Was Pippi Langstrumpf und Paul Watzlawick gemeinsam haben: Ein Ausflug in die Wirklichkeit

“… ich mach mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt…” (Pippi Langstrumpf)

Pippi Langstrumpf, ich glaube so ziemlich jedes Mädchen wollte irgendwann mal so sein wie sie. Ich auch, damals mit zehn. Pippi war stark, sehr stark, unabhängig, ein bisschen verrückt und sie konnte machen was sie wollte. Ach, und sie hatte ein eigenes Pferd! Aber vor allem hat Pippi ihre Welt so gesehen, wie es ihr gefallen hat. Großartig! Das wollte ich auch.

Mit den Jahren geriet Pippi dann bei mir immer mehr in Vergessenheit. Backpacking wurde spannender als Pferde. Das bunte verrückte Leben hat mich irgendwie mitgerissen, wie ein wilder, schneller Fluss. Und plötzlich, in all dem Getöse war sie wieder da: Pippi Langstrumpf, irgendwie reinkarniert in der Gestalt des österreichischen Psychotherapeuten Paul Watzlawick. Verdammt, die beiden wären super miteinander ausgekommen. Denn während Pippi propagiert hätte, dass sie sich die Welt mache, wie sie ihr eben gefiele, hätte Paul ihr erzählt, dass das völlig OK so sei, weil das nämlich alle Menschen so machten.

Paul Watzlawick und der Radikale Konstruktivismus

Als Vertreter des sogenannten Radikalen Konstruktivismus ist Paul Watzlawick zu der Erkenntnis gelangt, dass unsere Wahrnehmung absolut subjektiv ist und eben kein Abbild einer objektiven (das heißt bewusstseinsunabhängigen) Realität ist, sondern Realität für jeden einzelnen vielmehr eine Konstruktion aus Sinnesreizen, Erfahrungen, Wissen, Werten und Prägung ist. Für Paul Watzlawick ist jede Wahrnehmung und jede Idee von Realität absolut subjektiv. -Alles gut, das hier musste ich auch zweimal lesen, nachdem ich es geschrieben hatte!

Als kleine Einstimmung ins Thema folgt für all jede unter euch, die diese Geschichte nicht kennen, die Geschichte mit dem Hammer aus Paul Watzlawicks Werk “Wenn du mich wirklich liebtest, würdest du gerne Knoblauch essen”, eingelesen von mir selbst! Keine Sorge, ist nur etwas über eine Minute lang.

Verrück, der Typ, oder? Tja, und der große Paul Watzlawick behauptet dass wir alle so sind! Noch verrückter, oder? Wir kreieren unsere Realität, im Positiven wie im Negativen.

Der Prozess der Wahrnehmung

Schauen wir uns im ersten Schritt mal an, was Paul Watzlawick mit den Sinnesreizen meint. Ihm geht es hier um den physiologischen Prozess der Wahrnehmung. Die Basis für das, was wir Wahrnehmung nennen, sind unsere Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Spüren und der Gleichgewichtssinn. Sechs Sinne, die uns Orientierung geben. Den berühmten siebten Sinn möchte ich an dieser Stelle mal außer Acht lassen, verspreche aber im Laufe der nächsten Wochen hoch wissenschaftlich genau darauf nochmal zu sprechen zu kommen. Da steckt nämlich tatsächlich viel mehr als Esoterik dahinter. Aber ich möchte nicht zu viel spoilern!

Also zurück zu unseren sechs Sinnen, die permanent damit beschäftigt sind die Umwelt abzuscannen und die entsprechend wahrgenommenen Reize an das Gehirn weiterzugeben. Genau hier fängt es auch schon an kompliziert zu werden. Würde unser Gehirn die gesamte wahrgenommene Information verarbeiten, wären wir schlicht und ergreifend komplett überfordert. Unser äußerst fürsorgliches Gehirn filtert also per se etwa 95 Prozent der Information heraus. Sie bleibt irgendwo im Unterbewussten, was auch immer das ist. Also das, was wir als Realität bezeichnen, ist auf Grund neurologischer Funktionen ein fünfprozentiger Ausschnitt unserer Welt. So gesehen grenzt es eigentlich an ein Wunder, dass wir nicht permanent gegen eine Wand laufen, sonder stattdessen sogar mit Flugzeugen um die Welt fliegen, oder auf dem Mond spazieren gehen.

Richtig spannend wird es nämlich, wenn wir uns mal die Frage stellen, welche fünf Prozent all dieser Information das Gehirn verarbeitet und uns als Realität bewusst macht. In Anbetracht all dessen, was der Mensch so leistet, muss das Gehirn dabei offensichtlich einen sehr erfolgreichen Masterplan haben. Dieser Masterplan basiert als aller erstes auf Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens schon gemacht haben, hinzu kommen Werte, persönliche Glaubenssätze, gesammeltes Wissen und individuelle Präferenzen, nach denen unser Gehirn unsere Wirklichkeit für uns zusammenstellt. Hierbei lässt das Gehirn nicht nur Information weg, sondern fügt nach gut dünken auch das ein oder andere hinzu, damit das Bild für uns passt. Nettes Gehirn, oder?

Da es keine zwei Menschen auf der Welt gibt, die exakt die gleichen Erfahrungen, Werte, Präferenzen, etc. haben, muss uns spätestens jetzt klar sein, dass es überall und permanent Menschen gibt, die komplett anderer Meinung sind als wir. Das kann so weit gehen, dass wir deren Standpunkt beim besten Willen nicht verstehen können und trotzdem haben diese Menschen genau so recht, wie wir. Und genau deshalb kämpfen diese Menschen genau so sehr für deren Version der Realität wie wir es für unsere tun. In Paul Watzlawicks Radikalen Konstruktivismus liegt also die Wurzel jeder Meinungsverschiedenheit.

Die Chancen des Pippi-Prinzips

Jetzt könnte man das alles hier aus einer negativen Perspektive heraus betrachten und nur das negativ behaftete Konfliktpotenzial sehen, oder man betrachtet das alles aus einer positiven Ecke und überlegt, welche Chancen diese dem Menschsein zu Grunde liegende Unterschiedlichkeit hat.

Das ist jetzt der Punkt, an dem ich nochmal auf meinen letzten Blog und die nicht enden wollenden Diskussionen um die Entscheidungen der Bundesregierung zum Umgang mit der Corona Krise zu sprechen kommen. Ich nehme sehr wohlwollend zur Kenntnis, dass die Entscheider nicht nur ihre eigenen “fünf Prozent” in die Entscheidungsfindung miteinbeziehen. Außerdem nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass man Fachleute und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen als Berater mit einbezieht. OK, ich muss es kurz einfließen lassen: Dabei finde ich es nur schwer zu ertragen, dass diese Machos der Leopoldina lediglich zwei Frauen in ihren erlauchten Kreisen zugelassen haben! Gibt ein paar Abzüge in der B-Note! Aber alles in allem scheint hier in Deutschland ein ganz guter Job gemacht zu werden, jedenfalls aus meinem professionellen Blickwinkel heraus.

Und trotzdem nehme ich an mir selbst wahr, dass mir nicht alles gefällt, was da entschieden wird. Manches kann ich sogar absolut nicht verstehen oder nachvollziehen. Deshalb ist es wichtig, dass darüber diskutiert wird. Ich finde es toll zu sehen, wenn eine Sabine Leutheuser-Schnarrenberger als Juristin und Mitglied das Bayrischen Verfassungsgerichtshofes sich sehr stark auf unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten fokussiert, dass ihr gegenüber ein Herr Meyer-Herrmann als Immunologe darüber nur wenig nachdenkt, da er einen komplett naturwissenschaftlichen Blick auf die Situation hat. Ich finde es wichtig, dass es Menschen gibt, die wirtschaftliche Belange auf dem Schirm haben und auch diejenigen, die sich mit den psychologischen Folgen für die “eingesperrte” Gesellschaft auseinandersetzen und sich mit diesem Hintergrund in Diskussionen einmischen. Aber Fakt ist und bleibt, dass keiner von ihnen allein Recht hat, jeder hat nur fünf Prozent. Deshalb sind Kompromisse so wichtig.

Was mich bei alle dem aber echt ein wenig ärgert, ist die Gewissheit darüber, dass auch meine eigene Meinung nur einen kleinen Teil der Fakten berücksichtigt, ganz bunt gefärbt durch meine Werte und meinen Problemraum. Irgendwie fühle ich mich dabei so hilflos und machtlos. Aber trotzdem werde ich niemals damit aufhören, mir eine eigenen Meinung zu bilden, jedoch immer auch mit dem nötigen Respekt vor anderen Perspektiven. Denn je länger ich darüber nachdenke, desto deutlicher wird mir, dass mein zehnjähriges Ich total Recht damit hatte: Pippi Langstrumpf war ein großartiges Mädchen und jeder sollte ein bisschen so sein wie sie, so frei, so laut, so stark und so kreativ. Gleichzeitig meldet sich inzwischen aber auch mein erwachsenes Ich und mahnt mich zur Toleranz! Gleiches Recht für alle! Wenn ich sein darf wie Pippi, dann darf das jeder andere auch. Also auf gehts, nehmt wahr was das Zeug hält und konstruiert euch die beste Wirklichkeit, die ihr für euch konstruieren könnt. Seid dabei großzügig mit und offen für anderen Meinungen, getreu dem Motto “Meine Wahrnehmung, meine Wahrheit!”. In meinem nächsten Beitrag gehen wir dann an diesem Punkt noch etwas tiefer in die Materie, denn in den Wahrheiten anderer liegen auch Chancen. In der Luftfahrt können sie sogar Leben retten. Wir nehmen uns Pippi und Paul und setzen die beiden in ein Flugzeug, um uns mal anzuschauen, was Watzlawicks Konstruktivismus mit Flugsicherheit zu tun hat. Also wenn ihr schon immer mal wissen wolltet warum Flugzeuge manchmal abstürzen, dann solltet ihr das hier weiterverfolgen!

Bis dann und bleibt gesund!

Eure Constance

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Das Pippi-Prinzip oder frei nach Paul Watzlawick: Wir wirklich ist die Wirklichkeit?