Glücklich und zufrieden ganz ohne Purpose? -Die Frage nach dem Sinn des (Arbeits-) Lebens

Ave Purpose!

Der Purpose, das Hochgebet aller New Work-Jünger… Ein Job ohne Purpose, ohne höhere Sinnhaftigkeit, ist sowas von old-school und unsinnig, überflüssig. Der Purpose, dieser übergeordnete Sinn und Zweck allen Tuns und Handelns scheint so etwas wie der heilige Gral einer ganzen Generation zu werden. Selbst Personaler bestätigen, dass vor allem jüngere Bewerber auf Jobs mit Purpose stärker anspringen. Aber macht dieser Purpose tatsächlich so glücklich, so zufrieden, dass er diese zentrale Rolle derart uneingeschränkt verdient hat, die wir ihm in unserer schönen neuen Welt der New Work einräumen? Oder kann man auch ganz ohne Purpose glücklich sein? Gute Frage! Ich habe meinen ganz eigenen Purpose schon sehr lange für mich gefunden. Er ist mein leuchtender Fixstern, der selbst in den düstersten Nächten hell und unbeirrbar strahlt und mir den Weg zeigt. “Ich verändere die Welt!” Ich weiß, nicht gerade bescheiden, aber so ist es nun mal! Die Gewissheit die Welt zu verändern, sie besser zu machen, treibt mich Tag für Tag an, trägt mich wie eine Welle, schiebt mich voran wie ein Schneepflug, oder zieht mich mit wie ein Drache, der eine Windbö erwischt hat.

Muss sie wirklich sein, die Frage nach dem Sinn?

Wäre die Sinnfrage tatsächlich die zentralste bei unserer Berufswahl, dann müssten Jobs in der Pflege, Kinderbetreuung und bei der Müllabfuhr einen absoluten Run erleben. Die Realität sieht anders aus. Ganz oben auf der Wunschliste: Influencer. Wot the f****? Sinnfreier geht es fast nicht. So müssen wir aufpassen, dass wir uns mit dieser Überbetonung der absoluten Sinnhaftigkeit nicht anfangen selbst zu belügen. Wenn Internetplattformen für Katzenvideos und Selbstdarsteller mit „To give everyone a voice and show them the world!“ wirbt, könnte man meinen, das sei etwas dick aufgetragen. Der Purpose von Starbucks ist übrigens „To inspire and nurture the human spirit“! -Mit Hilfe von Pappbechern und Zuckersirup! Ist klar! Mich würde tatsächlich sehr interessieren, welche Rolle dieser Purpose bei den hart arbeitenden Leuten hinterm Kaffeetresen spielt. Ich glaube ich frage mal nach, wenn ich das nächste Mal Lust habe auf Kaffeegetränke mit endlos langen Namen habe.

Offensichtlich scheint es gegenwärtig immanent wichtig zu sein, die eigene Bedeutung herauszustellen. Ein möglichst großer moralischer Überbau scheint hierbei ausgesprochen hilfreich. Aber kann dieser Purpose tatsächlich für Motivation, Bindung, Leistung und Zufriedenheit sorgen? Ich habe da so meine Zweifel. -Zumal die Psychologie, die “Lehre von der Seele“, welche das menschliche Erleben und Verhalten empirisch erforscht, keinen Purpose kennt.

Was den Menschen antreibt

Was uns Menschen tatsächlich antreibt, motiviert, zufrieden sein lässt, glücklich macht, ist gemäß einer Studie der Herren Ryan und Deci aus dem Jahr 2000 etwas anderes. Diesen beiden Herren zufolge strampeln wir uns tagtäglich ab, um folgende drei psychologischen Basisbedürfnisse zu stillen:

Als erstes gilt es das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit zu stillen. Wir alle wollen Teil einer Gruppe sein und ein integratives soziales Umfeld hilft, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Neben diesem Wunsch nach Verbindung gilt es jedoch auch das Bedürfnis nach Autonomie zu stillen, denn es erfüllt uns mit Zufriedenheit, selbstbestimmt leben und arbeiten zu können, im Einklang mit unseren Werten und Zielen. Der kontrollierende Chef kann dabei ausgesprochen hinderlich sein. Da hilft auch kein Purpose! Außerdem treibt uns das Bedürfnis nach Kompetenzerleben an. Wir mögen es nicht, wenn wir etwas nicht hinbekommen. Wir wollen uns als kompetent und effektiv erleben. Gut strukturierte, klare Rahmenbedingungen und Prozesse unterstützen uns hierbei ausgesprochen gut.

Es gibt unzählige Theorien, die denen von Deci und Ryan ähnlich sind, keine jedoch bezieht den Purpose als Motivator ein. In einer noch relativ neuen Publikation von Veronika Brandstätter aus dem Jahr 2013 werden vier Grundmotive dargestellt, die uns antreiben: die Leistungsmotivation, die Anschlussmotivation (soziale Eingebundenheit), die Erwartungsmotivation (was wir uns auf Grund unserer Erfahrungen erhoffen) und die Machtmotivation.

Ein weiterer Faktor, der laut Claudia Harzer und Willibald Ruch eine wichtige Rolle für uns Menschen spielt, ist, ob wir unsere sogenannten Signaturstärken, die wir im Laufe unseres Lebens ausgebildet haben, in unser tägliches Tun einbringen können oder nicht. Von Purpose ist wieder keine Rede!

Der Sinn des Lebens?

Egal wie viele Theorien wir uns anschauen, sie machen klar, warum kein Mensch bei einer Organisation bleibt, weil er ihren Purpose liebt, seinen Job aber langweilig, doof, unangenehm findet. Sie erklären auch, warum es Menschen gibt, die gerne in Waffenfabriken arbeiten. Denn am Ende sehnen wir Menschen uns nach Selbstverwirklichung. Wir sehnen und danach, uns kreativ austoben zu dürfen und erfolgreich gute Arbeit abliefern zu dürfen. Nicht ausgeschlossen, dass die Mitarbeiter einer Waffenfabrik stolz darauf sind, dass ihre Panzer besonders verlässlich und treffsicher sind, sie also gemeinsam gute Arbeit abliefern.

Vielleicht müssen wir einsehen, dass es Menschen in Organisationen nicht um den Sinn des Lebens im philosophischen Sinne geht, sondern vielmehr darum, mit dem, was wir soundso viele Stunden pro Woche tun, unsere Bedürfnisse zu stillen.

Also Schluss mit all dem Purpose-Geschreie?

Klares nein! Ich verrate Euch, warum ich als Coach immer wieder Purpose-Sessions mit den Organisationseinheiten, die mit mir arbeiten, mache. - Und das gerne und aus Überzeugung: Ein gemeinsamer Purpose wirkt integrativ und fördert das Teamerleben, sorgt also für soziale Eingebundenheit. Außerdem gibt ein gut formulierter, klarer, gemeinsamer Purpose Richtung und Rahmen, den es braucht um in ein echtes Kompetenzerleben einzutauchen. Zusätzlich kann jeder und jeder, der/die neu ins Team kommt, an Hand des Purposes überprüfen, ob der Rahmen und die Richtung des Teams zum ihm oder ihr passt. Ein Purpose kann ein wunderbarer Fixstern sein, wenn er aus den Menschen herauskommt, die ihn leben möchten und wenn er im täglichen Tun eine Rolle spielt.

Was ein Purpose auf persönlicher Ebene bewirken kann, erfahre ich tagtäglich. Mein Gott, schenkt mein Purpose mir Energie! Unfassbar eigentlich. Für mich funktioniert es sehr gut! Und dennoch glaube ich, dass man auch ohne Purpose glücklich und erfolgreich sein kann. Ich war es viele Jahre und irgendwann war er eben da, mein Purpose, mit dem ich seitdem durchs Leben gehe.

Und diese Marketing-Purposes? Ich lächle drüber, denn am Ende tun sie keinem weh, es sei denn, das jeweilige Unternehmen glaubt, ein möglichst inhaltsschwangerer Purpose reiche aus, um Mitarbeiter zu motivieren und an sich zu binden.

Habt einen schönen, vielleicht sogar sinnhaften Sonntag.

Eure Constance

PS: Weil es dann doch so schön ist, hab ich hier noch einen für Euch: „To help the world run better and improve people‘s lives.“ -Ehrlich SAP, man könnte meinen, den habt Ihr bei Ärzte ohne Grenzen geklaut!? Der ist mindestens so großkotzig wie mein Purpose!

PPS: Der letzte Influencer, der die Welt mit einem moralischen Überbau und einen gesellschaftlich absolut korrekten und sozialen Purpose in radikalste Verzückung versetzt hat, wurde ja vor noch nicht allzu langer Zeit vom ZDF Magazin Royal komplett demontiert. In diesem Fall diente der Purpose wohl vor allem der absoluten Gewinnmaximierung. Man muss eben aufpassen, dass Purposes nicht zu inhaltsschweren Marketinginstrumenten verkommen.

Auf der Suche nach Sinn und Sinnhaftigkeit

Wie wichtig ist ein Purpose für mein berufliches Glück?