Abschiedsstress und Zeitmangel
Puh, das war eine Woche… Ich gebe zu, dass ich mich zwischenzeitlich tatsächlich gefragt habe, ob meine Ankündigung, euch auf meine Veränderungsreise mitzunehmen, klug war. Bis gestern hatte ich keinen Schimmer, was ich erzählen sollte. Nachdem ich letzte Woche meinen Rückzug aus der Luftfahrt angekündigt und auch schon einmal Abschied genommen hatte, hat mich das Feedback schlicht und ergreifend überrollt. So waren die letzten Tage geprägt vom Abschiednehmen. Es sind Tränen geflossen, aber gleichzeitig wurde ich von einer unglaublich wohlwollenden, warmen Welle durch meine Tage getragen. Sowohl als Trainer, als auch als Purser habe ich immer mein Bestes gegeben und auch immer gehofft, dass ich dabei in der Lage war, meine Kollegen und Teilnehmer zu erreichen. Wirklich sicher war ich mir dabei nie. Umso mehr habe ich mich jetzt über das Feedback gefreut und komme nicht umhin zu denken, dass wir uns alle noch regelmäßiger Rückmeldung geben sollten. - Aber das nur am Rande!
Wie ihr euch verstellen könnt, hatte ich ganz schön viel zu tun. Es gab und gibt noch einiges zu regeln und so bin ich durch meine Tage gehetzt, permanent mit dem Gefühl, keine Zeit zu haben. So auch gestern: nachhause gekommen, schnell noch den Adventskalender für mein Patenkind gepackt, einen schnellen Kaffee und dann wieder der obligatorische Blick auf die Uhr! -Sch***, in einer guten halben Stunde ist schon Yoga! Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich mein Yoga liebe und auch ausgesprochen diszipliniert zur Tat schreite. Gestern ging das nicht. Plötzlich war da so eine innere Stimme, die mich dazu gezwungen hat, meine Yoga-Stunde zu schwänzen und mir ein Bad einzulassen! Während ich schließlich halbwegs schockiert von meiner Disziplinlosigkeit in der Badewanne lag, hatte ich endlich das, was mir die ganze Woche gefehlt hat: ich hatte endlich NICHTS zu tun!
Während ich also meine Gedanken ordnete, kam ich zu der Erkenntnis, dass eine Sache, die mich immer wieder davon abgehalten hat zu wachsen, mich weiterzuentwickeln und dabei besser, zufriedener und glücklich zu werden, mein fehlendes Verständnis für das Konzept der Zeit war. Wir Menschen sind wirklich verrückt: einerseits liest man überall, dass das Hier und Jetzt unser wertvollster Schatz ist, andererseits leben wir unser Leben, als würde es mit absoluter Sicherheit noch viele Jahrzehnte weitergehen, und zwar genau so, wie es gerade ist… Veränderung nicht vorgesehen!
Das erste große Missverständnis
Aber mal von vorne: mein erstes großes Missverständnis der Zeit ist, dass ich permanent glaube, zu wenig davon zu haben, obwohl da doch ausreichend Zeit ist. Ich müsste sie mir eben nur proaktiv nehmen, so wie gestern. Als Trainer bin ich mir sicher, dass ich damit nicht allein bin. Ich arbeite gerne mit praktischen Lernzielübungen und natürlich habe ich diese eine liebste Übung, in deren Vorbereitung ich mehrfach darauf aufmerksam mache, dass Zeit keine Rolle spielt. Es gibt keine Deadline! Es dauert so lange wie es eben dauert! Und zack, nach spätestens fünfzehn Minuten höre ich in so ziemlich jeder Gruppe, dass es an der Zeit sei, sich mal ein wenig zu beeilen! So hetzt der Mensch durch sein Leben, erlebt die wunderbarsten Momente, die viel zu oft im Nichts verpuffen, weil er sich keine Zeit nimmt, sie zu reflektieren, zu verstehen und sie bewusst wahrzunehmen. Genau das steht uns auch im Job und in Hinblick auf unsere eigene Entwicklung im Weg. Wir begeben uns in unser Hamsterrad, dass wir all zu oft mit Bravour meistern. Aber wirklich befriedigend ist das nicht, denn während diese Rennerei zum Selbstläufer wird, vergessen wir zum einen, wohin wir denn eigentlich möchten und zweitens verlieren wir den Blick auf unser Potenzial und unsere Fähigkeiten. In den letzten Wochen habe ich immer wieder viel Bewunderung für meinen Mut, diesen großen Schritt nun zu gehen, geerntet. Ja, klar gehört da auch Mut dazu. Aber ehrlich gesagt kam ich mir gar nicht so mutig vor, wie das auf Außenstehende wirkt. Ich hatte einfach im Frühjahr und im Sommer sehr viel Zeit, um darüber nachzudenken was mir wichtig ist, wo ich im Leben hinmöchte und vor allem, was ich kann und was ich gegebenenfalls noch lernen muss. Im vollen Bewusstsein meiner Ziele und Ressourcen hat sich diese mutige Entscheidung einfach nur wie der nächste konsequente Schritt angefühlt.
Und die Moral von der Geschicht’: Wer schnell vorankommen möchte, muss zwischendurch auch mal anhalten und schauen, wo er hinrennt. Die Zeit dafür ist vorhanden, man muss sie sich nur nehmen!
Das zweite große Missverständnis
“Und so wie es war, soll es nie wieder sein. So wie es ist, darf es nicht bleiben. Wie es dann wird, kann vielleicht nur der bucklige Winter entscheiden…”
Gisbert zu Knyphausen, Seltsames Licht
Denke ich an mein zweites großes Missverständnis der Zeit, denke ich immer auch an dieses Zitat aus einem Lied des großartigen Gisbert zu Knyphausen (unbezahlte Schleichwerbung!). Nichts bleibt so wie es ist oder war und die Welt dreht sich immer weiter. In Krisensituationen greifen wir auf derartige Gedanken nur zu gerne zurück, lassen sie uns doch auf bessere Zeiten hoffen. Was wir jedoch nur ungerne auf dem Schirm haben, ist dass der Zahn der Zeit, der Lauf der Welt, das Rad des Lebens nicht nur in schwierigen Situationen greifen, sondern auch in allen positivsten Phasen. Dass Glück ausgesprochen vergänglich ist, haben wir alle sicher schon einmal schmerzlich erfahren dürfen. Aber auch Zufriedenheit ist ausgesprochen fragil und verschwindet, wenn wir nicht aufpassen.
Das vielleicht schwierigste an meiner Entscheidung war, dass ich happy mit meiner Situation war. Ich hatte einen Job, den ich sehr geliebt habe (und auch noch weitere vier Wochen lieben werde), tolle Kollegen, ich fühlte mich respektiert und akzeptiert und zudem hatte ich Spaß an dem was ich tue. Aus einer derart komfortablen Position heraus einen Veränderungsprozess anzustoßen, der alles auf den Kopf stellen wird, scheint auf den ein oder anderen geradezu töricht zu wirken, begibt der Mensch sich doch nur höchst ungern und auch nur wenn es unbedingt sein muss, auf unsicheres Terrain…
Meine Eltern sind schon eine ganze Weile tot und natürlich kam aus der ein oder anderen Richtung die Frage, was die beiden denn wohl zu meiner Entscheidung sagen würden. Die Antwort ist recht eindeutig: mein alter Herr hätte mich total darin bestärkt, das zu tun, was ich jetzt tue und meine Mutter hätte mich sicher darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht so klug ist, einen sicheren Job, den ich gerne mache, für einen unbekannten Job und einen zu dem noch zeitlich begrenzten Vertrag aufzugeben… Da man einen mütterlichen Rat niemals einfach so in den Wind schlagen sollte, habe ich im Rahmen meines Entscheidungsfindungsprozesses natürlich auch diese Aspekte versucht so analytisch wie möglich zu beleuchten, wobei ich mir eingestehen musste, dass dieses Sicherheitsbedürfnis natürlich etwas ausgesprochen Emotionales ist. Denn auf welche Fakten fußen denn die potentiellen Aussagen meiner Mutter? Darauf, dass alles so bleibt, wie es ist! -Mein Arbeitsumfeld, meine Persönlichkeit, die ganze Welt! Tja, und so kam ich unweigerlich wieder auf Gisbert zurück: so wie es ist, kann es nicht bleiben. Alles ist in einem stetigen Wandel begriffen und wenn ich an die Zukunft denke, darf ich nicht davon ausgehen, dass sie so sein wird, wie die Gegenwart. Die Dinge werden sich verändern und wenn ich auch dann noch glücklich und zufrieden sein möchte, muss ich mich eben auch verändern. In welche Richtung ich gehen möchte, hat mir mein innerer Kompass bereits während des ersten Lockdowns aufgezeigt. Danke Corona! Aber jetzt ist’s gut! Du darfst wieder verschwinden!
Ich fasse mal zusammen: Zukunft heißt Zukunft, weil es Zukunft ist und nicht das Gleiche wie heute, nur in zwei Jahren!
Der Blick in die Glaskugel
Wenn ich jetzt den Blick in die Glaskugel meiner eigenen Zukunft wage, sehe ich da ein Unternehmen, dass sich vor kurzer Zeit selbst gefragt hat, wo es denn steht und wo es hinmöchte. Dieses Unternehmen hatte offensichtlich den Mut inne zu halten und nachzudenken. Es hat sich Zeit genommen, obwohl es ihm wirtschaftlich gut ging und eigentlich, so wie bei mir, keine Notwendigkeit bestand, die Dinge, die gut laufen, zu ändern. Allerdings hat dieses Unternehmen verstanden, dass die Welt sich immer weiter verändern wird und man nur erfolgreich und glücklich bleiben kann, wenn man sich neu aufstellt, um die Mitarbeiter in eine Position zu bringen, ihr Potenzial optimal nutzen zu können. Ich würde sagen das passt doch wie Arsch auf Eimer, oder was sagt ihr?
Denn eigentlich war ich gar nicht mutig…
Glaubt jetzt tatsächlich noch irgendjemand, dass ich wirklich so mutig war oder bin? Oder habe ich einfach nur einen verdammt analytischen Entscheidungsfindungsprozess durchgemacht, der unter anderem dazu geführt hat, meine Perspektive auf dieses Konzept der Zeit neu zu durchdenken? Ich weiß es nicht. Ich marschiere einfach nur weiter in eine Zukunft, die wir alle nicht sicher kennen und dabei versuche ich immer wieder innezuhalten, mir Zeit zu nehmen, auch wenn ich mir mal wieder einbilde, keine zu haben, um mich zu fragen, wo ich stehe und wo ich hinrennen möchte. Was in zwei Jahren, wenn mein Vertrag auslaufen wird, sein wird, kann mir ohnehin niemand sagen. Was ich aber sicher weiß, ist dass ich auch dann noch über alle diese Ressourcen verfügen werde, mit denen ich heut schon recht gut durchs Leben komme. Im Zweifelsfall werden es eher noch mehr werden, weil ich ein kluges Köpfchen mit schneller Auffassungsgabe bin! Sorry Mama, Papa hat recht! Was soll denn schon schief gehen?
Eure Constance