Erst mal Danke
Eh ich mich meinem zweiten Beitrag inhaltlich widme, möchte ich erstmal Danke sagen. Ich war wirklich erstaunt, wie viel Feedback ich auf allen möglichen Kanälen zu meinem ersten Versuch bekommen habe. Und resultierend aus diesem Feedback möchte ich eine Frage in die Runde stellen: Gibt es Interesse daran, durch eine Art Newsletter über zukünftige Veröffentlichungen informiert zu werden? Ich weiß, dass das hier technisch irgendwie möglich ist (und Ihr spürt mein Unbehagen, in dem Moment, in dem ich das hier schreibe!). Kurze Info dazu gerne auf allen Euch bekannten Kanälen!
Wie sich Fehler anfühlen
So, aber jetzt hin zum Thema das Tages: FEHLER! Dem ein oder anderen stellen sich schon bei diesem Wort die Nackenhaare, so vorhanden, auf. Vor dem inneren Auge steht eine ältere faltige Oberlehrerin mit grau-meliertem Haar, das streng zu einem Dutt zusammengebunden ist. Von oben herab und über ihre Brille schauend, die Augen leicht zusammengekniffen, die Stirn in Falten gelegt, hebt sie den rechten Zeigefinger und ihren gespitzten, faltigen Lippen entweicht schrill das böse F-Wort (nein, nicht das, das andere). Du fühlst dich sofort klein, schlecht und bloßgestellt.
Zurück in die Höhle
Mal ehrlich, Fehler sind in unserer Gesellschaft nicht gerade positiv belegt. Dabei wären wir ohne Fehler bei weitem nicht da, wo wir jetzt sind, gesellschaftlich, evolutionsgeschichtlich und individuell. Wie ich darauf komme? Wir gehen mal zurück in die Höhle, zu denen die irgendwann mal das werden sollten, was wir heute sind. Der prähistorische Mann kommt stolz von der Jagd zurück und übergibt die Beute (wir stellen uns vor es ist etwas Schwein-artiges) der Frau, die es zerlegen und zubereiten soll. Weil die nebenbei noch mit ihrer Freundin quatscht, um die damals überlebenswichtigen sozialen Bindungen zu manifestieren, fällt ihr das Fleisch ins Feuer. Großer Fehler! Beim Versuch, das Abendessen zu retten, verbrennt sie sich noch die Finger, der Mann schimpft, die blöde Kuh von Freundin kichert und die arme Frau fühlt sich klein, schlecht und bloßgestellt. Das schlimmste ist, dass der nicht vorhandene Kühlschrank leer ist und man das verunglückte Schwein mangels Alternativen auch noch essen muss. Beim Essen merkt der Mann, dass das mit den Röstaromen gar nicht so schlecht ist, weshalb die Freundin die Idee einer Grillparty mit in ihre Höhle nimmt. Es folgt das erste kollektive Angrillen der Menschheitsgeschichte. Und, meine Herren, ganz wichtig, all das nur, weil die Alte so doof war!
Die Entwicklung geht weiter. Denn neben den Röstaromen, die ja so lecker schmecken, hat das gegrillte und gekochte Essen noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Gekochtes oder Gegrilltes ist leichter verdaulich und plötzlich hatte der Höhlenmensch ganz viel Energie, die die Verdauung ja nun nicht mehr brauchte, übrig. Das Fitti war noch nicht erfunden, also dachte sich die Evolution, nutze ich die Energie doch und mache das Gehirn größer und leistungsfähiger. Einen vergleichbaren Mechanismus würde ich mir bis heute manchmal wünschen. Die Fittis sind ja grade alle geschlossen… Aber sei’s drum, das menschliche Hirn hat einen wahren Entwicklungsschub erfahren und zack waren wir raus aus der Höhle, hatten Häuser, Elektrizität, Autos, Flugzeuge und Internet. Und alles nur, weil Madame das Essen verbrannt hat.
Auf absolute historische Korrektheit legen wir hier jetzt nicht ganz so viel wert. Genau wissen es nur die, die dabei waren. Aber irgendwie muss das Gejagte ja mal ins Feuer gefallen sein. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass das nicht absichtlich geschah, wie so vieles, was uns als Gesellschaft weitergebracht hat.
Raus aus der Höhle und rein in die Wissenschaft
Dieser Entwicklungsmechanismus lässt sich nun beliebig auf andere Bereiche übertragen: Auf Gesellschaften, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen und am Ende sogar auf jeden Einzelnen von uns. Warum ist das so? Ganz einfach, weil Fehler überall da, wo der Mensch am werkeln ist, systemimmanent sind. Es geht nicht ohne. Punkt! Vor einigen Jahren dachte ich diesbezüglich noch, dass man damit halt irgendwie klar kommen muss. Inzwischen habe ich meine Haltung dahingehend geändert, als dass ich sage, dass Fehler von der Evolution gewollt sind, weil sie neben Neugier und Mut eine absolute Basis für Entwicklung darstellen, im großen wie im kleinen.
Jetzt ist es aber ehrlicherweise oftmals noch immer so, dass wir zwar alle so kluge Sprüche wie: “Dein letzter Fehler ist dein wichtigster Lehrmeister” (mfG, dein Zen-Meister) kennen und verstehen und trotzdem taucht da immer wieder diese alte fiese Lehrerin vor unserem inneren Auge auf, die uns im Endeffekt davon abhält unsere Fehler positiv zu nutzen. Denn nur Fehler machen, bringt weder uns, noch unser Unternehmen voran, im Gegenteil. Wichtig für Entwicklung ist der Prozess der Fehleranalyse, sowohl auf individueller, als auch auf Organisationsebene.
Im Rahmen einer Fehleranalyse schaue ich mir im ersten Schritt an, um welche Art Fehler es sich handelt. Die Harvard Professorin Amy C. Edmondson unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen drei Fehlerarten: den vermeidbaren, den komplexen und den intelligenten Fehlern.
Der häufigste vermeidbare Fehler ist das Abweichen von Regeln oder vorgeschriebene Prozessen. Jeder der jetzt die Stirn in Falten legt, darf mal darüber nachdenken, wie oft er schon allein im Straßenverkehr gegen Regel verstoßen hat. Im zweiten Schritt darf er sich mal hinterfragen, warum er das getan hat und was auch immer da raus kommt, sind die gleichen Gründe, weshalb wir auch auf der Arbeit immer wieder gegen Regeln verstoßen. Was kann ich als Unternehmen nun tun, damit meine Mitarbeiter sich etwas besser an Regeln halten? Ich muss dafür sorgen, dass jeder die Regeln kennt, ich muss eine Awareness für die Sinnhaftigkeit dieser Regeln oder Prozesse schaffen und gegebenenfalls schaffe ich sogar Redundanzen, lasse Leute in Teams arbeiten, die sich selbst korrigieren. Überwachung und Bestrafung halte ich nicht für sinnvoll. Aber dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.
Bei den komplexen Fehler werden auch die möglichen Gegenmaßnahmen für ein Unternehmen deutlich komplexer. Denn unter komplexen Fehlern versteht Frau Edmondson Fehler die system- oder organisationsbedingt gemacht wurden. Fehler, zu denen der einzelne Mitarbeiter eigentlich nichts kann, obwohl er sie gemacht hat. Hier ein einfaches Beispiel: In einer Autowerkstatt wechselt der neu eingestellte Mechaniker Reifen. Den passenden Radschlüssel gibt es in der Werkstatt nicht, deshalb nimmt er einen der vielen anderen, der halt irgendwie passt. Zwei Tage später beschwert sich der Kunde, dass er ein Rad verloren und infolge dessen einen Unfall gebaut hat. Der Werkstattbesitzer ist erschrocken und wütend und schmeißt seinen Mechaniker raus. Der nächste Mechaniker macht den gleichen Fehler, wieder ein Unfall und der Chef schmeißt ihn auch raus. So geht es munter weiter bis alle Kunden sich eine neue Werkstatt gesucht haben und unser Chef in die Insolvenz rutscht. Und da das ja sicher kein Chef möchte, sollten Chefs von Natur aus daran interessiert sein, komplexe, systembedingte Fehler zu erkennen und zu analysieren. In diesem Fall wäre es ganz einfach gewesen: kleine Investition und Pleite abgewendet. Sollte sich jetzt der ein oder andere Fragen, warum der Mechaniker nicht von sich aus gesagt hat, dass er ein Problem hat, kann ich nur sagen, sehr gut mitgedacht. Die Antwort gibt’s im nächsten Beitrag.
Jetzt haben wir also eine Gruppe von Fehlern, die uns dazu führen, die individuelle Performance zu optimieren und eine Gruppe von Fehlern, die dazu führen, dass das System, die Organisation oder das Unternehmen optimiert werden (und liebe Chefs, das bedeutet auch immer gleich mehr Gewinn oder weniger Verlust). Kommen wir nun zu der Kategorie Fehler, die zur Weiterentwicklung oder Evolution führen: die intelligenten Fehler. Hierbei handelt es sich um Fehler, die zu neuem Wissen führen. In Wissenschaft und Forschung sind diese Fehler eine gängige Form der Weiterentwicklung und werden im Rahmen sogenannter Trial-and-Error Experimente bewusst herbeigeführt. Ein gutes Beispiel dafür ist, wie die Forschung gegenwärtig nach einem Medikament gegen Corona sucht. Und vielleicht hat ja auch unsere Höhlenfrau ein unbewusstes Trial-and-Error Experiment durchgeführt. Hätte ja auch schief gehen können, mit dem Fleisch und dem Feuer.
Raus aus der Wissenschaft und rein in die Wirtschaft
Was mich ein wenig wundert ist, dass das, was für die Wissenschaft das Erfolgsrezept überhaupt darstellt, von der freien Wirtschaft nur sehr zögerlich angenommen wird. Warum nicht bewusst scheitern und daraus wertvolle Information für eine in unserer Zeit unabdingbare Weiterentwicklung sammeln? Chefs, was hält Euch zurück? Wenn es fehlende Vorstellungskraft dafür ist, wie so etwas aussehen kann, hier ein, wie ich finde, tolles Beispiel aus der Praxis:
Im Rahmen meiner vielen Weiterbildungen und Qualifikationen hin zum Mediator und Business Trainer durfte ich eine Woche lang von Michael lernen. Michael, liest Du das? Darf ich Werbung machen? Egal, Michael ist Eigentümer eines recht erfolgreichen mittelständigen Trainingsunternehmens. Michael stellt seinen Leuten jedes Jahr ein gewisses Budget bereit um mal völlig verrückte und vor allem unvernünftige neue Wege zu gehen und Neues auszuprobieren. Einmal im Jahr werden dann nicht nur die Ideen gefeiert, die erfolgreich waren. Nein, der Fokus liegt auf der Idee, die am kläglichsten gescheitert ist, um daraus zu lernen und vielleicht auch um ein wenig Demut zu üben. Wenn man selbst erfolgreicher ist als andere, gibt einem das leicht das Gefühl der Überlegenheit. Analysiert man das Scheitern, stellt man ganz oft fest, dass man in vergleichbarer Situation wahrscheinlich auch selbst gescheitert wäre. Man bleibt also trotz Erfolgen wachsam und achtsam.
Michael hat erzählt, dass er auf diese Art und Weise schon einen Haufen Geld verloren hat. Auf der anderen Seite hat sich diese Investition für ihn und sein Unternehmen aber ausgezahlt, weil erstens auch viele gute Konzepte raus kamen, vor allem aber, weil sein gesamtes Unternehmen kreativer und mutiger wurde. Mut, liebe Leute, brauchen wir um Entwicklung voran zu treiben.
Zu guter Letzt
So, und während ich das mit dem Mut geschrieben habe, komme ich nicht umhin, auch ein wenig selbstkritisch zu sein. Nein Michael, ich hatte nicht den Mut, meinen festen Job komplett zu kündigen und mit beiden Beinen und aus vollem Vertrauen in meine Ressourcen in die Selbstständigkeit zu springen. Aber immerhin bin ich nur noch in Teilzeit angestellt. Ich bin also in etwas kleineren Schritten mutig und ich glaube, ich muss demnächst auch mal was über Sicherheit und Komfortzonen schreiben.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen weiterhin gute Gesundheit, Mut und kreative Tage im Social Distancing. Feedback ist nach wie vor extrem gewünscht.
Eure Constance