Über den Stress des Neuanfangs und den Stress des Durchhaltens und die Ruhe, die man nie verlieren sollte

Aller Anfang ist schwer…

Ich habe ja versprochen euch daran teilhaben zu lassen, wie es ist, mit über Vierzig sein Arbeitsleben komplett umzukrempeln. Heute ist es soweit, denn nach einer verrückten Woche gibt es endlich auch etwas Blog-Füllendes zu berichten. Wie ich meinen Instagram Followern bereits Mitte letzter Woche erzählt habe, musste ich erstmal akzeptieren, dass es eben ruckelt, wenn das Leben in den nächsten Gang schaltet. Was war los? Meine erste Erkenntnis war keine wirklich neue: ich bin ein Menschen-Mensch! Wenn ich mich in einer neuen Situation orientieren muss, versuche ich als erstes, die Stimmung und die Atmosphäre zu erspüren. Einfach nicht möglich, im Homeoffice mit Video-Calls! Es ist zu befürchten, dass mir dieses “reinspüren” in die neue Welt noch einige Monate verwehrt bleiben wird! Dafür darf ich mich mit ganz neuer, komplizierter, komplexer Technik auseinandersetzen. Dabei fehlt mir meine Ex-Kollegin Petra ungemein, weil ich eben nicht mal “Hilfe” in Richtung Nachbarschreibtisch rufen kann und da jemand sitzt, der sich hundert Prozent auskennt! Bin allein zuhause und kämpfe mich durch! Verdammt! Aber wisst ihr, was für mich persönlich am schwierigsten ist? Ich verstehe manchmal nur Bahnhof! Ehrlich, ich lerne gerade eine neue Sprache, ich habe mir sogar ein Vokabelheft angelegt. Mir, als Kommunikationstrainer, bleibt die Erkenntnis, dass man wirklich keine Chance hat, irgendetwas richtig zu machen, wenn man nichts versteht. Ganz ehrlich, es gab diesen Moment, sogar gleich zwei Mal, in dem ich mich wirklich gefragt habe, was ich hier tue und ob ich mich nicht übernehme. Und eh ich mich berappeln konnte, hat mein Hirn mich in eine kleine Frust- und Verweigerungshaltung katapultiert, die sich gewaschen hat! Klar gingen auch diese Momente vorbei, auch weil ich tolle neue Kollegen habe, die mich nach Kräften aus der Distanz unterstützen und offensichtlich deutlich geduldiger mit mir sind, als ich es mit mir selbst bin. Als ein Freund mich am Freitag gefragt hat, wie die Woche war, konnte ich sie erstmal nur mit dem Wörtchen stressig zusammenfassen. Ich dachte mir, das passt am besten. Aber vielleicht hätte ich dazu sagen sollen, dass die Woche stressig und trotzdem auch gut, spannend und schön war. Besagter Freund hat mir nämlich erstmal die geballte Ladung an Mitleid entgegengeschleudert und mir gewünscht, dass es bald besser wird… Das hat mir einmal mehr vor Augen geführt, dass Stress im Allgemeinen total negativ belegt ist. Das finde ich aus der Sicht des Human Factors Trainers total schade. Denn Stress ist eigentlich unser mächtigster Verbündeter. Stress lässt uns über uns selbst herauswachsen, machts uns stark und mutig und manchmal schützt er uns vor der Welt und vor uns selbst. Aber lasst mich mal von vorne anfangen.

Stress, unser größter Alltagsfeind?

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat das Wort Stress inzwischen oft die Bedeutung von Erschöpfung, Überarbeitung oder Kontrollverlust. Dies sind aber alles Zustände, die eintreten, wenn Stress zu häufig, zu lange oder zu wenig zielgerichtet zum Einsatz kommt. Stress ist zu einem Synonym für Überlastung geworden. Dabei ist Stress eigentlich ein sehr nützliches Tool zur Leistungssteigerung, denn physiologisch betrachtet ist Stress ein komplexes Phänomen, dass dafür sorgt, dass verschiedene physische und psychische Anpassungsprozesse stattfinden. Einen Anpassungsprozess brauche ich gerade ganz dringend, also brauche ich auch Stress. Im Prinzip dürft ihr Stress auch gerne als eine Art Muskel sehen, den man anspannen kann, um eine bestimmte Leistung zu erbringen.

Um Stress bewusst für sich zu nutzen, ist es hilfreich. sich zwei Fragen zu stellen:

  1. Was ist mein Ziel? Also warum stresse ich mich?

  2. Wie setze ich diese physiologische Leistungssteigerung, die wir hier Stress nennen, gesund ein? Also wie stresse ich mich richtig?

Durch diese bewusste Auseinandersetzung mit Stress, kann es mir langfristig gelingen, Stress positiv zu bewerten und als wertvolle Ressource einzusetzen. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass mir diverse physische und psychische Folgeerkrankungen von Dauerstress erspart bleiben.

Warum stresse ich mich denn nun?

Um diese Frage angemessen klären zu können, müssen wir zwischen zwei Arten von Stress unterscheiden: dem Veränderungs- und dem Durchhaltestress.

Stress verursacht durch Veränderungen (wie in meinem Fall ein neuer Job) wird benötigt um von einer Ausgangssituation hin zu einer Zielsituation zu gelangen, die in den allermeisten Fälle zu einer dauerhaft positiven Veränderung führt (die Gründe für meine gegenwärtige Veränderung habe ich ja in den letzten Wochen hinlänglich beschrieben). In einer solchen Situation ist es hilfreich, regelmäßig bewusst aus der Belastung herauszutreten und sich immer wieder zu überlegen, welche vorhandenen Ressourcen man an welcher Stelle bewusst einsetzen kann, um bestmöglich voranzukommen. Zudem ist es ratsam, sich gedanklich in die Zukunft zu katapultieren, um möglichst genau zu beleuchten, wie es sein wird, wie es sich anfühlen wird, wenn man seine Zielsituation erreicht haben wird. Das hilft auch dabei, zu evaluieren, ob das was sein wird, das gegenwärtige Stresslevel überhaupt wert ist. In meinem Fall bin ich mir da zu hundert Prozent sicher. Ich war aber auch schon in Situationen, in denen genau dieser Prozess dazu geführt hat, dass ich einfach losgelassen habe, weil der potenzielle Outcome es mir nicht wert war. Denn eines muss klar sein: der Mensch ist ausgesprochen leistungsfähig und jeder Einzelne von uns ist wahrscheinlich stärker, als er oder sie es sich selbst vorstellen kann. Aber alles hat seine Grenzen und wir sollten unsere Ressourcen bewusst nutzen und nicht einfach so verbrennen. Also immer rein in den Veränderungsstress, wenn es die Veränderung wert ist! Aber Vorsicht Falle: Das sollte auch nicht zur Entschuldigung dafür werden, sich gar nicht mehr zu verändern! Radikaler Mut zur Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist gefragt!

Beim Durchhaltestress verhält es sich ein wenig anders, da hier der Weg das Ziel ist. Es geht darum, eine besonders belastende Situation auszuhalten, durchzuhalten. Ich erinnere mich an die Zeit, in der ich mich um meine schwer kranke Mama gekümmert habe. Für mich ging es darum, einfach nur durchzuhalten, ohne Ziel. Ich habe recht flott gespürt, dass meine Kräfte begrenzt sind. In solche Situationen ist es ausgesprochen ratsam, sich zu fragen, was einem wirklich wichtig ist, vielleicht auch, wenn man in fünf Jahren auf eben diese Phase zurückschaut. Hierbei geht es vor allem um Werte, denen man treu bleiben sollte. Damals, als das Lebensende meiner Mutter immer näher kam und meine Kräfte zunehmend geschwunden sind, habe ich mich dafür entschieden, eine interne Bewerbung zurück zu ziehen, weil es mir wichtiger war, in den letzten Wochen, Tagen, Monaten oder vielleicht nur Stunden so viel Zeit wie möglich bei meiner Mutter sein zu können. Heute, viele Jahre später, würde ich sagen, ich habe alles richtig gemacht. Ich bin mir und meinen tiefsten inneren Werten treu geblieben, obwohl ich auf diese eine Ausschreibung zum damaligen Zeitpunkt schon über zehn Jahre gewartet habe. Ich habe eine Chance oder Möglichkeit bewusst vorbeiziehen lassen.

Natürlich lassen sich Veränderungs- und Durchhaltestress nicht komplett voneinander trennen. Belastende Lebensphasen führen immer auch zu Veränderungen und Veränderungen haben in bestimmten Momenten auch immer mal wieder etwas mit Durchhalten zu tun (auch ich halte momentan hier und da einfach mal durch). Aber es macht trotzdem Sinn, diese Situationen voneinander zu unterscheiden, da sie grundlegend andere Anforderungen an uns stellen.

Und wie stresse ich mich jetzt richtig?

Frage eins hätten wir hiermit geklärt. Und nun? Wie gehe ich mit Stress um, damit er nicht doch ungesund wird, egal ab ich mich im Veränderungsprozess befinde, oder einfach durchhalten möchte? Das Wichtigste ist, dass Stress nicht zum Dauerbrenner wird und wir uns immer wieder bewusste Momente der Entspannung schaffen. Um diese Momente nutzen zu können, müssen wir dafür sorgen, dass dieser Hormoncocktail, den wir als Stress empfinden auch immer wieder, wie von der Evolution vorgesehen, abgebaut wird. Dafür gibt es tatsächlich erstmal nur eine Möglichkeit: Bewegung! Denn die Evolution hat den Stress eingeführt, damit wir in bedrohlichen Situationen entweder schneller laufen, oder fester zuschlagen können. Dabei bauen sich die aufgebauten Stresshormone ab und der Mensch entspannt sich danach wieder. Dieser Stressmechanismus hat sich leider noch nicht an unser modernes Leben angepasst. Die bedrohlichen Situationen in unserer komplexen Welt sind eben nicht mehr der Säbelzahntiger der uns fressen will, oder die Jungs und Mädels vom feindlichen Stamm, die uns unsere Lebensgrundlage streitig machen wollen. Heutzutage sind die Bedrohungen, auf die unser Körper mit Stresshormonen reagiert, der Chef oder der Kollege, die einem das Leben schwer machen, Veränderungen weil sie uns ja gefühlt erstmal die alte, bekannte, sichere Lebensgrundlage wegzunehmen drohen, das Gefühl tausend Dinge gleichzeitig erledigen zu müssen, um irgendwelchen Ansprüchen gerecht zu werden, Existenzängste, Sorgen und Ängste um die, die uns am Liebsten sind, Überforderung durch unsere komplexe Welt im Allgemeinen, das Gefühl mithalten zu müssen und so weiter und so fort. Unser ganz normales Leben liefert unserem Körper unendlich viele Gründe, Stresshormone zu produzieren. Und unser Lebensstil führt dazu, dass wir unserem Körper häufig die Möglichkeit nehmen, diese Hormone wieder abzubauen. Das führt zu Herz-Kreislauferkrankungen, weil Stresshormone das Herz permanent antreiben, zu Erkrankungen des Magen-Darmtraktes, weil Stresshormone die Verdauung unterdrücken, wir aber trotzdem essen und dies unseren Körper überfordert und Stress führt zu Schlaflosigkeit, weil Stresshormone Schlafhormone fressen. Und Schlaflosigkeit führt zu Stress, führt zu… Also, bewegt euch, seid achtsam und nehmt euch bewusst Pausen zur Entspannung. -Und nicht um eben noch mal schnell einkaufen zu gehen. Und macht euch Gedanken darüber, was ihr wann esst. Alles kein Hexenwerk. Wichtig ist der regelmäßige Ausstieg aus dem Hamsterrad.

Und dann bin ich ins Hamsterrad gesprungen und habe Vollgas gegeben

Das führt uns wieder zu meiner letzten Woche. Ich bin nämlich ausgesprochen gut darin, kluge Reden zu schwingen. Ich wünschte, ich würde das alles auch etwas konsequenter umsetzen. Die ersten drei Tage habe ich alles falsch gemacht: ich bin nur gerannt, habe mich überrennen lassen, habe von morgens bis abends ohne Pause am PC gesessen, weil ich ja endlich (also nach einer Woche) Leistung bringen möchte, ich habe mir keine Zeit genommen, habe mich höchstens zwischen Schreibtisch, Küche und Toilette hin und her bewegt und mich dann gewundert, dass ich nicht gut schlafe. Am Mittwoch ist dann folgendes passiert: ich wurde sauer und frustig und habe das auch nicht mehr verstecken können. Es ist einfach so aus mir herausgeplatzt. Auf diese Situationen, in denen ich ungewöhnlich impulsiv unterwegs bin, bin ich nicht besonders stolz. Aber sie sind ein Teil von mir und am Ende sind sie doch auch immer eine Art Hilferuf meines Gehirns, das mir auf diese Weise sagt, dass es gar nicht mehr aufnahmefähig ist. Wer meinen letzten Blog gelesen hat, erinnert sich vielleicht noch daran, dass der sogenannte Hippocampus dafür verantwortlich ist, frisch Gelerntes vom Kurzzeitspeicher in den Langzeitspeicher zu überspielen. Und vielleicht erinnert ihr euch auch daran, dass der Hippocampus ab einem bestimmten Level an Stresshormonen seine Arbeit verweigert. Ich habe inzwischen für mich eine Exit Strategie entwickelt, die ich nutze, wenn meine Synapsen mal wieder heiß laufen und so bin ich ausgestiegen (also nachdem ich meinem Unmut Luft gemacht habe) und habe mir den Donnerstag schon etwas besser strukturiert. Ich habe Pausen gemacht. Leider war ich noch nicht so konsequent, auch meine vielen Kommunikationskanäle auf Pause zu stellen, weshalb ich bei der Pause gestört wurde. Das habe ich am Freitag besser gemacht. Dabei habe ich sogar die Möglichkeit einer Rücksprache mit einer Kollegin sausen lassen. Das war schade. Mir hat die Pause (in der ich Yoga gemacht habe - Bewegung eben!), aber sehr gutgetan. Außerdem habe ich meine Nahrungsaufnahme besser geplant. Es gab in Folge weniger Zucker und Kekse (was auch in Hinblick auf die drohende Bikinisaison sinnvoll war!), dafür gab es mehr Flüssigkeit. Beides hat gut getan. Ich habe auch insgesamt kürzer und trotzdem lang genug gearbeitet. Und ich habe deutlich mehr aufgenommen und verstanden! Am Freitagabend war ich trotzdem fix und fertig, der Tag war stressig und abends war außer Couch nichts mehr los mit mir. Aber im Gegensatz zu den Tagen zuvor war ich happy und zufrieden mit mir und dem was ich gelernt habe. Ich war zufrieden und ruhig und ich habe total gut geschlafen. Was habe ich daraus gelernt? Erstens, dass das, was ich seit Jahren in meinen Stressmanagement-Workshops erzähle, stimmt, alles davon! Und zweitens, dass unser größter Feind nie von außen kommt, auch wenn wir natürlich gerne propagieren, dass selbstverständlich immer der andere Schuld ist. Am Ende sind wir es aber, die die Verantwortung für unser Leben und unser Stresslevel tragen.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen entspannten Sonntag und eine erfolgreiche Woche, mit ausreichend viel Stress, um eine richtig coole High Performance hinzuhauen und ausreichend viel Entspannung um diese High Performance auch genießen zu können!

Eure Constance

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Und manchmal will man einfach nur laut schreien…

Wenn der Stress überhand nimmt