Back to normal! Neulich bei der Arbeit
Bei mir gibt es in letzter Zeit im Job immer mehr Situationen, die sich wieder vorsichtig nach Normalität anfühlen. Die normalste Situation der letzten Woche war, als wir nach getaner Arbeit endlich mal wieder im Kollegenkreis zusammengesessen haben, um einen Feierabend-Sekt zu trinken und um dabei dies und das zu bequatschen. Mein Gott, war das mal wieder schön!
Dieser Austausch unter Kollegen dient nicht nur dem Zusammenhalt innerhalb des Teams, sondern hilft mir auch immer wieder, mein eigenes Repertoire an Lösungsstrategien für alle möglichen beruflichen Herausforderungen zu erweitern.
So haben wir also zusammengesessen und erzählt, was wir in den letzten Wochen und Monaten alles erlebt haben. Mir ist eine Situation im Kopf geblieben, in der Führung deutlich gefragt war. Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, hat mich eine Kollegin erst sprachlos und dann wütend gemacht. Das typische “geht’s noch?” lag mir deutlich spürbar auf der Zunge und während ich so berichtete, spiegelte sich die identische Reaktion in den Augen meiner Zuhörer wieder. Als ich mit meinen Schilderungen am Ende war, kam schließlich die Frage wie ich mich in der Situation verhalten hätte. Ja, ganz einfach, anstatt (völlig zurecht) wütend zu reagieren, oder vielleicht etwas pädagogisch wertvoller, mitzuteilen, dass ich diese Situation nicht gut finde, habe ich die betreffende Kollegin einfach mal gefragt, wie sie denn glaube, dass ich diese Situation gerade erlebe und wie sie an meiner Stelle reagieren würde… Sie musste sich selbst eingestehen, dass das, was sie da grade getan hat, nicht gut war. Das selbst auszusprechen ist immer nachhaltiger, als es von jemand anderen gesagt zu bekommen und vor allem kostet es mich deutlich weniger Energie. Außerdem muss ich nicht aus der Hierarchie heraus tadeln, oder konstruktives Feedback geben, wie ich es lieber nenne!
“Du hast aber auch immer so Fragen…!” platzte es aus einer der Anwesenden heraus! Und ja, stimmt, ich hab da in der Tat immer so Fragen. Und diese Fragen machen mir das Leben an vielen Stellen leichter, weil diese Fragen einfach eine Menge Energie sparen und Situationen charmant lösen, die das Potenzial für sich im Kreis drehende Diskussionen haben.
Systemische Fragen als Geheimwaffe im Business-Alltag
Das erste Mal habe ich mich bewusst mit “so Fragen” im Rahmen meiner Ausbildung zum Mediator beschäftigt. Allerdings kann man systemische Fragen keineswegs nur im Rahmen von Mediationen, Coachings und Trainings einsetzen, sondern auch im ganz normalen Wahnsinn des Business-Alltags. Jeder kennt diese Situationen, egal ob in Meetings, Kundengesprächen oder Gesprächen mit Kollegen, in denen man sich eine gefühlte Ewigkeit im Kreis dreht und sich das Problem als schier unlösbar darstellt. Das passiert den besten Teams und den professionellsten Kommunikatoren. Jedoch haben die wirklich besten Kommunikatoren an dieser Stelle noch eine Geheimwaffe im Petto: systemische Fragen. Sie helfen, festgefahrene Situationen zu lösen und sorgen dafür, dass der Fragesteller auch noch die Gesprächsführung übernimmt. Denn wer fragt, führt!
Im Gegensatz zu anderen Fragearten geht es bei systemischen Fragen in erster Linie nicht darum, einen Zugewinn an Wissen zu erlangen, sondern vielmehr darum, sein Gegenüber zum Perspektivwechsel oder zum freien, kreativen Denken anzuregen.
Geheimwaffe mit Nebenwirkungen
Bei der Anwendung systemischer Fragen gilt es drei Aspekte zu bedenken, bzw. zu beachten:
Sobald ich damit beginne systemische Fragen zu stellen, übernehme ich automatisch die Gesprächsführung. Entspricht das nicht der Hierarchie innerhalb meines Teams oder meiner Organisation, darf darüber nachgedacht werden, mit dem Chef im Vorfeld Rücksprache zu halten und sich ggf. Rückendeckung zu holen.
Durch systemische Frage möchte ich eingefahrene Denkmuster auflösen. Deshalb sollte ich auch selbst ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit mitbringen. Hierzu ein sehr banales Beispiel aus meinen eigenen Versuchen, angemessen zu führen: Vor etwa einem Jahr habe ich mich sehr über einen Kollegen geärgert, weil er aus meiner Sicht völlig unnötig gegen eine total banale, aber für mich wichtige Regel verstoßen hat. Ich war wirklich wütend, weil ich sein Verhalten auch ein wenig als Angriff auf meine eigenen Autorität empfunden habe. Meine Standpauke war im Kopf schon zurechtgelegt. Da sich das Stellen von Fragen bei mir inzwischen schon halbwegs verselbstständigt hat, habe ich auch dieses Feedback-Gespräch mit einer Frage eingeleitet: “Was hat dich davon abgehalten, dich heute an Regel XY zu halten?” Die Antwort hat mich völlig aus dem Tritt gebracht! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass eine Erklärung kommen könnte, die alles in ein Licht rückt, in dem ich diesen eklatanten Regelverstoß total nachvollziehen konnte. Ich war eine ganze Weile sprachlos und ich hasse es, sprachlos zu sein. Also, wer offene Fragen stellt, muss auch mit allen möglichen Antworten rechnen und dafür offen sein!
Systemische Fragen sollen zum nachdenken anregen. Deshalb muss ich meinem Gegenüber zum einen den Raum und die Zeit geben, sich zu reflektieren und zum anderen muss ich meine Fragen so stellen, dass mein Gegenüber sich nicht angegriffen fühlt. Eine wohlwollende und offene innere Haltung ist hierbei Grundvoraussetzung.
Systemische Fragen: ein Überblick
Innerhalb der systemischen Fragen gibt es unterschiedliche Arten von Fragen, die ich je nach Situation und Zielsetzung flexibel einsetzen kann. Hier ein kleiner Überblick über die wichtigsten Fragearten aus der Familie der systemischen Fragen:
Möchte ich einen Perspektivwechseln erreichen, oder festgefahrene Denkmuster aufbrechen, stelle ich eine zirkuläre Frage, wie zum Beispiel: „Wie würde XY sich fühlen, wenn Sie ihm mit dieser Einstellung begegnen?“, oder „Versuchen Sie sich, einen externen Beobachter vorzustellen: wie würde dieser nicht involvierte Beobachter in dieser Situation reagieren?“.
Stelle ich eine hohe, negativ behaftete Problemorientierung fest, können lösungsorientierte Fragen helfen, positives, lösungsorientiertes Denken anzuregen: „ Wie wurde in der Vergangenheit ein solches Problem gelöst?“, oder „Welche Faktoren sind für den Erfolg besonders wichtig?“.
Hypothetische Fragen sind hilfreich, wenn eine besonders kreative Problemlösung angetriggert werden soll: „Wie würde die Lösung aussehen, wenn Sie ein unbegrenztes Budget hätten?“, oder „Was würden Sie machen, wenn Sie keine Angst davor hätten, zu scheitern?“.
Möchte ich meinen Gegenüber dazu bringen, festgefahrenen Verhaltens- oder Denkensweisen zu reflektieren, sind Begründungsfragen hilfreich: „Welche Erfahrung liegt Ihrer aktuellen Meinung zugrunde?“, oder „Wie sicher sind Sie genau, dass dieses Problem auf diese Weise gelöst wird?“.
Um die Angst vor einem bestimmten Problem zu relativieren, oder um Fortschritte zu veranschaulichen, dienen skalierende Fragen: „Wie beurteilen Sie das auf einer Skala von eins bis zehn?“, oder „Im Vergleich zu früheren Problemen im gleichen Bereich, wo würden Sie dieses Problem einordnen?“.
Wenn ihr mutig seid, euer Gegenüber verblüffen und zum Nachdenken anregen möchtet, um eine Situation dadurch zu drehen, kannst du auch paradoxe Fragen nutzen: „Was müssten Sie tun, damit Sie in jedem Fall scheitern?“, oder „Wie werden Sie den Kunden ganz sicher los?“. Vorsicht, hierbei ist es sinnvoll, den Gegenüber auf das kleine Gedankenexperiment vorzubereiten.
Nur Mut: einfach loslegen!
Welche Frageart für welche Situation am besten geeignet ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Insgesamt ist das immer abhängig vom Gesamtkontext und man darf an dieser Stelle durchaus spontan, flexibel und dem Bauchgefühl folgend vorgehen. Allerdings ist es dazu wichtig die Option systemischer Fragen in sein Bewusstsein zu implementieren und ab da ist es einfach nur Übung und Ausprobieren. Wie immer wird man in Situationen kommen, in welchen das mit den Fragen schon ganz gut funktioniert und manchmal wird es daneben gehen. Das ist Teil des Prozesses. Bei mir war es anfangs so, dass ich immer erst nach einer bestimmten Situation daran gedacht habe, dass ich diese Situation mit Hilfe von systemischen Fragen hätte viel einfacher, leichter, charmanter lösen können. Sollte es euch ebenfalls so ergehen, ist es sinnvoll, sich dann auch noch zu fragen, welche konkreten systemischen Fragen hilfreich gewesen wären. So rückt die Idee der systemischen Fragen immer deutlicher in unser Bewusstsein und wird irgendwann zum Selbstläufer. Also ran an den Speck und einfach loslegen!
Eure Constance