Gesellschaft

Der Sinn des Lebens - Ein Weihnachts-Blog

Zeit inne zu halten?

Der Sinn des Lebens! Worüber könnte ich heute, am Heiligen Abend sonst schreiben? In meinem letzten Blog habe ich Euch mit auf meine rastlose Reise durch mein kleines Leben genommen. Ich habe Euch erzählt wie schnell und wie stetig sich meine Welt dreht. Keine Zeit inne zu halten! Aber es gibt diese Hand voll Tage, an denen meine kleine Welt stillsteht, an denen ich mir Zeit nehme, Zeit zu reflektieren, Zeit mich zu fragen wofür das Ganze! Was ist der Sinn meiner, Eurer, unserer Existenz? Ein gigantisches, fröhliches, erschreckendes, trauriges, erfolgreiches, verrücktes, schockierendes Jahr geht langsam zu Ende. Und die Frage muss erlaubt sein: Wofür das alles? Du wirst geboren, Du isst und trinkst und schläfst und rennst und lachst und weinst und zack ist alles auch schon wieder vorbei. Was ist der Sinn? Es ist Weihnachten, ich mache eine kurze Pause und denke nach.

Das ein oder andere Konzept

Auf meiner Suche nach dem Sinn bin ich über so einige Konzepte gestolpert. Ich suche ja auch schon eine Weile. Manche haben mir besser, andere weniger gut gefallen.

Aus evolutionärer oder biologischer Perspektive betrachtet, ist mein Leben ganz und gar sinnlos, denn ich habe es eindeutig versäumt, meine Gene an die nächste Generation weiterzugeben. So gesehen wird von mir nichts übrigbleiben. Ich bin hier, verbrauche Ressourcen und doch werde ich nichts hinterlassen. -Ganz und gar sinnlos!

Schau ich auf meine wunderbaren Stiefkinder glaube ich jedoch nicht, dass so gar nichts von mir übrig bleibt. Ich bin mir sicher, es gibt Momente, die Laura und Daniel in ihren Herzen abgespeichert haben, die sicher deutlich länger Teil dieser Welt bleiben, als ich. Erst letztes Wochenende haben wir über diesen einen Urlaub in Amsterdam gesprochen… Das Lachen und die Liebe bleibt in ihren Herzen und ich bin mir sicher, sie werde beides irgendwie weitergeben. Was ist da schon Genetik? Liebe ist doch so viel mehr!

Mein Papa hielt es mit dem Sinn des Lebens wie Aristoteles: „Sein Leben hat nur Bedeutung, wenn er versucht etwas zu erreichen und nach seinen Zielen strebt.“ Für meinen Papa war der Sinn des Lebens, das Ziel seines Lebens, seinen Geist immer weiter zu entwickeln. Es war unglaublich wichtig für ihn, stetig zu lernen. Wissen war sein Sinn, sein Purpose. Er wollte begreifen und verstehen. Das gab er auch sehr konsequent an uns Kinder weiter. Es gab Momente, in denen habe ich es gehasst, heute glaube ich fest daran, dass das der Grundstein für meine Neugier war. Dann wurde Papa krank und es wurde sehr bald deutlich, dass er diese Krankheit nicht würde besiegen können. Er würde nicht gesund werden. Wie geht man damit um, wenn man seine eigene Endlichkeit so gnadenlos vor Augen geführt bekommt? Eine Weltreise, nochmal etwas ganz besonders tun, die Bucket List abhaken? Papa hat sich für Alltag und Normalität entschieden. Offensicht war es der Alltag, den er bewusst erleben wollte. Nichts hatte für ihn einen größeren Zauber, mehr Sinn. Ich erinnere mich an unser letztes Weihnachten. Am Morgen des Heiligen Abend hatten wir uns mal wieder gestritten. Wir waren und sind recht meinugsstabil! Das sorgt immer mal wieder für hitzige Diskussionen. Papa stand mit Tränen in den Augen vor meiner Tür und hat mich gebeten einfach nur Weihnachten zu feiern. Es war ein ganz normales, unspektakuläres Weihnachten. Alles wie immer und trotzdem so wertvoll. Ähnlich war es mit meiner Freundin Tracey: Der Krebs tobte schon überall in Tracey Körper, als wir nochmal einen Tag gemeinsam verbringen wollten. Es war kein außergewöhnlicher Tag. Wir waren an Orten, die wir nur zu gut kannten, schließlich gab es Wein und Käse in einem Weingut, in dem wir schon so oft waren und zum Abschluss haben wir einen Sonnenuntergang genossen, wie wir ihn schon so oft genossen haben. Noch ein Glas Wein, eine letzte Umarmung… Ein Tag voller Zauber, voller Zauber des Normalen! Ist das Normale also der Sinn? Geht es vielleicht um den Moment und um die Menschen mit denen wir diesen Moment teilen? Ist das der Sinn?

In meinem beruflichen Umfeld spielt das Thema Purpose immer wieder eine zentrale Rolle. Was ist unser Purpose? Unser Sinn, der wie ganz selbstverständlich häufig eng mit einem Ziel verknüpft ist. Aber ist das Ziel wirklich der Sinn? Habt Ihr ein Lebensziel? Ich habe natürlich eines. Aber was ist, wenn ich aus welchen Gründen auch immer mein Ziel nicht erreiche? Was wenn mir die Zeit fehlt, oder mein Ziel zu groß ist? Wird mein Leben dann sinnlos gewesen sein? In einer ganz und gar zielversessenen Gesellschaft erscheint das Leben oft linear, wie eine Art Lebenslinie, ausgerichtet auf dies und das. Was aber wenn unser Leben gar keine Linie ist, sondern eine Aneinanderreihung einzelner Punkte, einzelner Momente, jeder für sich mit Sinnhaftigkeit gefüllt? Ich glaube nicht, dass es um ein Ziel geht, dessen Erreichung mit so vielen Faktoren und einer guten Portion Glück zusammenhängt. Ja, ich habe meinen Purpose. Aber ist das mein Sinn? Bin ich hier um ein Ziel zu erreichen? Ich erinnere mich an dieses letzte große Gespräch mit meinem Papa, damals auf dem Krankenhausflur. Ich haben ihm versucht zu erklären, dass der Sinn für mich unabhängig vom Ziel sei. Leider fehlten mir damals noch die passenden Worte, die das was ich spürte beschreiben konnte. Ich habe meinem Papa versucht von all den einzelnen Punkten zu erzählen, die für mich Sinn ergaben. Ich habe ihm versucht zu erklären, dass mein Lebenssinn all die zauberhaften Momente sind, die ich mit anderen Menschen teilen konnte… -Jede wilde Party, jedes gemeinsame Erlebnis. Mein Leben damals bestand daraus, Menschen kennenzulernen, Verbindungen einzugehen und gemeinsam unvergessliche Momente zu schaffen, die auf ewig in unseren Herzen bleiben. -So wie damals im Familienurlaub in Amsterdam!

Alfred Adler, der Psychologe der zum Philosophen wurde

Auf der Suche nach Worten, die meinen Sinn des Lebens bestmöglich beschreiben, bin ich vor einigen Jahren schließlich bei dem österreichischen Psychologen Alfred Adler fündig geworden. Der Begründer der Individualpsychologie, dessen Ansätze Einfluss auf so große Geister wie Viktor Frankl und Abraham Maslow hatten, entwickelte im Laufe seines Wirkens zunehmend auch einen geradezu philosophischen Anspruch. In seinem späten Werk “Der Sinn des Lebens”, das 1933 erschien, beschreibt Adler zwei unterschiedliche Bedeutungen des Sinns. Zum einen beschreibt er den Sinn, den ein Mensch in seinem Leben sucht und sicher auch findet und der sehr eng mit dem Selbstbild und den eigenen Meinungen und Perspektiven, aber auch mit den Meinungen und Perspektiven der anderen zusammenhängt. - Papas Verständnis, dass wir auf dieser Welt sind, um unseren Geist stetig weiterzuentwickeln, oder mein Purpose. Dieser Sinn ist recht greifbar, quasi “SMART”, kann deshalb aber auch verfehlt werden. Die KPIs unseres Lebens! -Ganz in Aristoteles‘ Sinn.

Die zweite Bedeutung hinter dem Sinn des Lebens beschreibt Adler als den “wahren” Sinn. Dieser Sinn liegt laut Adler jenseits von Erfahrungen oder Meinungen und kann deshalb auch nicht verfehlt werden. Jedoch muss man aufpassen, dass man ihn bei all dieser rastlosen Rennerei, die unser Leben heute oft mit sich bringt, nicht übersieht.

“Nach einem Sinn des Lebens zu fragen hat nur Wert und Bedeutung, wenn man das Bezugssystem Mensch-Kosmos im Auge hat.” A. Adler

Die Anforderung des Kosmos an die Menschheit ist für Adler die stetige Entwicklung, und zwar die stetige gesellschaftliche Entwicklung hin zu einer idealen, friedlichen und gerechten Gesellschaft der Zukunft, ganz nach dem Kant’schen Ideal. Und wie kommen wir dort hin? -In dem wir in Verbindung gehen, uns bewusst als Teil einer Gesellschaft sehen und unser Tun auch immer im gesellschaftlichen Kontext betrachten. Es geht nur gemeinsam! Dieses Mantra der New Work Bewegung ist so alt wie die Menschheit selbst und ist laut Adler eben der wahre Sinn des Lebens. Was das bedeutet: Ich liebe und ich werde geliebt! -Der Sinn des Lebens! Die Basis dafür ist laut Adler übrigens Selbstliebe, oder wie er es beschreibt: Die Überwindung unserer angeborenen Minderwertigkeitskomplexe.

Du liebst und Du wirst geliebt! - Das ist was wirklich zählt

So sitze ich also hier, am Morgen des Heiligen Abends. Im Radio läuft John Lennon. - War is over if you want it, war is over now… Wie weit entfernt könnten wir als Gesellschaft dieser Tage vom Kant’schen Ideal sein? - Ukraine, Afghanistan, Iran, Äthiopien… Und all der Hunger, der Hass, all die Ungerechtigkeiten, die mangelnde Nachhaltigkeit, die sterbende Natur… Aber Adler sagte ja ganz klar, es gehe nicht darum, diese Gesellschaft zu sein, sondern sich Schritt für Schritt zu eben dieser Gesellschaft zu entwickeln. Die Benchmark ist die Entwicklung selbst! Und wenn ich meine Augen und mein Herz öffne, sehe ich überall auch sehr viel Solidarität und Zusammenhalt, Menschen, die anderen Menschen die Hand reichen und so für wunderschöne Momente, einzelne kleine Punkte auf unserer Reise durchs Leben, sorgen.

Ich wünsche Euch und Euren Liebsten wunderschöne, friedliche Weihnachten. Schafft Euch zauberhafte Momente, schöne Erinnerung und gebt Euren Leben so den wahren Sinn im Adler’schen Gedanke. Geht in Verbindung mit anderen, ob im kleinen Kreis, oder im großen und macht die Welt so ein wenig glücklicher.

Ich werde heute nur sehr klein feiern, den Abend genießen, aber auch all die leeren Stühle an meinem Tische betrachten und all die wertvollen Erinnerung der Vergangenheit wieder in mein Bewusstsein rufen. So viele zauberhafte Punkte! Und morgen wird dann groß gefeiert, mit Familie und vor allem mit vielen Freunden, die ich zum Teil schon aus Kindertagen kenne und die nun ihre eigenen Kinder mitbringen. Ich bin in Verbindung. Überall finde ich helfende Hände und ich selbst reiche meine eigene Hand wann immer ich kann. So wird jeder Tag sinnvoll und wertvoll. Was braucht es da noch an größeren Zielen?

Du liebst und Du wirst geliebt und das ist der Sinn…

Frohe Weihnachten.

Eure Constance

Der Sinn des Lebens

Denn Du liebst und Du wirst geliebt…

Hünstetten-Maastricht und zurück! Das Ende eines verrückten Jahres...

… und vielleicht auch nur der Anfang eines noch verrückteren Jahres

Einmal mehr neigt sich ein Jahr dem Ende zu. Für mich war es ein besonders verrücktes Jahr und nicht zuletzt deshalb habe ich entschieden, diesen vorletzten Artikel im Jahr 2022 zu einem ganz persönlichen zu machen.

Hünstetten-Maastricht: 252 Kilometer, die es in sich hatten

All jene unter Euch, die mir auch in den sozialen Medien folgen, haben mitbekommen, dass ich in der letzten Woche Gastgeber eines Workshops für Studierende im Master-Jahr Wirtschaftspsychologie an der Universität Maastricht sein durfte. Eine Ehre, die mir das Gefühl gibt, riesengroß und winzig klein zugleich zu sein. Ich habe diesen Traum, diesen Purpose, die Welt zu verändern, sie (noch) lebenswerter zu machen, indem ich Menschen dabei unterstütze gerne zur Arbeit zu gehen, ihr Potenzial voll zu nutzen und ihre Ressourcen möglichst komplett einzubringen. Wie könnte ich wirksamer sein, als in der Arbeit mit jungen Menschen, den Menschen, die unsere Zukunft fest in ihren Händen halten und die all jene zwingend notwendigen (gesellschaftlichen) Veränderungen umsetzen werden, von denen wir immer wieder (nur) sprechen? Als die Anfrage aus Maastricht kam, ob ich Interesse daran hätte, einen Workshop im Rahmen des Master-Jahres durchzuführen, konnte ich mein Glück kaum fassen. Natürlich war ich sofort Feuer und Flamme. Das Konzept und der Workshop selbst entwickelten sich quasi von alleine, ist mir doch schon seit Jahren klar, was ich diesen jungen Menschen mitgeben möchte.

Alles war wie in einem Traum und erst im Auto auf dem Weg von Hünstetten nach Maastricht wurde mir bewusst was gerade passiert und natürlich kam ich nicht umhin, mich zu fragen wie das alles passieren konnte. Gefühlt habe ich mein Leben auf 252 Kilometern wie einen Film vor mir ablaufen lassen: Meine Kindheit, meine Eltern, die ich leider schon so lange vermisse, jeden Tag. Mir wurde bewusst, dass ich sie an diesem Tag ganz besonders vermisste. Niemand auf dieser Welt würde so stolz auf mich sein, wie sie es gewesen wären. Meine Mama wäre stolz auf das, was ich erreicht habe, mein Papa wäre stolz darauf, dass ich mir selbst treu geblieben bin, dass ich mich nicht verbogen habe. Es würde nicht ein Teil von mir, ein professioneller und ambitionierter Teil von mir sein, der am nächsten Tag am Pult der Uni stehen sollte. Ich würde es sein, ich selbst in all meinen Facetten und meiner gesamten Persönlichkeit, mit Stärken und Schwächen, mit meinen Fehlern und all meinen Flausen im Kopf würde dort stehen. Vielleicht kann man im Leben nicht mehr erreichen, als man selbst sein zu können.

So flog ich über die A3. Der Himmel war recht grau, aber auch das konnte meine Laune nicht trüben. Ich genoss jeden Kilometer. Irgendwo im Nirgendwo habe ich mir einen Kaffee gegönnt. Der wahrscheinlich beste Raststätten-Kaffee aller Zeiten. Ich saß da, schaute auf die Autobahn und fühlte mich ziemlich groß und erhaben.

Aber nicht nur die großen Momente flogen an mir vorbei. Auch die, in denen ich mich winzig klein gefühlt habe, waren präsent. 252 Kilometer sind eben schon ein ganzes Stück Weg. Irgendwann nach meiner Kaffeepause spürte ich auch wieder, wie klein ich mich fühlte, als ich mit Anfang zwanzig bei Condor anfing. Mein erster richtiger Beruf und ich hatte das Gefühl, am besten unsichtbar sein zu wollen, da alle anderen so viel besser waren, so viel mehr wussten, so viel mehr Erfahrung mitbrachten… Just in diesem Moment saß ich in einer Schulung, die sich Crew Ressource Management nannte. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich verstanden, dass das, was ich als Schwäche sehe, auch eine Stärke sein kann. Ich lernte, dass Unerfahrenheit den Vorteil eines klaren Blickes hat. Erfahrung ist toll, kann aber auch blind machen. Ich lernte, dass ich richtig war, so wie ich war, mit dem was ich mitbringen konnte. Mein Job sollte es sein, den Mund aufzumachen, zu sprechen, zu fragen. Versuchen, unsichtbar zu sein sollte keine Option mehr für mich darstellen, denn ich war wichtig!

Genau das sollte auch meine Message an die Studierenden werden. Klar ging es auf fachlicher Ebene um Human Factors Training, die Konzepte, Ideen, Ansätze und wie man die Ansätze aus der Luftfahrt in die Business-Welt übersetzen kann. Aber ein guter Workshop braucht immer auch eine Message auf der Metaebene. Ich würde von einem junge und unerfahrenen Co-Piloten erzählen, der sich nicht traute, seinen Kapitän und dessen Entscheidung in Frage zu stellen. Ich würde davon erzählen, wie viele Menschen mit Hoffnungen und Träumen an diesem Tag ihr Leben verloren. Und ich würde von dem Co-Piloten erzählen, der nicht nur seinen Kapitän, sondern auch den Ausbildungskapitän, der seinen Kapitän überprüfen sollte und die hochentwickelte Software des Fliegers in Frage stellte und damit vielen Menschen das Leben rettete…“Du bist wichtig! Deine Stimme ist wichtig!” -Das sollten wir uns alle immer wieder ins Gedächtnis rufen.

Bitte nicht losheulen…

In Maastricht angekommen wurde ich herzlich und warm empfangen. Was irgendwann als fachlicher Austausch begann ist inzwischen längst zu einer Freundschaft geworden und Corinna hat mir nicht nur die Stadt und die Uni gezeigt. Ich wurde lecker bekocht, Pasta mit Garnelen! Am nächsten Morgen gab es das wunderbarste Frühstück gegen Aufregung und während meines Vortrags saß Corinna in der ersten Reihe und strahlte mich an.

Nein, wir Menschen sind keine Inseln. Wir brauchen andere Menschen, die an uns glauben, uns umsorgen, für uns da sind, mit uns lachen und mit uns weinen. Während ich meinen Workshop am Morgen vorbereitete, dachte ich, ich habe diese Menschen im Überfluss. Ich könnte nicht reicher sein. Ja, ich habe leider auch schon viele dieser Menschen verloren und besonders meine Eltern sind unersetzlich. Wo ich jedoch hinschaue sind Hände, die sich mir entgegenstrecken. Viele davon tun es einfach so, ohne Grund, einfach nur weil sie es können, oder weil ich ihnen wichtig bin. Es wäre nicht fair, einzelne hervorzuheben. Aber ich bin sicher auch ein Produkt derer, die an mich glauben und geglaubt haben.

Als die Aufregung immer deutlicher spürbar wurde, habe ich sie mir alle für einen kurzen Moment vor Augen geführt. Ich habe mir vorgestellt, all diese Menschen würden im Auditorium sitzen. Mit einem Schlag wurde es ganz warm und ich wusste, ich würde gut sein. -Was auch immer das bedeuten sollte.

Natürlich ging der Workshop viel zu schnell vorbei. Wie einer dieser flüchtigen zauberhaften Träume, die man so gerne festhalten würde. Als ich wieder zu mir kam stand ich da, umringt von jungen Menschen, die sich bedankten, für den Inhalt, aber auch für die Erinnerung daran, wie wichtig sie sind, wie wichtig das ist, was sie zu sagen haben. Eine junge Frau erzählte mir, dass sie sich gerade in den letzten Wochen häufig klein gefühlt habe, lieber geschwiegen habe, weil die Unsicherheit einfach zu stark war. Sie sagte, mein Vortrag hätte ihr so gutgetan, ihr Mut gegeben. Ich war so gerührt und dankbar und ich war froh, dass ich die Tränen gerade noch zurückhalten konnte. Es sind die winzig kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Wenn ich nur einen einzigen Menschen erreiche, habe ich die Welt schon ein kleines bisschen verändert!

Maastricht-Hünstetten: Don’t stop believing…

Schon war wieder alles vorbei! In der Mensa gab es noch einen kleinen Snack und ein spannendes Gespräch und schon stand ich im Stau stadtauswärts. Äußerlich gesehen war ich im “Stop-and-Go” gefangen, innerlich bin ich geflogen. “Don’t stop believing’” von Journey dröhnte auf voller Lautstärke und da war er wieder, einer dieser flüchtigen tiefe Glücksmomente!

Auf dem Weg nachhause, der mir tatsächlich auch noch den ersten Schnee des Jahres servierte, schossen mir so unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Ich dachte an das letzte Gespräch mit meinem Vater, ehe er zu schwach für klare Gedanken und lange Gespräche wurde. Wir saßen auf dem Krankenhausflur vor einer Wand aus Glasbausteinen. Draußen wurde es Herbst. Papa aß eine Portion Erdbeereis. Längst war klar, dass ihm nicht mehr viel Zeit in diesem Leben bleiben sollte. Ich denke, ihm selbst war es noch viel bewusster als mir, dass es an der Zeit war, die Dinge anzusprechen, die es aus seiner Sicht nochmal anzusprechen galt.

Ich selbst war noch so jung. Der Weg war für mich das Ziel und in den letzten Jahren habe ich mich einfach treiben lassen. Ich habe das Leben in vollen Zügen genossen, auch weil meine Eltern mir dafür den Raum gelassen haben. Ich bin durch die Welt und durchs Leben geflogen, im festen Vertrauen, dass mir noch unendlich viel Zeit bliebe. Ich weiß, dass mein Papa mir diese Freiheit von Herzen gönnte. Dennoch schien er sich Gedanken zu machen. Was wenn er mir keine Richtung mehr geben könnte? In welche Richtung würde ich ohne ihn fliegen? Wir haben über den Sinn des Lebens gesprochen. Damals war ich zu jung es zu verstehen. Da sich unser Gespräch jedoch tief in meine Seele gebrannt hat, kann ich es immer wieder durchleben und heute weiß ich, dass er versucht hat, mich zu ermutigen mein Ziel, meine Richtung, meinen Purpose zu finden. Es war sicher nicht leicht für ihn zu akzeptieren, dass ich meinen Sinn damals im Hier und Jetzt hatte. -Dass es mir um den Moment, den Spaß und das treiben lassen ging. Allerdings ließ er irgendwann im Verlauf des Gesprächs los. Ich denke er hat sich entschieden, darauf zu vertrauen, dass ich dieses Ziel, diese Ausrichtung irgendwann auch ohne ihn finden würde. Nur zu gerne würde ich ihm sagen, dass er recht hatte, mit allem! -Und dass ich meinen Fixstern gefunden habe, der mich antreibt und mich erfüllt.

Der Weg zurück in sein Zimmer schien für meinen Papa ein echter Marathon gewesen zu sein. Eigentlich waren es nur ein paar Meter. In seinem Bett angekommen war dieser fast zwei Meter große Mann erschöpft und müde. Ich habe mich verabschiedet und mich auf den Heimweg gemacht. In der Tür drehte ich mich nochmal um und ich konnte nicht fassen wie schwach mein Papa geworden war. Am nächsten Tag kam der Anruf, dass er auf die Intensivstation verlegt werden musste.

Journey dröhnte weiter in einer Endlosschleife. Draußen wurde es langsam dunkel und ich war wieder auf einer deutschen Autobahn. Endlich wieder Gas geben! Für einen kurzen Moment habe ich nochmal die Traurigkeit gespürt, die der Tod meiner Eltern mitgebracht hat. Diese tiefe Traurigkeit ist zum Teil meines Lebens geworden, ebenso wie die Dankbarkeit für all die Erinnerungen, die ich in meinem Herzen trage. Beides gibt mir Kraft, macht mich stark und ziemlich furchtlos!

Verrückt, was seit diesem Erdbeereis auf dem Krankhausflur alles passiert ist. Mein Leben hat Fahrt aufgenommen. Ich habe an die gute alte Condor gedacht, die in den schweren Zeiten eine wirklich wichtige Konstante in meinem Leben war. Ich habe an all die tollen Kollegen gedacht, an die Flüge und an den Moment, als ich selbst mein erstes Crew Ressource Management Training geben durfte, als frisch gebackene Trainerin. Das war kein Highlight! Ein Kollege, den ich sehr mochte und der leider auch schon seit einigen Jahren nicht mehr lebt, hat mir das Zepter total aus der Hand genommen. Verdammt, ich hatte die Kontrolle über meinen Lehrsaal komplett verloren! Danke Schröder!

Zum Glück habe ich noch eine zweite und dritte Chance bekommen. Überhaupt bin ich ein Produkt zweiter und dritter Chancen. Aber es waren nicht nur die anderen, die mich nicht aufgegeben haben. Auch ich habe mich nie aufgegeben. Ich habe wirklich hart für das gearbeitet, was mich heute ausmacht. Ja, es gab Momente da hätte ich mir gewünscht, dass das Leben das ein oder andere Geschenk für mich bereitgehalten hätte. Aber ich musste arbeiten, an mir, mit mir und für mich!

Im Hier und Jetzt mit dem Blick ins Morgen und Übermorgen

Draußen ist es inzwischen dunkel. Die Lichter glitzern bunt im Schneeregen. Noch eine gute Stunde bis zuhause. Langsam aber sicher wurde ich müde. Was für ein letzter großer Akt eines großen Jahres. Ich spürte ganz viel stolz, zumal ich auch im nächsten Jahr wieder nach Maastricht kommen darf um mit einer neuen Gruppe junger Studierender zu arbeiten. Das Rad würde sich also weiterdrehen. Dieser letzte Akt ist gefühlt auch ein Startschuss! Die Welt hält eben nicht inne, egal was passiert. Ich musste unwillkürlich an den Moment denken, in dem ich meiner Mama eine gute letzte Reise wünschte. Es war sehr früh morgens, kurz vor Ostern, als meine Mama sich auf ihre letzte Reise gemacht hat. Ich war allein mit ihr im Zimmer und für mich blieb mit Mamas Herzschlag auch die Welt stehen. Gleichzeitig fingen draußen an die Vögel zu singen und die Sonne ging langsam auf.

Die Welt dreht sich eben immer weiter. Während ich im Auto saß - müde, erschöpft, stolz - dachte ich daran, dass auch heute keine Zeit ist, inne zu halten. Am nächsten Morgen würde meine Ausbildung zum Change Manager beginnen. Immer in Bewegung. Aber so habe ich es mir ausgesucht und nur so macht es für mich Sinn. So lange sich meine Welt dreht, werde ich mich mit drehen, mich entwickeln und lernen, im Hier und Jetzt sein, aber auch das Morgen und Übermorgen im Blick behalten und meine Wurzeln nie vergessen.

Ich wünschte ich hätte eine Glaskugel und könnte mir selbst vorhersagen, was die Zukunft bringt. Fakt ist, ich weiß es nicht. Aber im Vertrauen auf mich selbst, mit all den wunderbaren Menschen um mich herum, mit den Chancen und den Möglichkeiten, die sich mir bieten, wird es sicher gut werden. Wenn es nicht gut wird, dann muss ich eben weitermachen. Seit meinem ersten Crew Ressource Management Training damals sind fast genau 23 Jahre vergangen. Es war ein weiter weg bis hierher. Diese 252 Kilometer von Maastricht zurück nach Hünstetten wirken im Vergleich dazu wie ein winzig kleiner Schritt. Es gab Durststrecken und Momente des Überflusses. Niemals aufzugeben hat sich in jedem Fall gelohnt, niemals aufzugeben und den Mut zu haben, ich selbst zu sein, meinen Weg zu gehen und eben nicht einfach anderen zu folgen.

Als ich das Auto schließlich auf den Parkplatz vorm Haus abgestellt habe und der Motor aus war, war da plötzlich Stille. Draußen schneite es ganz leise. Ich bin einfach noch einen Moment sitzen geblieben und wie aus dem nichts kam in mir diese eine Frage hoch, die ich schon damals mit Papa im Krankenhaus diskutiert habe: Wofür das ganze? Was ist der Sinn dieses Lebens? Wirklich keine leichte Frage. Ich erinnerte mich an ein Buch, das diese Frage auf eine Art und Weise beantwortete, die so ganz anders war, als alles das, was ich mir zuvor im Kopf zurechtgelegt hatte. Aber dazu mehr in nächsten Blog. Der Sinn des Lebens ist das vielleicht schönste Thema für einen Blog pünktlich zu Weihnachten.

Genießt die Vorweihnachtszeit.

Eure Constance

PS: Und glaubt mir, nicht nur während meiner Autofahrt nach Maastricht und zurück habe ich mehr als einmal gedacht, dass sicher gleich der Wecker klingelt: Es ist drei Uhr am Morgen. Ich ziehe meine blaue Uniform an und fliege nach Palma… Alles nur ein Traum…

Maastricht und zurück

Das Leben ist schön, es ist bunt und unendlich verrückt.

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Ein kurzer Blick zurück

In der letzten Woche habe ich mein einjähriges Projekt zur Verbesserung der subjektiv empfundenen psychologischen Sicherheit in Zusammenarbeit mit wundervollen Kolleginnen der Universität Maastricht zu Ende gebracht. Die abschließende Post-Study läuft noch und ich lasse dieses Jahr gerade Revue passieren.

Im Kern ging es um das, um was es mir immer geht, um meinen ganz eigenen Purpose: Um Menschen! Ich möchte, dass meine Arbeit einen Beitrag dazu leistet, dass Menschen (noch) ein klein wenig zufriedener, sicherer, glücklicher und ausgeglichener sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Gesellschaften wie Organisationen stärker und zukunftsfähiger macht. Das Gefühl der psychologischen Sicherheit stellt dafür eine elementare Rahmenbedingung dar. Um dieses Gefühl auf organisationaler Ebene zu stärken habe ich mit Teams und Führungskräften gearbeitet, denn beide leisten ihren Beitrag für diese kulturelle Veränderung innerhalb einer Organisation. Ich habe mich auf das Thema Feedback und Feedback-Kultur fokussiert, denn wenn mit mir gesprochen wird und nicht über mich, fühle ich mich sicher. Ich fühle mich sicher, wenn ich weiß, dass meine Kollegen wohlwollend beobachten, was ich tue und mich im Zweifelsfall vor einem Fehler bewahren, in dem sie mir ihr Feedback geben, ihre Perspektive darlegen. Feedback, das miteinander reden, bringt Menschen in den Austausch, sorgt für Verständnis. So wird eine ehrliche und offene Feedback-Kultur zur Basis für psychologische Sicherheit.

Die Sicherheit in mir

Aber woher kommt der Mut, Feedback zu geben? Natürlich kommt er aus der Gewissheit, sich in einem Umfeld zu bewegen, in dem es OK ist, offen und ehrlich zu sprechen. Eine Kultur der psychologischen Sicherheit auf Team- oder Organisationsebene unterstützt eine offenen Feedback- und Fehlerkultur. -Die Voraussetzung für lernende Organisationen, die in unserer dynamischen Zeit geradezu überlebenswichtig sind. So landen wir zwangsläufig bei der Frage nach dem Huhn oder dem Ei! Ohne psychologische Sicherheit keine Feedback-Kultur und ohne Feedback-Kultur keine psychologische Sicherheit. Ein gefühltes Dilemma.

Doch zum Glück ist da ja noch mein Purpose, mein Nordstern: Der Mensch! Denn psychologische Sicherheit ist skalierbar und sie beginnt in mir selbst. Fühle ich mich sicher und schaffe ich es in mir zu ruhen, in vollstem Vertrauen auf meine Ressourcen, dann brauche ich kein bestimmtes Umfeld, das ich ja ohnehin nicht beeinflussen kann. Wenn ich zu meinem eigenen inneren Leuchtturm werde, dann kann mich kein Umfeld, keine Dynamik und keine Komplexität dieser Welt mehr aus meiner eigenen inneren Bahn werfen.

Die große Frage ist und bleibt, wie ich dieses Vertrauen in mich selbst finde. Die Angebote sind mannigfaltig und Achtsamkeit in jeder Form, ebenso wie Selbstliebe sind wichtige Voraussetzungen.

Im Laufe des letzten Jahres haben wir ein zusätzliches Angebot gemacht, ein sehr neurowissenschaftliches Angebot, das vielleicht im Business auf höhere Akzeptanz stößt, als Meditation oder andere Achtsamkeitsübungen.

Die Polyvagal Theorie

Die Polyvagal Theorie nach Stephan Porges ist eine Kombination von evolutionsbiologischen, neurowissenschaftlichen und psychologischen Konzepten, die sich mit der Regulation von Emotionen im Zusammenhang mit Angstreaktionen beschäftigt. Im Prinzip untersucht Porges das Erleben von Sicherheit und Verbundenheit in Bezug auf Kampf-/Fluchtreaktionen und Schock- oder Angststarre. Ganz global gefasst geht es um Stress.

Das sympathische und das parasympathische Nervensystem ist sicher vielen ein Begriff. Während das sympathische Nervensystem in Phasen höherer Erregung und Stress aktiviert wird, wird das parasympathische Nervensystem im Zustand der Entspannung aktiviert. Beides ist wichtig und hilfreich. Beide Systeme werden über unseren Vagusnerv angesteuert, der ebenfalls wiederum aus zwei Bereichen besteht: Der ventrale Vaguskomplex, der sich vor allem über die Vorderseite unseres Körpers erstreckt, sorgt für Entspannung, soziale Aktivierung und Sicherheit. Der dorsale Vaguskomplex erstreckt sich über unsere Körperrückseite und sorgt in Gefahrensituationen, oder in Situationen von subjektiv empfundener Unsicherheit für Aktivierung und die berühmte Kampf-/Fluchtaktivierung, sowie in lebensbedrohlichen Situationen für Immobilisierung, das weniger bekannte Freeze-Phänomen.

Was kann ich nun tun, wenn ich mich unsicher fühle, mein dorsaler Vaguskomplex aktiviert ist? Nun, im ersten Schritt muss ich es erkennen, um dann bewusst meinen ventralen Vaguskomplex zu aktivieren. Wie ich das tue? Ich nutze die Vorderseite meines Körpers und atme tief in den Bauch, oder ich ziehe die Mundwinkel zum Grinsen nach oben (ja, die Muskeln, die Deine Mundwinkel noch oben ziehen, sind mit Deinem ventralen Vaguskomplex verbunden). Oder ich gehe in Kontakt mit den Menschen um mich herum, durch bewusste Gesten, Blicke in die Augen, Berührungen. Mit Menschen in Verbindung gehen stimuliert ebenfalls unseren ventralen Vaguskomplex.

Gelingt es mir so, mein Nervensystem zu regulieren, sorge ich für die Ruhe und Ausgeglichenheit tief in mir, die ich brauche um mir meiner Ressourcen bewusst zu sein und so auch entspannt Feedback zu geben, kritisch zu sein, den Mund aufzumachen. -Total sicher und völlig angstfrei!

Aber ein Leben so ganz ohne Stress? - Alles eine Frage der Bewertung!

Für meine Arbeit hat Porges’ Theorie eine kleine Schwachstelle. Ja, es ist hilfreich, sein Stresslevel bewusst regulieren zu können. Außerdem ist es auch verdammt gesund. Aber ein Leben so ganz ohne Stress? Will ich das? Wäre das überhaupt gut für mich?

Meine Kollegin und Freundin Corinna Rott von der Universität Maastricht forscht hierzu im Rahmen ihrer Dissertation. In Studienreihen mit Führungskräften hat sie herausgefunden, dass viele der Teilnehmenden Stress als hilfreich erachten und die Lösung für sie keineswegs sein kann, ein Berufsleben ohne Stress zu führen. Wir wurden von der Evolution nicht umsonst mit beiden Systemen ausgestattet. Stress macht uns aufmerksamer, leistungsfähiger, besser. Manchmal passiert es jedoch, dass dieser Stress so anwächst, dass er in uns das Gefühl der Unsicherheit oder Angst hervorruft. Diese Angst ist leider nicht hilfreich, weder im Job, noch privat. Also Stress doch wieder runter regulieren?

Zwischen Angst und Mut liegt nur die Bewertung

Dank Corinna habe ich Kelly McGonigal von der Sanford Universität in San Francisco kennenlernen dürfen , die ihren Fokus nicht mehr auf das Reduzieren von Stress richtet, sondern auf die Bewertung von Stress. Denn der Unterschied zwischen Angst und Freude liegt in der Bewertung. Physiologisch ist sich beides gleich. Ich versuche das mal anhand eines Beispiels zu erklären: Vielleicht fährst Du sehr gerne Achterbahn. Ich mag es nicht. Mir macht es Angst. Manchmal fahre ich aus einer Art Gruppendruck trotzdem mit und besonders schön sind dann diese Fotos, die man im Anschluss von sich selbst während der Fahrt kaufen kann. Meine sehen für gewöhnlich so aus, dass ich um mich herum fröhliche, lachende Gesichter sehe, während mein eigenes entsetzt, fast schmerzverzerrt aussieht. Aus diesem Grund habe ich mir noch nie so ein Foto gekauft.

Physiologisch gesehen befinden sich jedoch alle auf dem Foto in einem vergleichbaren Zustand. Ich bewerte ihn eben nur nicht als Spaß, sondern als Gefahr. Interessant ist, dass viele der Menschen, mit denen ich Achterbahn gefahren bin, Angst oder Unwohlsein empfinden, wenn sie einen Vortrag vor hunderten von Menschen halten sollen. Sie sagen, sie würden dann so unruhig, müssten häufiger zur Toilette, bekämen feuchte Hände und einen trockenen Mund, das Herz würde anfangen zu rasen. Das würde sie sehr verunsichern. Ich spüre exakt die gleichen Symptome vor großen Vorträgen oder wichtigen Workshops, aber ich bin der Meinung, dass diese Symptome Teil meiner Vorfreude sind. Denn ich liebe derartige Termine! Und ich weiß, dass meine Anspannung im Vorfeld mich nur noch aufmerksamer und besser sein lässt.

Und denke ich an meine Hochzeit, waren meine Hände klatschnass, ich konnte kaum richtig atmen, mein Herz hat wie wild geklopft und sind wir mal ehrlich, hier wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich Angst haben könnte. Ich befand mich in einem Zustand breit grinsender Vorfreude…

Wenn Sie sich dazu entscheiden, Ihre Stressreaktion als hilfreich zu betrachten, schaffen Sie die biologische Voraussetzung von Mut.
— Kelly McGonigal

So einfach und so kompliziert. So könnte ich auch die körperlichen Reaktionen, die ich habe, bevor ich mich traue (oder eben auch nicht) offen und ehrlich meine Meinung zu vertreten oder Feedback zu geben, als hilfreiche Unterstützung und eben nicht als Alarmsignal bewerten und einfach mutig Feedback geben.

Dass dies möglich ist, zeigen uns seit Wochen all die unglaublich mutigen Mädchen, Frauen und Männer im Iran. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, ob ich diesen Mut, diesen Todesmut, aufbringen würde, lebte ich dort. Ich habe mir oft vorgestellt, dass ich zu ängstlich sein würde. Aber wahrscheinlich hat Kelly McGonigal recht und wir erleben im Iran gerade Menschen, die sich beflügeln lassen, die kämpfen und ihre körperlichen und emotionalen Empfindungen als positiv und unterstützend bewerten. Sie wollen einen kulturellen Wandel herbeiführen. Dafür brauchen sie Mut, keine Angst. Denn ein jeder kultureller Wandel braucht Mut und er wird von Menschen getragen, die diesen Mut zur Veränderung tief in sich finden! -Nicht nur gesellschaftlich, sondern auch in Organisationen.

Wie einfach erscheint doch der (kulturelle) Wandel, den ich in Wirtschaftsorganisationen zu unterstützen versuche, im Vergleich zum sich vollziehenden kulturellen Wandel im Iran! Auch deshalb mache ich immer weiter. Denn ich weiß, dass es funktioniert. Jede*r einzelne von uns trägt in sich, was es dafür braucht. Wir müssen uns nur entscheiden mutig zu sein.

Habt einen schönen Sonntag und seid mutig!

Eure Constance

Denn alles beGinnt bei mir

Sei mutig! - Nicht ängstlich!