Schwarze Schafe im Diversity-Dschungel - und was bleibt ist die Angst vor dem Fremden
Weil schwarze Schafe vielleicht gar nicht anders sind, sondern die weißen alle gleich
Man kennt sie, diese schwarzen Schafe. Jede Familie, jede Gemeinschaft, jede Gesellschaft hat sie. Überall gibt es Menschen die anders sind; lauter, leiser, bunter, frecher, unangepasster, zurückhaltender. -Anders eben! Ich könnte euch gleich mehrere Kontexte liefern, in denen ich mir vorkam wie ein schwarzes Schaf, wie ein Fremdkörper, anders als die anderen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung! Was ich jedoch interessant finde ist, dass das, was wir alle oft recht unüberlegt als schwarzes Schaf bezeichnen, doch eher negativ belegt ist. Und warum? Weil es anders ist und anders ist doof…
Interessant finde ich all diese gesellschaftlichen und politischen Bemühungen zu sehen, die uns klipp und klar machen sollen, dass anders nicht doof oder bedrohlich ist, sondern eine großartige Bereicherung. Wir diskutieren über Gleichstellung, “gendern” wie die Weltmeister, applaudieren zu Diversity, bemühen uns selbst im Kreise unserer Comedians um bestmögliche politische Korrektheit und selbst die katholische Kirche (also wenigstens die ein oder andere) schmückt sich mit Regenbogenfahnen. Warum muss man um etwas, das selbstverständlich sein sollte, so ein Tamtam machen, liebe Lesenden?! Weil es, wenn wir mal den Mut haben, radikal ehrlich zu sein, eben doch nicht selbstverständlich ist.
Schwarze Höhlen-Schafe und die Säbelzahntiger
Wie wir es auch drehen und wenden, dieses Gefühl, dass schwarze Schafe eher doof, vielleicht sogar gefährlich sind, scheint irgendwie Teil unserer DNA zu sein. Wäre dem nicht so, müsste man sich nicht so viel Mühe geben, eine bunte, diverse und gleichberechtigte Gesellschaft zu gestalten. Wären wir der tiefen Überzeugung, dass das Problem sei, dass die weißen Schafe alle gleich sind und eben nicht, dass das schwarze Schaf anders ist, würde Diversity keine Rolle spielen. Dann würde man das Andere zur Kenntnis nehmen und anders sein lassen. Leider hat unser Gehirn irgendwann im Laufe der Evolution etwas anderes gelernt. Deshalb braucht es jetzt diese kognitive und intellektuelle Auseinandersetzung mit Diversity, Toleranz und Gleichberechtigung.
Wie war das denn damals mit den schwarzen Schafen in der Steinzeit? Ich bin mir ganz sicher, auch unter den Höhlenmenschen gab es schwarze Schafe, Menschen die anders waren, als die anderen. Allerdings war es damals überlebenswichtig als möglichst homogenes Kollektiv zu funktionieren. Die, die ausscherten wurden entweder vom Säbelzahntiger gefressen, oder flogen aus der Höhle (und wurden dann wahrscheinlich auch vom Säbelzahntiger gefressen). Was übriggeblieben ist, ist dieses homogene Kollektiv, für das es das Wichtigste ist, nicht aus der Menge hervorzutreten. Bloß nicht auffallen! An dieser Stelle muss ich immer an ein Gedicht denken, das Nelson Mandela im Rahmen seiner Amtseinführung als erster schwarzer Präsident Südafrikas zitierte:
Irgendwie hat sie recht, die Frau Williamson… Intuitiv ordnen wir uns nur zu gerne ein und unter und haben Angst davor zu strahlen. Ein bisschen auffallen ist ja ganz OK, aber auf keinen Fall aus der Masse herausstechen… Nicht, dass der Säbelzahntiger uns frisst! - Was? - Ach so?! - Ja, es gibt keine Säbelzahntiger mehr! Richtig…
Immer diese Evolution…
So haben es also diejenigen geschafft, ihre Gene weiterzugeben, die vorsichtig, unauffällig und ängstlich waren. Hat die Evolution ja gut hinbekommen. Bloß nicht auffallen! Bloß nicht selbst zum schwarzen Schaf werden und anders sein. Die Panik vor dem Fremden und Unbekannten sitzt wirklich tief und beginnt schon in der Art und Weise wie unsere Sinne unsere Welt beobachten und wie unser Gehirn diese Beobachtungen beurteilt. Das Dilemma beginnt damit, dass unser Gehirn nur etwa fünf Prozent all der Information, die unsere Sinne einsammeln, verarbeitet und uns damit bewusst macht. Hierbei fokussieren sich unsere Wahrnehmungsfilter auf Bekanntes und Vertrautes. Taucht doch mal etwas Unbekanntes auf, gibt unser Angsthirn, die Amygdala, erstmal Alarm, denn fremd und unbekannt ist erstmal potenziell bedrohlich.
Potenziell bedrohlich sind natürlich auch Menschen die anders sind als wir selbst. Auch diese Reaktion unseres Gehirns kommt irgendwie aus der Steinzeit. Klar bedeuteten andere, fremde Stämme damals immer Gefahr und Krieg. Interessant finde ich, dass sich diese Erfahrungen offensichtlich tief in unser Unterbewusstsein eingegraben haben. Es gibt Studienreihen, in welchen Menschen Bilder von Menschen anderer Ethnien und der gleichen Ethnie gezeigt wurden, um die unwillkürliche Reaktion im Gehirn zu beobachten. Und tatsächlich kam es beim Betrachten von Menschen einer anderen ethnischen Herkunft zu einer erhöhten Reaktion in Gehirnregionen, die für Alarm und Angst zuständig sind. Es gibt Versuche mit Kindern im Kindergartenalter, die lieber mit Puppen der eigenen Ethnie spielen und dass Menschen einer anderen Ethnie für uns häufig alle gleich aussehen, ist ja schon ein alter Hut.
Und jetzt?
Keine Sorge, wenn es eines gibt, was wirklich großartig in Hinblick auf unser manchmal etwas schwerfälliges Gehirn ist, dann ist es die Tatsache, dass die Kapazität unserer Blackbox unendlich ist und sie eigentlich nur darauf wartet, dazu zu lernen. Und das tut auch wirklich Not! Sowohl gesellschaftlich, als auch im Business-Kontext!
In Anbetracht der Tatsache, dass unsere zunehmend globalisierte Welt immer dynamischer, schnelllebiger und komplexer wird und sich zudem immer stärker vernetzt, ist festzustellen, dass es neue, moderne Wirtschaftsorganisationen braucht, mit neuen, modernen Menschen, um auch weiterhin erfolgreich zu sein. Die von mir fast schon verehrte Harvard Professorin Amy C. Edmondson hat deutlich gemacht, dass in dieser neuen Welt nur sogenannte Lernende Organisationen langfristig erfolgreich sein können. Das Herzstück dieser Lernenden Organisationen sind Menschen, die den Mut haben, aus der Masse herauszutreten, das Wort zu erheben, kritisch zu sein. Nun ja, die Wirtschaftsorganisationen lernen und lernen, getragen von dieser Welle, die man momentan als New Work bezeichnet. Das ist ein Prozess, den ich tagtäglich als Agile Coach begleiten darf. Der Mensch muss sich eben ganz neu orientieren. -Und das dauert!
Aber auch gesellschaftlich gesehen brauchen wir diese Menschen, die den Mut haben anders zu sein, aus der Masse herauszutreten. Denn nicht nur die Wirtschaft soll und darf sich weiterentwickeln. Auch in unserer Gesellschaft ist sicher noch Luft nach oben. Als ich gestern darüber nachgedacht habe, welche Bedeutung Menschen haben, die mutig genug sind, aus der Menge hervorzutreten, ist mir spontan Graf Stauffenberg eingefallen. Ich musste daran denken, wie ich vor ein paar Jahren an genau der Stelle stand, an der Graf Stauffenberg seine Aktentasche deponiert hat. Wie wäre diese Welt wohl, wenn es mehr Menschen von seinem Kaliber gegeben hätte? Und gibt es heute wirklich schon genug Mutige? Ich persönlich glaube nicht. Tja, und deshalb brauchen wir wohl alle diese politischen und gesellschaftlichen Diskussionen rund um Diversity, Gender Equality, Gleichstellung und für den Moment braucht es vielleicht sogar gesetzlich verordnete Toleranz und Offenheit gegenüber allem dem, was anders ist. Denn nur wenn wir uns intellektuell mit dem anders Sein auseinandersetzen, gibt auch irgendwann das Angsthirn nach.
Wir brauchen kunterbunte Regenbogen-Schafe!
Ich gebe zu, wenn ich nicht darüber nachdenke, sind schwarze Schafe bei mir noch immer negativ belegt. Aber im zweiten Schritt sage ich mir immer wieder, wie wertvoll sie für uns alle sind. Gleichzeitig genieße ich, dass die Welt immer näher zusammenrückt und ich so immer wieder Einblicke in andere Kulturen bekomme. Diversity und Gender Equality bedeutet keineswegs, dass wir alle gleich sind, sondern dass wir unsere Unterschiedlichkeit wertschätzen und genießen. Und zwischendurch versuche ich selbst immer mal wieder ein schwarzes Schaf zu sein, schwarz oder kunterbunt! Ich versuche mutig zu sein, das, was mich ausmacht und von allen anderen unterscheidet, nicht zu verstecken, sondern in Szene zu setzen. Ich versuche zu strahlen, ein kunterbuntes Regenbogen-Schaf zu sein.
Habt einen schönen Sonntag und strahlt mit!
Eure Constance