nur eine Stress-Enthusiastin bin und dass das gar nicht ungesund ist! Ganz im Gegenteil… Es lässt sogar min Gehirn wachsen!

Es ist die Bewertung und nicht die Hormonausschüttung

Aber mal von vorne: Wenn wir über Stress sprechen, sprechen wir zunächst von einer körperlichen Reaktion, die man im ersten Schritt neutral als Arousal bezeichnen darf. Es kommt also zu einem physiologischen Erregungszustand gesteuert durch unser vegetatives Nervensystem als Reaktion auf einen Reiz. Es werden bestimmte Hormone ausgeschüttet. Das bekannteste ist sicher Adrenalin, aber auch Cortisol und das Wachstumshormon DHEA sind Teil dieses Cocktails, der unser Herz schneller schlagen und unserem Atem flacher werden lässt. Die Handflächen werden vielleicht feucht, oder es stellt sich ein flaues Gefühl im Magen ein. Vielleicht wird der Mund trocken und wir haben das Bedürfnis uns zu bewegen. Alles ganz normale und absolut nicht besorgniserregende körperliche Reaktionen. Spannend wird jedoch unsere Bewertung dieser körperlichen Reaktionen. Es gibt Momente, da empfinden wir ein und das selbe Gefühl im Bauch entweder als Schmetterling und sind der Meinung wir sind erregt, weil wir uns auf etwas freuen. Und in anderen Momenten bewerten wir diese Empfindung als flaues Gefühl im Magen und sind der Meinung wir haben Angst vor etwas. McGonigal konnte nachweisen, dass die körperlichen Reaktionen bei Angst und Vorfreude die gleichen sind. Der Unterschied entsteht durch unsere Bewertung.

Ich gebe euch mal ein konkretes Beispiel aus meinem Alltag: Ich liebe es auf großen Bühnen zu stehen! Es fühlt sich einfach toll an. Es gibt Menschen, die mögen es überhaupt nicht und müssen sich überwinden, den Schritt nach vorne zu machen. Frage ich diese Menschen, wie sich ihre Bühnenangst genau anfühlt, höre ich sehr häufig Aussagen wie: Ich bekomme Herzrasen und feuchte Hände. Mein Mund wird ganz trocken. Ich habe das Gefühl nicht tief einatmen zu können. Diese Reaktionen befeuern ihre Angst. Fragt ihr mich, was bei mir körperlich los ist, bevor ich auf die Bühne darf, wird mein Mund ganz trocken und ich spüre meinen Herzschlag ganz deutlich, meine Hände werde manchmal feucht, ich muss auf jeden Fall nochmal auf die Toilette und meine Atmung ist schnell und flach. Diese Reaktion interpretiert mein System als Vorfreude und Ungeduld, bis es endlich losgeht! Vor meiner Hochzeit war es so heftig, dass ich vor der Kirche am Arm meines Bruders fast ohnmächtig geworden wäre. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ich hätte Angst!

McGonigals Idee folgend geht es nicht darum, Stress per se zu reduzieren, sondern zunächst einmal an seinem Bewertungssystem zu arbeiten. Und an Bewertungssystemen arbeiten wir Coaches mit unseren Kunden ja immer und immer wieder. Warum also nicht auch in diesem Kontext?

Denn Stress lässt Gehirne wachsen…

Insgesamt konnte McGonigal im Rahmen ihrer Forschung, die sie übrigens an der ehrwürdigen Stanford University betreibt, feststellen, dass sich die Menschheit tatsächlich in eine Gruppe bestehend aus Menschen mit positivem Stress-Mindset und in eine Gruppe bestehend aus Menschen mit negativem Stress-Mindset aufteilen lässt. Unter anderem hat sie dabei festgestellt, dass Menschen mit einem positiven Stress-Mindset seltener an Posttraumtischen Belastungsstörungen (PTBS) erkrankten, was für die US-Army sehr interessant wurde. Studenten mit positiven Stress-Mindset scheinen generell besser durch ihr Studium zu kommen, auch mit Fokus auf die Noten, als ihre Mitstreiter mit einem negativen Stress-Mindset. Die Definition von Mindset in diesem Zusammenhang ist übrigens wie folgt: Eine Überzeugung, die unser Denken, Fühlen und Handeln im Voraus bestimmt. - Im Prinzip eine Art Filter durch den wir die Welt betrachten.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Alia Crum hat McGonigal herausgefunden, dass die unterschiedlichen Mindsets zwar keinen Einfluss darauf haben, dass Stresshormone, ausgeschüttet werden, sehr wohl aber auf die Zusammensetzung des jeweiligen Hormoncocktails. Relevant sind hierbei vor allem zwei Hormone: Cortisol und Dehydroepiandrosteron (DHEA). Cortisol hilft und dabei Zucker und Fett in Energie umzuwandeln und unterdrückt Körperfunktionen, die bei Stress eher unwichtig sind (z.B. Verdauung, Fortpflanzung und Wachstum). DHEA hingegen gehört zu der Gruppe der sogenannten Steroide oder Wachstumshormone und fördert das Wachstum unseres Gehirns. -Ähnlich wie Testosteron unsere Muskeln wachsen lässt. Außerdem gleicht es die Wirkung von Cortisol in einigen Bereich aus. Beide dieser Hormone sind wichtig, allerdings ist das Verhältnis dieser beiden Hormone zueinander ebenfalls wichtig um McGonigals Ansatz zu verstehen.

Das Verhältnis von Cortisol zu DHEA bezeichnet McGonigal als Growth Index der Stressreaktion. Je höher der Growth Index (das heißt je mehr DHEA im Verhältnis zu Cortisol im Speichel der Probanden messbar war), desto mehr kann der Mensch tatsächlich von Stress profitieren. Im akademischen Umfeld der Uni förderte das die Beharrlichkeit und Resilienz der Studierenden und beim Militär führte ein höherer Growth Index dazu, dass die Wahrscheinlichkeit nach einem kritischen Einsatz an einer PTBS zu erkranken geringer wurde.

Hirnwachstums-Chance Mindset Coaching

So stelle man sich nun also vor, McGonigal und Crum weisen mittels Speicheltest nach, dass ich ein negatives Stress-Mindset und einen sehr geringen Growth Index habe. Kann ich das ändern und in ein positives Mindset umwandeln? Die Forscherinnen sagen eindeutig ja und können das auch durch Versuchsreihen und Studien belegen. In ihren Mindset-Trainings unterstützen die beiden unter anderem über Wertereflexionen ihre Teilnehmenden ihren individuellen Sinn und finden. Das Verständnis seines eigenen großen “Wofürs” ist die Voraussetzung um die individuelle Stressbewertung nachhaltig zu verändern. Diese Veränderung findet durch drei Katalysatoren statt:

  1. Sich einlassen! Das bedeutet sich bewusst mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und zu reflektieren worin die positive Kompetenz oder der positive Aspekt dieser Angst liegt. So lassen sich aus Bedrohungen Herausforderungen machen und es lassen sich absolute Angstgrenzen definieren, die natürlich auch eine Daseinsberechtigung haben und klare Grenzen ausweisen, was wiederum Sicherheit gibt..

  2. Sich verbinden! Stress verändert sich, wenn wir bewusst mit Menschen in Verbindung gehen. So kann aus Fürsorge Resilienz werden und wir knüpfen uns ganz automatisch ein soziales Auffangnetz.

  3. Wachsen! “Was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker,” hat schon meine Oma gesagt. Aber so ist es. Widrigkeiten, die uns im Leben widerfahren haben das Potenzial uns stärker zu machen, uns wachsen zu lassen. Dafür ist es wichtig diese Situationen, die nicht selten als Schicksalsschläge empfunden werden, anzunehmen und aus ihnen zu lernen oder an ihnen zu wachsen. Und wer nun sagt, das sei ganz harter Tobak, dem empfehle ich Viktor Frankls Buch “Trotzdem Ja zu Leben sagen”. Frankel hat den Holocaust überlebt und gilt in der Psychologie als Vater der sogenannten Logotherapie, also der Sinn-Therapie. Womit wir wieder am Anfang sind: Um an seinem Mindset zu arbeiten muss man mit seinem Sinn beginnen!

Neugierig geworden? Dann lege ich euch Kelly McGonigals Buch “Glücksfaktor Stress” sehr ans Herz. Hier gibt es auch ein ausführliche Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Arbeit am eigenen Stress-Mindset. Alternativ dürft ihr natürlich auch einen Coach wie mich kontaktieren. Ich freue mich jedes mal sehr darüber Menschen auf diesem Weg ein kleines Stückchen begleiten zu dürfen. Denn eines ist klar (und das sagt auch McGonigal sehr deutlich): Zu versuchen Stress zu vermeiden ist auch nicht die Lösung. -Ganz im Gegenteil! Häufig entsteht (negativer) Stress überhaupt erst durch den verzweifelten Versuch Stress zu meiden. Psychologen nennen diesen Teufelskreis, der durch dem Versuch Stress zu vermeiden Stress erzeugt “Stress Generation”. Den Preis den wir dafür zahlen ist nicht nur ein konstant hohes Stresslevel, sondern auch Isolation und eine Aneinanderreihung verpasster Möglichkeit. Je mehr wir uns dabei bemühen Stress zu vermeiden, desto stärker gelangen wir in diese Abwärtsspirale. Die Psycholog*innen Ryan, Huta und Deci beschreiben es in ihrem Sammelband “Die Erforschung des Glücks” so: “Je stärker man darauf abzielt, Genuss zu maximieren und Schmerz zu vermeiden, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich ein Leben errichtet, dem es an Tiefe, Bedeutung und Gemeinschaft fehlt.”

In diesem Zusammenhang erzählt McGonigal von einer Nacht, in der sich ihre Kollegin Alia Crum von Selbstzweifeln zerfressen allein im Keller der psychologischen Fakultät der Yale University versteckt hat und über Forschungsergebnissen im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit brütete. Plötzlich schaute ein Mitarbeiter der IT rein und sagte: “Wieder eine dieser kalten, dunklen Nächte an der Flanke des Mount Everest!”, und ging wieder. Wochen später wachte sie nachts auf und ihr wurde klar, dass da natürlich recht ungemütliche, dunkle und bitterkalte Nächte wären, würde sie den Mount Everest besteigen. Aber sie wären Teil der Reise und voraussetzende Rahmenbedingung für das Hochgefühl, das sich neben dem Gipfelkreuz einstellt. Klar fragt man sich immer mal wieder wofür. Aber wenn der Purpose klar ist, schafft man es auch durch die dunkelsten Nächte und die tiefsten Stresstäler. Crum hat den Zusammenhang zwischen Stress und Sinn erkannt und ihre Doktorarbeit erfolgreich abgeschlossen.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen wunderschön stressigen Sonntag, egal ob ihr auf einen Berg steigt, die Kinder hütet, die Wäsche bügelt oder den Garten frühlingsfertig macht.

Eure Constance

Manchmal reicht ein Kaffee in der Sonne einfach nicht…

Stress: Wir haben ihn, wir brauchen ihn, wir suchen ihn, wir meiden ihn…

Stressmanagement im Business Coaching: Vom Druck im Job und den neuern Erkenntnissen der Neurowissenschaft

So klein in Anbetracht des Großen!

Am 21. Februar war für mich einer dieser Tage, die ich mein Leben lang erinnern werde. Mein aller größtes Vorbild hinsichtlich meiner Arbeit als Coach und Berater war zu Gast in meinem Workshop! Dr. Gunther Schmidt ist für mich nicht nur fachlich, sondern auch menschlich eine unglaubliche Inspiration. Im Rahmen eines Mindset Days für zwei Leadership Teams gab er sich die Ehre und hat uns alle in einer gut zweistündigen Session mit seinem Wissen, seiner Erfahrung und seiner Haltung bereichert. Er ist auf Spannungsfelder im Zusammenhang mit der Führungsrolle der Teilnehmenden eingegangen, die ich im Vorfeld mit der Gruppe erarbeiten durfte.

Eines dieser Spannungsfelder ist der Umgang mit Stress und Emotionen im professionellen Umfeld. Die bewusste Selbststeuerung und Selbstregulierung gepaart mit einer bewussten Abgrenzeng sind Themen, die sicher nicht nur Führungskräfte dieser Tage umtreiben. Neben anderen Spannungsfeldern weicht auch das Thema Homeoffice die Grenzen zwischen Berufs- und Privatwelt auf. Überlastung gepaart mit dem Ruf nach Resilienz-Trainings und Coachings schallt durch die Gänge virtueller und physischer Büros und Heerscharen von Coaches geraten zunehmend in die Position ihre individuellen Kunden und auch ganze Teams oder Strukturen zum Themen Stress und Stressregulation abzuholen. Grund genug meine beiden liebsten diesbezüglichen Konzepte mit euch zu teilen. -Zumal ich mich auf Grund meiner Vergangenheit als Human Factors Trainer in der Luftfahrt schon seit vielen, vielen Jahren mit genau dieser Thematik auseinandersetze. Denn eine Flugzeugbesatzung, die im Stress den Überblick verliert, evakuiert sicher keinen brennenden Flieger strukturiert und innerhalb kürzester Zeit, wie vor einigen Wochen in Tokio. Und sicher wäre gepaart mit mangelndem Stressmanagement und mangelnder Selbstregulierung eine Landung wie damals auf dem Hudson River in die Hose gegangen.

In dieser Woche stelle ich euch den Ansatz von Steven Porges dazu vor und in zwei Wochen gibt es die diesbezüglichen Konzepte der Stanford-Professorin Kelly McGonigal.

Psychosomatisch oder somato-psychisch?

Betrachten wir uns das Phänomen Stress, das von uns Menschen häufig zunächst eher als psychisches Phänomen wahrgenommen wird, einmal genauer, handelt es sich dabei in erster Linie um eine physiologische Reaktion basierend auf unserer oft unbewussten Interpretation unserer Wahrnehmung. Und, ganz wichtig, diese körperliche Reaktionskette hat uns über Jahrtausende das Überleben gesichert, ist also keineswegs schlecht! So kennt unser Körper zwei grundsätzlich unterschiedliche Zustände: Ruhe und Aktivierung. Im Ruhezustand ist der Teil unseres Nervensystems aktiv, das wir parasympathisches Nervensystem nennen. In diesem Zustand atmen wir automatisch tief in den Bauch, unser Herz schlägt langsam und regelmäßig, alle Teile unseres Körpers sind gut durchblutet, unsere Wahrnehmung ist breit. Wir sind in Verbindung mit unseren Mitmenschen und unser Verdauungssystem ist aktiv. Im Zustand der Aktivierung, dem sogenannten Arousal, arbeitet unser sympathisches Nervensystem auf Hochtouren. Gesteuert über Hormonausschüttung atmen wir wie von Zauberhand schneller und flacher in die Brust, unser Herz schlägt schneller, während die großen Muskeln gut durchblutet werden (damit wir schneller rennen oder besser zuschlagen können) zieht sich das Blut aus den äußeren Extremitäten zurück (damit wir nicht direkt verbluten, wenn der Säbelzahntiger uns die Hand abbeißt). Selbst die Zusammensetzung unseres Blutes ändert sich. Auch unsere Verdauung wird unterdrückt. Das merken wir am trocknen Mund, denn Spucke ist die erste Verdauungsinstanz, oder auch daran, dass wir einfach nicht “müssen” müssen. Wäre auf der Flucht vorm Säbelzahntiger ja auch irgendwie ungünstig.

Wichtig ist zu verstehen, dass unser Körper für beide Zustände ausgelegt ist und Stress per se keinesfalls schädlich ist. Im Gegenteil, eine gewisse Aktivierung macht uns aufmerksamer und weniger fehleranfällig. Was aber schädlich ist, ist die Abwesenheit vom physiologischen Zustand der Entspannung. Ist der Herzschlag dauerhaft erhöht wird der permanent überlastete Herzmuskel krank. Ist die Verdauung unterdrückt und wir schieben Futter nach drohen Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes. Und ist die Wahrnehmung dauerhaft fokussiert, geht uns links und rechts vielleicht etwas Wichtiges durch die Lappen und wir hören auf mit den Menschen um uns herum in Verbindung zu gehen.

Die Steuerung dieser beiden Systeme läuft unbewusst oder autonom ab. Unsere Wahrnehmung sammelt Reize ein und bestimmte Teile unseres Gehirns, von denen die sogenannte Amygdala, unser Mandelkern oder Angsthirn, wahrscheinlich der bekannteste ist, aktivieren über entsprechende Hormonausschüttung entweder den einen oder den anderen Zustand.

Die Polyvagal Theorie nach Steven Porges

Nun könnte man also meinen wir sind diesem Hormon-Wirrwarr in unserem Körper hilflos ausgeliefert. Ein gewisser Steven Proges hat im Rahmen seiner Polyvagal Theorie beschrieben, dass nicht nur Hormonausschüttung einen körperlichen Zustand hervorrufen kann, sondern auch ein bewusst eingenommener körperlicher Zustand Einfluss auf die Hormonausschüttung haben kann. Wir können unser Gefühlserleben also bewusst konstruieren und müssen keine Sklaven unsere Gemütszustandes sein.

Aber mal von vorne: Porges unterscheidet zwischen drei unterschiedlichen Zuständen: Dem Ruhezustand, dem Erregungszustand und dem Zustand der Übererregung.

Im Ruhezustand bin ich entspannt, ich ruhe in mir selbst, bin in Kontakt mit mir, meinen Mitmenschen und meiner Umwelt, bin achtsam, neugierig, habe eine breite und bewusste Wahrnehmung und fühle mich geerdet.

Im Erregungszustand gibt es zwei Wege, die ich einschlagen kann: Kampf oder Flucht! In jedem Fall fokussiert sich meine Wahrnehmung. Ich gerate in einen Tunnel. Heißt der Tunnel Kampf kommt es zu Gefühlen wie Frust, Rage, Wut, Aggression. Im Fluchtmodus herrschen Gefühle wie Sorgen bis hin zu Angst oder Panik vor. Insgesamt bringt mich dieser Zustand in Bewegung, entweder nach vorne oder nach hinten. Beides ist hilfreich. Das eine macht mich durchsetzungsfähiger und das andere sorgt für klugen Rückzug. Überhaupt ist Angst eine ausgesprochen große Kompetenz. In der Evolution gab es die Ängstlichen und die Toten… Wir sind das genetische Überbleibsel der Ängstlichen, denn die Toten konnte ihre Gene häufig einfach nicht mehr weitergeben! Die moderne und sozial adäquate Form der Flucht ist heutzutage übrigens der innere Rückzug!

Der Zustand der Übererregung führt zu einer Art Lähmung aus Überforderung. Es kommt zu Gefühlen wie Hoffnungslosigkeit, Orientierungslosigkeit, stumpfsinnige Taubheit, Deprimiertheit, Scham und Hilflosigkeit. Es gibt Menschen, die in diesem Zustand sogar in Ohnmacht fallen. Evolutionshistorisch betrachtet hat der Körper sich so darauf vorbereitet möglichst schmerzfrei zu sterben. Während im Erregungszustand alles in mir schreit “ich kann!”, schallt es im Zustand der Übererregung in meinem Kopf “ich kann nicht!”.

Zu Zeiten, in denen wir vorzugsweise in Höhlen lebten und uns die Köpfe einschlugen, machte das alles sicher Sinn. Die Herausforderung heute ist, dass dieser Teil im Gehirn, die Amygdala, nicht zwischen konkreten und abstrakten Gefahren unterscheidet. Es gibt nur absolute Sicherheit und absolute Gefahr. Der Kollege, der seine gegenteilige Meinung festentschlossen vorträgt ist für die Amygdala ähnlich gefährlich wie der Säbelzahntiger… Ich kämpfe, oder flüchte oder fühle mich ohnmächtig!

Emotionale Steuerung über den Vagusnerv

Diese von Porges beschriebenen und von uns erlebten Zustände werden über einen großen Nerv, der sich durch unseren ganzen Körper zieht, gesteuert. -Den sogenannten Vagusnerv. Diesen kann man im Prinzip in zwei Teile teilen. Auf unserer Körpervorderseite läuft der ventrale Vagusnerv und auf der Rückseite der dorsale Vagusnerv. Der ventrale Vagusnerv ist hierbei für Entspannung und Sicherheit zuständig, der dorsale für Erregung, Anspannung, Kampf, Flucht und Freeze. - Das erklärt übrigens warum sich bei Stress bei mir der Nacken zuzieht. Mein dorsaler Vagusnerv gibt Gas! Und nein, die meisten Formen von Rückenschmerzen kommen nicht vom Stress, sondern von mangelnder Bewegung. -Sagt mein Osteopath! Aber im Stresszustand kann der dorsale Vagusnerv Muskulatur auf der Körperrückseite zusammenziehen, was dann auch zu Rückenthematiken führt…

Bis hierher ist alles ganz interessant, aber nicht revolutionär. Allerdings hat Porges nachgewiesen, dass man die beiden Teile des Vagusnervs bewusst ansteuern kann und somit sein Arousal, also die Intensität des Erregungszustandes oder platt gesagt das Stresslevel regulieren kann. Ich kann meinen Körper also bewusst nutzen um Einfluss auf den Hormon-Cocktail zu nehmen, der meinen Körper überschwemmt.

Für gewöhnlich ist die Idee, sein Stresslevel zu senken. Das heißt ich muss den ventralen Vagusnerv ansteuern. Dies kann ich auf unterschiedliche Arten tun. Ich kann bewusst tief in den Bauch atmen. Hierfür gibt es ganz unterschiedliche Atemtechniken. Die Yogis unter euch wissen genau wovon ich spreche. Ist das mit der Atmung nicht mein Ding, kann ich die Tatsache nutzen, dass mein ventraler Vagusnerv direkt durch Gesicht geht. Ich kann meine Mundwinkel nach oben ziehen und meinen Entspannungsnerv bewusst stimulieren. Dieser meldet dann ans Gehirn: “Hey, hör auf diese ganzen Stresshormone auszuschütten. Unser Mensch ist entspannt. Sie lächelt sogar!”. Eine dritte Möglichkeit, die ich habe, ist mich ganz bewusst im Raum zu orientieren, aus dem Tunnel raus zu gehen, jeden einzelnen Menschen bewusst wahrzunehmen, in Kontakt zu treten. - Bei Bühnenangst ist das übrigens rein neurowissenschaftlich betrachtet hilfreicher, als sein Publikum als große graue Masse zu sehen. Das stimuliert nur den dorsalen Vagusnerv. Und vor einiger Zeit habe ich begonnen mich mit einer vierten Möglichkeit der Stimulation meines ventralen Vagusnervs zu beschäftigen: Mit Klopfakkupressur. Allerdings setze ich das in meinen Coachings noch nicht ein, da ich mich gerade noch in einer Phase der Selbsterprobung befinde.

So viel zur Entspannung. Es gibt, und das mag der ein oder andere nicht so recht glauben, auch Situationen, in denen Menschen bewusst für Anspannung sorgen wollen, also bewusst den dorsalen Vagusnerv stimulieren. Genau das tun zum Beispiel Sportler gerne direkt vorm Wettkampf, indem sie sich bewusst in einen Tunnel begeben, sich abschotten um rein physiologisch die Extraportion Energie und Blut in den großen Muskeln zu haben, um absolute Höchstleistungen zu erbringen. -Quasi bereit für den (Wett-) Kampf!

Wie arbeitet man damit als Business Coach?

Was mache ich in meiner Rolle als Business Coach nun mit diesen Erkenntnissen der Neurowissenschaft? Ganz einfach: Schritt für Schritt arbeiten. Damit meine Kunden oder Coachees ihr vagales System bewusst regulieren können, ist es im ersten Schritt wichtig überhaupt erst einmal bewusst wahrzunehmen, in welchem Zustand sie sich befinden. Hierfür arbeite ich mit einem kleinen Self-Assessment-Sheet. All jene, die Lust haben, mit meiner Begleitung Möglichkeiten zur individuellen Stressregulierung zu entdecken, füllen im ersten Schritt für jeden der Zustände (Entspannung, Kampf, Flucht, Freeze) ein kleines Arbeitsblatt aus, indem sie ihre Gefühle im jeweiligen Zustand beschreiben, ihre Gedanken, ihre körperlichen Wahrnehmungen, ihre Einstellung zur Welt und was sie in diesem Zustand hält. Wichtig ist sich mit allen diesen Punkten zu beschäftigen um die möglichst genaue Unterschiedlichkeit dieser Zustände herauszuarbeiten. Entweder nehmen sich meine Coachees dieses Arbeitsblatt mir nachhause und füllen die einzelnen Seiten immer dann aus, wenn sie einen dieser Zustände erlebt haben, oder ich arbeite mit ihnen in einer leichten Trance um alle relevanten Parameter abzurufen. Im zweiten Schritt erarbeiten wir gemeinsam, welche Strategien die richtigen sind um zwischen den Zuständen zu springen, bzw. um in den meisten Fällen in einen entspannteren Zustand zu kommen. Wichtig ist, dass die gewählten Strategien aus Sicht meiner Coachees selbstwirksam sind und eigenständig umgesetzt werden können. Danach muss nur noch geübt werden.

Das Wichtigste zum Schluss

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig immer und immer wieder zu betonen, dass selbst das beste aktive Stressmanagement uns nicht zu Wonder Woman oder Superman macht. Unserem Körper sind absolute physiologische Grenzen gesetzt. Ja, wir können größte Erregungszustände aushalten. Dafür brauchen wir jedoch den Ausgleich der Entspannung. Menschen brauchen Ruhepause. Wir sind keine Roboter. Wir sind der Schlüssel zum Erfolg unserer Systeme. Und auch wenn unsere Systeme 24/7 laufen können, braucht der Schlüssel zum Erfolg regelmäßige Pausen um die Akkus aufladen zu können.

So viel zur Polyvagal Theorie. Es gibt einen weiteren, ganz anders gelagerten Ansatz in der aktuellen Stressforschung, den ich euch in meinem nächsten Artikel in zwei Wochen vorstellen möchte. Die Stanford-Professorin Kelly McGonigal nähert sich der Thematik Stress über das Thema Mindset an. Nicht weniger spannend als die Polyvagal Theorie. Zumal McGonigal gemeinsam mit ihrer Kollegin Alia Cums einen Weg gefunden hat, Mindset physiologisch nachweisen zu können. So sagt sie: “Wenn Sie sich dazu entscheiden, Ihre Stressreaktion als hilfreich zu betrachten, schaffen Sie die biologische Voraussetzung für Mut!”. -Klingt spannend? Dann lest auch in zwei Wochen wieder rein.

Eure Constance

Wohin des Weges?

Orientieren und Atmen! Atmen und Lächeln...

Richtige Kommunikation im Business: Wieviel Klarheit und wieviel Taktgefühl sollten es sein?

Kognitive Diversität immer und überall…

Kommunikation ist gefühlt immer Teil des Problems. - Und natürlich auch immer elementarer Teil der Lösung. Wir interpretieren, wir verallgemeinern, wir lassen Dinge weg, fügen Dinge hinzu, wir gehen davon aus, dass das, was für uns völlig klar ist, auch für alle anderen klar sein muss und öffnen somit Tür und Tor für Missverständnisse. Wir reden aneinander vorbei, laufen im festen Glauben an einem Strang zu ziehen in völlig unterschiedliche Richtungen! Tolle Voraussetzungen für ein gut funktionierendes Team.

Die Gründe für dieses Tohuwabohu im kommunikativen Miteinander sind so vielfältig wie die Tiere des Meeres oder die Vögel am Himmel. Würde man diese Gründe auf einen gemeinsamen Nenner bringen, würde ich diesen mit der kognitiven Diversität von uns Menschen umschreiben. Wir alle nutzen ein und die selbe Sprache ganz unterschiedlich. Wir kommunizieren auf unterschiedlichen Ebenen, haben unterschiedliche Ansätze, wie wir Information kodieren und dekodieren. Bücher wurden darübergeschrieben und ich denke manchmal wir haben das Phänomen der Kommunikation noch immer nicht gänzlich umrissen. Somit ist mein Ansatz, in kleine Bereiche tiefer einzutauchen und sie etwas isolierter zu betrachten, auch wenn eine isolierte Betrachtung natürlich immer auch lückenhaft ist. Für diesen Artikel habe ich mir vorgenommen dem Phänomen “Taktgefühl vs. Klarheit” im Business-Kontext ein klein wenig auf den Grund zu gehen.

Kulturelle Aspekte treffen auf individuelle Bedürfnisse

Besonders auffällig ist der Hang zu Klarheit oder verklausulierte Höflichkeit, wenn Menschen unterschiedlicher kultureller Hintergründe aufeinandertreffen. Wir Deutschen gelten hierbei als sehr klar und Klartext-freudig, werden deshalb gerne auch mal als unhöflich, taktlos oder unfreundlich wahrgenommen, während beispielsweise in England sehr verklausuliert, vorsichtig und ritualisiert vorgegangen wird, wenn es um ein konstruktives Feedback geht, oder darum auszudrücken, dass man mit Etwas nicht zufrieden ist. Auf uns Deutsche wirkt das häufig wie eine Art nebulöses um den heißen Brei herumreden. Ich erinnere mich an einen Vorfall bei einem internationalen Unternehmen, in dem ein deutsches Projektteam nach England berichtete und auf alle Updates die Rückmeldung “quite good!” erhalten hat. Also arbeiteten sie weiter in die gleiche Richtung. In England wuchs der Unmut, weshalb die Deutschen das taten. “Quite good!”, also ziemlich gut, ist die landläufig höflich angemessene Art zu erklären, dass einem eine Entwicklung missfällt. Das Ding eskalierte schließlich. In Deutschland war man empört, dass die Engländer immer nur so nebulös rumschwafelten und in England war man sich einig, dass die Unhöflichkeit der Deutschen komplett unangemessen sei…

Was irgendwo unterwegs auf der Stecke geblieben war, war das Bewusstsein, dass die Deutschen einfach nur klar und deutlich sein wollten, um das Projekt voran zu bringen und die Engländer taktvoll sein wollten, um Niemandem auf persönlicher Ebene vor den Kopf zu stoßen. Beides aus meiner Sicht sehr lobenswerte Ansätze im Businesskontext. Leider treibt unser Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit uns Menschen häufig dazu uns als Vertreter unserer jeweiligen Gruppen zu sehen. Ein Die-und-Wir entsteht fast automatisch. Das heißt wir empfinden das Verhalten der anderen als direkten Angriff unserer Identität. Die jeweils andere Herangehensweise wird nur noch in einer Art entwertender Übertreibung wahrgenommen. So gibt es hier wie auf der schönen Insel jenseits des Ärmelkanals gar wundervolle Karikaturen des unhöflichen Deutschen und des nebulös steif herumdrucksenden Engländers…

Wieviel Taktgefühl sollte es denn nun sein?

Nun ist das Beispiel Deutschland-England ein recht drastisches. Wenn wir über Diversität sprechen, neigen wir häufig dazu, uns auf die plakativen Themen wie Geschlecht oder Herkunftskultur zu stürzen, dabei gibt es auch bei Menschen gleichen Geschlechts und gleicher Herkunft unterschiedliche Bewertungen zum Thema Klarheit vs. Höflichkeit. Ich erlebe hierbei unternehmenskulturelle Färbungen, teamkulturelle Färbungen und selbstverständlich erlebe ich auch auf Ebene des Individuums unterschiedliche Bedürfnisse was Klarheit und Achtsamkeit im Umgang miteinander anbelangt. Aus diesem Grund lässt sich eine Grenze zwischen Klarheit und Unhöflichkeit, zwischen taktvoller Achtsamkeit und unklarem Herumdrucksen nicht eindeutig ziehen. Die Bedeutung der Nachricht bestimmt am Ende immer der Empfänger, weshalb es wichtig ist, über Themen wie Feedbackkultur bereits auf Teamebene zu sprechen. Wieviel Klarheit braucht es? Auch an wichtigen Schnittstellen jenseits des eigenen Teams ist es in einem komplexen Umfeld unabdingbar, mit dieser Thematik transparent umzugehen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist es jedoch zu verstehen, dass keiner dieser beiden Pole absolut gut oder absolut schlecht ist. Zum Problem wird beides, wenn es in meiner Wahrnehmung zu einer entwertenden Übertreibung wird. - Wird aus dem positive Ansinnen achtsam und respektvoll mit mir als Mensch umgehen zu wollen ein unklares, nebulöses Herumschwafeln und wird aus einer ergebnisorientierten Klarheit kränkende Direktheit haben wir plötzlich ein Thema. Aber wie gesagt, zum Glück bestimmt die Bedeutung der Nachricht wie gesagt immer der Empfänger und da wir ja alle wohlwollend und großzügig sind, wird uns eine derartige Fehldeutung natürlich nicht unterlaufen. -Oder doch?

In diesem Sinne wünsche ich euch allen einen harmonisch klaren Sonntag gespickt mit Taktgefühl und Klartext! Ich habe mich entschieden, es heute bei einem ganz kurzen Impuls zu belassen. Es müssen ja nicht immer Tausende von Worten sein um den ein oder anderen Perspektivwechsel anzuregen. Vielmehr wünsche ich mir heute noch etwas Zeit, mich auf meine Couch zurückzuziehen, denn dieses Wochenende steht für mich ausnahmsweise mal nicht unter dem Stern des Coachings und der Weiterentwicklung. Mein kleiner Bruder hat an diesem Wochenende geheiratet und da ist mir spontan mal wieder aufgefallen, dass es Wichtigeres gibt, als das Big Business. Ist da nur ausreichend Liebe in unseren Herzen machen wir uns über diese Feinheiten zwischen Taktgefühl und Klarheit ohnehin keinen Kopf, denn dann ist alles ganz einfach, ganz klar und taktvoll empathisch!

Vielleicht habt ihr ja in der nächsten Woche Lust, euer ganz persönliches Spannungsfeld zwischen Klarheit und kränkender Direktheit, zwischen Taktgefühl und nebulösem Geschwafel ein wenig zu erforschen und macht es heute wie ich: Ab auf die Coach und den Sonntag genießen…

Eure Constance

Kommunikation ist immer Teil des Problems

Wieviel Klarheit darf es sein?