Unternehmenskultur

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Ein kurzer Blick zurück

In der letzten Woche habe ich mein einjähriges Projekt zur Verbesserung der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit in Zusammenarbeit mit wundervollen Kolleginnen der Universität Maastricht zu Ende gebracht. Die abschließende Post-Study läuft noch und ich lasse dieses Jahr gerade Revue passieren.

Im Kern ging es um das, um was es mir immer geht, um meinen ganz eigenen Purpose: Um Menschen! Ich möchte, dass meine Arbeit einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen (noch) ein klein wenig zufriedener, sicherer, glücklicher und ausgeglichener sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gesellschaften wie Organisationen stärker und zukunftsfähiger macht. Das Gefühl der psychologischen Sicherheit stellt dafür eine elementare Rahmenbedingung dar. Um dieses Gefühl auf organisationaler Ebene zu stärken habe ich mit Teams und Führungskräften gearbeitet, denn beide leisten ihren Beitrag für diese kulturelle Veränderung innerhalb einer Organisation. Ich habe mich auf das Thema Feedback und Feedback-Kultur fokussiert, denn wenn mit mir gesprochen wird und nicht über mich, fühle ich mich sicher. Ich fühle mich sicher, wenn ich weiß, dass meine Kollegen wohlwollend beobachten, was ich tue und mich im Zweifelsfall vor einem Fehler bewahren, in dem sie mir ihr Feedback geben, ihre Perspektive darlegen. Feedback, das miteinander reden, bringt Menschen in den Austausch, sorgt für Verständnis. So wird eine ehrliche und offene Feedback-Kultur zur Basis für psychologische Sicherheit.

Die Sicherheit in mir

Aber woher kommt der Mut, Feedback zu geben? Natürlich kommt er aus der Gewissheit, sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem es OK ist, offen und ehrlich zu sprechen. Eine Kultur der psychologischen Sicherheit auf Team- oder Organisationsebene unterstützt eine offenen Feedback- und Fehlerkultur. -Die Voraussetzung für lernende Organisationen, die in unserer dynamischen Zeit geradezu überlebenswichtig sind. So landen wir zwangsläufig bei der Frage nach dem Huhn oder dem Ei! Ohne psychologische Sicherheit keine Feedback-Kultur und ohne Feedback-Kultur keine psychologische Sicherheit. Ein gefühltes Dilemma.

Doch zum Glück ist da ja noch mein Purpose, mein Nordstern: Der Mensch! Denn psychologische Sicherheit ist skalierbar und sie beginnt in mir selbst. Fühle ich mich sicher und schaffe ich es in mir zu ruhen, in vollstem Vertrauen auf meine Ressourcen, dann brauche ich kein bestimmtes Umfeld, das ich ja ohnehin nicht beeinflussen kann. Wenn ich zu meinem eigenen inneren Leuchtturm werde, dann kann mich kein Umfeld, keine Dynamik und keine Komplexität dieser Welt mehr aus meiner eigenen inneren Bahn werfen.

Die große Frage ist und bleibt, wie ich dieses Vertrauen in mich selbst finde. Die Angebote sind mannigfaltig und Achtsamkeit in jeder Form, ebenso wie Selbstliebe sind wichtige Voraussetzungen.

Im Laufe des letzten Jahres haben wir ein zusätzliches Angebot gemacht, ein sehr neurowissenschaftliches Angebot, das vielleicht im Business auf höhere Akzeptanz stößt, als Meditation oder andere Achtsamkeitsübungen.

Die Polyvagal Theorie

Die Polyvagal Theorie nach Stephan Porges ist eine Kombination von evolutionsbiologischen, neurowissenschaftlichen und psychologischen Konzepten, die sich mit der Regulation von Emotionen im Zusammenhang mit Angstreaktionen beschäftigt. Im Prinzip untersucht Porges das Erleben von Sicherheit und Verbundenheit in Bezug auf Kampf-/Fluchtreaktionen und Schock- oder Angststarre. Ganz global gefasst geht es um Stress.

Das sympathische und das parasympathische Nervensystem ist sicher vielen ein Begriff. Während das sympathische Nervensystem in Phasen höherer Erregung und Stress aktiviert wird, wird das parasympathische Nervensystem im Zustand der Entspannung aktiviert. Beides ist wichtig und hilfreich. Beide Systeme werden über unseren Vagusnerv angesteuert, der ebenfalls wiederum aus zwei Bereichen besteht: Der ventrale Vaguskomplex, der sich vor allem über die Vorderseite unseres Körpers erstreckt, sorgt für Entspannung, soziale Aktivierung und Sicherheit. Der dorsale Vaguskomplex erstreckt sich über unsere Körperrückseite und sorgt in Gefahrensituationen, oder in Situationen von subjektiv empfundener Unsicherheit für Aktivierung und die berühmte Kampf-/Fluchtaktivierung, sowie in lebensbedrohlichen Situationen für Immobilisierung, das weniger bekannte Freeze-Phänomen.

Was kann ich nun tun, wenn ich mich unsicher fühle, mein dorsaler Vaguskomplex aktiviert ist? Nun, im ersten Schritt muss ich es erkennen, um dann bewusst meinen ventralen Vaguskomplex zu aktivieren. Wie ich das tue? Ich nutze die Vorderseite meines Körpers und atme tief in den Bauch, oder ich ziehe die Mundwinkel zum Grinsen nach oben (ja, die Muskeln, die Deine Mundwinkel noch oben ziehen, sind mit Deinem ventralen Vaguskomplex verbunden). Oder ich gehe in Kontakt mit den Menschen um mich herum, durch bewusste Gesten, Blicke in die Augen, Berührungen. Mit Menschen in Verbindung gehen stimuliert ebenfalls unseren ventralen Vaguskomplex.

Gelingt es mir so, mein Nervensystem zu regulieren, sorge ich für die Ruhe und Ausgeglichenheit tief in mir, die ich brauche um mir meiner Ressourcen bewusst zu sein und so auch entspannt Feedback zu geben, kritisch zu sein, den Mund aufzumachen. -Total sicher und völlig angstfrei!

Aber ein Leben so ganz ohne Stress? - Alles eine Frage der Bewertung!

Für meine Arbeit hat Porges’ Theorie eine kleine Schwachstelle. Ja, es ist hilfreich, sein Stresslevel bewusst regulieren zu können. Außerdem ist es auch verdammt gesund. Aber ein Leben so ganz ohne Stress? Will ich das? Wäre das überhaupt gut für mich?

Meine Kollegin und Freundin Corinna Rott von der Universität Maastricht forscht hierzu im Rahmen ihrer Dissertation. In Studienreihen mit Führungskräften hat sie herausgefunden, dass viele der Teilnehmenden Stress als hilfreich erachten und die Lösung für sie keineswegs sein kann, ein Berufsleben ohne Stress zu führen. Wir wurden von der Evolution nicht umsonst mit beiden Systemen ausgestattet. Stress macht uns aufmerksamer, leistungsfähiger, besser. Manchmal passiert es jedoch, dass dieser Stress so anwächst, dass er in uns das Gefühl der Unsicherheit oder Angst hervorruft. Diese Angst ist leider nicht hilfreich, weder im Job, noch privat. Also Stress doch wieder runter regulieren?

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Dank Corinna habe ich Kelly McGonigal von der Sanford Universität in San Francisco kennenlernen dürfen , die ihren Fokus nicht mehr auf das Reduzieren von Stress richtet, sondern auf die Bewertung von Stress. Denn der Unterschied zwischen Angst und Freude liegt in der Bewertung. Physiologisch ist sich beides gleich. Ich versuche das mal anhand eines Beispiels zu erklären: Vielleicht fährst Du sehr gerne Achterbahn. Ich mag es nicht. Mir macht es Angst. Manchmal fahre ich aus einer Art Gruppendruck trotzdem mit und besonders schön sind dann diese Fotos, die man im Anschluss von sich selbst während der Fahrt kaufen kann. Meine sehen für gewöhnlich so aus, dass ich um mich herum fröhliche, lachende Gesichter sehe, während mein eigenes entsetzt, fast schmerzverzerrt aussieht. Aus diesem Grund habe ich mir noch nie so ein Foto gekauft.

Physiologisch gesehen befinden sich jedoch alle auf dem Foto in einem vergleichbaren Zustand. Ich bewerte ihn eben nur nicht als Spaß, sondern als Gefahr. Interessant ist, dass viele der Menschen, mit denen ich Achterbahn gefahren bin, Angst oder Unwohlsein empfinden, wenn sie einen Vortrag vor hunderten von Menschen halten sollen. Sie sagen, sie würden dann so unruhig, müssten häufiger zur Toilette, bekämen feuchte Hände und einen trockenen Mund, das Herz würde anfangen zu rasen. Das würde sie sehr verunsichern. Ich spüre exakt die gleichen Symptome vor großen Vorträgen oder wichtigen Workshops, aber ich bin der Meinung, dass diese Symptome Teil meiner Vorfreude sind. Denn ich liebe derartige Termine! Und ich weiß, dass meine Anspannung im Vorfeld mich nur noch aufmerksamer und besser sein lässt.

Und denke ich an meine Hochzeit, waren meine Hände klatschnass, ich konnte kaum richtig atmen, mein Herz hat wie wild geklopft und sind wir mal ehrlich, hier wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich Angst haben könnte. Ich befand mich in einem Zustand breit grinsender Vorfreude…

Wenn Sie sich dazu entscheiden, Ihre Stressreaktion als hilfreich zu betrachten, schaffen Sie die biologische Voraussetzung von Mut.
— Kelly McGonigal

So einfach und so kompliziert. So könnte ich auch die körperlichen Reaktionen, die ich habe, bevor ich mich traue (oder eben auch nicht) offen und ehrlich meine Meinung zu vertreten oder Feedback zu geben, als hilfreiche Unterstützung und eben nicht als Alarmsignal bewerten und einfach mutig Feedback geben.

Dass dies möglich ist, zeigen uns seit Wochen all die unglaublich mutigen Mädchen, Frauen und Männer im Iran. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, ob ich diesen Mut, diesen Todesmut, aufbringen würde, lebte ich dort. Ich habe mir oft vorgestellt, dass ich zu ängstlich sein würde. Aber wahrscheinlich hat Kelly McGonigal recht und wir erleben im Iran gerade Menschen, die sich beflügeln lassen, die kämpfen und ihre körperlichen und emotionalen Empfindungen als positiv und unterstützend bewerten. Sie wollen einen kulturellen Wandel herbeiführen. Dafür brauchen sie Mut, keine Angst. Denn ein jeder kultureller Wandel braucht Mut und er wird von Menschen getragen, die diesen Mut zur Veränderung tief in sich finden! -Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in Organisationen.

Wie einfach erscheint doch der (kulturelle) Wandel, den ich in Wirtschaftsorganisationen zu unterstützen versuche, im Vergleich zum sich vollziehenden kulturellen Wandel im Iran! Auch deshalb mache ich immer weiter. Denn ich weiß, dass es funktioniert. Jede*r einzelne von uns trägt in sich, was es dafür braucht. Wir müssen uns nur entscheiden mutig zu sein.

Habt einen schönen Sonntag und seid mutig!

Eure Constance

Denn alles beGinnt bei mir

Sei mutig! - Nicht ängstlich!

Denn wer nicht tanzt ist indiscotabel - Resiliente Organisationen als Erfolgsmodell

Wieviel Perfektion ist perfekt?

Eigentlich hätte ich diese Zeilen schon vor einer Woche tippen sollen. Immerhin habe ich diesen 14 tägigen Rhythmus selbst etabliert und ich freue mich sehr, inzwischen eine gewisse Stammleserschaft zu haben, die sich jeden zweiten Sonntag zum Frühstück auf meine Zeilen freut. Darauf habe ich lang hingearbeitet. Es ist mir unglaublich wichtig, professionell zu agieren und meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Aber was mache ich letztes Wochenende? Ich tanze einfach so die halbe Nacht durch! Bääm! Blog schreiben war nicht mehr möglich. Absolut indiskutabel und unprofessionell! Und trotzdem habe ich mich bewusst dazu entschieden, in der letzten Woche den Blog Blog sein zu lassen und das Leben zu genießen, einfach so!

Meine Artikel sollen immer eine Reflexion dessen sein, was ich in den vergangenen Wochen erlebt habe und in den letzten drei Wochen hat sich bei mir sehr viel um Stressmanagement, Achtsamkeit und Resilienz gedreht. Wie kann ich tagaus tagein umherlaufen und Menschen zu einer achtsamen Work-Life-Balance animieren, aber selbst wie ein Duracell-Häschen auf Speed durch mein Leben düsen, meine eigene Balance völlig ignorierend? Ich sollte leben, was ich predige und so habe ich in der letzten Woche diese Entscheidung getroffen, die mir nicht leichtgefallen ist. Verrückt, oder?

Resiliente Organisationen

Aber mal von vorne: Woher mein berufliches Interesse an Resilienz, Achtsamkeit, Stressmanagement? In einer dynamischen, komplexen und stark vernetzten Welt, in der gefühlt alles mit allem zusammenhängt, resultiert das Gefühl von Sicherheit insbesondere aus der Fähigkeit, mit Unsicherheit umgehen zu können. Alles scheint in einem stetigen Wandel begriffen und wir Menschen können da schon einmal den Überblick verlieren, uns verloren fühlen, oder diesem stetigen “Change” überdrüssig werden. Jedoch verlangt unsere gegenwärtige Realität von Unternehmen eine schnelle und flexible Reaktionsfähigkeit. Wem es nicht gelingt, sich immer wieder an neue Rahmenbedingung anzupassen, bleibt auf der Strecke. Meckern und Kopf in den Sand ist also keine Option, egal wie verständlich eine solche Reaktion vielleicht ist.

Agilität als Zauberimpfstoff

Natürlich ist dieses Phänomen bekannt und kluge Köpfe habe tolle Ideen und Strukturen entwickelt, um die Dynamik und Komplexität unserer Zeit zu managen. Agilität ist hierbei nicht nur zu einem der bekanntesten Buzz-Wörtern geworden, sondern wird inzwischen geradezu inflationär als Zauberimpfstoff für träge Organisationen gehandelt. Aber reicht diese einmalige Impfung aus? Klar, ist ein Unternehmen agil, dann bedeutet das, es ist anpassungsfähig und flexibel. Agile Prozesse und ein agiles Mindset helfen gegen träge Entscheidungsfindungsprozesse, gegen engstirniges Silodenken und unproduktive Pseudo-Geschäftigkeit. Ist eine Organisation wirklich agil kann sie die stetigen Veränderungen sogar produktiv für sich nutzen. Die Organisation wird zu einer lernenden Organisation und Veränderung wir zum willkommenen Standard.

Allerdings ist Agilität auch ein menschlich durchaus herausfordernder Arbeitsmodus. Der hohe Freiheitsgrad in agilen Organisationen sorgt nicht zwangsläufig für eine hohe Handlungsfähigkeit. Wenn es schlecht läuft, können Menschen sich durch diese Strukturen, die Freiheit und die damit verbundene Erwartungshaltung enorm unter Druck gesetzt fühlen. Wenn Organisationen glauben, es reiche aus, agile Strukturen, Prozesse, Methoden einzuführen, ohne dabei die Menschen angemessen zu begleiten, damit die agile Kultur nicht nur im Code of Conduct steht, sondern auch tatsächlich empfunden wird, kann Agilität zu einer regelrechten Burnout-Falle werden.

Doch auch Menschen wie ich, die in der agilen Arbeitsweise geradezu aufgehen, weil sie die Möglichkeiten und Freiheiten lieben und als großen Motivationsfaktor empfinden, können durchaus in Gefahr sein. - Zum Beispiel, wenn sie dazu neigen, immer wieder über eigene Grenzen zu gehen, sich selbst regelrecht ausbeuten. Fehlt die Balance und wird das eigene Ressourcenkonto nicht regelmäßig aufgefüllt, ist nicht auszuschließen, dass Agilität mit Gesundheit bezahlt wird. Belastungsfalle statt Empowerment! Deshalb musste ich einfach mal tanzen gehen und ich danke Dir, liebe Melli, für Deine wundervolle Kühlschrank-Philosophie, die Du mit mir geteilt hast: Wer nicht tanzt ist indiscotabel! Diesen Magnet brauche ich auch an meinem Kühlschrank!

Resilienz als Möglichmacher

Agilität oder erfolgreiches Arbeiten in einem dynamischen und komplexen Umfeld braucht Resilienz sonst dreht der Mensch doll und tanzt nicht mehr. Resilienz ist im Prinzip eine Voraussetzung für erfolgreiche Organisationen in unserem modernen Businessumfeld. Aber was ist Resilienz überhaupt. Eigentlich kommt der Begriff aus der Physik und beschreibt die Dehnbarkeit einer Feder. Wie weit kann ich eine Feder auseinanderziehen, bis sie nicht mehr in ihren Ursprungszustand zurückspringt? Die Psychologie hat den Begriff dankbar übernommen. Wie viele Einschläge, Veränderungen, Rückschläge hält die Seele aus, ohne langfristig aus der Form zu geraten? Je besser ich hier aufgestellt bin, desto einfacher und schneller kann ich die immer neuen Veränderungen verarbeiten und wieder handlungsfähig werden, als Individuum und als Organisation.

Der Sprung in die Wirtschaftspsychologie war schließlich kein besonders großer. In einer zunehmend dynamischen (Wirtschafts-) Welt geht es zunehmend darum, sich schnell und flexibel an immer neu Voraussetzungen anzupassen. Es braucht resiliente Organisationen, die sich von allen möglichen Einschlägen schnell erholen um wieder ins Tun zu kommen. Eine Studie des Zukunftsinstituts kommt sogar zum Schluss, dass Resilienz die zentrale Zukunftskompetenz überhaupt sei. Aber wie bastelt man sich eine resiliente Organisation? Nun eigentlich ganz einfach: Eine resiliente Organisation besteht aus resilienten Bereichen, die wiederum aus resilienten Teams bestehen, die wiederum durch resiliente Mitarbeitende geformt werden. Eine resiliente Organisation entsteht also immer aus resilienten Individuen. Ja, auch Resilienz ist skalierbar.

Es werde also Resilienz…

Möchte ich mir eine resiliente Organisation basteln, beginne ich mit meinen einzelnen Mitarbeitenden. Diese individuelle Resilienz entsteht nur, wenn ich jeden Menschen als soziales Wesen begreife. Hier ist ein holistischer Ansatz im Umgang mit den Mitarbeitenden unabdingbar. Jede*r einzelne muss das Gefühl haben, sie oder er selbst sein zu dürfen: individuell, offen und ehrlich. Der Ansatz sind sogar so ganzheitlich, dass ich offen und ehrlich darüber sprechen könnte, wenn mir alles zu viel ist, ich mich überfordert fühle oder einen Fehler gemacht habe. Ganz schön beängstigend, vor den Kollegen derart blank zu ziehen… Natürlich führt uns auch die Frage nach der Resilienz zu meinem Kernthema der psychologischen Sicherheit nach Amy C. Edmondson. Denn nur in einem psychologisch sicheren Umfeld trauen wir uns, uns selbst wirklich und tief zu reflektieren, uns selbst so kennenzulernen, dass wir wissen was uns guttut und wie wir uns in kritischen Situationen selbst positiv und ehrlich motivieren können, oder wie wir unseren individuellen Stress und unsere Ängste leveln können. Es ist natürlich auch ein psychologisch sicheres Umfeld, das uns ein experimentelles Tun, ein kreatives ausprobieren ermöglicht. Ohne psychologische Sicherheit keine resiliente, lernende Organisation.

Mit dieser Herleitung habe ich in den letzten Wochen immer wieder vor allem mit Führungskräften gearbeitet. Was kann ich als Führungskraft konkret tun, um ein psychologisch sicheres und resilientes Umfeld zu fördern? - Einen Beitrag dazu zu leisten, dass die gesamte Organisation resilienter wird? Die Antwort ist ebenso motivierend wie frustrierend. Als erstes muss ich bei mir anfangen. Mein ganz individuelles Stressempfinden und meine Strategien im Umgang mit Stress haben besonders in einer Führungsposition einen besonderen Einfluss auf die Teamdynamik und den subjektiv empfundenen Leistungsdruck eines jeden Mitarbeitenden. Ein*e jede*r sollte sich regelmäßig sehr ehrlich fragen, wie es um ihr oder sein Stresslevel bestellt ist. Um hierfür Anhaltspunkte zu geben, haben wir in einem ganz besonderen Workshop in Zusammenarbeit mit zwei wundervollen Forscherinnen der Universität Maastricht mit der sogenannten Polyvagal Theorie nach Stephen W. Porges gearbeitet. Das Ziel war Stress als körperliche Empfindung zu abstrahieren und Möglichkeiten an die Hand zu geben, Stress über Körperarbeit bewusst zu senken. Möchte ich anderen Sicherheit geben, sollte ich mich erstmal selbst sicher fühlen und Stress hat immer etwas mit Kampf und Flucht und somit ggf. auch mit Unsicherheit zu tun.

Im nächsten Schritt rate ich Führungskräften das Thema Stress im Team zu thematisieren, ebenso wie Fehler, Unsicherheiten, Sorgen, Ängste. Gelingt es mir als Führungskraft, mich als Mensch erlebbar zu machen, werden es mir meine Mitarbeitenden mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gleichtun. Spreche ich darüber, dass mir etwas zu viel wird, oder spreche ich über einen Fehler, den ich gemacht habe, setze ich automatisch den Standard für das Miteinander. Ich zeige, dass es zur Teamkultur gehört, Fehler machen zu dürfen, Grenzen zu haben, Sorgen zu teilen. Und nein, keine Angst, das wird ganz sicher nicht zu einem Therapiesetting. In den letzten Wochen habe ich gleich mehrere Teams dabei unterstützt, über das Stresslevel und die Belastungen im Team zu sprechen. Einige Teilnehmende haben mir erzählt, dass sie noch nie zuvor in einem Team auf der Arbeit so konkret über ihr Stresslevel und ihre Belastungen gesprochen haben und dass es gutgetan hat.

Ich weiß, das sind ziemlich kleine Schritte, aber lieber zwei kleine Schritte, die auch gegangen werden, als den großen Sprung, für den einem am Ende entweder der Mut oder die Sprungkraft fehlt.

Und Perfektion…??? Ja, das ist so eine Sache. Irgendwie streben wir alle danach, erreichen sie gefühlt nie und arbeiten uns deshalb an ihr ab. Denn wie schon Alfred de Musset sagte:

“Perfektion existiert nicht. Dies zu verstehen ist der Triumph menschlicher Intelligenz. Sie besitzen zu wollen ist die gefährlichste Form des Wahnsinns.”

Nun ja, in meinem Fall liegen Genie und Wahnsinn wohl noch recht dicht beisammen!

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag. Vielleicht tanzt Ihr ja ein wenig…

Eure Constance

Resilienz 2.0

… denn nicht zu tanzen ist indiscotabel…

Denn die sicherste Airline ist die, die nicht fliegt! -Sicherheit vs. Produktivität

Ende einer Trilogie…

In meinen letzten beiden Artikeln habe ich über den Absturz einer Maschine der Air Ontario im kanadischen Dryden berichtet. Klar beschäftigt mich die Frage nach der Schuld. Immerhin sind Menschen gestorben, Menschen mit Träumen, Familien, Plänen. Ich habe die Ereignisse aus Sicht der einzigen überlebenden Flugbegleiterin und des verstorbenen Kapitäns berichtet. Beide haben ihr Bestes gegeben und dabei Fehler gemacht, Fehler, die menschlich für jeden nachvollziehbar sind, die uns vielleicht auch passiert wären, wären wir an ihrer Stelle gewesen. So hat jeder Schuld auf sich geladen, aber wie schwer wiegt diese Schuld wirklich? Die Crew agierte während der Ereignisse innerhalb der unternehmenskulturellen Möglichkeiten und Normen von Air Ontario und am Ende bleibt die Frage, ob nicht vielleicht das Management schuld ist, weil es keine angemessene Sicherheitskultur pflegte, die diesen Unfall vielleicht verhindert hätte? Zu diesem Ergebnis kamen jedenfalls die Unfallermittler. Es gab viele Faktoren, die zur Katastrophe führten. Aber am Ende fehlte es vor allem an einer gemeinsamen Sicherheitskultur bei Air Ontario, die es der Flugbegleiterin ermöglicht hätte zu sprechen, den Kapitän befähigt hätte stopp zu sagen. Vielleicht hätte der Flieger in einer soliden Sicherheitskultur noch nicht einmal den Flughafen von Thunder Bay verlassen. Aber lasst uns ein drittes Mal aus einer dritten Perspektive schauen was passiert ist.

Chronologie einer Katastrophe

Was führte am 10. März 1989 zum Tod von 24 Menschen? Auf den ersten Blick war es die Entscheidung des Kapitäns, nicht zu enteisen. Schuld eindeutig geklärt! Aber was führte zu dieser Entscheidung? Der Stress und Druck unter dem der Kapitän war? Der Flieger war ohnehin schon zu spät unterwegs und alles schien sich gegen den Kapitän zu verschwören. Vielleicht war er so gestresst, dass er das Eis auf den Tragflächen nicht wahrgenommen hat. Sonia, die junge Flugbegleiterin, hat das Eis jedenfalls gesehen, sich aber nicht getraut, den Kapitän darauf anzusprechen. So gesehen trägt auch sie Schuld. Hätte der Kapitän weniger gestresst gewirkt, wäre es Sonia vielleicht leichter gefallen, ihn anzusprechen.

Man kann es drehen und wenden wie man will, die Schuld ist in dieser komplexen Gemengelage nicht eindeutig zuzuordnen. Eine der Fragen, die mich beschäftigt, ist woher dieser Stress kam, der den Kapitän offensichtlich den Überblick verlieren ließ. Dazu müssen wir uns kurz die Schuhe des Managements von Air Ontario anziehen.

Sicherheit vs. Produktivität - Das alte Managementdilemma

Air Ontario war Ende der achtziger Jahre eine kleine, regionale Airline, die vor allem Zubringerflüge für Air Canada durchführte. Die kleine Airline war am Wachsen und führte gerade die Fokker F28 als neues, modernes Flugzeugmuster ein. Alles das geschah unter gnadenlosen Wettbewerbsdruck, der zu dieser Zeit unter anderem durch die kommerzielle Deregulierung der Luftfahrt hervorgerufen wurde. Im Prinzip stand den meisten Airlines das Wasser bis zum Hals und es ging darum, sich gegen die Mitbewerber durchzusetzen. Unter anderem bedeutete das für Air Ontario, dass die neuen Flieger um jeden Preis in der Luft sein mussten. -So auch am Morgen des 10. März. Die Fokker mit der Kennung C-FONF stand noch in Thunder Bay, als festgestellt wurde, dass die Auxiliar Power Unit (APU), eine Art Hilfstriebwerk, defekt war. An sich ist das kein allzu großes Problem. Die APU wird benötig, um auch am Boden Strom zu haben und liefert die initiale Energie zum Starten der Triebwerke. Sie kann jedoch auch durch ein Bodenstromaggregat ersetzt werden. So entschied Air Ontario, dass der Flieger mit Defekt auf die Reise geht. Derartige Entscheidungen werden bis heute getroffen. Ich weiß nicht, wie oft ich in meiner aktiven Zeit mit defekter APU unterwegs war.

Als die Crew bereits an Bord war, erfuhr Air Ontario, dass Air Canada noch 20 weitere Gäste für den Flug von Thunder Bay über Dryden nach Winnipeg buchen wollte. Mehr Gäste bedeutete mehr Geld und wenn die Gäste auch noch vom wichtigsten Kunden eingebucht werden, sagt man doch nicht nein! Mit dieser, aus Sicht des Managements absolut nachvollziehbaren Entscheidung, nahm die Katastrophe ihren Lauf. Für den Kapitän bedeutete dies, dass er noch vor dem Start den Flieger zum Teil enttanken musste. Ursprünglich wurde so viel Kerosin getankt, dass es bis nach Winnipeg ausgereicht hätte und die Crew in Dryden nicht nachtanken musste. Mit zwanzig Gästen mehr war der Flieger nun zu schwer. Der Kapitän wollte lieber Gäste ausladen. Das Management entschied jedoch, dass enttankt wird. Mehr Gäste, mehr Geld und außerdem kamen diese ja auch direkt von Air Canada. Außerdem waren die Plätze ja frei!

So ging es mit Verspätung Richtung Dryden. Die Gäste hatten Angst, dass sie ihre Anschlussflüge verpassten und der Kapitän war gestresst und zusätzlich sicher auch wütend. Die Wut und der Stress wurde mehr, als klar war, dass es in Dryden kein Bodenstromaggregat gab. Für ihn bedeutete das, dass er eines der beiden Triebwerke permanent laufen lassen musste. - Beim Ein- und Aussteigen der Gäste und auch beim Betanken. Besonders dieses sogenannte Hot Refueling, also das Tanken mit laufenden Triebwerken, stellt ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Der Druck auf den Kapitän muss immens gewesen sein. Er wurde beobachtet, wie er sehr wütend mit Air Ontario telefonierte. Aber Air Ontario war weit weg und er musste sich vor Ort in Dryden ziemlich allein gefühlt haben. Vielleicht hat er das Eis auf den Tragflächen nicht gesehen, vielleicht hat sein Unterbewusstsein das Eis auch einfach ausgeblendet, wusste es doch, dass ein Enteisen mit einem laufenden Triebwerk nicht möglich gewesen wäre. Nach dem Enteisen hätte man den Flieger nicht mehr starten können…

Sicherheitskultur - manchmal eine Mission Impossible

Nun kann man also sagen, das Management war schuld! Aber wie schwer wiegt diese Schuld? Das Management hat zunächst den primären Job des Managements, nämlich wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gemacht. Wer will ihnen einen Vorwurf machen. Technische Zusammenhänge zwischen der APU, dem Enteisen und den Bodenstromaggregaten, der Kerosinmenge und der Aerodynamik sind nun wirklich nicht das Thema des Managements. -Ebenso, wie Excel-Tabellen mit Bilanzen nicht die Expertise von Piloten und Flugbegleitern ist. Aus diesem Grund braucht es einen Austausch zwischen beiden Seiten, einen Kompromiss.

Es liegt in der Natur der Dinge, dass ein jeder vor allem seinen eigenen Problemraum im Fokus hat. Hinsichtlich der Luftfahrt hatte und habe ich meinen Fokus auf Sicherheit, musste jedoch akzeptieren, dass die sicherste Airline die ist, die nicht fliegt ist. Und da eine Insolvenz als absolute Sicherheitsmaßnahme auch irgendwie ungünstig ist, geht es darum, bestmögliche Kompromisse einzugehen. Dieses bewusste eingehen eines Kompromisses nennt man Sicherheitskultur. Wie ausgeprägt diese ist, muss jede Airline für sich selbst festlegen. Eine Gradwanderung ist es allemal. In meiner früheren Sicherheitskultur war es undenkbar, dass ein schlafendes Kind zur Landung nicht angeschnallt wird, oder dass Notausgänge zur Landung mit Handgepäck zugestellt wurden. Sehr regelmäßig haben sich meine Gäste darüber zum Teil recht heftig beschwert. Airline XY sei viel besser und familienfreundlicher. Habe man da das Kind doch einfach schlafen lassen… Ja, Sicherheit ist nicht nur teuer, sondern zuweilen auch wenig kundenfreundlich. Aber ist ein Unfall wie der von Air Ontario eine Alternative? Und ja, sagt gerne, dass ist lange her! Aber dann schaut Euch das Marktumfeld von Airlines Ende 2022 an! Der Druck auf Management und Besatzung ist riesig. -Und eine funktionierende Sicherheitskultur ist gerade im Moment umso wichtiger.

Und wie geht Sicherheitskultur

Eigentlich geht Sicherheitskultur ganz einfach: Jeder Einzelne übernimmt die Verantwortung, Probleme und Missstände anzusprechen. Wie bei Kulturen so üblich muss auch die Sicherheitskultur von allen Akteuren getragen werden. Am Ende des Tages geht es um Kommunikation: Um Zuhören und um das Vertrauen auch kritisch sprechen zu dürfen. So lande ich auch beim Thema Sicherheitskultur wieder bei meinem Hauptthema: Psychologische Sicherheit. Das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen braucht es auf allen Ebenen, damit es zu einem ehrlichen Austausch kommt, der die tatsächlichen Probleme ehrlich wiedergibt. Nein, das Management muss sich nicht mit technischen Aspekten der Fliegerei auskennen. Es muss sich aber bewusst darüber sein, dass jede ihrer Entscheidungen Auswirkungen hat, deren tatsächlich Auswirkungen aus Managementperspektive oft nicht allumfassend in Betracht gezogen werden können. Derartige Entscheidungen müssen von denjenigen getroffen werden, die das tatsächliche Geschehen überblicken können. Dabei muss das Management darauf vertrauen, dass diese Entscheidungen nach bestem Wissen und in bestmöglicher Abwägung aller Fakten getroffen wird. Ja, diese Dezentralisierung von Entscheidungsfindungsprozessen sind das Herzstück moderner Organisationen, nicht nur in der Luftfahrt, und brauchen unendlich viel Vertrauen.

Über den Tellerrand hinaus…

Inzwischen habe ich meine zweite berufliche Heimat in der Bankenwelt gefunden und bin erstaunt das alte Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Produktivität auch hier wiederzufinden. Es sind die fast identischen Diskussionen und auch hier, in meiner neuen Welt, sind es Eigenverantwortung, Kommunikation und Austausch, die zu einer lebendigen und transparenten Sicherheits- oder Risikokultur führen. In einer komplexen und dynamischen Welt braucht es eben immer beides um erfolgreich zu sein: Sicherheit und Risiko.

Damit wäre ich nun mit meiner Trilogie rund um Air Ontario am Ende. Den Schuldigen habe ich nicht gefunden. Aber was ist schon Schuld?

Habt einen schönen Sonntag.

Eure Constance

PS: Und ja, lieber Manager, wenn Du nun sagst, dass Du dieses Vertrauen, von dem ich geschrieben habe, unmöglich aufbringen kannst, weil Du doch all die Verantwortung für Sein oder Nicht-Sein trägst, dann verstehe ich Dich. Dann kannst Du nicht anders empfinden, weil es Dein unternehmenskulturelles Umfeld momentan nicht hergibt. Aber an Kultur lässt sich arbeiten. Ich verspreche Dir, dass Du diese Bedenken in einer Kultur der psychologischen Sicherheit nicht mehr so stark empfinden wirst. - Und tatsächliche Kultur machen wir alle, auch Du. Deshalb sei mir an dieser Stelle ein Buchtipp gestattet: “Die angstfreie Organisation” von Amy C. Edmondson, Harvard-Professorin und im letzten Jahr seitens der Thinkers50 Gilde zur wichtigsten Vordenkerin in der Wirtschaft ausgewählt.

Über den wolken…

… sollte das Risiko wohl kalkuliert sein!