Wut

Über Hass und Rassismus - Erklärungsversuch des Unerklärbaren

Wenn die Welt Kopf steht

Wieder etwas Aktuelles! Aber in Anbetracht der Tatsache, dass die Welt gerade Kopf zu stehen scheint, muss das wohl sein. Außerdem lässt mich das Video, welches das Sterben des dunkelhäutigen US-Amerikaners George Floyd so grausam dokumentiert, nicht mehr los. Mich beschäftigen im Kern zwei Fragen: Wie können Menschen so grausam sein? Und auch auf Grund der weltweiten “Black Lifes Matter” Aktionen schließlich noch die viel größere Frage: Woher kommt Rassismus?

Im Gegensatz zum Dunning-Kruger-Syndrom in der letzten Woche gibt es heute kein Schmunzeln, Augenzwinkern oder Lachen. Hier gibt es vor allem Betroffenheit, Traurigkeit und vielleicht auch den ein oder anderen Anreiz, über sich selbst, seine Denkstrukturen und die Stereotypen im eigenen Kopf nachzudenken.

Empathie und Spiegelneuronen

Empathie bedeutet, dass wir eine Situation, die wir nur von außen beobachten, so empfinden, als würden wir sie selbst durchleben. Fremdschämen gehört dazu, genauso wie der Moment, in dem man sieht, wie ein Mensch stürzt (vielleicht auf eine Stelle, die besonders weh tut) und man sich kurz krümmt oder man zusammenzuckt, als würde man diese Schmerzen selbst spüren. Schuld daran ist eine Zellverband in unserem Gehirn, die man Spiegelneuronen nennt. Entdeckt wurden diese besonderen Zellen tatsächlich erst 1992 vom italienischen Physiologen Giacomo Rizzolatti. Diese Spiegelneuronen gehören wohl zur Grundausstattung des menschlichen Gehirns, allerdings bedeutet das nicht, dass alle Menschen in der Lage sind, Empathie zu empfinden. Tatsächlich lernen wir erst durch frühkindliche Erfahrungen von Wärme, Aufmerksamkeit und Geborgenheit über unsere Spiegelneuronen Empathie. Man geht davon aus, dass bereits Vierjährige in der Lage sind, Mitgefühl zu zeigen, wenn nahestehende Menschen traurig sind. Insbesondere zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr findet nochmal eine besonders bedeutungsvolle Neuverschaltung zwischen Spiegelneuronen und Empathiefähigkeit statt. Gab es bis dahin ein Defizit an menschlicher Zuneigung und Anerkennung, kann das fatale Folgen haben. Krankheitsbilder die daraus erwachsen können, können wir uns sicher alle selbst ausmalen. Aber nicht jeder Mensch, dem es an Empathie mangelt, wird zwangsläufig auch auf krankhafte Art verhaltensauffällig. Vor einigen Jahren habe ich einen diesbezüglichen Fachartikel gelesen, der mir noch sehr gut in Erinnerung geblieben ist, weil mich ein Teil dazu gebracht hat, ein wenig in mich hinein zu grinsen. Es wurde beschrieben, dass der größte Teil dieser pathologisch unempathischen Zeitgenossen völlig unauffällig bleibt, weil man ja auch ohne Mitgefühl in der Lage sei, gesellschaftliche Normen, richtig und falsch, kognitiv zu begreifen und sich anzupassen. Abschließend hat dieser Artikel beschrieben, dass diese Menschen sogar sehr oft äußerst erfolgreich einen Platz in unserer Gesellschaft fänden, zum Beispiel im Vorstand von DAX-Konzernen. Die nüchterne Sachlichkeit von Wissenschaft ist wirklich speziell!

Wie hilft uns das Wissen um Spiegelneuronen nun im Fall Floyd weiter? Irgendwie gar nicht. Ja, dieser Polizist, oder besser alle vier Polizisten, taten sich mit dem, das wir Mitgefühl nennen, offensichtlich ausgesprochen schwer. Jetzt könnte man sich denken, dass sie einem Leid tun könnten, weil da wohl zu wenig Liebe und Fürsorge in der Kindheit stattgefunden habe. Aber als Teil der rechtsstaatlichen Exekutive muss man von ihnen erwarten, einschätzen zu können, was richtig oder falsch ist. Ich selbst schule Laien darin, in einer akuten Bedrohungssituation Menschen, die sich nicht mehr deeskalieren lassen, vorübergehend körperlich zu kontrollieren. Ein absolut zentraler Punkt im Rahmen dieser Schulungen ist die allgegenwärtige Gefahr des lagebedingten Erstickungstodes, wenn jemand bäuchlings auf dem Boden liegt. Meine Teilnehmer verlassen den Workshop mit zwei Mantras: man muss permanent sicherstellen, dass der Aggressor atmet und man übt niemals mit dem Knie oder dem gesamten Körpergewicht Druck auf den Bereich zwischen den Schulterblätter aus. Polizisten setzen sich mit dieser Thematik noch viel intensiver auseinander. Ich gehe fest davon aus, dass diese vier Polizisten genau wussten, was sie taten und zudem auch intellektuell in der Lage waren, richtig und falsch voneinander unterscheiden zu können. Wie wir jedoch festgestellt haben, sind richtig und falsch keine festen Größen, sondern werden viel mehr über gesellschaftliche Normen definiert. Keiner von uns geht morgens zur Arbeit, mit dem festen Plan etwas falsches zu tun. Irgendetwas muss diesen Polizisten suggeriert haben, dass ihr Vorgehen richtig war. -So wie es schon vielfach zuvor der Fall war, wenn über Polizeigewalt gegen Afroamerikaner in den USA berichtet wurde. Das führt uns schließlich zum Thema des gesellschaftlichen Rassismus, der Diskriminierung und dem Denken in Schubladen und Stereotypen.

Woher kommt Rassismus?

Das scheint die alles beherrschende Frage. Denn sind wir mal ehrlich, Rassismus gab es schon immer und überall, mal leise und mal ganz laut. Irgendwie scheint es Teil des Menschseins zu sein. Evolutionsgeschichtlich machte dieses Misstrauen gegenüber anderen irgendwann sogar einmal Sinn, weil dieses Misstrauen Überleben sicherte, damals, in den Höhlen. Genau deshalb wurde das auch in unser Gehirn eingebrannt. Im Rahen von recht aktuellen Versuchsreihen wurden Menschen Bilder von Mitgliedern der eigenen ethnischen Gruppe und anderer Ethnien gezeigt. Tatsächlich ist schon bei der Betrachtung von Bildern mit Menschen einer anderen ethnischen Gruppe das Angsthirn, die Amygdala, angesprungen und hat Gefahr gemeldet. Unser Gehirn war von jeher darauf angewiesen, sich sehr schnell in einer komplexen Umwelt zu orientieren. Dazu schafft es sich Schemata, Schubladen, Stereotypen, die im Prinzip als unbewusste Glaubenssätze unsere Realität verzerren, weil sie unser Denken und oftmals auch das Handeln bestimmen. Diese Stereotypen oder Schubladen werden stark durch unser Elternhaus geprägt, da hier die Grundlagen gelegt werden. Im Alter verfestigen sich diese Schubladen, geprägt durch unser soziales Umfeld und unsere Erfahrungen. Und so lange wir uns unserer eigene Stereotypen nicht bewusst sind und uns so nicht entscheiden können, bewusst gegenzusteuern, sucht unser Gehirn vor allem nach der Bestätigung bekannter Strukturen.

“Liebe ist der Weg”, sagt der Guru

Wann immer sich die fiese Fratze des Rassismus so deutlich zeigt, wie am 25. Mai in Minneapolis, dann löst das natürlich Traurigkeit, Fassungslosigkeit, Wut und vielleicht sogar ohnmächtige Aggression aus. Aber Rassismus und Diskriminierung haben viele Gesichter und die wenigsten sind so gut erkennbar, mit so klaren Konturen versehen, wie dieser Tage in den USA. Wir alle denken in Schubladen und vielleicht fangen Diskriminierung und Rassismus in dem Moment an, in dem diese Schubladen anfangen unser Handeln zu beeinflussen. Da unser Gehirn aber unglaublich gerne dazulernt, müssen wir nicht in diesem komplett überholten Höhlen-Verhalten hängen bleiben. Der Lernprozess beginnt mit dem Mut sich seine eigenen Stereotypen bewusst zu machen, damit diese nicht mehr unbewusst unser Denken und Handeln beeinflussen können. Rassismus und Diskriminierung hören nicht auf, wenn man Gleichberechtigung gesetzlich implementiert oder Antidiskriminierungsgesetze erlässt, gleichgeschlechtliche Ehen zulässt, oder ein System anonymer Bewerbungsprozesse einführt. Rassismus und Diskriminierung beginnen in unseren Herzen, oft klammheimlich und versteckt, und dort muss es auch aufhören. Nelson Mandela hat einmal gesagt, dass kein Mensch hassend zur Welt käme. Hass müsse man lernen und wenn man lerne zu hassen, könne man auch lernen zu lieben. Und tatsächlich, der Jenaer Psychologe Andreas Beelmann hat im Rahmen von Studienreihen mit Kindern nachgewiesen, dass empathische Kinder (und wir haben gelernt, dass Empathie unter anderem ein Resultat einer liebevollen Erziehung ist) deutlich weniger empfänglich für Ressentiments und Vorurteile sind, als weniger empathische Kinder. Tja, “Liebe ist der Weg”, sagt der verrückte Guru. Aber recht hat er, Liebe und Selbstreflexion.

Das Video, in dem George Floyd um sein Leben kämpft, konnte ich übrigens nicht zu Ende schauen. Meine Spiegelneuronen haben mir das unmöglich gemacht. Das Flehen Floyds, gepaart mit der Gefühlskälte der Polizisten und der Hilflosigkeit der Passanten hat mir solche Schmerzen bereitet, dass ich abschalten musste. Meine Erklärungsversuche sollen auch auf keinen Fall etwas entschuldigen, was unentschuldbar ist. Vielmehr möchte ich zeigen dass es nicht Gesetze sind, die Diskriminierung beenden. Es ist unser Fühlen und Handeln. Wenn mir eine Freundin erzählt, dass ihr großartiger Sohn nicht mehr mit ihrem Fahrrad fahren möchte, nicht weil er nicht mit einem Damenrad gesehen werden möchte, sondern weil ihm Passanten durch Blicke und Kommentare zu verstehen geben, dass er dieses Fahrrad ja wohl geklaut haben müsse, weil er eben nicht blond und blauäugig ist, dann macht mich das unglaublich betroffen. Hier müssen wir aufräumen, vor unserer Haustür und nicht am anderen Ende der Welt! Aber klar, wenn wir sehen, was derzeit in den USA passiert, gepaart mit einer unwürdigen Rhetorik des US-Präsidenten, der sich nicht scheut, Parolen aus den dunkelsten Zeiten des US-amerikanische Rassismus zu rezitieren, dann lässt sich klar benennen, was schief läuft. Sich hier zu empören ist so viel einfacher, als diesen leisen verstecken Rassismus vor unserer eigenen Haustür zu suchen und daran zu arbeiten. Aber genau das ist der Weg!

Eure Constance

PS: Trotzdem darf man auch Solidarität zeigen. Meine zauberhafte Stieftochter hat gestern in Frankfurt demonstriert und ich bin darauf sehr stolz. Junge Menschen, die Stop sagen, sind unsere Zukunft. Aber diese jungen Menschen dürfen nicht den Fehler machen, die Missstände vor der eigenen Haustür zu übersehen, nur weil die Situation anderswo noch viel trauriger und schlimmer ist.

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Warum hat es Unmenschlichkeit so leicht, teil des Menschseins zu werden?

Der Versuch, das Unerklärliche zu begreifen