Persönlichkeit

Die Physiologie der Angst und das große Missverständnis der Mächtigen

Angst macht stark

Angst verleiht uns Bären-Kräfte, lässt uns schneller rennen und uns über uns selbst hinauswachsen, sie lässt uns blitzschnell entscheiden, weniger Schmerzen spüren und so weiter und so fort. So gesehen müsste Angst doch etwas gutes sein, so gut, dass es Manager und sogar Staatschefs gibt, die dem Glauben unterliegen, ihre Leute über Angst zu Höchstleistung anspornen zu können. -Eines der, wie ich finde, größten Missverständnisse der Evolution. Aber mal von vorne…

Angst ist uns vor allem als abstraktes Gefühl bekannt. Was vielen Menschen nicht bewusst ist, ist dass hinter diesem abstrakten Gefühl klar messbare physiologische Vorgänge stecken, deren evolutionshistorischer Ursprung darin begründet liegt, das Überleben unserer Art zu sichern. Also im Kern war Angst dann doch irgendwie etwas Positives.

Die Physiologie der Angst

Schauen wir uns mal an, wie Angst in unserem Körper entsteht: Zunächst nehmen unsere Sinnesorgane etwas wahr, das unsere Großhirnrinde, der modernste Teil unseres Gehirns, entsprechend unserer Erfahrungen interpretiert. Im Falle der Angst interpretiert unsere Großhirnrinde das Wahrgenommene als (lebens-)gefährlich. Diese Gefahrenmeldung geht sofort an unser Gefühlshirn, das Limbische System. Die dort ansässige Amygdala, unser Angshirn, sorgt in Zusammenarbeit mit dem Hippocampus dafür, dass der Hypothalamus Stresshormone ausschüttet (Adrenalin, Noradrenalin, Kortison und Kortisol). In Gefahrensituationen, in denen eine Blitzreaktion zum Überleben notwendig ist, macht das die fürsorgliche Amygdala auch gerne mal, ohne vorher mit der Großhirnrinde, dem rationalen Teil unseres Gehirns, Rücksprache zu halten. Das ist sehr oft sehr hilfreich, führt in unserem modernen Leben aber auch häufig zu ziemlich komischen Situationen.

Aber zurück zum Hypothalamus und seinen Hormonen: Diese Bewirken schließlich, dass unser Herz schneller schlägt, der Blutdruck steigt, die Muskulatur stärker durchblutet wird und das sogar mit einem nährstoffhaltigerem Blut, unsere Pupillen werden weiter, die Körpertemperatur steigt und unsere gesamte Aufmerksamkeit ist auf die Gefahr gerichtet. Sinn und Zweck der ganzen Übung ist, dass unser Körper für einen gewissen Moment besonders leistungsfähig ist, um wahlweise besser kämpfen, oder schneller flüchten zu können. Hierbei ist es sogar Teil der körpereigenen Überlebensstrategie, dass dieser Hormoncocktail bewirkt, dass unser Blut dickflüssiger wird. So verlieren wir im Falle einer Verletzung weniger Blut, ist ja dickflüssiger, was die Wahrscheinlichkeit zu überleben erhöht. Wahnsinn dieser Körper, oder?

Wann immer ich mich mit dem menschlichen Gehirn und damit verbundenen körperlichen Reaktionen beschäftige, passieren bei mit zwei Dinge: ersten werde ich ziemlich demütig vor der Evolution, Schöpfung oder wie auch immer man das nennen mag und zweitens wird mir wieder und wieder bewusst, wie großartig der Mensch ist, aber dass er mit seinen natürlichen oder instinktiven Reaktionen nicht für ein Leben in dieser modernen Welt gemacht ist. Mit dem Zeitalter der Industrialisierung hat das Leben uns irgendwie überholt. Deshalb braucht es Human Factors Training, um hier nachzujustieren.

Das große Missverständnis

Jetzt aber mal zu diesem Missverständnis der Mächtigen, die glauben, über Angst Menschen zum einen besser kontrollieren und zum anderen zu Höchstleistungen anspornen zu können. Ja, funktioniert! Funktioniert sogar sehr gut, wenn die Höchstleistung, die man benötigt, besonders schnelles kopfloses Rennen, Schmerzunempfindlichkeit oder eine besonders hohe Schlagkraft ist! Ich frage mich gerade in welchen Teilen der modernen Arbeitswelt das von herausragender Wichtigkeit ist… Und zum Thema bessere Kontrolle: schon mal eine Gruppe ängstlicher Schafe kontrolliert? Geht gut, bis das erste drauf losrennt!

Wir sollten uns an dieser Stelle lieber nochmal anschauen, was mit uns Menschen im Zusand der Angst noch so alles passiert. Wenn unser Angsthirn so richtig Gas gibt und so richtig viele Stresshormone ausgeschüttet werden, passiert nämlich noch viel mehr. Als allererstes verändert sich unsere Wahrnehmung. Wir sind fast ausschließlich auf das fokussiert, was uns Angst macht und da unser Gehirn sehr fürsorglich ist, schaltet es das seiner Meinung nach für uns unwichtigste Sinnesorgan erstmal ab. Wir hören nicht mehr richtig und merken das noch nicht einmal! Ferner wird auch unser moderner rationaler Gehirnteil, die Großhirnrinde, ein Stück weit aus dem Spiel genommen. Zum einen führt das dazu, dass Situationen weniger rational und mehr emotional bewertet werden und als kleinen Nebeneffekt leiden wir außerdem noch an Wortfindungsstörungen. Unser Sprachzentrum wird nämlich ebenfalls beeinträchtigt. Jeder kennt die Situation, dass einem erst einige Zeit nach einem Streit die wirklich guten Argumente einfallen und man sich ärgert, dass man nicht das und das so und so gesagt hat. Herzlichen Glückwunsch, ihr habt ein völlig normal funktionierendes Gehirn. Das Angsthirn wertet Streit als bedrohlich, es aktiviert diesen Kampf- oder Fluchtmechanismus und weil höheres Denken weder beim Weglaufen noch beim Zuschlagen gebraucht wird, ist die Großhirnrinde erstmal ein Stück weit raus aus dem Spiel!

Wenn ich also Menschen in Angst versetze, dann steht ihnen zwar viel körperliche Energie zur Verfügung, allerdings hören sie nicht mehr zu, können sich selbst schlechter ausdrücken, ihre Wahrnehmung ist stark eingeschränkt und weil sich die Großhirnrinde in einem “psychologischen Nebel” (so nannte es die großartige Vera Birkenbihl) befindet, ist auch grade nichts mit abstrakter Problemlösung und kreativen Ideen. Wenn ich als Manager das nächste Mal an den Punkt komme, zu glauben, dass es hilfreich wäre, ein wenig Angst zu verbreiten um Ziele durchzusetzen, Verträge neu zu verhandeln, oder um die Leute einfach nur zu Höchstleistungen anzuspornen, sollte ich auch darüber nachdenken, ob meinem Unternehmen oder meiner Abteilung mit unkreativen, kopflosen und stammelnden Leuten wirklich geholfen ist. Ich lehne mich hier mal weit aus dem Fenster und sage ganz klar: NEIN!

Und weil das hier mein Blog ist und ich quasi schreiben kann, was ich will, lehne ich mich noch ein bisschen weiter aus dem Fenster und stelle die gewagte These in den Raum, dass Menschen, die aus einer Machtposition heraus bewusst mit Angst arbeiten, sogar eine Körperverletzung begehen. Wie ich darauf komme? Diese von der Evolution vorgesehenen physiologischen Vorgänge sind darauf ausgelegt, immer nur für einen kurzen Zeitraum anzuhalten. Wenn ich erfolgreich geflohen bin oder den Säbelzahntiger erlegt habe, ist erstmal Erholung angesagt. Angst- und Drohmechanismen, die durch Existenzängste durch drohenden Jobverlust oder Gehaltseinbußen, durch permanenten Leistungsdruck und Versagensängste gefüttert werden, sorgen dafür, dass mein Körper in einem dauerhaften Alarmzustand bleibt. Im Klartext bedeutet dies, dass unser Blutdruck permanent leicht erhöht ist, unser Herz dauerhaft schneller schlägt und unser Blut rund um die Uhr dickflüssiger ist. Krankheiten, die damit einhergehen, sollten bekannt sein. Ferner wird in diesem Alarmzustand die Verdauung unterdrückt und wenn ich trotzdem Essen nachschiebe, weil ich eben Hunger habe, kann das zu Erkrankungen im Magen-Darmtrakt führen (Magengeschwüre, Reizdarm, etc.). Auch unsere Seele wird krank, wenn der Körper sich permanent im Alarmzustand befindet. Depressionen und Burnout sind ja inzwischen schon fast Volkskrankheiten.

Von Macht und Verantwortung

Dieses Thema lässt mich auch in Diskussionen gerne sehr leidenschaftlich werden, weil die Folgen doch enorm sind und Führungskräfte meiner Meinung nach nicht nur Macht, sondern auch ganz, ganz viel Verantwortung haben, sowohl für das Unternehmen, aber auch für die Menschen, die ihnen anvertraut sind. Besonders betroffen macht mich momentan, dass nicht nur in der Wirtschaft hier und da - meiner Meinung nach - bewusst mit Ängsten gearbeitet wird. Wenn die Berichte über die “geleakten” Dokumente in Österreich stimmen, dann arbeitet hier wohl auch eine Staatsführung bewusst mit Angst. Ich gehe davon aus, dass das, wenn es denn so geschehen ist, sicher mit den besten Zielen und Motiven gemacht wurde. Klar, wenn die Menschen so richtig viel Angst vor dem Virus haben, weil man die Folgen etwas überzogener darstellt, bleiben sie vielleicht bereitwilliger zuhause, sind kooperativer und besser zu kontrollieren. “Corriger la fortune” sagt der Franzose. Aber zu welchem Preis? Da braucht man sich auch nicht zu wundern, dass die Menschen hirnlos und von Angst getrieben, rational nicht nachvollziehbare Dinge tun und Klopapier kaufen, als würde es kein Morgen mehr geben!

In diesem Sinne liebe Leser: Ängste bitte nicht füttern!

Eure Constance

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Ängste bitte nicht füttern!

Was Pippi Langstrumpf und Paul Watzlawick gemeinsam haben: Ein Ausflug in die Wirklichkeit

“… ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt…” (Pippi Langstrumpf)

Pippi Langstrumpf, ich glaube so ziemlich jedes Mädchen wollte irgendwann mal so sein wie sie. Ich auch, damals mit zehn. Pippi war stark, sehr stark, unabhängig, ein bisschen verrückt und sie konnte machen was sie wollte. Ach, und sie hatte ein eigenes Pferd! Aber vor allem hat Pippi ihre Welt so gesehen, wie es ihr gefallen hat. Großartig! Das wollte ich auch.

Mit den Jahren geriet Pippi dann bei mir immer mehr in Vergessenheit. Backpacking wurde spannender als Pferde. Das bunte verrückte Leben hat mich irgendwie mitgerissen, wie ein wilder, schneller Fluss. Und plötzlich, in all dem Getöse war sie wieder da: Pippi Langstrumpf, irgendwie reinkarniert in der Gestalt des österreichischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick. Verdammt, die beiden wären super miteinander ausgekommen. Denn während Pippi propagiert hätte, dass sie sich die Welt mache, wie sie ihr eben gefiele, hätte Paul ihr erzählt, dass das völlig OK so sei, weil das nämlich alle Menschen so machten.

Paul Watzlawick und der Radikale Konstruktivismus

Als Vertreter des sogenannten Radikalen Konstruktivismus ist Paul Watzlawick zu der Erkenntnis gelangt, dass unsere Wahrnehmung absolut subjektiv ist und eben kein Abbild einer objektiven (das heißt bewusstseinsunabhängigen) Realität ist, sondern Realität für jeden einzelnen vielmehr eine Konstruktion aus Sinnesreizen, Erfahrungen, Wissen, Werten und Prägung ist. Für Paul Watzlawick ist jede Wahrnehmung und jede Idee von Realität absolut subjektiv. -Alles gut, das hier musste ich auch zweimal lesen, nachdem ich es geschrieben hatte!

Als kleine Einstimmung ins Thema folgt für all jede unter euch, die diese Geschichte nicht kennen, die Geschichte mit dem Hammer aus Paul Watzlawicks Werk “Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gerne Knoblauch essen”, eingelesen von mir selbst! Keine Sorge, ist nur etwas über eine Minute lang.

Verrück, der Typ, oder? Tja, und der große Paul Watzlawick behauptet dass wir alle so sind! Noch verrückter, oder? Wir kreieren unsere Realität, im Positiven wie im Negativen.

Der Prozess der Wahrnehmung

Schauen wir uns im ersten Schritt mal an, was Paul Watzlawick mit den Sinnesreizen meint. Ihm geht es hier um den physiologischen Prozess der Wahrnehmung. Die Basis für das, was wir Wahrnehmung nennen, sind unsere Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Spüren und der Gleichgewichtssinn. Sechs Sinne, die uns Orientierung geben. Den berühmten siebten Sinn möchte ich an dieser Stelle mal außer Acht lassen, verspreche aber im Laufe der nächsten Wochen hoch wissenschaftlich genau darauf nochmal zu sprechen zu kommen. Da steckt nämlich tatsächlich viel mehr als Esoterik dahinter. Aber ich möchte nicht zu viel spoilern!

Also zurück zu unseren sechs Sinnen, die permanent damit beschäftigt sind die Umwelt abzuscannen und die entsprechend wahrgenommenen Reize an das Gehirn weiterzugeben. Genau hier fängt es auch schon an kompliziert zu werden. Würde unser Gehirn die gesamte wahrgenommene Information verarbeiten, wären wir schlicht und ergreifend komplett überfordert. Unser äußerst fürsorgliches Gehirn filtert also per se etwa 95 Prozent der Information heraus. Sie bleibt irgendwo im Unterbewussten, was auch immer das ist. Also das, was wir als Realität bezeichnen, ist auf Grund neurologischer Funktionen ein fünfprozentiger Ausschnitt unserer Welt. So gesehen grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass wir nicht permanent gegen eine Wand laufen, sonder stattdessen sogar mit Flugzeugen um die Welt fliegen, oder auf dem Mond spazieren gehen.

Richtig spannend wird es nämlich, wenn wir uns mal die Frage stellen, welche fünf Prozent all dieser Information das Gehirn verarbeitet und uns als Realität bewusst macht. In Anbetracht all dessen, was der Mensch so leistet, muss das Gehirn dabei offensichtlich einen sehr erfolgreichen Masterplan haben. Dieser Masterplan basiert als aller erstes auf Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens schon gemacht haben, hinzu kommen Werte, persönliche Glaubenssätze, gesammeltes Wissen und individuelle Präferenzen, nach denen unser Gehirn unsere Wirklichkeit für uns zusammenstellt. Hierbei lässt das Gehirn nicht nur Information weg, sondern fügt nach gut dünken auch das ein oder andere hinzu, damit das Bild für uns passt. Nettes Gehirn, oder?

Da es keine zwei Menschen auf der Welt gibt, die exakt die gleichen Erfahrungen, Werte, Präferenzen, etc. haben, muss uns spätestens jetzt klar sein, dass es überall und permanent Menschen gibt, die komplett anderer Meinung sind als wir. Das kann so weit gehen, dass wir deren Standpunkt beim besten Willen nicht verstehen können und trotzdem haben diese Menschen genau so recht, wie wir. Und genau deshalb kämpfen diese Menschen genau so sehr für deren Version der Realität wie wir es für unsere tun. In Paul Watzlawicks Radikalen Konstruktivismus liegt also die Wurzel jeder Meinungsverschiedenheit.

Die Chancen des Pippi-Prinzips

Jetzt könnte man das alles hier aus einer negativen Perspektive heraus betrachten und nur das negativ behaftete Konfliktpotenzial sehen, oder man betrachtet das alles aus einer positiven Ecke und überlegt, welche Chancen diese dem Menschsein zu Grunde liegende Unterschiedlichkeit hat.

Das ist jetzt der Punkt, an dem ich nochmal auf meinen letzten Blog und die nicht enden wollenden Diskussionen um die Entscheidungen der Bundesregierung zum Umgang mit der Corona Krise zu sprechen kommen. Ich nehme sehr wohlwollend zur Kenntnis, dass die Entscheider nicht nur ihre eigenen “fünf Prozent” in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen. Außerdem nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass man Fachleute und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen als Berater mit einbezieht. OK, ich muss es kurz einfließen lassen: Dabei finde ich es nur schwer zu ertragen, dass diese Machos der Leopoldina lediglich zwei Frauen in ihren erlauchten Kreisen zugelassen haben! Gibt ein paar Abzüge in der B-Note! Aber alles in allem scheint hier in Deutschland ein ganz guter Job gemacht zu werden, jedenfalls aus meinem professionellen Blickwinkel heraus.

Und trotzdem nehme ich an mir selbst wahr, dass mir nicht alles gefällt, was da entschieden wird. Manches kann ich sogar absolut nicht verstehen oder nachvollziehen. Deshalb ist es wichtig, dass darüber diskutiert wird. Ich finde es toll zu sehen, wenn eine Sabine Leutheuser-Schnarrenberger als Juristin und Mitglied das Bayrischen Verfassungsgerichtshofes sich sehr stark auf unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten fokussiert, dass ihr gegenüber ein Herr Meyer-Herrmann als Immunologe darüber nur wenig nachdenkt, da er einen komplett naturwissenschaftlichen Blick auf die Situation hat. Ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die wirtschaftliche Belange auf dem Schirm haben und auch diejenigen, die sich mit den psychologischen Folgen für die “eingesperrte” Gesellschaft auseinandersetzen und sich mit diesem Hintergrund in Diskussionen einmischen. Aber Fakt ist und bleibt, dass keiner von ihnen allein Recht hat, jeder hat nur fünf Prozent. Deshalb sind Kompromisse so wichtig.

Was mich bei alle dem aber echt ein wenig ärgert, ist die Gewissheit darüber, dass auch meine eigene Meinung nur einen kleinen Teil der Fakten berücksichtigt, ganz bunt gefärbt durch meine Werte und meinen Problemraum. Irgendwie fühle ich mich dabei so hilflos und machtlos. Aber trotzdem werde ich niemals damit aufhören, mir eine eigenen Meinung zu bilden, jedoch immer auch mit dem nötigen Respekt vor anderen Perspektiven. Denn je länger ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir, dass mein zehnjähriges Ich total Recht damit hatte: Pippi Langstrumpf war ein großartiges Mädchen und jeder sollte ein bisschen so sein wie sie, so frei, so laut, so stark und so kreativ. Gleichzeitig meldet sich inzwischen aber auch mein erwachsenes Ich und mahnt mich zur Toleranz! Gleiches Recht für alle! Wenn ich sein darf wie Pippi, dann darf das jeder andere auch. Also auf gehts, nehmt wahr was das Zeug hält und konstruiert euch die beste Wirklichkeit, die ihr für euch konstruieren könnt. Seid dabei großzügig mit und offen für anderen Meinungen, getreu dem Motto “Meine Wahrnehmung, meine Wahrheit!”. In meinem nächsten Beitrag gehen wir dann an diesem Punkt noch etwas tiefer in die Materie, denn in den Wahrheiten anderer liegen auch Chancen. In der Luftfahrt können sie sogar Leben retten. Wir nehmen uns Pippi und Paul und setzen die beiden in ein Flugzeug, um uns mal anzuschauen, was Watzlawicks Konstruktivismus mit Flugsicherheit zu tun hat. Also wenn ihr schon immer mal wissen wolltet warum Flugzeuge manchmal abstürzen, dann solltet ihr das hier weiterverfolgen!

Bis dann und bleibt gesund!

Eure Constance

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Das Pippi-Prinzip oder frei nach Paul Watzlawick: Wir wirklich ist die Wirklichkeit?

Das Märchen der richtigen Entscheidung

Alea iacta est

Die Würfel sind gefallen, oder viel mehr ist der Würfel gefallen, um Gaius Julius Cäsar korrekt zu zitieren! Die Politik hat entschieden wie es weiter geht: Kleine Läden auf, große bleiben zu, die Schulen so halb auf, Restaurants bleiben zu, Masken sind toll, aber nur freiwillig, außer man wohnt in Jena oder Sachsen und so weiter und so fort. Kaum sind die Entscheidungen veröffentlicht, entbrennt eine rege Diskussion, ob das denn nun so richtig oder falsch sei. Fünf Leute, sieben Meinungen um am Ende ist ohnehin klar, dass die jeweiligen Entscheider eigentlich nur verlieren können. Behält man diesen eher konservativen Kurs bei und wird so dankenswerter Weise kein Arzt in Deutschland vor die Frage gestellt, ob nun Patient A oder B mittels Beatmungsgerät zu retten ist, wird früher oder später die Wirtschaft der Meinung sein, man hätte die finanziellen Verluste geringer halten können, hätte man nicht so zurückhaltend und vorsichtig agiert. In Ländern, die vielleicht aus einer volkswirtschaftlichen Betrachtung heraus einen progressiveren Kurs fahren, werden gerne auch von außen Stimmen laut, man stelle wirtschaftlichen Erfolg über Menschenleben. Es ist wie es ist und es bleibt ein Dilemma und all die sonderbaren und zum Teil nur schwer nachvollziehbaren Kompromisse von Schutzmasken und Parknutzung über Ladenflächen bis hin zur Schulöffnung zeigen, dass man sich dessen bewusst ist.

Macht die Bundesregierung das jetzt richtig, oder ist es falsch? Am Ende ist es immer eine Frage der Perspektive und des Vertrauens. Habt ihr schon einmal absichtlich eine falsche Entscheidung getroffen? Eben! Wir entscheiden immer aus unserer Perspektive heraus, mit den uns zur Verfügung stehenden Fakten, aus unseren Erfahrungen heraus und immer bestmöglich. Im Nachhinein festzustellen, dass eine Entscheidung falsch war, kann passieren, ist wie ich glaube aber auch irgendwie überflüssig, es sei denn ich bin in der Lage noch etwas aktiv zu korrigieren. Ist dieser Moment verstrichen, sollte ich meine Entscheidung konsequent loslassen, denn erstens kann es ja sein, dass die nicht getroffene und vermeintlich richtige Entscheidung im Nachhinein noch viel falscher gewesen wäre, zweitens verschwende ich Energie und Kreativität für etwas, das nicht mehr zu ändern ist und drittens hindert mich der permanente Blick in die Vergangenheit daran, mich weiter zu entwickeln.

Ich denke schon seit Jahren nicht mehr in Kategorien wie richtige und fasche Entscheidungen. Viel mehr geht es mir in meinen Schulungen darum, meinen Teilnehmern ein Tool mit an die Hand zu geben, um situativ bestmöglich und analytisch zu entscheiden. Der ein oder andere hat ja inzwischen mitbekommen, dass ich meine Trainerwurzeln im Human Factors Training der zivilen Luftfahrt habe. In diesem Bereich bin ich auch über ein analytisches Entscheidungsfindungsmodell gestolpert, dass denkbar einfach und auch für alle Bereiche, in denen sich der Mensch so rum treibt, passend ist. Es trägt den kryptischen Namen FOR-DEC und soll uns in erster Linie Struktur und Sicherheit geben, wenn wir das Gefühl haben, es prasselt mal wieder viel zu viel auf uns ein und wir würden uns am liebsten in unser Schneckenhaus zurück ziehen und warten bis das Chaos vorbei ist und jemand anders für uns entschieden hat.

Der Weg zur analytischen Entscheidungsfindung

Wie kann mir FOR-DEC also bei der Entscheidungsfindung helfen? Jeder der sechs Buchstaben steht für einen Schritt im Rahmen meines Entscheidungsprozesses, die nacheinander abzuarbeiten sind. Wir gehen hier mal Schritt für Schritt durch:

  1. Das F steht für “Facts”. Das heißt die Basis meiner Entscheidung sollten Fakten sein, möglichst viele Fakten. Da die Fakten, die mir selbst in den Kopf kommen, immer auch durch meine ganz individuelle Perspektive und Wahrnehmung geprägt sind und ich diese immer auch durch meine Erfahrungen, mein Wissen und meine Sozialisierung bewerte, ist es immer ratsam, alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen und weitere Perspektiven mit einzubeziehen. Im Cockpit sind Piloten dafür immer mindestens zu zweit, und auch in der gegenwärtigen Corona-Situation ist unsere Bundesregierung im wahrsten Sinne des Wortes gut beraten. Frau Merkel triff ihre Entscheidungen nicht alleine in ihrem stillen Kämmerchen, sondern schart Experten aus allen möglichen Bereichen und weitere führende Politiker um sich, um gemeinsam und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven eine möglichst breite Faktenbasis zusammen zu stellen. Herr Trump macht das anders. Der kann das allein. Aber der trifft ja auch keine falschen Entscheidungen und falls doch, dann nur weil die Chinesen oder die WHO manipuliert haben.

  2. Das O steht für “Options”. Hier wird geschaut, welche Möglichkeiten ich denn überhaupt habe. Hier passiert häufig der Fehler, dass Menschen dieses “Entweder-Oder-Prinzip” so verinnerlicht haben, dass sie, wenn sie zwei Optionen gefunden haben, glauben fertig zu sein. Im Falle von Corona wären das dann Ausgangssperre oder keine Restriktionen. Herzlichen Dank an die großen Entscheider dieser Tage, dass sie sich die Mühe gemacht haben, nach weiteren Optionen zu graben. Und auch euch kann ich nur dazu ermuntern, euch an dieser Stelle ruhig mal etwas mehr Zeit zu nehmen, beruflich wie privat. Der Benefit könnte riesig sein, so riesig, wie die Möglichkeit, dieser Tage spazieren zu gehen und das Wetter draußen zu genießen. Das wäre bei einer Ausgangssperre nicht möglich.

  3. Das R steht für “Risks and Benefits” und an dieser Stelle führt man eine Risikoabwägung für alle zur Verfügung stehenden Optionen durch. Jede Option wird ein Für und ein Wider haben und hier muss man ganz individuell schauen, was wie schwer in der Waagschale liegt. Auch an dieser Stelle nochmals der Aufruf dazu, im Rahmen komplexer Entscheidungen alle zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen. Ja, am Ende muss einer die Verantwortung übernehmen, das macht Frau Merkel für Deutschland, wie es Herr Trump für die USA tut. Aber ich finde, Frau Merkel wirkt dabei gerade etwas weiser.

  4. Langsam wird es spannend! Das D steht jetzt endlich für “Decision”, also die Entscheidung. Irgendwann muss sie ja mal getroffen werden. Dazu braucht es Mut gepaart mit Rückgrat und Verantwortung. Dazu gleich noch etwas mehr.

  5. Das E steht für “Execution”, also die Durchführung. Hierbei sollte man im Vorfeld festlegen, wer wann was macht. Eine klare Aufgabenteilung und ein klarer Zeitplan sind sehr wichtig für den Erfolg.

  6. Nach Punkt fünf könnte man meinen, man sei fertig. Allerdings ist das C in FOR-DEC der vielleicht wichtigste Punkt. Denn C steht für “Check”. Ich muss selbstverständlich überprüfen, ob meine Maßnahmen auch erfolgreich sind oder waren. Dazu muss ich natürlich auch wissen, anhand welcher Parameter ich Erfolg messen. In Hinblick auf die gegenwärtige Pandemie ist das die Ansteckungskurve. Auch wenn es hierzu unterschiedliche Interpretationsmodelle gibt, sind sich doch am Ende alle einig: Die Kurve muss flacher werden und wenn das nicht passiert, wird es anstrengend. Dann muss ich nämlich wieder zurück zu F und von vorne anfangen. Wenn der Erfolg nicht eintritt, muss mir ein wichtiger Fakt durch die Lappen gegangen sein, oder ich habe eine weitere Option übersehen, oder, oder, oder. Also alles wieder auf Anfang, bis der Erfolg eintritt.

Entscheidungen, die nie getroffen werden

So weit zur Theorie. Um hier auch in der Praxis glänzen zu können, müssen wir uns nochmal die unter Punkt vier aufgeführten Eigenschaften Mut, Rückgrat und Verantwortung etwas näher anschauen. Es gibt durchaus Menschen, die Verantwortung mit Macht verwechseln. Frau Aderne spricht in Neuseeland immer wieder von Verantwortung, Herr Trump spricht von seiner Macht. Ich würde mir wünschen, dass das Assessment für die Führungskräfte unserer Unternehmen etwas erfolgreicher ist, als das für Spitzenpolitiker. Eine weise und gute Auswahl ihrer Entscheidungsträger ist das eine, was Unternehmen tun können, um sich weiterzuentwickeln, sich schnell an neue Voraussetzungen anzupassen und erfolgreich zu sein. Was Unternehmen aber nicht außer Acht lassen dürfen ist, dass Position allein nicht mutig macht. Um mutig sein zu können, brauche ich auf der anderen Seite Sicherheit. Und wer meinen Blog in den letzten Wochen mitverfolgt hat, oder in einem meiner Workshops war, der kennt meine Affinität zur Harvardprofessorin Amy C. Edmondson und ihrer Theorie der Psychological Safety als Grundvoraussetzung für eine sogenannte Lernende Organisation und somit auch für ein erfolgreiches Unternehmen (ja, liebe Chefs, es geht nicht ohne!). Denn es sind nicht die vermeintlich falschen Entscheidungen, die die großen Probleme machen. Es sind die Entscheidungen, die aus Angst oder fehlendem Mut niemals getroffen werden, die uns nachhaltig Probleme bereiten. In der Luftfahrt sind diese sogar potenziell tödlich! Denkt mal darüber nach und fangt an Entscheidungen zu treffen, analytisch, in Ruhe, im Team und bitte ohne die Angst, eure Entscheidung könnte falsch sein. FOR-DEC bringt euch immer wieder an den Anfang zurück!

Schönes Wochenende!

Eure Constance

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Heute schon entschieden?